BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.005 Botschaft zum Übereinkommen Nr. 170 der Internationalen Arbeitsorganisation über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit von 1990 und zum Übereinkommen Nr. 174 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Verhütung von Industriellen Störfällen von 1993 vom 20. Januar 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, die Entwürfe zweier Bundesbeschlüsse über das Übereinkommen Nr. 170 der Internationalen Arbeitsorganisation über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit von 1990 und das Übereinkommen Nr. 174 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Verhütung von Industriellen Störfällen von 1993.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. Januar 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021­0205

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Übersicht Ausgangslage Die Förderung der menschenwürdigen Arbeit für alle Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist Bestandteil des Verfassungsauftrags der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Um menschenwürdig zu sein, muss die Arbeit sicher sein.

Im Rahmen dieses Ziels entwickelt die IAO unter anderem Normen in Bezug auf die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz. Die IAO entwickelt nicht nur neue Instrumente, sondern stellt auch die Relevanz ihrer bestehenden Instrumente sicher.

Die tripartite Arbeitsgruppe des Normenüberprüfungsmechanismus der IAO ist für die Überprüfung der bestehenden internationalen Arbeitsnormen zuständig. Als Teil ihres Mandats hat diese Arbeitsgruppe 2017 19 IAO-Instrumente in Bezug auf die Sicherheit und die Gesundheit bei der Arbeit geprüft. Das Übereinkommen Nr. 170 über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit und das Übereinkommen Nr. 174 über die Verhütung von Industriellen Störfällen wurden während dieser Überprüfung ebenfalls analysiert. Die Arbeitsgruppe war der Ansicht, dass industrielle Störfälle in der Regel durch die plötzliche und massive Freisetzung einer chemischen Substanz verursacht werden. Sie war daher der Auffassung, dass die Übereinkommen Nr. 170 und 174 zusammengehören, da sich beide mit Chemikalien befassen. Basierend auf den Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe hat der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes an seiner 332. Sitzung im Oktober 2017 entschieden, dass die Übereinkommen Nr. 170 und 174 als aktuelle Normen eingestuft werden sollen und dass Massnahmen ergriffen werden sollten, um die Ratifikation dieser Instrumente zu fördern. Auf der Grundlage dieser Erklärungen und auf Antrag der eidgenössischen tripartiten Kommission für Angelegenheiten der IAO hat der Bundesrat beschlossen, diese beiden Übereinkommen einer erneuten Analyse zu unterziehen und auf die Konformität mit dem Schweizer Recht zu überprüfen.

Inhalt der Vorlage Das von der IAO 1990 angenommene Übereinkommen Nr. 170 bezweckt den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz, die Verhütung von Berufskrankheiten und -unfällen aufgrund der Verwendung chemischer Stoffe und die Verringerung ihrer Auswirkungen. Um diese Ziele zu erreichen, sieht es insbesondere folgende Massnahmen vor: Die Bestimmung der von chemischen Stoffen ausgehenden
Gefahren, die Ausarbeitung eines Systems, das den Arbeitgebern erlaubt, von den Lieferanten die nötigen Informationen über Schutzmassnahmen zu erhalten, und schliesslich die Information der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welche an solchen Schutzverfahren beteiligt sind.

In seinem Bericht und seiner Botschaft vom 3. Juni 1991 über die 1989 und 1990 an der 76. und der 77. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen Übereinkommen und Empfehlungen sowie über drei an früheren Tagungen angenommene Übereinkommen hatte der Bundesrat obwohl er sich den Zielsetzungen des Übereinkommens anschliessen konnte dem Parlament keinen Antrag auf Genehmigung des Übereinkommens Nr. 170 unterbreitet, da die Schweizer Gesetzgebung nicht alle für dessen Anwendung notwendigen Voraussetzungen erfüllte. Seither hat die 2 / 52

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Schweiz ein neues Chemikalienrecht angenommen. Das Chemikaliengesetz wurde am 15. Dezember 2000 vom Parlament verabschiedet und trat 2005 in Kraft. Damit wurde insbesondere der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert.

Die Chemikalienverordnung vom 5. Juni 2015 trat am 1. Juli 2015 in Kraft. Dank diesen Anpassungen hat sich die Schweiz auch an die bestehenden internationalen Normen der UNO und der EU angepasst, so dass die Schweizer Gesetzgebung nun auch die Anforderungen des Übereinkommens Nr. 170 erfüllt. Der Bundesrat beantragt dem Parlament die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 170, damit die Schweiz sich weltweit kohärenter und solidarischer auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen und der Verwendung chemischer Stoffe engagieren kann.

Das von der IAO 1993 angenommene Übereinkommen Nr. 174 bezweckt die Verhütung von industriellen Störfällen und die Begrenzung der Folgen solcher Störfälle.

Um diese Ziele zu erreichen, sieht es insbesondere Massnahmen vor, um Störfälle und deren Risiken zu verhüten und die Auswirkungen von Störfällen so gering wie möglich zu halten.

In seinem Bericht vom 15. Mai 1996 über die von der Internationalen Arbeitskonferenz anlässlich ihrer 80. und 81. Tagungen 1993 und 1994 genehmigten Übereinkommen und Empfehlungen hatte der Bundesrat obwohl er sich den Zielsetzungen des Übereinkommens anschliessen konnte dem Parlament keinen Antrag auf Genehmigung des Übereinkommens Nr. 174 unterbreitet, da die Schweizer Gesetzgebung nicht alle für dessen Anwendung notwendigen Voraussetzungen erfüllte. Diese Situation hat sich seit dem Inkrafttreten oder den nachfolgenden Revisionen verschiedener Schweizer Gesetze im Zusammenhang mit den im Übereinkommen Nr. 174 behandelten Fragen verändert. Dies trifft insbesondere auf das Arbeitsgesetz vom 13. März 1964 und die Verordnung 4 zum Arbeitsgesetz vom 18. August 1993, die Störfallverordnung vom 27. Februar 1991 sowie das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung und die Verordnung vom 19. Dezember 1983 über die Unfallverhütung zu. Letztere regelt seit 1997 das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder deren Vertretung, über alle die Arbeitssicherheit betreffenden Fragen angehört zu werden. In Bezug auf den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde zudem am 15. Dezember 2000 das
Chemikaliengesetz eingeführt.

Die geltende Ratifikationspolitik bezüglich der IAO-Normen erlaubt es der Schweiz, ein IAO-Übereinkommen zu ratifizieren, sofern es nicht grundlegend von der Schweizer Rechtsordnung abweicht. Diese Praxis des Bundesrates gilt im Prinzip für alle internationalen Übereinkommen. Geringfügige Differenzen sollten einer Ratifikation nicht entgegenstehen. Darüber hinaus kann ein Übereinkommen, das nicht vollumfänglich mit dem innerstaatlichen Recht übereinstimmt, ratifiziert werden, wenn seine Prüfung ergibt, dass sich die bestehenden Lücken entweder durch unmittelbar anwendbare Bestimmungen des Übereinkommens oder durch gesetzgeberische Massnahmen schliessen lassen.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Schweiz die Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174 ratifizieren kann. Im internationalen Vergleich bietet die schweizerische Gesetzgebung einen hohen und wirksamen Schutz. Im Hinblick auf die Ratifikation muss weder ein neues Gesetz, noch eine neue Verordnung verabschiedet oder geändert werden.

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Die vorliegende Botschaft wurde der eidgenössischen tripartiten Kommission für Angelegenheiten der IAO unterbreitet, einer ausserparlamentarischen konsultativen Kommission, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung und der schweizerischen Sozialpartner zusammensetzt. Die Kommission hat davon Kenntnis genommen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer- sowie der Arbeitgeberorganisationen unterstützen die Ratifikation der Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf in Bezug auf das Übereinkommen (Nr. 170) der Internationalen Arbeitsorganisation über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit von 1990 1.2 Handlungsbedarf in Bezug auf das Übereinkommen (Nr. 174) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Verhütung von Industriellen Störfällen von 1993 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

6

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

8

3

Grundzüge des IAO-Übereinkommens Nr. 170

8

4

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des IAOÜbereinkommens Nr. 170

11

5

Grundzüge des IAO-Übereinkommens Nr. 174

33

6

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des IAOÜbereinkommens Nr. 174

34

7

Auswirkungen

51

8

Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit 8.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz 8.3 Erlassform

51 51

6

7 8

51 51

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 170 der Internationalen Arbeitsorganisation über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit (Entwurf)

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Übereinkommen Nr. 170 über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit

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Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 174 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Verhütung von Industriellen Störfällen (Entwurf)

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Übereinkommen Nr. 174 über die Verhütung von Industriellen Störfällen

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf in Bezug auf das Übereinkommen (Nr. 170) der Internationalen Arbeitsorganisation über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit von 1990

Die Internationale Arbeitskonferenz hat das Übereinkommen Nr. 170 über Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit am 25. Juni 1990 an ihrer 77. Tagung (1990) angenommen. Das Übereinkommen bezweckt den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz und die Verhütung von Berufskrankheiten und -unfällen aufgrund der Verwendung chemischer Stoffe und die Verringerung ihrer Auswirkungen. Die Schweizer Delegation hatte damals für dieses Übereinkommen gestimmt, da die Schweiz sich dessen allgemeinen Zielsetzungen anschliessen konnte. In seinem Bericht und seiner Botschaft vom 3. Juni 19911 über die 1989 und 1990 an der 76.

und der 77. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommenen Übereinkommen und Empfehlungen sowie über drei an früheren Tagungen angenommene Übereinkommen hat sich der Bundesrat allerdings wie folgt dazu geäussert: «Wir können uns zwar diesen Zielsetzungen des Übereinkommens anschliessen. Unsere Gesetzgebung erfüllt jedoch nicht alle für dessen Anwendung notwendigen Voraussetzungen, so dass wir Ihnen keinen Antrag auf Genehmigung unterbreiten (...). Das Übereinkommen Nr. 170 heute vollumfänglich anzunehmen, würde bedeuten, dass wir verschiedene Gesetze unverzüglich umgestalten müssten, was uns nicht angezeigt erscheint.» Die eidgenössische tripartite Kommission für Angelegenheiten der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hat 2012 empfohlen, das Übereinkommen Nr. 170 erneut zu prüfen, um gegebenenfalls Massnahmen im Hinblick auf seine Ratifikation zu planen. Damit soll der Schweiz ermöglicht werden, sich weltweit kohärenter und solidarischer auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen und der Verwendung chemischer Stoffe zu engagieren.

Die Empfehlung der erneuten Prüfung ist gerechtfertigt, denn die Situation hat sich seit dem Inkrafttreten oder den nachfolgenden Revisionen des Arbeitsgesetzes vom 13. März 19642 (ArG) und der Verordnung 3 vom 18. August 19933 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3), des Chemikaliengesetzes vom 15. Dezember 20004 (ChemG) und seiner Verordnungen, insbesondere der Chemikalienverordnung vom 5. Juni 2015 5 (ChemV) und der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung vom 18. Mai 20056

1 2 3 4 5 6

BBl 1991 III 869 SR 822.11 SR 822.113 SR 813.1 SR 813.11 SR 814.81

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(ChemRRV), des Mitwirkungsgesetzes vom 17. Dezember 19937, des Umweltschutzgesetzes vom 7. Oktober 19838 (USG) sowie des Bundesgesetzes vom 20. März 19819 über die Unfallversicherung (UVG) und seiner Verordnung über die Unfallverhütung vom 19. Dezember 198310 (VUV) massgeblich verändert.

Da die Schweiz ihr Recht an die bestehenden internationalen Normen der UNO und der EU angepasst hat, kann sie sich mit einer Ratifikation des Übereinkommens Nr. 170 weltweit kohärenter und solidarischer auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen und der Verwendung chemischer Stoffe engagieren.

Bis heute haben 22 Länder das Übereinkommen Nr. 170 ratifiziert: Belgien, Brasilien, Burkina Faso, China, Côte d'Ivoire, Deutschland, die Dominikanische Republik, Finnland, Italien, Kolumbien, der Libanon, Luxemburg, Mexiko, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden, Simbabwe, Südkorea, Syrien, Tansania, Zypern.

1.2

Handlungsbedarf in Bezug auf das Übereinkommen (Nr. 174) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Verhütung von Industriellen Störfällen von 1993

An ihrer 80. Tagung (1993) hat die Internationale Arbeitskonferenz das Übereinkommen Nr. 174 über die Verhütung von Industriellen Störfällen angenommen, das die Verhütung von industriellen Störfällen und die Begrenzung der Folgen solcher Störfälle bezweckt. Die Schweizer Delegation hatte damals für dieses Übereinkommen gestimmt, da die Schweiz sich dessen allgemeinen Zielsetzungen anschliessen konnte.

Die Schweizerische Gesetzgebung erfüllte jedoch nicht alle Schutzvoraussetzungen des Übereinkommens und der Bundesrat verzichtete darauf, das Übereinkommen Nr. 174 zur Genehmigung vorzulegen (BBl 1996, III, 1178).

Am 19. April und am 13. Dezember 2012 hat die eidgenössische tripartite Kommission für Angelegenheiten der IAO empfohlen, das Übereinkommen Nr. 174 erneut zu prüfen, um gegebenenfalls Massnahmen im Hinblick auf seine Ratifikation zu planen.

Die Situation hat sich seit dem Inkrafttreten oder den nachfolgenden Revisionen des ArG und der ArGV 3, des ChemG, des Mitwirkungsgesetzes, des USG, des UVG und der VUV sowie der Störfallverordnung vom 27. Februar 199111 (StFV) massgeblich verändert.

Bis heute haben 18 Länder das Übereinkommen Nr. 174 ratifiziert: Albanien, Armenien, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Estland, Finnland, Indien, Kolumbien, der Libanon, Luxemburg, die Niederlande, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Simbabwe, Slowenien und die Ukraine.

7 8 9 10 11

SR 822.14 SR 814.01 SR 832.20 SR 832.30 SR 814.012

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1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage wurde weder in der Botschaft vom 29. Januar 2020 über die Legislaturplanung 2019­202312 noch im Entwurf des Bundesbeschlusses über die Legislaturplanung 2019­202313 angekündigt.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Die völkerrechtlichen Verträge der IAO haben aufgrund der tripartiten Struktur der Organisation einen speziellen Charakter, weshalb auf eine Vernehmlassung gemäss Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 14 verzichtet werden kann. Die Sozialpartner waren an der Erarbeitung der Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174 beteiligt. Es kann darum davon ausgegangen werden, dass von einer Vernehmlassung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bereits bekannt sind (Art. 3a Abs. 1 Bst. b des Vernehmlassungsgesetzes). Die Übereinkommen der IAO werden im Rahmen der sogenannten «doppelten Diskussion» an zwei aufeinanderfolgenden Sessionen der Internationalen Arbeitskonferenz diskutiert und verabschiedet. Die Ratifikation selbst kann erst nach der Genehmigung durch die Bundesversammlung geschehen. Dieses Prinzip ergibt sich aus der von der Schweiz unterzeichneten Verfassung der IAO und ist somit anwendbar.

Die vorliegende Botschaft wurde der eidgenössischen tripartiten Kommission für Angelegenheiten der IAO unterbreitet, einer ausserparlamentarischen konsultativen Kommission, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung und der schweizerischen Sozialpartner zusammensetzt. Die Kommission hat davon Kenntnis genommen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer- sowie der Arbeitgeberorganisationen unterstützen die Ratifikation der Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174.

3

Grundzüge des IAO-Übereinkommens Nr. 170

Das Übereinkommen Nr. 170 (vgl. Beilage 1) bezweckt den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz und die Verhütung von Berufskrankheiten und -unfällen aufgrund der Verwendung chemischer Stoffe und die Verringerung ihrer Auswirkungen. Um diese Ziele zu erreichen, sieht es insbesondere folgende Massnahmen vor:

12 13 14

­

die Bestimmung der von chemischen Stoffen ausgehenden Gefahren;

­

die Ausarbeitung eines Systems, das den Arbeitgebern erlaubt, von den Lieferanten die nötigen Informationen über Schutzmassnahmen zu erhalten, um BBl 2020 1777 BBl 2020 1907 SR 172.061

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wirksame Programme zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor chemischen Gefahren durchführen zu können; und ­

schliesslich die Zurverfügungstellung von relevanten Informationen und von geeigneten Verhütungsmassnahmen zum Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, welche an solchen Schutzverfahren beteiligt sind.

Diese Forderungen sind im schweizerischen Recht durch die unter Punkt 1.1 erwähnten Gesetze abgedeckt. Der Umgang mit Chemikalien wird in der Schweiz im Wesentlichen durch das ChemG und seine Ausführungsverordnungen (insbesondere ChemV und ChemRRV) geregelt. Diese sollen im Zusammenspiel mit dem ArG und dem UVG den Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten vor schädlichen Einflüssen und Einwirkungen durch Chemikalien in den Betrieben gewährleisten.

Bei der Prüfung des Übereinkommens ist ausserdem den folgenden Gesetzen, Verordnungen und Bestimmungen Rechnung zu tragen: Obligationenrecht (OR)15, Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) 16, StFV, Verordnung vom 29. November 200217 über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (SDR), Verordnung vom 31. Oktober 201218 über die Beförderung gefährlicher Güter mit Eisenbahnen und Seilbahnen (RSD), Ordnung vom 8. Juni 201119 für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID), Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern vom 26. Dezember 196020 über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werden, Europäisches Übereinkommen vom 30. September 195721 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR) sowie PICVerordnung vom 10. November 200422 (ChemPICV).

Ausserdem wird die Entwicklung des Schweizer Chemikalienrechts über entsprechende Verweise in der ChemV im Wesentlichen durch die Verordnung (EG) Nr. 1907/200623 (EU-REACH-Verordnung) und die Verordnung (EG)

15 16 17 18 19 20 21 22 23

SR 220 SR 946.51 SR 741.621 SR 742.412 AS 2011 2345 SR 832.321.11 SR 0.741.621 SR 814.82 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission, ABl. L 396 vom 30.12.2006 S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2017/999, ABl. L 150 vom 14.7.2017, S. 7.

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Nr. 1272/200824 (EU-CLP-Verordnung) bestimmt. Mit der REACH-Verordnng wird das geltende Chemikalienrecht (im engeren Sinne) der EU bezeichnet. In der EU-CLP-Verordnung sind die Kriterien zur Festlegung der gefährlichen Eigenschaften von Chemikalien in der EU festgelegt. Diese basiert auf dem in mittlerweile über 70 Staaten umgesetzten global harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien der Vereinten Nationen (UN GHS; GHS = Global Harmonized System of Classification. Labelling and Packaging of Chemicals).

Vor der Prüfung der einzelnen Bestimmungen ist darauf hinzuweisen, dass das Übereinkommen generell auf die Begriffe der «zuständigen Stelle oder eines von ihr anerkannten Organs» verweist. Der Bund, die Kantone und die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) teilen sich die Vollzugsaufgaben.

Im Bereich der chemischen Stoffe überwacht der Bund den Vollzug des ChemG (Art. 33 Abs. 1) und koordiniert die Vollzugsmassnahmen der Kantone (Art. 33 Abs. 2). Der Bund ist gemäss Artikel 34 Absatz 1 ChemG für folgende Aufgaben zuständig: für den Vollzug der Melde-, Anmelde- und Zulassungsverfahren; für die Überprüfung der Selbstkontrolle von Chemikalien (Stoffe, Zubereitungen und Gegenstände, die gefährliche Stoffe, Stoffe, die als PBT [persistent, bioakkumulierbar und toxisch] oder vPvB [sehr persistent und sehr bioakkumulierbar; vPvB = very persistent and very bioaccumulative] gelten, oder Stoffe nach Anhang 3 ChemV enthalten); für die Überprüfung und Bewertung alter Stoffe; für das Führen eines Registers der gemeldeten Stoffe und Zubereitungen; für die Information der Öffentlichkeit und Behörden über die Risiken und Gefahren im Umgang mit Stoffen und Zubereitungen; sowie für Empfehlungen oder Anordnungen zu Massnahmen zur Verminderung der Risiken.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ist die Beurteilungsstelle der chemischen Stoffe, der Biozidprodukte und der Pflanzenschutzmittel hinsichtlich der Bewertung ihrer Risiken im Bereich des Arbeitnehmerschutzes. Die Beurteilung der Risiken für die Bevölkerung und für die Umwelt wird vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bzw. vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) wahrgenommen.

Die Kantone sind für den Vollzug des Chemikalienrechts zuständig, soweit nicht der Bund zuständig ist. Sie koordinieren ihre Vollzugstätigkeiten mit den
Vollzugsbehörden des Arbeitnehmerschutzes (Art. 31 Abs. 1 ChemG). Darüber hinaus vollziehen sie die Verfügungen der Bundesbehörden, wenn sie damit beauftragt werden (Art. 31 Abs. 2 ChemG). Im Einzelnen sind die Kantone zuständig für die Marktüberwachung (Art. 87 Abs. 1 ChemV) und Kontrolle des Umgangs mit Chemikalien (Art. 87 Abs. 2 ChemV). Dabei haben die Kantone insbesondere die Einhaltung diverser produktbezogener Vorschriften (Sicherheitsdatenblatt und Expositionsszenarien, Zusammensetzung, verbotene oder beschränkte Stoffe sowie Zubereitungen, Konzentrationsgrenzen, Kennzeichnung und Werbung) zu überprüfen oder vor Ort zu prüfen, ob (An)melde- und Bewilligungspflichten eingehalten worden sind.

24

Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2020/217, ABl. L 44 vom 18.2.2020, S. 1.

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Im Bereich des Vollzuges von Chemikalien am Arbeitsplatz, d. h. in den Betrieben, teilen sich die Direktion für Arbeit des SECO (Eidgenössische Arbeitsinspektorate und der Arbeitsärztliche Dienst), die Kantone bzw. deren Arbeits- und Chemikalieninspektorate und die Suva die Aufgaben. Auf diese Weise wird ein einheitlicher Vollzug gewährleistet und das spezialisierte Wissen dieser Behörden kann genutzt werden. Diese Organe vollziehen in den Betrieben auch jene Bestimmungen des Chemikalienrechts, die sich direkt an die beruflichen Verwenderinnen und Verwender von Chemikalien richten, z. B. in Bezug auf die Überprüfung der Einhaltung der Sorgfaltspflicht (Art. 8 i. V. m. Art. 25 Abs. 1 ChemG) und die betriebliche Umsetzung der Informationen der Hersteller, die den beruflichen Verwenderinnen und Verwendern für den sicheren Umgang mit Chemikalien übermittelt werden (Art. 25 Abs. 2 ChemG).

4

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des IAO-Übereinkommens Nr. 170

Das Übereinkommen ist in sieben Teile gegliedert und umfasst 19 inhaltliche Artikel.

Teil I (Art. 1 und 2) umfasst den Geltungsbereich und die Bestimmungen der zentralen Begriffe und Ausdrücke, die im Übereinkommen verwendet werden.

Art. 1 Gemäss Artikel 1 Absatz 1 gilt das Übereinkommen für alle Wirtschaftszweige, in denen chemische Stoffe verwendet werden.

Das ChemG gibt den allgemeinen Rahmen für den Umgang mit Stoffen und Zubereitungen vor (Art. 2 Abs. 1). Artikel 25 Absatz 1 ChemG schreibt die Einhaltung von Schutzmassnahmen vor, wenn beruflich oder gewerbsmässig mit Chemikalien umgegangen wird. Der Artikel 1 Absatz 1 zum Geltungsbereich des Übereinkommens hinsichtlich der betroffenen Wirtschaftszweige kann angenommen werden.

Laut Absatz 2 kann der Staat nach Anhörung der Sozialpartner und aufgrund einer Beurteilung der bestehenden Gefahren und der anzuwendenden Schutzmassnahmen bestimmte Wirtschaftszweige, Betriebe oder Erzeugnisse von der Anwendung des Übereinkommens oder einzelner seiner Bestimmungen ausnehmen, wenn zwei kumulative Bedingungen erfüllt sind: wenn besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten und wennder gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis insgesamt gebotene Schutz nicht geringer ist, als er sich bei voller Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens ergeben würde (Bst. a Ziff. i und ii). Zudem hat der Staat besondere Vorkehrungen zum Schutz von vertraulichen Informationen zu treffen, deren Weitergabe an einen Wettbewerber dem Betrieb eines Arbeitgebers voraussichtlich Schaden zufügen würde, soweit die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dadurch nicht gefährdet werden (Bst. b).

Das ChemG sieht keine Ausnahmen vom Geltungsbereich vor (Bst. a).

Die speziellen Bestimmungen zum Schutz vertraulicher Informationen (Bst. b) gegenüber Wettbewerbern sind in Artikel 73 ChemV enthalten. Artikel 73 Absatz 2 ChemV

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besagt, dass die Anmeldestelle im Einvernehmen mit den Beurteilungsstellen die vertraulichen Daten bezeichnet. Nach Artikel 73 Absatz 3 Buchstabe b ChemV gilt insbesondere das Interesse an der Wahrung des Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisses, einschliesslich der vollständigen Zusammensetzung einer Zubereitung, als schutzwürdig. Zudem besteht die Möglichkeit nach Anhang II Teil A Abschnitt 3.2 der Verordnung (EU) 2015/83025, welche die Anforderungen an die Sicherheitsdatenblätter festlegt und auch für die Schweiz relevant ist, eine Genehmigung für eine alternative chemische Bezeichnung gemäss Artikel 24 der EU-CLP-Verordnung einzuholen, wenn der Gesuchsteller nachweisen kann, dass die Offenlegung der chemischen Identität dieses Stoffes auf dem Kennzeichnungsetikett oder dem Sicherheitsdatenblatt seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, insbesondere sein geistiges Eigentum, gefährden würde. In keinem Fall als vertraulich gelten hingegen Daten und Informationen, welche für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant sind (Art. 73 Abs. 5 ChemV).

Absatz 3 sieht vor, dass das Übereinkommen nicht für Artikel gilt, die bei normalen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendungsbedingungen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinem gefährlichen chemischen Stoff aussetzen.

Für den Umgang mit Stoffen und Zubereitungen ist das ChemG anwendbar (Art. 2 Abs. 1). Allerdings kann der Bundesrat besondere Vorschriften erlassen für Gegenstände, welche bestimmte, für das Leben und die Gesundheit gefährliche Stoffe oder Zubereitungen enthalten, die bei der bestimmungsgemässen oder der zu erwartenden Verwendung der Gegenstände das Leben oder die Gesundheit gefährden können (Art. 19 Abs. 1 ChemG). Der Geltungsbereich der ChemG ist daher breiter gefasst als der des Übereinkommens.

Absatz 4 spezifiziert schliesslich, dass das Übereinkommen nicht für Organismen gilt, aber für aus Organismen gewonnene chemische Stoffe.

Dem Umgang mit Stoffen und Zubereitungen gleichgestellt ist der Umgang mit Mikroorganismen, soweit sie in Biozidprodukten oder Pflanzenschutzmitteln Verwendung finden (Art. 2 Abs. 2 ChemG). Die Bundesversammlung kann durch Verordnung den Geltungsbereich dieses Gesetzes oder einzelner Bestimmungen auf Organismen ausdehnen, die gefährliche Eigenschaften
im Sinne dieses Gesetzes aufweisen oder aufweisen können (Art. 2 Abs. 3 Bst. a ChemG), und auf den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Nutz- und Haustieren (Art. 2 Abs. 3 Bst. b ChemG).

Der Geltungsbereich der ChemG ist daher auch hier breiter gefasst als der des Übereinkommens.

Unter diesen Umständen kann Artikel 1 des Übereinkommens angenommen werden.

25

Verordnung (EU) 2015/830 der Kommission vom 28. Mai 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), Fassung gemäss ABl. L 132 vom 29.5.2015, S. 8.

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Art. 2 Artikel 2 enthält die Begriffsbestimmungen. Artikel 2 bestimmt, dass im Sinne dieses Übereinkommens a) der Ausdruck «chemische Stoffe» chemische Elemente und Verbindungen sowie Mischungen davon bezeichnet, gleich ob es sich um natürliche oder synthetische Stoffe handelt; b) der Ausdruck «gefährlicher chemischer Stoff» jeden chemischen Stoff umfasst, der gemäss Artikel 6 des Übereinkommens als gefährlich klassifiziert worden ist oder für den einschlägige Informationen vorliegen, denen zufolge der chemische Stoff gefährlich ist; c) der Ausdruck «Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit» jede Arbeitstätigkeit bedeutet, bei der eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer einem chemischen Stoff ausgesetzt werden kann, einschliesslich der Herstellung von chemischen Stoffen (i), der Handhabung von chemischen Stoffen (ii), der Lagerung von chemischen Stoffen (iii); des Transports von chemischen Stoffen (iv), der Beseitigung und der Behandlung von chemischen Abfallstoffen (v), der arbeitsbedingten Freisetzung von chemischen Stoffen (vi) und der Wartung, Instandsetzung und Reinigung von Ausrüstungen und Behältnissen für chemische Stoffe (vii); d) der Ausdruck «Wirtschaftszweige» alle Zweige umfasst, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind, einschliesslich des öffentlichen Dienstes; e) der Ausdruck «Artikel» als einen Gegenstand bezeichnet, der während seiner Herstellung eine bestimmte Form oder Ausführung erhält oder der in seiner natürlichen Form vorliegt und dessen Verwendung in dieser Form ganz oder teilweise von seiner Form oder seiner Ausführung abhängt; f) der Ausdruck «Arbeitnehmervertreterin» oder «Arbeitnehmervertreter» Vertreterinnen und Vertreter bezeichnet, die aufgrund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis im Einklang mit dem Übereinkommen über Arbeitnehmervertreter, 1971, als solche anerkannte Personen bedeuten.

In der Schweiz sind die unter Buchstaben a und b enthaltenen Begriffe «chemische Stoffe» und «gefährliche chemische Stoffe» im ChemG und in der ChemV definiert.

Der Begriff des chemischen Stoffes umfasst nach Schweizer Recht sowohl Stoffe (Art. 4 Abs. 1 Bst. a i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Bst. a ChemV) und Zubereitungen (Art. 4 Abs. 1 Bst. c ChemG). Der Begriff des Stoffes umfasst nach geltendem Schweizer Recht (Art. 2 Abs. 1 Bst. a ChemV) zusätzlich
auch die Verunreinigungen und Zusatzstoffe (Stabilisatoren) im chemischen Stoff. Das ArG und das UVG umfassen darüber hinaus auch die prozessgenerierten Substanzen und Mischungen wie z. B. Dieselabgase, Quarzstaub, Schweissrauch oder Holzstaub. Gemäss Artikel 3 ChemV sind Stoffe und Zubereitungen gefährlich, wenn sie die in den technischen Vorschriften nach Anhang 2 Ziffer 1 genannten Kriterien zur Einstufung hinsichtlich physikalischer Gefahren, Gesundheitsgefahren, Umweltgefahren oder weiterer Gefahren erfüllen.

Der Buchstabe c umfasst alle Verwendungen von chemischen Stoffen bei der Arbeit, die in den Ziffern ivii umschrieben sind. Um Schäden für den Menschen und die Umwelt zu verhindern, ist die Verwendung chemischer Stoffe in der Schweiz in verschiedenen Gesetzen und deren Ausführungsverordnungen ausführlich geregelt. Das ChemG ist anwendbar auf jeglichen Umgang mit Stoffen und Zubereitungen. Dieses Gesetz ist mit anderen Bundesgesetzen wie dem ArG und dem UVG verknüpft. Der Begriff des Umgangs ist im ChemG breit definiert und deckt eine breite Palette an Aktivitäten im Zusammenhang mit Chemikalien ab. Das ChemG definiert den Um-

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gang mit Chemikalien als «jede Tätigkeit im Zusammenhang mit Stoffen oder Zubereitungen, insbesondere das Herstellen, Einführen, Ausführen, Inverkehrbringen, Lagern, Aufbewahren, Transportieren, Verwenden oder Entsorgen» (Art. 4 Abs. 1 Bst. j). Demnach ist unter Umgang nicht etwa nur die Aufbewahrung oder Verwendung von Chemikalien zu verstehen, sondern auch der Import, der Export und das Inverkehrbringen. Der Geltungsbereich des Gesetzes bezieht sich folglich auf diesen breiten Begriff des Umgangs (siehe Art. 2 Abs. 1 ChemG). Dieser Begriff deckt die in Buchstabe c Ziffern iv und vii beschriebenen Aktivitäten daher ab. Das ArG und das UVG bzw. deren Ausführungsverordnungen (insbesondere die ArGV 3 und die VUV) decken zudem auch die arbeitsbedingte Freisetzung von chemischen Stoffen nach Buchstabe c Ziffer vi ab.

Für die Definition des Ausdrucks «Wirtschaftszweige» in Artikel 2 Buchstabe d verweist der Bundesrat auf die Erläuterungen zu Artikel 1 Absatz 1.

Der unter Buchstabe e verwendete Ausdruck «Artikel» entspricht dem Begriff Gegenstand im Schweizer Chemikalienrecht (Art. 2 Abs. 2 Bst. e ChemV).

Der Verweis auf den Ausdruck «Arbeitnehmervertreterin» oder «Arbeitnehmervertreter» (Bst. f) stellt schliesslich aufgrund der von der IAO selbst gegebenen Erläuterungen kein Problem dar. Das SECO hat zu mehreren Bestimmungen des Übereinkommens eine juristische Stellungnahme der IAO eingefordert. Das Übereinkommen verwendet in diesen Artikeln den Ausdruck der Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter und verweist damit auf das Übereinkommen Nr. 135 der IAO über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb, welches die Schweiz nicht ratifiziert hat. Bei den Stellungnahmen ging es darum, von der IAO die notwendigen Klärungen und Zusicherungen betreffend die transversale Tragweite des Verweises auf das Übereinkommen Nr. 135 zu erhalten. Laut IAO definiert das Übereinkommen Nr. 135 den Ausdruck Arbeitnehmervertreter nicht, sondern überlässt es den Mitgliedstaaten, das eine oder andere System für die Arbeitnehmervertretung einzuführen. «Es ist Sache der nationalen Gesetzgebung, der Gesamtarbeitsverträge, der Schiedssprüche oder der Gerichtsurteile, die Arten von Arbeitnehmervertretern zu bestimmen, die Anrecht auf den Schutz und die Leistungen unter dem vorliegenden Übereinkommen
haben sollen». Angesichts des Vorangehenden ist die IAO der Ansicht, dass das Übereinkommen Nr. 170 ohne vorhergehende Ratifikation des Übereinkommens Nr. 135 ratifiziert werden kann und dass die Schweizer Gesetzgebung in diesen Punkten mit dem Übereinkommen Nr. 170 übereinstimmt. Die klaren Antworten der IAO erleichtern die Überprüfung der Übereinstimmung unseres positiven Rechts mit dem Übereinkommen Nr. 170. So vertritt die IAO die Ansicht, dass im Bereich der Unfallversicherung Artikel 6a der VUV (Mitspracherechte) die Anforderungen des Übereinkommens Nr. 170 hinsichtlich der Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter erfüllt.

Unter diesen Umständen kann Artikel 2 des Übereinkommens angenommen werden.

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Teil II (Art. 35) enthält allgemeine Grundsätze für das Übereinkommen.

Art. 3 Laut Artikel 3 sind die in Betracht kommenden massgebenden Verbände der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den Massnahmen anzuhören, die zur Durchführung dieses Übereinkommens zu treffen sind.

Dieser Grundsatz ist in der Schweiz durch die Beteiligung und die Anhörung der Sozialpartner bei der Erarbeitung und der Revision unserer Rechtsvorschriften und der Weisungen der Kontrollorgane erfüllt.

Artikel 3 des Übereinkommens kann angenommen werden.

Art. 4 Gemäss Artikel 4 hat der Staat unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Verhältnisse und Gepflogenheiten und in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine in sich geschlossene Politik auf dem Gebiet der Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen.

Dieser Grundsatz ist in unserem System erfüllt: Nach. Artikel 85 UVG stellt die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) eine kohärente Politik auf dem Gebiet der Sicherheit, d. h. beim Vollzug der Bestimmungen über die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten durch die Durchführungsorgane des ArG (Kantone und SECO) sicher; dasselbe gilt für die Suva bei der Verwendung von chemischen Stoffe bei der Arbeit. Da sich die EKAS aus Vertreterinnen und Vertretern der Versicherer, der Durchführungsorgane sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter zusammensetzt (Art. 85 Abs. 2 UVG), kann Artikel 4 des Übereinkommens angenommen werden.

Art. 5 Laut Artikel 5 muss die zuständige Stelle, sofern es aus Gründen der Sicherheit und der Gesundheit gerechtfertigt ist, befugt sein, die Verwendung bestimmter gefährlicher chemischer Stoffe zu untersagen oder einzuschränken oder eine vorherige Meldung und Genehmigung zu verlangen, bevor solche chemischen Stoffe verwendet werden.

Gemäss Artikel 19 ChemG erlässt der Bundesrat Verbote oder Einschränkungen der Verwendung gewisser gefährlicher chemischer Stoffe. Die Verbote und Einschränkungen werden grundsätzlich in den Anhängen der ChemRRV konkretisiert. Zudem unterliegen gefährliche chemische Stoffe einer Meldepflicht und gewisse Stoffe und Zubereitungen wie etwa Biozidprodukte,
Pflanzenschutzmittel oder besonders besorgniserregende Stoffe (engl.: Substances of Very High Concern, SVHC) benötigen eine Zulassung und neue Stoffe eine Anmeldung durch die Behörden.

Artikel 5 des Übereinkommens kann angenommen werden.

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Teil III (Art. 69) behandelt die Klassifizierung der chemischen Stoffe und damit zusammenhängende Massnahmen.

Art. 6 Gemäss Artikel 6 Absatz 1 hat die zuständige Stelle oder ein von ihr zugelassenes oder anerkanntes Organ in Übereinstimmung mit innerstaatlichen oder internationalen Normen Systeme und spezifische Kriterien festzulegen, die geeignet sind für die Klassifizierung aller chemischen Stoffe nach Art und Grad der mit ihnen verbundenen gesundheitlichen und physikalischen Gefahren sowie für die Beurteilung der Zweckdienlichkeit der Informationen, die erforderlich sind, um zu bestimmen, ob ein chemischer Stoff gefährlich ist.

Nach Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a ChemG legt der Bundesrat die Kriterien für die Einstufung von Stoffen und Zubereitungen fest. Die Anforderungen an die Einstufung chemischer Stoffe und Zubereitungen sind in der Schweiz auf das EU-Recht abgestimmt und wurden in der EU-CLP-Verordnung festgelegt (Art. 67 ChemV). Diese basiert auf dem in mittlerweile über 70 Staaten umgesetzten UN GHS. Das UN GHS enthält die harmonisierten Kriterien zur Einstufung von Stoffen und Zubereitungen hinsichtlich der von ihnen ausgehenden physikalischen Gefahren, Gesundheitsgefahren und Umweltgefahren. Die EU-CLP-Verordnung, auf welche sich die Schweiz abstützt, ist damit die Umsetzung des UN-GHS in der EU. Eines der Hauptziele der EU-CLP-Verordnung besteht in der Feststellung, ob ein Stoff oder eine Zubereitung Eigenschaften aufweist, die zur Einstufung als gefährlich führen. Werden die Einstufungskriterien der EU-CLP-Verordnung erfüllt, ist der Stoff bzw. die Zubereitung in die entsprechende Gefahrenklasse und Gefahrenkategorie einzustufen.

Nach Absatz 2 können die gefährlichen Eigenschaften von Mischungen, die sich aus zwei oder mehr chemischen Stoffen zusammensetzen, durch Beurteilungsverfahren auf der Grundlage der mit ihren chemischen Bestandteilen verbundenen Gefahren bestimmt werden.

Wie bereits erwähnt wird in Artikel 7 ChemV für das Einstufen von Mischungen (Zubereitungen) auf die massgebenden Vorschriften der EU-CLP-Verordnung (Art. 615) Bezug genommen. Da im folgenden Absatz in Zusammenhang mit der EU-CLP-Verordnung von Gemischen gesprochen wird, sei hier angemerkt, dass gemäss Anhang 1 Ziffer 1 ChemV der in der Schweizerischen Gesetzgebung verwendete Begriff «Zubereitung» mit
dem von der EU verwendeten Begriff «Gemisch» gleichzusetzen ist. Hersteller nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b ChemV müssen ihre Mischungen im Rahmen der Selbstkontrolle nach Artikel 5 ChemV gemäss den Bestimmungen in den Artikeln 6­15 der EU-CLP-Verordnung einstufen und dabei sämtliche Pflichten wahrnehmen, die darin an Hersteller, Importeure oder nachgeschaltete Anwender gerichtet sind.

Die technischen Bestimmungen zum Einstufen von Gemischen finden sich im Anhang I der EU-CLP-Verordnung. Dieser enthält allgemeine Grundsätze für die Einstufung von Gemischen in Teil 1 (bspw. Übertragungsgrundsätze / Bridging Principles; Berücksichtigungsgrenzwerte) sowie die Einstufungskriterien für Gemische zu den jeweiligen aus dem UN GHS übernommenen Gefahrenklassen und -kategorien in Teil 2 (physikalische Gefahren), Teil 3 (Gesundheitsgefahren), Teil 4 (Umweltgefah-

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ren) und Teil 5 (weitere Gefahren). Nach den obigen Ausführungen können also Zubereitungen bzw. Mischungen u. a. auch auf der Grundlage der mit ihren chemischen Bestandteilen verbundenen Gefahren bestimmt werden.

Laut Absatz 3 haben solche Systeme und Kriterien für den Fall des Transports den Empfehlungen der Vereinten Nationen über den Transport gefährlicher Güter Rechnung zu tragen.

Die Schweiz gehört zu den Parteien des ADR und der RID. Gefährliche Güter umfassen Stoffe und Gegenstände, deren Beförderung nach dem ADR und der SDR verboten sein kann oder nur unter gewissen Bedingungen gestattet ist. Der Absender von gefährlichen Gütern ist in der Schweiz verpflichtet, eine nach den Vorschriften des ADR und der RID konforme Sendung zur Beförderung zu übergeben. Er hat sich zu vergewissern, dass die Güter zur Beförderung zugelassen sind und hat diese entsprechend einzustufen. Im Sicherheitsdatenblatt des jeweiligen zu versendenden Produktes sind im Abschnitt 14 die «Angaben zum Transport» aufgeführt. Sind dort eine Gefahrenklasse und ein oder mehrere Gefahrenzettel (Piktogramme) mit UNNummer angegeben, so handelt es sich um ein gefährliches Gut im Sinne des ADR.

Ist dies nicht der Fall oder ist ein Hinweis vorhanden, dass das Produkt nicht unter die Bestimmungen des ADR fällt, so handelt es sich nicht um ein gefährliches Gut (Anlage A Ziff. 2.1.1 ADR). Die Schweiz trägt damit beim Transport dem System und den Kriterien der Empfehlungen der Vereinten Nationen über den Transport gefährlicher Güter Rechnung.

Absatz 4 sieht vor, dass die Klassifizierungssysteme und ihre Anwendung schrittweise zu erweitern sind.

Die EU-CLP-Verordnung und damit auch das Schweizer Chemikalienrecht (über den Anhang 2 Ziffer 1 ChemV) werden fortlaufend und mit hoher Frequenz an den technischen Fortschritt (engl.: ATP: Adaptation to Technical Progress) angepasst.

Artikel 6 des Übereinkommens kann angenommen werden.

Art. 7 Gemäss Artikel 7 Absatz 1 sind alle chemischen Stoffe so zu kennzeichnen, dass ihre Identifizierung möglich ist.

Der Hersteller nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b ChemV muss Stoffe und Zubereitungen bei der Bereitstellung für Dritte oder bei der Abgabe an Dritte entsprechend den Vorschriften der ChemV (Art. 1015 ChemV) kennzeichnen und damit identifizieren.

Laut Absatz 2 sind gefährliche chemische
Stoffe darüber hinaus in einer für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leicht verständlichen Weise zu etikettieren, um wesentliche Informationen über ihre Klassifizierung, die Gefahren, die sie darstellen, und die zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen zu liefern.

Die Schweiz hat mit dem Verweis in Artikel 10 ChemV auf die entsprechenden Artikel der EU-CLP-Verordnung die Bestimmungen über die Kennzeichnung bzw. Etikettierung des UN GHS übernommen. Dadurch ist sichergestellt, dass die wesentlichen Informationen auf der Kennzeichnung (Gefahrenpiktogramme, Gefahrensignale, 17 / 52

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Gefahrenhinweise und Sicherheitshinweise) für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leicht verständlich sind.

Absatz 3 spezifiziert folgende zwei Punkte: (1) Die Erfordernisse für die Kennzeichnung oder Etikettierung von chemischen Stoffen gemäss den Absätzen 1 und 2 dieses Artikels sind von der zuständigen Stelle oder von einem von der zuständigen Stelle zugelassenen oder anerkannten Organ in Übereinstimmung mit innerstaatlichen oder internationalen Normen festzulegen; (2) für den Fall des Transports haben diese Erfordernisse den Empfehlungen der Vereinten Nationen über den Transport gefährlicher Güter Rechnung zu tragen.

Der Bundesrat erlässt Vorschriften gemäss Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b ChemG über die Kennzeichnung. Diese Erfordernisse sind auch für den Fall des Transports erfüllt (siehe Ausführungen zu Art. 6 Abs. 3).

Artikel 7 kann angenommen werden.

Art. 8 Gemäss Artikel 8 Absatz 1 sind den Arbeitgebern für gefährliche chemische Stoffe Sicherheitsdatenblätter zur Verfügung zu stellen, die im Einzelnen die wesentlichen Angaben über die Identität der chemischen Stoffe, Lieferanten, Klassifizierung, Gefahren, Sicherheitsvorkehrungen und geeignete Schutzmassnahmen bei der Verwendung von chemischen Stoffen sowie die Verfahren im Notfall enthalten.

Das Sicherheitsdatenblatt dient dazu, berufliche Verwenderinnen und Verwender und Händler, also Personen, die beruflich oder gewerblich mit Stoffen oder Zubereitungen umgehen, in die Lage zu versetzen, die für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz sowie den Umweltschutz erforderlichen Massnahmen zu treffen. Das heisst, das Sicherheitsdatenblatt muss über die Gefahren eines Stoffs oder einer Zubereitung informieren sowie Angaben über den sicheren Umgang (u. a. die sichere Lagerung, Handhabung und Entsorgung) des Stoffs oder der Zubereitung enthalten.

Die Anforderungen an die Erstellung des Sicherheitsdatenblatts sind in Artikel 20 ChemV geregelt. Gegebenenfalls müssen auch Expositionsszenarien (Art. 16 und 17 ChemV) dem Sicherheitsdatenblatt als Anhang beigefügt werden. Ein Expositionsszenario bezweckt, für jede identifizierte Verwendung des (gefährlichen) Stoffes die Bedingungen anzugeben, unter welchen die Exposition und damit auch das Risiko, dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Umgang mit diesem Stoff ausgesetzt
sind, beherrscht ist. Das Ziel der Erstellung von Expositionsszenarien ist es somit, für jede identifizierte Verwendung eines Stoffes diejenigen Verwendungsbedingungen (z. B. Menge oder Konzentration) und Risikomanagementmassnahmen (z. B. Ventilation) in den Expositionsszenarien anzugeben, mit denen ein sicherer Umgang mit diesem Stoff und damit auch der Schutz der Gesundheit der Beschäftigten gewährleistet werden kann.

Gemäss Anhang 2 Ziffer 3.2 ChemV müssen die Abschnitte 1, 7, 8, 13 und 15 des Anhangs II der EU-REACH-Verordnung an die schweizerischen Bestimmungen angepasst werden. Inhaltlich umfasst das Sicherheitsdatenblatt die folgenden sechzehn Themenbereiche, welche die Themenbereiche nach Artikel 8 Absatz 1 des Übereinkommens abdecken: Bezeichnung des Stoffs oder der Zubereitung und Bezeichnung

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des Unternehmens, mögliche Gefahren, Zusammensetzung und Angaben zu den Bestandteilen, Erste-Hilfe-Massnahmen, Massnahmen zur Brandbekämpfung, Massnahmen bei unbeabsichtigter Freisetzung, Handhabung und Lagerung, Begrenzung und Überwachung der Exposition und persönliche Schutzausrüstungen, physikalische und chemische Eigenschaften, Stabilität und Reaktivität, toxikologische Angaben, umweltbezogene Angaben, Hinweise zur Entsorgung, Angaben zum Transport, Rechtsvorschriften, sowie sonstige Angaben.

Ein korrekt erstelltes Sicherheitsdatenblatt nach Schweizer Recht erfüllt demnach die im Artikel 8 Absatz 1 des Übereinkommens beschriebenen Anforderungen.

Absatz 2 spezifiziert, dass die Kriterien für die Ausarbeitung der Sicherheitsdatenblätter von der zuständigen Stelle oder von einem von der zuständigen Stelle zugelassenen oder anerkannten Organ in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen oder internationalen Normen festzulegen sind.

Nach Artikel 7 Absatz 1 ChemG muss, wer Stoffe oder Zubereitungen in Verkehr bringt, Abnehmerinnen und Abnehmer über die gesundheitsrelevanten Eigenschaften und Gefahren sowie über die erforderlichen Vorsichts- und Schutzmassnahmen informieren. Nach Artikel 7 Absatz 2 ChemG erlässt der Bundesrat Vorschriften über die Art, den Inhalt und den Umfang der Information, insbesondere über die Abgabe und den Inhalt eines Sicherheitsdatenblattes.

Die grundsätzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Sicherheitsdatenblatt sind in den Artikeln 16­23 ChemV festgehalten. Gemäss Artikel 20 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang 2 Ziffer 3 ChemV wird für die Erstellung eines Sicherheitsdatenblatts auf Anhang II der EU-REACH-Verordnung verwiesen. Der Anhang II der EU-REACH-Verordnung wurde zuletzt durch die Verordnung (EU) 2015/830 der Kommission vom 28. Mai 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) angepasst. Diese Anpassung gilt auch in der Schweiz seit dem 1. Dezember 2015.

Nach Absatz 3 muss die chemische oder übliche Bezeichnung, die zur Bestimmung des chemischen Stoffes auf dem Sicherheitsdatenblatt verwendet wird, dieselbe sein wie auf dem Etikett.

Dies ist durch den Verweis in Anhang 2 Ziffer 3 ChemV auf den Abschnitt 1.1 der Verordnung (EU)
2015/830 sichergestellt: Der Produktidentifikator ist bei Stoffen gemäss Artikel 18 Absatz 2 der EU-CLP-Verordnung, bei Zubereitungen gemäss Artikel 18 Absatz 3 Buchstabe a der EU-CLP-Verordnung und auf dem Kennzeichnungsetikett in der Sprache des Sicherheitsdatenblatts (Art. 21 Abs. 3 ChemV oder Art. 16e Abs. 2 THG) anzugeben.

Unter diesen Umständen kann Artikel 8 des Übereinkommens angenommen werden.

Art. 9 Gemäss Artikel 9 Absatz 1 haben Lieferanten von chemischen Stoffen, gleich ob es sich dabei um Hersteller, Importeure oder Händler handelt, sicherzustellen, dass a) diese chemischen Stoffe gemäss Artikel 6 auf der Grundlage der Kenntnis ihrer Eigenschaften und einer Auswertung der vorliegenden Informationen klassifiziert oder 19 / 52

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gemäss Absatz 3 bewertet worden sind; b) diese chemischen Stoffe gemäss Artikel 7 Absatz 1 so gekennzeichnet werden, dass ihre Identifizierung möglich ist; c) die von ihnen gelieferten gefährlichen chemischen Stoffe gemäss Artikel 7 Absatz 2 etikettiert werden; und d) Sicherheitsdatenblätter für solche gefährliche chemische Stoffe gemäss Artikel 8 Absatz 1 ausgearbeitet und den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden.

Diesen in Artikel 9 Absatz 1 genannten Forderungen müssen die Hersteller im Rahmen ihrer Selbstkontrollpflichten nach Artikel 5 ChemV vor dem Inverkehrbringen der Chemikalien auf dem Schweizer Markt nachkommen. Sie müssen nach Artikel 5 Absatz 1 ChemV die Chemikalien vor dem Inverkehrbringen bewerten (Bst. a), korrekt einstufen (Bst. b), kennzeichnen (Bst. c) und verpacken und dazu die Sicherheitsdatenblätter und Expositionsszenarien erstellen (Bst. d). Gemäss Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b ChemV gilt als Hersteller jede natürliche oder juristische Person, die Stoffe oder Zubereitungen beruflich oder gewerblich herstellt, gewinnt oder zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken einführt, und wer Stoffe, Zubereitungen oder Gegenstände in der Schweiz bezieht und sie in unveränderter Zusammensetzung unter eigenem Namen ohne Angabe des Namens des ursprünglichen Herstellers, unter eigenem Handelsnamen, in einer anderen als der von dem ursprünglichen Hersteller vorgesehenen Verpackung oder für einen anderen Verwendungszweck gewerblich abgibt. Importeure und Händler unterliegen daher auch den Verpflichtungen nach Artikel 5 ChemV.

Laut Absatz 2 haben Lieferanten von gefährlichen chemischen Stoffen sicherzustellen, dass abgeänderte Etiketten und Sicherheitsdatenblätter nach einer der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis entsprechenden Methode ausgearbeitet und den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden, wenn neue einschlägige Informationen über die Sicherheit und die Gesundheit vorliegen.

Diese Forderung ist mit Artikel 22 (Aktualisierung des Sicherheitsdatenblatts) und 10 (Kennzeichnung) ChemV abgedeckt.

Nach Absatz 3 haben Lieferanten von chemischen Stoffen, die noch nicht gemäss Artikel 6 klassifiziert worden sind, die von ihnen gelieferten chemischen Stoffe zu bezeichnen und die Eigenschaften dieser chemischen Stoffe anhand der vorliegenden Informationen zu bewerten, um
festzustellen, ob es gefährliche chemische Stoffe sind.

Die unter den Erläuterungen zu Artikel 9 Absatz 1 erwähnte Selbstkontrollpflicht gilt auch für chemische Stoffe, die noch nicht gemäss Artikel 6 klassifiziert worden sind (Art. 5 ChemV).

Artikel 9 kann angenommen werden.

Teil IV (Art. 1016) legt die Verantwortlichkeiten der Arbeitgeber in Sachen Kennzeichnung, Etikettierung und Sicherheitsdatenblätter fest.

Art. 10 Gemäss Artikel 10 Absatz 1 haben die Arbeitgeber sicherzustellen, dass alle bei der Arbeit verwendeten chemischen Stoffe gemäss den Erfordernissen in Artikel 7 etikettiert oder gekennzeichnet werden und dass Sicherheitsdatenblätter gemäss den Erfordernissen in Artikel 8 bereitgestellt worden sind und den Arbeitnehmerinnen 20 / 52

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und Arbeitnehmern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern zur Verfügung gestellt werden.

Das ChemG, das ArG und das UVG weisen die Verantwortung für den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zu. In Bezug auf Chemikalien konkretisiert Artikel 25 ChemG explizit, dass die Betriebe und Bildungsstätte dazu verpflichtet sind, alle Massnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten im Umgang mit Chemikalien zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Diese Formulierung entspricht inhaltlich grösstenteils derjenigen der Artikel 6 ArG, 82 UVG und 328 Absatz 2 OR. Die Gesetzgebung im Bereich der chemischen Stoffe sorgt somit für Bedingungen, die es dem Arbeitgeber ermöglichen, diese Verantwortung hinsichtlich der im Unternehmen verwendeten chemischen Stoffe wahrzunehmen.

Die Schweizer Gesetzgebung im Bereich der chemischen Stoffe verlangt zwar nicht ausdrücklich, dass die Sicherheitsdatenblätter durch den Arbeitgeber automatisch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden müssen. Allerdings haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Vertreterinnen oder Vertreter im Rahmen des Mitwirkungsgesetzes das Recht, über einschlägige Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit informiert zu werden (Art. 9 Abs. 1) und bei deren Umsetzung mitzuwirken (Art. 10 Bst. a). Zur Wahrnehmung der Informations- und Mitwirkungsrechte gehören im Chemikalienbereich u. a.

die Informationen auf der Kennzeichnungsetikette oder auf dem Sicherheitsdatenblatt, da diese Informationen im Betrieb die Grundlage für die zu treffenden Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bilden. Auch nach Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 ArG und Artikel 82 Absatz 2 UVG hat der Arbeitgeber für den Gesundheitsschutz und zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Mitwirkung heranzuziehen. Artikel 6a VUV verlangt darüber hinaus, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder deren Vertretung im Betrieb über alle Fragen, welche die Arbeitssicherheit betreffen, ein Mitspracherecht zusteht.

Dieses Anhörungsrecht beinhaltet das Recht, frühzeitig und
umfassend über diese Fragen angehört zu werden, sowie auch das Recht, Vorschläge zu unterbreiten, bevor der Arbeitgeber einen Entscheid trifft. Der Arbeitgeber hat seinen Entscheid zu begründen, wenn er den Einwänden und Vorschlägen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder von deren Vertretung im Betrieb nicht oder nur teilweise Rechnung trägt.

Laut Absatz 2 haben Arbeitgeber, die chemische Stoffe erhalten, die nicht gemäss den Erfordernissen in Artikel 7 etikettiert oder gekennzeichnet oder für die keine Sicherheitsdatenblätter gemäss den Erfordernissen in Artikel 8 bereitgestellt worden sind, sich die einschlägigen Informationen beim Lieferanten oder bei anderen ohne weiteres zugänglichen Quellen zu beschaffen, und dürfen die chemischen Stoffe erst dann verwenden, wenn sie im Besitz dieser Informationen sind.

Die Schweizer Gesetzgebung sieht in erster Linie eine Pflicht zur Informationüber die gesundheitsrelevanten Eigenschaften und Gefahren sowie über die erforderlichen Vorsichts- und Schutzmassnahmen diejenige Person vor, die Stoffe oder Zubereitungen in Verkehr bringt (Art. 7 ChemG). Im Bereich der chemischen Stoffe legt sie aber nicht ausdrücklich fest, welche Informationsquellen der Arbeitgeber zu verwenden 21 / 52

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hat, wenn die vom Lieferanten übermittelten Informationen unzureichend sind, da für den Arbeitgeber keine direkte rechtliche Verantwortung für die Sicherstellung der Qualität und der Eignung der vom Lieferanten empfohlenen Schutzmassnahmen im Hinblick auf die konkrete Verwendung der chemischen Stoffe im Betrieb besteht. Allerdings verpflichtet die Sorgfaltspflicht nach Artikel 8 i. V. m. Artikel 25 ChemG den Arbeitgeber dazu, die von den Herstellern übermittelten Informationen zu den gefährlichen Eigenschaften von Stoffen und Zubereitungen sowie zu den nötigen Vorsichts- und Schutzmassnahmen gebührend zu beachten und alle Massnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig und nach dem Stand der Technik anwendbar sind. Dies bedeutet, dass ein sorgfältiges Verhalten verlangt wird, das den gefährlichen Chemikalien und der jeweiligen Situation am Arbeitsplatz angepasst ist, und dazu gehört insbesondere die eigenverantwortliche Einhaltung der von dem Hersteller empfohlenen Schutzmassnahmen. Artikel 55 Absatz 2 ChemV konkretisiert sodann den Artikel 8 Satz 2 ChemG, dass insbesondere die Informationen auf der Verpackung, Kennzeichnung, dem Sicherheitsdatenblatt und den Expositionsszenarien für den sicheren Umgang mit Stoffen und Zubereitungen zu berücksichtigen sind. Stellt der Arbeitgeber im Rahmen der Wahrnehmung seiner Sorgfaltspflicht (Art. 8 i. V. m. Art. 25 ChemG) fest, dass er nicht ausreichende Informationen für die sichere Verwendung der Chemikalie hat, muss er sich diese beschaffen.

Er kann diese beim Lieferanten nachfordern, welcher grundsätzlich die Verpflichtung hat, alle notwendigen Informationen für eine sichere Verwendung bereit zu stellen (Art. 7 ChemG), oder er kann diese Informationen bei anderen ohne Weiteres zugänglichen Quellen (wie der Datenbank der Europäischen Chemikalienagentur [ECHA]) beschaffen. Auf jeden Fall muss er zum Schutz der Beschäftigten im Besitz der notwendigen Informationen sein, bevor er mit den Chemikalien im Betrieb umgeht. Die Forderungen in Artikel 10 Absatz 2 des Übereinkommens Nr. 170, die einschlägigen Informationen beim Lieferanten oder bei anderen ohne Weiteres zugänglichen Quellen zu beschaffen, ist somit durch die chemikalienrechtliche Sorgfaltspflicht der Arbeitgeber (Art. 8 i. V. m. Art. 25 ChemG) und von der Pflicht
zum Zusammenwirken zwischen dem Arbeitgeber und dem Lieferanten in Bezug auf den Gesundheitsschutz und der Arbeitssicherheit somit abgedeckt.

Nach Absatz 3 haben die Arbeitgeber sicherzustellen, dass nur chemische Stoffe verwendet werden, die gemäss Artikel 6 klassifiziert oder gemäss Artikel 9 Absatz 3 bezeichnet und bewertet und gemäss Artikel 7 etikettiert oder gekennzeichnet worden sind, und dass bei ihrer Verwendung alle erforderlichen Sicherheitsmassnahmen getroffen werden.

Auch Absatz 3 des Übereinkommens ist von der Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers im Artikel 8 i.V .m . Artikel 25 ChemG sowie in den Artikeln 55 und 57 ChemV abgedeckt. Es ist zwar nicht präzisiert, dass die chemischen Stoffe nur dann vom Arbeitgeber verwendet werden dürfen, wenn die Pflicht zur Selbstkontrolle der Hersteller (d. h. Einstufung, Kennzeichnung, Verpackung und die Erstellung von (erweiterten) Sicherheitsdatenblätter) gemäss geltendem Recht erfüllt wurde. Allerdings verpflichtet die Sorgfaltspflicht auch den Arbeitgeber, die gefährlichen Eigenschaften der chemischen Stoffe zu beachten und alle Massnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit, die nach dem Stand der Technik anwendbar sind, zu treffen (Art. 8 i. V. m.

Art. 25 ChemG). Artikel 8 Satz 1 i. V. m. Artikel 25 ChemG gibt zwar noch nicht

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ausdrücklich an, welche Informationsquellen für die Umsetzung dieser beiden Bestimmungen zu berücksichtigen sind. Erst der zweite Satz des Artikels 8 ChemG konkretisiert, dass «insbesondere [...] diesbezügliche Informationen der Herstellerin zu beachten» sind. Die Sorgfaltspflicht besteht also darin, dass für ihre korrekte Erfüllung primär die Angaben der Hersteller zu den Chemikalien zu beachten sind, schränkt sie aber nicht auf diese Informationen ein («insbesondere»). Da die Pflicht zur Selbstkontrolle der Hersteller darin besteht, alle zugänglichen Informationen wie diejenigen der ECHA-Datenbank zu beschaffen (Art. 5 Abs. 4 ChemV), ist es umgekehrt auch die Pflicht der beruflichen Verwenderinnen und Verwender sicherzustellen, dass bei der Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflichten gemäss Artikel 8 ChemG mindestens alle Informationen des Herstellers für die sichere Verwendung der chemischen Stoffe beachtet werden. Kann eine Verwenderin oder ein Verwender sich diese nicht beim Hersteller beschaffen, so muss sie oder er andere für sie oder ihn zugängliche Quellen berücksichtigen, um die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten festlegen zu können. Darüber hinaus verpflichtet Art. 11a VUV den Arbeitgeber dazu, beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien am Arbeitsplatz Arbeitsärztinnen und -ärzte und andere Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit (Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit) beizuziehen, wenn es zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Sicherheit erforderlich ist. Artikel 10 Absatz 3 des Übereinkommens ist also von der Sorgfaltspflicht nach Artikel 8 ChemG abgedeckt.

Absatz 4 hält fest, dass die Arbeitgeber ein Verzeichnis der an der Arbeitsstätte verwendeten gefährlichen chemischen Stoffe zu führen haben, in dem auf die entsprechenden Sicherheitsdatenblätter verwiesen wird. Dieses Verzeichnis hat allen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern zugänglich zu sein.

Eine ausdrückliche Pflicht, eine Liste von Chemikalien zu führen, ist in der StFV festgelegt. Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b StFV verpflichtet die Betriebe, eine Liste der Höchstmengen der im Betrieb vorhandenen Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle, welche nach Anhang 1.1 StFV die
Mengenschwellen überschreiten, sowie der anwendbaren Mengenschwellen zu führen. Auch im Rahmen der Risikoermittlung nach Anhang 4.1 Ziffer 22 StFV (siehe Art. 6 Abs. 4 StFV) ist eine Liste der vorhandenen Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle pro Untersuchungseinheit mit Bezeichnung (chemischer Name, CAS-Nummer, Handelsname usw.), maximaler Menge, Ortsangabe und Angaben zu den physikalisch-chemischen Eigenschaften zu erstellen.

Zudem verpflichtet Artikel 23 ChemV die Betriebe, die Sicherheitsdatenblätter, die sie für die Verwendung dieser Chemikalien erhalten, aufzubewahren, solange im Betrieb mit den Chemikalien umgegangen wird. Diese Aufbewahrungspflicht impliziert, dass die Betriebe Kenntnisse über die im Betrieb verwendeten Chemikalien und deren Eigenschaften haben müssen, solange sie damit im Betrieb umgehen.

Zu den Informations- und Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer siehe Artikel 10 Absatz 1 oben.

Artikel 10 kann angenommen werden.

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Art. 11 Laut Artikel 11 haben die Arbeitgeber sicherzustellen, dass beim Umfüllen chemischer Stoffe in andere Behältnisse oder Ausrüstungen der Inhalt so angegeben wird, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Identität dieser chemischen Stoffe, die mit ihrer Verwendung verbundenen Gefahren und die zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen unterrichtet werden.

Der Bundesrat verweist auf die im Zusammenhang mit Artikel 8 formulierten Kommentare und die chemikalienrechtlichen Regelungen zur Beschriftung von Behältern, in denen Chemikalien umgefüllt wurden (Art. 57 Abs. 6 Bst. b und Art. 62 Abs. 3 ChemV). Mit diesen Kommentaren kann Artikel 11 angenommen werden.

Art. 12 Gemäss Artikel 12 haben die Arbeitgeber a) sicherzustellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer chemischen Stoffen nicht in einem Ausmass ausgesetzt werden, das die von der zuständigen Stelle oder von einem von der zuständigen Stelle zugelassenen oder anerkannten Organ in Übereinstimmung mit innerstaatlichen oder internationalen Normen festgelegten Expositionsgrenzwerte oder sonstigen Expositionskriterien für die Beurteilung und Überwachung der Arbeitsumwelt überschreitet; b) die Exposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber gefährlichen chemischen Stoffen zu beurteilen; c) die Exposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber chemischen Stoffen zu überwachen und aufzuzeichnen, wenn dies erforderlich ist, um ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen, oder wenn die zuständige Stelle dies vorschreibt; und d) sicherzustellen, dass die Aufzeichnungen über die Überwachung der Arbeitsumwelt und über die Exposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gefährliche chemische Stoffe verwenden, während eines von der zuständigen Stelle vorgeschriebenen Zeitraums aufbewahrt werden und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern zugänglich sind.

Der Buchstabe a hält den arbeitshygienischen Grundsatz fest, dass Arbeitsplatzgrenzwerte beim Umgang mit Chemikalien nicht überschritten werden dürfen. Dieser Grundsatz wird sowohl im Unfallversicherungsrecht wie auch im Chemikalienrecht reflektiert.

Nach Artikel 50 VUV kann die Suva nach vorgängiger Anhörung der betroffenen Kreise Richtlinien über Maximale Arbeitsplatzkonzentrationswerte (MAK-Werte) und Biologische
Arbeitsstofftoleranzwerte (BAT-Werte) gesundheitsgefährdender Stoffe erlassen. Die MAK-Werte entsprechen der höchstzulässigen Luftkonzentration am Arbeitsplatz, während die BAT-Werte eine arbeitsmedizinische Überwachung und Beurteilung der Exposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber chemischen Stoffen darstellen, die in der Bestimmung von Arbeitsstoffen oder von Metaboliten dieser Arbeitsstoffe (Belastungsparameter) im biologischen Material besteht. Die Einhaltung des Arbeitsplatzgrenzwertes (Bst. a) wird explizit in Artikel 3 der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werden,gefordert: «Durch technische Massnahmen, wie Absaugevorrichtungen, ist dafür zu sorgen, dass gefährliche Gase, Dämpfe und Staube [...] erfasst und 24 / 52

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von den Arbeitsplätzen abgeführt werden; insbesondere ist ein Überschreiten der von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bekanntgegebenen maximal zulässigen Konzentration am Arbeitsplatz zu vermeiden.». In der Praxis führt entweder die Suva oder der Betrieb selbst für bestimmte Stoffe und Arbeiten Expositionsmessungen durch, um die Einhaltung der entsprechenden MAK- oder BAT-Werte nachzuweisen.

Auch das Chemikalienrecht verweist über Artikel 17 ChemV in Bezug auf die Anforderungen an die Erstellung der Expositionsszenarien auf Anhang 1 der EU-REACHVerordnung, nach welchem Expositionsgrenzwerte für den betroffenen Stoff abzuleiten sind, die bei der menschlichen Exposition nicht überschritten werden dürfen (Anhang 1 Ziffer 1.0.1 der EU-REACH-Verordnung). Dieser Expositionsgrenzwert wird als Derived No Effect Level (DNEL) bezeichnet und entspricht der Expositionshöhe, unterhalb derer der Stoff zu keiner Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führt. Der DNEL-Wert muss zur Beherrschung der Risiken bei der Verwendung von gefährlichen Chemikalien eingehalten werden (Anhang 1 Ziffer 5.1.1. und 6.4. der EU-REACH-Verordnung).

Damit der Nachweis der Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte (MAK-Werte und DNEL-Werte) erbracht werden kann, ist grundsätzlich eine Expositions- und Risikobeurteilung durchzuführen (Bst. b). In Bezug auf das Chemikalienrecht verpflichtet die Sorgfaltspflicht nach Artikel 8 i. V. m. Artikel 25 ChemG den Betrieb, die Informationen der Hersteller zu beachten. Zu den Informationen, welche der Hersteller den Betrieben übermittelt, gehört das Sicherheitsdatenblatt mit Expositionsszenarien (= erweitertes Sicherheitsdatenblatt).

Expositionsszenarien beinhalten die nötigen Schutzmassnahmen, welche für die spezifischen Verwendungen der gefährlichen chemischen Stoffe im Betrieb umgesetzt werden müssen, damit der entsprechende DNEL-Wert am Arbeitsplatz eingehalten ist. Zudem weist das Expositionsszenario den entsprechenden Expositionswert und den Risikoquotienten (= Expositionswert geteilt durch den Arbeitsplatzgrenzwert) aus.

Für alle anderen Chemikalien, die nicht als gefährlich eingestuft sind, lassen sich erleichterte Pflichten zur Ermittlung der Exposition und zur Beschreibung der Risiken definieren. Das Ausmass der Expositions- und Risikobeurteilung ist allerdings für
jede spezifische Situation eigens festzulegen.

Auch das Zulassungsverfahren für die SVHC, z. B. kanzerogene, mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe, im Rahmen von Anhang 1.17 ChemRRV, verpflichtet die Betriebe, eine Expositions- und Risikobeurteilung für jede identifizierte Verwendung im Betrieb durchzuführen. Die Expositionsbeurteilung findet im Normalfall mit einer Expositionsmessung oder einer biologischen Überwachung statt.

Betreffend Buchstabe c besteht nach Artikel 11a VUV eine Pflicht des Arbeitgebers für den Beizug von Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit, wenn es zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Sicherheit erforderlich ist. Diese Beizugspflicht wird in den Artikeln 11a11g VUV näher konkretisiert. Die formell-gesetzliche Grundlage für diese Bestimmungen findet sich in Artikel 83 Absatz 2 UVG, nach welcher der Bundesrat Vorschriften über die Mitwirkung von Arbeitsärztinnen und -ärzten und anderen Spezialistinnen und 25 / 52

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Spezialisten der Arbeitssicherheit in den Betrieben erlässt. Gestützt auf Artikel 11b Absatz 1 VUV hat die EKAS die Richtlinie 6508 vom 14. Dezember 200626 über den Beizug von Arbeitsärztinnen und -ärzten und anderen Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit (ASA-Richtlinie) erstellt. Die Richtlinie konkretisiert die Beizugspflichten der Arbeitgeber und die Massnahmen zur Förderung der systemorientierten Prävention von Berufsunfällen und Berufskrankheiten (Arbeitssicherheit) sowie des Gesundheitsschutzes.

Nach Anhang 1 der ASA-Richtlinie muss grundsätzlich jeder Betrieb, der gesundheitsgefährdende Chemikalien verwendet oder Chemikalien, die einen MAK-Wert der Suva haben oder im Sinne der EU-CLP-Verordnung als gesundheitsgefährdend eingestuft sind, die Beizugspflicht nach Artikel 11a VUV wahrnehmen. Die Aufgaben der Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit im Rahmen dieser Beizugspflicht sind in Artikel 11e VUV und in Anhang 2 der ASA-Richtlinie umschrieben und entsprechen den Forderungen gemäss Artikel 12 des Übereinkommens. In Bezug auf Chemikalien lassen sich in diesem Zusammenhang insbesondere folgende in der ASA-Richtlinie aufgeführten Aufgaben nennen: Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit überwachen messtechnisch gesundheitsgefährdende Einwirkungen und arbeitsmedizinisch die Arbeitsplätze mit Biomonitoring.

Nach der ASA-Richtlinie gehört die Überwachung der Exposition für besonders gesundheitsgefährdende Chemikalien also zu den Standardaufgaben. Auch ist für die SVHC im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach Anhang 1.17 ChemRRV eine Überwachung der Exposition der Beschäftigten vorgesehen. Zudem kann die Suva zur Verhütung von Berufskrankheiten, die bestimmten Betriebskategorien oder Arbeitsarten eigen sind, durch Verfügung einen Betrieb oder eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer den Vorschriften über die arbeitsmedizinische Vorsorge unterstellen (Art. 70 Abs. 1 VUV). Die Suva kann diese Untersuchung auch selbst durchführen (Art. 71 Abs. 3 VUV) und in bestimmten Zeitabständen Kontrolluntersuchungen anordnen (Art. 73 Abs. 1 VUV) bzw. auch Nachuntersuchungen nach Aufgabe der gefährlichen Arbeit durchführen (Art. 74 VUV).

Der Hersteller muss nach Artikel 45 Absatz 2 ChemV die für die Beurteilung und Einstufung verwendeten wichtigen Unterlagen
zusammen mit dem Ergebnis der Beurteilung und der Einstufung während mindestens 10 Jahren nach dem letztmaligen Inverkehrbringen aufbewahren oder für ihre Verfügbarkeit sorgen (Bst. d). Muster und Proben müssen sie so lange aufbewahren, wie deren Zustand eine Auswertung zulässt.

Die Aufbewahrungspflicht nach Artikel 23 ChemV stellt sicher, dass die Sicherheitsdatenblätter so lange aufbewahrt werden, als im Betrieb mit den Chemikalien umgegangen wird.

Ausserdem legt Artikel 60 Absatz 1bis OR nahe, dass die Sicherstellung der Aufzeichnung über die Überwachung den Verjährungsfristen Rechnung trägt. Für Chemikalien sind die Verjährungsfristen auf jeden Fall zwanzig Jahre, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.

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www.ekas.admin.ch > ASA > Downloads > 6508 ASA-Richtlinie

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In Bezug auf die Informations- und Mitwirkungspflichten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei auf Artikel 10 Absatz 1 oben verwiesen.

Die durch schweizerisches Recht sichergestellten Schutzmassnahmen erlauben die Annahme von Artikel 12 des Übereinkommens.

Art. 13 Im Rahmen ihrer Verantwortlichkeiten haben die Arbeitgeber gemäss Artikel 13 Absatz 1 ferner eine Bewertung der sich aus der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit ergebenden Risiken vorzunehmen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch geeignete Mittel vor solchen Risiken zu schützen, wie a) die Wahl von chemischen Stoffen, bei denen das Risiko ausgeschlossen oder auf ein Mindestmass herabgesetzt wird; b) die Wahl einer Technologie, bei der das Risiko ausgeschlossen oder auf ein Mindestmass herabgesetzt wird; c) die Anwendung ausreichender technischer Verhütungsmassnahmen; d) die Einführung von Arbeitssystemen und -methoden, bei denen das Risiko ausgeschlossen oder auf ein Mindestmass herabgesetzt wird; e) die Anwendung ausreichender arbeitshygienischer Massnahmen; oder f) falls die vorstehenden Massnahmen nicht ausreichen, die Bereitstellung und ordnungsgemässe Instandhaltung von persönlicher Schutzausrüstung und Schutzkleidung (PSA), ohne dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dadurch Kosten entstehen, und die Durchführung von Massnahmen, durch die ihre Verwendung sichergestellt wird.

Artikel 13 des Übereinkommens wird grösstenteils von der ASA-Richtlinie abgedeckt. Denn die Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit müssen auch im Rahmen der ASA-Richtlinie Vorschläge zum Ersatz von gesundheitsgefährdenden Stoffen, von Technologien oder des Arbeitsverfahrens erarbeiten. Sie beraten und orientieren den Arbeitgeber in Fragen der Arbeitssicherheit, insbesondere in Bezug auf die Massnahmen zur Behebung von Mängeln und zur Verminderung von Risiken, auf die Einführung von neuen Arbeitsverfahren und chemischen Substanzen, auf die Auswahl von Schutzeinrichtungen und von PSA, auf die Instruktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Betriebsgefahren, denen sie ausgesetzt sind, und über die Benützung von Schutzeinrichtungen und PSA sowie auf andere zu treffende Massnahmen.

Die Umsetzung der Hierarchie von Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz (Bst. af) wird in der Arbeitshygiene normalerweise unter dem
sogenannten STOP-Prinzip diskutiert (STOP = Substitution [Bst. a], Technische [Bst. b und c], Organisatorische [Bst. d und e] und Personenbezogene Massnahmen [Bst. f]). Dieses hierarchische Prinzip zur Priorisierung der Art der Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ist explizit in der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werden, der VUV und in der ArGV 3 verankert: ­

Die erste Priorität hat die Substitution von gesundheitsgefährdenden Stoffen durch harmlosere Stoffe (Art. 2 der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werden).

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­

Falls eine Substitution nicht möglich ist, sind technische (z. B. Absaugvorrichtungen an der Emissionsquelle) und organisatorische Massnahmen (z. B.

Schulungen) umzusetzen (Art. 27 Abs. 1 ArGV 3, Art. 3 der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werdenund Art. 5 Abs. 1 VUV).

­

Falls auch die technisch-organisatorischen Massnahmen nicht ausreichen oder nicht umsetzbar sind, um etwa eine Berufskrankheit zu verhindern, sind wirksame und aufeinander abgestimmte persönliche Schutzausrüstungen (z. B.

Atemschutz) zur Verfügung zu stellen (Art. 27 Abs. 1 und Abs. 2 ArGV 3, Art. 4 der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern über die technischen Massnahmen zur Verhütung von Berufskrankheiten, die durch chemische Stoffe verursacht werden und Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 VUV).

Auch im Chemikalienrecht findet das Substitutionsprinzip in Bezug auf die Regelungen im Rahmen von Anhang 1.17 ChemRRV Anwendung. Denn Stoffe, die in den Anhang 1.17 ChemRRV aufgenommen werden, sind in der Schweiz grundsätzlich verboten. Das Ziel ist die Substitution dieser SVHC mit weniger gefährlichen Stoffen.

Laut Absatz 2 haben die Arbeitgeber a) die Exposition gegenüber gefährlichen chemischen Stoffen zu begrenzen, um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen; b) Erste Hilfe bereitzustellen; und c) Vorkehrungen für Notfälle zu treffen.

Die Begrenzung der Exposition (Bst. a) wird in der Regel über die Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte (siehe Ausführungen zu Art. 12 Buchstabe a) in Verbindung mit der Anwendung des STOP-Prinzips (siehe Ausführungen zu Artikel 13 Absatz 1) sichergestellt.

Ziffer 2 Absatz 4 Buchstabe b des Anhangs 1.17 ChemRRV i. V. m. Artikel 60 Absatz 10 der EU-REACH-Verordnung definiert zudem für die besonders besorgniserregenden Stoffe ausdrücklich, dass ungeachtet der Auflagen, an die eine Zulassung geknüpft wird, der Betrieb sicherstellen muss, dass die Exposition auf einem technisch und praktisch möglichst niedrigen Niveau gehalten wird.

Nach Artikel 55 Absatz 2 ChemV muss der Betrieb, der mit Chemikalien umgeht, u. a. die auf dem Sicherheitsdatenblatt angegebenen Hinweise berücksichtigen. Abschnitt 4 des Sicherheitsdatenblattes legt die für die betroffene Chemikalie spezifischen Massnahmen fest, welche zur Ersten Hilfe getroffen werden müssen (Bst. b).

Der Betrieb hat also die Informationen im Abschnitt 4 des Sicherheitsdatenblatts zur Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb zu beachten. Auch Artikel 36 ArGV 3 schreibt den Betrieben vor, dass für die Erste Hilfe entsprechend den Betriebsgefahren, der Grösse und der örtlichen Lage des Betriebs stets die erforderlichen Mittel verfügbar sein müssen.

Der Abschnitt 5 des Sicherheitsdatenblatts enthält zudem Anweisungen für Massnahmen zur Brandbekämpfung und Abschnitt 6 die personenbezogenen Vorsichtsmassnahmen, Schutzausrüstungen und in Notfällen anzuwendende Verfahren (Bst. c).

Nach Artikel 11e Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 5 VUV ist es auch die Aufgabe der Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit im Rahmen der ASA28 / 52

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Beizugspflicht, die Organisation der Ersten Hilfe, der medizinischen Notversorgung, der Bergung und der Brandbekämpfung zu beraten.

Artikel 13 des Übereinkommens ist somit durch das Unfallversicherungs- und das Arbeitsrecht abgedeckt und kann angenommen werden.

Art. 14 Nach Artikel 14 sind gefährliche chemische Stoffe, die nicht mehr benötigt werden, und Behältnisse, die geleert worden sind, die aber noch Reste gefährlicher chemischer Stoffe enthalten können, gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis so zu handhaben oder zu beseitigen, dass das Risiko für die Sicherheit, die Gesundheit und die Umwelt ausgeschlossen oder auf ein Mindestmass herabgesetzt wird.

Das Sicherheitsdatenblatt (insbesondere die Abschnitte 10 [Stabilität und Reaktivität], 12 [Umweltbezogene Angaben], 13 [Hinweise zur Entsorgung] und 15 [Rechtsvorschriften]) hält die wichtigsten Pflichten der Arbeitgeber zur Handhabung von Resten gefährlicher Stoffe oder deren Entsorgung fest.

Die Sorgfaltspflicht (Art. 8 i. V. m. Art. 25 ChemG) verpflichtet die Betriebe wie schon oben dargelegt, die gefährlichen Eigenschaften zu beachten und die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens zu treffen. Zudem verlangt das USG (Art. 28), dass mit Chemikalien nur so umgegangen werden darf, dass diese, ihre Folgeprodukte und ihre Abfälle die Umwelt und indirekt den Menschen nicht gefährden können. Für den weiteren Umgang und die Entsorgung gelten Chemikalien, deren sich eine Verwenderin oder ein Verwender entledigen will, als Sonderabfälle. Dabei kommen die Vorschriften der Verordnung vom 22. Juni 200527 über den Verkehr mit Abfällen (VeVA) zur Anwendung.

Artikel 14 kann somit angenommen werden.

Art. 15 Gemäss Artikel 15 haben die Arbeitgeber a) die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Gefahren zu unterrichten, die mit einer Exposition gegenüber chemischen Stoffen, die an der Arbeitsstätte verwendet werden, verbunden sind; b) die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darin zu unterweisen, wie die auf Etiketten und Sicherheitsdatenblättern gegebenen Informationen zu beschaffen und zu verwenden sind; c) die Sicherheitsdatenblätter sowie arbeitsplatzspezifische Informationen als Grundlage für Weisungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verwenden, die gegebenenfalls schriftlich abgefasst werden
sollten; und d) die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Methoden und Verfahren weiterzubilden, die im Hinblick auf die Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit angewendet werden müssen.

Wie oben im Kommentar zu Artikel 10 Absatz 1 erwähnt, sieht das Mitwirkungsgesetz (Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Bst. a), das ArG (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 und 82 Abs. 2) und die VUV (Artikel 6a) ein Recht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie

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SR 814.610

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ihre Vertreterinnen und Vertreter auf Information und Beteiligung vor, das die Buchstaben ad abdeckt.

Information, Anleitung und Schulung werden in mehreren Erlassen geregelt (Art. 5 ArGV 3 und Wegleitung zu diesem Artikel, Art. 6 Abs. 1 VUV, Art. 55 ChemV, ASARichtlinie und SECO-Merkblatt Nr. 104 von September 200028 «Mitwirkung: Arbeit und Gesundheit»): ­

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen über die Gefährdungen im Betrieb und über die Massnahmen des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit informiert und angeleitet werden (Bst. a).

­

Die Beschäftigten müssen über alle wesentlichen Begebenheiten, Neuerungen (z. B. bei der Einführung neuer kritischer Stoffe) und Änderungen, welche die oben genannten Bereiche betreffen, informiert werden (Bst. a).

­

Muss der Betrieb die ASA-Beizugspflicht wahrnehmen, hat er die Beschäftigten oder ihre Vertretung über die Aufgaben dieser Spezialistinnen und Spezialisten zu informieren (Bst. a).

­

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kennen die möglichen Gefährdungen im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit und verstehen, wie sie mit diesen Gefährdungen sicher umgehen können (Bst. b).

­

Nach Art. 55 Absatz 2 ChemV muss der Arbeitgeber die auf der Verpackung, der Kennzeichnung und dem Sicherheitsdatenblatt angegebenen Hinweise berücksichtigen (Bst. c).

­

Die Branchenlösungen stellen im Rahmen der ASA-Beizugspflicht den Unternehmen ein branchenspezifisches Sicherheitssystem (Handbücher) und Checklisten zur Verfügung und bieten Schulungen und andere Dienstleistungen an (Bst. d)29.

Artikel 15 kann in Anbetracht dieser gesetzlichen Grundlage angenommen werden.

Art. 16 Artikel 16 sieht vor, dass die Arbeitgeber bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortlichkeiten so eng wie möglich mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder ihren Vertreterinnen und Vertretern in Bezug auf die Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit zusammenzuarbeiten haben.

Artikel 16 kann angenommen werden, da die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Schweizer Gesetzgebung in den Artikeln 82 UVG, 310VUV, 6 ArG und 39. ArGV 3 enthalten ist.

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www.seco.admin.ch > Publikationen & Dienstleistungen > Publikationen > Arbeit > Arbeitsbedingungen > Merkblätter und Checklisten > Merkblatt: Arbeit und Gesundheit www.ekas.ch > ASA > Branchenlösungen

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Teil V (Art. 17) legt die Pflichten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fest.

Art. 17 Gemäss Artikel 17, Absatz 1 haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern bei der Wahrnehmung der Verantwortlichkeiten der Arbeitgeber so eng wie möglich zusammenzuarbeiten und alle Vorschriften und Verfahren im Zusammenhang mit der Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit einzuhalten.

Gemäss Schweizer Gesetzgebung müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Arbeitgeber in der Durchführung der Vorschriften über den Gesundheitsschutz unterstützen (Art. 6 Abs. 3 ArG, 82 Abs. 2 und 3 UVG, 6 ArGV 3 und 6a VUV).

Gemäss Absatz 2 haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alle angemessenen Schritte zu unternehmen, um die Risiken, die sich aus der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit für sie selbst und für andere ergeben, auszuschliessen oder auf ein Mindestmass zu beschränken.

Artikel 82 Absatz 2 und 3 UVG, 6 Absatz 3 ArG, 11 VUV und 10 ArGV 3 regeln die Pflichten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers. Insbesondere sind sie verpflichtet, die Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu befolgen und die allgemein anerkannten Sicherheitsregeln zu berücksichtigen. Sie müssen insbesondere die persönlichen Schutzausrüstungen benützen und dürfen die Wirksamkeit der Schutzeinrichtungen nicht beeinträchtigen (Art. 11 VUV und 10 ArGV 3).

Diese Artikel erlauben die Annahme von Artikel 17 des Übereinkommens.

Teil VI (Art. 18) legt die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer Vertreterinnen und Vertreter fest.

Art. 18 Gemäss Artikel 18 Absatz 1 müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht haben, sich bei Gefahr infolge der Verwendung chemischer Stoffe in Sicherheit zu bringen, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass ein unmittelbares und erhebliches Risiko für ihre Sicherheit oder ihre Gesundheit besteht. Sie haben ihren Vorgesetzten unverzüglich zu informieren.

Das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Arbeitsunterbrechung bei unmittelbarer Gefahr ist im OR verankert. Artikel 328 OR verpflichtet den Arbeitgeber zum Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers. Wenn die Arbeitsbedingungen der Achtung der Persönlichkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
widersprechen, haben sie das Recht, das Erbringen von Arbeitsleistungen zu verweigern. Zudem umfasst die Treueplicht (Art. 321a OR) für die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer die Pflicht, je nach den Umständen und ihren Verantwortlichkeiten, den Arbeitgeber zu informieren und in einer speziellen Situation geeignete Massnahmen zu ergreifen, um das Eintreten eines Schadens zu verhindern oder die entsprechenden Folgen zu begrenzen. Schliesslich halten die Artikel 11 Absatz 2 VUV und 10 Absatz 2 ArGV 3 fest, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, die oder der Mängel feststellt, welche die Arbeitssicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beeinträchtigen, diese sogleich 31 / 52

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beseitigen muss. Ist sie oder er dazu nicht befugt oder nicht in der Lage, so ist der Mangel unverzüglich dem Arbeitgeber zu melden. Wenn die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf andere Weise nicht mehr gewährleistet ist, muss der Arbeitgeber die Arbeit in den betreffenden Gebäuden oder Räumen oder an den betreffenden Arbeitsstätten oder Betriebseinrichtungen bis zur Behebung des Schadens oder des Mangels einstellen lassen, es sei denn, dass dadurch die Gefahr erhöht würde (Art. 4 VUV).

Laut Absatz 2 sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich gemäss dem vorstehenden Absatz in Sicherheit bringen oder die irgendwelche anderen Rechte aus diesem Übereinkommen ausüben, vor ungerechtfertigten Folgen zu schützen.

Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Folgen fällt unter die Bestimmungen des OR zum Kündigungsschutz der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers (Art. 336), wenn das Recht genutzt wird, sich bei einer unmittelbaren Gefahr in Sicherheit zu bringen. Das Übereinkommen fordert allerdings keinen absoluten Schutz, namentlich was die Kündigung angeht.

Nach Absatz 3 müssen die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter das Recht haben auf a) Informationen über die Identität der bei der Arbeit verwendeten chemischen Stoffe, die gefährlichen Eigenschaften solcher chemischen Stoffe, Vorsichtsmassnahmen, Unterweisung und Ausbildung; b) die auf Etiketten und in Kennzeichnungen enthaltenen Informationen; c) Sicherheitsdatenblätter; und d) alle sonstigen Informationen, die aufgrund dieses Übereinkommens aufbewahrt werden müssen.

Angesichts der Erläuterungen im Zusammenhang mit den Artikeln 10 Absatz 1, 12 Buchstabe d und 15 des Übereinkommens ist die in Absatz 3 vorgesehene Pflicht der Arbeitgeber gegeben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter über die Gefährdung der Chemikalien zu informieren (Bst.

a), sie darin zu unterweisen, wie die Informationen auf dem Etikett und dem Sicherheitsdatenblatt zu beschaffen und zu verwenden sind (Bst. b), die Informationen auf dem Sicherheitsdatenblatt sowie arbeitsplatzspezifische Informationen als Grundlage für Weisungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verwenden (Bst. c) und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
im sicheren Umgang mit Chemikalien auszubilden (Bst. d).

Absatz 4 schreibt schliesslich Folgendes vor: Soweit die Bekanntgabe der spezifischen Identität eines Bestandteils einer chemischen Mischung an einen Wettbewerber dem Betrieb des Arbeitgebers voraussichtlich Schaden zufügen würde, kann der Arbeitgeber bei der Bereitstellung der gemäss Absatz 3 vorgeschriebenen Informationen diese Identität in einer von der zuständigen Stelle gemäss Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b) genehmigten Weise schützen.

Es kann hier auf die Ausführungen zu Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b verwiesen werden. Die darin verlangten Informationen decken die von Artikel 18 des Übereinkommens geforderten spezifischen Informationen ab.

Artikel 18 kann angenommen werden.

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Teil VII des Übereinkommens (Art. 1927) legt die Verantwortung der exportierenden Staaten fest.

Art. 19 Artikel 19 verlangt, dass ein exportierender Mitgliedstaat jedem importierenden Land den Umstand und die Gründe mitzuteilen hat, wenn in einem exportierenden Mitgliedstaat alle oder einige Verwendungen gefährlicher chemischer Stoffe aus Gründen der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit verboten sind.

In der Schweiz regelt die ChemPICV das Informationssystem für die Ein- und Ausfuhr bestimmter Stoffe und Zubereitungen, deren Verwendung wegen ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen oder auf die Umwelt verboten ist oder strengen Beschränkungen unterliegt. Diese Verordnung gilt für Stoffe, die in der Schweiz aus Gründen des Gesundheits- oder des Umweltschutzes verboten sind oder strengen Beschränkungen unterliegen, sowie für Stoffe, die dem internationalen Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (PIC-Verfahren) unterliegen. Dem Rotterdamer Übereinkommen vom 10. September 199830 über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel sind bis heute 154 Länder beigetreten, unter anderem die Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich.

Artikel 19 kann angenommen werden.

Art. 20 bis 27 Die Artikel 2027 enthalten die üblichen Schlussbestimmungen und geben zu keinem besonderen Kommentar Anlass.

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Grundzüge des IAO-Übereinkommens Nr. 174

Die Präambel des Übereinkommens verweist auf die Notwendigkeit, a) Störfälle zu verhüten; b) die Risiken von Störfällen so gering wie möglich zu halten; und c) die Auswirkungen von Störfällen so gering wie möglich zu halten. Um diese Ziele zu erreichen, sieht das Übereinkommen insbesondere folgende Massnahmen vor: ­

die Ausarbeitung eines Systems zur Ermittlung von störfallgefährdeten Anlagen;

­

die Verpflichtung zur Vorlage einer Sicherheitsanalyse;

­

die Verpflichtung zur Alarmierung im Falle von industriellen Störfällen.

Diese Massnahmen sind im schweizerischen Recht in der StFV vorgesehen. Diese Verordnung bezweckt ebenfalls die Verhütung von Störfällen und die Verminderung von Risiken und Auswirkungen solcher Unfälle. Der in Artikel 1 StFV festgelegte Zweck ist der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor schweren Schädigungen infolge von Störfällen. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist nicht der Hauptgegenstand dieser Gesetzgebung.

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SR 0.916.21

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Der Schutz der Bevölkerung und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird in der Schweiz durch ein System von mehreren Erlassen sichergestellt. Wie oben erwähnt schützt die StFV primär die Bevölkerung und die Umwelt vor schweren Schädigungen infolge von Störfällen. Das Arbeitsrecht ist in verschiedenen Rechtsquellen verankert. Das private Arbeitsrecht wird vorwiegend im OR in den Artikeln 319362 OR geregelt. Es handelt sich dabei um Bestimmungen, die den Einzelarbeitsvertrag regeln. Zum öffentlichen Arbeitsrecht gehört das Arbeitnehmerschutzrecht. Dieses beinhaltet u. a. das ArG und dessen Verordnungen, insbesondere die ArGV 3 und ArGV 4, sowie das UVG und dessen Verordnungen, insbesondere die VUV. Darüber hinaus sind auch das ChemG und das Mitwirkungsgesetz relevant.

Bei der Prüfung des Übereinkommens ist ausserdem den folgenden Gesetzen und Verordnungen Rechnung zu tragen: dem USG, dem Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 200431 und der ChemPICV.

Gemäss den Artikeln 6 ArG und 82 UVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Er hat im Weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzusehen. In den Artikel 310 VUV werden die in Artikel 82 UVG grundsätzlich umschriebenen Pflichten des Arbeitgebers zur Wahrung und Verbesserung der Arbeitssicherheit konkretisiert. Die VUV sieht zusätzlich vor, dass der Arbeitgeber Arbeitsärztinnen und -ärzte und andere Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit beiziehen muss, wenn dies zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Sicherheit erforderlich ist (Art. 11a VUV). Eine zentrale Funktion der Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit ist die Beurteilung der im Betrieb auftretenden Gefahren. Bei dieser Beurteilung müssen die Auswirkungen auf die Personen abgeschätzt werden, die den Gefahren in Bezug auf Eintretenswahrscheinlichkeit und Schadensausmass ausgesetzt sind (Art. 11e Abs. 1 VUV). Bei diesem Verfahren werden unter anderem alle Unfallrisiken berücksichtigt.
Die Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit beraten und orientieren den Arbeitgeber in Fragen der Arbeitssicherheit, namentlich in Bezug auf die Massnahmen zur Behebung von Mängeln und zur Verminderung von Risiken (Art. 11e Abs.1 Bst. b Ziff. 1 VUV).

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Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des IAO-Übereinkommens Nr. 174

Das Übereinkommen Nr. 174 ist in sieben Teile gegliedert und umfasst 22 inhaltliche Artikel.

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SR 152.3

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Teil I des Übereinkommens («Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen») enthält die Artikel 13.

Art. 1 Gemäss Artikel 1 Absatz 1 ist der Zweck des Übereinkommens die Verhütung von Störfällen, an denen gefährliche Stoffe beteiligt sind, und die Begrenzung der Folgen solcher Störfälle.

Gemäss Artikel 1 Absatz 1 StFV soll die Verordnung die Bevölkerung und die Umwelt vor schweren Schädigungen infolge von Störfällen schützen. Das ChemG bezweckt seinerseits den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen, d. h. der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers wie auch der allgemeinen Bevölkerung, vor schädlichen Einwirkungen durch Stoffe und Zubereitungen (Art. 1).

Absatz 2 hält fest, dass das Übereinkommen für störfallgefährdete Anlagen gilt.

Artikel 1 Absatz 2 StFV legt den Geltungsbereich der Verordnung fest. Dieser deckt Betriebe ab, in denen die Mengenschwellen für Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle überschritten werden, sowie Betriebe, in denen mit gentechnisch veränderten, pathogenen oder einschliessungspflichtigen gebietsfremden Organismen eine Tätigkeit durchgeführt wird, die nach der Einschliessungsverordnung vom 9. Mai 2012 32 der Klasse 3 oder 4 zuzuordnen ist. Die StFV umfasst auch die Verkehrswege (Rohrleitungen, Eisenbahn, Strasse und Rhein), auf denen gefährliche Güter transportiert werden, basierend auf der Rohrleitungsverordnung vom 26. Juni 201933, der RSD, der SDR und der Verordnung des UVEK vom 2. März 201034 über die Inkraftsetzung des Europäischen Übereinkommens über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstrassen.

Laut Absatz 3 findet dieses Kapitel keine Anwendung auf a) nukleare Anlagen und Betriebe, die radioaktive Stoffe aufarbeiten, ausgenommen Einrichtungen dieser Anlagen, in denen nichtradioaktive Stoffe behandelt werden; b) militärische Anlagen; und c) den Transport ausserhalb des Standorts einer Anlage, soweit er nicht über Rohrleitungen erfolgt.

Auch in der Schweiz werden Anlagen und Transporte, die der Kernenergie- und der Strahlenschutzgesetzgebung unterstellt sind (Bst. a), von der StFV ausgenommen (Art. 1 Abs. 4). Hingegen geht der Geltungsbereich der StFV (Art. 1 Abs. 2) weiter als jener des Übereinkommens: Er berücksichtigt auch die militärischen Anlagen (Bst. b) und umfasst die Verkehrswege (Rohrleitungen, Eisenbahn,
Strasse und Rhein), auf denen gefährliche Güter transportiert werden (Bst. c).

Nach Absatz 4 kann ein Mitglied, welches das Übereinkommen ratifiziert, nach Anhörung der in Betracht kommenden repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie anderer beteiligter Parteien, die betroffen sein können, Anlagen oder Wirtschaftszweige, für die ein gleichwertiger Schutz gewährleistet ist, von der Anwendung des Übereinkommens ausnehmen.

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SR 814.912 SR 746.11 SR 747.224.141

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Die Konsultationspflicht ist in der Schweiz durch die Beteiligung und die Anhörung der Sozialpartner bei der Erarbeitung und der Revision unserer Rechtsvorschriften und der Weisungen der Kontrollorgane erfüllt. Im vorliegenden Fall wird kein Gebrauch gemacht von der Möglichkeit, Anlagen oder Wirtschaftszweige von der Anwendung des Übereinkommens auszunehmen.

Artikel 1 kann somit angenommen werden.

Art. 2 Artikel 2 hält das Folgende fest: Wenn besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten, so dass eine unverzügliche Durchführung aller in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verhütungs- und Schutzmassnahmen nicht möglich ist, hat ein Mitglied in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie mit anderen beteiligten Parteien, die betroffen sein können, Pläne für die schrittweise Durchführung der betreffenden Massnahmen innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens aufzustellen.

Im Vollzug der StFV wird das partizipative Prinzip angewendet. Vollzugshilfen werden immer in Arbeitsgruppen mit der Beteiligung aller betroffenen Parteien erarbeitet und in einen Anhörungsprozess geschickt. Ausserdem sieht Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a des Mitwirkungsgesetzes besondere Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertretung für Fragen der Arbeitssicherheit im Sinne von Artikel 82 Absatz 2 UVG sowie in Fragen des Arbeitnehmerschutzes im Sinne von Artikel 48 ArG vor.

Artikel 2 kann angenommen werden.

Art. 3 Artikel 3 umfasst folgende Begriffsbestimmungen: Im Sinne des Übereinkommens bedeuten die Ausdrücke a) gefährlicher Stoff einen Stoff oder eine Mischung von Stoffen, die aufgrund chemischer, physikalischer oder toxikologischer Eigenschaften, entweder allein oder in Verbindung mit anderen, eine Gefahr darstellen; b) Schwellenmenge für einen bestimmten gefährlichen Stoff oder eine bestimmte gefährliche Stoffkategorie diejenige in der innerstaatlichen Gesetzgebung unter Hinweis auf spezifische Bedingungen festgelegte Menge, deren Überschreiten eine störfallgefährdete Anlage kennzeichnet; c) störfallgefährdete Anlage eine Anlage, in der entweder ständig oder vorübergehend ein oder mehrere gefährliche Stoffe oder Stoffkategorien in Mengen hergestellt, verarbeitet, gehandhabt, verwendet, entsorgt oder gelagert werden, die die Schwellenmenge überschreiten;
d) Störfall ein plötzliches Ereignis wie eine grössere Emission, einen grösseren Brand oder eine grössere Explosion während einer Tätigkeit innerhalb einer störfallgefährdeten Anlage, bei dem ein gefährlicher Stoff oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt sind und das sofort oder später eine ernste Gefahr für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Bevölkerung oder die Umwelt zur Folge hat; e) Sicherheitsanalyse eine schriftliche Darlegung der Informationen hinsichtlich Technik, Betriebsleitung und Betriebsablauf, die sich auf die Gefahren und Risiken einer störfallgefährdeten Anlage und ihre Abwehr erstrecken und die für die Sicherheit der Anlage getroffenen Massnahmen rechtfertigen; und f) Beinahe-Störfall jedes plötzliche Ereignis, bei dem ein gefährlicher Stoff oder

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mehrere gefährliche Stoffe beteiligt waren und das ohne abschwächende Wirkungen, Massnahmen oder Systeme sich zu einem Störfall hätte steigern können.

Der Ausdruck «gefährliche Stoffe» (Bst. a) wird in der StFV nicht ausdrücklich verwendet. Die StFV gibt jedoch an, dass sie für Betriebe, in denen die Mengenschwellen für Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle nach Anhang 1.1 überschritten werden, gilt (Art. 1 Abs. 2 Bst. a). Gemäss Art. 3 ChemG gelten Stoffe und Zubereitungen als gefährlich, die das Leben oder die Gesundheit durch physikalisch-chemische oder toxische Wirkung gefährden können. Die Definitionen der schweizerischen Gesetzgebung entsprechen denjenigen des Übereinkommens.

Gemäss Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a StFV wird in Anhang 1.1. StFV die Schwellenmenge (Bst. b) festgelegt, deren Überschreiten eine störfallgefährdete Anlage kennzeichnet.

Der Ausdruck «störfallgefährdete Anlage» (Bst. c) ist in der StFV nicht ausdrücklich und einheitlich definiert. Gemäss Artikel 2 Absatz 1 StFV umfasst ein Betrieb Anlagen nach Artikel 7 Absatz 7 USG, die in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang zueinander stehen (Betriebsareal). Anlagen sind gemäss Artikel 7 Absatz 7 USG Bauten, Verkehrswege und andere ortsfeste Einrichtungen sowie Terrainveränderungen. Den Anlagen sind Geräte, Maschinen, Fahrzeuge, Schiffe und Luftfahrzeuge gleichgestellt. Da die StFV unter anderem für Betriebe gilt, in denen die Mengenschwellen für Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle überschritten werden (Art. 1 Abs. 2 Bst. a) oder in denen mit gentechnisch veränderten, pathogenen oder einschliessugspflichtigen gebietsfremden Organismen eine Tätigkeit durchgeführt wird (Art. 1 Abs. 2), entsprechen die der StFV unterstellten Anlagen sinngemäss dem Begriff «störfallgefährdete Anlage» im Übereinkommen.

Ein «Störfall» (Bst. d) ist nach Artikel 2 Absatz 4 StFV, ein ausserordentliches Ereignis in einem Betrieb, auf einem Verkehrsweg oder an einer Rohrleitungsanlage, bei dem erhebliche Einwirkungen auftreten a) ausserhalb des Betriebsareals, b) auf oder ausserhalb des Verkehrswegs oder c) ausserhalb der Rohrleitungsanlage. Die schweizerische Definition des Begriffs «Störfall» überschneidet sich daher mit derjenigen des Übereinkommens. Für den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb des Betriebsareals
kommen das ArG und die ArGV 3 und 4, das UVG und die VUV sowie das ChemG zur Anwendung. Das ArG und die VUV sind auf alle Betriebe anwendbar. Im Sinne der Gesetze handelt es sich um einen Betrieb, wenn ein Arbeitgeber dauernd oder vorübergehend einen oder mehrere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt unabhängig davon, ob bestimmte Einrichtungen oder Anlagen vorhanden sind (Art. 1 Abs. 1 und 2 ArG, Art. 1 VUV). Gemäss den Artikeln 6 ArG und 82 UVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Er hat im Weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzusehen.

Die VUV sieht zusätzlich vor, dass der Arbeitgeber Arbeitsärztinnen und -ärzte und andere Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit, wenn es zum Schutz

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der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für ihre Sicherheit erforderlich ist, beiziehen muss (Art. 11a). Eine zentrale Funktion der Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit ist die Beurteilung der im Betrieb auftretenden Gefahren. Bei dieser Beurteilung müssen die Auswirkungen auf die Personen, die den Gefahren ausgesetzt sind, abgeschätzt werden und zwar in Bezug auf Eintretenswahrscheinlichkeit und Schadensausmass (Art. 11e Abs. 1). Bei diesem Verfahren werden sowohl Störfälle als auch alle anderen Unfälle berücksichtigt. Das ChemG ist anwendbar auf den Umgang mit Stoffen und Zubereitungen (Art. 2 Abs. 1) und sieht vor, dass, wer beruflich oder gewerblich mit Stoffen oder Zubereitungen umgeht, zum Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten alle Massnahmen treffen muss, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind (Art. 25 Abs. 1).

Der Begriff «Sicherheitsanalyse» (Bst. e) entspricht der Risikoermittlung nach Anhang 4 StFV (Art. 6 Abs. 3).

Der Ausdruck «Beinahe-Störfall» (Bst. f) wird zwar in der StFV so nicht verwendet, Buchstabe i des Anhangs 2.2 StFV spricht allerdings von bedeutsamen Störungen, was in der Bedeutung «Beinahe-Störfällen» entspricht.

Artikel 3 kann angenommen werden.

Teil II («Allgemeine Grundsätze») umfasst die Artikel 46.

Art. 4 Gemäss Artikel 4 Absatz 1 hat jedes Mitglied unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Gesetzgebung, Verhältnisse und Gepflogenheiten und, in Beratung mit den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie mit anderen beteiligten Parteien, die betroffen sein können, eine in sich geschlossene innerstaatliche Politik zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bevölkerung und der Umwelt vor dem Risiko von Störfällen festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen.

Die verschiedenen Gesetze, welche den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bevölkerung und der Umwelt vor Unfällen regeln (siehe Kapitel 5), entsprechen der Anforderung, eine kohärente nationale Politik zu formulieren. Im Bereich der StFV besteht das «Kontaktgremium» mit allen Vollzugsstellen. Dieses trifft sich zweimal im Jahr zur Politikabsprache. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen
werden in die Ausarbeitung von Vollzugshilfen einbezogen.

In Bezug auf den Vollzug wird auf die Erläuterung zu Artikel 2 verwiesen. Die EKAS koordiniert die Verhütungsmassnahmen, die Vollzugsorgane und die einheitliche Anwendung der Vorschriften im Bereich des Arbeitnehmerschutzes und stellt bei der Verwendung von chemischen Stoffen bei der Arbeit eine kohärente Politik auf dem Gebiet der Sicherheit sicher, d. h. beim Vollzug der Bestimmungen über die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten durch die im ArG vorgesehenen Durchführungsorgane (Kantone und SECO) und die Suva (Art. 85 UVG). Die ordentlichen in der Schweiz geltenden Vernehmlassungsverfahren für die Erarbeitung von Erlassen sowie das Bestehen von beratenden Kommissionen auf Bundesebene

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erfüllen die Anforderungen hinsichtlich der Konsultation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Laut Absatz 2 ist diese Politik durch Verhütungs- und Schutzmassnahmen für störfallgefährdete Anlagen umzusetzen und hat, soweit durchführbar, die Verwendung der besten verfügbaren Sicherheitstechnologien zu fördern.

Nach Artikel 52a VUV kann die EKAS zur Gewährleistung einer einheitlichen und sachgerechten Anwendung der Vorschriften über die Arbeitssicherheit Richtlinien aufstellen. Sie berücksichtigt dabei das entsprechende internationale Recht. Da sich die EKAS aus Vertreterinnen und Vertretern der Versicherer und der Durchführungsorgane sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter zusammensetzt (Art. 85 Abs. 2 UVG), kann Artikel 4 des Übereinkommens angenommen werden.

Art. 5 Gemäss Artikel 5 Absatz 1 hat die zuständige Stelle oder ein von ihr zugelassenes oder anerkanntes Organ nach Anhörung der massgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie anderer beteiligter Parteien, die betroffen sein können, ein System zur Ermittlung von störfallgefährdeten Anlagen im Sinne von Artikel 3 Buchstabe c einzurichten, und zwar auf der Grundlage eines Verzeichnisses von gefährlichen Stoffen oder von Kategorien gefährlicher Stoffe oder von beiden, zusammen mit ihren jeweiligen Schwellenmengen und in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung oder mit internationalen Normen.

In der Schweiz ist die Identifizierung von störfallgefährdeten Anlagen in der StFV und ihrem Anhang vorgesehen. So müssen Inhaber von Betrieben, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen (Art. 1 Abs. 2), der Vollzugsbehörde einen Kurzbericht einreichen, welcher unter anderem eine knappe Beschreibung des Betriebs und eine Liste der Höchstmengen der im Betrieb vorhandenen Stoffe, welche die Mengenschwellen überschreiten, enthält (Art. 5 Abs. 1 Bst. a und b). Das Bundesgericht definiert den Inhaber einer Anlage als diejenige natürliche oder juristische Person, die allein oder zusammen mit anderen Personen die Anlagenverhältnisse bestimmt und verantwortet. Inhaber einer Anlage ist somit, wer «tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den durch das Gesetz vorgesehenen Verpflichtungen nachzukommen» (Handbuch zur Störfallverordnung von 201835, S. 11, bezogen auf den
Bundesgerichtsentscheid vom 11. März 1987, Verwaltungsgerichtsbeschwerde i. S. Oltner Lagerhaus- und Speditionsgesellschaft AG [BGE 113 Ib 60]). Der Bundesrat erlässt die Ausführungsvorschriften des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (Artikel 39 Absatz 1 USG). Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) war zuständig für die Erarbeitung der StFV und somit für die Einrichtung dieses Systems. Die üblichen Vernehmlassungsverfahren für den Erlass von Gesetzestexten erfüllen das Erfordernis der Anhörung der Berufsverbände.

Absatz 2 hält fest, dass das erwähnte System regelmässig zu überprüfen und auf den neuesten Stand zu bringen ist.

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www.bafu.admin.ch > Themen > Störfallvorsorge > Publikationen und Studien > Handbuch zur Störfallverordnung (StFV)

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Gemäss Artikel 23a Absatz 1 StFV, kann das UVEK nach Anhörung der Betroffenen und soweit dies gemäss dem Stand der Sicherheitstechnik, dem Gefahrenpotenzial und dem Gefahrgutaufkommen erforderlich ist, die Anhänge 1.1 Ziffer 3 und 1.2a dieser Verordnung anpassen. Das UVEK kann ebenfalls, wenn es zu neuen Erkenntnissen über die Eigenschaften bestimmter Organismen gelangt, im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung sowie dem Eidgenössischen Departement des Innern und nach Anhörung der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheitdie Liste von Anhang 1.4 anpassen (Art. 23a Abs. 2 StFV). Damit kann das UVEK die Anhänge, die den Geltungsbereich und damit das Identifizierungssystem begrenzen, überprüfen und anpassen.

Artikel 5 kann angenommen werden.

Art. 6 Laut Artikel 6 hat die zuständige Stelle nach Anhörung der in Betracht kommenden repräsentativen Verbände der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besondere Vorkehrungen zum Schutz von vertraulichen, ihr gemäss den Artikeln 8, 12, 13 oder 14 übermittelten oder zugänglich gemachten Informationen zu treffen, deren Weitergabe dem Betrieb eines Arbeitgebers voraussichtlich Schaden zufügen würde, soweit diese Massnahme nicht zu einer ernsten Gefährdung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bevölkerung oder der Umwelt führt.

Im Umweltschutzbereich gilt allgemein das Öffentlichkeits- und nicht das Geheimhaltungsprinzip. Bei den Gründen, die einer aktiven Veröffentlichung dieser Umweltinformationen entgegenstehen, orientieren sich die Behörden sinngemäss am Öffentlichkeitsgesetz und an den entsprechenden kantonalen Bestimmungen. Artikel 7 des Öffentlichkeitgesetzes hält die Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip fest. Insbesondere sollte der Zugang zu amtlichen Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden, wenn durch seine Gewährung b) die zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen beeinträchtigt würde; c) die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet werden kann; oder g) Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse offenbart werden können. Zusätzlich, bleiben überwiegende private und öffentliche Geheimhaltungsinteressen vorbehalten, und das Fabrikationsund Geschäftsgeheimnis ist in jedem Fall zu wahren (Art. 10e Abs. 2 USG),
wenn die Behörden ihrer Informationspflicht im Sinne von Artikel 10e USG nachkommen. Im Arbeitnehmerschutzbereich, sieht Artikel 69f VUV vor, dass die Koordinationskommission nur anonymisierte Daten für eigene Auswertungen an Behörden, Organisationen und Private zur Verfügung stellen kann. Sie muss sicherstellen, dass durch die Bekanntgabe von Daten an Dritte insbesondere nicht auf die Identität von Betrieben, beteiligten Behörden, Versicherten oder Versicherern, die in der Vollzugsdatenbank erfasst sind, geschlossen werden kann (Art. 69f Abs. 2 VUV).

Artikel 6 kann angenommen werden.

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Teil III («Verantwortlichkeiten der Arbeitgeber») umfasst die Artikel 714.

Art. 7 und 8 Die Artikel 7 und 8 werden zusammen geprüft, denn das schweizerische System kombiniert die Identifikation und die Meldepflicht. Artikel 7 behandelt die Identifikationspflicht der Arbeitgeber. Er sieht vor, dass die Arbeitgeber jede störfallgefährdete Anlage, die ihrer Verfügungsgewalt unterliegt, anhand des in Artikel 5 erwähnten Systems zu ermitteln haben. Artikel 8 enthält die Meldepflicht der Arbeitgeber. Absatz 1 verpflichtet sie, der zuständigen Stelle jede von ihnen ermittelte störfallgefährdete Anlage zu melden a) innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens im Fall einer bestehenden Anlage oder b) vor ihrer Inbetriebnahme im Fall einer neuen Anlage. Laut Absatz 2 haben die Arbeitgeber der zuständigen Stelle auch jede endgültige Stilllegung einer störfallgefährdeten Anlage im Voraus zu melden.

Der Bundesrat verweist auf seinen Kommentar zu Artikel 5 Absatz 1. Gemäss Artikel 5 Absatz 1 StFV muss jeder Inhaber eines unterstellten Betriebs der Vollzugsbehörde der StFV einen Kurzbericht einreichen, der verschiedene Angaben zum Betrieb und zu den verwendeten Stoffen enthält. Für den Vollzug der StFV sind gemäss Artikel 36 USG und Artikel 23 Absatz 1 StFV die Kantone zuständig, soweit der Vollzug nicht dem Bund übertragen ist. Für die bestehende Anlage sieht die StFV Meldefristen nach jeder Änderung vor (Art. 25a und 25b).

Zusätzlich sieht Artikel 7 Absatz 1 ArG vor, dass, wer einen industriellen Betrieb errichten oder umgestalten will, bei der kantonalen Behörde um die Genehmigung der geplanten Anlage nachsuchen muss. Entspricht die geplante Anlage den Vorschriften, so genehmigt die kantonale Behörde die Pläne, nötigenfalls mit der Auflage, dass besondere Schutzmassnahmen zu treffen sind (Art. 7 Abs. 2 ArG). Als industrielle Betriebe gelten gemäss Artikel 5 Absatz 2 ArG Betriebe mit fester Anlage von dauerndem Charakter für die Herstellung, Verarbeitung oder Behandlung von Gütern oder für die Erzeugung, Umwandlung oder Übertragung von Energie, sofern a) die Arbeitsweise oder die Arbeitsorganisation durch Maschinen oder andere technische Einrichtungen oder durch serienmässige Verrichtungen bestimmt werden und für die Herstellung, Verarbeitung oder Behandlung von Gütern oder für die Erzeugung, Umwandlung
oder Übertragung von Energie wenigstens sechs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden; b) die Arbeitsweise oder die Arbeitsorganisation wesentlich durch automatisierte Verfahren bestimmt werden; oder c) das Leben oder die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders gefährdet wird.

Die ArGV 4 regelt das Plangenehmigungs- und Betriebsbewilligungsverfahren bei industriellen Betrieben. Das Plangenehmigungsverfahren bezweckt, dass die Vorschriften über den Gesundheitsschutz und die Unfallverhütung bereits in der Planungsphase eines industriellen Betriebes oder eines Betriebes mit besonderen Gefahren und nicht erst nach der Betriebsaufnahme erfüllt sind. Dem Plangenehmigungsverfahren sind neben den industriellen Betrieben auch nicht-industrielle Betriebe mit erheblichen Betriebsgefahren unterstellt (Art. 1 Abs. 2 ArGV 4). Die Betriebsbewilligung wird erst dann erteilt, wenn der Bau und die Einrichtung des Betriebes mit den genehmigten Plänen übereinstimmen. Diese Verfahren sind in den Artikeln 3744 ArGV 4 spezifiziert und erfüllen die Anforderungen hinsichtlich der Ermittlung und der Meldung.

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Die StFV sieht die Pflicht zur Meldung der endgültigen Schliessung einer störfallgefährdeten Anlage nicht ausdrücklich vor. Die ArGV 4 sieht jedoch vor, dass die kantonale Behörde die Unterstellung aufhebt, wenn ein Betrieb die Voraussetzungen für die Unterstellung nicht mehr erfüllt (Art. 34 ArGV 4).

Somit können Artikel 7 und 8 angenommen werden.

Art. 9 Artikel 9 behandelt die durch die Arbeitgeber zu treffenden anlagebezogenen Vorkehrungen. Er sieht vor, dass die Arbeitgeber für jede störfallgefährdete Anlage ein dokumentiertes System zur Abwehr von Störfallgefahren einzurichten und aufrechtzuerhalten haben, das Vorkehrungen enthält a) für die Bestimmung und Analyse von Gefahren und die Einschätzung von Risiken, einschliesslich der Berücksichtigung möglicher Wechselwirkungen zwischen Stoffen; b) für technische Massnahmen, einschliesslich der Auslegung, der Sicherheitssysteme, der Ausführung, der Wahl der chemischen Stoffe, des Betriebs, der Wartung und der systematischen Inspektion der Anlage; c) für organisatorische Massnahmen, einschliesslich der Ausbildung und Unterweisung des Personals, der Bereitstellung von Ausrüstung zur Gewährleistung seiner Sicherheit, der Personalausstattung, der Arbeitszeit, der Festlegung der Verantwortlichkeiten sowie der Kontrolle fremder Auftragnehmer und vorübergehend beschäftigter Arbeitskräfte am Standort der Anlage; d) für Notfallpläne und -verfahren, einschliesslich i) der Ausarbeitung wirksamer Notfallpläne und -verfahren, darunter medizinische Notfallverfahren, die bei Störfällen oder drohenden Störfällen an Ort und Stelle anzuwenden sind, mit regelmässiger Prüfung und Beurteilung ihrer Wirksamkeit und erforderlichenfalls ihrer Überarbeitung; ii) der Weitergabe von Informationen über potentielle Störfälle und über an Ort und Stelle anzuwendende Notfallpläne an die Behörden und Stellen, die für die Ausarbeitung von Notfallplänen und -verfahren zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt ausserhalb des Standorts der Anlage verantwortlich sind; iii) aller erforderlichen Beratungen mit diesen Behörden und Stellen; e) für Massnahmen zur Begrenzung der Folgen eines Störfalls; f) für Beratungen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern; und g) für Verbesserungen des Systems, einschliesslich Massnahmen zur Sammlung von
Informationen und zur Auswertung von Störfällen und BeinaheStörfällen. Die daraus gezogenen Lehren sind mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihren Vertreterinnen und Vertretern zu erörtern und in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis aufzuzeichnen.

Gemäss Artikel 3 Absatz 1 StFV muss der Inhaber die allgemeinen Sicherheitsmassnahmen treffen. Dabei hat er gemäss den Vorgaben von Anhang 2.1 StFV vorzugehen, und muss insbesondere die Massnahmen nach den Anhängen 2.2­2.5 berücksichtigen (Art. 3 Abs. 3). In der Schweiz ist dieses dokumentierte System zur Abwehr von Störfallgefahren im Anhang zur StFV vorgesehen. Anhang 2.1 Buchstabe i StFV sieht vor, dass die wesentlichen Ergebnisse der vorgesehenen Massnahmen zu dokumentieren sind. Zu dieser Dokumentation gehören beispielsweise: Abläufe zur Ermittlung und Bewertung möglicher Störfallszenarien (Bst. a), Arbeitsanweisungen für sicherheitsrelevante Tätigkeiten (Bst. b), Überwachungs- oder Wartungsmassnahmen (Bst. b), Verzeichnis der Mitarbeitenden und der von ihnen besuchten Ausbildungen (Bst. c), Protokolle von Sicherheitshinweisen für Besucherinnen und Besucher und 42 / 52

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Auftragnehmer, der Einsatzplan und der Alarmplan (Bst. d) sowie Dokumentationen und Statistiken von bedeutsamen Störungen (Bst. g). Gemäss Artikel 3 Absatz 1 StFV muss der Inhaber auch Massnahmen treffen, welche die «Einwirkungen von Störfällen begrenzen» (Bst. e).

Zusätzlich sind bestimmte in Artikel 9 definierte Massnahmen in den Gesetzen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgesehen. Die VUV schreibt vor, dass die Spezialistinnen und Spezialisten für Arbeitssicherheit namentlich die Aufgabe haben, die Gefahren für die Arbeitskräfte zu beurteilen (Art. 11e Abs. l Bst. a VUV) (Bst. a). Die Durchführung der technischen Massnahmen, die sich auf die Auslegung und die Konstruktion einschliessen, sind durch Plangenehmigungs- und Betriebsbewilligungsverfahren gewährleistet (Bst. b). Der Wahl der chemischen Stoffe ist durch das Chemikalienrecht geregelt (Bst. b). Gemäss den Artikeln 6 ArG und 82 UVG ist der Arbeitgeber verpflichtet zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind.

Er hat im Weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzusehen. Die Artikel 310 VUV konkretisieren die Pflichten des Arbeitgebers zur Wahrung und Verbesserung der Arbeitssicherheit. Insbesondere muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass alle in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einschliesslich der dort tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines anderen Betriebes, ausreichend und angemessen informiert und angeleitet werden über die bei ihren Tätigkeiten auftretenden Gefahren sowie über die Massnahmen der Arbeitssicherheit (Art. 6 VUV). Weiter müssen sie darüber informiert sein, dass persönliche Schutzausrüstungen überall dort zur Verfügung stehen, wo gegebene Gefahren, die weder durch technische noch durch organisatorische Massnahmen behoben werden können, konkret bestehen, und sie müssen in deren Verwendung angeleitet sein (Art. 5 VUV und 27 Abs. 1 ArGV 3) (Bst. c). Was die Beratungen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angeht (Bst. f), hält Artikel 82 Absatz 2 UVG fest,
dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten zur Mitwirkung heranzuziehen hat. Artikel 10 des Mitwirkungsgesetzes sieht ebenfalls das Mitwirkungsrecht in Fragen der Arbeitssicherheit vor. Artikel 6 VUV konkretisiert dieses Recht. Somit erfüllt das Schweizer Recht die Anforderungen von Buchstabe f.

Artikel 9 kann angenommen werden.

Art. 10 Artikel 10 Absatz 1 sieht vor, dass die Arbeitgeber eine Sicherheitsanalyse entsprechend den Erfordernissen in Artikel 9 auszuarbeiten haben.

Der Inhaber muss die Ergebnisse der in Artikel 3 StFV vorgesehenen Massnahmen dokumentieren (Anhang 2.1). Der Inhaber bewahrt die Ergebnisse und stellt sie gegebenenfalls den Behörden zur Verfügung. Nach Erhalt des Kurzberichts prüft die Vollzugsbehörde, ob der Kurzbericht vollständig und richtig ist. Sie beurteilt, nach einer allfälligen Besichtigung vor Ort, ob die Annahme zulässig ist, dass a) bei Betrieben 43 / 52

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schwere Schädigungen für die Bevölkerung oder die Umwelt infolge von Störfällen nicht zu erwarten sind; b) bei Verkehrswegen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Störfall mit schweren Schädigungen eintritt, hinreichend klein ist; und c) bei Rohrleitungsanlagen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Störfall mit schweren Schädigungen eintritt, hinreichend klein ist. Ist eine dieser Annahmen nicht zulässig, so verfügt sie, dass der Inhaber eine Risikoermittlung erstellen und bei ihr einreichen muss (Art. 6 StFV). Diese Risikoermittlung muss nach Anhang 4 erstellt sein und entspricht ebenfalls den Erfordernissen in Artikel 9.

Laut Absatz 2 ist die Analyse auszuarbeiten a) für bestehende störfallgefährdete Anlagen innerhalb einer durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschriebenen Frist nach der Meldung; und b) für jede neue störfallgefährdete Anlage vor deren Inbetriebnahme.

Wie oben erwähnt kann die Vollzugsbehörde jederzeit eine Risikoermittlung verlangen, wenn sie feststellt, dass bei Betrieben schwere Schädigungen für die Bevölkerung oder die Umwelt infolge von Störfällen zu erwarten sind oder dass bei Verkehrswegen oder bei Rohrleitungsanlagen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Störfall mit schweren Schädigungen eintritt, hinreichend hoch ist.

Die neuen Industrieanlagen sind zusätzlich dem Plangenehmigungsverfahren nach dem ArG und der ArGV 4 unterstellt.

Artikel 10 kann angenommen werden.

Art. 11 Nach Artikel 11 haben die Arbeitgeber die Sicherheitsanalyse zu überprüfen, auf den neuesten Stand zu bringen und abzuändern a) im Fall einer Änderung, die einen erheblichen Einfluss auf den Grad der Sicherheit der Anlage oder ihrer Verfahren oder der Mengen der vorhandenen gefährlichen Stoffe hat; b) wenn die Entwicklung der technischen Kenntnisse oder der Gefahreneinschätzung dies angezeigt erscheinen lässt; c) in den durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgeschriebenen Zeitabständen; und d) auf Verlangen der zuständigen Stelle.

Gemäss Artikel 8a Absatz 1 StFV muss der Inhaber, wenn er einen Kurzbericht, aber keine Risikoermittlung erstellt hat und sich die Verhältnisse danach wesentlich ändern oder relevante neue Erkenntnisse vorliegen, den Kurzbericht ergänzen und der Vollzugsbehörde erneut einreichen. Wenn der Inhaber eine Risikoermittlung erstellt hat und sich danach die Verhältnisse
wesentlich ändern oder relevante neue Erkenntnisse vorliegen, muss er a) die Risikoermittlung ergänzen und der Vollzugsbehörde erneut einreichen; und b) anstelle der Risikoermittlung den Kurzbericht ergänzen und der Vollzugsbehörde neu einreichen, wenn 1. eine schwere Schädigung für die Bevölkerung oder die Umwelt infolge von Störfällen nicht mehr zu erwarten ist, und 2. bei Verkehrswegen und Rohrleitungsanlagen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Störfall mit schweren Schädigungen eintritt, hinreichend klein ist (Art. 8a Abs. 2 StFV). Dies entspricht den Anforderungen der Buchstaben a und b.

Die Vollzugsbehörde hat zudem regelmässige Kontrollen vor Ort durchzuführen. Die Gesetzgebung sieht hierfür keine vorgeschriebenen Zeitabstände vor. Die Vollzugs-

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behörde muss aber die Häufigkeit der Kontrollen in Abhängigkeit vom Gefahrenpotenzial, der Art und der Komplexität des Betriebs, Verkehrswegs oder der Rohrleitungsanlage sowie der Ergebnisse früherer Kontrollen festlegen (Art. 8b StFV) (Bst. c). Sie kann jederzeit eine Risikoermittlung verlangen (Bst. d).

Artikel 11 kann angenommen werden.

Art. 12 Laut Artikel 12 haben die Arbeitgeber die in den Artikeln 10 und 11 erwähnten Sicherheitsanalysen der zuständigen Stelle zu übermitteln oder zugänglich zu machen.

Wie bereits erwähnt, sieht die StFV vor, dass die Risikoermittlung der Vollzugsbehörde eingereicht werden muss.

Artikel 12 kann angenommen werden.

Art. 13 Artikel 13 verpflichtet die Arbeitgeber, die zuständige Stelle und die anderen für diesen Zweck bezeichneten Organe zu informieren, sobald sich ein Störfall ereignet.

Artikel 11 Absatz 2 StFV verpflichtet den Inhaber, Störfälle unverzüglich der Meldestelle zu melden. Jeder Kanton hat eine Meldestelle zu bezeichnen. Diese hat die Aufgabe, die Meldung von Störfällen jederzeit entgegenzunehmen und die Ereignisdienste unverzüglich zu benachrichtigen. Die Kantone sorgen zudem dafür, dass eine zentrale Stelle bezeichnet wird, welche die Meldung von Störfällen unverzüglich an die Alarmstelle NAZ (ASNAZ) bei der Nationalen Alarmzentrale (NAZ) weiterleitet (Art. 12 StFV). Artikel 10 Absatz 3 USG sieht ebenfalls vor, dass der Inhaber einer Anlage ausserordentliche Ereignisse unverzüglich der Meldestelle meldet.

Artikel 13 kann angenommen werden.

Art. 14 Gemäss Artikel 14 Absatz 1 haben die Arbeitgeber innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens nach einem Störfall der zuständigen Stelle einen detaillierten Bericht vorzulegen, der eine Analyse der Ursachen des Störfalls enthält und seine unmittelbaren Folgen am Standort der Anlage sowie alle zur Abschwächung seiner Auswirkungen ergriffenen Massnahmen beschreibt.

Artikel 11 Absatz 3 StFV sieht dieselben Verpflichtungen vor: Der Inhaber muss der Vollzugsbehörde innert dreier Monate nach dem Störfall einen Bericht einreichen.

Der Bericht umfasst eine Beschreibung des Ablaufs, der Einwirkungen und der Bewältigung des Störfalls (Bst. a), Angaben über die Wirksamkeit der Sicherheitsmassnahmen (Bst. b), und eine Auswertung des Störfalls (Bst. c).

Nach Absatz 2 hat der Bericht Empfehlungen zu
enthalten, in denen im Einzelnen die Massnahmen dargelegt werden, die zur Vermeidung einer Wiederholung des Störfalls zu treffen sind.

Der nach Massgabe von Artikel 11 Absatz 3 StFV zu erstellende Bericht enthält eine Kategorie «Auswertung des Störfalls». Unter diese Kategorie sollen «Vorgesehene 45 / 52

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Verbesserungen der bereits getroffenen Sicherheitsmassnahmen» und «Neu zu treffende Sicherheitsmassnahmen» beschrieben werden. Bei ausserbetrieblichen Ursachen können Vorschläge allgemeiner Natur gemacht werden (siehe hierzu auch Art. 11 Abs. 3 StFV i. V. m. den Anhängen A24 des Handbuchs zur Störfallverordnung, S. 49).

Artikel 14 kann angenommen werden.

Teil IV («Verantwortlichkeiten der zuständigen Stellen») umfasst die Artikel 1519.

Art. 15 Gemäss Artikel 15 hat die zuständige Stelle unter Berücksichtigung der vom Arbeitgeber bereitgestellten Informationen sicherzustellen, dass Notfallpläne und -verfahren, die Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt ausserhalb des Standorts jeder störfallgefährdeten Anlage enthalten, ausgearbeitet, in geeigneten Zeitabständen auf den neuesten Stand gebracht und mit den betroffenen Behörden und Organen koordiniert werden.

Gemäss Artikel 14 StFV müssen die Kantone die Ereignisdienste mit der Einsatzplanung der Betriebsinhaberinnen und -inhaber koordinieren.

Artikel 15 kann somit angenommen werden.

Art. 16 Nach Artikel 16 hat die zuständige Stelle sicherzustellen, dass a) Informationen über Sicherheitsmassnahmen und das richtige Verhalten bei einem Störfall unaufgefordert unter den Teilen der Bevölkerung verbreitet werden, die wahrscheinlich von einem Störfall betroffen würden, und dass solche Informationen in geeigneten Zeitabständen auf den neuesten Stand gebracht und erneut verbreitet werden; b) bei einem Störfall so bald wie möglich eine Warnung erfolgt; und c) bei einem Störfall, der grenzüberschreitende Auswirkungen haben könnte, den betreffenden Staaten die gemäss den Buchstaben a) und b) erforderlichen Informationen übermittelt werden, um Vorkehrungen für eine Zusammenarbeit und Koordinierung zu unterstützen.

Der 4. Abschnitt StFV präzisiert die Informationsaufgaben der Kantone und Artikel 20 StFV diejenigen des Bundes in Bezug auf die Information der Öffentlichkeit bei einem Störfall (Bst. a). Die Kantone sorgen dafür, dass die Bevölkerung rechtzeitig informiert und gegebenenfalls alarmiert wird (Art. 13 Abs. 2 StFV) (Bst. b). Wenn Störfälle erhebliche Einwirkungen über die Kantons- oder Landesgrenzen hinaus haben können (Bst. c), sorgen die zuständigen Stellen der Kantone und des Bundes für die Information der Nachbarkantone und
Nachbarstaaten (Art. 13 Abs. 3 und 20 Abs. 2 StFV).

Artikel 16 kann angenommen werden.

Art. 17 Artikel 17 behandelt die Wahl des Standorts von störfallgefährdeten Anlagen. Er verpflichtet die zuständige Stelle, eine umfassende Standortpolitik festzulegen, die eine zweckmässige Trennung geplanter störfallgefährdeter Anlagen von Arbeits- und 46 / 52

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Wohngebieten und öffentlichen Einrichtungen sowie geeignete Massnahmen für bestehende Anlagen vorsieht. Eine solche Politik hat den in Teil II des Übereinkommens dargelegten allgemeinen Grundsätzen Rechnung zu tragen.

Die Schweiz verfügt im Bereich der störfallgefährdeten Anlagen über eine umfassende Standortpolitik. Das USG sieht in Artikel 10 Absatz l vor, dass geeignete Standorte zu wählen und die erforderlichen Sicherheitsabstände einzuhalten sind. Gemäss Artikel 11a StFV müssen die Kantone die Störfallvorsorge in der Richt- und Nutzungsplanung sowie bei ihren übrigen raumwirksamen Tätigkeiten berücksichtigen.

Der Lageplan der Anlage und ihre Umgebung sind ebenfalls Elemente, die im Plangenehmigungsverfahren berücksichtigt werden ( Art. 38 Abs. 1 ArGV 4).

Artikel 17 kann angenommen werden.

Art. 18 Gemäss Artikel 18 Absatz 1 hat die zuständige Stelle über ordnungsgemäss qualifiziertes und ausgebildetes Personal mit entsprechenden Fähigkeiten sowie über ausreichende technische und fachliche Unterstützung zu verfügen, um in der Lage zu sein, die in diesem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten zu prüfen, zu untersuchen und zu beurteilen und entsprechenden Rat zu erteilen und die Einhaltung der innerstaatlichen Gesetzgebung sicherzustellen.

Die zuständigen Stellen für den Vollzug der Gesetzgebung, welche die Anforderungen des Übereinkommens erfüllen sollen, sind im Bereich des Schutzes von Bevölkerung und Umwelt die StFV-Vollzugsorgane der Kantone und des Bundes (Art. 23 Abs. 1 StFV). Das BAFU als Aufsichtsbehörde ist gleichzeitig das Kompetenzzentrum, das die kantonalen und eidgenössischen Vollzugsstellen beratend unterstützt und für einheitliche Vollzugshilfsmittel sorgt. Gemäss dem Handbuch zur Störfallverordnung sollen die nötigen personellen und finanziellen Mittel von den Vollzugsbehörden bereitgestellt werden. Für die Kontrollen können beim Inhaber gemäss Artikel 48 USG Gebühren im Sinne des Verursacherprinzips erhoben werden (Handbuch zur Störfallverordnung, S. 33).

Im Bereich des Arbeitnehmerschutzes sind die eidgenössischen und kantonalen Arbeitsinspektorate sowie die Suva die zuständigen Stellen für den Vollzug der Gesetzgebung, welche die Anforderungen des Übereinkommens erfüllen sollen (Art. 4043 ArG und 4748 VUV). Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit spielen
auch eine Rolle in der Beurteilung der Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und in der Beratung und Orientierung der Arbeitgeber in Fragen der Arbeitssicherheit (Art. 11e Abs. 1 Bst. a und b VUV). Diese Spezialistinnen und Spezialisten sind qualifizierte und ausgebildete Personen mit fachlichen und technischen Kompetenzen (Art. 11d und 11d bis VUV). Die Arbeitgeber tragen durch den Prämienzuschlag für die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten die Kosten der Durchführungsorgane des ArG in Bezug auf ihre Aufsicht über die Anwendung der Vorschriften über die Arbeitssicherheit in den Betrieben, ausgenommen der Kosten des Plangenehmigungs- und Betriebsbewilligungsverfahrens (Art. 91 Bst. a VUV).

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Absatz 2 sieht vor, dass Vertreterinnen und Vertreter des Arbeitgebers sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer störfallgefährdeten Anlage die Gelegenheit haben müssen, die Aufsichtspersonen zu begleiten, welche die Anwendung der gemäss diesem Übereinkommen vorgeschriebenen Massnahmen überwachen, es sei denn, die Aufsichtspersonen sind in Anbetracht der allgemeinen Weisungen der zuständigen Stelle der Ansicht, dass sich dies nachteilig auf die Erfüllung ihrer Aufgaben auswirken kann.

Gemäss Artikel 11e Absatz 1 Buchstabe a VUV beurteilen die Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit zusammen mit dem Arbeitgeber nach Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihrer Vertretung im Betrieb sowie der oder dem zuständigen Vorgesetzten die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Schweizerische Gesetzgebung im Bereich des Arbeitnehmerschutzes sieht vor, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder deren Vertretung im Betrieb über alle Fragen, welche die Arbeitssicherheit betreffen, frühzeitig und umfassend angehört werden müssen (Art. 6a VUV und 6 Abs. 3 ArGV 3). Dieses Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ebenfalls in Artikel 48 ArG vorgesehen und erfüllt die Anforderungen von Artikel 18 Absatz 2. Die Anwesenheit des Arbeitgebers wird nicht ausdrücklich erwähnt, ist jedoch in der Praxis gegeben.

Artikel 18 kann angenommen werden.

Art. 19 Gemäss Artikel 19 muss die zuständige Stelle das Recht haben, jeden Arbeitsgang, bei dem die unmittelbare Gefahr eines Störfalls besteht, vorübergehend einstellen zu lassen.

Verschiedene Behörden sind ermächtigt einzuschreiten, um einen Arbeitsgang, bei dem die Gefahr eines Störfalls besteht, vorübergehend einstellen zu lassen. Im Rahmen des Schutzes vor Störfällen kann die Vollzugsbehörde nach der Beurteilung der Risikoermittlung den Betrieb einschränken oder gar verbieten (Art. 8 Abs. 1 StFV).

Bei der Kontrolle der Sicherheit am Arbeitsplatz kann die kantonale Inspektion die Benützung von Räumen oder Einrichtungen verhindern oder gar den Betrieb schliessen, wenn Leben oder Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Missachtung von Sicherheitsvorschriften schwer gefährdet werden (Art. 86 Abs. 2 UVG).

Artikel 19
kann angenommen werden.

Teil V («Rechte und Pflichten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer Vertreterinnen und Vertreter») besteht aus den Artikeln 20 und 21.

Art. 20 Artikel 20 behandelt insbesondere die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer Vertreterinnen und Vertreter. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter in einer störfallgefährdeten Anlage sind im Wege geeigneter Verfahren der Zusammenarbeit anzuhören, damit ein sicheres Arbeitssystem gewährleistet wird. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie 48 / 52

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ihre Vertreterinnen und Vertreter müssen insbesondere a) über die mit der störfallgefährdeten Anlage verbundenen Gefahren und deren voraussichtliche Folgen ausreichend und in geeigneter Weise unterrichtet werden; b) über alle Anordnungen, Weisungen oder Empfehlungen der zuständigen Stelle unterrichtet werden; c) bei der Ausarbeitung der Sicherheitsanalyse (i), der Notfallpläne und -verfahren (ii) und der Störfallberichte (iii) angehört werden und Zugang zu diesen Unterlagen haben; d) regelmässig in den Methoden und Verfahren zur Verhütung von Störfällen und zur Beherrschung von Vorgängen, die voraussichtlich zu einem Störfall führen würden, und in den bei einem Störfall anzuwendenden Notfallverfahren unterwiesen und ausgebildet werden; e) im Rahmen ihres Aufgabenbereichs, und ohne irgendeinen Nachteil zu erleiden, Gegenmassnahmen treffen und erforderlichenfalls die Arbeit unterbrechen, wenn sie aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die unmittelbare Gefahr eines Störfalls besteht, und je nach den Umständen ihren Vorgesetzten benachrichtigen oder Alarm auslösen, bevor sie eine solche Massnahme treffen oder so bald wie möglich danach; und f) mit dem Arbeitgeber alle potentiellen Gefahren erörtern, die ihrer Ansicht nach einen Störfall hervorrufen können, und das Recht haben, die zuständige Stelle über die Gefahren zu unterrichten.

Gemäss Artikel 6 Absatz 1 VUV muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass alle in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einschliesslich der dort tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines anderen Betriebes, ausreichend und angemessen über die bei ihren Tätigkeiten auftretenden Gefahren sowie über die Massnahmen der Arbeitssicherheit informiert und angeleitet werden. Diese Information und Anleitung haben im Zeitpunkt des Stellenantritts und bei jeder wesentlichen Änderung der Arbeitsbedingungen zu erfolgen und sind nötigenfalls zu wiederholen (Bst. a, b und d). Wurde eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit bestimmten Aufgaben betraut, so muss der Arbeitgeber sie oder ihn in zweckmässiger Weise aus- und weiterbilden und ihr oder ihm klare Weisungen und Kompetenzen erteilen (Art. 7 Abs. 1 VUV). Arbeiten mit besonderen Gefahren dürfen gemäss Artikel 8 Absatz 1 VUV nur Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern übertragen werden, die dafür entsprechend ausgebildet sind. Zusätzlich sieht Anhang 2.1 Buchstabe c StFV vor, dass der Inhaber die Ausbildung des Personals regeln muss. Damit sind sämtliche Massnahmen angesprochen, welche die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befähigen, die Betriebssicherheit mitverantwortlich zu gewährleisten und im Ereignisfall richtig zu reagieren (Bst. d).

Laut Artikel 6a Absätze 1 und 2 VUV haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie deren Vertretung im Betrieb das Recht, zu allen Fragen, welche die Arbeitssicherheit betreffen, frühzeitig und umfassend angehört zu werden (Bst. c), sowie auch das Recht, Vorschläge zu unterbreiten, bevor der Arbeitgeber einen Entscheid trifft. Der Arbeitgeber hat seinen Entscheid zu begründen, wenn er den Einwänden und Vorschlägen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder von deren Vertretung im Betrieb nicht oder nur teilweise Rechnung trägt.

Der Bundesrat verweist auf seinen Kommentar zu Artikel 18 Absatz 1 des Übereinkommens Nr. 170 betreffend das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Arbeitsunterbrechung bei unmittelbarer Gefahr sowie auf die Pflicht der Arbeitneh-

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merinnen und Arbeitnehmer zum Treffen von Gegenmassnahmen und zur Benachrichtigung ihrer Vorgesetzten (Bst. e). Eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, die oder der Mängel feststellt, welche die Arbeitssicherheit beeinträchtigen, muss diese sogleich beseitigen. Ist sie oder er dazu nicht befugt oder nicht in der Lage, so ist der Mangel gemäss Artikel 11 Absatz 2 VUV unverzüglich dem Arbeitgeber zu melden (Bst. f).

Artikel 20 kann angenommen werden.

Art. 21 Gemäss Artikel 21 haben die am Standort einer störfallgefährdeten Anlage beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer a) alle Methoden und Verfahren bezüglich der Verhütung von Störfällen und der Beherrschung von Vorgängen, die voraussichtlich zu einem Störfall führen würden, innerhalb der störfallgefährdeten Anlage einzuhalten; und b) alle Notfallverfahren einzuhalten, falls ein Störfall eintritt.

Artikel 82 Absatz 3 UVG und Artikel 11 VUV enthalten ähnliche Bestimmungen zu den Pflichten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Artikel 21 kann angenommen werden.

Teil VI (Art. 22) des Übereinkommens behandelt die Verantwortung der exportierenden Staaten.

Art. 22 Artikel 22 hält folgendes fest: Wenn in einem exportierenden Mitgliedstaat die Verwendung von gefährlichen Stoffen, Technologien oder Verfahren als potentielle Störfallquelle verboten ist, sind die Informationen über dieses Verbot und die Gründe dafür von dem exportierenden Mitgliedstaat jedem importierenden Land zugänglich zu machen.

In der Schweiz regelt die ChemPICV das Informationssystem für die Ein- und Ausfuhr bestimmter Stoffe und Zubereitungen, deren Verwendung wegen ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen oder auf die Umwelt verboten ist oder strengen Beschränkungen unterliegt. Diese Verordnung gilt für Stoffe, die in der Schweiz aus Gründen des Gesundheits- oder des Umweltschutzes verboten sind oder strengen Beschränkungen unterliegen, sowie für Stoffe, die dem PIC-Verfahren unterliegen.

Dem Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel sind bis heute 154 Länder beigetreten, unter anderem die Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich.

Artikel 22 kann angenommen werden.

Teil VII (Artikel 23­30) enthält die üblichen Schlussbestimmungen und gibt zu keinem besonderen Kommentar Anlass.

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Auswirkungen

Die Ratifikation der Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174 wird keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf den Bund oder die Kantone und Gemeinden haben.

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Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Gemäss Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) ist der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge geht aus Artikel 166 Absatz 2 BV hervor.

Ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist. Im vorliegenden Fall verfügt der Bundesrat nicht über diese Zuständigkeit.

8.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Im Rahmen der Revision des Chemikalienrechts hat die Schweiz seit Inkrafttreten des ChemG und des dazugehörigen Ausführungsrechts (2005) die Grundsätze, die in den bestehenden internationalen Normen und Standards der UNO und der EU verankert sind und auf die sich das Übereinkommen Nr. 170 bezieht, übernommen (siehe Kapitel 3). Ausserdem verweist der Bundesrat auf die Erläuterungen zu Artikel 19 des Übereinkommens Nr. 170 und Artikel 22 des Übereinkommens Nr. 174 betreffend das Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel sowie betreffend die Ein- und Ausfuhr bestimmter Stoffe und Zubereitungen.

8.3

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 13 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Die Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174 können wie alle Übereinkommen der IAO frühestens zehn Jahre nach ihrer Ratifikation gekündigt werden (Art. 25). Der Beitritt zu einer internationalen Organisation ist nicht vorgesehen. Beim aktuellen Stand des Rechtes erfordern die Übereinkommen für ihre Umsetzung weder die Annahme von neuen Bestimmungen noch die Änderung von bestehenden Gesetzesbestimmungen; sie enthalten jedoch wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 164 51 / 52

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Absatz 1 BV. Die Übereinkommen Nr. 170 und Nr. 174 erfüllen damit die Bedingungen von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV, woraus hervorgeht, dass der Genehmigungsbeschluss dem fakultativen Referendum unterliegt.

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