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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend das Verfahren bei Widerhandlung gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über die Patenttaxen der Handelsreisenden.

(Tom 2. April 1897.)

Getreue, Hebe Eidgenossen !

Anläßlich eines Specialfalles haben wir das eidgenössische Handelsdepartement beauftragt, darüber zu wachen, daß in Fällen der Umgehung der in Art. 2 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1892 vorgeschriebenen Patenttaxen für Handelsreisende*), welche behufs Aufnahme von Bestellungen Privatpersonen besuchen, nicht nur eine Buße ausgesprochen, sondern auch die nachträgliche Entrichtung der Taxe angeordnet werde.

Diesem Beschluß haben wir folgende Erwägungen zu Grunde gelegt : 1. Das Recht und dio Pflicht, der Behörden, die über die Vollziehung des Patenttaxengesetzes zu wachen haben, beschränkt sich nicht darauf, einen fehlbaren Reisenden dem Strafrichter zu verzeigen und ihn mit einer (Geldbusse bestrafen zu lassen. Läge nur diese Befugnis in ihrer Kompetenz, so würde ein Reisender häufig besser davon kommen, wenn er keine Karte löste, sondern einfach die Buße gewärtigte. Einmal hätte er Aussicht, gar nicht oder wenigstens während längerer Zeit nicht verzeigt zu werden; sodann pflegen die Gerichte äußerst milde zu sein und in derartigen Fällen nur Bußen von fünf, zehn und zwanzig Franken auszusprechen. Hätte das Gesetz an die Nichtlösung der Karte nur die Bestrafung knüpfen wollen, so müßte ausdrücklich gesagt *) Siehe eidg. Gesetzsammlung n. F., Bd. XIII, S. 43.

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sein, daß in der Buße auch die Taxe Inbegriffen sei. Da aber der Strafartikel 8 hiervon nichts erwähnt, so muß vernünftigerweise angenommen werden, daß das Gesetz den Artikel 2 für Straffälle nicht aufheben will. Es würde sich, anderenfalles, nicht mit der Aufstellung eines Maximums der Buße begnügt, sondern auch ein Minimum bezeichnet und es damit dem Richter verunmöglicht haben, im Falle unterlassener Lösung einer Taxkarte auf eine Buße 2u erkennen, deren Betrag nur den fünften, zehnten oder zwanzigsten Teil der umgangenen Taxe beträgt.

2. Das Patenttaxengesetz ist teilweise aus den kantonalen 'Gesetzen über das Hausierwesen hervorgegangen und an Stelle kantonaler Taxordnungen getreten. Es hat den Kantonen im Interesse einer einheitlichen gleichmäßigen Besteuerung der Handelswelt eine Einnahme weggenommen, eine Art der Gewerbebesteuerung, die bis dahin ihnen zugestanden hatte. Dafür ist in Art. 7 des Gesetzes bestimmt, daß der Ertrag der Ausweiskarten jedes Jahr unter die Kantone .nach dem Verhältnis der Bevölkerung verteilt werden soll. Die Bußen bilden nun aber, wie bemerkt, in vielen Fällen keinen auch nur annähernden Ersatz ; sie werden auch nicht unter die Kantone verteilt, sondern bleiben demjenigen Kanton, in welchem die Verurteilung erfolgt (Art. 8, Schlußsatz). Wird die Taxe in .solchen Fällen nicht bezahlt, so wird die Gesamtheit der Kantone verkürzt, weil das Gesamtergebnis aller Kantone pro rata der Bevölkerung unter dieselben verteilt wird.

3. Das Recht der Aufsichtsbehörden, die taxpflichtigen Reisenden zum Bezüge der Karte zu verhalten, ergiebt sich aber auch aus der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes selbst, sowie des Bundesratsbeschlusses zu demselben vom 1. November 1892.

Nach Art. 2 des Gesetzes können Reisende bei Privatpersonen Bestellungen aufnehmen, ,,wenn sie eine Taxe entrichten"1 ; Art. 4 bestimmt, daß die Handelsreisenden, die taxpflichtig sind, ,,eine Ausweiskarte zu lösen haben'-. Ziffer 4 des Bundesratsbeschlusses schreibt vor: ,,Jeder Handelsreisende, der Bestellungen aufnimmt, bedarf einer Ausweiskarte.tt Ziffer 2 desselben erklärt die kantonale Amtsstelle für kompetent, die in Art. 4 des Gesetzes vorgeschriebenen Karten zu verabfolgen, und Ziffer 9 ermächtigt das eidgenössische Handelsdepartement, für die richtige Handhabung dieser Vorschriften Sorge zu
tragen, was ja vor allem sagen will, daß es die Kantone verhalte, die Steuer von wirklich Pflichtigen zu erheben, und nicht zulasse, daß Pflichtige in einem Kanton der Steuer entgehen, die im andern gefordert wird.

Bundesblatt.

49. Jahrg. Bd. II.

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Durch diese Bestimmungen ist don Verwaltungsbehörden unbestreitbar das Recht eingeräumt, auf eine Steuer oder Taxe zu erkennen und sie einzuziehen.

Daß der Richter bei der Beanzeigung eines Reisenden in die Lage kommen kann, auch über die Frage der Pflicht zur Lösung einer Taxkarte zu urteilen, ist selbstverständlich, und es haben auch wirklich einzelne Gerichte der Kantone Bern und Baselstadt neben der Buße auch auf die Verpflichtung zur nachträglichen Lösung einer Taxkarte erkannt. Allein daraus folgt doch nicht, daß die zuständigen Administrativbehörden das Recht nicht besäßen, von sich aus die Pflicht zur Lösung einer Karte auszusprechen und die Taxe zu beziehen, oder, nachdem der Richter s e i n e s Amtes gewaltet und die Strafe ausgesprochen, über den Bezug der Taxe aber nichts verfügt hat, nun ihrerseits zu verfügen und mit der Erhebung der Taxe i h r e s Amtes zu walten.

Indem wir Sie ersuchen, das Nötige anordnen zu wollen, damit unserem Beschlüsse in Ihrem Kantone Folge gegeben werde, benutzen wir diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtsehutz zu empfehlen.

B e r n , den 2. April 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend das Verfahren bei Widerhandlung gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über die Patenttaxen der Handelsreisenden. (Vom 2. April 1897.)

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07.04.1897

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