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20.088 Botschaft zur Änderung des DNA-Profil-Gesetzes vom 4. Dezember 2020

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des DNA-Profil-Gesetzes.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2016

M 15.4150

Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger (N 18.3.16, Vitali; S 14.12.16)

2016

P

Prüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile (N 3.3.16, Kommission für Rechtsfragen NR)

16.3003

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Dezember 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-0005

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Übersicht Das DNA-Profil, erstellt aus der DNA einer bestimmten Person oder aus einer Spur am Tatort, ist seit rund 30 Jahren ein unverzichtbares Instrument der Strafverfolgung. Die Analyse von DNA-Spuren soll neu auch für die Phänotypisierung genutzt werden können, also für die Eruierung äusserlich sichtbarer Merkmale der Spurenlegerin oder des Spurenlegers. Die Vorlage umfasst zudem die Regelung des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug und eine Neuregelung der DNA-Löschfristen.

Ausgangslage Als die eidgenössischen Räte im Jahre 2003 das DNA-Profil-Gesetz verabschiedeten, war die Phänotypisierung als Ermittlungsinstrument bereits bekannt, aber noch kaum praktisch einsetzbar. Heute stehen hierfür verlässliche Verfahren zur Verfügung. Mit der Überweisung der Motion 15.4150 Vitali, «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger», haben die eidgenössischen Räte den Bundesrat beauftragt, den Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der Phänotypisierung zu unterbreiten. Weiter hat der Nationalrat mit der Überweisung des Postulats 16.3003 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates den Bundesrat beauftragt, eine Überprüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile vorzunehmen. In den vergangenen Jahren ist zusätzlicher Anpassungsbedarf am DNA-Profil-Gesetz sichtbar geworden, der mit der vorliegenden Revision dieses Gesetzes umgesetzt werden soll.

Inhalt der Vorlage Kerninhalt der Vorlage ist die Regelung der Phänotypisierung. Mit ihr soll die Strafverfolgung ein neues Instrument erhalten, um mittels rascherer Fokussierung auf den möglichen Täterkreis Ermittlungen effizienter durchführen zu können. Sie soll es auch ermöglichen, den Personenkreis bei einer Massenuntersuchung näher einzugrenzen.

Die gesetzliche Regelung umfasst die folgenden Eckpunkte: ­

Im Gesetz werden für eine Phänotypisierung abschliessend diejenigen fünf Merkmale aufgelistet, die aktuell für strafrechtliche Ermittlungen zur Verfügung stehen: Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie biogeografische Herkunft und Alter.

­

Der Bundesrat kann auf Verordnungsstufe in Abhängigkeit vom technischem Fortschritt und bei erwiesener praktischer Zuverlässigkeit weitere äusserlich sichtbare Merkmale festlegen.

­

Die Phänotypisierung ist einzig zur Aufklärung von Verbrechen zulässig. Angeordnet wird sie durch die Staatsanwaltschaft.

In der forensischen DNA-Analyse wird zudem der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug neu im Gesetz ausdrücklich geregelt.

Weiter hat der Bundesrat gemäss Postulat 16.3003 die geltende Regelung der Aufbewahrungsfristen für die DNA-Profile überprüft. Die Evaluation hat ergeben, dass die geltende Löschregelung in ihrer Umsetzung mit einem erheblichen administrativen

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Aufwand verbunden ist. Der Bundesrat schlägt mit dieser Vorlage eine neue Löschregelung für die Personenprofile vor. Diese basiert auf dem Grundsatz, dass die Aufbewahrungsfrist für ein Personenprofil einmal und unabänderlich festgelegt wird. Sie ist also nicht mehr zeitlich vom Vollzug der Sanktion abhängig. Dadurch soll das Löschprozedere deutlich vereinfacht und fehlerresistenter werden.

Schliesslich wird in den Militärstrafprozess vom 23. März 1979 neu eine umfassende Regelung der forensischen DNA-Analyse eingefügt. Er wird damit deckungsgleich mit der Strafprozessordnung künftig die Erstellung des DNA-Personen- und Spurenprofils, den Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug und die Phänotypisierung umfassen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.1.1 Einleitung 1.1.2 Motion Vitali vom 16. Dezember 2015 «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» 1.1.3 Postulat 16.3003 der Rechtskommission des Nationalrates vom 3. März 2016, «Prüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile» 1.1.4 Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug 1.1.5 Inhaltliche Bereinigung zwischen DNA-Profil-Gesetz und StPO 20 1.1.6 Ergänzung des Militärstrafprozesses 1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung 1.3 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

6 12 16 22 22 22

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Erarbeitung der Grundlagen 2.2 Vernehmlassungsentwurf 2.3 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

23 23 23 24

3

Rechtsvergleich 3.1 Phänotypisierung 3.2 Aufbewahrungsdauer für DNA-Profile 3.3 Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

26 26 28 30

4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Phänotypisierung 4.1.2 Löschregelung für die DNA-Personenprofile 4.1.3 Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug 4.1.4 Weitere Regelungsthemen 4.1.5 Weitere Anliegen aus der Vernehmlassung und deren Umsetzung in der Gesetzesvorlage 4.2 Umsetzungsfragen

31 31 31 35 36 37

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 DNA-Profil-Gesetz 5.2 Änderung anderer Erlasse 5.2.1 Strafgesetzbuch in der Fassung gemäss Strafregistergesetz vom 17. Juni 2016 5.2.2 Strafprozessordnung 5.2.3 Militärstrafprozess

44 44 63

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63 64 69

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6

Auswirkungen 6.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf die Kantone 6.3 Auswirkungen in weiteren Bereichen

70 70 71 72

7

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.1.1 Gesetzgebungskompetenz 7.1.2 Vereinbarkeit mit den Grundrechten 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 7.4 Datenschutz

72 72 72 72 74 75 75

Glossar

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Literaturverzeichnis

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Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen Gesetzes (Entwurf)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1

Einleitung

Das DNA-Profil-Gesetz vom 20. Juni 20031 ist seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2005 nur punktuell angepasst worden. Die Änderungen betrafen überwiegend den Katalog der Löschereignisse gemäss Artikel 16 DNA-Profil-Gesetz. Die gesetzliche Regelung der DNA-Analyse zu den Zwecken der Strafverfolgung erfährt mit der jetzigen Vorlage somit die ersten grundsätzlichen Neuerungen in den rund 15 Jahren ihres Bestehens.

Mit der Einführung der Phänotypisierung soll das Instrument der forensischen DNAAnalyse um diesen wichtigen jüngeren Entwicklungsschritt in der forensischen Genetik erweitert werden. Eine neu konzipierte Regelung der Aufbewahrung und Löschung der DNA-Personenprofile im Informationssystem soll den Bearbeitungsprozess dieser Daten für alle Behörden von Kanton bis Bund vereinfachen. Ein drittes zentrales Thema der Vorlage ist die Regelung des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug. Hinzu kommt punktueller gesetzlicher Anpassungsbedarf im Bereich der DNA-Analyse, der in den vergangenen Jahren sichtbar geworden ist. Hierzu gehört die neu vorgesehene Möglichkeit zum Abgleich des Y-DNA-Profils im Informationssystem in Fällen, in denen sich aus einer Spur kein Standard-DNA-Profil erstellen lässt. Insgesamt verfolgen die Neuerungen dieser Vorlage das Ziel, die Effizienz der Strafverfolgung zu verbessern.

1.1.2

Motion Vitali vom 16. Dezember 2015 «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger»

Die Motion Am 18. März 2016 (Nationalrat) und am 14. Dezember 2016 (Ständerat) nahmen die Räte die Motion 15.4150 Vitali «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» ohne Gegenstimme an. Mit der Motion wurde der Bundesrat beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, «damit der Strafverfolgungsbehörde erlaubt wird, Täter von schwerwiegend gewalttätigen Straftaten wie beispielsweise Mord oder Vergewaltigung durch die Auswertung der codierenden Abschnitte und somit der persönlichen Eigenschaften gezielter zu verfolgen».

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SR 363

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Das Verfahren zur Feststellung äusserlich sichtbarer (morphologischer) Merkmale einer bestimmten Person wird in der forensischen Molekulargenetik als Phänotypisierung*2 bezeichnet.3 Die Phänotypisierung als Instrument der Strafverfolgung Der Bundesrat hatte bereits im Entwurf des DNA-Profil-Gesetzes gemäss Botschaft vom 8. November 2000 vorgeschlagen, es sollten «ausnahmsweise» aus der DNA auch persönliche Merkmale eruiert werden dürfen.4 Die eidgenössischen Räte strichen jedoch diese Klausel aus dem Gesetzesentwurf. Es bestanden datenschutzrechtliche Bedenken, auch die Auswertung der hierfür speziell erforderlichen ­ in der damaligen Terminologie: «codierenden» ­ DNA-Abschnitte zuzulassen. Zudem wurde zum damaligen Zeitpunkt festgestellt, dass keine ausgereiften technischen Verfahren für die Durchführung der Phänotypisierung zur Verfügung standen.5 Heute stehen diese technischen Verfahren zur Verfügung, und zwar für die folgenden Merkmale: Augen-, Haar- und Hautfarbe, biogeografische Herkunft und Alter.

Mittels Phänotypisierung lässt sich immerhin die Aussage machen, dass die Spurenlegerin oder der Spurenleger mit einer gewissen (möglichst hohen) Wahrscheinlichkeit zur Gruppe jener Menschen gehört, die beispielsweise braune Haare oder hellbraune Augen haben oder in die Alterskategorie der 35­45-Jährigen etc. fallen. Diese Art von Informationen ist für die Strafverfolgung von spezifischem Nutzen: Sie soll es den Behörden ermöglichen, Ermittlungen durch Fokussierung auf eine bestimmte Personengruppe näher einzugrenzen und dadurch effizienter zu machen. Die Phänotypisierung wird somit zur unmittelbaren Unterstützung einer strafrechtlichen Ermittlung eingesetzt. Sie ermöglicht es, die Ermittlung besser auf den potenziellen Täterkreis zu fokussieren und vorhandene einzelne Fahndungshinweise zu priorisieren.

Aussagen von Augenzeuginnen oder Augenzeugen, die erfahrungsgemäss mit Unsicherheit behaftet sind, können bestätigt oder aber relativiert werden. Die Phänotypisierung wirkt damit gewissermassen als «accélérateur d'enquête». 6 Die Anordnung der Phänotypisierung unterliegt wie eine jede andere Zwangsmassnahme der StPO dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 197 Abs. 1 Bst. c StPO). Das bedeutet konkret, dass die Phänotypisierung grundsätzlich nicht zur Anwendung gelangt, wenn die herkömmlichen Erkenntnisquellen wie Aussagen von Augenzeugen, Bilder aus 2 3

4

5 6

Die mit einem Sternchen versehenen Begriffe werden im Glossar erklärt.

Als Phänotyp wird das äussere Erscheinungsbild eines Organismus' bezeichnet, im Unterschied zum Genotyp als der Gesamtheit der in den Genen festgelegten Erbinformationen.

Artikel 2 Absatz 2 E-DNA-Profil-Gesetz hatte folgenden Wortlaut: «Bei der DNAAnalyse darf weder nach dem Gesundheitszustand, noch nach anderen persönlichen Eigenschaften mit Ausnahme des Geschlechtes der betroffenen Person geforscht werden.

Ausnahmsweise können für die Aufklärung von Verbrechen auch codierende Abschnitte der DNA untersucht werden, wenn dies zur Identifizierung der Täterschaft oder zur Beweisführung erforderlich ist.» (BBl 2001 58 f.). Welche einzelnen Merkmale eruiert werden dürfen, wird offengelassen. In der Botschaft DNA-Profil-Gesetz legte der Bundesrat jedoch dar, es seien «für die Identifizierung interessant ... zum Beispiel Angaben über die Augen-, Haar- oder Hautfarbe, mit denen die visuelle Identifizierung unterstützt werden kann» (BBl 2001 43).

Vgl. zur parlamentarischen Debatte etwa: AB 2002 N 1224 (Votum Lauper), 1225 (Aeppli Wartmann), 1227 (Gutzwiller), 1229 (de Dardel).

Dr ès Sc Vincent Castella, RTS, «La matinale», 21. Mai 2019.

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Überwachungskameras, Spuren am Tatort etc. bereits aussagekräftig genug sind, um zielführende Ermittlungen durchzuführen. In diesem Sinn gelangt die Phänotypisierung subsidiär zur Anwendung. Im Einzelfall kann nun aber beispielsweise eine Zeugenaussage mit Unsicherheiten behaftet sein, so dass sie allein für konkrete Ermittlungen nicht ausreicht. Hier kann es eine Phänotypisierung ermöglichen, eine solche Aussage zu bestätigen oder zu präzisieren oder aber zu entkräften. Die Phänotypisierung kann somit auch zum Einsatz gelangen, um bestehende, aber nicht ausreichende Erkenntnisse zu ergänzen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Massenuntersuchung nach Artikel 256 der Strafprozessordnung7 (StPO) bzw. Artikel 3 Absatz 2 DNA-Profil-Gesetz, wenn es darum geht, den Kreis der Personen, die zu einer solchen Untersuchung aufgeboten werden sollen, näher einzugrenzen kommt der Nutzen einer näheren Eingrenzung des möglichen Täterkreises zur Geltung. 8 Der spezifische Nutzen der Phänotypisierung liegt darin, den Ermittlungsbehörden allererste Hinweise zur mutmasslichen Täterschaft zur Verfügung zu stellen in Fällen, da nach einer begangenen Straftat solche Hinweise gänzlich fehlen: keine Augenzeugen; keine Bilder aus einer Überwachungskamera; der Täter hat keine Spuren hinterlassen, die Rückschlüsse auf sein Äusseres oder auf seine Herkunft zuliessen etc. Er oder sie hat einzig biologisches Material zurückgelassen, aus dem ein Standard-DNASpuren-Profil* erstellt werden konnte ­ dessen Abgleich im DNA-Profil-Informationssystem* jedoch keinen Treffer auf ein bereits vorhandenes Personen- oder Spurenprofil erzielt hat oder aber einen Treffer auf ein Spurenprofil, aus dem sich im Moment keine ermittlungsrelevanten Erkenntnisse gewinnen lassen. An diesem Nullpunkt sollen es die mittels Phänotypisierung gewonnen Angaben zum äusserlichen Erscheinungsbild der mutmasslichen Täterin oder des mutmasslichen Täters ermöglichen, die Ermittlungen zumindest ins Rollen zu bringen. Dabei besteht kein Automatismus. Die Informationen aus der Phänotypisierung können von den Behörden zunächst zur rein internen Ausrichtung und Steuerung der Ermittlungen verwendet werden. Mit jeder zusätzlich gewonnenen Information, die die Erkenntnisse aus der Phänotypisierung bestätigen und ergänzen oder aber widerlegen können, verdichtet sich in
der Folge das Bild der mutmasslichen Täterschaft.

Wichtig ist, dass der Phänotypisierung immer die Erstellung des DNA-Spuren-Profils vorausgeht (vgl. unten, Zusammenwirken von DNA-Profil und Phänotypisierung).

Die Erkenntnisse aus einer Phänotypisierung können einen ersten Ermittlungsansatz bieten, werden in der Folge aber kaum allein die Richtung von Ermittlungen bestimmen. Die Phänotypisierung wird vor allem in der Verknüpfung mit anderen Ermittlungserkenntnissen nützlich sein. Liegen beispielsweise zuverlässig Zeugenaussagen vor, kann sich eine Phänotypisierung als entbehrlich erweisen. Umgekehrt können die dank ihr gewonnenen Erkenntnisse den Ermittlungsbehörden zusätzliche Sicherheit geben, wenn eine vorliegende Zeugenaussage mit Unsicherheiten behaftet ist ­ oder aber eine solche Zeugenaussage zusätzlich entkräften.9 7 8

9

SR 312.0 Vgl. zu diesem speziellen Verwendungszweck: Beck Maren, Forensic DNAPhenotyping ­ Bestimmung äusserer Merkmale aus der DNA, Kriminalpolitische Zeitschrift 3/2017, S. 160 ff., 163, auf: http://kripoz.de/wp-content/uploads/2017/05/ beck-forensic-dna-phenotyping.pdf.

Vgl. zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen und ihrer Prüfung: Oberholzer Niklaus, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. A., Bern 2020, Kapitel 15.6, S. 305 ff.

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Zeichnen sich die Erkenntnisse aus der Phänotypisierung im Einzelfall durch eine hohe Verlässlichkeit aus, können sie in Verbindung mit weiteren vorliegenden polizeilichen Erkenntnissen zum begangenen Delikt wie Fotos von Überwachungskameras, Angaben zum modus operandi etc. auch für eine Fahndung (Art. 210 f. StPO) verwendet werden; zusätzlich können sie nach Artikel 15 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 200810 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI) in das Automatisierte Polizeifahndungssystem (RIPOL) aufgenommen werden. 11 Bei Abschluss der Ermittlungen haben die Erkenntnisse aus der Phänotypisierung ihren Zweck aber erfüllt und werden aus RIPOL gelöscht.

Unter strafprozessualem Blickwinkel ist entscheidend, dass die Erkenntnisse aus einer Phänotypisierung von vornherein nicht in direkten Bezug zu einer bestimmten Einzelperson gesetzt werden und damit auch nie einen «Beweis» im Sinne von Artikel 139 StPO darstellen können. Diese Erkenntnisse sind somit zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Zuweisung eines Tatverdachts gegenüber einer bestimmten Person.

Die Erkenntnisse aus einer Phänotypisierung gehören damit auch nicht zur Kategorie der erkennungsdienstlichen Daten. Und sie eignen sich gerade deswegen auch nicht zur Bearbeitung in einem polizeilichen Informationssystem zwecks Aufklärung bereits begangener und allfälliger künftiger Delikte. Von einer Person, die gestützt auf Erkenntnisse (auch) aus einer Phänotypisierung unter einem hinreichenden Tatverdacht steht, wird immer ein Standard-DNA-Profil erstellt, und dieses wird mit dem Spurenprofil verglichen. Stimmen die beiden Profile nicht überein, kann die Person nicht der Spurenleger oder die Spurenlegerin gewesen sein, womit die Person vom Tatverdacht entlastet ist.

Die Phänotypisierung stellt hohe Anforderungen an die molekulargenetische Analyse.

So muss eine minimale Menge biologischen Spurenmaterials vorhanden sein, damit die Analyse überhaupt durchgeführt werden kann, wobei die Minimalmenge je nach zu untersuchendem Merkmal variiert. Weiter wird es in der Praxis erwartungsgemäss häufig vorkommen, dass nach vorausgegangener Erstellung des DNA-Spurenprofils nicht mehr genügend DNA-Material zur Verfügung steht, um auch noch eine Phänotypisierung durchzuführen. Bereits für die Erstellung des Standard-DNA-Spurenprofils erweist
sich die verfügbare Menge biologischen Materials in der Praxis häufig als knapp ­ die überwiegende Zahl der Spuren liegt als Kontaktspur12 vor. Eine Phänotypisierung ist weiter dann sehr schwierig, wenn nicht ausgeschlossen, wenn das biologische Spuren-Material von zwei oder mehr Spurenlegern stammt, also eine sog.

Mischspur vorliegt. Ermittlungsseitig, bei den Staatsanwaltschaften und den kriminaltechnischen Diensten der Polizeikorps, wird die Einführung der Phänotypisierung

10 11 12

SR 361 Gemäss Artikel 15 Absatz 2 BPI können in das Informationssystem u.a. «Daten zu den Fahndungsmerkmalen» aufgenommen werden.

Die klassische Spur liegt in Form einer bestimmten Menge von Blut, Sperma, Speichel etc. vor. Die Kontaktspur befindet sich demgegenüber «als Tragespur an Kleidungsstücken oder Griffspur an Werkzeugen, Waffen oder anderen Gegenständen, die in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit einer Straftat stehen» (Schneider Peter, Nachweisgrenzen der DNA, Interview, auf: www.gen-ethisches-netzwerk.de/nachweisgrenzen-der-dnaanalyse); vgl. auch: Coquoz Raphaël/Comte Jennifer/Hall Diana/Hicks Tacha/Taroni Franco, Preuve par l'ADN. 3. A., Lausanne 2013, S. 202 ff.

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eine spezifische Schulung bezüglich der Anwendungsvoraussetzungen sowie der Möglichkeiten und Grenzen des neuen Instruments erfordern.

Molekulargenetische Aspekte der Phänotypisierung Das äussere Erscheinungsbild einer Person wird zu einem grossen Teil durch die Gene* bestimmt. Im Genom finden sich unterschiedlichste Marker, die mit einzelnen äusserlich sichtbaren Erscheinungsmerkmalen korrelieren. Die von Mensch zu Mensch unterschiedliche Pigmentierung der Augen, des Haares oder der Haut lassen sich auf bestimmte Genvarianten oder Polymorphismen*, zurückführen, sog. Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs, ausgesprochen «Snips»). Weiter können die Grundbausteine der Erbsubstanz im Verlauf eines Lebens chemischen Modifikationen unterliegen, woraus sich Rückschlüsse auf das Alter einer Person ziehen lassen. Und bestimmte Sequenzvarianten im Genom korrelieren mit der biogeografischen Herkunft einer Person und lassen ermessen, ob eine Person aus Europa, Afrika, Ostasien, Südasien oder Südwestasien stammt oder der indigenen Bevölkerung in Ozeanien und Amerika zugehörig ist. Für einzelne Körpermerkmale wie etwa die Augenfarbe geht von einigen wenigen Genen ein dominierender Einfluss aus, während sich zahlreiche weitere Gene auf die Zwischenfarben auswirken. Bei zahlreichen äusserlich sichtbaren Körpermerkmalen ist die genetische Grundlage aber weitaus komplexer, und es können mehrere hundert Gene einen Einfluss haben.

Welche SNPs mit einem bestimmten Körpermerkmal häufiger vorkommen und somit mit diesem Körpermerkmal korrelieren, wurde und wird in umfangreichen Populationsstudien mit einer hohen Zahl von Probandinnen und Probanden, sogenannten genomweiten Assoziationsstudien, erforscht. Als neue, zusätzliche phänotypische Merkmale werden etwa Vorhersagemodelle für die Haarstruktur, für Sommersprossen und Glatzköpfigkeit bei Männern und längerfristig für die Körpergrösse und die Gesichtsform (Gesichtsmorphologie) entwickelt.

Abgrenzung zur Phänotypisierung: Das Standard-DNA-Profil Phänotypisierung und DNA-Profil* sind beides Instrumente der Strafverfolgung, die auf der Auswertung biologischen Materials beruhen. Sie unterscheiden sich dabei in ihrem Informationsgehalt grundsätzlich voneinander. Mittels Phänotypisierung wird aus tatrelevantem biologischen Spurenmaterial ein (wahrscheinlicher) Rückschluss
auf das äussere Erscheinungsbild der Spurenlegerin oder des Spurenlegers gezogen, auf Merkmale also, wie sie eine mehr oder weniger grosse Zahl anderer Menschen auch aufweisen. Demgegenüber basiert das DNA-Profil auf der Auswertung spezifischer Merkmale in der DNA, deren Informationsgehalt gemäss Formulierung des Bundesgerichts «persönlichkeitsneutral» ist.13 Diese Merkmale werden durch ein molekulargenetisches Verfahren in ihren Längenvariationen gemessen. Das Ergebnis dieser Analyse lässt sich in einem individualspezifischen Buchstaben-Zahlencode wiedergeben ­ eben dem DNA-Profil. Die DNA eines jeden einzelnen Menschen mit ihren rund 3 Milliarden Basen (DNA*) ist mit Ausnahme eineiiger Zwillinge einzigartig. Die Merkmale, die für das DNA-Profil ausgewertet werden, machen dabei nur den verschwindend kleinen Anteil von ungefähr von 0,00005 Prozent der gesam13

BGE 128 II 259 E. 3.3.

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ten DNA aus. Es ist dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass zwei Personen dasselbe DNA-Profil aufweisen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedoch extrem gering.14 Dieser Umstand ermöglicht bei einer Übereinstimmung zwischen dem DNAProfil einer Person und demjenigen aus einer Spur die Aussage, dass das Spurenprofil «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit»15 von der gleichen Person stammt wie das Personenprofil. Wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist, ist für jeden Einzelfall mittels biostatistischer Auswertung zu berechnen. Wichtig unter dem Blickwinkel der strafrechtlichen Ermittlungen ist dabei Folgendes: Stimmt das DNA-Profil einer Person X. mit einem bestimmten Spurenprofil überein, ermöglich dies eine Aussage über die Herkunft der Spur. Das Analyselabor berechnet den Beweiswert dieser Übereinstimmung. Damit ist aber noch keine Aussage darüber gemacht, wie und wann das biologische Material an den Tatort gelangt ist. Dass die Person X. in einem Zusammenhang mit der Tat steht, ist bei Beginn der strafrechtlichen Ermittlungen eine Arbeitshypothese, die in der Folge unter Beizug weiterer Ermittlungserkenntnisse im Rahmen des Strafverfahrens bewiesen oder entkräftet werden muss.

Zusammenwirken von DNA-Profil und Phänotypisierung Ist von unbekannter Täterschaft ein Delikt begangen worden, wird immer (soweit dies das vorhandene biologische Material zulässt) als Erstes ein DNA-Spurenprofil erstellt und dieses im Informationssystem CODIS abgeglichen. Wird kein Treffer auf ein Personenprofil erzielt, oder wurde zwar ein Treffer auf eine Spur erzielt, aus dem sich aber keine neuen Erkenntnisse zur Täterschaft gewinnen lassen, vermag das DNAProfil vorderhand die Ermittlungen nicht weiterzubringen. Jetzt ­ und erst jetzt ­ stellt sich für die Staatsanwaltschaft die Frage, ob eine Phänotypisierung angeordnet werden soll. Kann in der Folge dank der Phänotypisierung in Verbindung mit allen anderen zur Verfügung stehenden Ermittlungserkenntnissen ein Kreis einzelner tatverdächtiger Personen ermittelt werden, tritt erneut das DNA-Profil in den Vordergrund: Die Staatsanwaltschaft ordnet an, dass von jeder einzelnen dieser Personen ein DNAPersonenprofil erstellt wird. Damit kann geprüft werden, ob dieses Profil mit dem Spurenprofil des Tatorts übereinstimmt. Ergibt sich eine solche Übereinstimmung,
hat die Phänotypisierung ihren Zweck erfüllt. Sie spielt für die weitere Tätigkeit der Untersuchungsbehörden und des Gerichts, also für die Beantwortung der entscheidenden Frage, ob es sich beim Spurenleger auch tatsächlich um den Täter handelt, keine Rolle mehr. Sie wird auch nicht im DNA-Profil-Informationssystem CODIS gespeichert.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen identische Profile haben, liegt bei weniger als 1 zu 1 000 000 000 (NDAD, Strategy Board Annual Report 2015/2016, S. 1; www.gov.uk/government/publications/national-dna-database-annual-report-2015-to2016). Solch hohe Wahrscheinlichkeitswerte können unter der Voraussetzung erreicht werden, dass die beteiligten DNA-Profile vollständig, also in allen ihren (aktuell) 16 Loci typisiert werden konnten.

BGE 128 II 259 E. 2.2.

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1.1.3

Postulat 16.3003 der Rechtskommission des Nationalrates vom 3. März 2016, «Prüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile»

Das Postulat Am 3. März 2016 überwies der Nationalrat das Postulat 16.3003 seiner Rechtskommission, «Prüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile». Der Vorstoss beauftragt den Bundesrat mit der Vorlage eines Berichts, «welcher die Nichtlöschung der DNA-Profile von verurteilten Straftätern prüft sowie eine Evaluation der verschiedenen Löschfristen im DNA-Profil-Gesetz vornimmt».

Evaluation der geltenden Löschregelung gemäss Auftrag des Postulats In Umsetzung des ersten Teilauftrags hat der Bundesrat die Frage geprüft, ob künftig von einer Löschung der DNA-Profile von verurteilten Straftätern abgesehen werden soll.

Das geltende Recht sieht vor, dass die DNA-Profile verurteilter Straftäter nach abgestuften Fristen zu löschen sind (Art. 16 f. DNA-Profil-Gesetz). An diesem Grundsatz ist nach Ansicht des Bundesrates festzuhalten. Die DNA-Profile verurteilter Straftäter sollen auch künftig nicht zeitlich unbegrenzt im DNA-Profil-Informationssystem gespeichert, sondern abgestuften Löschfristen unterworfen sein. Dies verlangt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Der Bundesrat unterstützt in diesem Punkt die Argumentation, die die Rechtskommissionen sowohl des Nationalrates wie auch des Ständerates in den jeweiligen Räten anlässlich der Behandlung der Parlamentarischen Initiative 13.408 Geissbühler, «Beschränkung der Löschung der DNA-Profile von Personen», vertreten haben. Die Bearbeitung des DNA-Profils im Informationssystem stellt einen Eingriff in die Privatsphäre dar, die durch Artikel 13 der Bundesverfassung16 (BV) wie durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 195017 (EMRK) geschützt ist. Dieser Eingriff ist unter der Voraussetzung verhältnismässig, dass er ­ in Abhängigkeit von der Schwere der Tat ­ zeitlich begrenzt ist. Verurteilte Personen haben insofern einen Anspruch auf das Vergessen bzw. eben auf Löschung ihres Profils im Informationssystem. Dies gilt insbesondere gegenüber jugendlichen Straftätern. Um die Aufklärung künftiger Delikte zu ermöglichen, sollen die DNA-Profile im Informationssystem gespeichert bleiben können, aber eben nur während einer gewissen, gesetzlich klar geregelten Dauer und nicht dauerhaft.18 Mit einer dauerhaften Aufbewahrung der Profile verurteilter Straftäter

16 17 18

SR 101 SR 0.101 Bericht der Rechtskommission des Nationalrates auf: www.parlament.ch/ centers/kb/Documents/2013/Kommissionsbericht_RK-N_13.408_2014-01-23.pdf; Bericht der Rechtskommission des Ständerates auf: www.parlament.ch/ centers/kb/Documents/2013/Kommissionsbericht_RK-S_13.408_2014-10-23.pdf (beide zuletzt abgefragt am 10. April 2018).

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würde allerdings nicht gegen die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO) verstossen, da diese einzig Personen schützt, denen gegenüber keine strafrechtliche Verurteilung ausgesprochen worden ist.19 Gemäss dem zweiten Teilauftrag hat der Bundesrat die verschiedenen Löschfristen des geltenden DNA-Profil-Gesetzes evaluiert: Für die anonymen, also keiner bestimmten Person zuweisbaren DNA-Spurenprofile kann sich bereits das geltende Recht mit einer knappen, einheitlich für Verbrechen wie Vergehen geltenden Löschregelung begnügen: Die Spur wird im Informationssystem gelöscht, sobald sie mittels eines Treffers auf eine bestimmte Person identifiziert ist, spätestens aber nach 30 Jahren (ausgenommen bei unverjährbaren Straftaten; Art. 18 DNA-Profil-Gesetz).20 Diese Löschfrist für die Spurenprofile ist weiterhin zweckmässig. Es besteht kein Änderungsbedarf.

Die Aufbewahrungsdauer bzw. die Löschfristen für die DNA-Personenprofile sind in den Artikeln 16 und 17 DNA-Profil-Gesetz geregelt. Es gilt der Grundsatz, dass die Profile von Amtes wegen zu löschen sind. Kern der Löschregelung ist der stark ausdifferenzierte Katalog einzelner Löschfristen des Artikels 16. Diese Löschfristen können in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der betroffenen Person als verhältnismässig bezeichnet werden. Sie entsprechen auch den Interessen der Strafverfolgung. Es ist also nicht so, dass die einzelnen Aufbewahrungsfristen so kurz bemessen sind, dass der Strafverfolgung in hohem Mass Treffer entgehen, die sich bei längerer Aufbewahrung ergeben hätten. Hingegen stellt der Bundesrat fest, dass die Umsetzung der geltenden Löschregelung mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden ist.

Der hohe administrative Aufwand ist darauf zurückzuführen, dass die anwendenden Behörden jedem einzelnen Personenprofil in Anwendung des detaillierten gesetzlichen Katalogs eine individuelle Löschfrist zuweisen müssen.

Für einige wenige der Löschereignisse nach Artikel 16 DNA-Profil-Gesetz kann das Löschdatum für ein bestimmtes Personenprofil von der zuständigen Behörde in einem einmaligen Vorgang definitiv und unabänderlich festgelegt werden. Es handelt sich um folgende Löschereignisse: Ausschluss als Täter, Freispruch (jeweils umgehende Löschung), definitive Einstellung des Strafverfahrens (Löschung nach Ablauf eines Jahres) und Tod der betroffenen
Person («nach» dem Eingang der Meldung des Todesfalls, ohne nähere Terminierung; Art. 16 Abs. 1 Bst. a­d DNA-Profil-Gesetz). Der Verwaltungsaufwand für die Umsetzung dieser vier Löschfristen ist vertretbar. Einen unverhältnismässigen administrativen Aufwand generieren hingegen diejenigen ­ zahlreichen ­ Löschfristen des Artikels 16 Absatz 1, die so ausgestaltet sind, dass sie vom Verlauf des Vollzugs der Sanktion abhängig sind, die gegenüber der betroffenen Person ausgesprochen worden ist. Dies ist der Fall für die folgenden Löschereignisse:

19

20

Vgl. EGMR, Urteil S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich vom 4. Dezember 2008, § 12. Das Bundesgericht folgert aus diesem Entscheid eine Anerkennung des EGMR, «dass die Aufbewahrung personenbezogener Daten nicht einem strafrechtlichen Vorwurf gleichgestellt werden kann» (Urteil 1C_598/2016 vom 2. März 2018 E. 4.2).

Unverjährbar sind Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, weitere schwere Verbrechen, die sich gegen eine grosse Zahl von Menschen richten, und schwere Sexualdelikte. Die einzelnen Tatbestände sind in Artikel 101 StGB aufgelistet.

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­

5 Jahre nach der Zahlung einer Geldstrafe, nach der Beendigung einer gemeinnützigen Arbeit oder nach dem Vollzug einer entsprechenden Umwandlungsstrafe (Bst. f);

­

5 Jahre nach der Bezahlung einer Busse oder der Beendigung einer persönlichen Leistung nach den Artikeln 23­24 des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 2003 (JStG21; Bst. g);

­

5 Jahre nach dem Vollzug einer Schutzmassnahme gemäss den Artikeln 12­ 14 JStG (Bst. i);

­

10 Jahre nach dem Vollzug eines Freiheitsentzuges nach Artikel 25 JStG (Bst. j);

­

10 Jahre nach der Beendigung des Vollzugs einer Unterbringung nach Artikel 15 JStG (Bst. k);

­

10 Jahre nach dem Ende eines Tätigkeitsverbots oder eines Kontakt- und Rayonverbots nach Artikel 67 beziehungsweise 67b StGB, Artikel 50 beziehungsweise 50b des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192722 oder Artikel 16a JStG, unter Vorbehalt einer späteren Löschung nach Artikel 16 Absatz 4 (Bst. l);

­

20 Jahre nach der Entlassung aus der Freiheitsstrafe oder der Verwahrung beziehungsweise nach dem Vollzug der therapeutischen Massnahme oder der Landesverweisung (Abs. 4).

Bei diesen Löschereignissen verschiebt sich der zeitliche Ausgangspunkt, von dem an die Löschfrist zu berechnen ist, je nach Verlauf des Vollzugs der Sanktion. Die Löschfrist eines einzelnen Personenprofils kann sich im Verlaufe seiner «Lebensdauer» im Informationssystem sogar mehrmals ändern.

Dies sei an einem fiktiven Beispiel aufgezeigt: Die Staatsanwaltschaft des Kantons A lässt vom mutmasslichen Täter X. gestützt auf Artikel 255 StPO ein DNA-Profil erstellen. Dieses wird im DNA-Profil-Informationssystem CODIS gespeichert. Im separaten Informationssystem IPAS* wird das DNA-Profil automatisch mit der Standard-Löschfrist von 30 Jahren versehen, gerechnet ab Datum der erkennungsdienstlichen Behandlung.23 In erster Instanz wird X. vom Gericht zu einer bedingten Freiheitstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die ursprüngliche, einheitliche Standard-Löschfrist kann nun individuell festgelegt werden: Die Behörde meldet dem Bundesamt für Polizei (fedpol) als neue Löschfrist: Datum des Ablaufs der Probezeit plus fünf Jahre.24 X. wird rückfällig, die bedingte Strafe wird vom Gericht widerrufen. Im Zeitpunkt des Antritts der Freiheitsstrafe meldet die Behörde fedpol die neue Löschfrist: 22 Jahre (2 + 20 Jahre).25 X. tritt die zweijährige Freiheitsstrafe an und wird nach zwei Dritteln, also nach 16 Monaten, bedingt entlassen. Daraus ergibt sich wiederum eine neue Löschfrist: 20 Jahre ab Datum der Entlassung aus dem Strafvollzug. Nach Ablauf dieser 20 Jahre fragt die Behörde das zuständige Gericht an, ob das Profil des X.

21 22 23 24 25

SR 311.1 SR 321.0 Art. 16 Abs. 3 DNA-Profil-Gesetz i.V.m. Art. 14 DNA-Profil-Verordnung.

Art. 16 Abs. 1 Bst. e DNA-Profil-Gesetz.

Art. 16 Abs. 4 DNA-Profil-Gesetz.

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definitiv gelöscht werden kann.26 Stimmt das Gericht zu, wird das Profil definitiv gelöscht. Lehnt Das Gericht eine Löschung ab, weil bspw. eine Wiederholungstat zu befürchten ist,27 wird das Profil für eine bestimmte weitere Zeit von beispielsweise fünf Jahren aufbewahrt. Die Behörde meldet fedpol diese neue Aufbewahrungsfrist.

Nach Ablauf der fünf Jahre fragt fedpol die zuständige Behörde an, ob das Profil gelöscht werden kann.

Diejenigen Löschfristen, die Anpassungen an spätere Entwicklungen unterliegen, die also gewissermassen «dynamisch» ausgestaltet sind, haben sich in der praktischen Umsetzung als äusserst anspruchsvoll erwiesen. Hinzu kommt, dass in den Bearbeitungsprozess zur Aufbewahrung und Löschung der DNA-Profile eine Abfolge von Behörden von Polizei und Staatsanwaltschaft über die Gerichte aller Instanzen bis zum Straf- und Massnahmenvollzug einbezogen ist. Diese Behörden müssen in ein lückenloses Meldesystem eingebunden sein, in das Anpassungen von Löschfristen eingespeist und von der zuständigen zentralen Behörde bearbeitet werden können. Jeder Kanton muss über eine zentrale Koordinationsstelle verfügen, die fedpol den jeweiligen Löschauftrag für ein Profil erteilt. Von dieser Behörde ist verlangt, dass sie für jedes einzelne Personenprofil im Informationssystem, über das «ihr» Kanton die Datenherrschaft ausübt, ein permanentes Controlling führt, das ihr mitteilt, wann im Verlauf des Vollzugs der Sanktion ein löschrelevantes Ereignis eingetreten ist.28 Gesamtbeurteilung Die Löschregelung für die DNA-Spurenprofile kann unverändert beibehalten werden.

Bei den DNA-Personenprofilen erfordert es die Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips, im Informationssystem nach Art bzw. Schwere der Sanktion abzustufen. Die geltende Löschregelung setzt diesen Grundsatz in höchst ausdifferenzierter Form um.

Es ist zwar a priori sinnvoll, bei der Berechnung der Aufbewahrungsdauer eines Personenprofils vor allem bei freiheitsentziehenden Sanktionen auf den Zeitpunkt des Vollzugs der Sanktion abzustellen, dient doch die weitere Aufbewahrung des Profils einer verurteilten Person im Informationssystem dem Zweck, Rückfalltaten rasch zu erkennen.29 Diese präventive Wirkung kann die Speicherung des Profils erst vom Moment an entfalten, da sich die verurteilte Person wieder auf freiem Fuss befindet. Um
die Praktikabilität der geltenden Löschregelung abschliessend beurteilen zu können, ist diese aber auch am Aufwand für den Löschprozess zu messen. Dieser Prozess, der lückenlos sein muss, erfordert das Zusammenwirken einer Mehrzahl von Behörden von Bund und Kantonen mit eigenständiger organisationsrechtlicher Stellung (Polizei/Staatsanwaltschaft, Gericht, Strafvollzug). Aus der Verknüpfung von detaillierter 26 27 28

29

Art. 15 DNA-Profil-Verordnung.

Art. 17 Abs. 1 DNA-Profil-Gesetz.

Vgl. Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz DNA-Profil-Verordnung: «[Die Kantone] bestimmen eine zentrale Stelle, welche für die Meldung verantwortlich ist.» Dadurch ist sichergestellt, dass fedpol pro Kanton nur einen Ansprechpartner hat. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Informationslage der zentralen kantonalen Koordinationsstellen ab Inkrafttreten des StReG insoweit verbessern wird, als diese Stellen neu Zugang zum sog. «Behördenauszug 2» erhalten. Aus diesem Auszug können sie Daten über hängige Strafverfahren und Einstellungsverfügungen ersehen (vgl. Art. 46 Bst. n StReG; BBl 2016 4903 [Referendumsvorlage]).

Vgl. Botschaft DNA-Profil-Gesetz, BBl 2001 45.

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Löschregelung mit komplexer Behördenstruktur resultiert nach geltendem Recht ein Löschprozedere, das kompliziert, administrativ aufwendig und deshalb auch fehleranfällig ist.

1.1.4

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Begriffliches und geltende Rechtslage Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug wird auf der Grundlage des geltenden DNA-Profil-Gesetzes bereits heute angewendet. Das Bundesstrafgericht hat mit seinem Urteil TPF 2015 104 vom 6. Oktober 2015 entschieden, dass das geltende DNAProfil-Gesetz ­ ohne dies ausdrücklich vorzusehen ­ auch dazu befugt, solche speziellen Suchläufe durchzuführen.

Aufgrund des biologischen Vererbungsprozesses weist die DNA von Personen, die miteinander verwandt sind, in der Regel eine gegenüber nicht verwandten Personen erhöhte Ähnlichkeit auf. Diesen Umstand macht sich die Strafverfolgung zunutze.

Während beim Standard-Suchlauf im DNA-Profil-Informationssystem* nach exakten Treffern zwischen DNA-Profilen gesucht wird (Spur/Person, Spur/Spur), ist es der Zweck des erweiterten Suchlaufs, im Informationssystem die Profile von Personen zu eruieren, die aufgrund der Ähnlichkeit mit einem tatrelevanten Spurenprofil mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger verwandt sein könnten. Damit ist ein Ermittlungsansatz generiert ­ und dies ist der spezifische und alleinige Zweck des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug: Die Ermittlungsbehörden können ihre Nachforschungen zur Ermittlung der Täterschaft, die sie in der Folge mittels des herkömmlichen strafprozessualen Instrumentariums durchführen, auf Personen im verwandtschaftlichen Umfeld der im Informationssystem eruierten Person fokussieren. Die praktische Nutzung der Ähnlichkeiten von Profilen aufgrund einer genetischen Verwandtschaft ist im Übrigen im geltenden DNA-Profil-Gesetz von Anfang an vorgesehen gewesen, nämlich zur Identifizierung von Personen ausserhalb eines Strafverfahrens gemäss Artikel 6 Absatz 4.

Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug wird im französischen Sprachraum als recherche familiale30 oder auch recherche en parentèle, englisch als familial search und deutsch gemeinhin als Verwandtenrecherche bezeichnet. In der schweizerischen gesetzlichen Regelung soll indessen von der Verwendung des Begriffs «Verwandtenrecherche» abgesehen werden, da er vielfach zu Missverständnissen Anlass gibt. Das Instrument soll präziser als «Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug» bezeichnet werden. Denn dadurch wird das Besondere an diesem Instrument klar zum Ausdruck gebracht: Das DNA-Profil-Informationssystem wird dazu verwendet, um die bei
einer strafrechtlichen Ermittlung immer erforderliche Eingrenzung des möglichen Täterkreises nach dem Kriterium der Verwandtschaft zu erzielen. Die aufgrund dieser Erkenntnis durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungen selbst basieren auf der geltenden StPO.

30

So auch das Bundesstrafgericht im Urteil TPF 2015 104 vom 6. Oktober 2015.

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Seit dem Urteil des Bundesstrafgerichts im Jahr 2015 sind im DNA-Profil-Informationssystem auf Antrag der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft rund fünfzehn solcher Suchläufe durchgeführt worden. Konkrete Ermittlungserfolge haben bislang mit diesem Instrument, soweit ersichtlich, nicht erzielt werden können.

Vorgehen beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug Ein Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug setzt voraus, dass Spurenmaterial am Tatort gesichert und daraus ein DNA-Spurenprofil erstellt werden konnte. Als erster Schritt wird immer ein (regulärer) Suchlauf mit diesem Spurenprofil im DNA-ProfilInformationssystem durchgeführt. Damit soll herausgefunden werden, ob dieses Profil mit einem im Informationssystem bereits vorhandenen Personen- oder Spurenprofil exakt übereinstimmt. Falls der Abgleich keinen exakten Treffer auf ein Personenprofil ergibt oder aber einen exakten Treffer auf ein Spurenprofil, aus dem sich jedoch keine neuen Erkenntnisse für die Ermittlungen gewinnen lassen, wird die Frage aktuell, ob im Informationssystem ein erneuter Suchlauf durchgeführt werden soll, diesmal mit einem speziellen, auf die Erkennung von Verwandtschaftsverhältnissen ausgerichteten Modul.31 Dieses Modul sucht nach all jenen Personenprofilen, deren Ähnlichkeit mit dem Spurenprofil vom Tatort auf eine Verwandtschaft im ersten Grad mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger hindeutet (Eltern/Kind sowie Geschwister). Das Resultat des Suchlaufs ist eine Liste der in diesem Sinn ähnlichen Personenprofile (technisch als «Kandidaten» bezeichnet). Die Profile sind dabei, wie alle DNA-Profile im Informationssystem, anonymisiert mit ihrer Prozesskontrollnummer* gekennzeichnet.

Die Koordinationsstelle als der operativen Betreiberin des Informationssystems gemäss Artikel 9a der DNA-Profil-Verordnung vom 3. Dezember 200432 übermittelt die Liste mit den «Kandidaten» dem DNA-Analyselabor. Dieses nimmt zusätzliche Analysen vor mit dem Ziel, aus der Liste der «Kandidaten» alle Profile auszusondern, deren Ähnlichkeit mit dem Profil der Spurenlegerin oder des Spurenlegers rein zufällig ist und die somit für die Ermittlungsbehörden nutzlos sind (sog. false-positives).

Der auftraggebenden Strafverfolgungsbehörde sollen einzig jene Personenprofile zugeleitet werden, bei denen eine Verwandtschaft mit der Spurenlegerin oder dem
Spurenleger angenommen werden kann. Für diese nähere Eingrenzung wird eine zusätzliche Analyse benötigt: Stammt die Spur am Tatort von einer männlichen Person,33 wird das Y-DNA-Profil* je von Spurenleger und «Kandidat» bestimmt. Stammt die Spur von einer weiblichen Person, analysiert das Labor die mitochondriale DNA von Spurenlegerin und «Kandidatin». Dadurch lässt sich bestimmen, ob zwei Personen über die väterliche (Y-DNA-Profil) bzw. die mütterliche Linie (mitochondriale DNA) miteinander verwandt sind. Diese beiden Arten von Zusatzanalysen stehen aktuell 31

32 33

Die vom schweizerischen DNA-Profil-Informationssystem* verwendet die Software CODIS verfügt über ein spezielles Modul («Pedigree Searcher»), das entwickelt worden ist, um die DNA-Profile, die Familienangehörige auf freiwilliger Basis von sich zur Verfügung gestellt haben, auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 4 DNA-Profil-Gesetz mit den DNA-Profilen vermisster Personen abzugleichen und letztere damit identifizieren zu können.

SR 363.1. Aktuell ist dies die Koordinationsstelle am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich.

Das Standard-DNA-Profil schliesst immer die Angabe des Geschlechts der betroffenen Person mit ein (Botschaft DNA-Profil-Gesetz, BBl 2001 43).

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aufgrund einer nur kurzen Aufbewahrungsdauer für das biologischen Material nicht zur Verfügung; die Aufbewahrungsdauer soll mit dieser Vorlage entsprechend verlängert werden (vgl. unten Ziff. 4.1.4, Verlängerung der Aufbewahrungsdauer für das Material aus Personenproben). Die auf diese Weise idealerweise auf einige wenige «Kandidaten» reduzierte Liste wird via fedpol der auftraggebenden Behörde zugestellt, die den Auftrag zur Durchführung des erweiterten Suchlaufs erteilt hat. Diese Personen dürften aufgrund der vorgenommenen molekulargenetischen Analysen mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger verwandt sein. Sie sind aber in keiner Weise tatverdächtig, denn sonst hätte das tatrelevante Spurenprofil bereits beim ersten, regulären Abgleich im Informationssystem einen exakten Treffer auf ihr Personenprofil erzielt. Damit ist der Prozess des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug im eigentlichen Sinn abgeschlossen.

Bei der nun anschliessenden operativen Verwendung der Erkenntnisse für die strafrechtlichen Ermittlungen aus dem Suchlauf wird wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt verknüpft die zuständige Ermittlungsbehörde jedes bis hierhin anonyme «Kandidaten»-DNA-Profil mittels der Prozesskontrollnummer* mit den dazugehörigen Personendaten. Dadurch wird bekannt, um welche Personen es sich bei den «Kandidaten» handelt. Dies ermöglicht den nächsten, operativ entscheidenden Schritt: Die Ermittlungsbehörden erstellen die Verwandtschaftsbeziehungen jeder einzelnen als verwandt eruierten Person ­ also ihren Stammbaum. Gestützt auf öffentliche Register (Einwohnerregister etc.) und sonstige, wenn immer möglich öffentliche Quellen suchen sie in Erfahrung zu bringen, ob die mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger verwandte Person X. Eltern, Kindern, Geschwister etc. hat. Soweit sie zur Erstellung des Stammbaums von X. darauf angewiesen sind, Personen zu befragen, haben diese strafprozessual grundsätzlich den Status einer Auskunftsperson (Art. 178 ff. StPO), wenn sie von der Polizei einvernommen werden (Art. 142 Abs. 2 StPO). Wird die Einvernahme von der Staatsanwaltschaft durchgeführt, haben sie den Status eines Zeugen, mit entsprechendem Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 168 StPO). Gegenüber den einzelnen Personen, die allein deshalb in den Fokus der Ermittlungsbehörden fallen, weil sie aufgrund
dieser Nachforschungen in den Stammbaum von X. aufgenommen werden, besteht zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Anfangsverdacht.

Als nächster Schritt wird der Kreis der im Stammbaum aufgeführten Personen mittels herkömmlicher Ermittlungsmethoden näher eingegrenzt, also geprüft, ob sie aufgrund ihres Alters, Aufenthaltsorts zum (mutmasslichen) Tatzeitpunkt, Gesundheitszustands und aller weiteren möglicherweise tatrelevanten Eigenschaften als Spurengeberin oder als Spurengeber tatsächlich in Frage kommen. Die eine Person im Stammbaum wird etwa wegen ihres Alters als Täter ausgeschlossen werden können (Ausschluss von Säuglingen, von hochbetagten Personen etc.), eine andere, weil sie aufgrund ihres Aufenthaltsorts kaum als Täterin oder Täter in Frage kommt (Distanz des Wohn- oder Arbeitsortes zum Tatort, also etwa Ausschluss eines Verwandten, der sich zum Tatzeitpunkt nachweislich in Übersee aufhielt) etc. Einbezogen werden alle weiteren allenfalls vorliegenden Hinweise zur Täterschaft (modus operandi etc.).34

34

Vuille et al., S. 150; www.fbi.gov/services/laboratory/biometric-analysis/codis > Familial Searching (zuletzt abgefragt am 29.5.2020).

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Aufgrund dieser regulären polizeilichen Nachforschungen kann gegenüber einer bestimmten, einzelnen Person aus dem Stammbaum von X. ein Anfangsverdacht resultieren. Falls sich dieser Anfangsverdacht aufgrund weiterer Abklärungen zum hinreichenden Tatverdacht verdichtet (Art. 197 Abs. 1 Bst. b StPO), ordnet die Staatsanwaltschaft gegenüber dieser Person als abschliessenden Schritt gestützt auf Artikel 255 Absatz 1 Buchstabe a StPO die Erstellung ihres DNA-Profils an. Dieses DNAProfil wird mit dem Spurenprofil vom Tatort verglichen. Wird eine Übereinstimmung erzielt, so handelt es sich bei dieser Person mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Spurengeberin oder den Spurengeber. Stimmen die Profile hingegen nicht exakt überein, muss die Person als Spurengeber ausgeschlossen werden.

Beispiel aus der Praxis Im Jahr 2002 wurden Nordfrankreich die 24-jährige Elodie Kulik vergewaltigt und anschliessend umgebracht. Die Tat geschah des Nachts in ländlich-abgelegenem Gebiet, jegliche Zeugenaussagen fehlten. Auf der Grundlage des aus einer Spermaspur erstellten DNA-Profils wurde als Erstes eine Massenuntersuchung im Gebiet um den Tatort durchgeführt. Diese wie auch die Überprüfung von mehreren Tausend weiteren DNA-Profilen im französischen DNA-Profil-Informationssystem sowie Profilabgleiche auf europäischer Ebene verliefen ergebnislos. In dieser Situation entschloss sich die Gendarmerie Nationale zum ersten Mal, im nationalen DNA-Informationssystem einen Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug durchzuführen. Gestützt u.a. auf praktische Erfahrung aus den USA, wo kurz zuvor mittels familial searching ein Serienmörder überführt werden konnte, wurde im nationalen Informationssystem ein spezieller Suchlauf durchgeführt. Auf diese Weise stiessen die Strafverfolgungsbehörden auf eine männliche Person X, dessen Familie in der Nähe des Tatorts lebte. Gestützt auf herkömmliche Ermittlungsmethoden, u.a. Auskünfte aus öffentlichen Registern, wurde ein Stammbaum von X erstellt. Es erwies sich, dass X einen noch lebenden Vater hatte sowie zwei Söhne. Der Vater und einer der Söhne konnten angesichts ihres fortgeschrittenen bzw. jungen Alters zum Tatzeitpunkt als Täter ausgeschlossen werden. Der ältere Sohn war kurz nach dem Zeitpunkt der Tat verstorben (was erklärt, weshalb er nicht von der Massenuntersuchung erfasst und diese damit
ergebnislos verlaufen war). Seine Leiche wurde exhumiert und von ihr das DNA-Profil erstellt.

Dieses stimmte mit dem Spurenprofil überein. So war neun Jahre nach der Tat der Täter identifiziert.35 Bisherige Bilanz des Suchlaufs in der Schweiz; Verbesserung der Ausgangslage dank neuen Regelungen Bislang konnten in der Schweiz mit dem Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug, soweit ersichtlich, noch keine direkten Ermittlungserfolge erzielt werden. Dies kann 35

Einzelheiten dieses Falles bei: Pham-Hoai Emmanuel/Crispino Frank/Hampikian Greg, The First Successful Use of a Low Stringency Familial Match in a French Criminal Investigation, in: Journal of Forensic Sciences, Mai 2014, Vol. 59, Nr. 3, S. 816 ff., auf: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/1556-4029.12372. Aufschlussreich ist auch die erfolgreiche Aufklärung des Tötungsdelikts im Fall Yara Gambirasio in Italien, vgl. Le Matin vom 8. Dezember 2014, L'incroyable enquête pour trouver celui qui a tué Yara, auf: www.lematin.ch/faits-divers/incroyable-enquete-trouver-tue-yara/story/ 25901358.

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dadurch begründet sein, dass die Suchläufe mit erweitertem Suchparameter bislang regelmässig «Kandidaten»-Listen im Umfang von rund 100 bis zu rund 300 Personen ergeben haben. Mittels Anwendung des Y-DNA-Profils oder der mitochondrialen DNA liesse sich der Kreis der «Kandidaten» näher eingrenzen (vgl. oben, Vorgehen beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug). Diese zusätzlichen Befunde stehen heute indessen in der Schweiz praktisch nie zur Verfügung: Das biologische Material als Grundlage für diese beiden Arten von Zusatzanalysen ist gemäss geltendem Recht nach erfolgter Erstanalyse umgehend zu vernichten. Es steht somit für diese Zusatzanalysen nicht mehr zur Verfügung. 36 Dieser Mangel soll mit einer Verlängerung der Aufbewahrungsdauer des Probematerials bei den DNA-Laboratorien behoben werden (vgl. unten, Ziff. 4.1.4, Verlängerung der Aufbewahrungsdauer für das Material aus Personenproben). Damit soll es künftig auch in der Schweiz möglich sein, den Ermittlungsbehörden dank dieser Zusatzanalysen näher eingegrenzte «Kandidaten»-Listen zur Verfügung zu stellen. Dies sollte die Effizienz des Suchlaufs in der praktischen Anwendung deutlich steigern.

Gesetzliche Regelung; Interpellation 17.4230 Mazzone Erfolge in anderen Ländern belegen den grundsätzlichen Nutzen des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug. Dieses Instrument soll den Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz somit weiterhin zur Verfügung stehen. Denn im Einzelfall, wenn alle anderen Ermittlungsansätze ergebnislos ausgeschöpft sind, kann es ­ neben der Phänotypisierung ­ der einzige verbleibende Weg sein, um gestützt auf einen Abgleich von DNAProfilen eine Straftat aufzuklären.

Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug soll im Interesse der Rechtssicherheit im DNA-Profil-Gesetz wie auch in der StPO und im Militärstrafprozess vom 23. März 1979 (MStP)37 neu ausdrücklich geregelt werden. Der Bundesrat hat die Prüfung einer solchen gesetzlichen Regelung in seiner Stellungnahme zur Interpellation 17.4230 Mazzone «Verwandtenrecherche mittels DNA im Rahmen von Strafverfahren. Wird der Bundesrat darauf verzichten?» in Aussicht gestellt.

1.1.5

Inhaltliche Bereinigung zwischen DNA-Profil-Gesetz und StPO

Die StPO aus dem Jahr 2007 regelt in ihrem 5. Titel die strafprozessualen Zwangsmassnahmen. Die DNA-Analyse ist eine dieser Massnahmen. Ihre erstmalige formellgesetzliche Regelung erfuhr die forensische DNA-Analyse jedoch bereits mit dem DNA-Profil-Gesetz vom 20. Juni 2003. Im Jahr 2000, als der Bundesrat die Botschaft zur Schaffung des DNA-Profil-Gesetzes vorlegte, war noch offen, ob diese Materie zum gegebenen Zeitpunkt in die künftige StPO überführt werden oder aber das DNA-

36 37

Auf diesen Mangel wird auch hingewiesen bei Vuille et al., Recherche familiale, S. 163 Fn. 63.

SR 322.1

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Profil-Gesetz auch nach Inkrafttreten der StPO dereinst als eigenständiges Spezialgesetz fortbestehen soll.38 In der Folge entschied sich der Gesetzgeber bei der Schaffung der StPO für die letztere Variante.39 Im Einzelnen regelt die geltende StPO die unterschiedlichen Zuständigkeiten zur Anordnung der Erstellung eines DNA-Profils im Verhältnis zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht (Art. 255) sowie als Spezialfälle die Massenuntersuchung (Art. 256) und die Speicherung des DNA-Profils verurteilter Personen (Art. 257).

Demgegenüber regelt das DNA-Profil-Gesetz die Anwendung der DNA-Analyse in den «Strafverfahren, die von der Schweizerischen Strafprozessordnung nicht geregelt werden»40 ­ womit in erster Linie der MStP angesprochen ist. Für diese Strafverfahren ausserhalb der StPO regelt somit das DNA-Profil-Gesetz die Anordnungszuständigkeit (Art. 7) und die Massenuntersuchung (Art. 3 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 3 Bst. a).

Weiter enthält das DNA-Profil-Gesetz Bestimmungen zur DNA-Analyse ausserhalb von Strafverfahren (Art. 6), zum behördlichen Prozess bei der Erstellung und Auswertung eines DNA-Profils (Art. 8 f., 13 und 14), zum DNA-Profil-Informationssystem (Art. 10­12) und der Löschung der Profile in diesem System (Art. 15 ff.) sowie zum Datenschutz.41 Das geltende DNA-Profil-Gesetz enthält also gleichzeitig Bestimmungen verwaltungsrechtlichen und strafprozessualen Inhalts. Diese inhaltlichen Überschneidungen zwischen DNA-Profil-Gesetz und StPO sollen beseitigt werden. Es wird damit dieselbe Trennung von verwaltungsrechtlichen (DNA-Profil-Gesetz) und strafprozessualen (StPO) Inhalten vorgenommen, wie sie mit der Totalrevision des Bundesgesetzes vom 18. März 201642 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) im Verhältnis zwischen BÜPF und StPO umgesetzt wurde.43 Der Inhalt des DNA-Profil-Gesetzes soll neu eingegrenzt sein auf die Definition des DNA-Profils, auf die Regelungen des Bearbeitungsprozesses der DNA-Analyse und des DNAProfil-Informationssystems, einschliesslich der Löschfristen, sowie auf den Datenschutz. Demgegenüber soll Regelungsort für die unmittelbaren strafprozessualen Aspekte der DNA-Analyse neu einzig und abschliessend die StPO sein. Soweit die DNA-Analyse in Strafverfahren ausserhalb der StPO zur Verfügung stehen soll, ist dies im entsprechenden
strafprozessualen Spezialgesetz so vorzusehen. Dies wird ­ mit der vorliegenden Neuregelung ­ einzig für den MStP der Fall sein (vgl. die nachfolgende Ziff. 1.1.6).

38 39

40 41

42 43

Siehe Botschaft DNA-Profil-Gesetz, BBl 2001 41.

Die beiden Gesetze enthalten je eine spezielle Norm zur gegenseitigen Abgrenzung ihres jeweiligen sachlichen Anwendungsbereichs: Artikel 259 StPO zur Abgrenzung gegenüber dem DNA-Profil-Gesetz und umgekehrt Artikel 1a DNA-Profil-Gesetz zur Abgrenzung gegenüber der StPO.

Botschaft StPO, BBl 2006 1241.

Die genetischen Untersuchungen ausserhalb der Strafverfolgung, also in der Medizin sowie im Arbeits-, Versicherungs- und Haftpflichtbereich, und die Erstellung von DNAProfilen zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung in einem Zivil- oder Verwaltungsverfahren regelt das Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG; SR 810.12). Artikel 1 Absatz 2 zweiter Satz GUMG grenzt dieses Gesetz vom DNA-Profil-Gesetz ab.

SR 780.1 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 27. Februar 2013 zum Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), BBl 2013 2748.

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1.1.6

Ergänzung des Militärstrafprozesses

Vom Geltungsbereich der StPO ist u.a. der Militärstrafprozess ausgenommen (vgl.

Art. 1 Abs. 2 StPO). Im Unterschied zur StPO enthält der geltende MStP keine ausdrückliche Regelung der DNA-Analyse. Bis anhin hat die Militärjustiz in den einzelnen Fällen, die die Erstellung eines DNA-Profils oder die Durchführung einer Massenuntersuchung erforderten, das DNA-Profil-Gesetz angewendet. Mit der oben dargestellten Entflechtung von DNA-Profil-Gesetz und Strafprozessrecht wird dies künftig nicht mehr möglich sein. Neu soll der MStP eine eigenständige Regelung der DNA-Analyse aufweisen, dies mit dem gesamten Instrumentarium, das auch die StPO zur Verfügung stellt. Der Katalog der Zwangsmassnahmen des MStP wird somit ergänzt mit einem neuen Abschnitt «DNA-Analysen». In diesen werden die strafprozessualen Massnahmen der DNA-Analyse aufgenommen, wie sie die geltende StPO kennt, und gleichzeitig ­ parallel zu den inhaltlich deckungsgleichen Anpassungen in der StPO ­ die Phänotypisierung, der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug und der Abgleich des Y-DNA-Profils, wie sie mit dieser Vorlage neu geregelt werden.

1.2

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 202044 zur Legislaturplanung 2019­ 2023 angekündigt.

1.3

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat beantragt die Abschreibung der folgenden Vorstösse: Die Motion 15.4150 Vitali «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» beauftragt den Bundesrat, «die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit der Strafverfolgungsbehörde erlaubt wird, Täter von schwerwiegend gewalttätigen Straftaten wie beispielsweise Mord oder Vergewaltigung durch die Auswertung der codierenden DNA-Abschnitte und somit der persönlichen Eigenschaften gezielter zu verfolgen».

Mit der Änderung des DNA-Profil-Gesetzes gemäss dieser Vorlage und den damit einhergehenden Anpassungen von StPO und MStP setzt der Bundesrat diesen Auftrag um. Die Motion kann deshalb abgeschrieben werden.

Ebenso kann das Postulat 16.3003 der Rechtskommission des Nationalrats «Prüfung der Aufbewahrungsfristen für DNA-Profile» abgeschrieben werden. Der Bundesrat hat gemäss Auftrag der Kommission die DNA-Löschfristen evaluiert und das Ergebnis unter obiger Ziffer 1.1.3 dargestellt. Die Kommission hatte ihren Auftrag ausdrücklich auf diese Prüfung beschränkt, da das DNA-Profil-Gesetz als solches «nicht zur Revision steh[e]». Noch im Verlauf desselben Jahres ­ 2016 ­ wurde aber die oben erwähnte Motion 15.4150 überwiesen, womit eben diese Gesetzesänderung ausgelöst war. Der Bundesrat hat sich deshalb entschlossen, mit der jetzigen Vorlage über

44

BBl 2020 1777, hier 1858 und 1896

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die Evaluation der geltenden DNA-Aufbewahrungsfristen hinaus auch gleich einen ausformulierten Vorschlag für deren Neuregelung zu unterbreiten.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Erarbeitung der Grundlagen

Die Vorarbeiten zur Umsetzung der Motion 15.4150 und des Postulats 16.3003 bzw.

die Phänotypisierung, die Löschregelung und der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug wurden unter der Leitung von fedpol durch eine Arbeitsgruppe durchgeführt, die aus Vertreterinnen und Vertretern von Polizei (einschliesslich Kriminaltechnik), Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin (Forensische Genetik), aus der Präsidentin der Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen GUMEK45 sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) und des Bundesamtes für Justiz bestand.

2.2

Vernehmlassungsentwurf

Am 28. August 2019 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zum Vorentwurf zur Änderung des DNA-Profil-Gesetzes, mit Eingabefrist bis zum 30. November 2019.46 Der Vernehmlassungsentwurf umfasste drei zentrale Themenbereiche mit folgenden Hauptinhalten: Mittels Phänotypisierung biologischen Materials sollen fünf persönliche Merkmale einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers eruiert werden dürfen: Augen-, Haar- und Hautfarbe, die biogeografische Herkunft und das Alter. Das Instrument darf eingesetzt werden zur Aufklärung von Verbrechen. Die Zuständigkeit zu seiner Anordnung liegt bei der Staatsanwaltschaft.

Aufgrund der Evaluation in Umsetzung des Postulats 16.3003 (vgl. oben, Ziff. 1.1.3) ist der Bundesrat zum Schluss gelangt, dass die geltende Löschregelung für die Personenprofile anzupassen bzw. zu vereinfachen ist. Eine entscheidende Vereinfachung gegenüber der geltenden Löschregelung besteht in der einmaligen und unabänderli-

45

46

Albertini Nicola, Leiter Forensik, Kantonspolizei VD, Vertreter der Vereinigung der Schweizerischen Kriminalpolizeichefs (VSKC); Cossu Christian, Institut für Rechtsmedizin St. Gallen, Vorsitzender der Sektion Forensische Genetik der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM); Gallati Sabina, Präsidentin der GUMEK; Kratzer Adelgunde, Leiterin Forensische Genetik, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich; Meier Marcel, Staatsanwalt, Kt. BE, Vertreter der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK); Sollberger Thomas, Chef Kriminalabteilung, Kantonspolizei BE, Vertreter der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS); Voegeli Pamela, Stv. Leiterin Forensische Genetik, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich, Leiterin der EDNA-Koordinationsstelle; Vogt Nicole, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kantonspolizei BE, Vertreterin KKPKS.

Die Vernehmlassungsunterlagen und die eingereichten Stellungnahmen sind zu finden auf: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/ind2019.html#EJPD.

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chen Festlegung der Aufbewahrungsfrist ab einem präzisen Zeitpunkt. Die Aufbewahrungsdauer soll künftig nicht mehr vom zeitlichen Vollzug der Sanktion abhängig sein, die gegenüber der betroffenen Person ausgesprochen worden ist, also keinen nachträglichen Anpassungen mehr unterliegen.

Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug wird neu im Gesetz ausdrücklich geregelt.

Er soll zur Ermittlung ausschliesslich von Verbrechen zulässig sein, die Anordnungszuständigkeit soll bei der Staatsanwaltschaft liegen. Hinzu kommen weitere Regelungsthemen: Die Dauer der Aufbewahrung des biologischen Materials aus einer Personenprobe beim DNA-Analyselabor soll auf 15 Jahre verlängert werden, damit dieses Material während dieser Zeit für eng definierte weitere Zwecke zur Verfügung stehen kann. Schliesslich soll neu auch das Y-DNA-Profil einer Person oder aus einer Spur auf spezielle Anordnung hin im DNA-Profil-Informationssystem gespeichert werden können.

2.3

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

In der Vernehmlassung47 sind insgesamt 51 Stellungnahmen eingegangen. Von den offiziell zur Vernehmlassung eingeladenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben 23 Kantone, sieben Parteien, der Städteverband und 20 Organisationen eine Stellungnahme eingereicht. Ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet haben das Bundesgericht, das Bundesstrafgericht sowie die Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter.

Die Mehrheit der Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser stehen der Vorlage insgesamt positiv gegenüber.

Zum zentralen Thema der Phänotypisierung lassen sich drei Positionen festhalten: 17 Kantonen48, den Organisationen aus Strafverfolgung und Polizei49, den Organisationen aus der Rechtsmedizin50 wie auch der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMEK) geht der Regelungsentwurf zu wenig weit. Sie wünschen sich eine offener gefasste und flexiblere Regelung. Mit einer abschliessenden Festlegung der Merkmale aus einer Phänotypisierung auf Gesetzesstufe könne der sich stetig entwickelnden Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet nicht Rechnung getragen werden. Die Merkmale, die ausgewertet werden dürfen, sollen deshalb im Gesetz jedenfalls nicht abschliessend, allenfalls bespielhaft aufgeführt werden. Einige von ihnen51 plädieren für eine Erweiterung über den Kreis der äusserlich sichtbaren Merkmale hinaus auf alle Merkmale, «die der Aufklärung der Straftat dienen könnten». Eine weitere Gruppe der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und 47 48 49

50 51

Der Bericht über die Vernehmlassungsergebnisse ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen> 2019 > EJPD.

AI, AR, BE, BL, BS, FR, GL, JU, LU, NE, OW, SH, TG, TI, VS, ZG, ZH.

Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS), Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK), Schweizerische Vereinigung Städtischer Polizeichefs (SVSP), Verband der Schweizerischen Kriminalpolizeichefs (VSKC).

Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM), Institut für Rechtsmedizin Bern, Centre universitaire romand de médecine légale (CURML).

BE, BL, JU, LU, OW, ZG; KKPKS, VSKC; ebenso im Ergebnis: SSK, SVSP.

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-teilnehmer ist mit der Regelung im Vorentwurf gänzlich oder grundsätzlich einverstanden: Ein Kanton,52 zwei Parteien53 und zwei Organisationen54 unterstützen die Regelung gemäss Vorentwurf vollumfänglich. Vier Kantone55, vier Parteien56 und vier Organisationen57 unterstützen die vorgeschlagene Regelung im Grundsatz. Sie erachten es als richtig, dass ausschliesslich ein genau definierter Katalog äusserlich sichtbarer Körpermerkmale erhoben werden darf bzw. für die Zulassung anderer Merkmale jeweils eine Gesetzesänderung notwendig sein müsse. Darüber hinaus sei die Regelung aber restriktiver zu fassen; dies soll entweder durch die Schaffung eines Deliktskatalogs oder die Beschränkung auf schwere Straftaten gegen Leib und Leben, mittels Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht oder durch eine explizite Festlegung der Massnahme als ultima ratio erfolgen. Eine Partei58 lehnt das Merkmal der biogeografischen Herkunft ab. In einer dritten Gruppe von Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmern begegnet ein Kanton59 der Phänotypisierung mit erheblichen Vorbehalten. Eine Organisation60 will sie einzig zulassen für den spezifischen Zweck der Eingrenzung des Personenkreises bei einer Massenuntersuchung nach Artikel 256 StPO. Eine Partei61 sowie drei Organisationen62 lehnen die Einführung der Phänotypisierung gänzlich ab. Diese Gruppe hinterfragt generell die Verlässlichkeit der Phänotypisierung und Voraussagewahrscheinlichkeit der einzelnen Merkmale, erachtet die Grundrechtseingriffe als unverhältnismässig und verweist auf das Risiko eines Racial Profiling.

Die Vereinfachung der Löschregelung wird generell positiv beurteilt. 63 Ebenso wird generell begrüsst, dass der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug neu im Gesetz ausdrücklich geregelt wird.64 Zum Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug betonen einige Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, der Eingriff in Persönlichkeitsrechte wiege ­ wie bei der Phänotypisierung ­ derart schwer, dass dieses Mittel nur als ultima ratio und nur bei Verbrechen oder sogar schweren Verbrechen gegen Leib und Leben, die sexuelle Integrität oder die Freiheit zur Anwendung gelangen sollte oder ein Deliktskatalog zu definieren sei.65 Zudem sei es angemessen, die Anordnung dieser Massnahme dem Zwangsmassnahmengericht zuzuweisen.66 Insgesamt kann das Ergebnis der Vernehmlassung
wie folgt bewertet werden: Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug ist mehrheitlich unbestritten. Der Vorschlag zur Neuregelung der Löschfristen wird breit unterstützt. Zur Phänotypisierung bestehen divergierende Standpunkte. Hierzu ist eine ausgewogene Regelung vorzulegen, die 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

SZ BDP, SVP.

Centre patronal, Schweizerischer Städteverband.

AG, GR, SG, SO.

CVP, FDP, GLP, SP.

biorespect, Ordre des avocats de Genève (ODAGE), privatim, Universität Fribourg.

SP GE («se déclare réservé quant à l'introduction de cette méthode»).

Schweizerischer Anwaltsverband (SAV).

GPS Association des juristes progressistes (AJP), Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS), grundrechte.ch.

Vernehmlassungsbericht, S. 7.

Vernehmlassungsbericht, S. 7.

AG, BS, GE; GPS; AJP, biorespect, ODAGE, privatim, SAV, Universität Fribourg.

AG, BS; ODAGE, privatim, Universität Fribourg.

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die Forderung nach Flexibilität bei einer Erweiterung auf neue Merkmale aufnimmt und ebenso auch das neue Instrument im Gesetz zwingenden, klaren Vorgaben unterwirft. Wie die Eingaben aus der Vernehmlassung umgesetzt werden sollen, wird unter Ziffer 4.1 näher ausgeführt.

3

Rechtsvergleich

Für die Phänotypisierung, die Löschregelung für die DNA-Personenprofile und den Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug als den drei zentralen Inhalten der Vorlage wird nachfolgend ein Vergleich mit einzelnen Nachbarstaaten und weiteren, speziell ausgewählten Staaten vorgenommen.

3.1

Phänotypisierung

Als erstes Land schufen die Niederlande im Jahr 2003 eine ausdrückliche rechtliche Regelung der Phänotypisierung in ihrer Strafprozessordnung. 67 Diese sieht vor, dass das Geschlecht und die biogeografische Herkunft sowie andere, durch Ministerialerlass festgelegte äusserlich wahrnehmbare persönliche Merkmale ausgewertet werden dürfen. Neue, zusätzliche Merkmale müssen die Kriterien der Relevanz für strafrechtliche Ermittlungen und der Zuverlässigkeit erfüllen. Sie haben ein spezielles Genehmigungsverfahren zu durchlaufen. Die entsprechenden Nachträge zum Gesetz müssen von der Zweiten Kammer des Parlaments (in der Schweiz entspräche dies dem Nationalrat) auf Antrag des Justizministeriums verabschiedet werden. Nach diesem Vorgehen hat die Zweite Kammer im Jahr 2012 das Merkmal Augenfarbe und 2017 das Merkmal Haarfarbe genehmigt. Für das Merkmal Hautfarbe ist das Genehmigungsverfahren 2019 eingeleitet worden; in der Prüfphase befinden sich zudem seit einiger Zeit die Merkmale Alter und Körpergrösse. Die Phänotypisierung ist inzwischen in mehr als 30 Fällen angewendet worden.68 Seit Mai 2018 ist in der Slowakei eine gesetzliche Regelung der Phänotypisierung in Kraft. Sie sieht vor, dass zur Aufklärung besonders schwerer Delikte gegen Leib und Leben, die Freiheit und die menschliche Würde sowie zur Identifizierung einer Leiche oder abgetrennter Körperteile mittels DNA-Analyse äusserlich sichtbare persönliche Merkmale ausgewertet werden dürfen. Das Gesetz listet die einzelnen Merkmale, die ausgewertet werden dürfen, nicht auf. Die Legaldefinition der Phänotypisierung nennt

67

68

Gesetz vom 8. Mai 2003 zur Feststellung äusserlich wahrnehmbarer Personenmerkmale aus Zellmaterial (informelle deutsche Übersetzung; SIR, Legal Opinion, S. 74). Zum damaligen Zeitpunkt waren dies die einzigen Merkmale, für die wissenschaftlich-technisch ausgereifte Analyseverfahren für die Zwecke der Strafverfolgung vorlagen. Es war im Besonderen die Analyse der biogeografischen Herkunft des Spurenlegers, die im Jahr 1999 einen ersten wichtigen Ermittlungshinweis im Vergewaltigungs- und Tötungsfall Marianne Vaatstra geliefert hatte. Dieser Fall hatte eine breite Öffentlichkeit stark bewegt. Das Gesetz von 2003 war eine der Folgen dieses schweren Delikts (Kayser, Y-chromosome, S. 622).

Zum Ganzen: SIR, Legal Opinion, S. 74 ff.

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aber als Beispiele solcher Merkmale «Informationen über Haarfarbe, Augenfarbe oder Pigmentation der Haut». 69 Zuletzt hat Deutschland die Phänotypisierung in seine Strafprozessordnung aufgenommen: Am 10. Dezember 2019 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit einer umfassenden Vorlage zur Modernisierung des Strafverfahrens eine Änderung von § 81e der Strafprozessordnung (Molekulargenetische Untersuchung). Die Regelung zur Erstellung eines DNA-Spurenprofils wurde wie folgt ergänzt: «Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden.»70 In den Erläuterungen zur Vorlage wird dargelegt, dass es sich dabei um einen verhältnismässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handle. Es werde mit der Phänotypisierung nicht in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit eingegriffen. Es entspreche die Bestimmung äusserer Merkmale «von der Eingriffstiefe der Verwertung einer Fotografie oder einer Videoaufzeichnung, welche zur Aufklärung von Straftaten ebenfalls herangezogen werden darf». 71 In Frankreich, Grossbritannien und den USA wird die Phänotypisierung in der Ermittlungspraxis verwendet; ausdrückliche gesetzliche Regelungen liegen in diesen Ländern nicht vor. In Frankreich begrenzt die Gesetzgebung die Standard-DNA-Analyse nicht ausdrücklich auf DNA-Abschnitte, die nicht mit persönlichen Merkmalen assoziiert werden können. Damit bestand Auslegungsspielraum, um die Phänotypisierung aufgrund eines Gerichtsentscheids zuzulassen.72 Inzwischen ist gefordert worden, es sei die Phänotypisierung im Gesetz ausdrücklich zu regeln.73 In Grossbritannien findet sich in den gesetzlichen Regelungen zur forensischen DNA-Analyse kein ausdrückliches Verbot der Phänotypisierung.74 Das Instrument ist gemäss Angaben in der Fachliteratur vereinzelt zur Unterstützung strafrechtlicher Ermittlungen praktisch eingesetzt worden, operativ einsetzbar seien die Merkmale der biogeografischen Herkunft und roter Haarfarbe.75 Praktische Anwendungen sind ebenso in den USA erfolgt.

Auf Bundesebene besteht keine Regelung zur Phänotypisierung. In der Mehrheit der Gliedstaaten fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Phänotypisierung.

69

70 71 72

73

74 75

Gesetz vom 21. Juni 2002 über die Verwendung der Analyse der Desoxyribonukleinsäure zur Identifizierung von Personen, § 2 Buchstabe f (Begriffsdefinition) und 4 Absatz 2 (Voraussetzungen für eine Phänotypisierung; informelle Übersetzung durch IRM Zürich), Siehe auch: SIR, Legal Opinion, S. 89, sowie: Samuel Gabrielle/Prainsack Barbara, The regulatory landscape of forensic DNA phenotyping in Europe, VISAGE, November 2018, S. 3, auf: www.visage-h2020.eu/ > Reports.

§ 81e Absatz 2 zweiter Satz StPO, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 46, ausgegeben zu Bonn am 12. Dezember 2019, S. 2121 ff., hier S. 2122 Ziff. 7.

Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 23. Oktober 2019, S. 29 f. Vgl. zum Ganzen auch: SIR, Legal Opinion, S. 55 ff.

Entscheid der Cour de cassation (Chambre criminelle) vom 25. Juni 2014, zu finden auf: www.legifrance.gouv.fr/affichJuriJudi.do?oldAction=rechJuriJudi&idTexte=JURITEXT000029152345&fastReqId=1622039649&fastPos=1. Zum Ganzen: SIR, Legal Opinion, S. 47 ff.

Vgl. Riccardi Claudia/Richefeu Ludivine, Les nouvelles utilisations de la génétique dans le cadre de la procédure pénale, in: RSC Revue de science criminelle et de droit pénal comparé, April-Juni 2018, S. 331 ff., 335.

SIR, Legal Opinion, S. 117.

Koops Bert-Jaap/Schellekens Maurice, Forensic DNA Phenotyping: Regulatory Issues.

Columbia Science and Technology Law Review, Vol. IX/2008, S. 158 ff, S. 172 f.

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Hier dürfte der gesetzliche Auslegungsspielraum vereinzelt genutzt werden, um einzelfallweise persönliche Merkmale aus einer DNA-Spur zu eruieren. Umgekehrt ist das Instrument in einzelnen Gliedstaaten ausdrücklich verboten. 76

3.2

Aufbewahrungsdauer für DNA-Profile

In Deutschland betreibt das Bundeskriminalamt (BKA) auf der Grundlage des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) das zentrale Informationssystem der Polizei (INPOL).77 Die DNA-Analyse-Datei (DAD) ist Teil dieses Informationssystems.78 Die Löschregelung des BKA-Informationssystems gilt gemeinsam für alle Kategorien von Personendaten, zu deren Bearbeitung das BKA zur Erfüllung seiner Aufgaben befugt ist. Für die DNA-Profile gelten somit keine speziellen Löschfristen. Die Daten im Informationssystem ­ also eben auch die DNA-Profile ­ sind zu löschen bei Freispruch und definitiver Einstellung des Verfahrens (§ 18 Abs. 5 BKAG). Abgesehen davon basiert die Löschregelung nicht wie die schweizerische Regelung auf der Grundlage eines Katalogs einzelner, auf bestimmte Löschereignisse bezogener Höchstspeicher- oder Löschfristen. Sie folgt einem gänzlich anderen Ansatz: In bestimmten, gesetzlich festgelegten Abständen, sog. «Aussonderungsprüffristen», wird geprüft, ob die gespeicherten personenbezogene Daten zu löschen sind. Die Aussonderungsprüffristen liegen bei Erwachsenen bei maximal zehn Jahren, bei Jugendlichen bei maximal fünf Jahren und bei Kindern bei maximal zwei Jahren, «wobei nach Zweck der Speicherung sowie Art und Schwere des Sachverhalts zu unterscheiden ist» (§ 77 Absatz 1 zweiter Satz BKAG). Die Fristen beginnen «mit dem Tag, an dem das letzte Ereignis eingetreten ist, das zur Speicherung der Daten geführt hat [...]» (a.a.O., Absatz 3). Gemäss Entscheid des deutschen Bundesverwaltungsgerichts wird bei Ablauf der Fristen in der Regel eine weitere Speicherung der Daten nicht mehr erforderlich sein.79 In Frankreich werden die DNA-Profile im Fichier national automatisé des empreintes génétiques (FNAEG) bearbeitet. Dieser wird vom zentralen kriminaltechnischen Dienst im Innenministerium betrieben. Es können darin die DNA-Profile von Personen gespeichert werden, die wegen einer Katalogstraftat verurteilt worden sind oder gegen die der Verdacht besteht, eine der Katalogstraftaten begangen zu haben (Art. 706-54 Code de procédure pénale [CPP]80). Der Deliktskatalog nach Artikel 706-55 CPP ist umfangreich. Er umfasst Sexualstraftaten, Gewalttaten gegen Leib und Leben, Vermögensdelikte, Delikte gegen fundamentale Interessen des Staats, Terrorismus, Geldfälschung, Kriegsverbrechen und Delikte der Landesverteidigung 76 77

78 79 80

SIR, Legal Opinion, S. 135 f.

Gesetz vom 1. Juni 2017 über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz, BKAG). Wortlaut des BKAG auf: www.bka.de > Das BKA > Der gesetzliche Auftrag (zuletzt abgefragt am 28.4.2020).

vgl. www.bka.de > Unsere Aufgaben > Ermittlungsunterstützung > Erkennungsdienst (zuletzt abgefragt am 28.4.2020).

SIR, Legal Opinion, S. 62.

Wortlaut des Code de procédure pénale auf: www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do?

cidTexte=LEGITEXT000006071154&dateTexte=20200428 (zuletzt abgefragt 28.04.2020).

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und der inneren Sicherheit. Gemäss Artikel 706-54-1 Absatz 3 erster Satz CPP bestimmt sich die Aufbewahrungsfrist wie folgt: «L'effacement des empreintes [génétiques] est prononcé lorsque leur conservation n'apparaît plus nécessaire compte tenu de la finalité du fichier.» In Grossbritannien betreibt das Home Office im Auftrag der Polizei die National DNA Database (NDNAD). Die Löschregelung differenziert nach «qualifying offences» und «minor offences». Als «qualifying offences» sind über 400 Straftatbestände eingestuft, darunter Mord, Totschlag, Vergewaltigung, schwere Körperverletzung, Raub, Einbruchdiebstahl sowie Tatbestände aus dem Sexualstrafrecht oder etwa auch aus dem Waffenrecht. Demgegenüber sind die «minor offences» weniger gravierend, stellen aber immer noch eine «recordable offence» dar, müssen also von der Polizei registriert werden. Es gilt folgende Aufbewahrungsregelung: Von einer wegen einer «qualifying offence» verurteilten (erwachsenen oder jugendlichen) Person wird das Profil lebenslänglich («indefinite») gespeichert. Ebenso verbleibt das Profil einer wegen einer «minor offence» verurteilten erwachsenen Person lebenslänglich im Informationssystem. Das Profil einer Person unter 18 Jahre, die wegen einer «minor offence» verurteilt worden ist, bleibt im Falle ihrer erstmaligen Verurteilung für die Dauer ihrer Freiheitsstrafe plus fünf Jahre in der NDNAD oder aber lebenslänglich, falls die Freiheitsstrafe mehr als fünf Jahre beträgt; wurde sie zum zweiten Mal verurteilt, verbleibt das DNA-Profil lebenslänglich im Informationssystem. Für die Profile von Personen jeglichen Alters, bei denen es nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung, aber immerhin zu einer Anklage wegen einer «qualifying offence» kam («unconvicted individuals»), gilt eine Aufbewahrungsdauer von grundsätzlich drei Jahren. Die DNA-Profile von Personen jeglichen Alters schliesslich, die wegen einer «qualifying offence» lediglich verhaftet, aber einer solchen Tat nicht angeklagt worden sind, können auf spezielle Anordnung des Biometrics Commissioner während dreier Jahre gespeichert werden.81 In Österreich sind für die Aufbewahrung der DNA-Profile die Vorgaben des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz, SPG) massgeblich.82 Ein DNA-Profil
darf nach § 67 Absatz 1 SPG von einer Person erstellt werden, wenn diese im «Verdacht steht, eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung oder eine mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten [...] ermöglichen würden». Gemäss § 73 Absatz 1 SPG werden die erkennungsdienstlichen Daten ­ und damit auch die DNA-Profile ­ gelöscht, wenn «der Betroffene das 80. Lebensjahr vollendet hat und seit der letzten erkennungsdienstlichen Behandlung fünf Jahre verstrichen sind» (Ziff. 1) sowie fünf Jahre nach dem Tod der betroffenen Person (Ziff. 3).

81

82

Zum Ganzen: National DNA Database Strategy Board, Annual Report 2015/16, S. 3­5 (grundsätzliche Aspekte) sowie 29. F (Aufbewahrungsfristen). Der Bericht ist zu finden auf: www.gov.uk/government/publications/national-dna-database-annual-report-2015to-2016.

Wortlaut des Sicherheitspolizeigesetzes: www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?

Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005792

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3.3

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Über die grösste Erfahrung mit dem Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug verfügt Grossbritannien, wo dieses Verfahren 2003 erstmals überhaupt angewendet worden ist. Die Durchführung eines solchen Suchlaufs («familial search») muss vom NDAD Strategy Board genehmigt werden.83 Zwischen 2003 und 2011 sind in Grossbritannien rund 200 solche Suchläufe durchgeführt worden, die zur Aufklärung von rund 40 schweren Delikten beigetragen haben.84 In Frankreich ist das Verfahren erstmals im Jahr 2011 aufgrund eines Entscheids der Direction des affaires criminelles et des grâces des französischen Justizministeriums angewendet worden, und zwar im Mordfall Elodie Kulik (vgl. oben, Ziff. 1.1.4, Beispiel aus der Praxis).85 Inzwischen ist das Verfahren in der französischen Strafprozessordnung ausdrücklich geregelt: Artikel 706-56-1-1 CPP Absatz 1 legt Folgendes fest: «Lorsque les nécessités d'une enquête ou d'une information concernant l'un des crimes prévus à l'article 706-55 [Katalog der Delikte für eine Aufnahme ins DNAProfil-Informationssystem] l'exigent, le procureur de la République ou, après avis de ce magistrat, le juge d'instruction, peut requérir le service gestionnaire du fichier afin qu'il procède à une comparaison entre l'empreinte génétique enregistrée au fichier établie à partir d'une trace biologique issue d'une personne inconnue et les empreintes génétiques des personnes mentionnées aux premier et deuxième alinéas de l'article 706-54 [Verurteilte oder Tatverdächtige gemäss Deliktskatalog] aux fins de recherche de personnes pouvant être apparentées en ligne directe à cette personne inconnue.» In den Niederlanden ist der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug seit 2012 gesetzlich vorgesehen. Konzeptionell wird dabei zwischen dem «passiven» und dem «aktiven» Suchlauf unterschieden. Wird bei einem Standard-Profil-Abgleich im Informationssystem zufällig ein Beinahetreffer festgestellt, also eine teilweise und damit auf eine mögliche Verwandtschaft hindeutende Übereinstimmung, wird vom passiven Suchlauf gesprochen. Dieser unterliegt geringeren rechtlichen Voraussetzungen als der ak-

83

84 85

National DNA Database Strategy Board, Annual Report 2015/16, S. 3 (für die Fundstelle des Berichts siehe Fussnote 81). Der Strategy Board setzt sich im Kern zusammen aus je einer Vertreterin oder einem Vertreter des National Police Chief's Council, des Innenministeriums (Home Office) und der Association of Police and Crime Commissioners. Weiter sind in diesem Gremium etwa die DNA Ethics Group, der Forensic Science Regulator oder der Biometrics Commissioner vertreten.

Angaben auf: www.fbi.gov/services/laboratory/biometric-analysis/codis > Familial Searching (zuletzt abgefragt am 29.5.2020). Vgl. weiter: SIR, Legal Opinion, S. 121 f.

Siehe Le Monde vom 21. Februar 2012, Comment l'enquête sur le meurtre d'Elodie Kulik a été relancée par l'ADN d'un parent, auf: www.lemonde.fr/societe/article/2012/02/21/comment-l-enquete-sur-le-meurtre-d-elodie-kulik-a-ete-relancee-par-ladn_1642851_3224.html, sowie: Pham-Hoai Emmanuel/Crispino Frank/Hampikian Greg, The First Successful Use of a Low Stringency Familial Match in a French Criminal Investigation, in: Journal of Forensic Sciences, Mai 2014, Vol. 59, Nr. 3, S. 816 ff., auf: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/1556-4029.12372. Vgl. weiter: SIR, Legal Opinion, S. 49 f.

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tive Suchlauf, bei dem von Anfang an gezielt nach ähnlichen DNA-Profilen im Informationssystem gesucht wird. Der aktive Suchlauf darf nur zur Aufklärung schwerer Straftaten verwendet werden.86 In Deutschland ist einzig der «passive» Suchlauf gemäss oben dargestellter niederländischer Begrifflichkeit im Rahmen einer DNA-Massenuntersuchung erlaubt (Auswertung von Beinahetreffern). Dabei darf festgestellt werden, ob das Spurenmaterial von den Personen aus der Massenuntersuchung stammt «oder von ihren Verwandten in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad» (§ 81h Abs. 1 StPO). 87 Die Vereinigten Staaten verfügen auf gesamtstaatlicher Ebene über das «National DNA Index System» (NDIS). In diesem sind die DNA-Profile gespeichert, die von den Laboratorien auf Bundesebene sowie auf gliedstaatlicher und lokaler Ebene eingespeist worden sind. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) selbst führt im NDIS keine Suchläufe nach Verwandtschaftsbezug durch. Es liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Gliedstaaten, über die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Suchläufe zu entscheiden. Gegenwärtig ist in vierzehn Gliedstaaten die Durchführung solcher Suchläufe erlaubt.88 Über eine umfassende rechtliche Regelung verfügt Kalifornien, das das Verfahren im Jahr 2008 als erster Bundesstaat eingesetzt hat. Die Suchläufe werden durch das Department of Justice (DoJ) des Staates Kalifornien durchgeführt. Die für den Fall zuständige Staatsanwaltschaft muss vorgängig gemeinsam mit dem DoJ eine Standard-Vereinbarung (Memorandum of Understanding) unterzeichnen, in der die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Suchlaufs festgelegt sind. In zwei Gliedstaaten ist der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug ausdrücklich verboten.89

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

Nachfolgend werden die Kerninhalte der Vorlage unter Verweis auf Anpassungen aufgrund des Ergebnisses der Vernehmlassung dargestellt. Für die Einzelheiten wird auf die Kommentierung der entsprechenden Artikel verwiesen (vgl. unten, Ziff. 5).

4.1.1

Phänotypisierung

Die Phänotypisierung soll die Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung der Täterschaft unterstützen, indem sie erste Erkenntnisse zur möglichen Täterschaft liefert, wo solche ansonsten gänzlich fehlen, oder aber zusätzliche Erkenntnisse zur Schärfung 86 87 88 89

SIR, Legal Opinion, S. 80 ff.

Zum Ganzen: SIR, Legal Opinion, S. 58 ff. Vgl. auch unten, Erläuterungen zu Art. 256 Abs. 2 E-StPO, Fussnote 160.

SIR, Legal Opinion, S. 137 ff.

Angaben auf: www.fbi.gov/services/laboratory/biometric-analysis/codis/codis-and-ndisfact-sheet. Für den Wortlaut des Memorandum of Understanding nach kalifornischem Recht: https://oag.ca.gov/sites/all/files/agweb/pdfs/bfs/fsc-mou-06142011.pdf (zuletzt abgefragt am 25.4.2018).

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oder Bestätigung bereits vorhandener Angaben zum möglichen Täterprofil. Sie soll zudem bei einer Massenuntersuchung nach Artikel 256 StPO verwendet werden können, um den Kreis der zu untersuchenden Personen möglichst eng einzugrenzen. Die Bedeutung dieser letzteren Verwendungsmöglichkeit ist in der Vernehmlassung speziell hervorgehoben worden.90 Eine gesetzliche Regelung der Phänotypisierung hat die folgenden drei Kernfragen zu beantworten: Welche Merkmale dürfen aus einer DNA-Spur eruiert werden? Zur Aufklärung welcher Delikte oder Deliktskategorien darf das Instrument eingesetzt werden? Welche Behörde ist zuständig für die Anordnung dieser Massnahme? Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Vernehmlassung beantragt der Bundesrat eine Regelung mit den folgenden Kernpunkten: Merkmale Der Kreis der Merkmale, die analysiert werden dürfen, war insgesamt das zentrale Thema der Vernehmlassungsstellungnahmen. Der Vorentwurf des Bundesrates vom 28. August 2019 sah vor, dass diese Merkmale im Gesetz abschliessend aufgezählt werden (Art. 2 Abs. 2 zweiter Satz VE-DNA-Profil-Gesetz). Diese Lösung wurde von einer Mehrheit der Kantone wie auch von der Konferenz der Kantonalen Polizeidirektorinnen und ­direktoren (KKJPD) und von der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) als zu starr abgelehnt. Sie verlangen entweder, dass die einzelnen Merkmale nicht im Gesetz, sondern auf Verordnungsstufe festgelegt werden oder dass sie jedenfalls im Gesetz nicht abschliessend aufgezählt werden.

In dieselbe Richtung zielen im Ergebnis die Stellungnahmen der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMEK), der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin sowie der Institute für Rechtsmedizin Bern und Lausanne. Sie plädieren für eine Regelung, die so ausgestaltet ist, dass eine rasche Anpassung an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Phänotypisierung ermöglicht wird. Demgegenüber forderten die politischen Parteien generell eine Regelung, die der Phänotypisierung angesichts der damit verbundenen Grundrechtseingriffe im Gesetz klare Grenzen setzt.91 Mit folgender Lösung soll den Anliegen beider Seiten nach Flexibilisierung bei gleichzeitiger rechtlicher Eingrenzung Rechnung getragen werden:

90 91

­

Wie gemäss Vorentwurf dürfen nur Merkmale ausgewertet werden, die äusserlich sichtbar sind; ausdrücklich verboten ist eine Auswertung von Merkmalen psychischer, charakter- und krankheitsbezogener Natur;

­

Fünf solcher Merkmale werden im Gesetz einzeln und abschliessend aufgezählt; es sind dies Augen-, Haar- und Hautfarbe, biogeografische Herkunft und Alter;

­

Der Bundesrat erhält mittels einer Delegationsnorm die Zuständigkeit, gemäss dem wissenschaftlich-technischem Fortschritt weitere äusserlich sichtbare Merkmale für eine Phänotypisierung zuzulassen. Der Katalog dieser im Verordnungsrecht einzeln festgelegten Merkmale ist seinerseits bis zur jeweils Vernehmlassungsbericht, S. 16 (SAV).

Vernehmlassungsbericht, S. 7 (Überblick über die Stellungnahmen zur Phänotypisierung) und 8 f.

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nächsten Ergänzung abschliessend formuliert. Dies ist die zentrale Neuerung gegenüber dem Vorentwurf.

Die Diskussion der Phänotypisierung im Inland wie auch im Ausland92 schliesst regelmässig kritische Aspekte wie Diskriminierung von (ethnischen) Minderheiten und Racial Profiling mit ein. So betrifft eine Kritik am Merkmal der biogeografischen Herkunft den Umstand, dass ein Analyseergebnis «europäische Herkunft» in der Schweiz keine wesentliche Eingrenzung der Ermittlungen ermöglichte, hingegen aber ein Ergebnis, das auf Zugehörigkeit zur einer Minderheiten-Population deutet. Racial Profiling fällt unter das allgemeine Diskriminierungsverbot von Artikel 8 Absatz 2 BV. Es kann allenfalls auch den Tatbestand der Rassendiskriminierung in Artikel 261bis StGB erfüllen.93 Es wäre es ein logischer Fehlschluss, das Analyseergebnis einer Phänotypisierung, wenn dieses auf eine ethnische Minderheit hindeutet, als «diskriminierend», ja als Ausdruck von «Rassismus», zu werten. «Ethnisches» oder Racial Profiling liegt nur dann vor, wenn Polizei-, Sicherheits-, Migrations- oder Zollbehörden ihr Handeln gegenüber einer bestimmten Person, soweit es in ihrem Ermessen steht, auf allgemeine Kriterien wie «Rasse», ethnische Zugehörigkeit, Religion oder nationale Herkunft gründen statt auf dem Verhalten dieser Person und objektiven Nachweisen wie etwa Risikoanalysen als Verdachtsmomente.94 Es gilt im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Erkenntnisse aus einer Phänotypisierung auch entlastend wirken können.95 Von Strafverfolgungsbehörden verwendete Profile von Verdächtigen mit der Nennung ethnischer Merkmale oder der Hautfarbe sowie die Tätigkeit des Fallanalytikers (engl. profiler) zur Ermittlung einer Täterschaft bezeichnet man nicht als Racial Profiling. Die Feststellung der biogeografischen Herkunft einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers ist ihrerseits das Resultat eines wissenschaftlichen, also wertneutralen Analyseverfahrens. Vor allem erfolgt diese Analyse ergebnisoffen: Die Strafverfolgungsbehörden wissen im Zeitpunkt, da sie eine biologische Spur sicherstellen und diese anschliessend auf äussere Merkmale typisieren lassen, nicht, zu welcher Population die Spurenlegerin oder der Spurenleger gehört. Es kann also keine VorSelektion der Ermittlungsbehörden zuungunsten einer bestimmten Population erfolgen.

92

93 94

95

Siehe hierzu: Samuel Gabrielle/Prainsack Barbara, Societal, ethical, and regulatory dimensions of forensic DNA phenotyping, Projekt VISAGE/Visible Attributes Through Genomics, September 2019, auf: www.visage-h2020.eu/PDF/Delliverable_5.2_ for_online_publication_vo1.pdf.

Stellungnahme des Bundesrates zur Interpellation 17.3601 Arslan, Einschätzung des Bundesrates zum Phänomen des Racial Profiling, Ziff. 7.

Vgl. auch die Begriffsdefinition im Bericht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung 2018 «Rassistische Diskriminierung in der Schweiz», S. 101 Fn. 229. Weitere Ausführungen zu dieser Thematik finden sich im Kapitel 6.2.8 dieses Berichts zum Bereich der Polizei.

So war in den Niederlanden im Mordfall Vaatstra (vgl hierzu bereits oben, Fussnote 67) in der Bevölkerung der Tatverdacht rasch auf ein nahegelegenes Asylbewerberheim gefallen. Die Analyse der biogeografischen Herkunft deutete dann aber auch einen mutmasslichen Täter von wahrscheinlich nordwesteuropäischer Herkunft. Wie sich nachträglich herausstellte, war dieses Analyseergebnis korrekt: Die Tat gestand schliesslich nach 13-jährigen Ermittlungen ein Mann niederländisch-europäischer Herkunft, der unweit des Tatorts lebte (näher hierzu: Kayser, Y-chromosome, S. 622­625).

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Auch wenn es sich bei der Verwendung des Merkmals der biogeografischen Herkunft oder der Hautfarbe nicht um Racial Profiling handelt, so sollte in der Anwendung bei der Fahndungsarbeit berücksichtigt werden, dass die Auswirkungen auf Minderheiten überproportional gross sein können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Analyseergebnis dazu führt, dass Minderheiten vermehrt Massentests unterzogen werden, weil dies aufgrund der kleineren Anzahl an potenziellen Probanden einfacher machbar wäre.

Deliktskategorie Der Vorentwurf sah vor, die Phänotypisierung zur Aufklärung aller «Verbrechen» im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 StGB zur Verfügung zu stellen, also aller Straftatbestände, die mit einer Höchststrafe von mehr als 3 Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert werden. Dies stiess mehrheitlich auf Unterstützung. Demgegenüber verlangte eine Minderheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer eine restriktivere Lösung (Beschränkung auf Verbrechen gegen Leib und Leben sowie gegen die sexuelle Integrität; restriktiver Deliktskatalog), während die andere Minderheit umgekehrt für eine Erweiterung auf einzelne, schwere Vergehenstatbestände plädierte. 96 Nach Auffassung des Bundesrates wird mit einer Begrenzung der Phänotypisierung auf die Aufklärung von «Verbrechen» eine Lösung getroffen, die dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV) entspricht.

Anordnungszuständigkeit Gemäss Vorentwurf wird die Phänotypisierung durch die Staatsanwaltschaft angeordnet. Einzelne Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser haben verlangt, es sei diese Zuständigkeit dem Zwangsmassnahmengericht nach Artikel 18 StPO zuzuweisen.97 Gemäss Konzeption der geltenden StPO ist dem Zwangsmassnahmengericht die Zuständigkeit zur Anordnung strafprozessualer Massnahmen übertragen, die in erheblichem Mass in die Grundrechte der betroffenen Einzelperson eingreifen oder die heimliche Eingriffe betreffen.98 Diese Eingriffstiefe ist bei der Analyse einzelner, bestimmter Merkmale im biologischen Material einer anonymen, also keiner Einzelperson zuweisbaren Spur nicht gegeben (hierzu näher unten, Ziff. 7.1.2). Im Ergebnis ist an der Lösung festzuhalten, die bereits der Vorentwurf vorsah: Phänotypisierungen sollen durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden als derjenigen Behörde, die gemäss geltender StPO bis zur Anklageerhebung generell für die Anordnung von Zwangsmassnahmen zuständig ist (vgl. Art. 198 Abs. 1 Bst. a StPO).

96 97 98

Vernehmlassungsbericht, S. 18 f.

Vernehmlassungsbericht, S. 18 f.

Abgesehen von der Anordnung der DNA-Massenuntersuchung (Art. 256) ist das Zwangsmassnahmengericht gemäss geltender StPO zuständig für: Anordnung von Untersuchungshaft (Art. 226) und von Sicherheitshaft (Art. 229) sowie von allfälligen Ersatzmassnahmen hierzu (Art. 237); Entscheid über die Entsiegelung von Dokumenten im Vorverfahren (Art. 248 Abs. 3 Bst. a); Überwachung von Bankbeziehungen (Art. 284); Genehmigung der Überwachung des Post- oder Fernmeldeverkehrs (Art. 272­274), der Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten (Art. 281 Abs. 4 i.V.m.

Art. 272­274) und der verdeckten Ermittlung (Art. 289).

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4.1.2

Löschregelung für die DNA-Personenprofile

Der Vorschlag des Vorentwurfs zur Anpassung der Löschregelung für die DNAPersonenprofile hat in der Vernehmlassung breite Unterstützung erhalten. Er wird deshalb grundsätzlich unverändert in die Vorlage übernommen, mit den folgenden Kernpunkten: ­

Die Aufbewahrungsfrist wird von der zuständigen Behörde grundsätzlich einmal und unabänderlich festgelegt. Löschfristen, die je nach zeitlichem Verlauf des Vollzugs der Sanktion nachträglicher Anpassung unterliegen, gibt es nur noch für die beiden besonderen Fälle der Verwahrung und der therapeutischen Massnahmen.

­

Angepasst wird aufgrund der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung der Zeitpunkt, ab dem die (fixe) Aufbewahrungsdauer zu laufen beginnt. Dies ist neu der Zeitpunkt des Urteils, sofern dieses ­ und dies ist neu ­ in Rechtskraft erwachsen ist.

­

Das DNA-Profil einer verstorbenen Person wird über den Tod hinaus noch während 10 Jahren im Informationssystem belassen. Dies soll es ermöglichen, während einer begrenzten Zeit allenfalls noch offene Delikte aufzuklären.

Gegenstand des Postulats 16.3003 ist die Löschregelung für die DNA-Profile. Es ist dabei zu beachten, dass seit dem 1. September 2014 die im Informationssystem AFIS bearbeiteten Finger- und Handballenabdrücke denselben Löschfristen unterliegen, wie sie für die DNA-Personenprofile gelten.99 Und ab Inkrafttreten des Strafregistergesetzes vom 17. Juni 2016100 (StReG) ­ voraussichtlich 2023 ­ wird die DNALöschregelung schliesslich auch für die kantonalen erkennungsdienstlichen Unterlagen gelten.101 Damit werden ab diesem Zeitpunkt die Löschfristen sämtlicher erkennungsdienstlicher Unterlagen harmonisiert sein.

99

Am 1. September 2014 trat die totalrevidierte Verordnung vom 6. Dezember 2013 über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten (SR 361.3) in Kraft.

Sie regelt die Einzelzeiten der Datenbearbeitung in der auf Artikel 354 StGB abgestützten Fingerabdruck-Datenbank AFIS (Automated Fingerprint Identification System). Die Artikel 17 und 19 zur Löschregelung entsprechen in der Sache den Artikeln 16 f. des geltenden DNA-Profil-Gesetzes.

100 BBl 2016 4871 (Referendumsvorlage) 101 Vgl. StReG, Anhang 1, Änderung anderer Erlasse, Ziff. 3 (Anpassung von Art. 354 StGB [Daten im Informationssystem AFIS]) und Ziff. 5 (Anpassung von Art. 261 StPO), BBl 2016 4915 f. bzw. 4917 (Referendumsvorlage).

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4.1.3

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Der Vernehmlassungsvorschlag zum Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug hat breite Unterstützung erhalten und wird somit grundsätzlich unverändert in die Vorlage übernommen: ­

Der Suchlauf steht (nur) zur Aufklärung von «Verbrechen» im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 StGB zur Verfügung. Die bisherige Praxis der Kantone entspricht de facto bereits dieser Vorgabe: Er ist bislang nur zur Aufklärung schwerwiegender Straftaten eingesetzt worden.

­

Die Anordnungszuständigkeit liegt bei der Staatsanwaltschaft, also jener Behörde, die gemäss StPO bis zu Anklageerhebung generell für die Anordnung von Zwangsmassnahmen zuständig ist (vgl. Art. 198 Abs. 1 Bst. a StPO).

Im Unterschied zum Vorentwurf wird aufgrund der Rückmeldung aus der Vernehmlassung von der Vorgabe abgesehen, dass bei der Durchführung des Suchlaufs der zu untersuchende Personenkreis durch die Analyse des Y-DNA-Profils oder der mitochondrialen DNA auf ein Minimum reduziert werden «muss» (Art. 4 VE-DNA-ProfilGesetz). Denn würden einzelne Personen umgehend aus dem Kreis der «Kandidaten» ausgeschlossen, wenn ihr Y-DNA-Profil oder das Ergebnis der Analyse ihrer mitochondrialen DNA keine Verwandtschaft mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger nahelegt, könnten durch einen solchen allein auf der Genetik basierenden Ausschluss im Einzelfall zielführende Ermittlungspfade abgebrochen werden. Die Überprüfung aufgrund dieser genetischen Befunde darf also nicht das alleinentscheidende Kriterium sein, das bei Nichterfüllung automatisch den Ausschluss einer Person aus dem Kreis der «Kandidaten» zur Folge hat. Wenn in einem konkreten Fall den Ermittlungsbehörden Hinweise vorliegen, dass eine Person trotz nicht vorhandener genetischer Übereinstimmung einen Bezug zur Tat haben kann, muss sie diesen Hinweisen nachgehen können.102 Die gesetzliche Regelung soll deshalb von zwingenden Vorgaben bezüglich der Massnahmen zur Beschränkung des Kreises der «Kandidaten» absehen.

Die Anordnung und Durchführung des Suchlaufs unterliegen jedoch wie bei jeder Zwangsmassnahme dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 197 Abs. 1 Bst. c StPO). Die Verfahrensleitung hat somit im Einzelfall sicherzustellen, dass bei gleich102

JU, NE, OW, TG, TI, VS; KKPKS; SGRM, IRM Bern. Es geht konkret um Konstellationen wie die folgende: Vom unbekannten Spurenleger X. werden das Standard-DNAProfil und das Y-DNA-Profil* erstellt. Im Informationssystem wird der erweiterte Suchlauf durchgeführt. Einer der «Kandidaten» ist A. Von A. wird zusätzlich das Y-DNAProfil erstellt. Es zeigt sich, dass das Y-DNA-Profil von A. mit jenem von Spurenleger X.

nicht übereinstimmt. Gemäss Vorgabe von Art. 4 VE-DNA-Profil-Gesetz wäre A. somit aus der Liste der «Kandidaten» zu streichen. Denn: Der Stammbaum von A. kann aufzeigen, dass A. bspw. mehrere Söhne hat. Theoretisch könnten auch diese Söhne von vornherein als Spurenleger ausgeschlossen werden, da sie alle dasselbe Y-DNA-Profil haben müssen wie ihr Vater. Entscheidend ist aber Folgendes: In der Realität kann es sein, dass einer der Söhne (B.) zwar die Ehefrau von A. als Mutter hat, nicht jedoch A. als biologischen Vater, dies mit Wissen von A. (etwa Adoption oder Samenspende durch eine Drittperson) oder ohne dessen Wissen (Zeugung von B. ausserhalb der Ehe). B. hat somit ein anderes Y-DNA-Profil als sein Vater A., aber ein DNA-Profil, das jenem seiner beiden Brüder und vor allem jenem des Spurenlegers ähnlich sein kann. B., der bei einer Eliminierung von «Kandidat» A. gar nicht erkannt worden wäre, kann somit als Spurenleger nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

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zeitigem Bemühen, die Zahl der «Kandidaten» möglichst gering zu halten, der Suchlauf zielführend eingesetzt wird. Ausschlüsse mittels Y-DNA-Profil oder mitochondrialer DNA sind ein Mittel hierfür, können aber, wie oben dargelegt, nicht allein massgeblich sein. Ebenso relevant für diese Eingrenzungen sind die weiteren zur Verfügung stehenden Ermittlungserkenntnisse wie solche zum möglichen Alter oder zum geografischen Aufenthalt der mutmasslichen Täterin oder des mutmasslichen Täters.

In der Vernehmlassung wurde zudem gefordert, eingrenzende Suchparameter festzulegen.103 Denkbar wären Eingrenzungen etwa auf die Art der Verwandtschaftslinien (gerade Linie oder Seitenlinie) oder der Reichweite bei den Verwandtschaftsgraden (1., 2., 3. Verwandtschaftsgrad etc.), die ausgewertet werden dürfen. Starre Vorgaben dieser Art würden die Anwendung des Instruments jedoch in unnötiger Weise daran hindern, den Anforderungen des Einzelfalls gerecht zu werden. Unbestrittenermassen werden jedoch wissenschaftlich-technische Parameter verbindlich festzulegen sein.

Dies soll aber nicht im Gesetz erfolgen, damit den Entwicklungen der Forensik auch beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug Rechnung getragen werden kann. Der Bundesrat wird solche Vorgaben aber im Vollziehungsrecht, also auf Verordnungsstufe, vorsehen (vgl. unten, Ziff. 4.2).

Abgesehen davon unterliegt der Suchlauf praktischen Restriktionen, die die Möglichkeiten zu seiner Durchführung wie auch das Ergebnis des Suchlaufs eng eingrenzen.

So lässt sich ein solcher Suchlauf überhaupt nur unter der Voraussetzung durchführen, dass von der Spur ein einfaches und vollständiges, also alle 16 Loci* umfassendes autosomales Standard-DNA-Profil* vorliegt.104 Weiter sind mit der aktuell im DNAProfil-Informationssystem* verwendeten Software einzig Abgleiche innerhalb des ersten Grads der direkten Verwandtschaftslinie (Eltern/Kind) sowie des ersten Grads in der Seitenlinie (Geschwister) möglich. Theoretisch wären auch über diese beiden Parameter hinaus Verwandtschaftsabklärungen möglich. Eine Auswertung gestützt auf die aktuell in der schweizerischen Forensik verwendeten lediglich 16 DNAMarker ergäbe jedoch Wahrscheinlichkeitswerte, die so tief sind, dass sie für die Strafverfolgung kaum mehr dienlich wären.

4.1.4

Weitere Regelungsthemen

Verlängerung der Aufbewahrungsdauer für das Material aus Personenproben Soll von einer Person ein DNA-Profil erstellt werden, so wird ihr beispielsweise mittels eines sogenannten Wangenschleimhautabstrichs eine geringe Menge biologischen Materials entnommen. Die Probe auf dem Wattestäbchen wird mit einer Prozesskontrollnummer* eindeutig gekennzeichnet. Das für die Profilerstellung nicht benötigte Probematerial gelangt ans DNA-Analyselabor, wo es gesichert aufbewahrt

103 104

Vernehmlassungsbericht, S. 17 (SAV).

Dies ist eine restriktive Voraussetzung. Zum Vergleich: Eine Massenuntersuchung nach Artikel 256 StPO kann auch durchgeführt werden, wenn von der tatrelevanten Spur nur ein DNA-Mischprofil (Mischspur), ein inkomplettes DNA-Profil oder ein Y-DNA-Profil vorliegt.

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wird. Nun hat die anordnende Behörde (in der Regel die Staatsanwaltschaft) drei Monate Zeit, um zu entscheiden, ob im konkreten Fall aus der Probe das DNA-Profil zu erstellen ist; das Labor vernichtet die Probe in jedem Fall drei Monate nach ihrem Eingang im Labor (Art. 9 Abs. 1 Bst. b bzw. Abs. 2 DNA-Profil-Gesetz). Es hat sich indessen gezeigt, dass diese Aufbewahrungsregelung mit erheblichen Nachteilen verbunden ist: Nachtypisierung zwecks Erweiterung der Aussagekraft Für die Nachtypisierung eines DNA-Profils zwecks Erweiterung seiner Aussagekraft gibt es vor allem die zwei folgenden Anwendungsfälle: Im Einzelfall können auch bei einem an und für sich genauen DNA-Profil Unsicherheiten bezüglich seiner Interpretation bestehen. Diese Unsicherheiten lassen sich zumeist beheben, wenn zusätzliche Loci* typisiert werden. Der zweite Anwendungsfall ist allgemeiner Natur: Die Liste der DNA-Marker* oder Loci, die die forensischen DNA-Analyselabors bei der Erstellung eines DNA-Personen- oder Spurenprofils gemäss Artikel 1 Absatz 5 DNAAnalyselabor-Verordnung EJPD vom 8. Oktober 2014105 auswerten müssen, basiert auf internationalen Standards. Diese Standards und damit die Liste gemäss Verordnung werden regelmässig erweitert, erfahrungsgemäss in Abständen von rund zehn Jahren. In der Schweiz wurde ursprünglich mit einem Datenbank-Set von zehn Loci gearbeitet,106 aktuell sind es deren 16. Als Folge dieser Weiterentwicklung befinden sich heute im schweizerischen DNA-Profil-Informationssystem sowohl Profile, die auf zehn und solche, die auf 16 Loci basieren. Die Uneinheitlichkeit der Datensätze wirkt sich bei der Durchführung der Suchläufe im Informationssystem aus verschiedenen Gründen nachteilig aus. Es wäre technisch ohne Weiteres möglich, die «alten» Profile mit ihren zehn Loci nachträglich mit den sechs zusätzlichen, neuen Loci zu ergänzen, in der Fachsprache: nachzutypisieren. Solche Nachtypisierungen setzen jedoch voraus, dass das für die Analyse der zusätzlichen Loci erforderliche biologische Material auch weiterhin verfügbar ist. Mit der drei-Monats-Frist des geltenden Rechts (Art. 9 Abs. 1 Bst. b bzw. Abs. 2 DNA-Profil-Gesetz) wird dies jedoch verhindert.

Mit einer Aufbewahrungsdauer von 15 Jahren sollen neu die Voraussetzungen geschaffen werden, dass diese Nachtypisierungen auch tatsächlich erfolgen
können.

Nachtypisierung zwecks Erstellung des Y-DNA-Profils und Analyse der mitochondrialen DNA Mittels des aus einer Spur erstellten Y-DNA-Profils* oder einer Analyse der mitochondrialen DNA einer Spurenlegerin (Mitochondriale DNA*; Haplotyp*) lassen sich väterliche bzw. mütterliche Verwandtschaftslinien zwischen verschiedenen Spurenlegern bzw. Spurenlegerinnen verfolgen. Speziell lässt sich mittels dieser Befunde bei einem Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug der Kreis der Personen, bei denen eine Verwandtschaft mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger vermutet wird, näher eingrenzen (vgl. oben, Ziff. 1.1.4, Vorgehen beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug, und 4.1.3). Nun ist der erweiterte Suchlauf ein aufwendiges Instrument, zu dem

105 106

SR 363.11 Siehe Art. 1 Abs. 5 der per 1. Januar 2015 aufgehobenen DNA-Analyselabor-Verordnung EJPD vom 29. Juni 2005 (AS 2005 3341).

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erst gegriffen wird, wenn alle anderen Ermittlungspfade und -methoden erfolglos waren. Jedenfalls zeigt die bisherige Praxis ­ und dies ist vorliegend entscheidend ­, dass ein solcher Suchlauf regelmässig erst zu einem Zeitpunkt angeordnet wird, in dem das Probematerial gemäss der Drei-Monats-Frist von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b bzw.

Absatz 2 DNA-Profil-Gesetz längst vernichtet ist. Als diese Frist bei der Schaffung des DNA-Profil-Gesetzes im Jahr 2003 geschaffen wurde, war der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug noch kein Thema. Inzwischen aber wirkt sich diese Frist dahingehend aus, dass sie es in der Praxis verunmöglicht, die für eine nähere Eingrenzung der «Kandidaten»-Liste notwendigen Zusatzanalysen zur Abstammungslinie vornehmen zu können. Dasselbe Problem kann sich bei einer Massenuntersuchung nach Artikel 256 StPO stellen. Falls der Vergleich des Standard-DNA-Profils der Spurenlegerin oder des Spurenlegers mit dem DNA-Profil jeder einzelnen zur Massenuntersuchung aufgebotenen Person ergibt, dass sich erstere oder ersterer nicht unter diesen Personen befindet, kann es für die Ermittlungsbehörden auch hier wichtig sein zu überprüfen, ob eine der überprüften Personen allenfalls mit dem Spurenleger oder der Spurenlegerin verwandt sein könnte. Die Befugnis zu einer solchen Überprüfung wird mit dieser Vorlage neu ausdrücklich geschaffen (vgl. unten, Art. 256 Abs. 2 E-StPO). Das bedeutet, dass die Ermittlungsbehörden auch hier darauf angewiesen sind, die DNAProfile der Personen aus der Massenuntersuchung auf das Y-DNA-Profil oder die mitochondriale DNA nachtypisieren zu können.

Regelungsbedarf Einzelne Vernehmlassungsteilnehmerinnen und ­teilnehmer haben die Verlängerung der Aufbewahrung des Materials aus Personenproben kritisiert. 107 Die Bearbeitung dieser Proben ist zweifellos strikte zu regeln, denn es ist zu berücksichtigen, dass diese «Zellproben nicht nur einen in hohem Masse persönlichen Charakter haben, sondern darüber hinaus auch zahlreiche sensible Informationen über eine Person enthalten».108 Die Verlängerung der Aufbewahrung auf 15 Jahre steht jedoch im vorangehend aufgezeigten unmittelbaren Zusammenhang mit der Effizienz der DNA-Analyse im Strafverfahren. Sie entspricht damit einem überwiegenden öffentlichen Interesse (Art. 36 Abs. 2 BV). Ebenso ist auch die verlängerte
Aufbewahrungsdauer weiterhin verhältnismässig (Art. 36 Abs. 3 BV): Sie ermöglicht bei der Durchführung eines erweiterten Suchlaufs die oben genannten Nachtypisierungen zur Eingrenzung des Personenkreises. Dank solcher Eingrenzungen lassen sich die Suchläufe nach Verwandtschaftsbezug grundrechtsschonender durchführen. Ohne die verlängerte Aufbewahrungsdauer müsste gegenüber den «Kandidaten» je einzeln erneut eine Abnahme von Probematerial angeordnet werden. Dies wäre nicht nur aufwendig, sondern kann im Einzelfall auch objektiv unmöglich sein, beispielsweise wenn die Person nicht für eine Probenahme zur Verfügung steht (Auslandaufenthalt, inzwischen eingetretener Tod etc.). Zudem kann das beim Labor lagernde Probematerial vom Moment an, da das DNA-Personenprofil das Ende seiner Aufbewahrungsdauer erreicht hat und gelöscht

107 108

Vernehmlassungsbericht, S. 12.

Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich vom 4. Dezember 2008, § 70 f. Für den EGMR stellt die Aufbewahrung von Zellproben einen Eingriff in das Recht der betroffenen Person auf Achtung ihres Privatlebens EGMR i.S.v. Artikel 8 Ziffer 1 EMRK dar (a.a.O., § 70­77 sowie 120).

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worden ist, keiner Person mehr zugeordnet werden: Ist bei einem DNA-Personenprofil die Löschfrist eingetreten, werden im Informationssystem IPAS* die dazugehörigen Personen- und Fallangaben und im Informationssystem CODIS* das DNAProfil gelöscht. Ebenso wird dabei auch die dazugehörige Prozesskontrollnummer* gelöscht, und das ist hier entscheidend, denn das Probematerial beim Labor ist einzig mit der Prozesskontrollnummer gekennzeichnet. Ist diese Nummer gelöscht, kann das Probematerial definitiv keiner Person mehr zugeordnet werden. Das Probematerial ist bei den DNA-Analyselabors im Übrigen unter hohen Sicherheitsanforderungen, die auch regelmässig überprüft werden, gesichert verwahrt.109 Ergebnis Das biologische Material, das für Nachtypisierungen sowohl zwecks Erhaltung der Profilqualität wie auch zwecks Klärung von Abstammungslinien erforderlich ist, muss im fraglichen Zeitpunkt auch tatsächlich weiterhin vorhanden sein. Mit einer Verlängerung der Aufbewahrungsdauer auf 15 Jahre kann dies für die überwiegende Zahl der Anwendungsfälle sichergestellt werden. Dieselbe Aufbewahrungsdauer gilt heute bereits für das biologische Material aus einer Spurenprobe. 110 Aufnahme des Y-DNA-Profils in das Informationssystem Spezifischer Nutzen des Y-DNA-Profils für die Strafverfolgung Das Y-DNA-Profil*, das auf der Grundlage des (männlichen) Y-Chromosoms erstellt wird, ist nicht für jede (männliche) Person einzigartig. Sein besonderer Nutzen besteht darin, dass sich mit ihm väterliche Ahnenlinien genetisch verfolgen lassen. Die Erstellung des Y-DNA-Profils* hat in der Schweiz von Anfang an zu den Routine-Analysen gehört (vgl. Art. 7 Bst. b der DNA-Analyselabor-Verordnung EJPD). Vor allem bei Sexualdelikten, aber auch Gewalt- und Tötungsdelikten mit einem weiblichen Opfer überlagert in den beim Opfer erhobenen Spuren (Körperabstriche oder ab Kleidung des Opfers) nicht selten die DNA des Opfers jene des (mutmasslichen) männlichen Täters. Es ist in diesen Fällen kaum möglich, von der minoritären, also männlichen Spurenkomponente ein Standard-DNA-Profil zu erstellen. Die Y-DNA-Analyse hingegen ermöglicht es, den DNA-Anteil der männlichen Person in der Spur unabhängig von der DNA der weiblichen Person zu erfassen und ­ das ist entscheidend ­ zu typisieren. Solche Typisierungen des Y-DNA-Profils werden in den
obgenannten Fällen regelmässig vorgenommen. Sie ermöglichen häufig überhaupt erst den Nachweis einer männlichen Fremdspur. Mit dem Y-DNA-Profil kann gezielt, also gegenüber bestimmten tatverdächtigen Personen, ein lokaler Profilvergleich vorgenommen werden.

109

Damit ein Analyselabor forensische DNA-Profile bearbeiten kann, muss es vom EJPD formell anerkannt sein (Art. 2 Abs. 1 DNA-Profil-Verordnung [SR 363.1]. Eine der Voraussetzungen für eine solche Anerkennung ist, dass das Labor von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) akkreditiert ist (a.a.O., Abs. 2 Bst. a). Diese Akkreditierung muss gemäss der Norm ISO/IEC 17025 erfolgt sein (Art. 1 Abs. 1 DNA-AnalyselaborVerordnung EJPD [SR 363.11]). Gemäss Ziffer 5.6.3.4 dieser ISO-Norm sind die Laboratorien verpflichtet, alle relevanten Materialien ­ und dazu gehört das Probematerial ­ gesichert aufzubewahren.

110 Artikel 6 Absatz 2 zweiter Satz DNA-Profil-Verordnung.

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Heute endet die Verwendung der Y-DNA-Profile an diesem Punkt. Sie werden in den Fallakten der DNA-Analyselabors abgelegt. Neu sollen diese Profile auf besondere Anordnung der Verfahrensleitung hin in das DNA-Profil-Informationssystem nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz aufgenommen werden können und damit gesamtschweizerisch zur Verfügung stehen. Die Y-DNA-Profile werden dadurch recherchierbar und erhalten somit einen bedeutenden zusätzlichen Nutzen für strafrechtliche Ermittlungen: Generell sollen mit dem Abgleich von Spuren im DNA-Profil-Informationssystem über den lokalen Fall hinaus regionale oder sogar überregionale Tatzusammenhänge (Serientäter) erkannt werden können.111 Heute können solche Zusammenhänge nur erkannt werden, falls von einem Tatort ein Standard-DNA-Spurenprofil erstellt werden konnte, nicht aber in all jenen Fällen, in denen dies aus den oben dargestellten technischen Gründen nicht möglich war. Dies soll sich ändern: Lässt sich von einem Tatort zumindest ein Y-DNA-Spurenprofil erstellen, so soll auch dieses in das Informationssystem aufgenommen und gegen andere solche Profile abgeglichen werden können. Entscheidend ist, dass dadurch die Strafverfolgungsbehörden auch in jenen Fällen, in denen ihnen lediglich ein Y-DNA-Profil zur Verfügung steht, die Möglichkeit erhalten, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Tatorten zu erkennen.

Angenommen im Kanton A wird ein Vergewaltigungsdelikt begangen und später ein ebensolches Delikt im Kanton B, und es lässt sich in beiden Fällen aus den oben genannten technischen Gründen einzig ein Y-DNA-Profil erstellen. Ergibt sich beim Abgleich des Profils B im Informationssystem ein Treffer auf das bereits vorhandene Profil A, so liefert dies die wichtige Erkenntnis, dass zwischen den beiden Tatorten eine Spur-Spur-Verbindung bestehen kann. Allerdings sind sich die Strafverfolgungsbehörden bewusst, dass eine solche Spur-Spur-Verbindung auch ein Indiz ist, das gründliche zusätzliche Nachforschungen erfordert; Ein Treffer zwischen zwei Y-DNA-Profilen kann bedeuten, dass eine Serientäterschaft derselben Person vorliegt. Da das Y-DNA-Profil aber einzig Aussagen zur gemeinsamen väterlichen Ahnenlinie zulässt, kann es sich beim Spurenleger bzw. den Spurenlegern ebenso auch um verschiedene Personen handeln, die in der väterlichen Linie miteinander verwandt
sind. Die Übereinstimmung kann aber auch rein zufällig sein.

In der Vernehmlassung ist die Frage gestellt worden, warum nicht auch das Ergebnis von Analysen der mitochondrialen DNA in das Informationssystem nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz aufgenommen wird.112 Technisch wäre dies durchaus möglich.

Im Unterschied zum Y-DNA-Profil, dessen Erstellung zu den Standard-Aufgaben der Analyselabore gehört,113 werden diese Analysen in der Praxis jedoch nur selten vorgenommen. Es würde somit an der für regelmässige Abgleiche relevanten Vergleichsmenge an Daten fehlen. Es wird deshalb von einer Aufnahme dieser speziellen Befunde in das im Informationssystem abgesehen.

111 112 113

Vgl. Botschaft DNA-Profil-Gesetz, BBl 2001 42.

Vernehmlassungsbericht, S. 13 (TG).

Vgl. Art. 7 Bst. b DNA-Analyselabor-Verordnung EJPD (SR 363.11).

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Regelungsbedarf Mit dem Abgleich eines Standard-DNA-Spurenprofils im Informationssystem will man herauszufinden, ob eine ganz bestimmte Spurenlegerin oder ein ganz bestimmter Spurenleger bereits früher einmal deliktisch in Erscheinung getreten ist. Die Übereinstimmung des Spurenprofils mit einem bereits vorhandenen DNA-Personenprofil kann sich dadurch erklären, dass diese Person die Spurenlegerin oder der Spurenleger war. Anders ist die Ausgangslage beim Abgleich mit einem Y-DNA-Profil (Person oder Spur). Dieses ist nicht individualspezifisch, sondern allen Personen einer bestimmten väterlichen Linie gemeinsam. Ein Abgleich mit Treffer im Informationssystem kann somit für die weiteren Ermittlungen nur, aber immerhin den Hinweis liefern, dass ein Spurenleger mit einer Person oder mehreren im Informationssystem bereits gespeicherten Personen verwandt sein kann. Diese Erkenntnis über eine (mögliche) Verwandtschaftsbeziehung kann einen wichtigen Ermittlungsansatz bieten, der aber mit weiteren Ermittlungserkenntnissen verknüpft werden muss.114 Das bedeutet, dass für die Anordnung des Abgleichs des Y-DNA-Profils (Person und Spur) im Informationssystem gegenüber dem Abgleich mit dem Standard-DNA-Spurenprofil, den gemäss Artikel 255 Absatz 2 Buchstabe b StPO auch die Polizei anordnen kann, erhöhte rechtliche Anforderungen vorzusehen sind. Diese Anordnung zum Profilabgleich: ­

ist von der Staatsanwaltschaft zu treffen;

­

steht einzig zur Aufklärung von Verbrechen im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 StGB zur Verfügung.

4.1.5

Weitere Anliegen aus der Vernehmlassung und deren Umsetzung in der Gesetzesvorlage

Regelung der Zuständigkeit zur Anordnung der Erstellung eines DNAPersonenprofils Verschiedene Kantone wie auch Organisationen aus der Strafverfolgung haben in der Vernehmlassung dafür plädiert, die Zuständigkeit zur Anordnung eines DNAPersonenprofils der Polizei zuzuweisen, wie dies vor dem Inkrafttreten der StPO der Fall gewesen war. Es bestehe kein Grund, in diesem Punkt Fingerabdrücke und DNAProfile unterschiedlich zu regeln.115 Dieses Anliegen wurde bereits bei der Vorlage 19.048, Änderung der Strafprozessordnung (Umsetzung der Motion 14.3383, Kommission für Rechtsfragen des Ständerats, Anpassung der Strafprozessordnung), von sieben Kantonen und zwei Organisationen vorgebracht116 und vom Bundesrat geprüft. Nach Ansicht des Bundesrates ist eine Änderung der Zuständigkeitsregelung nicht angezeigt; diese hat sich bewährt und berücksichtigt insbesondere, dass die Erhebung und Bearbeitung von DNA-Proben nicht ohne weiteres mit jener von Fingerabdrücken vergleichbar ist.

114 115 116

Vgl. hierzu: Kayser, Y-chromosome, S. 625 ff.

Vernehmlassungsbericht, S. 21.

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über den Bericht und den Vorentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung, Bern, August 2019, S. 30 (zu finden unter: www.bj.admin.ch/bj/de/home/sicherheit/gesetzgebung/aenderungstpo.html).

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Erstellung des DNA-Profils einer Suizidentin oder eines Suizidenten Einzelne Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben verlangt, es solle eine DNA-Profil-Erstellung bei Tod infolge Suizid rechtlich möglich sein. Falls eine Person ein Delikt begehe und sich in der Folge unter Zurücklassung einer biologischen Spur am Opfer, am Tatort etc. an einem anderen Ort suizidiere, sei es heute nicht möglich, mittels Erstellung des DNA-Profils des Suizidenten und Abgleichs im Informationssystem den Zusammenhang zum Tötungsdelikt herzustellen. Der Bundesrat hat dieses Anliegen geprüft und ist zum Schluss gelangt, dass das geltende Recht die Erstellung des DNA-Profils eines Suizidenten durchaus zulässt. Nach Artikel 255 Absatz 1 Buchstabe c StPO kann von einer toten Person eine Probe entnommen und ein Profil erstellt werden. Häufig gelangt dies bei einem aussergewöhnlichen Todesfall (Art. 253 StPO) zur Anwendung. Ist die Person bereits bestattet, besteht die Möglichkeit, sie gestützt auf Artikel 254 StPO zu exhumieren.117 Angesichts der Tatsache, dass heutzutage Verstorbene mehrheitlich kremiert werden ­ womit die nachträgliche Exhumierung ausgeschlossen ist ­, sind die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt bei einem aussergewöhnlichen Todesfall besonders gefordert, Hinweise auf eine Beteiligung der toten Person an einer Straftat im Zeitpunkt der Legalinspektion zu erkennen.

4.2

Umsetzungsfragen

Für die Phänotypisierung wird im Verordnungsrecht der strukturierte Prozess festzulegen sein, dem das EJPD gestützt auf Artikel 2b Absatz 4 E-DNA-Profil-Gesetz bei der Prüfung allfälliger neuer Merkmale zuhanden des Bundesrates folgt. Weiter sind für die Merkmale der Phänotypisierung (Augen-, Haar- und Hautfarbe, biogeografische Herkunft und Alter sowie allfällige weitere Merkmale gemäss Art. 2b Abs. 2 bzw. Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz) technische Anforderungen an das Analyseverfahren vorzusehen; konkret sind dies Qualitätsanforderungen an die Analysen; einheitliche Bewertungsstandards für die Interpretation der Ergebnisse; Anforderungen an den Inhalt der Laborgutachten; Vorgaben für die regelmässige Überprüfung der Qualität der Laborarbeit (Teilnahme an wissenschaftlichen Ringversuchen etc.).

Die praktische Anwendung des Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug erfordert Regelungen etwa bei der Anwendung der Suchparameter und der Verwendung der Zusatzanalysen (Y-DNA-Profil und mitochondriale DNA). Spezielle Parameter werden weiter für das Y-DNA-Profil (Person und Spur) festzulegen sein ­ einerseits zu den Voraussetzungen für eine Aufnahme in das Informationssystem, andererseits zur Interpretation von Abgleichergebnissen und deren Verwendung in den Ermittlungen.

Bei der Neuregelung der Löschfristen kann sich ein Regelungsbedarf im Verordnungsrecht für die Anpassung des technischen Meldeprozesses ergeben. Auch wird etwa für die Anwendung von Artikel 17 das Verfahren zu regeln sein, wonach fedpol den zentralen kantonalen Erfassungsstellen nach Artikel 12 Absatz 1 zweiter Satz DNA-Profil-Verordnung118 den bevorstehenden Ablauf der Aufbewahrungsfrist der

117

Vgl. hierzu auch: BSK StPO-Fricker/Maeder, Art. 255 StPO N 15-16; ebenso: Commentaire romand Code de procédure pénale­Rohmer/Vuille, Art. 255 N 21.

118 SR 363.1

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einzelnen Profile meldet, damit diese rechtzeitig von der Möglichkeit des Antrags auf Verlängerung Gebrauch machen können.

Die mit der Vorlage neu einzuführenden Instrumente, vor allem die Phänotypisierung und der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug, werden gemäss Artikel 20a E-DNAProfil-Gesetz nach fünf Jahren der praktischen Anwendung durch fedpol evaluiert.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

DNA-Profil-Gesetz

Art. 1

Gegenstand und Zweck

Im Buchstaben a werden der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug (Nummer 2) und die Phänotypisierung (Nummer 3) als neue Instrumente in das Gesetz aufgenommen.

Buchstabe b entspricht wörtlich dem geltenden Absatz 1 Buchstabe c. Gemäss Buchstabe c kann die Phänotypisierung speziell auch zur Identifizierung toter Personen ausserhalb eines Strafverfahrens eingesetzt werden. Damit wird einem Anliegen der Kantone und der Rechtsmedizin aus der Vernehmlassung entsprochen. 119 Buchstabe d entspricht wörtlich dem geltenden Absatz 1 Buchstabe b.

Der geltende Absatz 2 listet die Verwendungsmöglichkeiten des Vergleichs von DNA-Profilen in der Strafverfolgung auf. Er wurde im DNA-Profil-Gesetz geschaffen, als die StPO noch nicht bestand. Heute liegt diese vor, und aus der Einordnung der DNA-Analysen (Art. 255 ff. StPO) im 5. Titel der StPO («Zwangsmassnahmen») ergibt sich auch der grundsätzliche Zweck dieser Analysen. Soweit also der geltende Absatz 2 strafprozessualen Regelungsinhalt hat, ergibt sich dieser heute abschliessend aus den seither geschaffenen Artikeln 255 ff. StPO. Der geltende Absatz 2 ist inhaltlich im neuen Artikel 1 vollumfänglich aufgenommen.

Die Phänotypisierung unterscheidet sich grundlegend vom DNA-Profil. Es stellt sich somit die Frage, ob der Gesetzestitel anzupassen wäre. Der geltende Titel ist ­ vor allem in seiner Kurzfassung «DNA-Profil-Gesetz» ­ allgemein verständlich und bekannt und in der schweizerischen Gesetzgebung wie auch in Lehre und Rechtsprechung etabliert. Wohl liesse sich der Titel so weit in Richtung «forensische DNAAnalyse» verallgemeinern, dass darunter auch die Phänotypisierung subsumiert werden könnte. Es ginge diesfalls aber die aktuell klare thematische Abgrenzung zum «Schwester-Gesetz» im medizinischen und weiteren nicht-forensischen Bereich, dem Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004120 über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), verloren. Zudem wird in der Praxis das «klassische» DNA-Profil auch künftig das zentrale, täglich verwendete Instrument der Strafverfolgung sein. Die Phänotypisierung kann zwar ein entscheidendes Mittel sein, wenn Ermittlungen allein mit dem Vergleich oder Abgleich eines DNA-Spurenprofils nicht vorankommen. Sie

119 120

Vernehmlassungsbericht, S. 10, 11, 19 und 20.

SR 810.12. Das GUMG ist inzwischen einer Totalrevision unterzogen worden. Diese soll gemäss aktueller Planung Ende 2021 in Kraft treten.

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wird aber rein zahlenmässig vergleichsweise nur eher selten zur Anwendung gelangen. Im Ergebnis kann aus diesen Gründen von einer Anpassung des Gesetzestitels abgesehen werden.

Art. 1a

Aufgehoben

Artikel 1a wurde in der Folge des Inkrafttretens der StPO (1. Januar 2011) zur inhaltlichen Abgrenzung gegenüber diesem Erlass nachträglich in das DNA-Profil-Gesetz aufgenommen. Die Gesetzesbestimmung kann mit der neu vorgenommenen inhaltlichen Abgrenzung zur StPO (vgl. oben, Ziff. 1.1.5) aufgehoben werden. Das DNAProfil-Gesetz soll überhaupt keine Bestimmungen strafprozessualen Inhalts mehr enthalten, also auch keine solchen Bestimmungen mehr zu Strafverfahren ausserhalb der StPO.

Art. 2 Abs. 1 und 3 Mit der Totalrevision des GUMG vom 15. Juni 2018121 ist die Legaldefinition des geltenden Artikel 2 Absatz 1 dahingehend angepasst worden, dass nicht mehr nach «codierenden» und «nicht-codierenden» DNA-Abschnitten differenziert wird. Diese frühere Unterscheidung lässt sich nach jüngerer wissenschaftlicher Erkenntnis nicht mehr rechtfertigen. «Codierend» sind diejenigen Systeme in der DNA, die Informationen für die Herstellung von Proteinen beinhalten. Hingegen wird man der Bedeutung derjenigen Systeme in der DNA, die keine solchen Informationen aufweisen, nicht gerecht, wenn man sie verallgemeinernd als «nicht-codierend» bezeichnet. Denn auch diese können vielfältige Funktionen aufweisen.122 Die bevorstehende Änderung von Absatz 1 gemäss totalrevidiertem GUMG sieht darüber hinaus weitere Anpassungen an der Legaldefinition des DNA-Profils vor. Diese weiteren Anpassungen werden indessen mit der vorliegenden Änderung des DNA-Profil-Gesetzes rückgängig gemacht. Die gesetzliche Definition soll das DNA-Profil in der Forensik auch künftig ­ wie im geltenden Recht ­ als die «für ein Individuum spezifische Buchstaben-ZahlenKombination» festlegen. Diese Umschreibung hat den Vorteil, dass sie das DNAProfil begrifflich klar vom neuen Instrument der Phänotypisierung abgrenzt.

Mit der vorliegenden Gesetzesrevision wird in Artikel 1 die Festlegung der Verwendungszwecke des DNA-Profils gestrichen (siehe oben, Erläuterungen zu Artikel 1). In der Folge ist der Artikel 2 Absatz 3 redaktionell entsprechend anzupassen (Verwendung «zu keinen anderen als den im Strafprozessrecht vorgesehenen Zwecken»).

121

BBl 2018 3509 (Referendumsvorlage); für den Zeitpunkt des Inkrafttretens: siehe vorangehende Fussnote 120.

122 Siehe GUMG in der Fassung vom 15. Juni 2018, Anhang, Ziffer II.1, Änderung des DNA-Profil-Gesetzes, BBl 2018 3533 (Referendumsvorlage). Für die entsprechende, parallele Anpassung der Legaldefinition im GUMG selbst siehe Art. 3 Bst. j dieses Gesetzes (BBl 2018 3511). Die Gründe für die Aufgabe der Unterscheidung nach «codierend» und «nicht-codierend» in der Legaldefinition des DNA-Profils werden dargelegt in: Botschaft GUMG, BBl 2017 5613 f. und 5654 f.

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Art. 2a

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Der in Artikel 1 Buchstabe a Nummer 2 als Begriff eingeführte Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug wird in einem neuen Artikel 2a gesetzlich definiert. Kern der Legaldefinition ist einerseits die Festlegung des spezifischen Zwecks, der diesen Suchlauf vom Standard-Suchlauf unterscheidet, also eine Materie datenschutzrechtlicher Natur. Es geht hier nicht wie beim Standard-Suchlauf darum zu prüfen, ob ein DNASpurenprofil einer bestimmten Person im DNA-Profil-Informationssystem* zugeordnet werden kann oder ob es mit einem bereits vorhandenen Spurenprofil übereinstimmt, sondern darum, im Informationssystem Personen ausfindig zu machen, die mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger verwandt sein könnten. Andererseits wird bestimmt, dass der von der Staatsanwaltschaft anzuordnende Suchlauf (Art. 198 Abs. 1 Bst. a StPO) einzig für die Verfolgung von Verbrechen zur Verfügung steht.

Im Übrigen wird auf die Darlegung des erweiterten Suchlaufs in der Praxis oben bei Ziffer 1.1.4 sowie auf die Darlegung der Grundzüge der gesetzlichen Regelung oben bei Ziffer 4.1.3 verwiesen.

Art. 2b

Phänotypisierung

Absatz 1 Die in Artikel 1 Buchstabe a Nummer 3 als Begriff eingeführte Phänotypisierung wird in einem neuen Artikel 2b gesetzlich definiert. Zentraler Inhalt der Legaldefinition ist die Festlegung der Phänotypisierung auf eine bestimmte Kategorie von Persönlichkeitsmerkmalen, nämlich derjenigen, die äusserlich sichtbar sind. Für die Erklärung der einzelnen Elemente der Legaldefinition wird auf die Darlegung oben in Ziffer 1.1.2 verwiesen. Mit dem offenen Begriff der «DNA-Marker»* wird zum Ausdruck gebracht, dass sich die molekulargenetischen Grundlagen für Phänotypisierungen innerhalb der DNA sowohl in den Genen befinden können als auch in Bereichen, in denen keine Gene lokalisiert sind. Weiter sind die Testergebnisse aus einer Phänotypisierung mit Angaben über Wahrscheinlichkeiten verknüpft, nach denen die Spurenlegerin oder der Spurenleger die betreffenden Merkmale aufweisen könnte.123 Entsprechend wird von «Erkenntnissen» und nicht etwa von «Feststellungen» gesprochen.

Absatz 2 Vorbemerkung: In der wissenschaftlichen Literatur wie auch in der Öffentlichkeit und in den Medien werden zu den einzelnen Merkmalen jeweils Wahrscheinlichkeitswerte angegeben. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Wert für die Testgenauigkeit und jenem für das Testergebnis: Die Testgenauigkeit beschreibt die durchschnittliche Genauigkeit, mit der das Vorliegen eines bestimmten Merkmals vorhergesagt werden kann. Sie basiert auf der Auswertung der Tests bei einer Vielzahl von Probanden. Das Testergebnis ist demgegenüber die individuelle Wahrscheinlichkeit, dass die Spurenlegerin oder der Spurenleger das mittels Phänotypisierung im Labor eruierte Merkmal auch tatsächlich besitzt. Der individuelle Wahrscheinlichkeitswert als Ergebnis einer DNA-basierten Phänotypisierungsanalyse liefert sowohl eine Aussage zur Richtigkeit 123

Darauf ist auch in der Vernehmlassung hingewiesen worden; siehe Ergebnisbericht, S. 10 (zu Art. 2 Abs. 2 VE-DNA-Profil-Gesetz).

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als auch zum Fehler. Das Ergebnis einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit für blaue Augenfarbe bedeutet, dass in 95 von 100 Fällen die getestete Person blaue Augen hat.

Der Fehler dieses Ergebnisses liegt also bei 5 Prozent. Für die Ermittlungsarbeit ist allein das individuell erzielte Testergebnis im konkreten Fall relevant. Wie hoch der Wahrscheinlichkeitswert eines individuellen Testergebnisses sein muss, damit das vorhergesagte Aussehensmerkmal in der Ermittlungsarbeit eingesetzt werden kann, ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine taktische Entscheidung der Ermittlungsbehörde unter Berücksichtigung aller weiteren relevanten Aspekte im konkreten Fall.

Vorderhand sollen für die Phänotypisierung die fünf folgenden Merkmale zur Verfügung stehen: die Augen-, Haar- und Hautfarbe, die biogeografische Herkunft und das Alter (vgl. hierzu bereits oben, Ziff. 4.1.1, Merkmale). Diese Merkmale sind nachfolgend einzeln zu erläutern.

Buchstabe a: Den drei Merkmalen gemäss Buchstabe a ist gemeinsam, dass ihr Unterscheidungsmerkmal die Pigmentierung des jeweiligen Körperteils oder Organs ist.

Augenfarbe: Für die Bestimmung der Augenfarbe existiert aktuell ein Verfahren (IrisPlex), mit dem sich gleichzeitig sechs SNPs* typisieren lassen. Blaue oder dunkelbraune Augenfarben können mit diesen sechs SNPs mit einer vergleichsweise hohen Testgenauigkeit bestimmt werden. Zwischenfarben wie beispielsweise grüne oder graue Mischfarben sind mit der heutigen Technik schwieriger vorherzusagen.

Haarfarbe: Mit einer Typisierung von insgesamt 24 bestimmten SNPs mit einem weiterentwickelten Verfahren (HIrisplex) ist es möglich, Augen- und Haarfarbe gleichzeitig aus einer Spur zu untersuchen. Bei blonder Haarfarbe ist zu berücksichtigen, dass sich bei einem Teil der blondhaarigen Bevölkerung während der Adoleszenz die Haarfarbe zu dunkelblond/braun verändert.

Hautfarbe: Für die jeweils extremen Ausprägungen weisse oder schwarze Hautfarbe ist die Testgenauigkeit hoch. Inzwischen können auch Klassifikationen der unterschiedlichen intermediären Hautfarben zwischen dunkel und hell vorgenommen werden. Mit dem Verfahren HIrisplex-S lassen sich durch die Typisierung von 41 SNPs simultan die Augen-, Haar- und Hautfarbe analysieren. Zwischen den Merkmalen Hautfarbe und biogeografische Herkunft (vgl. nachfolgender Buchstabe
b) besteht ein enger sachlicher Zusammenhang. In der Praxis werden die Ermittlungsbehörden vielfach darauf angewiesen sein, den Personenkreis, dem das Merkmal der Hautfarbe gemeinsam ist, mittels zusätzlicher Eruierung der biogeografischen Herkunft näher einzugrenzen.

Die Vorhersagemodelle zu den Pigmentierungsmerkmalen basieren auf genetischen Merkmalen, die populationsunabhängig sind. Die Modelle können somit auch mit Personen gemischter biogeografischer Herkunft umgehen.

Für die Augen-, Haar- und Hautfarbe finden sich in der Literatur Wahrscheinlichkeitswerte (Testgenauigkeiten) zu einzelnen Merkmalen, also etwa ein Vorhersagewert

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von ca. 90­95 Prozent für die Augenfarbe blau/braun etc.124 Vorliegend soll von solchen Zahlenangaben indessen abgesehen werden, denn diese Testwerte dürften aufgrund wissenschaftlich-technologischer Weiterentwicklungen ständigen Anpassungen unterliegen.

Buchstabe b (biogeografische Herkunft): In der DNA (DNA-Profil*) zeigen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Populationen. Bestimmte Allele* kommen bei der einen Population häufiger vor als bei anderen Populationen. Um eine gesicherte Vorhersage zur biogeografischen Herkunft treffen zu können, sind jedoch zusätzliche Analysen erforderlich, unter anderem auf dem Y-Chromosom* und in der mitochondrialen DNA*. Angesichts des Umstands, dass sich die Menschen aus verschiedenen Kontinenten äusserlich unterscheiden, ergeben sich bereits allein aus dem Merkmal der biogeografischen Herkunft Hinweise auf ein mögliches Erscheinungsbild der Spurenlegerin oder des Spurenlegers.

Mit den aktuell in der Forensik verwendeten Testverfahren kann die biogeografische Herkunft einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers in erster Linie für die kontinentale Region vorhergesagt werden, also danach, ob sie bzw. er (wahrscheinlich) aus Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Südwestasien oder aus der indigenen Bevölkerung in Ozeanien oder Amerika stammt. Deshalb wird oft auch von der kontinentalen biogeografischen Herkunftsanalyse gesprochen. Ausserhalb der Forensik, in der genetischen Ahnenforschung, vermögen private Anbieter (23andme, GEDmatch, MyHeritage, Ancestry etc.) gestützt auf die Analyse hunderttausender DNA-Marker die biogeografische Herkunft detaillierter vorherzusagen. Für die Forensik wird in einem Punkt immer eine andere Ausgangslage bestehen: Ihr steht in der Regel bei Spuren nur DNA in geringer Menge und teilweise in minderer Qualität zur Verfügung.125 Stammen die Eltern einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers aus verschiedenen Kontinenten, lässt sich mittels Analyse der DNA je für ihren Vater und ihre Mutter eruieren, aus welchen Kontinenten diese stammen.

124

Zu den einzelnen Ergebniswerten vgl.: Kayser Manfred: Forensic DNA Phenotyping: Predicting human appearance from crime scene material for investigative purposes, in: Forensic Science International: Genetics 18 (2015), S. 33 ff. Vgl. weiter etwa: Schneider Peter M./Prainsack Barbara/Kayser Manfred: Erweiterte forensische DNA-Analyse zur Vorhersage von Aussehen und biogeografischer Herkunft, in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 116/2019, Heft 51­52, S. 873 ff. (auf: www.aerzteblatt.de/archiv/211418/Erweiterteforensische-DNA-Analyse-zur-Vorhersage-von-Aussehen-und-biogeografischerHerkunft); Bundeskriminalamt: Genetisches Phantombild (DNA-Phenotyping), Bericht vom 12.01.2017, S. 6 f. (auf: www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/tobeschluesse/2017-06-14_12/anlage-zu-top-27.pdf?__blob=publicationFile&v=2); EUROFORGEN: Making Sense of Forensic Genetics, London, 2017, S. 31 (auf: https://senseaboutscience.org/wp-content/uploads/2017/01/making-sense-of-forensicgenetics.pdf).

125 Die aktuell in der Forensik verwendeten Produkte verwenden zur Analyse der biogeografischen Herkunft rund 150 autosomale Marker. Demgegenüber analysieren die privaten Anbieter im Bereich der Ahnenforschung bis zu einer Million Marker. Die genetischen Untersuchungen zur Herkunftsanalyse werden künftig durch Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c GUMG in der Fassung vom 15. Juni 2018 (Totalrevision; BBl 2018 3509) geregelt.

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Buchstabe c (Alter): Während der Dauer des Lebens einer Person können sich chemische Modifikationen an bestimmten DNA-Systemen ergeben (DNA-Methylierung). Anhand der Veränderung des Methylierungsmusters lässt sich das biologische Alter einer Person abschätzen.126 Die Methylierungsanalyse ist gegenwärtig die erfolgversprechendste Methode für die Altersbestimmung. Sie ermöglicht es, für den Altersbereich zwischen ca. 20 bis 60 Jahren das Alter der Spurenlegerin oder des Spurenlegers mit einer Genauigkeit von plus/minus 4 bis 5 Jahren einzugrenzen. Bei jüngeren oder älteren Personen kann es z.B. aufgrund von Wachstumsprozessen oder Krankheiten zu grösseren Abweichungen kommen.

Absatz 3 Im Vorentwurf zur Änderung des DNA-Profil-Gesetzes wurden die Merkmale, die zwecks Phänotypisierung ausgewertet werden dürfen, abschliessend aufgezählt (Art. 2 Abs. 2 VE-DNA-Profil-Gesetz). Demgegenüber forderten mehrere Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, es seien all jene Merkmale zuzulassen, «die der Aufklärung der Straftat dienen könnten». Im Besonderen wurde teilweise dafür plädiert, dass bei einer Phänotypisierung immer oder zumindest ausnahmsweise auch Merkmale ausgewertet werden können, die Aussagen über den Gesundheitszustand bzw. über krankheitsrelevante Merkmale einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers ermöglichen, denn diese könnten im Einzelfall eine entscheidende Eingrenzung der möglichen Täterschaft ermöglichen.127 Dies lehnt der Bundesrat jedoch klar ab. Es sollen weder gesundheitsbezogene noch persönliche Eigenschaften wie Charakter, Verhalten und Intelligenz ausgewertet werden dürfen. Der dadurch bewirkte Grundrechtseingriff wäre unverhältnismässig (hierzu näher unten, Ziff. 7.1.2, Phänotypisierung). Der Ausschluss dieser Kategorie von Merkmalen wird mit dem vorliegenden Absatz 3 ausdrücklich im Gesetz statuiert.

Absatz 4 Der im Entwurf neu aufgenommene Absatz 4 stellt eine, wenn nicht die wesentliche Neuerung gegenüber dem Vorentwurf dar. Für die inhaltliche Begründung der Norm wird auf die Darlegung oben bei Ziffer 4.1.1 verwiesen. Die vorgeschlagene Regelung entspricht formell den vom Bundesgericht entwickelten allgemeinen Kriterien für eine Gesetzesdelegation:128 Die Delegationsnorm ist in einem Gesetz enthalten; die Delegation beschränkt sich auf ein bestimmtes, genau umschriebenes
Sachgebiet; die Grundzüge der delegierten Materie sind im Gesetz selbst enthalten. Mit der Festlegung, dass die Merkmale für eine Phänotypisierung äusserlich sichtbar sein müssen und sie nicht psychischen, charakterbezogenen und krankheitsbezogenen Inhalts sein dürfen, ist die Kategorie der zulässigen Merkmale formell-gesetzlich verankert. Es ist diese Kategorie von Merkmalen, die den qualitativen Umfang der «schwerwiegenden Einschränkung» von Grundrechten im Sinne von Artikel 36 Absatz 1 BV bestimmt.

126

Das biologische Alter ist vom chronologischen Alter einer Person zu unterscheiden, das sich nach dem urkundlich registrierten Geburtsdatum bestimmt.

127 Vernehmlassungsbericht, S. 9.

128 Häfelin Ulrich/Haller Walter/Keller Helen/Thurnherr Daniela, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. A., Zürich 2016, Rz. 1872 und 1874.

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Demgegenüber haben die einzelnen Merkmale selbst ­ Augen-, Hautfarbe etc. ­ je für sich keine eigenständige Qualität, die sie voneinander rechtlich unterscheiden würde.

Mit anderen Worten: Das einzelne äusserlich sichtbare Merkmal selbst unterliegt nicht dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der formell-gesetzlichen Festlegung.

Jedes auf Verordnungsebene neu hinzukommende Merkmal bewegt sich zwingend immer innerhalb der mit den Absätzen 1 und 3 formell-gesetzlich festgelegten Kategorie von äusserlich sichtbaren Persönlichkeitsmerkmalen.

Gliederungstitel vor Art. 3 Aufgehoben Der Inhalt des geltenden Artikels 3 Absatz 1 und 2 DNA-Profil-Gesetz ist vollständig abgedeckt durch die seither hinzugekommenen Artikel 255 und 256 StPO, weshalb diese Bestimmung hier aufgehoben werden kann. Die Norm des geltenden Artikels 3 Absatz 3 kann gestrichen werden: Dadurch, dass seit dem Inkrafttreten der StPO (1. Januar 2011) die Staatsanwaltschaft die Erstellung des DNA-Profils anordnet (Art. 255 Abs. 1 i.V.m. Art. 198 Abs. 1 Bst. a StPO), ist die Überprüfung der Voraussetzungen für dessen Aufnahme in das Informationssystem bereits dadurch sichergestellt.

Die Inhalte der Artikel 4, 5 und 7 des geltenden DNA-Profil-Gesetzes finden sich heute parallel auch in den Artikeln 255 und 257 StPO. Mit der neu vorzunehmenden inhaltlichen Abgrenzung zur StPO (siehe oben, Ziff. 1.1.5) können diese drei Artikel somit im DNA-Profil-Gesetz aufgehoben werden. Die Artikelnummer 3 erhält einen neuen Inhalt (Überschussinformationen). Als Folge dieser Anpassungen wird der bestehende Gliederungstitel (2. Abschnitt: «Probenahme und DNA-Analyse») gestrichen. Für den Artikel 6 als die einzige verbleibende Bestimmung dieses Abschnitts wird weiter unten ein neuer, eigenständiger Gliederungstitel geschaffen (vgl. unten, 2. Abschnitt: «Identifizierung ausserhalb von Strafverfahren»).

Art. 3

Überschussinformationen

Der Erläuterung des Begriffs der Überschussinformation in der Botschaft des Bundesrates vom 5. Juli 2017 zur Totalrevision des GUMG ist vorliegend nichts hinzuzufügen: Es «müssen an der Durchführung der Untersuchung Beteiligte darauf achten, dass die Entstehung von Überschussinformationen so weit als möglich vermieden wird. Dies betrifft verschiedene Arbeitsschritte, namentlich die Sequenzierung, die technische Auswertung und die Interpretation der Daten. Die Vermeidung der Erhebung nicht benötigter genetischer Daten ergibt sich bereits aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip des Datenschutzrechts.»129 Zwar fehlt im geltenden DNA-Profil-Gesetz die ausdrückliche Vorgabe, dass Überschussinformationen zu vermeiden sind. Auch für die forensische DNA-Analyse hat aber von Anfang an immer der Grundsatz gegolten, dass Überschussinformationen

129

BBl 2017 5622; vgl. weiter die Erläuterungen zu Art. 3 Bst. n E-GUMG (Überschussinformation), a.a.O., S. 5656.

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weder in den Untersuchungsbericht aufgenommen, noch weitergegeben werden dürfen.130 Mit der neu eingeführten Phänotypisierung, die im Unterschied zur Erstellung des DNA-Profils über die Analyse persönlichkeitsneutraler Merkmale hinausreicht (vgl. oben, Ziff. 1.1.2, Abgrenzung zur Phänotypisierung: Das Standard-DNA-Profil), wird eine ausdrückliche Regelung zur Überschussinformation notwendig.

Absatz 1 statuiert den Grundsatz, dass Überschussinformationen soweit als möglich vermieden werden müssen. Sein Wortlaut lehnt sich an Artikel 9 GUMG in der Fassung vom 15. Juni 2018 an.131 Diese Regelung gilt für die DNA-Analyse zu Zwecken der Strafverfolgung wie für jene ausserhalb von Strafverfahren.

Absatz 2 legt fest, wie vorzugehen ist, wenn Überschussinformationen dennoch anfallen. Der Wortlaut wird gegenüber jenem des Vorentwurfs in zwei Punkten angepasst.

Der Vorentwurf sah vor, dass solche Informationen vom Labor «sofort zu vernichten» sind. Von der Rechtsmedizin ist in der Vernehmlassung dargelegt worden, dass sich die Informationen, die nach der Vorgabe dieses Gesetzes als Überschussinformationen zu qualifizieren sind, kaum einzeln aus der Ergebnisausgabe des Analysegeräts eliminieren lassen. Die vorgesehene gesetzliche Vorgabe wäre somit zum einen technisch nicht durchführbar. Zum anderen hätte eine umgehende Vernichtung den schwerwiegenden Nachteil zur Folge, dass sie es verunmöglichen würde, zu einem späteren Zeitpunkt den Verlauf der Analyse zu rekonstruieren oder die Qualität des Analyseergebnisses zu überprüfen.132 Die Analyselabors sind denn auch gemäss ISO-Norm 17025, Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien, verpflichtet, den Analyseprozess vollständig zu dokumentieren (sog. «chain of custody» der Analyseergebnisses). Im Ergebnis wird neu davon abgesehen, die Labors zur Vernichtung von Überschussinformationen zu verpflichten. Im Gegenzug wird das Verbot einer Weitergabe solcher Informationen gegenüber dem Vorentwurf präzisiert: Es gilt ausdrücklich gegenüber der auftraggebenden Behörde wie auch gegenüber jeglichem anderen Dritten.

Art. 4­5

Aufgehoben

Vgl. hierzu die Erläuterungen oben zur Aufhebung des Gliederungstitels vor Artikel 3.

Gliederungstitel vor Art. 6 (2. Abschnitt: Identifizierung ausserhalb von Strafverfahren) Vgl. hierzu die Erläuterungen oben zur Aufhebung des Gliederungstitels vor Artikel 3.

Art. 6 Sachüberschrift (Aufgehoben) und Abs. 1 Einleitungssatz und 2 bis Artikel 6 ist die einzige Norm des neu geschaffenen Abschnitts 2. Seine ehemalige Sachüberschrift ist neu zum Titel dieses Abschnitts erhoben (vgl. die unmittelbar vorangehenden Erläuterungen).

130

Vgl. den Hinweis auf das Verbot von Überschussinformationen in der Botschaft des Bundesrates zum DNA-Profil-Gesetz, BBl 2001 43.

131 Für den Wortlaut von Artikel 9 GUMG: BBl 2018 3513 (Referendumsvorlage).

132 Vernehmlassungsbericht, S. 10.

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Absatz 1: Die Regelung der Zuständigkeiten bei der Anordnung zur Probenahme bei einer Person und zur Erstellung eines DNA-Profils im Strafverfahren findet sich neu ausschliesslich in der StPO (Art. 255 ff.). Das DNA-Profil-Gesetz bleibt hingegen der Ort, um die Zuständigkeit für diese Anordnungen im Fall der Identifizierung ausserhalb von Strafverfahren zu regeln, also wenn keinerlei Verdacht auf eine Straftat vorliegt (vgl. Art. 1 Bst. b E-DNA-Profil-Gesetz). Gegenüber dem geltenden Artikel 6 Absatz 1 wird einzig der Einleitungssatz angepasst, und zwar dahingehend, dass neu die Behörde bezeichnet wird, die ausserhalb eines Strafverfahrens für die Anordnung der Erstellung eines DNA-Profils zuständig ist («zuständige Behörde des Kantons oder des Bundes»).

Absatz 2bis: Wie in Artikel 1 Buchstabe c bei der Auflistung der Gesetzesinhalte angekündigt, steht als Instrument zur Identifikation von toten Personen ausserhalb eines Strafverfahrens neu auch die Phänotypisierung zur Verfügung. Damit wird einem Anliegen aus der Vernehmlassung entsprochen.133 Wird eine Leiche aufgefunden, deren äusserer Zustand keine Rückschlüsse mehr auf das Aussehen der Person zulässt, weil sie etwa skelettiert oder verkohlt ist, kann die Phänotypisierung die einzige verbleibende Möglichkeit sein, um diese Person doch noch zu identifizieren. Zwar enden mit dem Tod eines Menschen dessen Persönlichkeitsrechte. Es verlangt die generelle Zurverfügungstellung der Phänotypisierung zu diesem Identifizierungszweck jedoch eine Prüfung nach ihrer Verhältnismässigkeit.

Bei der Phänotypisierung wird jedoch das Erbgut der betroffenen Person analysiert.

Die Analyseergebnisse, einschliesslich allfälliger Überschussinformationen können ­ und das ist hier entscheidend ­ über die betroffene Person hinaus, auch Blutsverwandte betreffen, beispielsweise wenn es sich um Informationen über vererbbare Krankheiten handelt. Insgesamt ist jedoch das Interesse an der Identifizierung einer unbekannten Leiche höher zu gewichten als der Persönlichkeitsschutz allfällig betroffener Dritter. Wie durch Artikel 3 E-DNA-Profil-Gesetz festgelegt, gelangen Überschussinformationen nicht an die auftraggebende Behörde. Weiter bestimmt bereits der geltende Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d DNA-Profil-Gesetz, dass die anordnende Behörde die Vernichtung der Probe veranlasst,
sobald die Person in den Fällen von Artikel 6 identifiziert ist. Und schliesslich ist im Absatz 2 bis ausdrücklich festgehalten, dass eine Phänotypisierung nur subsidiär angeordnet werden darf, also wenn die übrigen Möglichkeiten zur Identifizierung der Leiche wie insbesondere ein Profilvergleich mit (mutmasslichen) Verwandten der toten Person nach Artikel 6 Absatz 4 DNA-Profil-Gesetz zu keinen neuen Erkenntnissen geführt hat.

Art. 7

Aufgehoben

Vgl. hierzu die Erläuterungen oben zur Aufhebung des Gliederungstitels vor Artikel 3.

133

Vernehmlassungsbericht, S. 10, 11, 19 und 20.

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Art. 8 Abs. 4 Die in der geltenden Fassung der Norm vorgesehenen «Angaben über [die] Rassenzugehörigkeit» der betroffenen Person werden gestrichen. Abgesehen davon, dass dieser Begriff nicht mehr zeitgemäss ist,134 entspricht die Regelung auch sachlich nicht dem Bearbeitungsprozess zwischen Labor und auftraggebender Behörde (i.d.R. die Staatsanwaltschaft). Im Zeitpunkt der Übergabe der Probe an das Labor stellt sich die Frage der Berechnung des Beweiswerts einer Übereinstimmung zwischen einem bestimmten Personen- und einem Spurenprofil noch nicht. Ist dann aber beim Abgleich des DNA-Profils im Informationssystem ein Treffer erzielt worden, erhält das Labor die Angaben, die es für die Beweiswertberechnung benötigt (Tatort, Fundort von Spuren etc.), zusammen mit dem Auftrag zur Erstellung des Gutachtens zur DNAAnalyse. Das Ergebnis der Beweiswertberechnung ist ein zentraler Inhalt dieses Gutachtens. Bei diesem Gutachten handelt es sich generell um die Beobachtungen und Feststellungen eines Sachverständigen ­ hier: des DNA-Analyselabors ­ im Sinne von Artikel 182 ff. StPO. Ist eine Spur zu analysieren, kann nach Artikel 255 Absatz 2 Buchstabe b StPO auch die Polizei den Auftrag zur Erstellung des Gutachtens erteilen.

Bei der DNA-Analyse mit ihrer molekulargenetisch anspruchsvollen Fragestellung ist die Aufgabe des Sachverständigen besonders bedeutsam, um «zu klären, welche Schlüsse das Gutachten zulässt und welche gerade nicht». 135 Art. 9

Vernichtung der Proben

Regelungsinhalt des geltenden wie des neuen Artikels 9 ist die «Vernichtung der Proben», weshalb die Sachüberschrift unverändert beibehalten wird. Die Bestimmung wird hingegen inhaltlich gestrafft und erhält damit insgesamt einen neuen Wortlaut.

Absatz 1: Buchstabe a ist im ersten Teilsatz unverändert aus der geltenden Norm übernommen. Wird hingegen von einer Person, deren DNA-Profil vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung im Informationssystem des Bundes CODIS gespeichert und deren Probe im Rahmen der Dreimonatsregel nach Artikel 9 Absatz 2 bereits vernichtet wurde, erneut eine Probe genommen und ein DNA-Profil für einen Abgleich in CODIS erstellt, so soll diese neue Probe ­ in Abweichung vom Grundsatz, dass Proben zu vernichten sind, wenn bereits ein Profil erstellt worden ist ­ aufbewahrt werden dürfen. Diese Ergänzung steht sachlich im Zusammenhang mit der Neuregelung der Aufbewahrungsdauer für Personenproben beim Labor gemäss Absatz 2. Zu Buchstabe b: Gemäss geltender Regelung (Art. 9 Abs. 1 Bst. b DNA-Profil-Gesetz) veranlasst die anordnende Behörde die Vernichtung der Probe einer Person drei Monate nach der Probenahme, wenn sie bis dahin keine Analyse veranlasst hat. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer kritisierten diese Frist als zu kurz; einzelne Kantone forderten eine Verlängerung auf ein Jahr.136 Im Sinne eines Kompromisses hat die anordnende Behörde neu sechs Monate Zeit für den Entscheid, ob

134 135

Vgl. auch Vernehmlassungsbericht, S. 11 (IRM Bern).

Riedo Christof/Fiolka Gerhard/Niggli Marcel Alexander, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel, 2011, Rz. 1483.

136 Vernehmlassungsbericht, S. 13.

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von einer bestimmten Person das DNA-Profil erstellt werden soll, bzw. muss sie spätestens nach Ablauf von sechs Monaten die Vernichtung des Probematerials anordnen, wenn sie bis dann keinen Entscheid betreffend eine Profilerstellung getroffen hat.

Die Buchstaben c und d sind unverändert aus dem geltenden Artikel 9 Absatz 1 übernommen.

Absatz 2: Nach geltendem Artikel 9 Absatz 2 DNA-Profil-Gesetz muss die einer Person abgenommene Probe drei Monate nach Eingang im Labor vernichtet werden. Mit dieser strikten Regelung der Aufbewahrungsdauer wollte der damalige Gesetzgeber das Risiko allfälliger missbräuchlicher Verwendungen des biologischen Materials, also eine unzulässige Ausforschung persönlicher Merkmale der betroffenen Person, weitestmöglich begrenzen.137 Dieses Anliegen des Gesetzgebers ist unbestritten und unverändert von Bedeutung. Nach 15 Jahren der Anwendung dieser Regelung sind indessen die Nachteile einer dreimonatigen Aufbewahrungsfrist zutage getreten. Aus den oben dargelegten Gründen (vgl. Ziffer 4.1.4, Verlängerung der Aufbewahrungsdauer für das Material aus Personenproben) soll die Aufbewahrungsdauer für die beim Labor unter klar geregelten Sicherheitsanforderungen gelagerten Personenproben auf 15 Jahre verlängert werden. Dieselbe Aufbewahrungsdauer gilt nach geltendem Recht für das Probematerial aus einer Spur (Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz DNAProfil-Verordnung).

Art. 9a

Nachtypisierung

Die Regelung zur Nachtypisierung war im Vorentwurf noch Inhalt eines Artikels 9, Aufbewahrung der Proben und Verwendung während ihrer Aufbewahrung. Sie soll der Klarheit halber in einen eigenständigen Artikel 9a gefasst werden. Für die Erläuterung des Begriffs der Nachtypisierung und dessen zwei zentrale Anwendungen, also die Erhaltung der Profilqualität und die Ermöglichung von Zusatzanalysen, wird auf die obige Ziffer 4.1.4, Verlängerung der Aufbewahrungsdauer für das Material aus Personenproben, verwiesen. Zur Nachtypisierung zwecks Erhaltung der Profilqualität gemäss Buchstabe a ist Folgendes zu ergänzen: Wird beispielsweise ein bestehendes DNA-Profil aufgrund aktualisierter Qualitätsvorgaben von 10 auf 16 Loci erweitert, wird dadurch seine molekulargenetische Aussagekraft erweitert bzw. diese an die aktuellen Anforderungen angepasst. Bezüglich der Rechtmässigkeit des Profils (Erstellung und Aufbewahrung im DNA-Profil-Informationssystem) ändert sich nichts. Aus diesem Grund ist es entgegen der Forderung einzelner Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer138 nicht erforderlich, solche Nachtypisierungen den Anordnungsvoraussetzungen nach Artikel 255 StPO zu unterwerfen.

Art. 10 Abs.1 (Betrifft nur den deutschen Text) Der Wortlaut des geltenden Artikels 10 Absatz 1 wird dahingehend angepasst, dass im Interesse einer einheitlichen Terminologie «Vergleich» (von DNA-Personen- oder Spurenprofilen) durch «Abgleich» ersetzt wird. Seit der Schaffung des DNA-Profil137

Dieser Zusammenhang ergibt sich aus: AB 2002 N 1225 (Votum Aeppli Wartmann) und AB 2002 N 1229 (Votum Cina).

138 Vernehmlassungsbericht, S. 12.

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Gesetzes hat sich im Bundesrecht für die forensische DNA-Analyse folgende Terminologie etabliert: Ein DNA-Profil wird «abgeglichen», wenn es in einem Informationssystem einer nach oben offenen Anzahl anderer DNA-Profile gegenübergestellt wird (1:n). Wird lokal, also ausserhalb eines Informationssystems, geprüft, ob zwei DNA-Profile übereinstimmen oder nicht, wird vom «Vergleich» gesprochen (1:1).

Dieser Terminologie folgen bereits die DNA-Profil-Verordnung und die DNAAnalyselabor-Verordnung EJPD wie im Übrigen auch die Verordnung vom 6. Dezember 2013139 über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten für den Bereich der Fingerabdrücke.

Diese Anpassung betrifft nur den deutschen Gesetzestext; die französische und die italienische Fassung verwenden einheitlich den Begriff «comparaison» bzw. «confronto».

Art. 11 Abs. 3bis und 4 Bst. c Wie oben bei Ziff. 4.1.4, Aufnahme des Y-DNA-Profils in das Informationssystem, näher dargelegt, lässt sich vor allem bei Sexual- wie auch bei Gewalt- und Tötungsdelikten mit einem weiblichen Opfer vom mutmasslichen Täter häufig kein StandardDNA-Profil erstellen, sondern nur ein Y-DNA-Profil*. Grund dafür ist eine Überlagerung des kleineren Anteils männlicher DNA durch überwiegende weibliche DNA.

Mit einer Aufnahme von Y-DNA-Profilen in das Informationssystem nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz werden die Voraussetzungen geschaffen, damit neu auch in diesen Spezialfällen Spurenzusammenhänge zwischen verschiedenen Tatorten erkannt werden können. Die strafprozessualen Anordnungsvoraussetzungen dieser neuen Verwendungsmöglichkeit regelt Artikel 255 Absatz 3 E-StPO.

Art. 12 Abs. 1 Die Bestimmung wird aus dem rein redaktionellen Grund angepasst, damit beim Ersatz von Ausdrücken («Bundesamt» durch «fedpol») keine Unstimmigkeit entsteht.

Art. 13 Abs. 1 Im Sinne einer Aktualisierung seit der Schaffung des DNA-Profil-Gesetzes wird zusätzlich zur Zusammenarbeit mit Interpol neu auch jene mit der europäischen Agentur EUROPOL erwähnt. Abgesehen davon werden rein redaktionell die Verweise auf das StGB in der geltenden Fassung der Bestimmung durch die jeweiligen aktuellen Artikelnummern ersetzt. Zudem wird der volle Titel des Strafgesetzesbuches eingeführt, denn dieser Erlass wird mit der Aufhebung des geltenden Artikel 5 DNA-ProfilGesetz hier zum ersten Mal erwähnt.

139

SR 361.3

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Art. 16

Löschung der DNA-Profile von Personen

Absatz 1 Die in diesem Absatz geregelten Löschereignisse sind identisch mit jenen des geltenden Artikels 16 Absatz 1 Buchstaben a­d. Auch die Löschfristen sind grundsätzlich unverändert übernommen.

Die einzige Neuerung findet sich in Buchstabe b, Löschfrist für das Profil einer verstorbenen Person: Gemäss geltender Regelung muss das Profil einer Person «nach» ihrem Tod gelöscht werden (Art. 16 Abs. 1 Bst. b). Es wird also keine exakte Löschfrist vorgegeben, aber doch eine zeitnahe Löschung verlangt. Es besteht nun aber ein überwiegendes öffentliches Interesse (Strafverfolgungsinteresse), dass das DNAProfil einer Person auch nach ihrem Tod noch während einer gewissen Zeit im Informationssystem verbleibt und damit sein Potenzial erhalten bleibt, offene Delikte aufzuklären und insbesondere auch zu Unrecht Verdächtigte von einem Tatvorwurf zu befreien. Eine Anpassung der Löschfrist nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b DNAProfil-Gesetz ist zuletzt bei den parlamentarischen Beratungen (Vorprüfung) zur bereits erwähnten Parlamentarischen Initiative 13.408 Geissbühler thematisiert worden.140 Die Persönlichkeit endet nach Artikel 31 Absatz 1 ZGB141 mit dem Tod eines Menschen, und damit endet auch sein Individualschutz.142 Angesichts dessen beurteilt es der Bundesrat als vertretbar, das Profil einer Person, die während der Dauer der rechtmässigen Aufbewahrung ihres Profils im Informationssystem verstorben ist, über den Tod hinaus während 10 Jahren im Informationssystem zu belassen.

Zu Buchstabe d ist anzumerken, dass der Wortlaut dieser Norm der Fassung entspricht, wie sie der Gesetzgeber mit dem Strafregistergesetz vom 17. Juni 2016143 (StReG) verabschiedet hat. Die mit dem StReG erwirkten drei Anpassungen an Artikel 16 DNA-Profil-Gesetz orientieren sich noch an den Artikelnummerierungen des geltenden DNA-Profil-Gesetzes. Diese Nummerierungen ändern aber mit der jetzigen Vorlage. Aus diesem Grund werden die Anpassungen gemäss StReG materiell unverändert in die jetzige Vorlage übernommen, formell aber mittels der Koordinationsbestimmung von Ziffer II E-DNA-Profil-Gesetz aufgehoben.

Absatz 2 Im Absatz 2 wird der Kernpunkt der neuen Löschregelung ersichtlich, also das Prinzip, dass die Aufbewahrungsfrist eines Personenprofils grundsätzlich einmal und unabänderlich festgelegt wird (vgl. oben, Ziff. 4.1.2).

140

Vgl. oben, Ziffer 1.1.3, Evaluation der geltenden Löschregelung gemäss Auftrag des Postulats. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hielt in ihrem Bericht vom 23. Januar 2014 zur Parlamentarischen Initiative 13.408 Geissbühler (die sie insgesamt mehrheitlich ablehnte) fest: «Die in der Initiative vorgesehene Möglichkeit, die Daten von verstorbenen Personen ein paar Jahre über den Tod hinaus aufzubewahren, findet im Grundsatz eine gewisse Zustimmung.» Bericht auf: www.parlament.ch/ centers/kb/Documents/2013/Kommissionsbericht_RK-N_13.408_2014-01-23.pdf.

141 SR 210 142 Rhinow René/Schefer Markus/Uebersax Peter, Schweizerisches Verfassungsrecht, 3. A., Basel 2016, N 1110.

143 BBl 2016 4871 (Referendumsvorlage); vgl. Anhang 1 StReG: Änderung anderer Erlasse, Ziff. 8: DNA-Profil-Gesetz.

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Die in diesem Absatz geregelten Anwendungsfälle für die einzelnen Löschfristen (Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Massnahmen nach dem Allgemeinen Teil des StGB, Sanktionen nach Jugendstrafrecht) sind dieselben, wie sie bereits der geltende Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben e­l vorsieht. Teilweise sind hingegen Anpassungen bei den einzelnen Löschfristen vorzunehmen: Ab Inkrafttreten der vorliegenden Gesetzesänderung ist für den Beginn der Aufbewahrungsdauer nicht mehr der Zeitpunkt des Vollzugs der Sanktion massgeblich. Dieser Zeitpunkt wird vielmehr gemäss nachfolgendem Absatz 3 zurück auf jenen des (rechtskräftigen) Urteils verlagert. Der Zeitraum zwischen der Fällung des Urteils und Vollzug der Sanktion fällt somit in die Dauer der Aufbewahrung des DNA-Profils im Informationssystem. Würden die Löschfristen des geltenden Rechts unverändert beibehalten, könnte dies im Extremfall dazu führen, dass die Aufbewahrungsdauer abgelaufen und das DNA-Profil zu löschen ist, bevor die ausgesprochene Sanktion vollzogen ist. Damit könnte das Informationssystem seinen primären Zweck, also die möglichst rasche Aufklärung von Wiederholungstaten, nicht mehr erfüllen. Die Löschfristen werden deshalb soweit ­ und nur so weit ­ verlängert, wie dies erforderlich ist um sicherzustellen, dass auch beim neu früheren Beginn des Fristenlaufs der zeitliche Verbleib der Personenprofile im Informationssystem in etwa identisch ist mit jenem gemäss geltendem Recht.

Die vorgeschlagene Neuregelung führt im Vergleich zur geltenden Regelung teils zu einer Verlängerung, teils zu einer Verkürzung der Aufbewahrungsdauer der Profile im Informationssystem. So wird etwa nach geltendem Recht bei einer (unbedingten) Geldstrafe das Profil fünf Jahr nach der Zahlung gelöscht (Art. 16 Abs. 1 Bst. f DNAProfil-Gesetz). Zögert die betroffene Person die Zahlung hinaus oder verweigert sie diese, verlängert sich die Speicherung im Informationssystem um diese Zeitspanne.

Unter der Neuregelung gemäss Buchstabe b ist gemäss dem Grundsatz «keine Vollzugsabhängigkeit» der Zeitpunkt der Zahlung der Geldstrafe unerheblich. Um im Gegenzug dem vorverlagerten Beginn der Aufbewahrungsdauer Rechnung zu tragen, wird neu eine fixe Aufbewahrungsdauer von 20 Jahren festgelegt. Bei der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von bis und mit drei Jahren (Bst. b),
um ein anderes Beispiel anzuführen, führt die Neuregelung zu einer Verkürzung der Aufbewahrungsdauer: Erfolgt die Verurteilung im Jahr 2020, wird das Profil 2040 gelöscht, während diese Löschung nach geltendem Recht im Falle einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bei sofortigem Strafantritt 2043 erfolgte, bei einer allfälligen bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe (Artikel 86 StGB) allenfalls bereits 2042. Bei der Busse und dem Freiheitsentzug nach Jugendstrafrecht (Bst. e und f) verkürzt sich im Ergebnis die Aufbewahrungsdauer im Vergleich zur geltenden Regelung: Die Löschfrist beträgt unverändert 5 bzw. 10 Jahre, obwohl sie bereits ab dem Urteilszeitpunkt zu laufen beginnt und nicht erst ab dem Zeitpunkt der Bezahlung der Busse bzw. ab Vollzug des Freiheitsentzugs.

Auf folgende Neuregelungen bei Absatz 2 ist speziell hinzuweisen: ­

144

Buchstabe b: Die Ersatzfreiheitsstrafe144 wird wegen ihrer Dauer von maximal 180 Tagen (Art. 36 i.V.m. Art. 34 StGB) an dieser Stelle eingeordnet.

Begrifflichkeit gemäss StReG vom 17. Juni 2016, Anhang 1: Änderung anderer Erlasse, Ziff. 8: DNA-Profil-Gesetz (BBl 2016 4871 ff., 4919); im geltenden Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe f DNA-Profil-Gesetz noch «Umwandlungsstrafe».

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­

Buchstabe g: Dieser Buchstabe gilt für den Fall, dass als einzige Sanktion ein Tätigkeitsverbot oder ein Kontakt- und Rayonverbot nach Artikel 67 beziehungsweise 67b StGB, Artikel 50 beziehungsweise 50b MStG oder Artikel 16a JStG verhängt worden ist.

Absatz 3 Absatz 3 beinhaltet neben der Aufhebung der Vollzugsabhängigkeit (vgl. oben, Absatz 2) den zweiten Kernpunkt der neuen Löschregelung: Er bestimmt das Datum des Urteils als massgeblichen Zeitpunkt für die einmalige und definitive Festlegung der Löschfristen für die DNA-Personenprofile. Im Unterschied zum Vorentwurf ist das Urteil erst dann für die Festlegung der Löschfrist massgeblich, wenn es in im Sinne von Artikel 437 StPO in (formelle) Rechtskraft erwachsen ist. Damit wird einem in der Vernehmlassung vielfach geäusserten Anliegen entsprochen. Der Begriff des «Urteils» umfasst im Übrigen auch den Strafbefehl, denn wenn gegen einen Strafbefehl keine Einsprache erhoben wird, wird dieser zum Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO). Eine maximale Vereinfachung der Löschregelung liesse sich erzielen, wenn das DNAPersonenprofil im Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung der betroffenen Person, also ganz am Anfang des Bearbeitungsprozesses, mit einer fixen Aufbewahrungsfrist von beispielsweise 30 Jahren versehen würde. Dies wurde in der Vernehmlassung auch teilweise so gefordert.145 Damit würde jedoch dem Grundsatz der geltenden Löschregelung, wonach die Aufbewahrungsdauer eines DNA-Personenprofils nach der Sanktion, also der Schwere der Tat, differenziert, nur noch sehr beschränkt nachgelebt, können doch die Annahmen zu Täterschaft und begangenem Delikt, wie sie im frühen Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung vorliegen, im Verlauf des Strafverfahrens bis zur gerichtlichen Beurteilung noch ändern.

Absatz 4 Der Wortlaut dieses Absatzes entspricht unverändert der Änderung von Artikel 16 Absatz 2 DNA-Profil-Gesetz gemäss StReG vom 17. Juni 2016.146 Absatz 5 Die Regelung gemäss Absatz 5 ist in der Fassung des DNA-Profil-Gesetzes gemäss StReG vom 17. Juni 2016 noch Teil von Artikel 16 Absatz 2.147 Der Inhalt dieser Norm ist jedoch von eigenständiger Bedeutung. Er wird deshalb mit der vorliegenden Gesetzesänderung zu einem eigenständigen Absatz erhoben.

Absatz 6 Im geltenden Artikel 16 Absatz 4 DNA-Profil-Gesetz werden die Löschfristen bei Verwahrung und bei einer therapeutischen Massnahme zusammen mit jener bei einer Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG und jener beim Vollzug einer Freiheitsstrafe geregelt. Das neue Löschkonzept 145 146

Vernehmlassungsbericht, S. 15.

StReG, Anhang 1: Änderung anderer Erlasse, Ziff. 8: DNA-Profil-Gesetz (BBl 2016 4871 ff., 4919).

147 StReG, Anhang 1: Änderung anderer Erlasse, Ziff. 8: DNA-Profil-Gesetz (BBl 2016 4871 ff., 4919).

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erfordert es, diese vier sehr unterschiedlichen Anwendungsfälle von Löschfristen separat zu regeln. Im obigen Absatz 2 haben die Löschfristen bei Freiheitsstrafe mit den Buchstaben b­d und die Landesverweisung mit Buchstabe h eine eigenständige vollzugsunabhängige Regelung erhalten. Es verbleibt damit für den Absatz 6 die Löschregelung bei Verwahrung und bei einer therapeutischen Massnahme. Die Entlassung aus der Verwahrung und der endgültige Vollzug einer therapeutischen Massnahme sind die einzigen Löschereignisse, die auch künftig vollzugsabhängig sind. Die Dauer einer Verwahrung und einer therapeutischen Massnahme sind in derart hohem Mass vom Einzelfall abhängig, dass sich diese Massnahmen nicht dafür eignen, für die Aufbewahrung des DNA-Personenprofils eine pauschale, fixe Löschfrist vorzusehen. Neu präzisiert der Gesetzeswortlaut, dass der Zeitpunkt der «endgültigen» Entlassung aus der Verwahrung nach Artikel 64a Absatz 5 StGB bzw. des «endgültigen» Vollzugs der (stationären) therapeutischen Massnahme nach Artikel 62b StGB massgeblich ist.

Einzelne Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser haben gefordert, es sei die Aufbewahrungsdauer bei der Verwahrung zu erhöhen.148 Mit dieser Revision sollen die absoluten Aufbewahrungsfristen des geltenden Rechts jedoch grundsätzlich unangetastet bleiben, weshalb die 20-jährige Frist unverändert beibehalten wird.

In diesen beiden weiterhin vollzugsabhängigen Fällen muss entsprechend erhöhte Klarheit über die Meldeverantwortung innerhalb des Löschprozesses bestehen. Die Vollzugsbehörde für die Massnahme soll der zentralen Erfassungsstelle des Kantons, der Datenherr des jeweiligen Personenprofils ist (Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz DNAProfil-Verordnung149), nach erfolgtem Vollzug der Massnahmen die entsprechende Meldung erstatten. Der Bundesrat sieht vor, dies im Verordnungsrecht so zu regeln.

Damit soll einem Anliegen aus der Vernehmlassung entsprochen werden. 150 Absatz 7 Als eine generelle Auffangnorm soll diese Bestimmung gewährleisten, dass auch alle jene DNA-Personenprofile einer Löschung zugeführt werden, die von keiner der Löschregelungen nach den vorangehenden Absätzen 1­6 erfasst sind. Da der vorangehende Katalog von Löschfristen bereits sehr detailliert ist, werden nur mehr wenige DNA-Profile unter Absatz 7 fallen. Zu denken ist etwa an Schuldsprüche
mit Absehen von Strafe als einzige Rechtsfolge, beispielsweise in Anwendung von Artikel 52­54 StGB oder Artikel 21 JStG oder gestützt auf Spezialbestimmungen des Besonderen Teils des StGB oder des Nebenstrafrechts.

Das geltende DNA-Profil-Gesetz sieht im Übrigen in seinem Artikel 16 Absatz 3 vor, dass fedpol nach 30 Jahren alle Profile löscht, bei denen dies nicht bereits aufgrund einer der übrigen Bestimmungen dieses Artikels erfolgt ist. Damit soll ein «Auffangnetz» für alle Personenprofile gespannt sein, die aus irgendeinem Grund durch die Maschen der Löschregelung gefallen sind. Weil diese ­ wichtige ­ Regelung aber nicht die profilerstellenden Behörden betrifft, sondern von rein bundesverwaltungsinterner Bedeutung ist, soll sie aus dem Gesetz in die DNA-Profil-Verordnung verschoben werden.

148 149 150

Vernehmlassungsbericht, S. 16.

SR 363.1 Vernehmlassungsbericht, S. 16 (BL).

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Art. 17 Sachüberschrift und Abs. 1 Verlängerung der Aufbewahrungsdauer durch die urteilende Behörde In der Vernehmlassung haben sich zahlreiche Kantone für die Beibehaltung von Artikel 17 ausgesprochen und damit die Streichung dieser Bestimmung, wie sie der Vorentwurf vorgesehen hatte, abgelehnt. Die Kantone messen der Möglichkeit, die Aufbewahrungsdauer eines Personenprofils bei Vorliegen des konkreten Verdachts auf ein nicht verjährtes Verbrechen oder Vergehen oder bei einem Rückfallrisiko im Einzelfall verlängern zu können, hohes Gewicht bei. Sie haben dies in der Vernehmlassung bestätigt.151 Die Norm wird somit in der Sache beibehalten, und zwar für alle Löschereignisse, für die diese Verlängerungsmöglichkeit auch nach geltendem Recht besteht (der Verweis im geltenden Art. 16 DNA-Profil-Gesetz auf die Abs. 4 Bst. e­ k und 4 entspricht inhaltlich jenem auf Art. 16 Abs. 2 Bst. a­f und h und Abs. 6 E-DNA-Profil-Gesetz). Es wird jedoch in Absatz 1 zwecks Verschlankung des Löschprozedere davon abgesehen, dass fedpol bei der zuständigen urteilenden Behörde für jedes einzelne betroffene Profil rückfragt, ob dieses gelöscht werden kann. Es ist neu Aufgabe des für das Profil zuständigen Kantons, gegenüber fedpol aktiv zu werden und ihm die einzelfallweise Verlängerung der Aufbewahrungsdauer eines bestimmten Personenprofils zu melden. Die Sachüberschrift wird entsprechend angepasst. Einzelne löschrelevante Sanktionen können im Übrigen auch von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Strafbefehlsverfahrens nach Artikel 352 ff. StPO ausgesprochen werden. Neu wird deshalb im Artikel 17 statt von «richterlicher Behörde» von «urteilender Behörde» gesprochen, womit auch die Staatsanwaltschaft miteingeschlossen ist.

Art. 17a

Löschung des Y-DNA-Profils

Die Norm stellt sicher, dass gleichzeitig mit der Löschung eines Standard-DNAPersonen- oder Spurenprofils immer auch ein im Informationssystem allfällig gespeichertes Y-DNA-Profil gelöscht wird.

Art. 18

Einleitungssatz

Mit der Aufhebung des geltenden Artikel 4 DNA-Profil-Gesetz (siehe oben, Gliederungstitel vor Art. 3) wird neu auf die massgebliche Norm in der StPO und im MStP verwiesen.

Art. 20a

Evaluation

Mit der vorliegenden Änderung des DNA-Profil-Gesetzes werden verschiedene wichtige Neuerungen eingeführt. Im Zentrum steht die Einführung der Phänotypisierung.

Aber auch zum Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug ist weitere praktische Erfahrung zu gewinnen. Bei der neuen Löschregelung wird zu prüfen sein, ob sich die Vereinfachung des Meldeprozedere wie erhofft einstellt und sich in der Praxis bewährt. All dies rechtfertigt es, das Bundesamt (fedpol) gemäss Absatz 1 zu verpflichten, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Gesetzesrevision in Anlehnung an Ar-

151

Vernehmlassungsbericht, S. 16.

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tikel 170 BV die Zweckmässigkeit und Wirksamkeit des Gesetzes zu überprüfen. Unter Einbezug der Kantone und wichtiger Organisationen aus Strafverfolgung und Rechtsmedizin soll ermittelt werden, ob und wie weit sich die neuen gesetzlichen Regelungen zur Phänotypisierung, zum Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug und zur Löschung der DNA-Personenprofile in der Praxis bewähren. Dies soll es ermöglichen, die neuen Instrumentarien gegebenenfalls zu optimieren.

Anschliessend erstattet fedpol dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement Bericht über das Ergebnis der Evaluation (Absatz 2). Auf diese Weise erfüllt der Bundesrat seinen Pflichten gegenüber der Legislative, Gesetze auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Art. 22 Bst. g und h Der aktuell bereits praktizierte Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug (Buchstabe g) und mehr noch die im schweizerischen Recht völlig neue Phänotypisierung (Buchstabe h) werden gesetzesergänzende Umsetzungsnormen im Sinne von Artikel 182 BV erfordern; es handelt sich beispielsweise um Umsetzungsnormen in den Bereichen technische Anforderungen an das Analyseverfahren, Qualitätsanforderungen, Inhalt des Laborgutachtens an die Staatsanwaltschaft, Kontrollmechanismen und Informationssicherheit (vgl. auch bereits oben, Ziff. 4.2).

Art. 23a

Übergangsbestimmungen zur Änderung vom ...

Die Löschregelung gemäss vorliegender Teilrevision des DNA-Profil-Gesetzes erfordert die Schaffung von Übergangsrecht: Ende 2019 enthielt das DNA-Profil-Informationssystem 193 494 Personenprofile, und täglich kommen neue solche Profile hinzu. Grundsätzlich gilt, dass das neue Recht auf die Sachverhalte wirkt, die ab seinem Inkrafttreten auftreten, während die Sachverhalte, die sich vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben, nach dem alten Recht zu beurteilen sind. DNA-Profile sind nun aber sogenannte Dauersachverhalte, die gemäss altem Recht entstanden sind, jedoch im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts fortbestehen. Damit ist die Frage zu beantworten, wie die nach altem Recht erstellten DNA-Personenprofile übergangsrechtlich gehandhabt werden sollen.152 Nach der einen Variante würden die nach altem Recht erstellten DNA-Profile auch über das Inkrafttreten der neuen Löschregelung hinaus nach den Vorgaben des alten Rechts gelöscht. Die Kantone müssten dabei auf Jahre, ja Jahrzehnte hinaus parallel zum neuen, vereinfachten Löschprozedere die überaus aufwendige aktuelle Organisationsstruktur für die Profillöschungen mit ihren verschiedensten für den Sanktionenvollzug zuständigen Behörden und Ämtern mitziehen. Diese Variante ist somit kaum praktikabel.

Mit Artikel 23a Absatz 1 E-DNA-Profil-Gesetz wird deshalb vorgesehen, dass die neue Löschregelung gemäss den Artikeln 16 und 17 E-DNA-Profil-Gesetz auch auf

152

Vernehmlassungsbericht, S. 14 (BE).

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die DNA-Personenprofile anwendbar sein soll, die vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Gesetzesänderung erstellt worden sind und bei denen zu diesem Zeitpunkt die nach altem Recht notwendige richterliche Zustimmung zur Löschung (noch) nicht vorliegt. E contrario wird sinnvollerweise von einer Anpassung an die neuen Löschfristen bei denjenigen altrechtlichen Profilen abgesehen, bei denen aufgrund des bereits eingetretenen Vollzugs der Sanktion im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung der definitive Löschzeitpunkt bereits feststeht.

Dass die neue Löschregelung auf die altrechtlichen Profile mit noch offenem Löschzeitpunkt anwendbar ist, bedeutet, dass für diese Kategorie von Profilen der Löschzeitpunkt nacherfasst werden muss. Die Nacherfassung ist unbestrittenermassen mit einigem administrativen Aufwand verbunden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Löschfrist der nachzuerfassenden DNA-Profile im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung deswegen noch nicht feststeht, weil sie vollzugsabhängig ist (vgl. zu dieser Problematik Ziff. 1.1.3, Evaluation der geltenden Löschreglung gemäss Auftrag des Postulats). So oder so also hätten diese DNA-Profile von den Behörden bezüglich des weiteren Verlauf des Vollzugs und der entsprechend erforderlichen Löschmeldungen im Auge behalten werden müssen. Mit der hier statuierten Verpflichtung zur Nacherfassung erhöht sich der sowieso bestehende Bearbeitungsaufwand somit nicht in grösserem Umfang. Ein zusätzlicher Aufwand entsteht aber für die Kantone sicherlich dadurch, dass in laufende interne Bearbeitungsprozesse eingegriffen und diese durch die neuen Vorgaben übersteuert werden müssen.

Für die Nacherfassung haben die Kantone gemäss Absatz 2 fünf Jahre Zeit, wobei in begründeten Ausnahmefällen eine Fristverlängerung gewährt werden kann. Es ist allgemein zulässig, im Gesetz übergangsrechtlich eine unechte Rückwirkung neuen Rechts vorzusehen. Es stehen keine wohlerworbenen Rechte der betroffenen Personen entgegen.153 Der Anwendung einer neuen Fristenregelung auf altrechtliche Sachverhalte im Sinne einer unechten Rückwirkung folgte der Gesetzgeber bereits bei der Schaffung des DNA-Profil-Gesetzes im Jahr 2003: Die Löschfristen der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden DNA-Profile aus dem Probebetrieb der DNA-Profil-Erstellung (1. Juli 2000­31. Dezember
2004) waren ebenfalls innerhalb von fünf Jahren nachzuerfassen (Art. 23 Abs. 1 DNA-Profil-Gesetz i.V.m. Art. 22 Abs. 1 DNA-Profil-Verordnung).

Für dieselbe Lösung entschied sich der Gesetzgeber im Übrigen im StReG, das gemäss seinem Artikel 70 Absatz 1 die Nacherfassung der im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits bestehenden Registereinträge verlangt.154 Die Nacherfassung bedeutet für die Kantone einmalig einen erheblichen Ressourcenaufwand. Der aus der Sicht des Bundesrates überwiegende Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass ab einmal erfolgter Erfassung umfassend und einheitlich nach dem neuen Löschprozedere gearbeitet werden kann.

153

Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A, Zürich/St. Gallen 2016, N 283.

154 StReG vom 17. Juni 2016, BBl 2016 4871 ff., 4913 (Referendumsvorlage).

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II, Koordination mit dem Strafregistergesetz vom 17. Juni 2016 Das Strafregistergesetz (StReG) nimmt ­ neben einer Änderung des Strafgesetzbuches (siehe hierzu unten, Ziff. 5.2.1) ­ eine Änderung von Artikel 16 DNA-ProfilGesetz vor.155 Derselbe Artikel 16 wird nun auch mit dieser Vorlage angepasst. Inhaltlich werden die StReG-Anpassungen am Artikel 16 unverändert in den vorliegenden Gesetzesentwurf übernommen (vgl, oben, Erläuterungen zu Art. 16 Abs. 1 Bst. d sowie 4 und 5). Eine Differenz der jetzigen Fassung dieser Bestimmungen zu Fassung gemäss StReG entsteht einzig aus einem formellen Grund: Den Normen gemäss StReG sind als Folge der vorliegenden Anpassung des Artikels 16 DNA-Profil-Gesetz neue Absatz- bzw. Buchstaben-Nummerierungen zuzuweisen. Gemäss aktueller Planung soll das StReG Anfang 2023 in Kraft treten. Falls das StReG vor dem DNAProfil-Gesetz in Kraft tritt, besteht kein Kollisionsproblem: Die vorliegende Regelung tritt an die Stelle der Regelung gemäss StReG. Eine Koordinationsregelung gemäss Ziffer II ist hingegen für den Fall zu treffen, dass das StReG nach dem DNA-ProfilGesetz in Kraft tritt.

5.2

Änderung anderer Erlasse

5.2.1

Strafgesetzbuch in der Fassung gemäss Strafregistergesetz vom 17. Juni 2016

Art. 354 Abs. 4 Bst. b Das StReG sieht mit einem neu formulierten Artikel 354 Absatz 4 nStGB vor, dass die im Informationssystem AFIS bearbeiteten Daten künftig denselben Aufbewahrungsfristen unterliegen, wie sie für die DNA-Profile gelten.156 Ein zentraler Grundsatz der neuen Löschregelung für die DNA-Profile gemäss vorliegender Botschaft ist es, diese vollzugsunabhängig auszugestalten (vgl. oben, Ziff. 4.1.2, Löschregelung für die DNA-Personenprofile). Mit Artikel 354 Absatz 4 nStGB ist bewerkstelligt, dass diese Vollzugsunabhängigkeit künftig auch für die in AFIS bearbeiteten Daten gilt.

DNA-Profile dürfen einzig zur Aufklärung von Verbrechen und Vergehen verwendet werden, die AFIS-Daten aber zusätzlich auch zur Aufklärung von Übertretungen. Folgerichtig sieht Art. 354 Abs. 4 nStGB zusätzlich zu den Löschfristen gemäss DNAProfil-Gesetz (Bst. a) eine spezielle Regelung zur Löschung der AFIS-Daten bei Übertretungen vor (Bst. b). Mit der vorliegenden Neufassung von Artikel 354 Absatz 4 Buchstabe b E-StGB wird nun auch für die im Zusammenhang mit der Verfolgung von Übertretungen bearbeiteten AFIS-Daten eine vollzugsunabhängige Löschregelung geschaffen.

155

StReG, Anhang 1: Änderung anderer Erlasse, Ziff. 8: DNA-Profil-Gesetz (BBl 2016 4871 ff., 4918 f.).

156 Für den Wortlaut von Artikel 354 Absatz 4 Buchstabe b nStGB: BBl 2016 4916.

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5.2.2

Strafprozessordnung

Gliederungstitel nach Kapitel 5 (DNA-Analysen) DNA-Profil und Phänotypisierung unterscheiden sich in den molekulargenetischen Grundlagen und in ihrer Verwendung im Strafverfahren grundsätzlich voneinander (vgl. oben, Ziff. 1.1.2). Diesem Umstand wird dadurch Rechnung getragen, dass für die beiden Regelungsbereiche je ein eigener Abschnitt im Gesetz geschaffen wird.

Art. 255 Abs. 3 Der Abgleich des Y-DNA-Profils kann für strafrechtliche Ermittlungen von einem ganz spezifischen Nutzen sein: Er kann es ermöglichen, eine DNA-Spur einer bestimmen väterlichen Verwandtschaftslinie zuordnen. Bei Ziffer 4.1.4 ist aufgezeigt worden, dass ein solcher Suchlauf unbeteiligte Dritte involvieren kann, weshalb das Y-DNA-Profil in jedem Fall, auch wenn es aus einer Spur erstellt worden ist, von der Staatsanwaltschaft anzuordnen ist. Solche Suchläufe stehen einzig zur Aufklärung von Verbrechen zur Verfügung (vgl. hierzu oben, Ziffer 4.1.4, Aufnahme des Y-DNA-Profils in das Informationssystem).

Vorzubemerken ist, dass die Befugnis zur Erstellung des Y-DNA-Profils als RoutineAnalyse in der Anordnung zur Erstellung des Standard-Spurenprofils durch die Polizei (Art. 255 Abs. 2 Bst. b StPO) bzw. in der Anordnung zur Erstellung des StandardPersonenprofils durch Staatsanwaltschaft oder Gericht (Art. 255 Abs. 1 i.V.m.

Art. 198 Abs. 1 Bst. a und b StPO) miteingeschlossen ist. Aus dem folgendem Grund wird die neue Regelung als neuer Absatz 3 in den geltenden Artikel 255 StPO aufgenommen: Gemäss ausdrücklichem Wortlaut regelt Artikel 255 StPO die Zuständigkeiten zur Probenahme und zur Erstellung eines DNA-Profils. Dies schliesst jeweils die Zuständigkeit zur Auswertung des Profils ­ entweder lokal im 1:1-Vergleich oder mittels Suchlaufs im DNA-Profil-Informationssystem ­ mit ein.157 Dies gilt so für die Standard-DNA-Profile. Für das Y-DNA-Profil gilt demgegenüber die spezielle Regelung, dass die Anordnung der Auswertung, also des Suchlaufs im Informationssystem, speziell angeordnet werden muss; dies hat in jedem Fall ­ also auch im Falle eines Spurenprofils ­ durch die Staatsanwaltschaft zu geschehen. Diese speziellen Suchläufe werden im Übrigen nicht in die in regelmässigen Zeitabständen erfolgenden Standard-Suchläufe einbezogen, sondern lediglich auf speziellen Auftrag hin durchgeführt.

Art. 256

Massenuntersuchungen

Absatz 1: Der erste Satz entspricht unverändert seiner geltenden Fassung. Danach wird der für eine Massenuntersuchung vorzusehende Kreis von Personen, deren DNA-Profil einzelfallweise mit dem tatrelevanten DNA-Spurenprofil verglichen wird, aufgrund von Merkmalen festgelegt, «die bestimmte, in Bezug auf die Tatbegehung festgestellte Merkmale aufweisen». Eine erste Eingrenzung des Personenkreises ermöglicht die Kenntnis des aus dem Spurenprofil ersichtlichen Geschlechts der mutmasslichen Täterschaft. Zusätzliche Eingrenzungen werden gestützt auf persönliche 157

Zürcher Kommentar StPO-Hansjakob/Graf, Art. 255 N 22.

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Merkmale zur mutmasslichen Täterschaft vorgenommen, sofern und soweit solche Merkmale wie etwa Haar-, Haut- und Augenfarbe oder das Alter «aus Opfer- und Zeugenaussagen oder aus Bildmaterial» verfügbar sind.158 Ein wichtiger praktischer Nutzen der Phänotypisierung besteht allgemein darin, dass sie es ermöglicht, den Kreis der Personen, die zu einer Massenuntersuchung aufgeboten werden sollen, näher einzugrenzen (vgl. oben, Ziff. 1.1.2, Die Phänotypisierung als Instrument der Strafverfolgung). Der neu angefügte zweite Satz sieht diese spezielle Anwendung der Phänotypisierung neu ausdrücklich vor. Dadurch soll künftig eine nähere Eingrenzung des Personenkreises durch (wahrscheinliche) äusserlich sichtbare Persönlichkeitsmerkmale auch möglich sein, wenn keine Opfer- und Zeugenaussagen oder Bildmaterialien vorliegen. Mit jeder zusätzlichen Eingrenzung lässt sich die Massenuntersuchung gezielter und damit grundrechtsschonender anwenden. Aus diesem Grund ist diese spezielle Verwendung der Phänotypisierung in der Vernehmlassung teilweise auch ausdrücklich verlangt worden.159 Diese Eingrenzung ist wie bereits im Vorentwurf als «Kann-Bestimmung» formuliert. Es ist dabei zu differenzieren: In Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV) soll bei einer Massenuntersuchung das tatrelevante Spurenmaterial phänotypisiert werden, sofern dies im Einzelfall technisch möglich ist. Die «Kann»-Vorgabe bezieht sich somit nicht darauf, ob eine Phänotypisierung erfolgt, sondern auf die Verwendung von deren Ergebnis: Ist das Ergebnis der Phänotypisierung im Einzelfall mit zu grossen Unsicherheiten behaftet, soll es bei der Festlegung des Kreises der Personen, die zur Massenuntersuchung aufgeboten werden, nicht oder nur mit entsprechend reduzierter Relevanz berücksichtigt werden. Wenn eine Person mehreren Merkmalen «in Bezug auf die Tatbegehung» (Art. 256 StPO) entspricht, darf sie nicht allein deshalb aus dem Personenkreis für die Massenuntersuchung fallen, weil sie ein bestimmtes phänotypisiertes Merkmal nicht aufweist.

Absatz 2 Bei einer Massenuntersuchung kann es sich ergeben, dass keines der Standard-Profile der Personen, die zur Erstellung ihres DNA-Profils aufgeboten worden sind, exakt mit dem Spurenprofil vom Tatort übereinstimmt, eines der Profile aber eine Ähnlichkeit mit dem Spurenprofil
aufweist.160 Es handelt sich dabei molekulargenetisch um dieselbe Ähnlichkeit wie diejenige des Profils des «Kandidaten» bei einem Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug mit dem Profil der Spurenlegerin oder der Spurenlegers. Mit anderen Worten: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Teilnehmer X. der Massenuntersuchung mit dem Spurenleger verwandt ist. Solche Ähnlichkeiten von DNA-Profilen können neu nach demselben Vorgehen wie beim Suchlauf nach Ver-

158

Zürcher Kommentar StPO-Hansjakob/Graf, Art. 256 N 7. Ebenso können auch gemäss Schmid/Jositsch Personen in eine Massenuntersuchung einbezogen werden, «die auf Grund eines Robotbildes Ähnlichkeiten mit dem Täter aufzuweisen scheinen» (Schmid Niklaus/Jositsch Daniel, Praxiskommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. A., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 256 N 1).

159 Vernehmlassungsbericht, S. 16 (SAV).

160 Diese Konstellation lag dem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 20. Dezember 2012 zugrunde (3 StR 117/12; Verwertbarkeit der Erkenntnis einer wahrscheinlichen Verwandtschaft des Täters mit einem Untersuchungsteilnehmer; «Beinahetreffer»).

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wandtschaftsbezug (vgl. oben, Ziff. 1.1.4, Vorgehen beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug) ausgewertet werden. Einem Anliegen aus der Vernehmlassung entsprechend, wird neu ausdrücklich festgelegt, dass wie die Massenuntersuchung selbst auch ein in diesem Zusammenhang erfolgender Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug nach Absatz 2 vom Zwangsmassnahmengericht angeordnet werden muss.

Wie beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug nach Artikel 258a E-StPO hat die Verfahrensleitung auch hier darauf zu achten, dass in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit der Kreis der Personen, für die als Ergebnis des Profilvergleichs eine mögliche Verwandtschaft mit der Spurenlegerin oder dem Spurenleger ausgewiesen wird, mittels Erstellung des Y-DNA-Profils oder Typisierung der mitochondrialen DNA näher eingegrenzt wird, soweit dies der Einzelfall molekulargenetisch wie auch ermittlungstaktisch zulässt.

Art. 258a

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Artikel 2a E-DNA-Profil-Gesetz regelt den Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug als neuen, zusätzlichen Verwendungszweck des Informationssystems nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz. Artikel 258a E-StPO legt seinerseits die strafprozessualen Voraussetzungen bei der Anordnung eines solchen Suchlaufs fest, also die zulässige Deliktskategorie und die Anwendungszuständigkeit. Aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. oben, Ziff. 4.1.3) steht der erweiterte Suchlauf allein zur Aufklärung von Verbrechen zur Verfügung. Nach der allgemeinen Regelung von Artikel 198 Absatz 1 Buchstabe a StPO liegt die Zuständigkeit zur Anordnung von Zwangsmassnahmen bei der Staatsanwaltschaft. Diese allgemeine Regelung soll auch auf diesen speziellen Suchlauf anwendbar sein. Dass die Staatsanwaltschaft die rechtsstaatlich adäquate Anordnungsbehörde ist, wird durch das Urteil des Bundesstrafgerichts vom 6. Oktober 2015 bestätigt.161 In der Vernehmlassung ist wiederholt verlangt worden, es müsse der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug in eine gesetzliche Hierarchie von Ermittlungsinstrumenten eingeordnet werden, und er dürfe dabei nur als ultima ratio angewendet werden.162 Der Bundesrat lehnt entsprechende starre Regelungen jedoch ab. Sowieso wird zu Beginn strafrechtlicher Ermittlungen mit einem Spurenprofil immer als Erstes der Standard-Suchlauf im Informationssystem durchgeführt. Diese erste Hierarchieebene in der forensischen Anwendung der DNA-Analyse ist also gesetzt. Darüber hinaus aber müssen die Strafverfolgungsbehörden situativ entscheiden können, ob im Einzelfall zuerst eine Massenuntersuchung durchgeführt werden soll oder ein erweiterter Suchlauf. Kann der Personenkreis für eine Massenuntersuchung auf einige wenige Personen eingegrenzt werden (bspw. Bewohnerinnen und Bewohner einer bestimmten Liegenschaft), dürfte zuerst diese Massnahme zur Anwendung gelangen. Geht der Personenkreis hingegen in die Hunderte, wäre der erweiterte Suchlauf dasjenige Instrument, das die Verhältnismässigkeit besser wahrt. Es wird deshalb im Gesetz keine starre Abfolge bezüglich der Anwendung der beiden Massnahmen festgelegt.

161 162

TPF 2015 104 E. 2.4 f.

Vernehmlassungsbericht, S. 7 und 17.

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Im Übrigen ist Folgendes zu beachten: Im DNA-Profil-Informationssystem befinden sich Personen, die «als Täter oder Teilnehmer eines Verbrechens oder Vergehens verdächtigt werden» oder die verurteilt worden sind (Art. 11 Abs. 1 Bst. a bzw. b DNAProfil-Gesetz). Im Falle eines Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug wird das DNAProfil dieser Personen zusätzlich Gegenstand der Überprüfung, ob es eine Ähnlichkeit mit dem Spurenprofil aus einem anderen Ermittlungsverfahren hat, das den erweiterten Suchlauf veranlasst hat. Bezüglich dieses anderen Ermittlungsverfahrens stehen die Personen im Informationssystem nicht unter Tatverdacht, denn sonst hätte ihr Personenprofil bereits beim ersten, regulären Suchlauf, der dem erweiterten Suchlauf immer vorausgeht (vgl. oben, Ziff. 1.1.4, Vorgehen beim Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug), einen Treffer auf das fragliche Spurenprofil erzielt. Die Personen, die ein erweiterter Suchlauf als mögliche Verwandte der Spurenlegerin oder des Spurenlegers erkennt, sind somit einem zusätzlichen Eingriff in ihre Privatsphäre ausgesetzt.

Dieser zusätzliche Eingriff erweist sich indessen als geringfügig im Vergleich zum primären Eingriff, den diese Personen erfuhren, als ihr Personenprofil rechtmässig ­ wegen Tatverdachts oder Verurteilung (Art. 11 Abs. 1 Bst. a bzw. b DNA-ProfilGesetz) ­ in das Informationssystem aufgenommen worden war.

Der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug stellt eine spezielle Ermittlungsmethode dar, die sich auf die kriminalpolizeilich eruierten Verwandtschaftsbeziehungen einer Ausgangsperson im DNA-Profil-Informationssystem stützt. Die anschliessenden Ermittlungen innerhalb des durch diese Verwandtschaftsbeziehungen bestimmten Personenkreises sind dann aber nicht mehr spezieller Natur, sondern erfolgen wie alle strafrechtlichen Ermittlungen auf der Grundlage und nach den Vorgaben der geltenden StPO. Falls sich in einem Verfahren gegen eine zunächst unbekannte Täterschaft die Erkenntnisse aus einem solchen Suchlauf, verknüpft mit den weiteren Ermittlungserkenntnissen, gegenüber einer bestimmten Person zu einem hinreichenden Tatverdacht verdichten, unterscheidet sich diese Person ab diesem Moment in keiner Weise von irgendeiner anderen Person, gegen die in einem Strafverfahren auf der Grundlage der StPO ermittelt wird.163 Es besteht also entgegen in der
Vernehmlassung teilweise geäusserten Meinungen164 kein Bedarf einer speziellen Zeugnisverweigerungsregelung. Insbesondere sind diese Personen nicht «Verwandte» im Sinne von Artikel 168 StPO. Sie sind schlicht «Beschuldigte» oder «Beschuldigter» im Sinne von Artikel 111 StPO, mit allen ihnen von der StPO gewährten Verteidigungsrechten und auferlegten Pflichten.

In jüngster Zeit sind aus dem Ausland verschiedene Fälle bekanntgeworden, in denen die Strafverfolgungsbehörden für eine Eruierung der Verwandtschaftsbeziehungen einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers nicht das jeweilige forensische DNAProfil-Informationssystem nutzten, sondern die Datenbanken privater Anbieter von

163

Ebenso das Bundesstrafgericht in seinem Urteil TPF 2015 104 vom 6. Oktober 2015, in dem es den Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug als mit dem geltenden DNA-ProfilGesetz vereinbar erklärte: Dieser Suchlauf ermögliche es «d'isoler certains individus qui présentent une proximité génétique avec le profil présumé. Le déroulement ultérieur de l'enquête relative à ces individus ­ qui sont exclus d'emblée comme l'auteur présumé sur la base de la trace ­ suivra les règles ordinaires de la procédure pénale, dans laquelle ils disposeront des droits relatifs à leur qualité » (E. 2.4).

164 Vernehmlassungsbericht, S. 17 (SAV).

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Ahnenforschung.165 Im Zusammenhang mit dieser Gesetzesvorlage ist festzuhalten, dass das gesetzlich definierte Instrument des «Suchlaufs nach Verwandtschaftsbezug» nach Artikel 2a E-DNA-Profil-Gesetz und 258a E-StPO bzw. 73w E-MStP den Suchläufen mit DNA-Profilen vorbehalten ist, die nach den Vorgaben des DNA-ProfilGesetzes erstellt worden sind, wobei diese Suchläufe im DNA-Profil-Informationssystem nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz erfolgen müssen. Ein forensisches DNAProfil liesse sich rein technisch von vornherein nicht in einer privaten GenealogieDatenbank abgleichen.

Gliederungstitel nach Art. 258a (2. Abschnitt: Phänotypisierung) Siehe hierzu die Erläuterungen oben, Gliederungstitel nach Kapitel 5.

Art. 258b

Phänotypisierung

Diese Bestimmung regelt die auf der Analyse von Spuren-DNA basierende Feststellung äusserlich sichtbarer persönlicher Merkmale der Spurengeberin oder des Spurengebers ­ oder eben: die Phänotypisierung ­ als strafprozessuales Instrument. Sie steht allein zur Aufklärung von Verbrechen zur Verfügung. Nach der allgemeinen Regelung von Artikel 198 Absatz 1 Buchstabe a StPO liegt die Zuständigkeit zur Anordnung von Zwangsmassnahmen bei der Staatsanwaltschaft. Diese allgemeine Regelung ist auch auf die Phänotypisierung anwendbar. Für die näheren Ausführungen zu diesem Instrument wird auf die obige Ziffer 4.1.1 verwiesen.

Art. 353 Abs. 1 Bst. f bis Mit dem neu eingefügten Buchstaben f bis wird die Auflistung des Inhalts des Strafbefehls um die Angabe der Löschfrist für ein allfällig bestehendes DNA-Personenprofil ergänzt.

165

International Aufsehen erregt hat bislang vor allem die Verhaftung eines Joseph James DeAngelo, des sog. «Golden State Killers». Dieser, der mehrfachen Tötung und Vergewaltigung sowie zahlreicher Einbruchdiebstähle angeklagt, begangen zwischen 1974 und 1986, konnte im April 2018 in Kalifornien verhaftet werden (vgl. hierzu: Dery III George M., Can a Distant Relative Allow the Government Access to Your DNA? The Forth Amendment Implications of Law Enforcement's Genealogical Search for the Golden State Killer and Other Genetic Genealogy Investigations, in: Hastings Science and Technology Law Journal, Vol. 10, Nr. 2, Sommer 2019, auf: https://repository.

uchastings.edu/hastings_science_technology_law_journal/vol10/iss2/2). Inzwischen hat etwa auch in Schweden die Nutzung einer kommerziellen Genealogie-Datenbank die Aufklärung eines zweifachen Tötungsdelikts in Linköping ermöglicht (vgl. The Local vom 9. Juni 2020, How Swedish police tracked down double murder suspect after 16 years, auf: www.thelocal.se/20200609/how-swedish-police-tracked-down-doublemurder-suspect-after-16-years-linkoping, sowie NZZ vom 13. Juli 2020, Ahnenforscher löst ungeklärten Kriminalfall).

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5.2.3

Militärstrafprozess

Art. 15 Abs. 3 Bst. d bis Der Katalog der Massnahmen nach Artikel 15 Absatz 3 MStP, zu deren Anordnung der von der Präsidentin oder vom Präsidenten des Militärkassationsgerichts als seinem Stellvertreter ernannte Offizier befugt ist, wird mittels des neu eingefügten Buchstabens d bis um die «DNA-Analysen» erweitert.

Gliederungstitel nach Art. 73r (Zehnter d Abschnitt: DNA-Analysen) Wie oben bei Ziff. 1.1.5 dargelegt, steht für die Regelung der Verwendung der DNAAnalyse in Strafverfahren ausserhalb der StPO nicht mehr das DNA-Profil-Gesetz zur Verfügung. Diese Regelung ist neu vielmehr im jeweiligen Spezialgesetz vorzunehmen, vorliegend also im MStP, in den entsprechend ein neuer Zehnter d Abschnitt: DNA-Analysen eingefügt wird.

Art. 73s

DNA-Profil. Voraussetzungen im Allgemeinen

Der Wortlaut von Absatz 1 ist identisch mit jenem von Artikel 255 Absatz 1 StPO. Es wird entsprechend mutatis mutandis auf die Erläuterung dieser Norm in der Botschaft StPO verwiesen.166 Für den Absatz 2 wird auf die Erläuterungen zu Artikel 255 Abs. 3 E-StPO verwiesen.

Art. 73t

Massenuntersuchungen

Der Wortlaut des Artikels 73t ist grundsätzlich identisch mit jenem von Artikel 256 E-StPO. Insofern wird auf die obigen Erläuterungen zu dieser letzteren Bestimmung verwiesen. Angepasst wird im Absatz 1 einzig die Anordnungszuständigkeit: Dem zivilen Zwangsmassnahmengericht entspricht im Bereich des militärischen Strafverfahrens die Anordnungsbefugnis der Präsidentin oder des Präsidenten des Militärkassationsgerichts, und die Berechtigung zur Antragstellung ist dem (militärischen) Untersuchungsrichter als dem Gegenüber zur zivilen Staatsanwaltschaft zuzuweisen.

Art. 73u

DNA-Profil von verurteilten Personen

Der Artikel 73u übernimmt unverändert den Wortlaut des geltenden Artikels 257 StPO. Es wird entsprechend auf die Erläuterung dieser Norm in der Botschaft StPO verwiesen.167 Einzig die Sachüberschrift wird redaktionell angepasst.

Art. 73v

Durchführung der Probenahme

Der Artikel 73v übernimmt unverändert den Wortlaut des geltenden Artikels 258 StPO. Es wird entsprechend auf die Erläuterung dieser Norm in der Botschaft StPO verwiesen.168 166 167 168

BBl 2006 1241 f. (Art. 254) BBl 2006 1242 (Art. 256) BBl 2006 1242 (Art. 257)

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Art. 73w

Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug

Der Wortlaut des Artikels 73w ist identisch mit jenem von Artikel 258a E-StPO. Es wird somit auf die obigen Erläuterungen zu dieser letzteren Bestimmung verwiesen.

Die Zuständigkeit für die Anordnung der Massnahme ist gemäss der generellen Regelung von Artikel 62 MStP der Untersuchungsrichterin oder dem Untersuchungsrichter (Art. 4a MStP) übertragen.

Art. 73x

Phänotypisierung

Der Wortlaut des Artikels 73x ist identisch mit jenem von Artikel 258b E-StPO. Es wird somit auf die obigen Erläuterungen zu dieser letzteren Bestimmung verwiesen.

Die Zuständigkeit für die Anordnung der Massnahme ist gemäss der generellen Regelung von Artikel 62 MStP der Untersuchungsrichterin oder dem Untersuchungsrichter (Art. 4a MStP) übertragen.

Art. 73y

Anwendbarkeit des DNA-Profil-Gesetzes

Der Artikel 73y übernimmt unverändert den Wortlaut von Artikel 259 StPO. Es wird somit auf die Erläuterung dieser Norm in der Botschaft StPO verwiesen.169

6

Auswirkungen

6.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

Die durch Phänotypisierung eruierten Merkmale werden ausserhalb des Informationssystems nach Artikel 10 DNA-Profil-Gesetz (CODIS)* und auch ausserhalb des Informationssystems IPAS* mit den Personen- und Falldaten bearbeitet. Es resultiert aus der Anwendung dieses neuen strafprozessualen Instruments somit kein zusätzlicher Aufwand für den Bund. Die Suchläufe nach Verwandtschaftsbezug können von fedpol mit der bestehenden technischen Infrastruktur (DNA-Profil-Informationssystem) umgesetzt werden. Für fedpol ist ein geringer zusätzlicher personeller Aufwand bei der Verfahrenskoordination und der internationalen Polizeikooperation zu erwarten. Dieser kann mit den bestehenden Ressourcen bewältigt werden.

Mit der Neuregelung der Löschfristen und dem damit einhergehenden vereinfachten Löschverfahren ist für den laufenden Betrieb eine Reduktion des Verwaltungsaufwands zu erwarten, denn der Kontrollaufwand im Zuständigkeitsbereich von fedpol sollte tendenziell abnehmen. Die Neuerungen beim Löschprozess erfordern aber Anpassungen der webbasierten Kommunikationsplattform (jMessage Handler) sowie am Informationssystem IPAS. Die einmaligen Kosten hierfür werden im heutigen Zeitpunkt (2020) auf rund 50 000 Franken quantifiziert. Ein zusätzlicher Aufwand resultiert für den Bund zudem aus der Umsetzung der Übergangsbestimmung nach Artikel 23a E-DNA-Profil-Gesetz. Die Zuweisung der Löschfristen nach neuem Recht an die einzelnen altrechtlichen Profile wird zwar in erster Linie eine Aufgabe 169

BBl 2006 1243 (Art. 258)

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der Kantone sein (siehe nachfolgend Ziff. 6.2, Auswirkungen auf die Kantone). Aber der Bund hat diese Anpassungen zu begleiten und zu überwachen, um sicherzustellen, dass diese gemäss den gesetzlichen Vorgaben erfolgen, insbesondere in zeitlicher Hinsicht. Dieser Aufwand kann mit den bestehenden Ressourcen bewältigt werden.

6.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die DNA-Analyselabors stellen der auftraggebenden Behörde rund 200 Franken für die Erstellung eines DNA-Personenprofils in Rechnung und rund 400­500 Franken für ein Spurenprofil. Das DNA-Profil basiert auf der Auswertung von 16 Markern*, die nach einem Standardverfahren simultan analysiert werden. Demgegenüber sind für eine Phänotypisierung ungefähr 200 Marker zu analysieren. Um die Merkmale der Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie der biogeografischen Herkunft einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers festzustellen, werden die neuen Verfahren des sogenannten Next Generation Sequencing (NGS) zu verwenden sein. Diese ermöglichen es, die erforderlichen genetischen Informationen mittels einer einzigen Analyse zu gewinnen. Diese Analysen erfordern den Einsatz spezieller Geräte, Reagenzien und Informatikprogramme. Nach einer groben Schätzung werden sich die Kosten für die Phänotypisierung einer Spur je nach Analyse- und Interpretationsaufwand zwischen 1000 und 5000 Franken bewegen. Präzisere Angaben werden erst gemacht werden können, wenn die technischen und molekulargenetischen Anforderungen an die Analyseverfahren im Einzelnen festgelegt sind. Diesen Kosten werden die Einsparungen beim polizeilichen Ressourceneinsatz im konkreten Einzelfall gegenüberzustellen sein, die sich aus einer gezielteren Ermittlungsarbeit ergeben.

Alle bisherigen Suchläufe nach Verwandtschaftsbezug sind von kantonalen Strafverfolgungsbehörden durchgeführt worden und betrafen überwiegend schwere Delikte gegen Leib und Leben. Kosten generiert dieses Instrument überwiegend in der Ermittlungsphase, die ausserhalb des Informationssystems des Bundes und der Tätigkeit der Labors im alleinigen Zuständigkeitsbereich der ­ kantonalen ­ Strafverfolgung erfolgt. Auch hier gilt, dass die Kantone die Höhe dieses Aufwands bis zu einem gewissen Grad selbst steuern können, je nachdem, wie häufig sie diese Instrumente einsetzen. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass sich dank der neu möglichen Zusatzanalysen der heute teilweise enorme Ermittlungsaufwand im Einzelfall künftig deutlich reduzieren lassen sollte.

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich aus der Neuregelung der Löschfristen für die DNA-Personenprofile und dem damit einhergehenden vereinfachten Löschprozess bei den Kantonen eine Reduktion des Verwaltungsaufwands ergeben wird.
Reduziert wird der Verwaltungsaufwand dabei nicht nur bei den in CODIS bearbeiteten DNA-Profilen, sondern auch bei den im Informationssystem AFIS (Automated Fingerprint Identification System) bearbeiteten Daten, also vor allem den Finger- und Handballenabdrücken, denn die Löschregelungen für die Daten in diesen beiden Informationssystemen sind inzwischen harmonisiert (siehe oben, Ziff. 4.1.2 am Ende).

Kurz- bis mittelfristig allerdings wird die Umsetzung der Übergangsregelung nach Artikel 23a E-DNA-Profil-Gesetz einen erheblichen Arbeitsaufwand für die Kantone nach sich ziehen.

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6.3

Auswirkungen in weiteren Bereichen

Es ist offensichtlich, dass in den weiteren Bereichen wie Volkswirtschaft, Gesellschaft oder Umwelt keine Auswirkungen zu erwarten sind; die entsprechenden Fragen wurden daher nicht geprüft.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

7.1.1

Gesetzgebungskompetenz

Nach Artikel 123 BV ist der Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts und des Strafprozessrechts befugt.

7.1.2

Vereinbarkeit mit den Grundrechten

Phänotypisierung (Art. 2b E-DNA-Profil-Gesetz; Art. 258b E-StPO und Art. 73x E-MStP) Die Phänotypisierung berührt das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV). Das Bundesgericht qualifiziert die Erstellung und Bearbeitung von DNA-Profilen zur Täteridentifikation nach geltendem Recht als leichte Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das DNA-Profil sei mit einem «klassischen Fingerabdruck» zu vergleichen, denn es basiere auf «persönlichkeitsneutralen Merkmalen des betreffenden Menschen».170 Demgegenüber unterscheidet sich die Phänotypisierung vom Standard-DNA-Personenprofil unter dem Blickwinkel des Grundrechtseingriffs in zweifacher Hinsicht: Ausgewertet werden persönlichkeitsrelevante Merkmale, dies allerdings aus einer Spur, also aus tatrelevantem biologischem Material, das sich in diesem Zeitpunkt keiner bestimmten Person zuordnen lässt.

Mit der vorliegenden Ergänzung des DNA-Profil-Gesetzes sowie der StPO und des MStP wird die Phänotypisierung auf formell-gesetzlicher Ebene geregelt, womit diese allgemeine Anforderung an schwerwiegende Einschränkungen von Grundrechten gemäss Artikel 36 Absatz 1 zweiter Satz BV erfüllt ist. Einschränkungen von Grundrechten bedürfen nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern müssen auch durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Allgemeiner Auftrag des Strafprozessrechts ist es, «die prozessualen Behelfe zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind, um die Durchsetzung des sich aus dem materiellen Strafrecht ergebenden staatlichen Strafanspruchs und der weiteren Rechtsfolgen zu ermöglichen». 171 Das öffentliche Interesse an der Einschränkung der persönlichen Freiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Spurenleger 170 171

BGE 128 II 259 E. 3.3 Schmid Niklaus/Jositsch Daniel, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. A., Zürich/St. Gallen 2017, Rz. 6.

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durch eine Phänotypisierung liegt darin, dass die Erkenntnisse über äusserlich sichtbare Merkmale, die mittels dieses Instruments gewonnen werden, die Aufklärung eines Verbrechens unterstützen kann. Die «Verhinderung zukünftiger und Aufklärung geschehener Straftaten» liegen «immer» im öffentlichen Interesse.172 Oben bei den Erläuterungen zu Artikel 2 Absatz 2 E-DNA-Profil-Gesetz ist aufgezeigt worden, dass es mit den heute zur Verfügung stehenden forensischen Analysen möglich ist, aus einer tatrelevanten DNA-Spur Erkenntnisse zum äusseren Erscheinungsbild einer Spurenlegerin oder eines Spurenlegers zu gewinnen, die für die Zwecke der Strafverfolgung geeignet sind. Die Massnahme ist somit für die Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet. Die obige Ziffer 1.1.2, Die Phänotypisierung als Instrument der Strafverfolgung, legt weiter dar, dass es für die Strafverfolgung erforderlich sein kann, bei der Aufklärung von Verbrechen in bestimmten Fällen über das Instrument der Phänotypisierung zu verfügen, nämlich vor allem dann, wenn die herkömmlichen Ermittlungsinstrumente keinerlei Erkenntnisse zur Täterschaft erbracht haben. Schliesslich muss der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Freiheitsbeschränkungen stehen, die den Privaten auferlegt werden.

Die Phänotypisierung wird einzig zur Bekämpfung von Verbrechen eingesetzt, und dies im Einzelfall nur unter der Voraussetzung, dass die anderen Ermittlungsinstrumente ausgeschöpft worden sind und nur die Phänotypisierung die Ermittlungen entscheidend voranbringen kann. Angesichts dessen, dass zudem mittels Phänotypisierung nur äusserlich sichtbare Merkmale eruiert werden dürfen, also unter Ausschluss von gesundheitsbezogenen Eigenschaften oder persönlichen Eigenschaften wie Charakter, Verhalten und Intelligenz, ist der Eingriff in die persönliche Freiheit und die informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Person zumutbar. Damit ist der mit einer Phänotypisierung bewirkte Grundrechtseingriff verhältnismässig im Sinne von Artikel 36 Absatz 3 BV.

Eigenständig ist bei einem Grundrechtseingriff zu prüfen, ob der absolut geschützte Kernbereich der betroffenen Person gewahrt bleibt (Art. 36 Abs. 4 BV). Die Phänotypisierung erstreckt sich grundsätzlich über das gesamte Genom. Mit dieser neuen Form der DNA-Analyse
wird somit molekulargenetisch eine Analysetiefe erreicht, die über diejenige bei der Erstellung des Standard-DNA-Profils weit hinausgeht.

Diese qualitative Ausweitung unterliegt indessen zwei entscheidenden Einschränkungen: (a) Bei der Phänotypisierung wird immer nur biologisches Spurenmaterial unbekannter Herkunft analysiert ­ also Spurenmaterial, das in diesem Zeitpunkt keiner bestimmten Person zugeordnet werden kann. Die Erkenntnisse aus der Phänotypisierung selbst sind nie individual-, sondern immer nur personengruppenspezifisch. (b) Die Phänotypisierung unterliegt der gesetzlichen Einschränkung, dass einzig Merkmale ausgewertet werden dürfen, die äusserlich sichtbar sind (Artikel 2b E-DNA-ProfilGesetz). Es werden somit keine Erkenntnisse über eine noch nicht bekannte Person eruiert, die diese nicht zuvor schon gegenüber der Öffentlichkeit offenbart hat ­ Erkenntnisse also, wie sie die Strafverfolgungsbehörden seit jeher für eine Fahndung nach Artikel 210 f. StPO verwenden. Damit ist mit der vorliegenden gesetzlichen Regelung sichergestellt, dass durch die Phänotypisierung der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit nicht berührt wird.

172

BGE 120 Ia 147 E. 2.d. Vgl. hierzu auch: Schweizer, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV, Rz. 57; BSK StPO-Weber, Art. 197 N 3.

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Neue Regelung der Löschung der DNA-Personenprofile (Art. 16­17a E-DNA-Profil-Gesetz) Wie eingangs erwähnt, qualifiziert das Bundesgericht die Erstellung und Bearbeitung von DNA-Profilen zur Täteridentifikation nach geltendem Recht als «leichte Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV)».

Wie sich nicht zuletzt aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts schliessen lässt, kann die geltende Löschregelung als verhältnismässig beurteilt werden. Die vorliegende Anpassung des Artikels 16 DNA-Profil-Gesetz ändert nichts daran, dass diese Norm weiterhin in einem hohen Mass ausdifferenziert ist. Soweit in Artikel 16 Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz neue, längere Löschfristen eingeführt werden, bezwecken diese keine absolute Verlängerung gegenüber dem geltenden Recht, sondern lediglich eine relative: Sie sollen den Umstand ausgleichen, dass der Beginn des Laufs der Aufbewahrungsfrist vom Vollzugszeitpunkt auf den in jedem Fall früheren Urteilszeitpunkt verlegt wird.

Im Übrigen ist unverändert darauf hinzuweisen, dass das DNA-Profil-Informationssystem der Strafverfolgungsvorsorge dient, also potenzielle und zukünftige strafrechtliche Ermittlungen unterstützen soll. Es stellt also wie alle Informationssysteme zur Bearbeitung erkennungsdienstlicher Daten ein reines Ermittlungsinstrument dar. Das Interesses der betroffenen Person, bei einer Wiederholungstat oder bei der Aufdeckung einer von ihr bereits früher begangenen Tat unerkannt zu bleiben, ist als weniger schutzwürdig zu beurteilen als das Interesse der Öffentlichkeit an der raschen Aufklärung von Straftaten und der Verhinderung von Wiederholungstaten. Als Instrument für strafrechtliche Ermittlungen steht das DNA-Profil-Informationssystem auch einzig und allein den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung. Es unterscheidet sich hierin insbesondere vom Strafregister; Letzteres hat eine Informations- und Dokumentationsfunktion zugunsten eines (zweckgebunden) breiten Kreises von Behörden und Privatpersonen, der weit über die Strafverfolgung hinausgeht.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Zahlreiche im Rahmen des Europarates und der UNO ausgearbeitete Instrumente befassen sich mit strafprozessualen Fragen. Im Vordergrund stehen der Internationale Pakt vom 16. Dezember 1966173 über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR, UN-Pakt II) und, auf europäischer Ebene, die EMRK.

Die vorgeschlagene Regelung ist vereinbar mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK, Art. 17 IPBPR).

Der IPBPR und die EMRK enthalten eine Reihe weitgehend übereinstimmender Garantien, die im Strafverfahren zu beachten sind. Dabei hat bis heute die EMRK für die strafprozessuale Gesetzgebung und Praxis in Bund und Kantonen die grössere Bedeutung erlangt. Die mit dieser Gesetzesvorlage vorgeschlagenen Neuerungen und

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SR 0.103.2

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Anpassungen bestehenden Rechts sind mit den genannten internationalen Verpflichtungen vereinbar.

7.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit Artikel 2b Absatz 4 E-DNA-Profil-Gesetz wird der Bundesrat zum Erlass von gesetzesvertretendem Verordnungsrecht ermächtigt.

7.4

Datenschutz

Soweit auf der Grundlage der geänderten Bestimmungen des DNA-Profil-Gesetzes Personendaten bearbeitet werden, sind die dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen im Entwurf enthalten (vgl. insbesondere die Art. 3, 9, 9a, 11 und 16­17a).

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Glossar Allel Allele sind Varianten an einem bestimmten Ort auf der DNA. Da die DNA zur einen Hälfte von der Mutter stammt und zur anderen vom Vater, weist jeder einzelne Locus je zwei Ausprägungen oder eben Allele auf.

Chromosom Die Chromosomen sind Bestandteile von Zellen. Sie sind die Träger der Erbinformationen. Die Chromosomen werden unterschieden nach Autosomen (Chromosomen, die nicht zu den Geschlechtschromosomen gehören) und Gonosomen (Geschlechtschromosomen). Der Mensch verfügt über 46 Chromosomen bzw. 23 Chromosomenpaare. Die Autosomen umfassen 22 Chromosomenpaare, das 23. Chromosomenpaar ist das Gonosom. Das Gonosom besteht bei Männern aus einem X-Chromosom von ihrer Mutter und einem Y-Chromosom von ihrem Vater. Frauen erhalten sowohl ein X-Chromosom von ihrer Mutter als auch eines von ihrem Vater.

CODIS (Combined DNA Index System) DNA-Profil-Informationssystem DNA Die Erbsubstanz DNA (engl. deoxyribonucleic acid, deutsch: Desoxyribonukleinsäure, DNS) befindet sich im Kern aller Zellen des menschlichen Körpers (mit Ausnahme der roten Blutkörperchen). Sie besteht aus Nukleotiden (Molekülen), die aus einer von vier Grundbausteinen (Basen) aufgebaut sind: Cytosin, Guanin, Adenin und Thymin. Dabei verbindet sich Adenin immer mit Thymin und Cytosin immer mit Guanin zu einem Basenpaar. Die durch diese Verbindungen entstehende «Strickleiter» windet sich zu einer Doppelhelix, die sich weiter zu Chromosomen formiert. Die gesamte Erbinformation ist in 23 Chromosomenpaaren erfasst. Die Abfolge der Basenpaare wird als DNA-Sequenz bezeichnet. In der DNA befinden sich die Gene.

DNA-Profil Gemäss Legaldefinition in Artikel 2 Absatz 1 DNA-Profil-Gesetz besteht das DNAProfil aus einem «Buchstaben-Zahlen-Code». Dieser Code kommt wie folgt zustande: Auf dem DNA-Strang existieren Genorte (Loci, engl. Marker), bei denen sich bestimmte Basenpaar-Einheiten (DNA) unterschiedlich oft wiederholen. Diese Wiederholungen werden als kurze Tandemwiederholungen bezeichnet, in der allgemein verwendeten englischen Terminologie: Short Tandem Repeats (STRs). Die Anzahl der Wiederholungen auf einem bestimmten Genort bzw. deren Länge kann gemessen werden. Diese spezifischen Längenvariationen sind von Mensch zu Mensch verschieden (sog. Längen-Polymorphismus; Ausnahme: eineiige Zwillinge). Es ist dieser Umstand, der es ermöglicht, die STRs für Identifizierungszwecke zu verwenden. Die bei der Analyse festgestellte Anzahl der Wiederholungen pro Genort wird in einfachen

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Zahlenwerten (z. B. vWA 16­18) angegeben. Gemäss Artikel 1 Absatz 5 in Verbindung mit Anhang DNA-Analyselabor-Verordnung EJPD174 sind in der Schweiz zur Erstellung des DNA-Profils 16 Genorte zu analysieren. Hinzu kommt die Analyse des Markers Amelogenin zur Geschlechtsbestimmung. Das DNA-Profil besteht somit aus 32 Zahlenangaben (16 Loci mit je 2 Allelen). Diese werden ergänzt durch die Angabe des Geschlechts der Person: XX für die Frau, XY für den Mann. Damit von einem exakten Treffer, also von einer exakten Übereinstimmung zwischen zwei (vollständigen) Standard-DNA-Profilen (Person oder Spur) gesprochen werden kann, müssen diese in allen 32 Allelen übereinstimmen.

DNA-Profil-Informationssystem Das schweizerische DNA-Profil-Informationssystem basiert auf Artikel 10 DNAProfil-Gesetz. Die darin bearbeiteten DNA-Profile (Person oder Spur) sind einzig mittels einer Prozesskontrollnummer gekennzeichnet. Die dazugehörigen Personen- und Falldaten sind im eigenständigen, physisch getrennten Informationssystem IPAS gespeichert. Betrieben wird das Informationssystem mit der Software CODIS (Combined DNA Index System).

Gen Als Gen wird ein bestimmter Abschnitt auf der DNA bezeichnet, der die Grundinformationen für den Aufbau von Proteinen enthält und somit die Grundlage für die Steuerung der biochemischen Prozesse des Stoffwechsels und damit die Entwicklung der Eigenschaften darstellt. Das menschliche Genom umfasst ungefähr 22 500 Gene.

Haplotyp Als Haplotyp (verkürzt aus «haploider Genotyp») bezeichnet man die Kombination von Merkmalen (Varianten) von mehreren DNA-Loci auf demselben, einzelnen (haploiden) DNA-Strang, z.B. dem Y-Chromosom oder der mitochondrialen DNA, die zusammen vererbt werden. Haplotypen werden unverändert an die Nachkommen vererbt, z.B. die Y-chromosomale DNA, die nur von Vätern an ihre Söhne vererbt wird, oder die mtDNA, die nur von Müttern an ihre Kinder beiden Geschlechts weitervererbt wird.

IPAS Informatisiertes Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem im Bundesamt für Polizei fedpol (IPAS), auf der Grundlage von Artikel 19 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 2008175 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI). Im IPAS werden die Personen- und Falldaten zu den einzelnen in CODIS gespeicherten DNA-Profilen bearbeitet. Die Verknüpfung zwischen diesen Daten und dem dazugehörigen DNA-Profil erfolgt mittels der Prozesskontrollnummer.

174 175

SR 363.11 SR 361

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Locus (Pl.: Loci; auch: Marker) Ein bestimmter Abschnitt auf der DNA. Es wird unterschieden zwischen autosomalen Markern (auf einem der Autosomen [Chromosom] befindlich), geschlechtschromosomalen Markern (auf dem X- oder Y-Chromosom befindlich) und mitochondrialen Markern (in der mitochondrialen DNA befindlich).

Mitochondriale DNA Die mitochondriale DNA befindet sich ausserhalb des Zellkerns in den Mitochondrien, die für die Energieversorgung einer Zelle zuständig sind. Das Ergebnis der Analyse der mitochondrialen DNA ist die Bestimmung ihres sogenannten Haplotyps.

Bei der Untersuchung tatrelevanter Spuren gelangt die Analyse der mitochondrialen DNA nur in Ausnahmefällen zur Anwendung. Sie ist hier jedoch von ganz spezifischem Nutzen. Die mitochondriale DNA ist in jeder Zelle in grosser Zahl vorhanden.

Dies hat zur Folge, dass sie sich häufig auch dann noch typisieren lässt, wenn die Kern-DNA selbst nur in ungenügender Menge oder nur schwer beschädigt (degradiert) vorhanden ist. Weist bspw. ein am Opfer sichergestelltes Haar keine Wurzel mehr auf, kann immer noch die ausserhalb des Kerns in den Mitochondrien enthaltene DNA untersucht werden. Und: Mit der mitochondrialen DNA lassen sich Verwandtschaftskonstellationen feststellen. Denn die mitochondriale DNA wird als ganzes Molekül über die mütterliche Linie vererbt, also von der Mutter an ihre Kinder (Söhne und Töchter; maternaler Erbgang). Bezüglich der Bestimmung von Abstammungslinien ist die mitochondriale DNA somit das mütterliche «Pendant» zum Y-Chromosom.

Polymorphismus Variation bei der genetischen Information zwischen einzelnen Personen. Single Nucleotide Polymorphism (NSP); DNA-Profil; Phänotypisierung.

Phänotypisierung Unter Phänotypisierung versteht man die Vorhersage des äusseren Erscheinungsbildes einer Person durch Auswertung einer DNA-Spur. Es werden dabei DNASequenzen untersucht, die mit persönlichen Eigenschaften der Person assoziiert werden.

Prozesskontrollnummer Die Prozesskontrollnummer (Process Control Number, PCN) ist ein aktuell neunstelliger Zahlencode, mit der ein jedes DNA-Personen- und Spurenprofil wie auch das dazugehörige biologische Material (Probe) individuell und untrennbar sowie unabänderlich während seiner gesamten Lebensdauer gekennzeichnet ist. Mittels der PCN kann fedpol ein bestimmtes, im Informationssystem
CODIS gespeichertes DNAPersonen- oder Spurenprofil mit den dazugehörigen Personen- und Falldaten im eigenständigen, physisch getrennten Informationssystem IPAS verknüpfen.

Short Tandem Repeat (STR) DNA-Profil

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Single Nucleotide Polymorphism (SNP) Der Einzelnukleotid-Polymorphismus stellt eine spezielle Art von Polymorphismus dar, die in der Variation eines einzelnen Basenpaars (DNA) besteht: Eine der vier Basen der DNA A, C, G oder T ist innerhalb einer Sequenz ausgetauscht (also bspw.

A statt G).

Y-DNA-Profil Beim Y-DNA-Profil handelt es sich um ein DNA-Profil, dessen Loci auf dem Y-Chromosom liegen. Nur männliche Personen verfügen über ein Y-Chromosom (Chromosom). Das Y-Chromosom wird ­ Mutationen ausgenommen ­ unverändert vom Vater an seine Söhne vererbt. Das bedeutet, dass alle männlichen Personen aus der gleichen väterlichen Linie (Vater, Söhne, Brüder etc.) unabhängig vom Verwandtschaftsgrad über alle Generationen hinweg das gleiche Y-DNA-Profil aufweisen. Dieses ist somit im Unterschied zum Standard-DNA-Profil nicht individualspezifisch.

Wie die autosomalen Chromosomen enthält auch das Y-Chromosom Short Tandem Repeats (DNA-Profil), deren Länge sich messen und wie beim Standard-DNAProfil in einem Zahlencode wiedergeben lässt. Damit lässt sich das Y-DNA-Profil für exakte Profilvergleiche und in einem Informationssystem für Profilabgleiche verwenden.

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Literaturverzeichnis Wissenschaftliche Literatur Donatsch Andreas/Lieber Viktor/Summers Sarah/Wohlers Wolfgang (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich, 2020.

(zit. Zürcher Kommentar StPO-AutorIn, Art. N).

Kayser Manfred, Forensic use of Y-chromosome DNA: a general overview.

Human Genetics, Vol. 136/2017, S. 621 ff. (zit. Kayser, Y-chromosome).

Niggli Marcel Alexander/Heer Marianne/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung ­ Jugendstrafprozessordnung, Basel, 2014 (zit. BSK StPO-BearbeiterIn, Art. N).

Vuille Joëlle, Hicks Tacha, Kuhn André, Les recherches familiales basées sur les profils d'ADN (ou recherches en parentèle) en droit suisse, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Band 131/2013, S. 141 ff. (zit. Vuille et al., Recherches familiales).

Materialien Botschaft des Bundesrates vom 8. November 2000 zum Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten und vermissten Personen, BBl 2001 29.

Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085.

Botschaft des Bundesrates vom 5. Juli 2017 zum Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), BBl 2017 5597.

Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Legal Opinion on the Regulation of the Use of DNA in Law Enforcement, Avis 20-016, Lausanne, 28. August 2020, auf: www.isdc.ch/media/1953/e-2020-02-20-016-use-of-dna.pdf (zit. SIR, Legal Opinion).

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