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zu 17.304 Standesinitiative Sicherere Strassen jetzt!

Bericht der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates vom 18. Januar 2021 Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Februar 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF-N) vom 18. Januar 20211 zur Standesinitiative 17.304 «Sicherere Strassen jetzt!» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Februar 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Der Kanton Tessin hat am 22. März 2017 die Standesinitiative «Sicherere Strassen jetzt!» (17.304) eingereicht. Die Initiative verlangt, dass den Lastwagen, die nicht über die Sicherheitssysteme verfügen, die in der seit 2015 geltenden Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge genannt sind, so rasch wie möglich die Nutzung von Tunnels und Pässen in den Schweizer Alpen untersagt wird.

Am 8. Januar 2018 beschloss die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates (KVF-S), der Initiative Folge zu geben. Am 6. November 2018 folgte ihr die KVF-N. In der Wintersession 2018 wurde die KVF-N beauftragt, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Das Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 19582 soll so geändert werden, dass für schwere Motorwagen zum Sachen- und Personentransport auf den Transitstrassen im Alpengebiet Mindeststandards für die Ausrüstung mit unfallvermindernden Assistenzsystemen gelten. Fahrzeuge, die nicht den neusten Vorschriften entsprechen, sollen höchstens noch während fünf Jahren auf Transitstrassen im Alpengebiet verkehren dürfen. Für bestimmte, nicht grenzüberschreitende Transporte soll der Bundesrat eine längere Frist vorsehen können.

Die KVF-N hat den Vorentwurf angenommen und die Vernehmlassung eröffnet.

Diese hat vom 5. Juni bis zum 30. September 2020 stattgefunden.3 In der Vernehmlassung hat sich kein klarer Konsens für oder gegen den Entwurf der Kommission abgezeichnet. Eine klare Mehrheit hat sich jedoch gegen die längere Frist für alpenquerende, nicht grenzüberschreitende Transporte, die für die Wirtschaft der Südschweiz oder des Wallis von besonderer Bedeutung sind, ausgesprochen.

Die KVF-N hat den Vernehmlassungsbericht zum Vorentwurf über die Umsetzung der Standesinitiative des Kantons Tessin an ihrer Sitzung vom 18. Januar 2021 zur Kenntnis genommen. Mit 15 zu 10 Stimmen hat sie beschlossen, am Vorentwurf festzuhalten und dem Nationalrat einen Entwurf zur Revision des Strassenverkehrsgesetzes zu unterbreiten.4 Gleichzeitig hat sie Bericht und Erlassentwurf dem Bundesrat zur Stellungnahme vorgelegt.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat teilt das Hauptanliegen der Vorlage. Die weitere Verbesserung der Verkehrssicherheit ist dem Bundesrat ein grosses Anliegen.

Die zahlreichen mittleren und grossen Schwerverkehrskontrollzentren (SVKZ) an den strategisch wirksamsten Orten im Strassennetz erlauben heute wirksame Kontrollen 2 3

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SR 741.01 Die Vernehmlassungsunterlagen und der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind zu finden unter www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > PK [Parlamentarische Kommissionen].

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des Schwerverkehrs. Mit dem Maxizentrum bei Giornico im Kanton Tessin wird spätestens 2023 das achte Zentrum den Betrieb aufnehmen. Neben den Kontrollen in den SVKZ unterstützt der Bund zusätzliche Kontrolltätigkeiten (die «Unterwegskontrollen») der Polizei ausserhalb der SVKZ. Daneben tragen die hohe Qualität der Strasseninfrastrukturen und der Tunnels zur Verkehrssicherheit bei.

Mit der Verordnung (EU) 2019/21445 (der sog. General Safety Regulation, GSR) ist eine flächendeckende Ausrüstungspflicht mit Assistenzsystemen für Fahrzeuge aus der Europäischen Union (EU) und der Schweiz gewährleistet. Der Bundesrat plant, diese Systeme in der Schweiz im Gleichschritt mit der EU einzuführen. Er ist der Meinung, dass damit der Verkehrssicherheit flächendeckend Rechnung getragen wird. In der EU gelten mit der GSR ab dem 6. Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab dem 7. Juli 2024 für Zulassungen aller Neufahrzeuge neue Anforderungen bezüglich Assistenzsystemen. Personenwagen sind dabei ebenso betroffen wie Nutzfahrzeuge. So müssen z. B. schwere Nutzfahrzeuge künftig über Müdigkeits- und Geschwindigkeitsassistenzsysteme, Reifendruckkontrollsysteme, Notbremslichter, Schnittstellen für alkoholempfindliche Wegfahrsperren sowie Rückfahrassistenten, Totwinkelassistenten und Kollisionswarnsysteme zum Schutz von Fussgängerinnen und Fussgängern sowie Radfahrenden verfügen.

Eine Privilegierung des Binnenverkehrs, wie in der Vorlage vorgesehen (Art. 45a Abs. 3), ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz jedoch nicht vereinbar und liesse sich auch materiell nicht begründen. Dies bestätigt ein im Auftrag des Bundesamtes für Strassen erstelltes Rechtsgutachten6. Eine «Sonderbehandlung», wie sie in der Vorlage vorgesehen ist, stellt eine verbotene Diskriminierung aufgrund der Nationalität dar. Diese steht nicht in Einklang mit dem Landverkehrsabkommen 7 (LVA) zwischen der Schweiz und der EU. Gemäss dem Rechtsgutachten ergibt sich die Unvereinbarkeit insbesondere auch aus der «Unteilbarkeit» des Ziels der Massnahme insgesamt: Entweder der hohe Sicherheitsstandard soll gewährleistet werden und wird als notwendig erachtet ­ oder aber nicht.

Statistische Auswertungen zeigen, dass im internationalen Verkehr eingesetzte, schwere Nutzfahrzeuge aufgrund ihrer hohen Kilometerleistungen und dem damit 5

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Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 78/2009, (EG) Nr. 79/2009 und (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 631/2009, (EU) Nr. 406/2010, (EU) Nr. 672/2010, (EU) Nr. 1003/2010, (EU) Nr. 1005/2010, (EU) Nr. 1008/2010, (EU) Nr. 1009/2010, (EU) Nr. 19/2011, (EU) Nr. 109/2011, (EU) Nr. 458/2011, (EU) Nr. 65/2012, (EU) Nr. 130/2012, (EU) Nr. 347/2012, (EU) Nr. 351/2012, (EU) Nr. 1230/2012 und (EU) 2015/166 der Kommission, Fassung gemäss ABl. L 325 vom 16.12.2019, S. 1.

Epiney / Frei, Nov. 2019: Völkerrechtliche Schranken der Einführung neuer Sicherheitsnormen im alpenquerenden Strassenverkehr ­ Zur Umsetzung der Standesinitiative TI 17.304 «Sicherere Strassen jetzt!».

Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse, SR 0.740.72.

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verbundenen Einsparpotenzial (z. B. geringerer Treibstoffverbrauch, Einsparung bei der LSVA) moderner sind als Fahrzeuge, die mit deutlich weniger Laufleistung im Binnenverkehr eingesetzt werden. Modernere Fahrzeuge sind im Gegensatz zu älteren Fahrzeugen vermehrt mit Assistenzsystemen ausgerüstet. Eine Privilegierung tendenziell schlechter ausgerüsteter Fahrzeuge lässt sich im Hinblick auf die Strassenverkehrssicherheit nicht begründen.

In der Vergangenheit hat sich der Bundesrat bereits im Rahmen verschiedener Vorstösse zur Frage der Vereinbarkeit mit dem LVA geäussert. So z. B. im Rahmen der Beantwortung der Interpellation 19.3771 Grossen vom 20. Juni 2019 ( «Einführung einer Alpentransitabgabe. Schweizer Verlagerungspolitik mit einem alpenweiten Instrument ergänzen»). Der Bundesrat hat in seiner Antwort dargelegt, die Einführung einer Alpentransitabgabe müsse nach den geltenden Grundsätzen des LVA erfolgen.

Dabei seien insbesondere die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismässigkeit sowie der Vermeidung von Verzerrungen des Verkehrsflusses im Alpenraum zu beachten.

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Zustimmung zum Entwurf der KVF-N, jedoch mit folgender Änderung: Art. 45a Abs. 3 Streichen

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