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21.051 Botschaft zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Covid-19-Test bei der Ausschaffung) vom 11. August 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. August 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-2710

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Übersicht Die Covid-19-Epidemie stellt den Migrationsbereich vor grosse Herausforderungen. So kommt es immer häufiger vor, dass sich ausreisepflichtige ausländische Personen weigern, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, um den Vollzug ihrer Wegweisung zu verhindern. Diese Personen sollen verpflichtet werden, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen. Bei einer Weigerung soll der Test auch gegen den Willen der Person durchgesetzt werden können, wenn der Vollzug nicht durch andere mildere Mittel sichergestellt werden kann.

Ausgangslage Obwohl die meisten Grenzen nach den coronabedingten Schliessungen im Frühjahr 2020 für den Personenverkehr wieder offen sind, ist der Wegweisungsvollzug in der Praxis weiterhin mit grossen Herausforderungen verbunden. So verlangen zahlreiche Heimat- oder Herkunftsstaaten, Dublin-Staaten sowie Fluggesellschaften einen negativen Covid-19-Test für die Rückübernahme der von der Schweiz weggewiesenen Personen. Zwar anerkennt die EU mittlerweile das Schweizer Covid-Zertifikat, welches neben getesteten Personen auch solchen ausgestellt wird, die vollständig gegen Covid-19 geimpft worden sind oder eine Covid-19-Erkrankung bereits durchgemacht haben. Die Impfbereitschaft ist aber trotz der Möglichkeit zur freiwilligen und kostenlosen Impfung bei Asylsuchenden in den Zentren des Bundes als gering einzustufen (15­20 %). Bei Rückführungen in Staaten ausserhalb Europas existieren noch keine einheitlich anerkannten Zertifikate, sodass auch hier teilweise weiterhin negative Covid-19-Tests verlangt werden.

In der ersten Jahreshälfte 2021 kam es zu einem raschen Anstieg der Fälle, in denen die Durchführung des für die Ausreise von ausreisepflichtigen Personen notwendigen Covid-19-Tests verweigert wurde. Es muss davon ausgegangen werden, dass deren Zahl auch in Zukunft weiterhin stark ansteigen wird. Dies stellt insbesondere die für den Vollzug zuständigen Kantone vor grosse Herausforderungen.

Diese Problematik wurde zwischenzeitlich auch in parlamentarischen Vorstössen, in den Medien, von einigen Kantonen, von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden (VKM) aufgegriffen.

Inhalt der Vorlage Zum heutigen Zeitpunkt besteht keine genügende gesetzliche Grundlage zur Durchführung von
zwangsweisen Covid-19-Tests. Angesichts der Verschärfung der Situation soll eine neue Regelung geschaffen werden, wonach Personen aus dem Ausländer- und Asylbereich verpflichtet werden, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, wenn dies für den Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung notwendig ist. Unterziehen sich die betroffenen Personen nicht von sich aus einem solchen Test, können die für den Vollzug zuständigen Behörden diese Personen gegen ihren Willen einem Covid-19-Test zuführen, wenn der Vollzug nicht durch andere mildere Mittel sichergestellt werden kann. Während der Durchführung des Tests darf kein Zwang ausgeübt werden, durch den die Gesundheit der betroffenen 2 / 26

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Person gefährdet werden könnte. Von einer zwangsweisen Zuführung zu einem Covid19-Test und dessen zwangsweisen Durchführung ausgenommen sind Minderjährige unter 15 Jahren.

Die Durchführung der Covid-19-Tests erfolgt durch dafür spezifisch geschultes medizinisches Personal. Dieses verwendet den für die betroffene Person jeweils mildesten Test in der konkreten Situation. Das medizinische Personal soll auf die Durchführung eines Tests verzichten, wenn dadurch die Gesundheit einer betroffenen Person gefährdet wird.

Die entsprechende Regelung soll bis Ende Dezember 2022 befristet werden. Damit diese so rasch als möglich in Kraft treten kann, wird dem Parlament beantragt, die Vorlage als dringlich zu erklären.

Mit der vorgeschlagenen Änderung können mittel- bis längerfristig sowohl beim Bund wie auch bei den Kantonen Mehrkosten insbesondere im Bereich der Nothilfe verhindert werden. Die Mehrausgaben, die Bund und Kantonen aufgrund der Durchführung der Covid-19-Tests entstehen, sind vergleichsweise gering.

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Botschaft 1 Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele Am 12. August 20201 hat der Bundesrat die Botschaft zum Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz vom 25. September 20202) verabschiedet. Damit wurde eine rechtliche Grundlage geschaffen, um die vom Bundesrat notverordnungsrechtlich beschlossenen Massnahmen aufrechterhalten zu können, die für die Bewältigung der Covid-19-Epidemie erforderlich sind. Das Covid-19-Gesetz ist am 26. September 2020 in Kraft getreten.

Auch die vom Bundesrat verabschiedete Verordnung vom 1. April 20203 über Massnahmen im Asylbereich im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19-Verordnung Asyl) stützt sich auf das Covid-19-Gesetz (Art. 5). Die Covid-19-Verordnung Asyl weicht in einzelnen Punkten vom geltenden Asylgesetz vom 26. Juni 19984 (AsylG) ab und beinhaltet insbesondere Regelungen zur Sicherstellung ausreichender Kapazitäten in den Zentren des Bundes (Art. 2­3), zur Durchführung von Befragungen (Art. 4­6) sowie zur Verlängerung der Ausreisefristen im Asyl- und Wegweisungsverfahren (Art. 9). Sie ist gestaffelt am 2. April 2020 und am 6. April 2020 in Kraft getreten und bis zum 31. Dezember 2021 gültig.

Die Covid-19-Epidemie stellt den Migrationsbereich aufgrund der volatilen Entwicklungen, insbesondere auch im Hinblick auf die neuen Mutationen des Covid-19-Erregers sowie die steigenden Infektionszahlen, weiterhin vor grosse Herausforderungen.

Dies gilt auch für den Vollzug der Wegweisungen von ausreisepflichtigen Personen aus dem Ausländer- und Asylbereich. Obwohl die meisten Grenzen nach der Schliessung im Frühjahr 2020 wieder offen sind, ist der Wegweisungsvollzug in der Praxis weiterhin teilweise sehr schwierig. So verlangen die meisten Heimat- oder Herkunftsstaaten wie auch die meisten Dublin-Staaten einen negativen Covid-19-Test für die Rückübernahme der von der Schweiz weggewiesenen Personen. Auch viele Fluggesellschaften setzen für den Transport einen negativen Covid-19-Test voraus. Es kommt immer häufiger vor, dass sich ausreisepflichtige Personen weigern, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, um damit den Vollzug ihrer Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in den zuständigen Dublin-Staat zu verhindern. Vom 1. Januar 2021 bis Ende Juni 2021
waren alleine bei den ausreisepflichtigen Personen in Zentren des Bundes (BAZ) 89 Fälle zu verzeichnen, in denen die Durchführung des für die Ausreise notwendigen Covid-19-Tests verweigert wurde. Ende April 2021 waren es noch lediglich 22 Fälle. Hinzu kommen zahlreiche weitere Fälle von Testverweigerungen durch ausreisepflichtige Personen, für welche die Kantone zuständig sind.

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Zwar anerkennt die EU das Schweizer Covid-Zertifikat, welches neben getesteten Personen auch solchen ausgestellt wird, die vollständig gegen Covid-19 geimpft worden sind oder eine Covid-19-Erkrankung bereits durchgemacht haben. Trotz der Möglichkeit zur freiwilligen und kostenlosen Impfung in Zentren des Bundes ist aber nur eine kleine Anzahl (rund 15­20 %) von Asylsuchenden zurzeit bereit, sich freiwillig impfen zu lassen. Bei einer grossen Mehrheit der ausreisepflichtigen Personen sind deshalb für Rückführungen in den Dublin-Raum weiterhin Covid-19-Tests notwendig. Bei Rückführungen in Staaten ausserhalb Europas existieren zudem noch keine einheitlich anerkannten Zertifikate, so dass auch hier teilweise weiterhin negative Covid-19-Tests verlangt werden.

Die aufgezeigte Problematik wurde zwischenzeitlich in parlamentarischen Vorstössen (z. B. Motion 21.35575 und Interpellation 21.34386) und in den Medien aufgegriffen.

Auch im Rahmen der Vernehmlassung zur Verlängerung der Covid-19-Verordnung Asyl bis zum 31. Dezember 2021 forderten einzelne Vernehmlassungsteilnehmende die Prüfung einer neuen gesetzlichen Grundlage für die zwangsweise Durchführung von Covid-19-Tests (z. B. LU, SG, KKJPD, VKM).

Zum heutigen Zeitpunkt besteht weder im Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 20057 (AIG) noch in einem anderen Gesetz eine genügende gesetzliche Grundlage zur Durchführung von zwangsweisen Covid-19-Tests. Angesichts der Verschärfung der Situation soll mit dieser Vorlage im AIG eine neue Regelung geschaffen werden. Demnach sollen Personen aus dem Ausländer- und Asylbereich verpflichtet werden, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, wenn dies für den Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung notwendig ist (vgl. Art. 72 Abs. 1 E-AIG). Unterziehen sich die betroffenen Personen nicht von sich aus einem solchen Test, können die für den Vollzug zuständigen Behörden diese Personen gegen ihren Willen einem Covid-19-Test zuführen, wenn der Vollzug nicht durch andere, mildere Mittel sichergestellt werden kann (Art. 72 Abs. 3 E-AIG).

Die Zuführung durch die zuständigen kantonalen Behörden zum Test sowie die Anwendung von Zwang während der Durchführung des Tests richtet sich nach den Regelungen des Zwangsanwendungsgesetzes vom 20. März 20088 (ZAG). Jedoch dürfen die zuständigen
kantonalen Behörden dabei keinen Zwang ausüben, der die Gesundheit der betroffenen Person gefährden könnte (Art. 72 Abs. 3 E-AIG).

Der Covid-19-Test wird ausschliesslich durch dafür spezifisch geschultes medizinisches Personal durchgeführt. Auf die Durchführung eines zwangsweisen Tests wird verzichtet, wenn das zuständige Personal der Ansicht ist, dass die Gesundheit der betroffenen Person dadurch gefährdet werden könnte (Art. 72 Abs. 4 E-AIG).

Von einer zwangsweisen Zuführung zu einem Covid-19-Test und dessen zwangsweisen Durchführung ausgenommen sind minderjährige Personen unter 15 Jahren (Art. 72 Abs. 3 E-AIG).

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Motion 21.3557 Quadri, Richiedenti l'asilo respinti che rifiutano di sottoporsi al test PCR sventando cosi il rimpatrio? Basta! vom 5. Mai 2021.

Interpellation 21.3438 Bircher, Ausschaffung von Ausländern während der Pandemie vom 19. März 2021.

SR 142.20 SR 364

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Die vorgeschlagene Regelung steht in direktem Zusammenhang mit der Covid-19Situation und ist deshalb bis Ende Dezember 2022 befristet. Es ist damit zu rechnen, dass die Aufnahmeländer und die Transportunternehmen auch bei einem Rückgang der Covid-19-Epidemie noch während einer längeren Zeit solche Tests verlangen werden.

1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hat verschiedene Varianten zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur zwangsweisen Durchführung von Covid-19-Tests analysiert.

Insbesondere wurde geprüft, ob eine entsprechende Regelung im Epidemiengesetz vom 28. September 20129 (EpG) aufgenommen werden könnte. Die Aufnahme einer solchen Spezialregelung für ausreisepflichtige Personen aus dem Ausländer- und Asylbereich wurde jedoch als sachfremd eingestuft und daher verworfen.

Auch eine Regelung im ZAG wurde als ungeeignet erachtet. Das ZAG stellt ein Querschnittsgesetz für alle Behörden zum polizeilichen Zwang dar und überträgt den Vollzugsbehörden keine Zuständigkeit zur Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen. Diese Kompetenzzuweisung muss durch die jeweilige Spezialgesetzgebung erfolgen (vgl. Art. 7 ZAG).

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung soll im AIG erfolgen, da sie der Sicherstellung des Vollzugs der Weg- oder Ausweisung oder der Landesverweisung dient. Die Schweiz hat keinen Einfluss auf die grenzsanitarischen Massnahmen der Heimat- und Herkunftsstaaten sowie der Dublin-Staaten und ist verpflichtet, diese einzuhalten.

Auch ist nicht absehbar, wie lange diese Massnahmen noch aufrechterhalten werden.

Mit einer befristeten Regelung, welche bis zum 31. Dezember 2022 gültig ist, kann sichergestellt werden, dass allfällige grenzsanitarische Massnahmen im Ausland bei Ausschaffungen eingehalten werden können.

1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates Die hier beantragte dringliche Änderung des AIG ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202010 über die Legislaturplanung 2019­2023 noch im Bundesbeschluss vom 21. September 202011 über die Legislaturplanung 2019­2023 vorgesehen. Die Covid-19-Epidemie und deren Auswirkungen waren nicht vorhersehbar, als der Bundesrat die Botschaft zur Legislaturplanung verabschiedet hat.

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SR 818.101 BBl 2020 1777 BBl 2020 8385

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2 Vernehmlassungsverfahren 2.1 Generelle Bemerkungen Am 23. Juni 2021 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zum Vorentwurf. Sie dauerte bis zum 7. Juli 2021.12 Insgesamt sind 45 Stellungnahmen eingegangen.13 Sechs Vernehmlassungsteilnehmende haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet (Bundesverwaltungsgericht, Kaufmännischer Verband Schweiz, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerisches Bundesgericht, Schweizerischer Städteverband, Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter).

Von den Kantonen haben 23 Kantone Stellung genommen. Die Vorlage wird von nahezu allen Kantonen ausdrücklich begrüsst; nur der Kanton VD lehnt die Vorlage ab. Die Kantone AR, BS und ZH haben keine Stellungnahme eingereicht.

Von den in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien haben vier Parteien (FDP, GPS, SP, SVP) eine Stellungnahme eingereicht. Die FDP und die SVP begrüssen die Vorlage ausdrücklich. Für die FDP setzt eine glaubwürdige und konsequente Migrationspolitik voraus, dass eine rechtskräftige Wegweisungsverfügung auch tatsächlich vollzogen werden kann. Die SP und GPS lehnen die Vorlage hingegen ab. Dies insbesondere, da die Durchführung eines zwangsweisen Covid-19-Tests als ein unverhältnismässiger Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit erachtet wird.

Seitens der interessierten Kreise wurden insgesamt 18 Stellungnahmen eingereicht.

Die KKJPD, der Schweizerische Gewerbeverband (SGV/USAM) sowie die VKM begrüssen die Vorlage ausdrücklich. Auch das Büro des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) für die Schweiz und Liechtenstein anerkennt das legitime Interesse der Staaten, Personen mit einem rechtskräftigen Entscheid aus ihrem Hoheitsgebiet wegzuweisen und die dafür notwendigen Massnahmen zu ergreifen.

Hierzu gehören grundsätzlich auch obligatorische Tests auf Infektionskrankheiten, einschliesslich Covid-19.

Das UNHCR begrüsst, dass mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf dafür eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll.

Die übrigen Vernehmlassungsteilnehmenden der interessierten Kreise (insbesondere Hilfswerksorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter [NKVF]) lehnen die Vorlage ab. So wird die vorgeschlagene Regelung insbesondere als ein unverhältnismässiger Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Integrität und als nicht genügend bestimmt erachtet.

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Die Vernehmlassungsunterlagen (insb. Vorentwurf und erläuternder Bericht) sowie der Vernehmlassungsbericht sind abrufbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EJPD.

Der Ergebnisbericht ist abrufbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2021 > EJPD.

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2.2 Wichtigste Ergebnisse Die Vernehmlassungsteilnehmenden haben sich insbesondere zu folgenden Punkten geäussert:

2.2.1 Gesetzgebungsverfahren und Dringlichkeitsklausel Einige Kantone (z. B. BE, BL) und einzelne Mitglieder der VKM fordern eine allgemeine Regelung zur Durchführung von Massnahmen im Gesundheitsbereich im Rahmen des Wegweisungsvollzugs. Auch die KKJPD weist darauf hin, dass eine Testpflicht generell auch für zukünftig auftretende, übertragbare Krankheiten sinnvoll sein könnte. Der Kanton NE erachtet es als wichtig, dass die Vorlage, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, rasch in Kraft gesetzt wird. Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AsyLex, Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz [DJS]; sinngemäss z. B. auch Ligue Suisse des Droits de l'Homme ­ Section de Genève [LSDH-GE], Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht [SBAA], Plattform Zivilgesellschaft in Asyl- und Bundeszentren [ZiAB]) erachten die verkürzte Vernehmlassungsfrist und die Erklärung der Dringlichkeit der Vorlage jedoch als nicht gerechtfertigt. Die im erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf angeführten 50 Fälle, in denen ein Covid-19-Test verweigert wurde, seien kein ausreichender Grund für diese Dringlichkeit. Zudem sei keine hinreichende Gefährdung von Polizeigütern ersichtlich und die Pandemie würde bereits seit über einem Jahr andauern.

Haltung Bundesrat Die künftige Entwicklung der Covid-19-Epidemie ist insbesondere aufgrund neuer Mutationen des Covid-19-Erregers, der steigenden Infektionszahlen sowie der gegenwärtigen Impfsituation in der Schweiz und in anderen Staaten auch zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar und sehr volatil. Dies gilt insbesondere auch im Bereich des Wegweisungsvollzugs ausreisepflichtiger Personen. Die Schweiz hat keinen Einfluss auf die Regelungen, welche andere Staaten oder Fluggesellschaften in Zusammenhang mit Covid-19 vorsehen. Vom 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2021 haben insgesamt 89 ausreisepflichtige Personen die Durchführung eines Covid-19-Tests verweigert.

Bis Ende April wurden lediglich 22 Fälle von Testverweigerung registriert. Dies zeigt deutlich, dass die Anzahl Personen, die einen solchen Test verweigert, in den letzten Monaten stark angestiegen ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich das Problem der Testverweigerung bei ausreisepflichtigen Personen zukünftig noch weiter verschärfen wird. Im Bereich des Wegweisungsvollzugs sind deshalb rasche
und dringliche Massnahmen notwendig.

Mit der vorgeschlagenen Änderung im AIG soll der aktuellen coronabedingten Situation im Vollzugsbereich rasch Rechnung getragen werden. Wie alle übrigen Regelungen im Zusammenhang mit Covid-19 unterliegt auch diese Vorlagebesonderen Vorgaben beim Gesetzgebungsverfahren. Gestützt auf die Praxis bei den bisherigen Gesetzesänderungen in Zusammenhang mit der Covid-19-Epidemie wurde z. B. die Vernehmlassungsfrist auf zwei Wochen verkürzt (Art. 7 Abs. 4 des Bundesgesetzes

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vom 18. März 200514 über das Vernehmlassungsverfahren [VIG]). Zudem soll die vorgeschlagene Massnahme nur solange Gültigkeit haben, als die Covid-19-Epidemie dies erfordert. Sie soll deshalb auf Ende Dezember 2022 befristet werden. Für die rasche Lösung des Problems beantragt der Bundesrat dem Parlament, die Vorlage als dringlich zu erklären, damit diese unmittelbar nach deren Verabschiedung durch das Parlament in Kraft treten kann.

Aus Sicht des Bundesrates ist es für eine glaubwürdige Migrationspolitik unerlässlich, dass Wegweisungen ausreisepflichtiger Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich auch in einer allgemein schwierigen Situation vollzogen werden können. Er hat deshalb Verständnis für das Anliegen einiger Kantone (z. B. BE und BL), der VKM und der KKJPD, auch mittel- und längerfristig eine Regelung zur Ergreifung von Massnahmen im Gesundheitsbereich beim Wegweisungsvollzug vorzusehen. Er wird eine solche Regelung daher im Rahmen einer zukünftigen Vorlage prüfen.

2.2.2 Genügende Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage und Eingriff in die Selbstbestimmung Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. GPS, Amnesty International Schweiz [AICH], AsyLex, Centre social protestant Vaud [CSP-VD], Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], ZiAB; sinngemäss z. B. DJS, LSDH-GE, SBAA, Solidarité sans frontières [sosf]) erachten Artikel 72 VE-AIG als zu unklar und es würden zu viele relevante Fragen offengelassen. Es müsse unter anderem klar festgelegt werden, mit welchen konkreten Mitteln Tests erzwungen werden können (z. B. AICH, CSP-VD, SFH, sosf). Einige Vernehmlassungsteilnehmende befürchten, dass aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage das Ermessen der Vollzugsbehörden zu gross sei und nicht korrekt angewendet werden könnte (z. B. LSDH-GE, sosf).

Des Weiteren möchten einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, CSP-VD, SFH, ZiAB) Präzisierungen, inwiefern bei der Zuführung zum Test bereits Zwang angewendet werden darf (so z. B. auch DJS und sinngemäss die NKVF), ob ein Monitoring vorgesehen ist (so z. B. auch AsyLex), wer die zwangsweise Zuführung vornimmt (z. B. DJS) und welche Beschwerdemöglichkeiten bestehen (so auch z. B.

DJS; sinngemäss auch UNHCR). Die VKM betont, dass bezüglich der Anordnung eines Tests kein neuer anfechtbarer Verfahrensschritt geschaffen werden dürfe. Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AsyLex, SBAA) erachten zudem die Formulierung, wonach bei einer Gefährdung der Gesundheit kein Zwang angewendet werden dürfe, als zu unklar (vgl. Art. 72 Abs. 2 VE-AIG). LSDH-GE wünscht, dass die milderen Mittel zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs (vgl. Art. 72 Abs. 1 VEAIG) auf Gesetzesstufe konkret aufgeführt werden.

Centre social protestant de Genève [CSP-GE] weist darauf hin, dass die meisten Staaten nur für Kinder ab 12 Jahren einen Covid-19-Test verlangen, andernfalls könnte

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durch eine zwangsweise Durchführung des Tests das Übereinkommen vom 20. November 198915 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) verletzt werden (sinngemäss z. B. CSP-VD, NKVF).

Das UNHCR regt an, Artikel 72 Absatz 1 VE-AIG in dem Sinne anzupassen, dass der Grundsatz der Zustimmungserforderlichkeit und des Vorrangs der freiwilligen Umsetzung der Testpflicht ausdrücklich verankert wird. Des Weiteren empfiehlt es in Artikel 72 Absatz 2 VE-AIG zusätzlich festzulegen, dass derjenige Covid-19-Test mit der geringsten Eingriffsintensität zu wählen ist. Schliesslich sei in Artikel 72 Absatz 2 VE-AIG klarzustellen, dass jeder ausgeübte Zwang im Einzelfall verhältnismässig sein muss.

Darüber hinaus fordern einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, CSP-VD, SFH und ZiAB; sinngemäss auch z. B. SBAA) auch Präzisierungen zu den Anforderungen an das geschulte Personal, welches den Test durchführt (vgl. Art. 72 Abs. 3 VE-AIG) und zur Frage, ob dieses Zwang anwenden darf (sinngemäss z. B. auch AsyLex, CSP-GE, CSP-VD, DJS, LSDH-GE, NKVF). Die NKVF ist der Ansicht, dass nur unabhängiges und medizinisches Fachpersonal (Ärztinnen und Ärzte oder Pflegepersonal) beurteilen kann, ob die Durchführung eines Covid-19-Tests die Gesundheit einer Person gefährden könnte. In diesem Zusammenhang machen einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. GPS, sinngemäss z. B. auch AsyLex, DJS, NKVF, SBAA, Schweizerisches Rotes Kreuz [SRK]) geltend, dass die zwangsweise Durchführung eines Covid-19-Tests als Eingriff in die Selbstbestimmung zu werten sei, welche ein grundlegendes Prinzip der Medizinethik darstelle. Zwangsmassnahmen gegen den Willen urteilsfähiger Patienten seien grundsätzlich unzulässig und dürften nur in wenigen gesetzlich vorgesehenen Fällen, die zum Schutz des Gemeinwohls notwendig sind, erfolgen. Die Nichtdurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs vermöge nicht zu begründen, dass von diesem grundlegenden Prinzip abgewichen werde. Die Durchführung eines Covid-19-Tests diene nicht der Verbesserung des Gesundheitszustands der betroffenen Person. Eine zwangsweise Durchführung des Covid-19Tests sei aus medizinisch-ethischer Perspektive unzulässig. Für CSP-GE und CSPVD ist es fraglich, wie eine zwangsweise Durchführung von Covid-19-Tests ohne eine Verletzung von Artikel 3 der Konvention vom 4. November 195016
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) möglich sei.

Haltung Bundesrat Der Bundesrat hat Verständnis für das Anliegen verschiedener Vernehmlassungsteilnehmenden, wonach gewisse Präzisierungen in Artikel 72 VE-AIG vorgenommen werden sollen. Folgende Ergänzungen sollen deshalb aufgenommen werden: Neu soll explizit vorgesehen werden, dass die zuständigen Behörden eine betroffene Person über die Pflicht, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen und über die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung vorgängig informieren (Art. 72 Abs. 2 EAIG). Einer betroffenen Person soll zudem vor der zwangsweisen Durchsetzung der Testpflicht, die Möglichkeit eingeräumt werden, sich auf freiwilliger Basis einem Covid-19-Test zu unterziehen (Art. 72 Abs. 3 E-AIG).

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Zusätzlich soll bei minderjährigen Personen unter 15 Jahren eine zwangsweise Durchsetzung eines Covid-19-Tests ausgeschlossen werden (Art. 72 Abs. 3 E-AIG). Die minderjährigen Personen sollen aber ebenfalls verpflichtet werden, sich einem Covid19-Test zu unterziehen, wenn dies aufgrund der Einreisevoraussetzungen des Heimatoder Herkunftsstaates oder des zuständigen Dublin-Staates oder der Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens verlangt wird. Es soll zudem vorgesehen werden, dass das spezifisch geschulte Personal bei der Durchführung des Covid19-Tests die für die betroffene Person mildeste Testart verwendet (vgl. Art. 72 Abs. 4 E-AIG). Dabei müssen die Vorgaben der Heimat-, Herkunfts- oder Dublinstaaten oder die Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens vollumfänglich eingehalten werden.

Der Begriff «spezifisch geschultes Personal» in Artikel 72 Absatz 4 E-AIG (bzw.

Art. 72 Abs. 3 VE-AIG) lehnt sich an Artikel 24 Absatz 4 Buchstabe b der Covid-19Verordnung 3 vom 19. Juni 202017). Diese Regelung gilt jedoch nur für AntigenSchnelltests. Bei der Wahl der zuständigen Personen, die einen PCR-Test durchführen, sind die Vorgaben der für die Auswertung von PCR-Tests zuständigen und von Swissmedic bewilligten Labore massgebend (vgl. hierzu auch Verordnung vom 29. April 201518 über mikrobiologische Laboratorien). Es kann sich dabei beispielsweise um Personal des Labors, einer Apotheke oder auch eines Krankenhauses handeln.

Vorliegend sollen Covid-19-Tests auch unter Zwang durchgeführt werden und das für den Test zuständige Personal soll in der Lage sein, auch eine mögliche Gesundheitsgefährdung zu beurteilen. Deshalb soll im AIG analog zur Covid-19-Verordnung 3 vorausgesetzt werden, dass das entsprechende Personal spezifisch für die Abnahme eines Covid-19-Testes geschult sein muss. Gegenstand dieser Ausbildung soll insbesondere die korrekte Durchführung der Covid-19-Tests sein. Die Ausbildung soll dazu führen, dass das spezifisch geschulte Personal z.B. aufgrund eines Augenscheins oder den Angaben der betroffenen Person beurteilen kann, ob auf die Durchführung des Covid-19-Tests wegen der Gefährdung der Gesundheit verzichtet werden muss. Die konkreten Anforderungen an die Ausbildung sollen im Rahmen der Umsetzungsarbeiten gemeinsam mit den Kantonen und anderen interessierten
Kreisen genauer definiert werden. Die vorgängige Information der ausreisepflichtigen Personen, die Zuständigkeiten, die Art der Tests, die konkreten Abläufe sowie der Ort der Durchführung sollen ebenfalls noch näher konkretisiert werden.

Zusätzlich soll auf Gesetzesstufe klargestellt werden, dass der Test durch medizinisches Personal durchgeführt werden muss. Darunter können z.B. Pflegepersonal sowie Ärztinnen oder Ärzte fallen, welche beim PCR-Test zusätzlich auch die Vorgaben der entsprechenden Labors erfüllen. Die genaue Bestimmung des zuständigen Personals für die Durchführung dieser Tests soll in der Praxis bei den Kantonen liegen; im AIG sollen lediglich die Mindestanforderungen festgelegt werden.

Weitergehende Präzisierungen im Gesetz lehnt der Bundesrat hingegen ab. Dies gilt auch für die von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden geforderte Konkretisierung des Begriffs «Gefährdung des Gesundheitszustands». Hier sind im Interesse der 17 18

SR 818.101.24 SR 818.101.32

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betroffenen Personen Beurteilungen im Einzelfall wichtig und notwendig. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wird zusammen mit den Kantonen und anderen interessierten Kreisen die konkreten Abläufe bei der Umsetzung der Testpflicht in der Praxis näher definieren.

Zudem muss jegliches staatliche Handeln stets verfassungsmässig ausgeübt werden.

Dies gilt insbesondere auch für die Ausübung des Ermessens. Aus diesem Grund ist eine explizite Regelung des verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsprinzips in Artikel 72 E-AIG nicht notwendig.

Die von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden (z. B. GPS, NKVF) aufgeworfene Frage nach der Art des Zwangs, welcher angewendet werden kann, wird im ZAG und in den kantonalen Polizeigesetzen geregelt. Diese Gesetzesbestimmungen gelten auch bei einer zwangsweisen Durchführung von Covid-19-Tests. In den Erläuterungen zu Artikel 72 Absatz 3 E-AIG wird näher auf die Anwendung des ZAG bei der vorgeschlagenen zwangsweisen Testpflicht eingegangen (vgl. Ziff. 5).

Zur Frage der Eingriffe in die medizinische Selbstbestimmung ist Folgendes festzuhalten: Die vorgeschlagene Massnahme steht in einem direkten Zusammenhang mit der aktuellen Covid-19-Epidemie und wäre ohne eine solche nicht erforderlich. Deshalb soll die vorgeschlagene Regelung auch bis Ende Dezember 2022 befristet werden. Die von vielen ausländischen Staaten und Luftverkehrsunternehmen verlangten PCRoder anderen Covid-19-Tests stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem übergeordneten Ziel, eine Ansteckung mit und Weiterverbreitung von Covid-19 durch den internationalen Personenverkehr zu verhindern. Damit besteht ein überwiegendes und globales öffentliches Interesse an diesen Tests zum Schutz der Gesundheit und zur Eindämmung der Epidemie. Vor diesem Hintergrund erachtet der Bundesrat die vorgeschlagene Regelung in Artikel 72 E-AIG als notwendig und verhältnismässig.

Zudem sind die Covid-19-Tests nicht invasiv. Sie stellen somit auch keinen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit dar. Eine allfällige Verletzung von Artikel 3 EMRK wie z. B. von CSP-GE und CSP-VD befürchtet, kann somit ausgeschlossen werden.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass ein Monitoring für eine Gesetzesbestimmung, welche bis Ende Dezember 2022 befristet ist, mit einem unverhältnismässigen Mehraufwand
verbunden wäre. Sollte zukünftig eine längerfristige und generelle Regelung vorgeschlagen werden, wird der Bundesrat die Durchführung eines Monitorings prüfen.

Zur Frage nach den Beschwerdemöglichkeiten kann schliesslich darauf verwiesen werden, dass die zwangsweise Durchsetzung der Testpflicht einen «Realakt» darstellt.

Die betroffenen Personen können jedoch wie auf Bundesebene (vgl. Art. 25a des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196819) auch auf kantonaler Ebene von der zuständigen kantonalen Behörde verlangen, dass ihnen eine Verfügung aus-

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gestellt wird, gegen welche die entsprechenden Beschwerdemöglichkeiten nach kantonalem Recht offenstehen.20 Zudem können die Kantone auf der Grundlage der entsprechenden kantonalen Haftungsgesetze von den betroffenen Personen für den allfälligen Schaden belangt werden, den kantonale Mitarbeitende oder Dritte, die unmittelbar im Auftrag oder unter Leitung der kantonalen Behörde tätig gewesen sind, widerrechtlich verursacht haben.

2.2.3 Verfassungsmässiges Gleichheitsgebot Einige der Vernehmlassungsteilnehmenden (z. B. SP, sinngemäss z. B. auch AICH, CSP-VD, SBAA, SFH, SRK, ZiAB) weisen darauf hin, dass in der Schweiz in keinem anderen Bereich ein Covid-19-Testzwang besteht. Es wird als verfehlt und mit dem verfassungsmässigen Gleichheitsgebot als nicht vereinbar erachtet, dass ein solcher Testzwang nur bei ausreisepflichtigen ausländischen Personen eingeführt werden soll.

Haltung Bundesrat Der verfassungsmässige Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 8 Abs. 1 der Bundesverfassung21 [BV]) ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird.22 Die vorgeschlagene Verpflichtung zur Durchführung eines Covid-19-Tests betrifft ausschliesslich ausländische Personen, die die Schweiz nach einem rechtskräftigen Weg- oder Ausweisungsentscheid oder einer Landesverweisung verlassen müssen.

Eine glaubwürdige und konsequente Ausländer- und Asylpolitik setzt voraus, dass eine rechtskräftige Verfügung zum Verlassen der Schweiz auch tatsächlich vollzogen werden kann. Durch die Verweigerung eines vom Aufnahmeland oder einer Fluggesellschaft geforderten Covid-19-Tests kann der Vollzug der Wegweisung verhindert werden. Damit können ausreisepflichtige Personen, die nicht mit den Behörden kooperieren wollen, ihre gesetzliche Verpflichtung zum Verlassen der Schweiz in missbräuchlicher Weise umgehen. Vor diesem Hintergrund erachtet der Bundesrat die vorgeschlagene Regelung als mit dem verfassungsmässigen Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar.

2.2.4 Grundsatz der Verhältnismässigkeit Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. GPS, SP, Konferenz der städtischen und kantonalen Integrationsdelegierten [KID], NKVF, SBAA, Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB], sosf, SRK, ZiAB) erachten die zwangsweise Durchführung eines Covid-19-Tests als einen unverhältnismässigen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit. Teilweise wird auch befürchtet (z. B. SP), dass aufgrund der vorgeschlagenen Regelung weitere Pflichten im 20 21 22

Vgl. BGE 130 I 369 (Erw. 6.1).

SR 101 Vgl. BGE 134 I 23 (Erw. 9.1).

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medizinischen Bereich gegenüber ausreisepflichtigen Personen vorgesehen werden könnten, so z. B. eine Covid-19-Impfung.

Einige Vernehmlassungsteilnehmende (GPS; sinngemäss z. B. auch SP, AICH, DJS, CSP-VD, SBAA, SFH, SRK, ZiAB) führen aus, dass die Voraussetzungen für die Einschränkung von Grundrechten gemäss Artikel 36 BV vorliegend nicht erfüllt seien. Die vorgeschlagene Bestimmung sei weder erforderlich noch zumutbar. Es würden mildere Mittel in Frage kommen (z. B. Quarantäne im Zielland). Aus Sicht der VKM müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob andere mildere Testarten für eine Rückführung ausreichen oder ob der Aufenthalt von Personen, die in Administrativhaft sind, als Quarantäne von anderen Staaten oder von Luftverkehrsunternehmen akzeptiert würden.

Einige Kantone (z. B. GR) und die VKM regen an, dass Impfungen oder der Nachweis einer durchgemachten Covid-19-Erkrankung explizit als mildere Massnahmen in den Materialien aufgeführt werden, sofern diese von den Fluggesellschaften und den Zielländern akzeptiert würden. BL möchte eine Klärung, ob Bluttests als mildere Massnahme bewertet werden könnten. Obwohl der Kanton FR der Vorlage zustimmt, erachtet er die Möglichkeit systematischer und auf freiwilliger Basis verabreichter Impfungen für Asylsuchende als zielführender. Auch die KKJPD schlägt vor, zusätzlich eine Impfpflicht auf Gesetzesstufe vorzusehen, welche bei Missachtung im Rahmen der Verletzung der Mitwirkungspflicht sanktioniert werden soll.

Einige der zustimmenden Kantone (z. B. FR, GR; sinngemäss z. B. NE, VS), die KKJPD und die VKM vertreten die Auffassung, dass die zwangsweise Durchführung von Covid-19-Tests in der Praxis aufgrund einer möglichen Gefährdung der Gesundheit oftmals nicht möglich sein wird. Die VKM macht geltend, dass einige ihrer Mitglieder der Auffassung seien, die vorgesehene Bestimmung verfehle ihr Ziel und es werde mit dem vorgeschlagenen minimalen Zwang nicht ausreichen, Rückkehrpflichtige zu einem Covid-19-Test zu bewegen. Andere Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, CSP-VD, SFH, ZiAB; sinngemäss z. B. auch SGB, SRK) erachten die vorgeschlagene Massnahme als nicht geeignet, den angestrebten Zweck zu erreichen.

Bei der Durchführung von zwangsweisen Covid-19-Tests bestehe immer eine Gefährdung der Gesundheit, weshalb ein Test in der Praxis regelmässig
nicht möglich sei.

Das SRK weist darauf hin, dass ein zwangsweiser Covid-19-Test aufgrund der Regelung in Artikel 13 ZAG in der Praxis nie durchgeführt werden könne (sinngemäss z. B. auch ZiAB). Gemäss dieser Bestimmung ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit, insbesondere durch Behinderung der Atemwege untersagt.

LSDH-GE weist darauf hin, dass nur Deutschland über eine gesetzliche Grundlage für Zwangstests verfügt, was die Untauglichkeit dieser Massnahme klar aufzeige.

Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, AsyLex, CSP-GE, DJS, SFH, ZiAB; sinngemäss z. B. CSP-VD, LSDH-GE, sosf) vertreten die Ansicht, dass das öffentliche Interesse am Wegweisungsvollzug bei der beschränkten Anzahl Fälle von Personen, die einen Covid-19-Test verweigert haben, die Schwere des Grundrechtseingriffs nicht zu rechtfertigen vermöge.

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Haltung Bundesrat Überwiegendes öffentliches Interesse und Erforderlichkeit der vorgeschlagenen Massnahme sowie mildere Mittel: Wie bereits in seiner Stellungnahme vom 12. Mai 2021 auf die Interpellation 21.3438 vom Bundesrat ausgeführt, waren Rückführungen ausreisepflichtiger Personen im Frühjahr 2020 aufgrund der Einreisebeschränkungen in den Zielstaaten und der flugtechnischen Rahmenbedingungen phasenweise gar nicht möglich.

Obwohl sich die Situation im Rückkehrbereich gegenüber dem Frühjahr 2020 verbessert hat und Rückführungen wieder vorgenommen werden können, stehen Bund und Kantone beim Wegweisungsvollzug aufgrund der Einreisevoraussetzungen der Heimat-, Herkunfts- und Dublin-Staaten sowie der Regelungen der Fluggesellschaften weiterhin vor grossen Herausforderungen.

Sowohl das SEM wie auch die Kantone haben seit Beginn der Epidemie zahlreiche Massnahmen zur Verbesserung des Wegweisungsvollzugs ergriffen. So wird seitens des SEM und der Kantone z. B. versucht, Personen im Rahmen des Ausreisegesprächs (Art. 2a der Verordnung vom 11. August 199923 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen [VVWAL]) von der Durchführung eines Covid-19-Tests zu überzeugen. Unter gewissen Voraussetzungen wurden dabei auch finanzielle Anreize genutzt, namentlich das Ausreisegeld nach Artikel 59abis der Asylverordnung 2 vom 11. August 199924 (AsylV 2) oder die kantonale Rückkehrhilfe. Durch die vorerwähnten Massnahmen konnten nur in Einzelfällen ausreispflichtige Personen zur Durchführung der notwendigen Covid-19Tests bewegt werden.

Das SEM hat auch mit den Heimat- und Herkunftsstaaten sowohl auf ministerieller als auch auf fachlicher Ebene nach Alternativen für das Vorweisen eines negativen Covid-19-Tests gesucht (z. B. Quarantäne vor Ort). Dadurch konnte das SEM bei einigen Sonderflügen mit den Behörden der betreffenden Staaten Abmachungen treffen, damit Personen ohne Covid-19-Test transportiert werden konnten. Allerdings akzeptieren nicht alle Staaten solche alternativen Lösungen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass nur drei bis vier Prozent aller Rückführungen mittels Sonderflügen durchgeführt werden. Die grosse Mehrheit der Rückführungen wird mittels Linienflügen durchgeführt, bei denen kein Abweichen von den geltenden Einreisebestimmungen der Zielstaaten
möglich ist. Zudem werden mit diesen Flügen auch andere Passagiere transportiert, weshalb in der Regel auch die Fluggesellschaften die vorgängige Durchführung eines Covid-19-Tests voraussetzen. Schliesslich wurde bei der Verweigerung eines Covid-19-Tests teilweise auch Durchsetzungshaft angeordnet (Art. 78 AIG). Die Anordnung einer Durchsetzungshaft konnte die betroffenen Personen bis anhin kaum zu einer Mitwirkung bewegen.

Gesamthaft ist festzuhalten, dass Bund und Kantone die in Frage kommenden milderen Mittel geprüft und nach Möglichkeit bereits umgesetzt haben. Trotzdem hat die Schweiz aber nach wie vor keinen Einfluss auf die Einreiseregelungen anderer Staaten

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SR 142.281 SR 142.312

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oder die Regelungen der Fluggesellschaften. Bis heute haben eine Vielzahl europäischer Staaten Personen ausschliesslich mit einem Covid-19-Test einreisen lassen (z. B. Österreich, Frankreich, Italien, Deutschland, Niederlande, Spanien, Schweden, Finnland, Zypern; Stand 23. Juli 2021). Dasselbe gilt auch für zahlreiche Heimat- und Herkunftsstaaten ausserhalb Europas (z. B. Afghanistan, Algerien, Georgien, Irak, Iran, Jordanien, Somalia, Pakistan, Sudan, Syrien, Tunesien, Türkei; Stand: 23. Juli 2021). Aktuell anerkennt die EU das Schweizer Covid-Zertifikat, welches neben getesteten Personen auch solchen ausgestellt wird, die vollständig gegen Covid-19 geimpft worden sind oder eine Covid-19-Erkrankung bereits durchgemacht haben.

Trotz der Möglichkeit zur freiwilligen und kostenlosen Impfung für Asylsuchende in Zentren des Bundes ist aber nur eine kleine Anzahl (rund 15­20 %) von Asylsuchenden zurzeit bereit, sich auf freiwilliger Basis impfen zu lassen. Ist die Ausreise in einen europäischen Staat mittels eines Covid-Zertifikats jedoch möglich und kann damit der Wegweisungsvollzug sichergestellt werden, ist die Durchführung eines zwangsweisen Covid-19-Tests nicht notwendig und die vorgeschlagene Regelung in Artikel 72 Absatz 3 und 4 E-AIG gelangt nicht zur Anwendung. Dasselbe gilt, wenn andere, mildere Mittel wie zum Beispiel eine Quarantäneverpflichtung im Zielland für die Einreise in einen Heimat-, Herkunfts-oder Dublin-Staat ebenfalls als genügend erachtet werden.

Die weitere Entwicklung im Bereich der Einreiseregelungen anderer Staaten ist zurzeit nicht vorhersehbar. Dies insbesondere aufgrund der neuen Mutationen des Covid19-Erregers und der erneut steigenden Infektionszahlen. Zudem stellen Rückführungen in Staaten ausserhalb Europas weiterhin eine grosse Herausforderung dar, da hierfür noch keine einheitlich anerkannten Zertifikate existieren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Problem der Testverweigerung und Impfbereitschaft bei ausreisepflichtigen Personen in Zukunft voraussichtlich noch verschärfen wird, da durch einen Verzicht auf eine Impfung und eine Testverweigerung der Aufenthalt in der Schweiz verlängert werden kann.

Geeignetheit der vorgeschlagenen Massnahme: Der Bundesrat ist sich bewusst, dass ein Covid-19-Test in der Praxis nicht zwangsweise durchgeführt werden kann, wenn
dies die Gesundheit der betroffenen Personen gefährdet. Er teilt die Ansicht der VKM und anderer Vernehmlassungsteilnehmenden, dass dem Schutz der Gesundheit der betroffenen Personen immer oberste Priorität einzuräumen ist. Die bisherigen Erfahrungen in Zusammenhang mit begleiteten Rückführungen, Botschaftszuführungen oder zentralen Befragungen im SEM zeigen jedoch, dass bereits die Anwesenheit kantonaler Vollzugs- oder Polizeibehörden in vielen Fällen dazu führt, dass eine betroffene Person mit den Behörden kooperiert und die Anwendung von Zwang nicht notwendig ist. Zudem kann die Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung einer Massnahme in der Praxis auch eine präventive Wirkung entfalten, sodass die betroffenen Personen eher bereit sind, sich von sich aus einem Covid-19-Test zu unterziehen.

Sowohl bei der Zuführung zum Covid-19-Test wie auch während der Durchführung des Tests sind die Grundsätze des ZAG anwendbar. Dies gilt insbesondere für die Regelung, wonach der Gesundheitszustand der betroffenen Person weder bei der Zuführung zum Test noch während der Durchführung des Tests gefährdet werden darf 16 / 26

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(vgl. Art. 9 Abs. 2 und Art. 13 ZAG). Bei einem Covid-19-Test handelt es sich nicht um einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. In den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf, wird unter anderem ausgeführt, dass das Einführen eines Gegenstandes in die Nase der betroffenen Person mit physischem Zwang als gesundheitsgefährdend zu erachten ist. Aufgrund verschiedener Rückmeldungen und Fragen seitens der Vernehmlassungsteilnehmenden (z. B. FR, GR; sinngemäss z. B. NE, VS, KKJPD und VKM) sind hier Präzisierungen notwendig.

Die Durchführung eines zwangsweisen Covid-19-Tests mittels eines Nasen-RachenAbstriches kann z. B. dann als gesundheitsgefährdend erachtet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person der Test nicht auf fachlich korrekte Art und Weise durchgeführt werden kann. Ist jedoch eine fachlich korrekte Durchführung eines solchen Tests ohne Gesundheitsgefährdung möglich, soll auch ein Test mittels Nasen-Rachen-Abstrich durchgeführt werden können. Auch hier sind die Regelungen des ZAG vollumfänglich zu beachten. Die Erläuterungen zu Artikel 72 Absatz 4 EAIG wurden entsprechend angepasst (vgl. Ziff. 5). Führt die Durchführung des Covid19-Tests gemäss Ansicht des zuständigen medizinischen Personals zu einer Gefährdung der Gesundheit der betroffenen Person, ist auf die Durchführung zu verzichten.

Schliesslich soll bei der Durchführung stets diejenige Testart angewendet werden, welche für die betroffene Person die mildeste ist (vgl. hierzu auch Erläuterungen zu Art. 72 Abs. 3 und 4 E-AIG unter Ziff. 5).

Das SEM prüft zurzeit zusammen mit den Kantonen und anderen interessierten Kreisen die praktische Umsetzung der Testpflicht für ausreisepflichtige Personen, einschliesslich der Durchführung zwangsweiser Covid-19-Tests. Dabei sollen unter anderem die vorgängige Information der ausreisepflichtigen Personen, die Zuständigkeiten, die Art der Tests, die konkreten Abläufe sowie der Ort der Durchführung näher konkretisiert werden.

Weitere Bemerkungen zur Verhältnismässigkeit: Sowohl bei einem Bluttest wie auch bei einer Impfung handelt es sich im Gegensatz zu einem Covid-19-Test um invasive Massnahmen, welche für die betroffenen Personen weitergehende Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit darstellen und deshalb nicht als mildere Mittel gelten können, wenn
sie zwangsweise durchgesetzt werden.

Der Bundesrat erachtet solche zwangsweisen invasiven Massnahmen als unverhältnismässig und lehnt sie deshalb ab. Dasselbe gilt für eine Impfpflicht, welche bei Missachtung lediglich im Rahmen der Verletzung der Mitwirkungspflicht sanktioniert werden soll. Bis anhin hat die Schweiz bei der Impfung gegen Covid-19 stets die Strategie verfolgt, dass diese auf Freiwilligkeit beruhen soll. Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) halten in ihrer Covid-19-Impfstrategie fest, dass eine allgemeine Impfpflicht für die Bevölkerung in der Schweiz rechtlich grundsätzlich ausgeschlossen und daher nicht vorgesehen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Personen, die bereits geimpft wurden, den Covid-19-Erreger weiterhin übertragen können. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass andere Staaten oder Luftverkehrsunternehmen auch bei geimpften Personen einen Covid-19-Test verlangen werden. Aus diesen Gründen wird die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine Impfpflicht verworfen. Hingegen können der Nachweis einer Vorerkrankung mit Covid-19 oder einer auf freiwilliger 17 / 26

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Basis gemachten Impfung als mildere Mittel eingestuft werden, sofern diese von den Heimat- oder Herkunftsstaaten, den Dublin-Staaten oder den Fluggesellschaften anerkannt werden. Diese teilweise von den Kantonen (z. B. BL und GR) und der VKM gewünschte Ergänzung soll in den Erläuterungen zu Artikel 72 Absatz 3 E-AIG aufgenommen werden (vgl. Ziff. 5).

Der Bundesrat teilt schliesslich die Auffassung des Kantons FR, dass eine systematische Impfung auf freiwilliger Basis eine sinnvolle Massnahme darstellt. Deshalb wurde im SEM ein Covid-19-Impfkonzept für die Zentren des Bundes erarbeitet, welches seit Anfang Jahr zur Anwendung gelangt. Dieses verfolgt das Ziel, die Impfstrategie des BAG und der EKIF in den Zentren des Bundes umzusetzen. Demnach sollen Asylsuchende während ihres Aufenthaltes in den Zentren des Bundes von maximal 140 Tagen beide Dosen der Impfung erhalten können. Asylsuchenden und Mitarbeitenden in den Zentren des Bundes wird die Möglichkeit zur Impfung gegeben, sobald im Standortkanton des jeweiligen Zentrums der entsprechende Aufruf zur Impfung erfolgt. Die Impfung ist freiwillig und erfolgt kostenlos. Der Impfstatus hat auch keinerlei Auswirkungen auf das Asylverfahren oder die Anordnung der Wegweisung.

Trotz der Möglichkeit zur freiwilligen und kostenlosen Impfung ist zurzeit nur eine kleine Anzahl (rund 15­20 %) von Asylsuchenden bereit, sich auf freiwilliger Basis impfen zu lassen.

Fazit: Der Bundesrat erachtet die vorgeschlagene Regelung in Artikel 72 E-AIG als erforderlich und geeignet sowie ein überwiegendes öffentliches Interesse als gegeben. Zur Verdeutlichung der Verhältnismässigkeit soll neu in Artikel 72 Absatz 4 E-AIG explizit festgehalten werden, dass bei der Wahl des anzuwendenden Covid-19-Tests immer die für die betroffene Person mildeste Testart zu bevorzugen ist.

2.2.5 Weitere Bemerkungen Der Kanton VD möchte, dass auf die zwangsweise Durchführung von PCR-Tests mittels Nasen-Abstrich solange verzichtet wird, bis eine weniger invasive Testart möglich sei. Der Kanton JU verlangt gewisse Präzisierungen zur Art der möglichen PCRTests, welche gestützt auf Artikel 72 VE-AIG durchführbar sind, und zum Ort, wo diese Tests erfolgen sollen.

Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, AsyLex, CSP-VD, SFH und ZiAB) führen aus, dass sich die Testpflicht in Deutschland auf die gesetzliche Grundlage zur Feststellung der Reisefähigkeit von abgewiesenen Asylsuchenden stützt. Dies sei umstritten, da es dabei um Einreisebestimmungen und nicht um die Reisefähigkeit ginge. Zudem würden Erfahrungswerte zur Umsetzung in Deutschland und Dänemark fehlen. Einige Vernehmlassungsteilnehmende (z. B. AICH, AsyLex, CSP-VD, SFH, ZiAB) werfen die Frage auf, ob ein unter Zwang erfolgter Test tatsächlich auch verwertbar sei.

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Haltung Bundesrat Zurzeit bestehen verschiedene Testarten. Welche Testart in einem konkreten Fall zur Anwendung gelangt, muss im Einzelfall beurteilt werden. Dies soll grundsätzlich auch für den Ort der Durchführung der Covid-19-Tests gelten, welcher vom zuständigen Vollzugskanton festgelegt werden soll.

Im Rahmen eines Covid-19-Tests wird getestet, ob sich jemand mit dem Covid-19Erreger infiziert hat. Es ist nicht ersichtlich, wie ein allfälliger Zwang diesen Nachweis beeinflussen kann.

Auch in Deutschland und Dänemark werden Personen vor der Rückführung gestützt auf eine Rechtsgrundlage verpflichtet, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen (vgl.

Ziff. 3). Er wird auch zwangsweise durchgeführt, sofern dies notwendig ist. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen in Deutschland und Dänemark sind bereits seit mehreren Monaten in Kraft und es liegen entsprechende Erfahrungswerte vor. Mit dem vorgeschlagenen Artikel 72 E-AIG soll eine Regelung geschaffen werden, mit welcher unter Berücksichtigung der Einreisebestimmungen anderer Staaten oder der Vorgaben der Luftverkehrsunternehmen ein zwangsweiser Covid-19-Test im Rahmen einer Weg-, Aus- oder Landesverweisung durchgeführt werden kann.

3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht Seit Beginn der Covid-19-Epidemie haben mehrere EU-Mitgliedstaaten wiederholt eine europäische Koordination zur Wiederaufnahme der Dublin-Überstellungen gefordert, welche aufgrund der sanitären Vorgaben der einzelnen Staaten an der Grenze eingeschränkt werden. Bis zum heutigen Zeitpunkt konnte in diesem Bereich keine Koordination erzielt werden. Am 13. Oktober 2020 wurde eine Empfehlung über ein koordiniertes Vorgehen zur Einschränkung der Freizügigkeit aufgrund der Covid-19-Epidemie angenommen (Empfehlung 2020/147525). Ziel dieser Empfehlung ist es, gemeinsame Kriterien für Einreisebeschränkungen zu definieren. Dennoch verbleibt die Kompetenz für die Anordnung von Einschränkungen aufgrund gesundheitlicher Vorgaben weiterhin bei den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

Im Frühjahr 2021 hat der Rat der EU einen Fragebogen zu den Rückführungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Covid-19-Epidemie lanciert. Gestützt auf die entsprechenden Rückmeldungen der EU- und Schengen-Mitgliedstaaten hat sich gezeigt, dass die meisten europäischen Staaten ebenfalls mit der Problematik der Testverweigerung konfrontiert sind. Zum jetzigen Zeitpunkt verfügen Deutschland und Dänemark über eine Rechtsgrundlage, wonach Personen vor der Rückführung verpflichtet werden können, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, und ein solcher auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.

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Empfehlung (EU) 2020/1475 des Rates vom 13. Oktober 2020 für eine koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie, ABl. L 337 vom 14.10.2020, 3.

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4 Grundzüge der Vorlage In Artikel 72 AIG soll eine neue Regelung aufgenommen werden, wonach ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer verpflichtet sind, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, wenn dies für die Sicherstellung des Vollzugs der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung notwendig ist.

Dies ist dann der Fall, wenn ein Covid-19-Test aufgrund der Einreisevoraussetzungen des Heimat- oder Herkunftsstaates, des zuständigen Dublin-Staates oder den Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens verlangt wird. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, können die betroffenen Personen einem Covid-19Test auch gegen ihren Willen zugeführt werden, sofern der Vollzug nicht durch andere mildere Mittel sichergestellt werden kann und die Person dadurch nicht in ihrer Gesundheit gefährdet wird. Die zwangsweisen Covid-19-Tests werden durch dafür spezifisch geschultes medizinisches Personal durchgeführt. Das Personal verwendet die für die betroffene Person in der konkreten Situation mildeste Testart. Dabei müssen die Einreiseregelungen der Heimat-, Herkunfts- oder Dublinstaaten oder die Regelungen des transportierenden Luftverkehrsunternehmens vollumfänglich eingehalten werden. Von einer zwangsweisen Zuführung zu einem Covid-19-Test und dessen zwangsweisen Durchführung ausgenommen sind minderjährige Personen unter 15 Jahren. Diese sind aber ebenfalls verpflichtet, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, wenn dies aufgrund der Einreisevoraussetzungen des Heimat- oder Herkunftsstaates oder des zuständigen Dublin-Staates oder der Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens verlangt wird.

5 Erläuterungen zum Artikel Art. 72 Abs. 1 Ausländerinnen und Ausländer sollen verpflichtet werden, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, wenn dies für den Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung notwendig ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn ein solcher Covid19-Test aufgrund der Einreisevoraussetzungen des Heimat- oder Herkunftsstaates oder des zuständigen Dublin-Staates verlangt wird oder die Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens dies vorsehen. Zurzeit werden in diesem Zusammenhang mehrheitlich PCR-Tests verlangt. Ein solcher PCR-Test wird über einen Nasen-Rachen-Abstrich oder einen Rachen-Abstrich durchgeführt. Gemäss neuesten Erkenntnissen ist ein PCR-Test über eine Speichelentnahme ebenso zuverlässig wie ein Nasen-Rachen-Abstrich oder Rachen-Abstrich.26 Welcher Test in einer konkreten Situation zur Anwendung gelangt, muss situativ und einzelfallgerecht beurteilt werden und wird auch von den künftigen Testmöglichkeiten und Einreisebestimmungen abhängig sein.

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www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/ aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/testen.html#-1395414004

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Abs. 2 Im Rahmen der Vorbereitung der Ausreise sollen die ausreisepflichtigen Personen während des Ausreise- oder des Vorbereitungsgesprächs (vgl. Art. 2a VVWAL und Art. 29 der Zwangsanwendungsverordnung vom 12. November 200827 [ZAV]) vorgängig über eine allfällige Testpflicht informiert werden. Gleichzeitig sollen sie darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass ein solcher Test bei Verweigerung auch gegen ihren Willen durchgeführt werden kann. Die entsprechende Information erfolgt durch die zuständige Behörde des Kantons oder das SEM. Der Zeitpunkt des Covid-19-Tests richtet sich nach den Einreiseregelungen des Heimat-, Herkunfts- oder des DublinStaats oder nach den Vorgaben des transportierenden Luftverkehrsunternehmens.

Aktuell darf der negative Covid-19-Test bei der Einreise in den Zielstaat in der Regel nicht älter als 72 Stunden sein.

Abs. 3 Hat eine betroffene Person einen Termin für die Durchführung eines Covid-19-Test nicht wahrgenommen oder hat sie beispielsweise während des Ausreise- oder Vorbereitungsgesprächs klar zum Ausdruck gebracht, das sie sich weigert, einen solchen Test von sich aus zu machen, können die für den Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung zuständigen Behörden eine betroffene Person gegen ihren Willen einem Covid-19-Test zuführen. Hierbei sind die zuständigen Behörden verpflichtet, die Bestimmungen des ZAG einzuhalten (vgl. Art. 98a AIG).

Die Anwendung von Zwang muss den Umständen angemessen sein und es müssen insbesondere das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand der betroffenen Person berücksichtigt werden (Art. 9 Abs. 2 ZAG).

Die zwangsweise Zuführung zu einem Covid-19-Test setzt voraus, dass der Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung oder der Landesverweisung nicht durch ein anderes milderes Mittel sichergestellt werden kann. Ein solches milderes Mittel könnte beispielsweise ein zusätzliches Gespräch sein, mit dem Ziel, dass die betroffene Person den Covid-19-Test von sich aus durchführen lässt. Ebenfalls kann der Nachweis einer Vorerkrankung mit Covid-19 oder einer auf freiwilliger Basis gemachten Impfung als milderes Mittel eingestuft werden, sofern dieser von den Heimat- oder Herkunftsstaaten, den Dublin-Staaten oder den Fluggesellschaften als genügend anerkannt wird.

Muss auch während der Durchführung des Covid-19-Tests
seitens der zuständigen kantonalen Behörden Zwang angewendet werden, so darf die Gesundheit der betroffenen Person dadurch nicht gefährdet werden. Sowohl bei der Zuführung zum Test wie auch während der Durchführung des Tests sind die Grundsätze des ZAG sowie die kantonalen Polizeigesetze anwendbar. Die Regelungen des ZAG gelten für die für den Wegweisungsvollzug zuständigen kantonalen Behörden (Art. 2 Abs. 1 Bst. b ZAG).

Gemäss ZAG sind z. B. Techniken körperlicher Gewalt, welche die Gesundheit der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen können, insbesondere durch die Behinderung der Atemwege, verboten (Art. 13 ZAG). In Zusammenhang mit Artikel 72 EAIG sollen bezüglich einer möglichen Gesundheitsgefährdung höhere Anforderungen gelten.

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SR 364.3

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So dürfen die zuständigen Behörden während der Durchführung des Covid-19-Tests keinen Zwang ausüben, wenn dadurch die Gesundheit der betroffenen Person gefährdet werden könnte. Somit wird in Artikel 72 Absatz 3 E-AIG im Unterschied zur Regelung im ZAG (Art. 13) keine erhebliche Gefährdung der Gesundheit vorausgesetzt. So ist zum Beispiel das Festhalten einer betroffenen Person am Kopf dann untersagt, wenn diese dadurch in ihrer Gesundheit gefährdet werden könnte. Ob eine solche Gefährdung der Gesundheit aufgrund des Zwangs in einer konkreten Situation vorliegt, muss durch die zuständigen kantonalen Behörden im Einzelfall entschieden werden. Bei der Beurteilung einer konkreten Situation ist bei Vorliegen berechtigter Zweifel auf die Durchführung von Zwang zu verzichten. Die kantonalen Personen, die zur Anwendung des Zwangs eingesetzt werden, müssen entsprechend dazu ausgebildet sein (Art. 8 ZAG).

Um dem Grundsatz des Kindeswohls (Art. 3 Kinderrechtskonvention) und dem Prinzip der Verhältnismässigkeit bei der Anwendung von Zwang im Einzelfall (insbesondere dem Alter, vgl. Art. 9 Abs. 2 ZAG) Rechnung zu tragen, soll in Absatz 3 vorgesehen werden, dass die Anwendung von Zwangsmassnahmen bei Kindern und Jugendlichen unter fünfzehn Jahren ausgeschlossen ist. Diese Altersgrenze soll analog zu Artikel 80 Absatz 4 AIG festgelegt werden, wonach die Anordnung insbesondere einer Ausschaffungshaft gegenüber Personen unter dieser Altersgrenze ausgeschlossen ist.

Abs. 4 Ein zwangsweiser Covid-19-Test soll ausschliesslich durch dafür spezifisch geschultes medizinisches Personal durchgeführt werden (siehe hierzu auch Ausführungen unter Ziff. 2.2 Abschnitt «Genügende Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage und Eingriff in die Selbstbestimmung»). Auch dieses Personal soll in Analogie zum ZAG für die Durchführung des Covid-19-Tests unter Zwang spezifisch ausgebildet sein (vgl. Art. 8 ZAG). Gegenstand dieser Ausbildung soll die fachlich korrekte Durchführung der Covid-19-Tests sein. Die Ausbildung soll auch zum Ziel haben, dass das spezifisch geschulte medizinische Personal zum Beispiel aufgrund eines Augenscheins oder der Angaben der betroffenen Person beurteilen kann, ob auf die Durchführung eines Covid-19-Tests wegen der Gefährdung der Gesundheit im Einzelfall verzichtet werden muss.

Ist das für die Testdurchführung
spezifisch geschulte medizinische Personal der Ansicht, dass eine Person in ihrer Gesundheit gefährdet werden könnte, ist auf die Durchführung des Tests zu verzichten. Dies könnte zum Beispiel bei einer Vorerkrankung der Fall sein oder wenn aufgrund des Verhaltens der Person eine Gefährdung der Gesundheit möglich erscheint. So kann zum Beispiel die Durchführung eines zwangsweisen Covid-19-Tests mittels eines Nasen-Rachen-Abstrichs dann als gesundheitsgefährdend erachtet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person der Test nicht auf fachlich korrekte Art und Weise durchgeführt werden kann. Ist jedoch eine fachlich korrekte Durchführung eines solchen Tests ohne Gesundheitsgefährdung möglich, soll die Durchführung eines Tests mittels NasenRachen-Abstrichs möglich sein. Auch bei der Durchführung des Tests gelten höhere Anforderungen bezüglich der Beachtung des Gesundheitszustands einer Person als gemäss ZAG; es wird auch hier keine «erhebliche» Gefährdung der Gesundheit im Sinne des ZAG vorausgesetzt (Art. 13 ZAG).

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Schliesslich ist das Personal angehalten, bei der Wahl des anzuwendenden Covid-19Tests diejenige Testart zu bevorzugen, die für die betroffene Person die mildeste darstellt. Dabei müssen die Vorgaben der Heimat-, Herkunfts- oder Dublinstaaten oder des transportierenden Luftverkehrsunternehmens vollumfänglich eingehalten werden.

Der Test soll, wenn möglich und sinnvoll, am Ort der Unterbringung der betroffenen Person erfolgen; namentlich in der zugewiesenen Unterkunft oder in der Haftanstalt bei einer ausländerrechtlichen Administrativhaft. Die Tests können aber auch in bereits dafür vorgesehenen Institutionen (z. B. Arztpraxen, Spitäler, Testzentren) durchgeführt werden.

Im Rahmen der bereits erwähnten Umsetzungsarbeiten sind unter anderem die Art der Tests, die Zuständigkeiten, die konkreten Abläufe sowie die möglichen Orte, an welchen die Tests durchgeführt werden sollen, zu konkretisieren.

6 Auswirkungen auf den Bund und die Kantone Beim Bund können mit der vorgeschlagenen Regelung Mehrausgaben vermieden werden. Ohne die vorgeschlagene Regelung können sich ausreispflichtige Personen im Dublin-Verfahren mit der Weigerung, einen Covid-Test durchzuführen, einer Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat entziehen. Nach Ablauf der Überstellungsfrist muss in diesen Fällen ein nationales Asylverfahren durchgeführt werden, was mit hohen Folgekosten verbunden ist. In den übrigen Verfahren führt die Weigerung dazu, dass die Wegweisung nicht vollzogen werden kann und die ausreisepflichtigen Personen weiterhin Nothilfe erhalten. Pro Person und Tag betragen die Nothilfekosten in den Kantonen durchschnittlich 50 Franken. Wenn zum Beispiel eine ausreisepflichtige Person während drei Monaten in der Nothilfe verbleibt, weil die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung oder Landesverweisung aufgrund der Testverweigerung nicht vollzogen werden kann, entstehen dem Kanton Kosten von 4500 Franken. Der Bund richtet den Kantonen für die Gewährung von Nothilfe eine einmalige Pauschale für jedes abgelehnte Asylgesuch oder jeden Nichteintretensentscheid aus (Art. 28 und 29 AsylV 2). Durch die vorgeschlagene Regelung können bei den Kantonen somit Mehrausgaben im Bereich der Nothilfe vermieden werden. Damit kann auch verhindert werden, dass der Bund gestützt auf den automatischen Anpassungsmechanismus in der Folge die Nothilfepauschale erhöhen muss (Art. 30a AsylV 2).

Beim Bund entstehen geringe Mehrkosten für die Durchführung der Covid-19-Tests für Personen aus dem Asylbereich. Bereits heute übernimmt der Bund entsprechende Kosten für Personen aus dem Asylbereich (vgl. Art. 92 AsylG). Die Testkosten können je nach Anbieter zwischen 50­200 Franken pro Person, oder bei der Durchführung des Tests durch eine Ärztin oder einen Arzt bis zu 300 Franken pro Person, variieren. Die vorgeschlagene Reglung kann dazu führen, dass mehr Personen einem solchen Covid-19-Test unterzogen werden, wobei die konkrete Anzahl Personen zum heutigen Zeitpunkt schwer zu beziffern ist. Da jedoch mit der vorgeschlagenen Änderung sowohl für den Bund wie auch für die Kantone im Bereich der Nothilfe Mehrausgaben vermieden werden können, fallen diese geringen Mehrkosten für den Covid19-Test nicht ins Gewicht.

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Bei den Kantonen können mit der vorgeschlagenen Regelung ebenfalls Mehrausgaben vermieden werden, da durch eine rechtzeitige Durchführung der notwendigen Covid19-Tests die Weg- oder Ausweisung sowie die Landesverweisung effektiv vollzogen werden kann. Dadurch entfallen Mehrkosten für die Gewährung von Nothilfe (siehe oben).

Für Personen aus dem Ausländerbereich können den Kantonen geringe Mehrkosten für die Durchführung der Covid-19-Tests entstehen (zwischen 50 und 300 Franken pro Person). Wie beim Bund ist die Anzahl der betroffenen Personen zum heutigen Zeitpunkt schwer zu beziffern.

Im Bereich der Administrativhaft können sowohl beim Bund wie bei den Kantonen Mehrausgaben vermieden werden. Der Bund vergütet den Kantonen für die Administrativhaft bei Personen aus dem Asylbereich gemäss Artikel 15 Absatz 2 VVWAL eine Pauschale von 200 Franken pro Tag. Wenn zum Beispiel eine ausreisepflichtige Person während drei Monaten in Durchsetzungshaft (Art. 78 AIG) verbleibt, weil die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung bzw. Landesverweisung aufgrund der Testverweigerung nicht vollzogen werden kann, entstehen dem Bund dadurch Kosten von 18 000 Franken. Die effektiven Haftkosten sind je nach Kanton höher. Bei Personen aus dem Ausländerbereich gehen die entsprechenden Haftkosten vollständig zulasten der Kantone.

Die Vorlage hat keine personellen Auswirkungen auf Bund und Kantone.

7 Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit und Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz Die Vorlage ist mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Sie stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV. Demnach liegt die Kompetenz für die Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländer sowie über die Gewährung von Asyl beim Bund.

Die Verpflichtung zur Durchführung eines Covid-19-Tests stellt einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit bzw. der körperlichen Unversehrtheit dar (Art. 10 BV und Art. 8 EMRK). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sie müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sowie verhältnismässig sein (Art. 36 BV). Mit dieser Vorlage soll im AIG eine genügende gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung zur Durchführung von Covid-19Tests geschaffen werden. Im Ausnahmefall sollen Covid-19-Tests auch zwangsweise durchgesetzt werden können. Die Schaffung einer solchen Verpflichtung und der Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung liegt im Interesse der Schweiz. Eine glaubwürdige und konsequente Ausländer- und Asylpolitik setzt voraus, dass eine rechtskräftige Verfügung, wonach eine Person die Schweiz zu verlassen hat, auch tatsächlich vollzogen werden kann. Durch die Verweigerung eines vom Aufnahmeland oder einer Fluggesellschaft geforderten Covid-19-Tests kann eine solche Verfügung

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umgangen werden. Damit verbleiben ausreisepflichtige Personen, die nicht mit den Behörden kooperieren wollen, weiterhin in der Schweiz.

Dies ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten und führt auch zu einer hohen finanziellen Mehrbelastung von Bund und Kantonen. So haben die Betroffenen während ihres Aufenthaltes in der Schweiz weiterhin Anspruch auf Nothilfe (Art. 82 AsylG; s. auch Ziff. 6).

Die vorgeschlagene Änderung im AIG steht zudem in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Covid-19-Epidemie und wäre ohne eine solche nicht erforderlich. Die von vielen ausländischen Staaten und Luftverkehrsunternehmen verlangten Covid19-Tests stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem übergeordneten Ziel, eine Ansteckung mit und die Weiterverbreitung von Covid-19 durch den internationalen Personenverkehr zu verhindern. Damit besteht ein überwiegendes und globales öffentliches Interesse an diesen Tests zum Schutz der Gesundheit und zur Eindämmung der Epidemie. Da die vorgeschlagene Regelung in unmittelbarem Zusammenhang zur aktuellen Covid-19 bedingten Situation steht, soll sie bis Ende Dezember 2022 befristet werden.

In jedem Fall ist zu prüfen, ob der Vollzug auch mit milderen Mitteln durchgesetzt werden kann. Dies könnte beispielsweise bei einer Quarantäne bei der Ausreise oder der Ankunft der Fall sein, wenn diese von den Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Dublin-Staaten zum gegebenen Zeitpunkt oder in Zukunft als alternative Massnahme akzeptiert wird. Die vorgeschlagene Massnahme darf nur dann als letztes Mittel angeordnet werden, wenn eine Person zuvor nicht bereit war, freiwillig und selbständig auszureisen und sie es im Rahmen des zwangsweisen Vollzugs ablehnt, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen. Zudem stellen die verwendeten Covid-19-Tests keinen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Bei der Wahl des anzuwendenden Covid-19-Tests hat das Personal diejenige Testart zu verwenden, die für die betroffene Person die mildeste darstellt. Die Tests dürfen jedoch nicht durchgeführt werden, wenn sie im Einzelfall eine Gefahr für die Gesundheit der betroffenen Person darstellen könnten.

Alternative Massnahmen, wie beispielsweise die Anordnung einer Quarantänepflicht vor der Ausreise in der Schweiz, werden von den betroffenen Staaten sowie insbesondere auch von den Fluggesellschaften
grundsätzlich nicht akzeptiert. Auch die Anordnung von Durchsetzungshaft (Art. 78 AIG) kann in diesen Fällen die Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs nicht gewährleisten, da sich die betroffene Person weiterhin weigern kann, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen.

Die vorgeschlagene Regelung ist somit geeignet und notwendig für den Vollzug des Ausländer- und Asylrechts. Sie stellt auch keinen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen dar. Die Regelung ist somit verhältnismässig.

Die Vorlage ist mit Artikel 3 und 8 EMRK sowie der Kinderrechtskonvention vereinbar. Mit der vorgeschlagenen Massnahme ist gewährleistet, dass dem Schutz der Gesundheit einer betroffenen Person stets oberste Priorität eingeräumt wird. So ist auf die Anwendung von Zwang seitens der kantonalen Behörden zu verzichten, wenn aufgrund des Zwangs eine Person in ihrer Gesundheit gefährdet werden könnte. Dabei setzt Artikel 72 Abs. 3 E-AIG weniger hohe Anforderungen als das ZAG (vgl. Ziff. 5; Erläuterungen zu Artikel 72 Abs. 3 E-AIG). Des Weiteren ist auf die Durchführung 25 / 26

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eines Covid-19-Tests zu verzichten, wenn dadurch die betroffene Person in ihrer Gesundheit gefährdet werden könnte. Diese Beurteilung obliegt dem spezifisch geschulten medizinischen Personal. Schliesslich kommt Artikel 72 E-AIG nicht zur Anwendung, wenn der Wegweisungsvollzug durch andere, mildere Mittel sichergestellt werden kann.

Gemäss Artikel 8 Absatz 2 EMRK kann eine Behörde in die Ausübung eines Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Mit dem vorgeschlagenen Artikel 72 E-AIG sind diese Voraussetzungen erfüllt (vgl. oben). Schliesslich ist der vorgeschlagene Artikel 72 EAIG auch mit der Kinderrechtskonvention vereinbar, da Minderjährige unter 15 Jahren von der zwangsweisen Durchführung eines Covid-19-Tests explizit ausgeschlossen sind. Damit wird dem Wohl des Kindes angemessen Rechnung getragen (Art. 3 Kinderrechtskonvention).

7.2 Erlassform Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Die Verpflichtung zur Durchführung eines Covid-19-Tests stellt einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit, bzw. der körperlichen Unversehrtheit dar (Art. 10 BV), dessen Einschränkung einer genügenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Aus diesem Grund soll die vorliegende Regelung im AIG verankert werden.

Aufgrund der aktuellen Situation und des Umstandes, dass sich das Problem von Testverweigerung bei ausreisepflichtigen Personen in Zukunft voraussichtlich noch weiter verschärfen wird, besteht ein unmittelbarer Handlungsbedarf. Aus diesem Grund soll die vorliegende Änderung des AIG für dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden (Art. 165 Abs. 1 BV).

7.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen (die Ausgaben über einem der Schwellenwerte nach sich ziehen) geschaffen, noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen (mit Ausgaben über einem der Schwellenwerte) beschlossen.

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