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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs von Emil Stocker und J. Nick in ßüron, Kanton Luzern, betreffend Gemeinderatswahl in Büron.

(Vom 17. August 1897.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den Rekurs von Emil S t o c k e r und J. N i c k in Büron, Kanton Luzern, betreffend Gemeinderatswahl in Büron, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Den 25. April 1897 fand in der Gemeinde Büron, Kanton Luzern, nebst ändern Wahlen auch die Wahl eines Gemeinderatsmitgliedes statt. Die Mitglieder des Wahlbureaus konnten sich über das Ergebnis der Wahlverhandlung nicht einigen, weshalb die Mehrheit sowohl wie die Minderheit des Bureaus je eine besondere ,,Wahlurkunde" ausfertigte. Gemäß der Urkunde der Bureaumehrheit sind 165 Stimmen abgegeben worden; hiervon sind

93 28 Stimmen, einschließlich 8 in unverschlossenen Couverts, als ungültig abzuziehen, so daß das absolute Mehr 69 beträgt; Friedensrichter Robert Wyß hat 75 Stimmen, Josef Steiger. Kapf, 57 Stimmen erhalten, ersterer ist demnach gewählt. Nach der Urkunde der Bureauminderheit sind von den 165 abgegebenen Stimmen nur 14 ungültig, so daß bei einem absoluten Mehr von 76 die Wahl nicht zu stände gekommen ist, da Wyß nur 75, Steiger dagegen nur 71 Stimmen erhalten hat.

II.

Infolge Rekurses von J. Pfenniger und Genossen erklärte der Regierungsrat des Kantons Luzern den 14. Mai, es sei weder Wyß noch Steiger als zum Gemeinderatsmitglied von Büron gewählt erklärt, und es habe daher Sonntag den 23. Mai die Fortsetzung der Wahlverhandlung stattzufinden. Bei dieser Entscheidung ging der Regierungsrat u. a. von folgenden Erwägungen aus : 8 Stimmcouverts, die nicht zugeklebt waren, sind entgegen der in beiden Wahlurkunden zum Ausdrucke kommenden Auffassung als gültige Stimmabgabe zu behandeln. Die in denselben enthaltenen Stimmen können aber keinem der Wahlkandidaten zugeteilt werden, da infolge der vorgefallenen Unregelmäßigkeiten bei Versiegelung des Stimmkartenpakets keine Garantie dafür vorhanden ist, daß die Stimmkarten in gleicher Beschaffenheit, wie sie von den Wählern in die Urne gelegt worden sind, gegenwärtig noch vorhanden sind.

15 als Stimmzettel verwendete gedruckte Kandidatenlisten, auf denen nur einzelne Namen handschriftlich verändert worden sind, sind nach feststehender Praxis gültig, wenn nur der Name eines wählbaren Bürgers auf der Liste stehen bleibt; diese 15 Stimmzettel lauteten auf den Namen Steiger, sie sind daher, entgegen der Auffassung der Bureaumehrheit, diesem Kandidaten zuzuzählen.

Aus demselben Grunde sind aber auch 2 weitere Stimmzettel Wyß zuzuzählen ; hingegen ist diesem eine Stimme in Abzug zu bringen, da die betreffende Stimmkarte gar nicht auf seinen Namen lautete.

Das Ergebnis ist demnach : Wyß hat erhalten 75 -|- 2 -- l = 76 Stimmen; Steiger hat erhalten 57 -4- 15 = 72 Stimmen; für das absolute Mehr kommen in Betracht: 76 -)- 72 + 8 -)- l = 157, es beträgt also 79 ; demnach ist weder Wyß noch Steiger gewählt.

III.

Gegen diese Entscheidung ergriffen den 20. Mai 1897 Emil Stocker und J. Nick den Rekurs an den Bundesrat mit dem Be-

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gehren, Wyß als gewählt zu erklären und die Fortsetzung der Wahlverhandlung zu suspendieren ; sie machen geltend, daß das absolute Mehr 76 Stimmen betrage, indem von den 165 Stimmen 14 Stimmen abzuziehen seien, die von beiden Parteien als ungültig bezeichnet worden sind ; sodann verlangen sie, daß die 15 gedruckten Kandidatenlisten, die handschriftliche Änderungen aufweisen, als ungültige Stimmabgabe zu behandeln seien, wodurch das absolute Mehr auf 69 herabsinke, und endlich erklären sie es für unzulässig, die 8 unverschlossenen Couverts als gültige Stimmen zu zählen, wenn nicht ermittelt würde, auf wen sie lauten.

IV.

Dem Sistierungsbegehren der Rekurrenten entsprach der Bundesrat mit Verfügung vom 21. Mai.

V.

Der Regierungsvat von Luzern bestreitet in seiner Rekursbeantwortung vom 31. Mai 1897 zunächst die Kompetenz des Bundesrates, auf den Rekurs einzutreten; denn sowohl die Frage der Gültigkeit der als Stimmzettel verwendeten gedruckten Kandidatenliste, auf der handschriftliche Änderungen angebracht sind, wie auch die Frage der Ausrechnung des Wahlergebnisses sind nach den luzernischen Wahlgesetzen und nicht nach kantonalem Verfassungsrecht oder ßundesrecht zu beantworten. Sodami beharrt er darauf, daß für Ausmittelung des absoluten Mehrs 157 Stimmen in Betracht kommen ; selbst unter Abzug der 2 auf Wyß lautenden Stimmkarten, die der Regierungsrat im Gegensatz zum Wahlbureau als gültig behandelt hat, wäre das absolute Mehr immer noch 7S und Wyß wäre mit seinen 74 gültigen Stimmen keineswegs gewählt. Da aber das Luzerner Gesetz über Wahlen und Abstimmungen das Durchstreichen einzelner Namen auf den Kandidatenlisten nicht verbietet, so sind die 17 in der Urne vorgefundenen gedruckten Kandidatenlisten, die mit handschriftlichen Änderungen versehen waren, als gültige Stimmen zu behandeln.

Bezüglich der 8 unverschlossenen Stimm couverts ist hervorzuheben, daß die Mehrheit des Wahlbureaus anfänglich die Ungültigkeit dieser Stimmen aussprach, daß sie jedoch später der Minderheit beipflichtete, welche dieselben für gültig erklärte ; infolge dieser Übereinstimmung der Mitglieder des Wahlbureaus hat die Oberinstanz keinen Anlaß zu einer Entscheidung. Die fraglichen 8 Stimmcouverts enthalten eine gültige Stimmabgabe. Indessen

95 haben die Rekurrenten selbst als Mitglieder .der Mehrheit des Wahlbureaus die Ermittelung und Erwahrung des Inhalts verhindert.

Eine Nachprüfung kann nicht mehr vorgenommen werden, da die Bureauminderheit bestimmt erklärt, es sei wahrscheinlich, daß der ursprüngliche Inhalt dieser offenen Stimmcouverts verändert worden sei.

VI.

In der Replik vom 17. Juli beharren die Rekurronton auf ihrem in der Beschwerdeschrift eingenommenen Standpunkt; sie betonen wiederholt, daß gegenüber der Übereinstimmung der Bureaumehrheit und -minderheit dem Regierungsrat bezüglich der Ungültigkeit von 14 Stimmen keine Befugnis zustehe, irgend eine von diesen Stimmen als gültig zu betrachten; in ihrer Duplik vom 30. Juli präcisiert und erläutert die Regierung ihre in der Antwort enthaltenen Angaben ; die Wahl ist, wenn man von der Wahlurkunde der Bureauminderheit ausgeht, ohne weiteres nicht zu Stande gekommen ; das gleiche Resultat ergab sich aber auch bei näherer Untersuchung der Wahlurkunde der Bureaumehrheit.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Inwiefern vom Standpunkte des kantonalen Rechts eine Regierung bei Entscheidungen von Wahlrekursen an die Erklärungen der Wahlbureaux gebunden ist, braucht nicht untersucht zu werden.

Die Bundesinstanz prüft und entscheidet Wahlrekurse auf Grund der durch die kantonale oder durch die eigene Untersuchung festgestellten Thatsachen. Es ist daher ohne weiteres der Ausgangspunkt der Rekurrenten unhaltbar, die verlangen, daß von den 1(55 abgegebenen Stimmen 14 als ungültig in Abzug gebracht werden, da nach der Wahlurkunde der Bureaumehrheit 28, nach derjenigen der Bureauminderheit 14 Stimmen ungültig sind, also bezüglich 14 Stimmen Übereinstimmung herrsche.

n.

Bei Mehrheit zugehen Stimmen

Festsetzung der bei einer Wahl maßgebenden absoluten ist von der Gesamtheit der abgegebenen Stimmen ausund sind nach Anweisung der Gesetze die ungültigen vorerst abzuziehen oder in Verbindung mit den gültigen

06 Stimmen zu berücksichtigen. In willkürlicher Weise berücksichtigt aber die Luzerner Regierung in der angefochtenen Entscheidung behufs Festsetzung der absoluten Mehrheit, abgesehen von den 8 unverschlossenen Couverts, nur die auf die beiden Hauptkandidaten gefallenen Stimmen, nicht aber die auf andere Namen lautenden Stimmzettel, während sieh doch aus beiden Wahlurkundeu ergiebt, daß 5 Stimmzettel auf andere Namen als auf Steiger und Wyß lauteten.

in.

Unbestrittenermaßen wurden den 25. April für die Wahl eines Mitgliedes dos Gemeinderates von ßüron 165 Stimmkarten ausgeteilt und ebenso viele in die Urne eingelegt. Da nach Luzerner Praxis ungültige Stimmabgabe für Festsetzung des absoluten Melirs außer Betracht fällt, so sind von 165 Stimmen abzuziehen : a. 8 Stimmen ; es sind dies die 8 in unverschlossenen Couverts enthaltenen Stimmen ; der Bundesrat hat keine Veranlassung von seiner Auffassung über die rechtliche Bedeutung unverschlossener Wahlcouverts abzugehen, die er in der Entscheidung Gut und Konsorten den 25. März 1897 (Bundesbl. 1897, III, S. 255 ff.)

begründet hat.

&. Wenn die Luzeruer Regierung in Nachachtung feststellender Praxis 17 als Stimmzettel eingelegte gedruckte Kandidatenlisten, auf denen indes einzelne Namen handschriftlich verändert worden sind, als gültige Stimmen behandelt, so ist hiergegen von Bundes wegen schon deshalb nichts einzuwenden, weil es sich dabei um eine Interpretationsfrage kantonalen Gesetzesrechtes handelt.

e. Die oben genannten 8 und 17 Stimmen sind in den von der Bureaumehrheit als ungültig behandelten 28 Stimmen enthalten ; nach Ausscheidung derselben verbleiben also noch 3 ungültige Stimmen, über die der Bundesbehörde weder von den Rekurrenten, noch von der Regierung irgend etwas Näheres mitgeteilt worden ist; die Bundesbehörde hat keine Veranlassung, diese 3 Stimmen anders zu behandeln, als die kantonalen Instanzen.

In den 14 laut Wahlurkunde der Bureauminderheit ungültigen Stimmen sind die mehrgenannten 8 unverschlossenen Wahlcouverts enthalten, ferner 2 der oben besprochenen 17 Kandidatenlisten, die auf Wyß lauteten, sodann l Stimme, die von der Bureaumehrheit Steiger als gültige Stimme zugezählt worden ist (nach der ßureaumehrheit hat Steiger 57, nach der Bureauminderheit dagegen nur 56 -|- 15 Stimmen), endlich die bereits erwähnten 3 ungültigen Stimmen, über die keine näheren Angaben vorliegen.

97 Für das absolute Mehr fallen also in Betracht 165 -- 8 -- 3 = 154 oder 165 -- 8 -- 4 = 153 Stimmen, es beträgt also 78 oder 77.

IV.

Für die Zuteilung der Stimmen gilt nun : Wyß hat erhalten 75 Stimmen, hiervon ist abzuziehen l Stimme, die laut unbeanstandeter Feststellung nur mündlich für ihn abgegeben worden ist, dagegen sind ihm · zuzuzählen die 2 der als gültig zu behandelnden 17 gedruckten Kandidatenlisten, die auf seinen Namen lauten.

Da ihm demnach nur 76 Stimmen zukommen, so kann er nicht als gewählt erklärt werden, sei es, daß man als absolutes Mehr die Zahl 77 oder die Zahl 78 annimmt.

Ebensowenig ist Steiger gewählt, der 57 (nach Ansicht der Bureauminderheit nur 56) Stimmen erhalten hat und dem weitere 15 Stimmen (d. h. 15 der oben genannten 17 Kandidatenlisten) zuzuzählen sind, so daß er mit 72 oder 71 Stimmen gleichfalls unter dem absoluten Mehr steht.

V.

Aus den bisherigen Erörterungen ergiebt sich, daß die Regierung von Luzern mit Unrecht die Inkompetenzeinrede der Bundesbehörde erhoben hat; der Bundesrat muß allerdings die Befugnis für sich in Anspruch nehmen, auf die Art und Weise der Ermittelung des Wahlergebnisses einzutreten, um zu konstatieren, ob hierbei Bundesrecht oder kantonales Verfassungsrecht verletzt worden ist; des fernem ergeben die obigen Erörterungen, daß der Bundesrat den Rahmen der in Art. 189, Absatz 4, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 ihm eingeräumten Prüfungsbefugnis nicht überschritten hat.

Demnach wird beschlossen: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

. B e r n , den 17. August 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

<~3S~

Bundesblatt. 49. Jahrg. Bd. IV.

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01.09.1897

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