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16.461 Parlamentarische Initiative EMRK, Strafregister, Restitutio in integrum.

Bundesgerichtsgesetz anpassen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 4. Februar 2021

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgerichtsgesetzes1. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

4. Februar 2021

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Laurence Fehlmann Rielle

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Übersicht Die parlamentarische Initiative 16.461 fordert, dass die Revision von Entscheiden des Bundesgerichts wegen Verletzung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) auch verlangt werden kann, wenn die Schweizer Regierung die Verletzung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anerkannt hat und es zu einer gütlichen Einigung kommt. Der von der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates erarbeitete Entwurf schlägt vor, Artikel 122 Buchstabe a des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) und die korrespondierenden Bestimmungen weiterer Erlasse entsprechend zu erweitern. Die Schweiz soll damit nicht mehr an einer Revision eines Urteils gehindert werden, wenn der Gerichtshof für Menschenrechte keine endgültige Verurteilung ausgesprochen hat.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte und Ausgangslage

Die parlamentarische Initiative 16.461 wurde am 27. September 2016 von Nationalrat Nidegger eingereicht. Am 2. November 2017 gab die Kommission für Rechtfragen des Nationalrates der Initiative ohne Gegenstimme Folge, woraufhin am 26. April 2018 auch die ständerätliche Schwesterkommission der parlamentarischen Initiative einstimmig zustimmte.

Die Umsetzung des Initiativanliegens sollte im Rahmen der Vorlage zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes (18.051) erfolgen. Nachdem sich die Änderung des Bundesgerichtsgesetztes hinauszögerte, beantragte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates am 21. Februar 2020 die Frist für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative zu verlängern. Dies, da die parlamentarische Initiative im Rahmen der Änderung des Bundesgerichtsgesetzes nicht rechtzeitig umgesetzt werden konnte und für die Ausarbeitung eines eigenen Erlassentwurfes die gegebene Frist nicht reiche. Der Nationalrat folgte diesem Antrag am 5. März 2020 und verlängerte die Frist bis zur Frühjahrssession 2022.

Der Bundesrat nahm das Anliegen der parlamentarischen Initiative in seinen Entwurf vom 15. Juni 2018 zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes auf. Nachdem bereits der Ständerat am 17. Dezember 2019 Nichteintreten auf die Änderung des Bundesgerichtsgesetzes beschlossen hatte, lehnte auch der Nationalrat am 5. März 2020 ein Eintreten ab. Die Vorlage scheiterte somit endgültig und war erledigt. Damit blieb auch die parlamentarische Initiative weiterhin nicht umgesetzt. Die Beratungen in den Kommissionen und den Räten zeigten, dass das von der parlamentarischen Initiative vertretene Anliegen unbestritten war.

An ihrer Sitzung vom 4. Februar 2021 entschied die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates einstimmig, das Anliegen der parlamentarischen Initiative mit einem separaten Entwurf umzusetzen.

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Verzicht auf das Vernehmlassungsverfahren

Gemäss Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b des Vernehmlassungsgeseztes vom 18. März 2005 (VlG;)2 kann auf die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verzichtet werden, wenn über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist. Mit der vom 4. November 2015 bis am 29. Februar 2016 durchgeführten Vernehmlassung zur Revision des Bundesgerichtsgesetzes gelangte das Anliegen der parlamentarischen Initiative bereits in die Vernehmlassung. Der Bericht des Bundesrates über die Ergebnisse dieses Vernehmlassungsverfahrens vom 4. August 2017 ist auf www.admin.ch/ch/d/gg/pc/ind2015.html#EJPD abrufbar. Aufgrund dieser erst kürzlich erfolgten Vernehmlassung wird auf eine erneute Vernehmlassung zum Anliegen der parlamentarischen Initiative verzichtet.

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SR 172.061

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Wie sich in der Vernehmlassung zum Bundesgerichtsgesetz gezeigt hat, ist das Anliegen der parlamentarischen Initiative nicht umstritten und wurde in den Vernehmlassungsantworten nicht ausführlich thematisiert.

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Grundzüge der Vorlage

Nach Artikel 122 BGG kann die Revision eines Entscheids des Bundesgerichts verlangt werden, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem endgültigen Urteil festgestellt hat, dass im betreffenden Fall die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und wenn gewisse zusätzliche Bedingungen erfüllt werden (Art. 44 EMRK). Kommt es im Verfahren vor dem Gerichtshof zu einer gütlichen Einigung, so erlässt der Gerichtshof nicht ein endgültiges Urteil nach Artikel 44 EMRK, sondern eine «Entscheidung» nach Artikel 39 Absatz 3 EMRK. Mit einer solchen Entscheidung des Gerichtshofs kann nach dem Wortlaut des BGG nicht um Revision des bundesgerichtlichen Entscheids ersucht werden. Dies schränkt die Aussichten auf eine gütliche Einigung vor dem Gerichtshof ein, da sich die beschwerdeführende Partei unter Umständen nicht damit abfinden kann, dass der Entscheid des Bundesgerichts formell rechtskräftig bleibt.

Neu soll deshalb auch eine gütliche Einigung gemäss Artikel 39 EMRK einen Revisionsgrund für das Bundesgericht darstellen. Dadurch soll verhindert werden, dass eine Revision eines Bundesgerichtsurteils nicht möglich ist, wenn es aufgrund einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien zu keinem endgültigen Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Bundesgerichtsgesetz

Art. 122 Bst. a Nach Artikel 122 BGG kann die Verletzung der EMRK Anspruch auf Revision eines Entscheids des Bundesgerichts geben. Ein Revisionsgesuch kann nur gestellt werden, wenn der EGMR in einem endgültigen Urteil (Art. 44 EMRK) festgestellt hat, dass die EMRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind (Art. 122 Bst. a BGG). Neu wird dieser Artikel 122 Bst. a BGG durch den Zusatz ergänzt, dass auch ein Revisionsgrund vorliegt, wenn der Fall durch eine gütliche Einigung nach Artikel 39 EMRK abgeschlossen wird.

Der Bundesrat bietet im Strassburger Verfahren nach konstanter Praxis nur Hand zu einer gütlichen Einigung, wenn die geltend gemachte Verletzung der EMRK klar zutage tritt und nachdem er das Bundesgericht angehört hat. Deshalb besteht nicht ernsthaft die Gefahr, dass das Instrument der gütlichen Einigung dazu verwendet würde, aus politischen Gründen einen Entscheid des Bundesgerichts umzustossen.

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4.2

Änderung anderer Erlasse

Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (VwVG)3 Art. 66 Abs. 2 Bst. d Artikel 66 VwVG regelt die Revision von Beschwerdeentscheiden nach diesem Gesetz. Buchstabe d entspricht inhaltlich Artikel 122 BGG. Um die Übereinstimmung beizubehalten, muss auch Artikel 66 VwVG geändert werden.

Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO)4 Art. 328 Abs. 2 Bst. a Artikel 328 ZPO regelt die Gründe, aus denen die Revision eines rechtskräftigen Entscheids verlangt werden kann. Absatz 2 entspricht Artikel 122 BGG. Um die Übereinstimmung beizubehalten, muss auch Artikel 328 ZPO geändert werden.

Art. 396 Abs. 2 Bst. a Artikel 396 ZPO regelt die Revision von Schiedsgerichtsurteilen durch das zuständige staatliche Gericht. Absatz 2 entspricht Artikel 122 BGG. Um die Übereinstimmung beizubehalten, muss auch Artikel 396 ZPO geändert werden.

Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO)5 Art. 410 Abs. 2 Bst. a Artikel 410 StPO regelt die Revision von rechtskräftigen Urteilen und Strafbefehlen, die nach der StPO ergangen sind. Absatz 2 entspricht Artikel 122 BGG. Um die Übereinstimmung beizubehalten, muss auch Artikel 410 StPO geändert werden.

Militärstrafprozess vom 23. März 1979 (MStP)6 Art. 200 Abs. 1 Bst. f Die Bestimmung über die Revision von rechtskräftigen Urteilen und Strafmandaten wegen Verletzung der EMRK basiert noch auf dem früheren Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 19437. Sie ist an Artkel 122 BGG in der hier vorgeschlagenen neuen Fassung anzupassen.

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SR 172.021 SR 272 SR 312.0 SR 322.1 AS 60 271

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Auswirkungen

Die Vorlage hat keine namhaften Auswirkungen auf die Finanzen und den Personalbedarf des Bundesgerichts. Auch hat die Vorlage keine Auswirkungen, welche speziell Kantone oder Gemeinden betreffen.

Wesentliche finanzielle oder wirtschaftliche Auswirkungen auf weitere Bereiche sind in der Vorlage nicht enthalten.

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Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 188 Absatz 2 BV, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung im Bereich der Organisation und des Verfahrens des Bundesgerichts gibt.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage ist mit dem für die Schweiz geltenden Völkerrecht, insbesondere der EMRK, vereinbar.

6.3

Erlassform

Beim vorgeschlagenen Entwurf handelt es sich um eine Revision von Bundesgesetzen.

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