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21.058 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Tunesien über soziale Sicherheit vom 18. August 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Tunesien über soziale Sicherheit.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. August 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Arbeiten zum vorliegenden Abkommen über soziale Sicherheit wurden bereits vor mehreren Jahren aufgenommen. Das Abkommen mit Tunesien entspricht den jüngsten von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen und richtet sich nach den internationalen Standards zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

Es bezweckt die Koordination der Alters-, Hinterlassenen- und Invaliditätsvorsorge der Vertragsstaaten, um mögliche Nachteile oder Diskriminierungen von Angehörigen des anderen Staates zu vermeiden.

Ausgangslage Im Jahre 2012 schlossen die Schweiz und Tunesien eine Migrationspartnerschaft ab.

Daraufhin wurden die Arbeiten im Hinblick auf ein Sozialversicherungsabkommen, die bereits mehrere Jahre zuvor begonnen hatten, wiederaufgenommen. Das Ergebnis ist das vorliegende Abkommen.

Inhalt der Vorlage Das Abkommen folgt dem Muster der von der Schweiz bislang abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen und richtet sich nach den im internationalen Sozialversicherungsrecht allgemein geltenden Grundsätzen. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, die Auszahlung der Renten im Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten sowie über die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Ausserdem enthält das Abkommen eine Grundlage für die Bekämpfung von Missbrauch und Betrug.

Das Abkommen erfasst schweizerischerseits die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung.

Die Botschaft befasst sich mit der Entstehung des Abkommens. Sie beschreibt kurz das tunesische Sozialversicherungssystem und enthält Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen des Abkommens.

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Botschaft 1 Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele Seit dem Sturz des Ben-Ali-Regimes 2011, der ohne Auswirkungen auf das Funktionieren der tunesischen Verwaltung blieb, haben sich die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Tunesien intensiviert. Tunesien ist ein Partner des Schweizer Nordafrika-Programms, das für die Jahre 2017­2020 erneuert wurde. In diesem Rahmen unterstützt die Schweiz den demokratischen Übergangsprozess in Tunesien, die Stärkung der Menschenrechte sowie das Wachstum und den Ausbau des Arbeitsmarkts. Für den Zeitraum 2021­2024 wird derzeit ein neues Programm erarbeitet.

Eine Migrationspartnerschaft regelt Fragen des grenzüberschreitenden Personenverkehrs. Die beiden Staaten sind über die Europäische Freihandelsassoziation durch ein Freihandelsabkommen und durch ein Abkommen zum gegenseitigen Schutz von Investitionen verbunden. Ausserdem haben sie im Rahmen des demokratischen Übergangs weitere Wirtschaftsabkommen unterzeichnet.

Zurzeit leben 1457 Personen mit schweizerischer Staatsangehörigkeit in Tunesien. In der Schweiz sind rund 8000 tunesische Staatsangehörige wohnhaft, und das schweizerische Versichertenregister weist etwa 12 500 tunesische Staatsangehörige aus.

Die Schweiz ist für Tunesien eine wichtige Wirtschaftspartnerin. Derzeit sind über hundert Schweizer Unternehmen oder Unternehmen mit schweizerischer Kapitalbeteiligung in Tunesien ansässig und beschäftigen rund 14 000 Personen.

Das Sozialversicherungsabkommen ist Bestandteil der Förderung des wirtschaftlichen Austausches zwischen der Schweiz und Tunesien.

Tunesien hat Sozialversicherungsabkommen mit zahlreichen europäischen Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden, Spanien und Portugal abgeschlossen.

1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis Die ersten Kontakte zwischen der Schweiz und Tunesien im Hinblick auf den Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens fanden vor über 20 Jahren statt. Bereits 1996 wurden Gespräche geführt und es wurde ein Abkommenstext erarbeitet.

Der Bundesrat hat die Unterzeichnung des Abkommens im Oktober 2000 gutgeheissen, knüpfte den Abschluss jedoch an ein Abkommen mit Tunesien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt. Aufgrund von Verzögerungen beim Rückübernahmeabkommen wurde das verhandelte Sozialversicherungsabkommen nie unterzeichnet. Nach dem Abschluss des Memorandum of Understanding zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Tunesischen Republik zum Aufbau einer Migrationspartnerschaft und desAbkommens über die Zusammenarbeit im Migrationsbereich zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und

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der Tunesischen Republik im Jahr 2012 ersuchten die tunesischen Behörden um Wiederaufnahme der Arbeiten. Da das im Jahr 2000 ausgehandelte Abkommen inhaltlich nicht mehr den jüngsten von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen entsprach, musste ein neuer Text ausgearbeitet werden. Die neue Vorlage wurde im Rahmen von zwei Treffen ausgehandelt, die im November 2016 und Mai 2017 stattfanden, und danach auf dem Briefweg bereinigt.

Der Inhalt des Abkommens entspricht anderen in letzter Zeit abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Die neuen Regelungen enthalten insbesondere die Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Missbräuchen und Betrug.

Überdies sind die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen sowie der Leistungsexport gewährleistet.

1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates Das vorliegende Abkommen ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20201 über die Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 20202 über die Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt, da es sich mit Blick auf die anderen von der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen um ein Geschäft mit Wiederholungscharakter handelt.

2 Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20053 (VlG) findet ein Vernehmlassungsverfahren statt bei der Vorbereitung von völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV)4 dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen. Das vorliegende Abkommen unterliegt gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV und der jüngsten Änderung der Praxis dem fakultativen Referendum (vgl. Ziff. 8.2).

Auf ein Vernehmlassungsverfahren kann jedoch gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG unter anderem verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere, weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist. Gemäss Artikel 3a Absatz 2 VlG muss der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren sachlich begründet werden. Deshalb wäre grundsätzlich ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.

Der Entwurf des Abkommens mit Tunesien wurde der Eidgenössischen Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung anlässlich ihrer Sitzung 1 2 3 4

BBl 2020 1777 BBl 2020 8385 SR 172.061 SR 101

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vom 24. Februar 2020 unterbreitet. In der Kommission sind die Versicherten, die schweizerischen Wirtschaftsverbände, die Versicherungseinrichtungen, der Bund und die Kantone sowie Vertreterinnen und Vertreter der Behinderten und der Invalidenhilfe vertreten (Art. 73 AHVG5 und Art. 65 IVG6). Die Kommission bildet somit die interessierten Kreise umfassend ab. Im Rahmen der Präsentation wurden die Bestimmungen des Abkommens im Detail erläutert. Die Kommission hat das Abkommen positiv aufgenommen und ohne Einwände gutgeheissen. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG konnte deshalb auf eine Vernehmlassung verzichtet werden.

3 Grundzüge des Vertrags Aufbau und Inhalt des Abkommens mit Tunesien entsprechen den bilateralen Abkommen, welche die Schweiz in letzter Zeit abgeschlossen hat, sowie den internationalen Standards der Koordinierungsregeln für soziale Sicherheit. Es bezweckt die Koordinierung der Pensionsversicherungen im Bereich Alter, Tod und Invalidität der Vertragsstaaten, um mögliche Nachteile oder Diskriminierungen von Angehörigen des anderen Staates zu vermeiden. Das Abkommen bezieht sich schweizerischerseits auf die Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie die Invalidenversicherung und auf die entsprechenden Versicherungen auf tunesischer Seite.

Das Abkommen richtet sich nach folgenden Grundsätzen: möglichst umfassende Gleichbehandlung der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten; erleichterter Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten, insbesondere durch die Anrechnung der im anderen Staat zurückgelegten Versicherungszeiten für den Erwerb von Leistungen; ungekürzte Auszahlung der Leistungen ins Ausland; Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten. Es sieht zudem eine umfassende Klausel zur Missbrauchsbekämpfung vor, und regelt die Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Leistungen.

Das Abkommen zielt ausserdem darauf ab, die Mobilität von Personen zu erleichtern und Doppelunterstellungen zu vermeiden. Dazu enthält das Abkommen Bestimmungen zu den geltenden Rechtsvorschriften für Arbeitnehmende, die eine Verbindung mit beiden Staaten haben. Die Unterstellungsbestimmungen sehen insbesondere vor, dass Personen, die vom Arbeitgeber vorübergehend in das Gebiet des anderen Staates entsendet wurden, in ihrem Herkunftsland versichert bleiben und im Entsendungsstaat von der Beitragspflicht befreit sind.

Tunesische Staatsangehörige, die Beiträge in der Schweiz bezahlt haben, können nach Verlassen der Schweiz eine schweizerische Rente beziehen. Die Möglichkeit der Rückerstattung der AHV-Beiträge beim Verlassen der Schweiz wird wahlweise beibehalten.

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SR 831.10 SR 831.20

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4 Überblick über die soziale Sicherheit in Tunesien 4.1 Allgemeines Das tunesische Vorsorgesystem besteht aus einem System für Arbeitnehmende des öffentlichen Sektors sowie aus verschiedenen Systemen für den privaten Sektor, die von der Caisse nationale de sécurité sociale verwaltet werden. Letztere ist zuständig für die Versicherungszweige Alter, Invalidität, Tod, Arbeitslosigkeit und für Familienleistungen. Von den Versicherungssystemen für den privaten Sektor werden sowohl Arbeitnehmende als auch Selbstständigerwerbende erfasst. Das wichtigste Vorsorgesystem ist die allgemeine Versicherung für Arbeitnehmende des privaten Sektors. Die anderen Systeme decken spezifische Berufsgruppen ab, beispielsweise Arbeitnehmende des Agrarsektors, des Fischereibereichs, Hausangestellte und Kunstschaffende.

Die Lohnbeiträge des allgemeinen Systems betragen 12,5 Prozent des Lohnes, wovon die Arbeitnehmenden 4,74 Prozent und die Arbeitgeber 7,76 Prozent bezahlen. Die Lohnbeiträge der Selbstständigerwerbenden belaufen sich auf 14,71 Prozent ihres Gesamteinkommens für die Risiken Krankheit/Mutterschaft und Alter.

Der monatliche branchenübergreifende Mindestlohn (salaire mensuel minimum interprofessionnel garanti, SMIG) beträgt rund 403 Dinar pro 48-Stunden-Woche (133 Fr.).

Die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung ist über diese gesetzlichen Sozialversicherungssysteme versichert. Eine sozialpolitische Priorität der tunesischen Regierung ist die Erhöhung der effektiven Deckung durch die Ausweitung auf andere Berufsgruppen.

4.2 Alter Das Rentenalter liegt bei 60 Jahren für Arbeitnehmende des allgemeinen Systems (55 Jahre für Personen, die in Minen arbeiten oder eine beschwerliche Arbeit ausüben) und bei 65 Jahren für Selbstständigerwerbende. Voraussetzung für die Rente sind mindestens 120 Beitragsmonate und die Aufgabe der Erwerbstätigkeit. Bei unter 120 Beitragsmonaten wird eine anteilsmässige Rente gewährt. Personen mit weniger als 60 Beitragsmonaten erhalten lediglich eine einmalige Abfindung.

Die Rente stützt sich auf das beitragspflichtige Einkommen, das die versicherte Person in den vorangegangenen 10 Jahren erzielt hat. Bei 120 Beitragsmonaten beträgt die Rente 40 Prozent (bei Selbstständigerwerbenden 30 %) des Referenzlohns. Bei mehr als 120 Beitragsmonaten wird die Rente um 0,5 Prozent pro zusätzliche 3 Beitragsmonate erhöht, maximal bis zu 80 Prozent des Referenzlohns.

Die Mindestaltersrente darf nicht weniger als zwei Drittel des SMIG betragen, was rund 90 Franken entspricht. Die maximale Altersrente entspricht rund 640 Franken (80 % des durchschnittlichen Monatslohns der versicherten Person mit Beschränkung auf das 6-Fache des SMIG).

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4.3 Tod Anspruch auf eine Hinterlassenenleistung haben die überlebende Ehegattin oder der überlebende Ehegatte sowie die Kinder, wenn die versicherte Person im Zeitpunkt des Todes entweder Anspruch auf eine Altersrente oder eine Invalidenrente hatte oder eine Beitragsdauer von mindestens 60 Monaten aufwies. Keine Mindestbeitragsdauer wird vorausgesetzt, wenn die versicherte Person vor dem vollendeten 60. Altersjahr bei einem Nichtberufsunfall stirbt. Die überlebende Ehegattin oder der überlebende Ehegatte muss im Zeitpunkt des Todes mit der verstorbenen Person verheiratet sein.

Der Rentenanspruch erlischt bei Wiederverheiratung vor dem vollendeten 55. Altersjahr.

Der Anspruch von Waisen besteht bis zum vollendeten 16. Altersjahr (bei Studierenden bis zum vollendeten 25. Altersjahr); bei Invalidität ist der Anspruch zeitlich unbegrenzt.

Die Höhe des Anspruchs von überlebenden Ehegatten richtet sich nach der Anzahl Kinder. Überlebende Ehegatten ohne Kinder erhalten eine Rente in der Höhe von 75 Prozent der Rente, auf die die verstorbene Person Anspruch hatte oder gehabt hätte.

Überlebende Ehegatten mit einem Kind erhalten 70 Prozent und das Kind 30 Prozent.

Überlebende Ehegatten mit zwei oder mehr Kindern erhalten 50 Prozent und die Waisen zusammen 50 Prozent. Der Gesamtbetrag der Renten der überlebenden Ehegattin oder des überlebenden Ehegatten und der Waisen darf die Höhe der Rente der verstorbenen Person nicht übersteigen.

4.4 Invalidität Anspruch auf eine Invalidenrente haben Versicherte, deren Arbeitsfähigkeit um mindestens zwei Drittel eingeschränkt ist, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben und mindestens 60 Beitragsmonate aufweisen (bei Nichtberufsunfällen gibt es keine Mindestbeitragsdauer).

Die Höhe der Invalidenrente entspricht 50 Prozent des Referenzlohns der letzten 60­ 180 Monate (Selbstständigerwerbende: 30 % des Einkommens der letzten 60 Monate). Bei einer Beitragsdauer von mehr als 180 Monaten besteht pro zusätzlicher Beitragsdauer quartalsweise Anspruch auf eine Erhöhung um 0,5 Prozent bis höchstens zu 80 Prozent des Referenzlohns. Bei Erreichen des Rentenalters wird die Invalidenrente in eine Altersrente umgewandelt.

Die Mindestinvalidenrente entspricht zwei Drittel des SMIG.

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5 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags Allgemeine Bestimmungen (Titel I) Art. 2

Sachlicher Geltungsbereich

Für die Schweiz gilt das Abkommen für die Gesetzgebung zur Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie zur Invalidenversicherung. Für Tunesien gilt es auf die Gesetzgebung zur Invaliden-, Alters- und Hinterlassenenversicherung im öffentlichen und privaten Sektor.

Art. 3

Persönlicher Geltungsbereich

Das Abkommen ist anwendbar auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten und deren Familienangehörige und Hinterlassene, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit, sowie auf Flüchtlinge und Staatenlose, die im Gebiet eines der Vertragsstaaten wohnen. Einige Bestimmungen finden auch auf Drittstaatsangehörige Anwendung.

Hierbei handelt es sich insbesondere um die Unterstellungsregeln.

Art. 4

Gleichbehandlung

Das Abkommen garantiert, in Übereinstimmung mit den allgemeinen internationalen Grundsätzen, die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen im Rahmen der vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Versicherungszweige.

Aufgrund der Besonderheiten ihrer Gesetzgebung hat die Schweiz jedoch gewisse Vorbehalte in Bezug auf die Gleichbehandlung. Diese betreffen die freiwillige AHV/IV sowie die AHV/IV von schweizerischen Staatsangehörigen, die im Ausland im Dienste der Eidgenossenschaft oder gewisser Institutionen tätig sind, sowie den freiwilligen Beitritt zur AHV/IV, der internationalen Beamtinnen und Beamten mit Schweizer Bürgerrecht vorbehalten ist (vgl. Art. 1a Abs. 1 Bst. c Ziff. 2 und 3 AHVG).

Art. 5

Zahlung der Leistungen ins Ausland

Diese Bestimmung garantiert die uneingeschränkte Auszahlung von Geldleistungen an Vertragsstaatsangehörige, die im Gebiet der Schweiz oder Tunesiens wohnen. Die Rentenzahlung in Drittstaaten wird nach dem Gleichbehandlungsgebot geregelt: Sieht ein Vertragsstaat die Leistungszahlung an seine eigenen Staatsangehörigen in einen Drittstaat vor, so gilt für die Angehörigen des anderen Vertragsstaats dasselbe. Die Schweiz schränkt diesen Grundsatz insofern ein, als IV-Viertelsrenten, ausserordentliche Renten und Hilflosenentschädigungen der AHV/IV nur bei Wohnsitz in der Schweiz ausbezahlt werden.

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Bestimmungen über die anwendbaren Rechtsvorschriften (Titel II) Art. 6­11 Ein wesentlicher Punkt, der in den Abkommen über soziale Sicherheit geregelt wird, ist die versicherungsrechtliche Unterstellung von Staatsangehörigen des einen Vertragsstaats, die im Gebiet des anderen Staates eine Erwerbstätigkeit ausüben. Die Bestimmungen finden auch auf Drittstaatsangehörige Anwendung.

Im vorliegenden Vertrag gilt, wie in allen anderen bilateralen Abkommen, der Grundsatz der Unterstellung am Erwerbsort. Artikel 6 sieht demnach vor, dass Personen, die in beiden Staaten erwerbstätig sind, in jedem Staat nur für die dort ausgeübte Tätigkeit dem Versicherungssystem unterstellt werden. Dies gilt auch für Selbstständigerwerbende.

Die Artikel 7­11 enthalten für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besondere Bestimmungen, die vom Grundsatz der Unterstellung am Ort der Erwerbstätigkeit abweichen.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt werden, unterstehen während längstens fünf Jahren den Rechtsvorschriften des entsendenden Vertragsstaats. Damit werden die Doppelunterstellung oder ein Unterbruch der Versicherungskarriere vermieden und der administrative Aufwand des Arbeitgebers verringert. Eine analoge Regelung ist für Selbstständigerwerbende mit einer maximalen Entsendungsdauer von zwei Jahren vorgesehen (Art. 7).

Artikel 8 unterstellt die Angestellten von Luftverkehrsunternehmen dem Gesetz des Staates, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat oder in dem sich die sie beschäftigende Zweigniederlassung befindet. Die Bestimmung richtet sich nach den von der Schweiz jüngst abgeschlossenen Abkommen und widerspiegelt die internationale Praxis.

Personen, die an Bord eines Schiffes beschäftigt sind, sind im Flaggenstaat versichert, ausser sie sind von einem Arbeitgeber mit Sitz im anderen Vertragsstaat angestellt.

Indem die Tätigkeit auf dem Schiff der Tätigkeit auf dem Gebiet der Vertragsstaaten gleichgestellt wird, kann der Versicherungsschutz dieser Personen gewährleistet werden. Für Hafenarbeitende, die nur vorübergehend an Bord gehen, gelten diese Bestimmungen nicht (Art. 9).

Artikel 10 regelt die Unterstellung von Personen, die in den diplomatischen und konsularischen Vertretungen arbeiten. In Übereinstimmung
mit den Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen7 sieht Artikel 10 vor, dass Staatsangehörige eines Vertragsstaats, die als Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dieses Staates in das Gebiet des anderen Vertragsstaats entsandt werden, den Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaats unterstehen. Unter dem Begriff der diplomatischen Vertretung werden sowohl die bilaterale Vertretung (Botschaft) als auch die ständige Vertretung bei einer internationalen Organisation 7

Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (SR 0.191.01); Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (SR 0.191.02).

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verstanden. Nach Absatz 3 sind Personen im Dienste eines Vertragsstaates, die bei einer Vertretung dieses Staates im anderen Vertragsstaat lokal angestellt sind, am Erwerbsort unterstellt. Es steht ihnen allerdings die Möglichkeit offen, für die Unterstellung unter die Gesetzgebung des Staates der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zu wählen.

Absatz 4 sieht vor, dass private Hausangestellte, die im persönlichen Dienst eines Mitglieds einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung tätig und Angehörige eines Vertragsstaats sind, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ebenfalls dem Sozialversicherungssystem des Staates unterstellt werden, in dessen Hoheitsgebiet sie arbeiten. Auch diese Personen können sich dem Sozialversicherungssystem des Staates ihres Arbeitgebers (Mitglied einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung) unterstellen lassen.

Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Vertragsstaaten werden in ihrer Funktion als Arbeitgeber verpflichtet, ihr Lokalpersonal gemäss den Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetzgebung des Vertragsstaats, in dem sich die Vertretung befindet, zu versichern (Abs. 5).

Absatz 7 gewährleistet, dass schweizerische und tunesische Staatsangehörige im Dienste einer diplomatischen Vertretung eines Drittstaates im Hoheitsgebiet der Schweiz oder Tunesiens, die in keinem Staat versichert sind, sich im Erwerbsstaat versichern können. Mit dieser Bestimmung sollen Versicherungslücken vermieden werden.

Der Versicherung im Herkunftsland unterstellt bleiben auch Personen, die im öffentlichen Dienst des einen Staates stehen und in den anderen Staat entsandt werden (Art. 11).

Art. 12

Ausnahmen

Die Bestimmungen über die anwendbare Gesetzgebung werden immer durch eine Klausel ergänzt, die es den zuständigen Behörden der beiden Vertragsparteien erlaubt, in besonderen Fällen im Interesse der betroffenen Personen abweichende Regelungen zu vereinbaren.

Art. 13

Familienangehörige

Diese Standardbestimmung ermöglicht es Familienmitgliedern, die die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer begleiten, während der vorübergehenden Tätigkeit im Ausland mit der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Herkunftslands unterstellt zu bleiben, sofern sie im Ausland nicht selber eine Erwerbstätigkeit ausüben (Abs. 1).

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Bestimmungen zu den Leistungen (Titel III) Bestimmungen zu den schweizerischen Leistungen (Art. 14­18) Art. 14

Eingliederungsmassnahmen

Die Bestimmung orientiert sich an den neusten von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen. Der Zugang zu den Eingliederungsmassnahmen der schweizerischen IV wird für tunesische Staatsangehörige erleichtert, wobei allerdings gewisse Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung gemacht werden. Tunesische Staatsangehörige, die der AHV/IV-Beitragspflicht unterstehen (Personen, die in der Schweiz arbeiten oder wohnen), haben unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der IV, solange sie sich in der Schweiz aufhalten. Tunesische Staatsangehörige, die bei der AHV/IV versichert, aber nicht beitragspflichtig sind (nichterwerbstätige Personen zwischen 18 und 20 Jahren sowie minderjährige Kinder), haben nach einer einjährigen Wohndauer in der Schweiz, oder wenn sie in der Schweiz invalid geboren sind, Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen.

Art. 15

Zusammenrechnung von Versicherungszeiten

Gemäss schweizerischer Gesetzgebung gilt für den Anspruch auf eine Invalidenrente eine Mindestversicherungszeit von drei Jahren. Die internationalen Koordinationsregeln der sozialen Sicherheit sehen vor, dass Staaten, die für den Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen eine Mindestversicherungszeit von mehr als einem Jahr voraussetzen, die im anderen Vertragsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten ebenfalls berücksichtigen müssen. Artikel 15 hält daher fest, dass die Schweiz allfällige tunesische Versicherungszeiten anrechnet, damit die versicherte Person die Mindestversicherungszeit von drei Jahren erfüllen kann, sofern mindestens ein Beitragsjahr in der Schweiz vorliegt.

Für die Berechnung der schweizerischen Invalidenrente werden jedoch ausschliesslich schweizerische Versicherungszeiten berücksichtigt (Abs. 3).

Art. 16

Einmalige Abfindung

Diese Bestimmung bezweckt die Vereinfachung der administrativen Abläufe. Die Verwaltungskosten und die Kosten für die monatlichen Überweisungen ins Ausland sind bei Renten von geringer Höhe proportional gesehen zu hoch. Deshalb wird die Auszahlung einer ordentlichen Altersrente an tunesische Staatsangehörige im Ausland, die höchstens 10 Prozent der Vollrente ausmacht, durch eine einmalige Abfindung abgegolten; diese entspricht dem versicherungstechnischen Wert der geschuldeten Rente. Beträgt der Anspruch auf die schweizerische Rente mehr als 10 Prozent, aber höchstens 20 Prozent der entsprechenden ordentlichen Vollrente, so kann die versicherte Person zwischen der Rente und der einmaligen Abfindung wählen. Unter gewissen Voraussetzungen ist die Auszahlung einer einmaligen Abfindung auch bei Renten der Invalidenversicherung möglich.

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Art. 17

Ausserordentliche Renten

Diese Bestimmung erleichtert den Zugang zu den ausserordentlichen Renten für Staatsangehörige des Vertragsstaats und ist standardmässig in den von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen enthalten. In Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung ist für den Anspruch auf ausserordentliche Renten eine Mindestwohndauer von fünf Jahren in der Schweiz erforderlich. Ausserdem haben ausländische Staatsangehörige, wenn sie die in einem Abkommen über soziale Sicherheit vorgesehenen Voraussetzungen für eine ausserordentliche Rente erfüllen, erleichterten Zugang zu Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (vgl. Art. 5 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 20068 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung).

Art. 18

Rückvergütung von Beiträgen

Die schweizerische Gesetzgebung hält fest, dass Angehörige von Staaten, mit denen die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, bei der definitiven Ausreise aus der Schweiz die Rückvergütung der Beiträge verlangen können, die sie und ihr Arbeitgeber entrichtet haben. Der Höchstbetrag wird im Verhältnis zur geschuldeten Rente festgesetzt. Die von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen schliessen die Möglichkeit einer Beitragsrückvergütung grundsätzlich aus. Allerdings hat die Schweiz in einigen Abkommen mit fernen Ländern wie Australien, Brasilien, den Philippinen oder Uruguay wahlweise die Möglichkeit einer Beitragsrückerstattung beibehalten. Die nähere Betrachtung der unterschiedlichen Versicherungssituationen der Staatsangehörigen des jeweiligen Vertragsstaats hat gezeigt, dass die Beitragsrückerstattung in gewissen Fällen eher den Bedürfnissen der Versicherten entspricht. So könnte beispielsweise Versicherten, die nur kurze Zeit in der Schweiz gearbeitet haben und meist lange vor der Pensionierung in ihr Land zurückkehren, eine kleine Kapitalzahlung eher nützen. Für die schweizerische Einrichtung, die Leistungen an Personen im Ausland ausrichtet, bedeutet dieses Verfahren eine wesentliche administrative Vereinfachung. Das Abkommen hält daher die Möglichkeit der Beitragsrückerstattung als Option aufrecht. Tunesische Staatsangehörige, welche die Schweiz verlassen, haben somit die Wahl zwischen einer bei Eintreten des Versicherungsfalles ausbezahlten Rente und der sofortigen Rückerstattung der AHV-Beiträge.

Bestimmungen zu den tunesischen Leistungen (Art. 19­21) Da in Tunesien erst ab zehn Versicherungsjahren ein Rentenanspruch besteht, sieht Artikel 19 vor, dass die in der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten für die Erfüllung der zehn Beitragsjahre angerechnet werden. Tunesien rechnet nicht nur die Schweizer Versicherungszeiten an, sondern berücksichtigt auch Versicherungszeiten, die in einem Drittstaat zurückgelegt wurden.

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Art. 22

Bestimmungen zu den Invaliditätsleistungen

Diese Bestimmung regelt den Informationsaustausch zwischen den für die Invaliditätsbemessung zuständigen Stellen. Bereits vorliegende Arztberichte werden kostenlos zur Verfügung gestellt, ebenso wie der erste Arztbericht, der gestützt auf das im Abkommen vorgesehene Formular erstellt wird. Die Kosten aller weiteren medizinischen Untersuchungen werden vom Staat übernommen, der die Untersuchung veranlasst hat.

Verschiedene Bestimmungen (Titel IV) Dieser Titel enthält die Artikel über die administrativen Belange des Abkommens.

Solche Vorschriften sind in allen Abkommen über soziale Sicherheit enthalten. Die Bestimmungen sehen insbesondere eine Verwaltungsvereinbarung vor sowie die Übermittlung der für die Durchführung des Abkommens notwendigen Informationen (Art. 23), und sie verpflichten die Behörden der Vertragsstaaten zur gegenseitigen Unterstützung bei der Durchführung des Abkommens (Art. 24).

Das Abkommen enthält eine Bestimmung zur Verhinderung von Missbrauch (Art. 25), die zusätzliche Kontrollen auf dem Gebiet des anderen Staates sowie den Austausch von Informationen zu Todesfällen, Einkommen und Vermögen der Versicherten erlaubt.

In den Artikeln 26 und 27 ist ein Verfahren für die Rückerstattung von zu Unrecht vergüteten Leistungen oder bei nicht gezahlten Beiträgen vorgesehen. Artikel 28 ermöglicht den Rückgriff auf haftpflichtige Dritte. Der Schutz von Personendaten ist ausführlich geregelt (Art. 29). Insbesondere dürfen die zwischen den Staaten übermittelten Daten nur zur Durchführung des Abkommens genutzt werden.

Übergangs- und Schlussbestimmungen (Titel V) Die Übergangs- und Schlussbestimmungen halten fest, dass dieses Abkommen auch für Versicherungsfälle gilt, die vor seinem Inkrafttreten eingetreten sind, und dass auch Versicherungszeiten berücksichtigt werden, die vor dem Inkrafttreten des Abkommens zurückgelegt wurden. Die daraus hervorgehenden Leistungen werden hingegen erst ab dem Inkrafttreten des Abkommens ausgerichtet. Zudem wird die Revision von Ansprüchen geregelt, über die vor Inkrafttreten des Abkommens entschieden wurde. Das Abkommen tritt am ersten Tag des dritten Monats nach dem Monat in Kraft, in dem die Vertragsstaaten einander den Abschluss der für das Inkrafttreten erforderlichen Verfahren mitgeteilt haben. Das Abkommen ist unbefristet, kann aber unter Einhaltung einer zwölfmonatigen Frist jederzeit gekündigt werden.

6 Finanzielle und personelle Auswirkungen Die finanziellen Auswirkungen hängen von der Anzahl Personen ab, die vom Abkommen profitieren. Die Mehrkosten dieses Abkommens entstehen hauptsächlich durch Rentenzahlung an nicht in der Schweiz lebenden tunesischen Staatsangehörigen.

Die Kosten variieren, je nachdem, für welche Art von schweizerischen Leistung 13 / 16

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sich die tunesischen Versicherten entscheiden. Die Rückerstattung der AHVBeitragszahlungen, wie sie heute praktiziert und im Abkommen wahlweise angeboten wird, verursacht keine zusätzlichen Kosten.

Die folgende Schätzung beruht auf der Annahme, dass sich die Hälfte der berechtigten Personen beim Verlassen der Schweiz für die Beitragsrückvergütung entscheidet; die Erfahrungen mit anderen Staaten zeigen jedoch, dass deutlich mehr als die Hälfte der Berechtigten diese Option wählt. Da sich immer weniger tunesische Staatsangehörige beim Verlassen der Schweiz für die Rückvergütung der Beiträge entscheiden, werden die Ausgaben der AHV zunächst sinken. Später, wenn die tunesischen Staatsangehörigen, welche die Schweiz verlassen haben, eine schweizerische Rente beantragen, werden die Kosten zunehmen. Der Schätzung zufolge dürften sich die jährlichen Gesamtkosten im langjährigen Durchschnitt von rund 60 Jahren auf 2,7 Millionen Franken belaufen. Die Kosten verteilen sich wie folgt: 2,2 Millionen Franken zulasten der Alters- und Hinterlassenenversicherung und der Invalidenversicherung, 500 000 Franken zulasten des Bundes. Die Auszahlung der Renten im Ausland trägt dazu bei, dass sich mehr Rentnerinnen und Rentner dafür entscheiden, die Schweiz zu verlassen. Dies führt zu Einsparungen bei den Unterstützungsleistungen wie Ergänzungsleistungen, Verbilligungen der Krankenversicherungsprämien oder Sozialhilfe, da diese nur in der Schweiz ausgerichtet werden.

Für den Bund und für die Schweizerische Ausgleichskasse in Genf, die für die Rentenzahlungen ins Ausland und bestimmte administrative Aufgaben bei der Umsetzung des Abkommens zuständig ist, entsteht durch den Abschluss des Abkommens kein zusätzlicher Personalbedarf.

7 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft, die Umwelt und andere Auswirkungen Mit Ausnahme der moderaten finanziellen Auswirkungen infolge allfälliger künftiger Rentenzahlungen anstelle der Beitragsrückerstattung (Ziff. 6) hat das Abkommen keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Umwelt oder anderweitige Auswirkungen sind nicht zu erwarten. Auf eine vertiefte Prüfung der Regulierungskosten, die durch das Abkommen verursacht werden, wurde deshalb verzichtet.

8 Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder

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völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20029; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199710).

Da keine Kompetenzd elegation vorliegt, ist die Bundesversammlung im vorliegenden Fall für die Genehmigung zuständig.

8.2 Erlassform Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes sind unter rechtsetzenden Normen die Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag ist unmittelbar verbindlich und regelt die Rechte und Pflichten der Vertragsstaatsangehörigen in den vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Sozialversicherungszweigen. Das Abkommen legt unter anderem die anwendbare Gesetzgebung fest. Mit der Unterstellung unter ein nationales Sozialversicherungssystem ist in der Regel die Beitragspflicht verbunden. Ausserdem regelt das Abkommen Rechte der Vertragsstaatsangehörigen wie die Zahlung der Renten ins Ausland oder erleichterte Voraussetzungen für den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen. Solche Bestimmungen müssten innerstaatlich in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden.

Gemäss der Praxis des Parlaments und des Bundesrats wurden Sozialversicherungsabkommen (ebenso wie Freihandelsabkommen und Abkommen zur gegenseitigen Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen), die keine weiter gehenden Verpflichtungen schafften als zahlreiche ähnliche Verträge, die die Schweiz bereits abgeschlossen hat, als sogenannte «Standardabkommen» behandelt und nicht dem Referendum unterstellt.

Im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200011 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) war vorgesehen, in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen eine neue Bestimmung einzuführen, wonach die Bundesversammlung über die Kompetenz verfügt, Sozialversicherungsabkommen mit einfachem Bundesbeschluss zu genehmigen. Das Parlament lehnte dies jedoch ab.

Der Bundesrat hatte in der Botschaft zum Sozialversicherungsabkommen mit Kosovo12 (Ziff. 6.2) in Aussicht gestellt, dass er bei künftigen Abkommen die Unter-

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SR 171.10 SR 172.010 SR 830.1 Botschaft vom 30. November 2018 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Kosovo über soziale Sicherheit, BBl 2019 103.

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BBl 2021 2018

stellung unter das fakultative Referendum empfehlen werde, sofern die Bundesversammlung die vorgeschlagene Kompetenzdelegation im Rahmen der ATSG-Revision nicht genehmigen würde. Das Abkommen mit Bosnien und Herzegowina war als erstes Sozialversicherungsabkommen dem Referendum unterstellt.13 Das Abkommen mit Tunesien enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, weshalb der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen ist.

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Bundesbeschluss vom 19. März 2021 über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit, BBl 2021 672.

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