BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.044 Botschaft zur Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» und zum direkten Gegenentwurf (Bundesbeschluss über den Schutz und das Wohlergehen der Tiere) vom 19. Mai 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen einen direkten Gegenentwurf zur Initiative mit dem Antrag, diesem Gegenentwurf zuzustimmen und ihn Volk und Ständen gleichzeitig mit der Initiative zu unterbreiten mit der Empfehlung, dem Gegenentwurf zuzustimmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Mai 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-1716

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Übersicht Die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» (nachfolgend: MTI) will die «Massentierhaltung» verbieten und die Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in die Verfassung aufnehmen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, weil das Tierschutzrecht «Massentierhaltung» heute schon verbietet. Zudem wäre die geforderte Importregelung mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nicht vereinbar und nur mit grossem administrativem Aufwand umsetzbar. In seinem direkten Gegenentwurf schlägt der Bundesrat vor, für alle Tiere das Wohlergehen sowie für die Nutztiere die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den regelmässigen Auslauf und die schonende Schlachtung in die Verfassung aufzunehmen.

Ausgangslage Am 17. September 2019 wurde die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» mit 106 125 gültigen Unterschriften eingereicht.

Inhalt der Initiative Die Initiative will den Schutz der Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in die Verfassung aufnehmen. Dazu soll auch gehören, dass solche Tiere nicht in «Massentierhaltung» gehalten werden. Der Bund müsste Kriterien festlegen insbesondere für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall. Weiter müsste er bezüglich der Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken Vorschriften erlassen, die dem neuen Verfassungsartikel Rechnung tragen. Schliesslich verlangt die Initiative, dass bezüglich der Würde des Tiers Anforderungen festgelegt werden, die mindestens denjenigen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen. Diese enthalten unter anderem über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende Vorgaben zur Tierhaltung und zum Auslauf sowie Höchstbestände für die Geflügelhaltung. Die neu zu erlassenden Bestimmungen sollen Übergangsfristen bis 25 Jahre vorsehen können.

Vorzüge und Mängel der Initiative Der Schutz der Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ist das Kernanliegen der Initiative. Die Tierwürde umfasst den Anspruch, nicht in «Massentierhaltung» zu leben. Die Initiative definiert «Massentierhaltung» als Tierhaltung, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird. Eine solche Tierhaltung verbietet
die Tierschutzgesetzgebung jedoch heute schon, unabhängig davon, wie viele Tiere gehalten werden.

Der Schutz der Tierwürde und Fortschritte in den Bereichen «tierfreundliche Unterbringung und Pflege», «Zugang ins Freie» sowie «Schlachtung» sind auch dem Bundesrat ein wichtiges Anliegen. Anders als die Initiative strebt er dieses Ziel aber nicht nur für die landwirtschaftliche Tierhaltung an, sondern für alle Nutztiere. Eine wei-

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tergehende Beschränkung der Gruppengrösse als heute ist aus Tierschutzsicht dagegen unnötig. Denn die Tierschutzgesetzgebung schützt das Wohlergehen der einzelnen Tiere unabhängig von der Anzahl Tiere. Eine weitergehende Beschränkung der Grösse der Tierhaltungen könnte für heute auf Tierhaltung ausgerichtete Betriebe jedoch gravierende finanzielle Einbussen zur Folge haben. Abgesehen von der Geflügelhaltung sieht die Initiative denn auch keine konkreten Grössenbeschränkungen der Tierhaltungen vor.

Der Bund solle Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken erlassen, die dem neuen Verfassungsartikel Rechnung tragen.

Was das konkret bedeutet, lässt die Initiative offen. Sollten künftig auch für Einfuhren Anforderungen gelten, die mindestens denjenigen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen, könnte dies zu Preiserhöhungen, der Einschränkung der Wahlfreiheit sowie Problemen beim Vollzug und den internationalen Verpflichtungen der Schweiz führen. Die Kontrolle der Einhaltung der geforderten Vorschriften wäre administrativ sehr aufwändig und teuer.

Anträge des Bundesrates Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten, die Massentierhaltungsinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Er schlägt vor, der Initiative einen direkten Gegenentwurf gegenüberzustellen. Damit will er auch dem Umstand Rechnung tragen, dass sowohl die Bevölkerung wie auch die Politik dem Wohlergehen der Tiere und den Methoden der Herstellung von Lebensmitteln eine hohe Bedeutung beimessen. Der direkte Gegenentwurf sieht vor, den Schutz des Wohlergehens als allgemeinen Grundsatz für alle Tiere in die Verfassung aufzunehmen. Damit geht er über die Initiative hinaus, die sich ausschliesslich auf Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung bezieht. Für die Nutztiere nimmt er drei zentrale Aspekte der Initiative auf: die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den regelmässigen Auslauf und die schonende Schlachtung. Auf die in der Initiative vorgesehene Verankerung der privatrechtlichen Bio-Suisse-Richtlinien 2018 sowie einer spezifischen Einfuhrregelung in der Verfassung soll dagegen verzichtet werden.

Dementsprechend beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, dem Gegenentwurf zuzustimmen und ihn Volk und Ständen gleichzeitig mit der Initiative zu unterbreiten mit der Empfehlung, dem Gegenentwurf zuzustimmen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

6 6 7 7

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Politischer Kontext 2.2 Wichtigste Rechtsgrundlagen mit Bezug zur Initiative 2.2.1 Tierschutzgesetzgebung 2.2.2 Landwirtschaftsgesetzgebung 2.2.3 Umweltschutzgesetzgebung 2.2.4 Gewässerschutzgesetzgebung 2.2.5 Raumplanungsrecht 2.3 Geplante Entwicklungen in den von der Initiative betroffenen Politikbereichen 2.3.1 Tierschutz 2.3.2 Weiterentwicklung der Agrarpolitik 2.3.3 Volksinitiativen 2.3.4 Parlamentarische Initiativen

7 8 8 8 8 10 10 11

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

13 13 14 14

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.2 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.2.1 Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung 4.2.2 Festlegung von Kriterien 4.2.3 Erlass von Vorschriften über die Einfuhr 4.2.4 Übernahme der Bio-Suisse-Richtlinien als Mindeststandard 4.3 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.3.1 Auswirkungen auf Bund, Kantone und die Gemeinden 4.3.2 Auswirkungen auf die Betriebe 4.3.3 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 4.3.4 Auswirkungen auf die Umwelt 4.3.5 Auswirkungen auf den Natur- und Siedlungsraum 4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 4.4.1 WTO-Recht 4.4.2 Bilaterale Verträge mit der EU

16 16 17 17 17 18

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11 11 12 12 13

18 19 20 20 22 23 24 24 24 25

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4.4.3

Verträge mit andern Vertragspartnern

26

5

Schlussfolgerungen

26

6

Direkter Gegenentwurf 6.1 Wortlaut des direkten Gegenentwurfs 6.2 Vernehmlassungsverfahren 6.3 Grundzüge der Vorlage 6.3.1 Allgemeines 6.3.2 Regulierung der Einfuhr 6.3.3 Regulierung der Gruppengrösse 6.3.4 Regulierung von Umweltaspekten 6.4 Erläuterungen zu den einzelnen Absätzen 6.5 Auswirkungen 6.5.1 Personelle und finanzielle Auswirkungen auf den Bund 6.5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.5.3 Auswirkungen auf Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt 6.6 Gegenüberstellung von direktem Gegenentwurf und Initiative 6.7 Rechtliche Aspekte 6.7.1 Verfassungsmässigkeit 6.7.2 Erlassform 6.7.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 6.7.4 Vereinbarkeit des Gegenentwurfs mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

27 27 28 29 29 31 32 32 33 37 37 37 38 40 42 42 42 42 42

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» (Entwurf)

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Bundesbeschluss über den Schutz und das Wohlergehen der Tiere (direkter Gegenentwurf zur Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz [Massentierhaltungsinitiative]») (Entwurf)

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)», im Folgenden MTI genannt, hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 80a

Landwirtschaftliche Tierhaltung

Der Bund schützt die Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Die Tierwürde umfasst den Anspruch, nicht in Massentierhaltung zu leben.

1

Massentierhaltung bezeichnet die industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird.

2

Der Bund legt Kriterien insbesondere für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall fest.

3

Er erlässt Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken, die diesem Artikel Rechnung tragen.

4

Art. 197 Ziff. 132 13. Übergangsbestimmungen zu Art. 80a (Landwirtschaftliche Tierhaltung) Die Ausführungsbestimmungen zur landwirtschaftlichen Tierhaltung gemäss Artikel 80a können Übergangsfristen von maximal 25 Jahren vorsehen.

1

Die Ausführungsgesetzgebung muss bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 20183 entsprechen.

2

Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 80a nach dessen Annahme nicht innert drei Jahren in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.

3

1 2 3

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

Richtlinien der Bio Suisse für die Erzeugung, Verarbeitung und den Handel von Knospe-Produkten, Fassung vom 1. Januar 2018, abrufbar unter www.bio-suisse.ch.

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1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die MTI wurde vom Verein Sentience Politics initiiert. Das Initiativkomitee setzt sich aus 26 Vertreterinnen und Vertretern verschiedenster Organisationen und Parteien zusammen. Die Initiative wurde am 29. Mai 2018 von der Bundeskanzlei vorgeprüft 4 und am 17. September 2019 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 15. Oktober 2019 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die MTI mit 106 125 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist. 5 Die MTI hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen direkten Gegenentwurf. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20026 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 17. März 2021 die Beschlussentwürfe und eine Botschaft zu unterbreiten. Aufgrund der Coronapandemie bzw. der Verordnung vom 20. März 20207 über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren ist diese Frist still geblieben und läuft am 28. Mai 2021 ab. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 28. Mai 2022 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die MTI erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung8 (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der MTI besteht ein sachlicher Zusammenhang. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die MTI verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Gemäss Initiativkomitee sieht sich die Schweizer Landwirtschaft gegenwärtig mit dem globalen Trend zur Intensivierung und Konzentration der Tierproduktion konfrontiert. Kleinere Bauernbetriebe könnten dem Preisdruck kaum standhalten.

Sie müssten immer mehr Fleisch für immer weniger Geld produzieren. Gleichzeitig nehme die Anzahl der «Tierfabriken», die das Tierwohl missachten, routinemässig Antibiotika einsetzen und riesige Mengen Futtermittel aus dem Ausland importieren, stetig zu.

4 5 6 7 8

BBl 2018 3186 BBl 2019 6953 SR 171.10 AS 2020 847 SR 101

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Die industrielle Ausbeutung von Nutztieren sei verheerend für Tier, Mensch und Umwelt. Tiere würden in grossen Gruppen auf engem Raum gehalten. Ihre grundlegendsten Bedürfnisse würden missachtet. In der Schweiz würden Nutztieren pro Jahr fast 50 Tonnen Antibiotika verabreicht. Das schade auch den Menschen. Die «Massentierhaltung» nutze Ressourcen sehr ineffizient und verschmutze Wasser und Atmosphäre. Ihre immensen Treibhausgasemissionen trieben zudem den Klimawandel voran.9

2.1

Politischer Kontext

Die MTI hat primär Bezüge zur Tierschutz- und zur Landwirtschaftsgesetzgebung sowie zur Handelspolitik. Betroffen sind jedoch auch die Umweltpolitik und die Raumplanung. Dem Wohlergehen der Tiere, deren Herkunft und den Methoden der Herstellung von Lebensmitteln messen sowohl die Bevölkerung wie auch die Politik eine grosse Bedeutung bei. Dies widerspiegelt einerseits die grosse Anzahl der in den letzten Jahren in diesem Bereich eingereichten parlamentarischen Vorstösse, anderseits ergeht dies auch aus der steigenden Nachfrage nach Bio-Produkten.10

2.2

Wichtigste Rechtsgrundlagen mit Bezug zur Initiative

2.2.1

Tierschutzgesetzgebung

Artikel 80 BV beauftragt den Bund, Vorschriften über den Schutz der Tiere zu erlassen. Die Tierschutzgesetzgebung setzt diesen Auftrag um. So bezweckt das Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 200511 (TSchG), die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen. Wer mit Tieren umgeht, hat ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung zu tragen und, soweit es der Verwendungszweck zulässt, für ihr Wohlergehen zu sorgen (Art. 4 TSchG). Wer Tiere hält oder betreut, muss sie angemessen nähren, pflegen, ihnen die für ihr Wohlergehen notwendige Beschäftigung und Bewegungsfreiheit sowie soweit nötig Unterkunft gewähren (Art. 6 TSchG). Alle Vorschriften beziehen sich auf das Wohlergehen des einzelnen Tieres und sind unabhängig von der Betriebsgrösse zu erfüllen.

2.2.2

Landwirtschaftsgesetzgebung

Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe b BV legt fest, dass der Bund mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen Produktionsformen fördert, die besonders naturnah, umwelt-

9 10 11

Vgl. https://massentierhaltung.ch (eingesehen am 7. Januar 2021).

Vgl. «Bio in Zahlen 2020», www.bio-suisse.ch > Home > über uns > Medien > Bio in Zahlen.

SR 455

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und tierfreundlich sind. Gemäss Artikel 1 des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 199812 (LwG) sorgt der Bund dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet unter anderem zur Gewährleistung des Tierwohls. Die Einhaltung der Tierschutzanforderungen gehört zum ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) und ist gemäss Artikel 70a LwG eine der Voraussetzungen für landwirtschaftliche Direktzahlungen. Die Umsetzung der Vorgaben des ÖLN wird regelmässig überprüft.

Seit den 90er-Jahren haben die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte die Möglichkeit, am Programm für besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme (BTSProgramm)13 und am Programm für regelmässigen Auslauf im Freien (RAUSProgramm)14 teilzunehmen. Diese Programme legen höhere Anforderungen an das Tierwohl fest, als sie die Minimalstandards der Tierschutzgesetzgebung vorsehen.

Das RAUS- und das BTS-Programm, die seit Jahren mit finanziellen Anreizen gefördert werden, sind aufgrund ihrer guten Umsetzbarkeit weit verbreitet. Die Beteiligung an ihnen nimmt weiterhin zu, was insgesamt auf eine hohe Akzeptanz schliessen lässt.

Beim RAUS-Programm erreichte die Beteiligungsquote im Jahr 2019 gesamthaft 77 % der Tiere gemessen in Grossvieheinheiten (GVE); bis 2021 wird eine Teilnahme von 80 % angestrebt. Beim BTS-Programm waren es 2019 61 % der GVE.15 Dennoch haben sich die Programme bisher trotz der langen Laufzeit nicht vollständig durchgesetzt und es bestehen grosse Unterschiede bei der Beteiligungsquote je nach Tierart.

Während im Jahr 2019 ­ ebenfalls in GVE berechnet ­ 84 % der Tiere der Rindergattung, 88 % der Tiere der Schafgattung und 79 % der Tiere der Ziegengattung im RAUS-Programm gehalten wurden, betrug die Beteiligung bei den Tieren der Schweinegattung 51 % und beim Nutzgeflügel 42 % (Mastpoulets 8 % und Legehennen 82 %). Beim BTS-Programm lag die Beteiligung beim Rindvieh bei 59 %, bei den Ziegen bei 45 %, bei den Schweinen bei 68 % und beim Geflügel bei 93 % (Mastpoulets 97 % und Legehennen 92 %).16 Die biologische Landwirtschaft wird mit gesamtbetrieblichen Produktionssystembeiträgen in Form von Flächenbeiträgen unterstützt. Für die Tierhaltung in Bio-Betrieben gelten in verschiedener Hinsicht strengere Anforderungen als auf anderen Betrieben, so etwa
bezüglich des Futters oder der Fläche, welche pro Tier zur Verfügung stehen muss. Die beteiligten Betriebe haben die Zahl der Nutztiere so zu begrenzen, dass der anfallende Hofdünger auf geeigneten eigenen oder gepachteten landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgebracht werden kann. Zudem verpflichten sich Bio-Betriebe zur Beteiligung am RAUS-Programm, wobei Tiere der Rindergattung angebunden gehalten werden dürfen (Art. 15a Abs. 2 Bst. b der Bio-Verordnung vom 22. Sept. 199717), sofern ihnen Auslauf gemäss den Anforderungen des Raus-Programms gewährt wird.

Einzig für Kaninchen gibt es kein RAUS-Programm, sie müssen jedoch nach den Bestimmungen des BTS-Programms gehalten werden.

12 13 14 15 16 17

SR 910.1 Vgl. Art. 74 der Direktzahlungsverordnung vom 23. Okt. 2013 (DZV), SR 910.13.

Vgl. Art. 75 DZV.

Vgl. https://agrarbericht.ch > Politik > Direktzahlungen > Produktionssystembeiträge.

Vgl. Anhang 1.

SR 910.18

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Das Landwirtschaftsrecht begrenzt in der Höchstbestandesverordnung vom 23. Oktober 201318 (HBV) die Höchstbestände je Betrieb für die Schweinezucht, die Legehennenhaltung sowie die Schweine-, Poulet-, Truten- und Kälbermast. Direktzahlungen werden nur ausgerichtet, wenn der Tierbestand auf dem Betrieb die Grenzen der HBV nicht überschreitet. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) bewilligt Betrieben, die den ÖLN erbringen und keinen Hofdünger abgeben müssen, sowie Betrieben mit Schweinehaltung, die Nebenprodukte von Milch- oder Lebensmittelverarbeitungsbetrieben verwerten, auf Gesuch hin höhere Bestände.

2.2.3

Umweltschutzgesetzgebung

In der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 198519 werden Emissionen, die zu Luftverunreinigungen führen, vorsorglich begrenzt. Für die vorsorgliche Begrenzung der Ammoniakemissionen sind bauliche und betriebliche Massnahmen nach dem Stand der Technik umzusetzen. Dazu, und angesichts der übermässigen Stickstoffimmissionen, sind die kantonalen Behörden gefordert, einen kantonalen Massnahmenplan zur Emissionsbegrenzung gemäss Luftreinhalte-Verordnung zu erarbeiten. Bei der Errichtung von Ställen müssen die erforderlichen Mindestabstände zu bewohnten Zonen eingehalten werden. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) erlässt zudem Empfehlungen für die vorsorgliche Begrenzung der Ammoniakemissionen.

2.2.4

Gewässerschutzgesetzgebung

Nach dem Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 199120 (GSchG) ist auf jedem Betrieb mit Nutztierhaltung eine ausgeglichene Düngerbilanz anzustreben (Art. 14 Abs. 1 GSchG für alle Landwirtinnen und Landwirte, die Nutztiere halten; Art. 13 DZV für alle ÖLN-Betriebe). Weiter beschränkt das GSchG in Artikel 14 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 23 der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 199821 (GSchV) die zulässige Menge Hofdünger, die ein Betrieb mit Nutztierhaltung pro Hektare Nutzfläche ausbringen darf, auf 3 Düngergrossvieheinheiten (entsprechend 315 kg Stickstoff und 45 kg Phosphor). Übersteigt der Hofdüngeranfall pro Hektare diese Maximalmenge, muss der Betrieb den überschüssigen Hofdünger abgeben, die Nutzfläche erhöhen oder den Tierbestand reduzieren. Dies ist mit Umtrieben und Kosten verbunden und wirkt somit bremsend auf die Erhöhung der Tierbestände. Artikel 14 Absatz 6 GSchG verlangt weiter, dass die kantonale Behörde die pro Hektare zulässigen Düngergrossvieheinheiten herabsetzen muss, soweit Bodenbelastbarkeit, Höhenlage und topografische Verhältnisse dies erfordern. Zudem verlangt Artikel 14 Absatz 4 GSchG in Verbindung mit Artikel 24 GSchV, dass wenn ein Teil des im Betrieb anfallenden Hofdüngers ausserhalb des ortsüblichen Bewirtschaftungsbereichs verwertet wird, nur so viele Nutztiere gehalten werden dürfen, dass mindestens 18 19 20 21

SR 916.344 SR 814.318.142.1 SR 814.20 SR 814.201

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die Hälfte des im Betrieb anfallenden Hofdüngers auf der eigenen oder der gepachteten Nutzfläche verwertet werden kann. Nach Artikel 25 GSchV gilt diese Regelung nicht für Betriebe mit Geflügel oder Pferdehaltung sowie Betriebe, die Aufgaben im öffentlichen Interesse erfüllen.

2.2.5

Raumplanungsrecht

Die zulässigen Bauten und Anlagen für die Tierhaltung in der Landwirtschaftszone werden im Raumplanungsgesetz vom 22. Juni 197922 und in der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 200023 geregelt. Zonenkonform sind Bauten und Anlagen, die der bodenabhängigen Tierhaltung oder der inneren Aufstockung dienen. Für Bauten und Anlagen, die über eine innere Aufstockung hinausgehen, können Speziallandwirtschaftszonen vorgesehen werden. Die Tierhaltung ist als bodenabhängig zu betrachten, wenn der Betrieb über eine ausreichende eigene Futtermittelbasis für seine Tiere verfügt und die Tiere nicht überwiegend mit zugekauften Futtermitteln ernährt werden.

2.3

Geplante Entwicklungen in den von der Initiative betroffenen Politikbereichen

2.3.1

Tierschutz

Die Tierschutzgesetzgebung wird regelmässig den laufenden Entwicklungen und Erkenntnissen angepasst. Im Moment sind folgende Themen in Bearbeitung: ­

Ersatz von Kohlendioxid (CO2) zur Betäubung bei der Schlachtung von Geflügel und Schweinen sowie zur Tötung von Tieren (alte Legehennen, Labortiere).

­

Verzicht auf zootechnische Eingriffe wie Enthornen oder Kastrieren durch Anwendung geeigneter alternativer Methoden (z. B. Impfen statt Kastrieren von Ferkeln) bzw. Optimierungen der Haltungsbedingungen von horntragenden Ziegen im Laufstall.

­

Beschäftigung von Mastschweinen zur Vermeidung von Schwanzbeissen.

­

Verbot des Tötens von männlichen Eintagsküken, sobald die Geschlechtsbestimmung im Ei möglich ist oder mit Zweinutzungsrassen eine wirtschaftliche Mast von männlichen Küken möglich ist.

Zudem sollen im Rahmen einer gross angelegten Studie des Veterinary Public Health Instituts der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern Methoden zur Erfassung und Bewertung der Gesundheit und des Tierwohls von Nutztieren entwickelt werden (Smart Animal Health). Die Studienergebnisse sollten bis im Sommer 2021 vorliegen. Die

22 23

SR 700 SR 700.1

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daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen der weiteren Förderung des Tierwohls dienen.

In Erfüllung des Postulats 17.3967 «Obligatorische Deklaration der Herstellungsmethoden von Nahrungsmitteln» der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats hat der Bundesrat am 11. September 2020 einen Bericht verabschiedet, der aufzeigt, wie die Deklarationspflicht für Produkte, die nicht gemäss den Schweizer Normen hergestellt wurden, verstärkt werden kann.24

2.3.2

Weiterentwicklung der Agrarpolitik

In seiner Botschaft vom 12. Februar 202025 zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) schlägt der Bundesrat vor, die Gesundheit und das Wohl der Nutztiere mittels verstärkter finanzieller Anreizsysteme zu fördern. Zudem soll sich der Bund an der Finanzierung eines nationalen Kompetenz- und Innovationsnetzwerks für Nutztiergesundheit beteiligen können. Ebenfalls soll die Förderung der Tierzucht mit der Umsetzung der «Strategie Tierzucht 2030» vermehrt auf die Tiergesundheit und das Tierwohl ausgerichtet werden. Weiter soll die Förderung der graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion stärker die betriebseigene Proteinversorgung berücksichtigen. Dadurch wird die Grösse der Tierbestände noch enger an das Standortpotenzial der Betriebe gebunden. Am 14. Dezember 2020 hat der Ständerat das Postulat 20.3931 «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) angenommen. Dieses beauftragt den Bundesrat, bis spätestens im Jahr 2022 einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik vorzulegen. Momentan sind die Beratungen zur AP22+ deshalb sistiert. Einen Teil der umweltrelevanten Bestimmungen der AP22+ hat das Parlament aus dieser Vorlage herausgelöst und in die parlamentarische Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» der WAK-S vom 29. August 2019 übernommen (s. Ziff. 2.3.4 unten).

2.3.3

Volksinitiativen

Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung ­ Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz»26 (nachfolgend: Trinkwasserinitiative) verlangt, dass der Tierbestand von direktzahlungsberechtigten Betrieben mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann. Bei einer Annahme wären die meisten Betriebe mit Schweine-, Geflügel- oder Eierproduktion faktisch von den landwirtschaftlichen Direktzahlungen ausgeschlossen, weil sie in der Regel auf Futtermittelzufuhren angewiesen sind. Auch ein Teil der Betriebe mit raufutterverzehrenden Nutztieren (Kühe, Rinder, Pferde, Ziegen, Schafe) wäre betroffen. Entweder müssten diese Betriebe ihre Tierbestände reduzieren, oder 24 25 26

Abrufbar unter: www.parlament.ch > 17.3967 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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sie würden ihre bisherige Produktionsweise mit Futtermittelzufuhren beibehalten und müssten auf Direktzahlungen verzichten. In seiner Botschaft zu dieser Initiative27 hat sich der Bundesrat dafür ausgesprochen, die Initiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag abzulehnen. Die Initiative wird am 13. Juni 2021 zur Abstimmung gelangen.

2.3.4

Parlamentarische Initiativen

Die parlamentarische Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» der WAK-S vom 29. August 2019 ist aus den im Parlament zur Trinkwasserinitiative geführten Diskussionen hervorgegangen. Sie will einen Absenkpfad mit Zielwerten für das Risiko beim Einsatz von Pestiziden gesetzlich verankern. Weiter wollte die WAK-S in der entsprechenden Vorlage verankern, dass weniger Stickstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft in die Umwelt gelangen. Dieses Anliegen hat sie der AP22+ entnommen, welche momentan sistiert ist (s. Ziff. 2.3.2 oben). Vorgeschlagen wurde eine Reduktion um 10 Prozent bis 2025 und um 20 Prozent bis 2030.

Referenzwert wäre das Mittel der Jahre 2014­2016 gewesen.28 Der Ständerat hat diesem Vorschlag der WAK-S zwar zugestimmt, aber in abgeschwächter Form. Die Mehrheit sprach sich für eine «angemessene» Reduktion der Stickstoff- und Phosphorverluste bis 2030 aus, ohne vorgeschriebene Prozentsätze. Diese soll nun der Bundesrat festlegen (Art. 6a LwG).29 Vorgesehen ist zudem eine Verstärkung der Weideförderung, was ebenfalls zur Reduktion der Umweltbelastung beiträgt (vgl. den im Rahmen des Verordnungspakets zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative vorgeschlagenen neuen Art. 75a DZV30). Der Nationalrat hat sich dem Ständerat in diesen Punkten am 10. Dezember 2020 angeschlossen. Der Nationalrat und der Ständerat haben der parlamentarischen Initiative in der Schlussabstimmung vom 19. März 2021 zugestimmt.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Das Initiativkomitee fordert das Ende der «Massentierhaltung» in der Schweiz. Tierprodukte sollen zum Wohl von Tier, Mensch und Umwelt fair produziert und bewusst

27

28

29 30

Botschaft des Bundesrates vom 14. Dez. 2018 zur Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung ­ Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz», BBl 2019 1101.

Antrag der WAK-S vom 27. Aug. 2020 für einen Art. 6a LwG im Entwurf des Bundesgesetzes über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden, Fahne «Herbstsession 2020 Ständerat», abrufbar unter: www.parlament.ch > 19.475 > Anträge, Fahnen.

Beschluss des Ständerates vom 14. Sept. 2020, Fahne «Herbstsession 2020 Beschluss Ständerat», abrufbar unter: www.parlament.ch > 19.475 > Anträge, Fahnen.

Entwurf abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Laufende Vernehmlassungen > Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung.

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konsumiert werden. Angestrebt wird eine ressourcenschonenden Schweizer Landwirtschaft, die für eine tierfreundliche und naturnahe Produktion steht.31

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Das Initiativkomitee will den Schutz der Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ausdrücklich in der Verfassung verankern. Die Tierwürde soll auch den Anspruch umfassen, nicht in Massentierhaltung zu leben. Der vorgeschlagene Verfassungstext definiert «Massentierhaltung» als «industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird». Der Bund müsste Kriterien festlegen insbesondere für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall. Weiter müsste er bezüglich der Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken Vorschriften erlassen, die dem neuen Verfassungsartikel Rechnung tragen. Konkret bedeutet dies, dass Fleisch aus «Massentierhaltung» nach Annahme der MTI nicht mehr in die Schweiz importiert werden dürfte.32 Die MTI verlangt weiter, dass bezüglich der Würde des Tiers Anforderungen festgelegt werden, die mindestens denjenigen der Bio-Suisse-Richtlinien 201833 entsprechen. Dem Gesetzgeber wird eine Frist von 3 Jahren eingeräumt, um die geforderten Bestimmungen zu erlassen. Verstreicht diese Frist ungenutzt, soll der Bundesrat die geforderten Bestimmungen auf dem Verordnungsweg erlassen müssen. Die neu zu erlassenden Bestimmungen sollen Übergangsfristen bis 25 Jahre vorsehen können.

3.3

Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

Das Initiativkomitee hat bisher keine detaillierten Erläuterungen zum Initiativtext veröffentlicht.

Art. 80a

Landwirtschaftliche Tierhaltung

Der neue Artikel 80a soll den bisherigen Artikel 80 BV ergänzen.

Absatz 1: Der Begriff der Würde wird heute schon im Zweckartikel des TSchG erwähnt. Die Würde umfasst sowohl die biologischen Aspekte Abwesenheit von Schmerzen, Leiden, Schäden und Angst wie auch ethische Aspekte. Die Umsetzung der biologischen Würdeelemente ist vergleichsweise unproblematisch. Komplexer ist die Umsetzung der Würde als ethisches Prinzip: Hier muss von Fall zu Fall nach einer

31 32 33

Vgl. https://massentierhaltung.ch https://massentierhaltung.ch > Initiative > Häufige Fragen und Antworten > Würde eine Annahme nicht dazu führen, dass vermehrt billiges Importfleisch importiert wird?

Richtlinien der Bio Suisse für die Erzeugung, Verarbeitung und den Handel von Knospe-Produkten, Fassung vom 1. Jan. 2018, abrufbar unter www.bio-suisse.ch.

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Güterabwägung entschieden werden, ob die Würde respektiert ist. Gemäss Initiativtext soll den Tieren namentlich der Anspruch eingeräumt werden, nicht in «Massentierhaltung» zu leben.

Absatz 2: Dieser Absatz enthält die Definition des in Absatz 1 verwendeten Begriffs «Massentierhaltung». Dies ist unerlässlich, weil ansonsten nicht klar ist, welche Sachverhalte von der MTI erfasst werden. Die Definition enthält aber ihrerseits auslegungsbedürftige Begriffe. So gibt es beispielsweise keinen internationalen Konsens dazu, was unter «industrieller Tierhaltung» zu verstehen ist. Gemäss der Definition gehört zur industriellen Tierhaltung, dass tierische Erzeugnisse «möglichst effizient» gewonnen werden. Für sich allein vermag dieses Kriterium die industrielle Tierhaltung jedoch kaum von anderen Tierhaltungsformen abzugrenzen. Solange Tierhalterinnen und Tierhalter mit den tierischen Erzeugnissen ihr Auskommen bestreiten, werden sie immer eine möglichst effiziente Gewinnung anstreben. Analog verhält es sich mit dem Kriterium «systematische Verletzung des Tierwohls». Das Tierwohl kann auch in einem Stall mit vier Ziegen systematisch verletzt werden. Auch dieses Kriterium vermag die Frage, was unter industrieller Tierhaltung genau zu verstehen ist, somit nicht zu beantworten.

Absatz 3: Diese Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit Absatz 1. Sie verpflichtet den Bund, Kriterien festzulegen, die verhindern, dass Tiere in «Massentierhaltung» gehalten werden. Bei den aufgeführten Bereichen handelt es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung. Die genannten Aspekte «tierfreundliche Unterbringung und Pflege», «Zugang ins Freie» und «Schlachtung» sind für die Gewährleistung des Tierwohls relevant. Dagegen hat die Gruppengrösse nicht zwingend einen Einfluss auf das Wohl der einzelnen Tiere (s. Ziff. 6.3.3).

Absatz 4: Artikel 80a Absätze 1­3 soll nicht nur für in der Schweiz produzierte tierische Erzeugnisse gelten, sondern auch für Einfuhren. Der gewählte Wortlaut lässt bei Einfuhren jedoch etwas mehr Spielraum als für die nationale Produktion («Rechnung tragen»). Dieser Spielraum wird durch Absatz 2 der Übergangsbestimmungen allerdings wieder relativiert.

Die zu erlassenden Vorschriften sollen offensichtlich nur Tiere und tierische Erzeugnisse erfassen, die zu Ernährungszwecken verwendet werden. Dies mag
damit zusammenhängen, dass die «Massentierhaltung» in erster Linie in diesem Bereich ein Thema ist.

Art 197 Ziff. 13 13. Übergangsbestimmungen zu Art. 80a (Landwirtschaftliche Tierhaltung) Absatz 1: Dem Parlament wird die Kompetenz eingeräumt, für die Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung eine Übergangsfrist von maximal 25 Jahren vorzusehen. Diese Übergangsfrist müsste etwa dann voll beansprucht werden, wenn aufgrund neuer strengerer Anforderungen an die Stallgrösse oder die Stallbeschaffenheit bauliche Massnahmen getroffen werden müssten.

Absatz 2: Während die materiellen Bestimmungen des neu vorgeschlagenen Artikels 80a hinsichtlich der vom Bund zu erlassenden Ausführungsgesetzgebung Spielraum offenlassen, legt Absatz 2 der Übergangsbestimmungen unmissverständlich 15 / 46

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fest, dass die Ausführungsgesetzgebung bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen muss, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen. Wird Absatz 2 unter Abstützung auf die klassischen Auslegungsinstrumente für Gesetzesbestimmungen ausgelegt (d. h. insb. Wortlaut, Berücksichtigung der Gesetzessystematik und Frage nach Sinn und Zweck), kann dies zum Schluss führen, dass der Passus «mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen» sowohl für die Ausführungsgesetzgebung für die nationale Produktion wie auch für Einfuhren gilt. Sentience Politics als Vertreterin des Initiativkomitees widerspricht dem allerdings. Sie legt diesen Absatz so aus, dass bezüglich der Importe nur «angemessene Äquivalente» zu finden sind.34 Unbesehen davon ist aber festzuhalten, dass bei Annahme der MTI mit diesem Verweis erstmals private Standards in die Bundesverfassung aufgenommen würden.

Absatz 3: Mit dieser Bestimmung soll einer Verzögerung der Umsetzung der MTI entgegengewirkt werden. Die Gesetzgebung zur Umsetzung des Verfassungsartikels soll spätestens drei Jahre nach dessen Annahme in Kraft treten. Andernfalls hätte der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg zu erlassen.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Die mit der MTI verfolgten Ziele entsprechen der Stossrichtung, die auch der Bundesrat beim Tierschutz verfolgt. Das geltende Recht hält unmissverständlich fest, dass niemand einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten darf. Das Misshandeln, Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist verboten (Art. 4 Abs. 2 TschG). Auch wenn die Schweiz heute über eine der weltweit strengsten Tierschutzgesetzgebungen verfügt, ist der Bundesrat damit einverstanden, dass die in der Verfassung verankerten Grundsätze der in diesem Bereich angestrebten Entwicklung nicht mehr genügend Rechnung tragen. Die MTI will in der Verfassung die Leitplanken setzen, die aufzeigen, wo die Tierschutzgesetzgebung in 25 Jahren stehen soll.

Derartige Zielvorgaben sind grundsätzlich zu begrüssen.

Durch den Verweis auf die Bio-Suisse-Richtlinien 2018 und die darin enthaltenen Anforderungen an den Auslauf und die Fütterung will die MTI zudem erreichen, dass die Tierbestände in der Schweiz reduziert werden. Dadurch verspricht sich das Initiativkomitee eine geringere Belastung der Umwelt (z. B. durch Stickstoff, Ammoniak oder das Treibhausgas Methan), einen noch besseren Tierschutz (weniger Tierkrankheiten, mehr Platz für die einzelnen Tiere), positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (Reduktion der Verbreitung antibiotikaresistenter Keime, weniger Krankheiten durch übermässigen Konsum von Fleisch und tierischen Erzeugnissen) sowie ­ wegen des Minderbedarfs an Fläche ­ weniger Konflikte zwischen der für die Tierhaltung benötigten Landwirtschaftsfläche und dem Siedlungsraum. Auch das sind Themen, die der Bundesrat ihrer grossen Wichtigkeit wegen in die AP22+ aufgenommen hat.

34

Vgl. https://massentierhaltung.ch > stellungnahme-zum-gegenentwurf-des-bundesrates.

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Schliesslich will die MTI verhindern, dass bei einer Anhebung des Tierschutzniveaus in der Schweiz der Absatz billiger Importlebensmittel zunimmt und die Konsumentinnen und Konsumenten auf solche Lebensmittel ausweichen. Gemäss Initiativkomitee käme dies einer Auslagerung der Tierschutz-, Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsprobleme ins Ausland gleich. Damit die Anforderungen an die Methoden der Herstellung von Lebensmitteln im Inland nicht strenger sind als diejenigen, die für importierte Lebensmittel gelten, verlangt die MTI vom Bund den Erlass von Einfuhrbestimmungen, welche dem vorgeschlagenen Artikel 80a Rechnung tragen.

Soweit solche Bestimmungen mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar sind (Welthandelsorganisation [WTO], bilaterale Abkommen), hat der Bundesrat auch für dieses Anliegen Verständnis. In diesem Sinne hat er am 11. September 2020 den unter Ziffer 2.3.1 erwähnten Bericht veröffentlicht, der aufzeigt, wie die Deklaration der Herstellungsmethoden für importierte tierische Produkte verstärkt werden kann.

4.2

Vorzüge und Mängel der Initiative

4.2.1

Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung

Der Schutz der Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ist das Kernanliegen der MTI. Nach dem Initiativtext ist die «Massentierhaltung» mit der Würde des Tieres nicht vereinbar. Die MTI definiert «Massentierhaltung» als Tierhaltung, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird. Eine solche Tierhaltung verbietet die Tierschutzgesetzgebung jedoch bereits heute. Die Würde der Tiere ist zudem von der Würde der Kreatur umfasst, welche in Artikel 120 BV verankert ist. Weiter ist im TSchG die Würde des Tieres definiert als «Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss» (Art. 3 Bst. a TSchG). Entsprechend bezweckt die Tierschutzgesetzgebung, die Würde und das Wohlergehen des einzelnen Tieres sicherzustellen (Art. 1 TSchG), unabhängig davon, wie viele Tiere gehalten werden. Ist das Tierwohl gewährleistet, besteht aus tierschutzrechtlicher Sicht und insbesondere unter dem Blickwinkel der Würde des Tieres somit grundsätzlich kein Anlass, die Anzahl Tiere zu beschränken. Das Wohl des einzelnen Tieres nimmt nicht zu, weil insgesamt weniger Tiere gehalten werden.

4.2.2

Festlegung von Kriterien

Artikel 80 BV gibt dem Bund heute schon den Auftrag, zum Schutz des Tieres sämtliche Aspekte, die mit der Tierhaltung verbunden sein können, zu regeln (Tierhaltung, Tierpflege, Tierversuche, Eingriffe am lebenden Tier usw.). Die MTI will in der Verfassung jedoch spezifisch verankern, dass im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Tierhaltung insbesondere die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, der Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall festgelegt werden. Durch die Bezugnahme auf die Bio-Suisse-Richtlinien 2018 ergeben sich so

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Anforderungen an die Tierhaltung, die wesentlich detaillierter sind als diejenigen der heutigen Verfassungsbestimmung (s. Ziff. 4.2.4).

4.2.3

Erlass von Vorschriften über die Einfuhr

Die neue Verfassungsbestimmung soll nicht nur für in der Schweiz produzierte tierische Erzeugnisse gelten, sondern auch für Einfuhren. Was das konkret bedeutet, wird nicht festgelegt. Einerseits lässt der gewählte Wortlaut bei Einfuhren mehr Spielraum als für die nationale Produktion («Rechnung tragen»). Anderseits wird dieser Spielraum durch Absatz 2 der Übergangsbestimmungen wieder beseitigt. Danach müssen bis spätestens 25 Jahre nach Annahme der MTI sämtliche Betriebe die Tierhaltungsvorschriften der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 bezüglich Würde des Tieres einhalten.

Es ist davon auszugehen, dass die Pflicht, dieselben oder zumindest äquivalente Haltungsvorschriften einzuhalten, sowohl für die nationale Produktion wie auch für Einfuhren gilt. Eine solche Pflicht wäre mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der WTO, der EU und Staaten, mit denen sie Handelsabkommen abgeschlossen hat, nicht vereinbar. Namentlich die Handelsabkommen müssten neu verhandelt werden. Der Ausgang einer möglichen Klage bei der WTO wäre offen. Bei einer Niederlage müsste die Schweiz entweder auf ihren Entscheid zurückkommen oder mit Gegenmassnahmen anderer Handelspartner rechnen. Zudem könnte die Umsetzung der entsprechenden Vorschriften nur schwer sichergestellt werden. Der amtliche Vollzug müsste überprüfen können, unter welchen Bedingungen die in die Schweiz importierten Lebensmittel im Ausland tatsächlich hergestellt wurden und ob diese den schweizerischen Vorschriften entsprechen. Der Aufbau eines entsprechenden Kontrollapparats wäre sehr aufwendig und ressourcenintensiv. Es müssten Zertifizierungssysteme geschaffen werden, was wiederum bedingte, dass akkreditierte Stellen vorhanden wären, die einen Betrieb nach von der Schweiz vorgegebenen Standards zertifizieren könnten. Beschränkte man sich auf Dokumentenkontrollen, führte dies einerseits zu einem riesigen administrativen Aufwand, und anderseits wäre nicht gewährleistet, dass die Angaben in den Dokumenten in jedem Fall mit der Realität übereinstimmten.

4.2.4

Übernahme der Bio-Suisse-Richtlinien als Mindeststandard

Nach Absatz 2 der Übergangsbestimmungen muss die Ausführungsgesetzgebung «bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen». Diese Richtlinien enthalten u.a.

Anforderungen an die Tierhaltung, die Fütterung, den Auslauf sowie spezifische Höchstbestände für Geflügel. Weil sich die mit der MTI verlangte Verfassungsbestimmung auf praktisch sämtliche Aspekte der landwirtschaftlichen Tierhaltung bezieht und die Bio-Suisse-Richtlinien 2018 all diese Bereiche erfassen, bedeutet dies, dass spätestens 25 Jahre nach Annahme der MTI sämtliche Tiere nach diesen BioStandards gehalten werden müssten. Gemäss den Bio-Suisse-Richtlinien 2018 ist bezüglich Auslauf das in der Landwirtschaftsgesetzgebung umschriebene RAUS18 / 46

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Programm zu beachten (s. Ziff. 2.2.2). Das BTS-Programm geht dagegen ­ abgesehen von der Kaninchenhaltung ­ über die Mindestanforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 hinaus. Letztere begrenzen den Tierbestand im Talgebiet auf 2,5 Düngergrossvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (Ziff. 4.1 der Richtlinien). In höheren Lagen und bei ungünstigen Standortverhältnissen ist der Tierbesatz zu reduzieren. Bei den Tierarten werden lediglich beim Geflügel über die gesetzliche Regelung hinausgehende Begrenzungen pro Stalleinheit festgelegt, so etwa bei den Legehennen auf rund 2000 Tiere und bei den Aufzuchthennen auf rund 4000 Tiere.

Bei Annahme der MTI würde erstmals ein privater Standard (Bio-Suisse-Richtlinien 2018) Aufnahme in die Bundesverfassung finden. Dies wäre insofern problematisch, als derart detaillierte technische Vorschriften, die regelmässig aktualisiert werden, in einer nicht mehr aktuellen Version in der Verfassung auf Jahre hinaus den Mindeststandard vorgeben würden. Das wäre weder stufengerecht noch könnte so dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt sowie der gesellschaftlichen Entwicklung zeitnah Rechnung getragen werden. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weshalb der Bio-Suisse-Standard gegenüber allen andern Bio-Standards bevorzugt werden soll.

4.3

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Initiative wurde eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) durchgeführt.35 Die darin vorgenommenen Schätzungen zu den Auswirkungen auf die Betriebe basieren auf Daten des Bundesamtes für Statistik zu Betriebszahlen, Tierbeständen, Umsatz und Teilnahme an den Programmen BTS und RAUS sowie weiteren Quellen. Aufgrund der teils spärlichen Datenlage, der noch nicht konkretisierten Umsetzung der MTI sowie der kurzen Frist, die für die Erstellung der RFA zur Verfügung stand, mussten teilweise vereinfachende Annahmen getroffen werden.

Die Mehrkosten werden gegenüber der Referenzentwicklung berechnet. Diese beinhaltet zum einen die Umsetzung von Massnahmen, welche die landwirtschaftlichen Betriebe auch ohne die MTI umsetzen würden. Zum anderen bildet sie im weiteren Sinne auch die Umsetzung von Massnahmen ab, die durch andere Politikbereiche und Instrumente angeregt bzw. gefordert werden.

35

Vgl. dazu «Regulierungsfolgenabschätzung Massentierhaltungsinitiative und direkter Gegenentwurf», Schlussbericht vom 27. April 2021 von Quirin Oberpriller, Anna Vettori, Jürg Heldstab und Thomas von Stokar (INFRAS), abrufbar unter www.blv.admin.ch > Das BLV > Rechts- und Vollzugsgrundlagen > Abstimmungen > Massentierhaltungsinitiative.

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4.3.1

Auswirkungen auf Bund, Kantone und die Gemeinden

Die MTI sieht für Tiere und tierische Erzeugnisse zu Ernährungszwecken aus dem Ausland Einfuhrbeschränkung vor. Der Bund hat hier sicherzustellen, dass die importieren Tiere und Erzeugnisse den schweizerischen Anforderungen genügen. Der amtliche Vollzug müsste dies überprüfen, was sehr aufwendig und ressourcenintensiv wäre (s. Ziff. 4.2.3).

Bei den Kontrollen der landwirtschaftlichen Tierhaltungen in der Schweiz sind keine Mehrkosten zu erwarten. Diese werden wie bisher durch die kantonalen Veterinärbehörden sowie die kantonalen Landwirtschaftsämter vorgenommen.

4.3.2

Auswirkungen auf die Betriebe

Die MTI verlangt, dass der Bund bei deren Annahme bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegt, die mindestens denjenigen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen. Diese Umstellung auf Bio Suisse käme einem Systemwechsel gleich, der weitergehende Produktionsanpassungen (z. B. Umstellung auf andere Tierrassen, grössere Weideflächen) mit unklaren Kostenfolgen nach sich ziehen würde. Besonders betroffen wären Betriebe mit Mastpoulets, die auf andere Tierrassen wechseln müssten, sowie Betriebe mit Mastrindern, die grössere Weideflächen in Betriebsnähe benötigten. Die erhöhten Anforderungen an die Unterbringung und Pflege führen eher dazu, dass der Bedarf an Stallraum pro Tier ansteigt und sich grössere Betriebe etablieren, da diese die Mehrkosten besser tragen können.

Die Vorgaben zu den Tierbeständen haben das explizite Ziel, den Tierbestand der Betriebe zu verkleinern. Ohne Umstellung auf andere Produkte oder ohne Zupacht oder Zukauf von weiteren Flächen sinkt die Produktion der Betriebe.

Mehrkosten bei einer sofortigen Umsetzung ohne Übergangsfrist In Bezug auf die Tierbestände beschränkt die MTI spezifisch bei den Geflügelbetrieben die absoluten Tierbestände und bei allen Tierarten die Anzahl Tiere pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche.

Von der spezifischen Vorgabe sind rund 900 Geflügelbetriebe betroffen. Sie können diese auf zwei Arten umsetzen: Entweder sie reduzieren ihren Tierbestand, was Umsatzeinbussen von schätzungsweise 330 Millionen Franken pro Jahr zur Folge hätte, oder sie eröffnen neue zusätzliche Betriebe. Dies würde erlauben, den Tierbestand zu erhalten, es würden aber Kosten von jährlich ca. 270­360 Millionen Franken anfallen.

Von der Anforderung, die maximale Anzahl Tiere pro Hektare zu beschränken, sind weitere 2400 Betriebe betroffen (v. a. Betriebe mit Rindermast). Auch sie können entweder ihren Tierbestand reduzieren, was einen Umsatzrückgang von 250 Millionen Franken pro Jahr zur Folge hätte, sie können ihre Fläche erweitern, um die Vorgabe zu erfüllen, oder sie können überschüssigen Hofdünger an andere Betriebe mit entsprechenden Kosten weitergeben. Für einen gleichbleibenden Tierbestand (Schweine und Rinder) ohne Hofdüngerabgabe wäre ein Zukauf (oder eine Zupacht) von ca. 19 000 Hektaren nötig. Es werden aber wohl nur wenige Betriebe in der Lage sein, 20 / 46

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ihre landwirtschaftliche Nutzfläche zu erweitern, da einer Erweiterung diverse Hemmnisse entgegenstehen (z. B. Finanzierung des Landkaufs oder Verfügbarkeit von geeigneten Flächen in der Nähe der Betriebe).

Die gesamten Umsatzeinbussen belaufen sich damit auf max. rund 580 Millionen Franken pro Jahr (330+250 Mio.). Dies entspricht rund 10 % des Umsatzes in der Höhe von rund 5,5 Milliarden Franken, welche die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe jährlich mit Lebensmitteln tierischer Herkunft erzielen. Dies kann dazu führen, dass Betriebe ihre laufenden Kosten nicht mehr decken oder notwendige Investitionen nicht finanzieren können und auf andere Produkte umstellen oder schliessen müssen.

Wie viele Betriebe dies letztendlich betrifft, lässt sich nicht abschätzen.

Mehrkosten unter Berücksichtigung der Übergangsfrist von 25 Jahren Die Übergangsfrist von 25 Jahren reduziert die oben berechneten Mehrkosten in zweierlei Hinsicht: Erstens gibt es Einflussfaktoren, welche die Kosten in der Zukunft senken dürften. Zweitens werden viele Massnahmen mit der Umsetzung des technologischen Fortschritts vor Ablauf der Übergangsfrist sowieso umgesetzt.

Folgende Faktoren sind für die Kostenentwicklung relevant: ­

In der Nutztierhaltung ist mit einem weiteren kontinuierlichen Anstieg der Tierbestände pro Betrieb zu rechnen. Je mehr Tiere ein Betrieb hat, desto geringer sind aufgrund der Skaleneffekte die Kosten pro Tier.

­

Betriebe mit einem hohen Tierbestand pro Fläche werden gezwungen, die Anzahl Tiere zu reduzieren oder mehr Flächen durch Kauf oder Zupacht zu bewirtschaften.

­

Der technologische Fortschritt reduziert die Arbeitskosten und die körperliche Belastung (automatisierte Melksysteme, Digitalisierung etc.).

­

Zielsetzungen in anderen Politikbereichen (z. B. Umweltziele Landwirtschaft): Deren Umsetzung können Investitionen in der Tierhaltung erfordern und zur Reduktion der Tierbestände führen.

Um die effektiven Mehrkosten zu berechnen, müssten die «Sowiesokosten» von den gesamten Mehrkosten abgezogen werden.

Die «Sowiesokosten» werden im Wesentlichen durch folgende Aspekte erzeugt: ­

Reguläre Investitionszyklen: Investitionen für die tierfreundliche Unterbringung, die Pflege und den Auslauf werden im Zuge der Modernisierung der Tierhaltung innerhalb der Übergangsfrist sowieso getätigt.

­

Umweltpolitik: Die Erfüllung der Umweltziele Landwirtschaft können durch Anpassungen der Haltungssysteme und durch eine Reduktion des Tierbestandes erreicht werden.

­

Landwirtschaftspolitik: In der Botschaft zur AP22+ wird eine «standortangepasste und ressourceneffiziente Landwirtschaft», unter Berücksichtigung der ökologischen Tragfähigkeit der Ökosysteme als Ziel formuliert. Mit der parlamentarischen Initiative 19.475 werden Massnahmen der AP22+ zur Reduktion der Nährstoffverluste umgesetzt. Zudem gibt es weitere Initiativen mit ähnlicher Stossrichtung (z. B. die Trinkwasserinitiative, s. Ziff. 2.3.3).

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­

Geändertes Konsumverhalten: Eine höhere Nachfrage nach pflanzlichen Nahrungsmitteln beispielsweise reduziert die Tierhaltung, eine höhere Nachfrage nach Bioprodukten führt zu einer Ausdehnung der biologischen Landwirtschaft.

Die RFA geht davon aus, dass der Anteil «Sowiesokosten» je nach Ausprägung der oben genannten Aspekte 50­75 % betragen könnte. Die Mehrkosten der MTI abzüglich der «Sowiesokosten» werden damit jährlich auf etwa 0,3­1,1 Milliarden Franken geschätzt (s. Anhang 2). Zum Vergleich: Der gesamte Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft beträgt 11,4 Milliarden Franken, allein jener von Lebensmitteln tierischer Herkunft 5,5 Milliarden Franken. Die MTI erhöht die Produktionskosten von Lebensmitteln tierischer Herkunft somit ­ je nach Szenario ­ grob um 5­20 %.

Diese Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum kurz vor Ablauf der Übergangsfrist von 25 Jahren. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrkosten in den ersten 20 Jahren relativ gering ausfallen und dann gegen Ende der Übergangsfrist auf die oben angegebene Bandbreite ansteigen.

4.3.3

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

Der Nettoeffekt der MTI aus Mehrkosten für Betriebe und dem Umweltnutzen (s. Ziff. 4.3.4) beläuft sich unter Berücksichtigung der «Sowiesoeffekte» auf rund 0,3­1,1 Milliarden pro Jahr (s. Tabelle in Anhang 3). Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Herleitung der Bandbreiten mit grösseren Unsicherheiten verbunden ist. Die Entwicklung der Einflussfaktoren und die «Sowiesokosten» sind über einen Zeitraum von 25 Jahren nur schwer abzuschätzen. Kostensenkende Faktoren wie der technische Fortschritt, der landwirtschaftliche Strukturwandel, das Konsumverhalten oder (umwelt-)politische Massnahmen und die konkrete Umsetzung der Vorlage könnten einen stärkeren Einfluss haben als angenommen, sodass die Kosten nochmals geringer ausfallen könnten als in den angegebenen Bandbreiten.

Auswirkungen auf die Tierhaltungsbetriebe und ihre Beschäftigten Bei den Tierhaltungsbetrieben können die Auswirkungen erheblich sein. Können sie die Mehrkosten und Umsatzeinbussen nicht über höhere Absatzpreise oder höhere Direktzahlungen ausgleichen, sind Betriebsumstellungen oder -erweiterungen notwendig, um die Einkommen zu halten. Dort, wo das nicht gelingt, kann es zu Betriebsschliessungen bzw. -zusammenlegungen kommen. Bei den Geflügelbetrieben beispielsweise sind vor allem die 200 Betriebe gefährdet, deren Tierbestand heute deutlich über dem geplanten Höchstbestand gemäss MTI liegt. Können die Produktionsausfälle wegen der Begrenzung des Tierbestands nicht durch höhere Preise kompensiert werden, führt die MTI zu Umsatzeinbussen, die je nach Reduktion des Bestands hoch sein können. Unter der Annahme, dass jeder der 200 Betriebe ca. drei Mitarbeitende beschäftigt, wären ca. 600 Beschäftigte betroffen.

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Auswirkungen auf die Preise Werden Einnahmeverluste nicht durch neue oder angepasste staatliche Beiträge kompensiert, werden Tierhaltungsbetriebe versuchen, die Mehrkosten über höhere Produzentenpreise auf den Handel zu überwälzen. Inwieweit dies gelingt, ist von der Marktmacht der Produzentinnen und Produzenten bzw. des Handels und der Marktreaktion der Konsumentinnen und Konsumenten abhängig.

Der Handel wird seinerseits versuchen, höhere Produzentenpreise auf die Konsumentinnen und Konsumenten zu überwälzen. Dies ist umso einfacher, je höher deren Bereitschaft ist, höhere Preise für tierische Lebensmittel aus tierfreundlicher Haltung zu bezahlen, und je weniger Alternativen sie haben.

Auswirkungen auf die Konsumentinnen und Konsumenten Die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren vom höheren Tierwohl.

Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gross, dass sie hierfür höhere Preise bezahlen müssen (vgl. oben). Steigende Preise dürften dazu führen, dass die Nachfrage nach inländischen tierischen Lebensmitteln sinkt. Ebenfalls könnte der Einkaufstourismus zunehmen.

Haushalte mit tiefem Einkommen würden von einem allfälligen Preisanstieg gemessen am Haushaltseinkommen stärker betroffen sein als Haushalte mit einem höheren Einkommen, weil bei ihnen Lebensmittel einen grösseren Anteil am Haushaltsbudget ausmachen.

4.3.4

Auswirkungen auf die Umwelt

Die RFA beurteilt die Umweltauswirkungen anhand der Ammoniak-, Methan- und Lachgasemissionen.

Der nach der MTI vorgesehene vermehrte Auslauf von Rindvieh erhöht die Ammoniakemissionen bei heutigem Tierbestand um ca. 1 % (Vergrösserung der verschmutzten Fläche). Werden die Tierbestände wie von der MTI vorgesehen reduziert (max. 20 000 GVE beim Geflügel und max. 45 000 GVE beim Rindvieh), nehmen diese Emissionen jedoch wieder um 3­4 % ab (d. h. -2 bis -3 % netto). Bei Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft von rund 42 500 Tonnen NH3-N36 im Jahr 201537 entspricht dies einer Reduktion von ca. 900­1300 Tonnen NH3-N.

Massgebend für die Lach- und Methangasemissionen ist der Tierbestand. Eine Reduktion des Tierbestands, wie in der MTI vorgesehen, verändert damit auch die Lach- und Methangasemissionen. Sowohl bei den Methanemissionen als auch bei den Lachgasemissionen ist von einem Rückgang der Emissionen auszugehen. Beim Methan wird dieser Rückgang auf 165 000 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr geschätzt, aufgrund der Reduktion des Rindviehbestands. Beim Lachgas beträgt der Rückgang schätzungsweise 95 000 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr (bei einer Reduktion der Lachgasemissionen um rund 5 %).

36 37

NH3-N: Menge Stickstoffemissionen (Anteil N) in Form von Ammoniak (NH 3).

Vgl. RFA.

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Die Auswirkungen auf die CO2-Emissionen werden als gering beurteilt, da diese kaum vom Tierbestand abhängen.

Werden diese Erkenntnisse monetarisiert38, ergibt sich gemäss RFA, dass die MTI die Umweltkosten aufgrund des Rückgangs der Emissionen von Ammoniak, Methan und Lachgas um rund 110­280 Millionen Franken pro Jahr reduziert. Unter Berücksichtigung der «Sowiesoeffekte» (50­75 %, s. Ziff. 4.3.2) resultiert damit ein Umweltnutzen von 30­140 Millionen Franken pro Jahr.

4.3.5

Auswirkungen auf den Natur- und Siedlungsraum

Setzen die Betriebe die Beschränkung der Anzahl Tiere pro Hektar ohne eine Reduktion der Tierbestände um, so müssen sie beim jetzigen Tierbestand ihre Fläche um ca. 19 000 Hektaren erweitern, um die bisherige Produktionsmenge beizubehalten.

Dies entspricht rund 2 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Ob diese Flächen in geeigneter Weise in der Nähe der Betriebe überhaupt zur Verfügung stehen, erscheint wegen der Zielkonflikte mit anderen räumlichen Nutzungsansprüchen (übrige Landwirtschaft, Siedlung, Verkehr, Naturraum etc.) fraglich.

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4.4.1

WTO-Recht

Das Welthandelsrecht (WTO-Recht, insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen vom 30. Oktober 194739 [GATT]) basiert auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung (Meistbegünstigung und Inländerbehandlung). Dieser Grundsatz verlangt, dass die WTO-Mitgliedstaaten ausländische Waren nicht ungünstiger behandeln als gleichartige inländische. Gemäss Initiativtext ist davon auszugehen, dass auch die Importe von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken die Bio-Suisse-Richtlinien 2018 erfüllen müssten (s. Ziff. 4.2.3; zur gegenteiligen Auslegung des Initiativkomitees s. Ziff. 3.3). Eine unterschiedliche Behandlung von Produkten gemäss deren Prozess- und Produktionsmethoden, welche sich nicht in den physischen Eigenschaften des Produktes niederschlagen, stellt jedoch grundsätzlich eine Verletzung des GATT dar. Importbeschränkungen verstossen zudem gegen Artikel XI GATT, der mengenmässige Beschränkungen und Massnahmen ähnlicher Wirkung untersagt.

Artikel XX GATT nennt verschiedene Ausnahmen, welche die Nichteinhaltung der GATT-Vorgaben im Einzelfall zu rechtfertigen vermögen. Als Rechtfertigungsgrund für solche Importbeschränkungen kommt primär Artikel XX Buchstabe a oder b GATT in Betracht, welcher Handelsbeschränkungen zum Schutz der öffentlichen Moral oder zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Personen und Tieren zulässt.

Die Anforderungen an die Rechtfertigung von solchen Massnahmen sind jedoch hoch.

38 39

Kostensätze des deutschen Umweltbundesamts.

SR 0.632.21

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Erstens müsste ein Staat ­ je nach Massnahme ­ nachweisen, dass diese Massnahme tatsächlich erforderlich ist bzw. zum Erreichen des angestrebten Politikziels keine mildere Massnahme möglich wäre. Zweitens geht es vorliegend um Massnahmen in Bereichen, in denen bisher keine international anerkannten Standards bestehen.

Und drittens dürfen Massnahmen zur Durchsetzung solcher Anforderungen an importierte Produkte auch bei Berufung auf die Ausnahmebestimmung weder eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Ländern mit gleichen Bedingungen herbeiführen noch auf eine verschleierte Behinderung des Welthandels hinauslaufen. Insbesondere aufgrund von Artikel 80a Absatz 4 des Initiativtexts dürfte die Schweiz in einem WTO-Streitfall Mühe haben, den Vorwurf des Protektionismus zu entkräften.

4.4.2

Bilaterale Verträge mit der EU

Freihandelsabkommen Landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, welche vom Protokoll Nr. 2 des Abkommens vom 22. Juli 197240 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Freihandelsabkommen, FHA) abgedeckt sind, fallen unter die Bestimmungen des FHA. Artikel 13 FHA verbietet im Warenverkehr zwischen der EU und der Schweiz neue mengenmässige Einfuhrbeschränkungen oder Massnahmen gleicher Wirkung. Zudem dürften solche Massnahmen nicht zu einer willkürlichen Diskriminierung oder einer verschleierten Beschränkung des Handels führen.

Bezüglich der in Artikel 80a Absatz 4 des Initiativtexts vorgesehenen Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken ist unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen (s. Ziff. 4.2.3) fraglich, ob diese Vorschriften mit Artikel 13 FHA vereinbar wären. Zwar steht das FHA gemäss Artikel 20 Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die beispielsweise «aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren oder von Pflanzen» ergriffen werden. Selbst wenn jedoch die zwingende Vorgabe eines gewichtigen öffentlichen Interesses erfüllt werden könnte, müsste zur Rechtfertigung der auf Artikel 80a gestützten Massnahmen aber zusätzlich nachgewiesen werden, dass sie verhältnismässig (d. h. sowohl geeignet als auch erforderlich) sind, um das angestrebte öffentliche Interesse zu erreichen (analog der obenstehenden Ausführungen zu Art. XX GATT).

Agrarabkommen Artikel 80a Absatz 4 des Initiativtexts wäre namentlich auch im Zusammenhang mit dem Abkommen vom 21. Juni 199941 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Agrarabkommen) problematisch. Dieses deckt gewisse Lebensmittel

40 41

SR 0.632.401 SR 0.916.026.81

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und Produktionsmittel ab (u. a. Produkte aus biologischer Landwirtschaft, Futtermittel, Saatgut, tierische Produkte) und garantiert basierend auf der Gleichwertigkeit der Produktestandards den vereinfachten gegenseitigen Marktzugang für diese landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Sollten die spezifischen Einfuhrregeln für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel von den europäischen Vorschriften abweichen, könnten diese Einfuhrregeln mit der im Agrarabkommen festgelegten Gleichwertigkeit in Konflikt stehen. Dies würde dem gegenseitig gewährten erleichterten Marktzugang in den vom Abkommen abgedeckten Produktbereichen zuwiderlaufen.

Gemäss Artikel 14 Absatz 2 des Agrarabkommens sind die Vertragsparteien dazu verpflichtet, sich aller Massnahmen zu enthalten, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens gefährden könnten. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Bilateralen I (einschliesslich Agrarabkommen) untereinander mit der Guillotine-Klausel verbunden sind. Wird eines der Abkommen gekündigt, werden auch die anderen automatisch ausser Kraft gesetzt.

4.4.3

Verträge mit andern Vertragspartnern

Die Schweiz verfügt momentan über 32 Freihandelsabkommen mit 42 Partnern ausserhalb der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation. All diese Freihandelsabkommen beinhalten Marktzugangsverpflichtungen betreffend verarbeitete und nicht verarbeitete Landwirtschaftsprodukte. Ausserdem basieren diese Abkommen auf den relevanten Bestimmungen des WTO-Rechts, weshalb die Ausführungen unter Ziffer 4.4.1 grundsätzlich auch für diese Abkommen zu beachten sind. Insbesondere das Gebot der Inländerbehandlung, welches in die Freihandelsabkommen aufgenommen wurde, ist im Rahmen dieser Initiative von Bedeutung. Auch in diesem Zusammenhang wären Massnahmen, wie sie die Initiative vorschlägt, problematisch. Es bestünde auch bei den verschiedenen Freihandelsabkommen die Gefahr, dass die Schweiz im Rahmen der darin vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren von einem Vertragspartner eingeklagt werden könnte.

5

Schlussfolgerungen

Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Stossrichtung der Volksinitiative ­ der Schutz der Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ­ mit den Zielen übereinstimmt, die auch der Bundesrat beim Tierschutz verfolgt. Dem vorgeschlagenen neuen Verfassungstext kann der Bundesrat aus folgenden Gründen aber nicht zustimmen: ­

Die Tierschutzgesetzgebung verbietet «Massentierhaltung» im Sinne der Initiative schon heute.

­

Die Tierschutzgesetzgebung schützt das Wohlergehen der einzelnen Tiere unabhängig von der Anzahl Tiere. Eine Beschränkung der Grösse der Tierhaltungen bringt somit keine unmittelbare Verbesserung des Tierwohls. Sie hätte aber massgebliche wirtschaftliche Einbussen bei den Landwirtinnen und Landwirten zur Folge. Zudem hat die Schweiz aufgrund der Struktur der

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Landwirtschaftsbetriebe und aufgrund der Gesetzgebung im internationalen Vergleich bereits aktuell sehr kleine Tierbestände.

­

Die geforderten Importregelungen würden zu einer Verletzung der internationalen Handelsverpflichtungen der Schweiz führen (s. Ziff. 4.4).

­

Die Kontrolle der eingeführten Erzeugnisse wäre schwierig und teuer, insbesondere bei zusammengesetzten Lebensmitteln. Ebenfalls würden solche Kontrollen sowohl auf Seiten der Behörden wie auch auf Seiten der Marktakteure einen grossen administrativen Aufwand verursachen.

­

Müssten Einfuhren von Tieren oder tierischen Erzeugnissen von Tieren stammen, die mindestens nach dem Standard der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 gehalten worden sind, hätte dies weitreichende Konsequenzen: Unter der Annahme, dass die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln konstant bleibt, könnten die Preise für einheimische und importierte landwirtschaftliche Lebensmittel tierischer Herkunft steigen, was Anreize schaffen würde, vermehrt direkt im grenznahen Ausland einzukaufen. Die Preiserhöhungen könnten nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten treffen, sondern auch die Betriebe, die in der Schweiz Lebensmittel herstellen oder verarbeiten.

­

Die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten würde eingeschränkt.

­

Die Verankerung privater Richtlinien als Mindeststandard in der Verfassung ist grundsätzlich abzulehnen. Im Einzelnen wäre zudem problematisch, dass diese spezifischen Richtlinien aus dem Jahr 2018 längst überholt wären, wenn sie nach Ablauf der Übergangsfrist von 25 Jahren ihre Wirkung entfalten würden. Schliesslich gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb gerade die Richtlinien von Bio Suisse in die Verfassung aufgenommen werden sollten.

Es gibt noch zahlreiche weitere private und staatliche Bio-Standards.

Gestützt auf diese Ausführungen beantragt der Bundesrat, die MTI abzulehnen und ihr einen direkten Gegenentwurf gegenüberzustellen.

6

Direkter Gegenentwurf

6.1

Wortlaut des direkten Gegenentwurfs

Der direkte Gegenentwurf «Bundesbeschluss über den Schutz und das Wohlergehen der Tiere» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 80 Abs. 1 und 2bis 1

Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz und das Wohlergehen der Tiere.

2bis

Bei Nutztieren muss das Wohlergehen insbesondere sichergestellt werden durch:

a.

tierfreundliche Unterbringung und Pflege;

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b.

regelmässigen Auslauf;

c.

schonende Schlachtung.

6.2

Vernehmlassungsverfahren

Zum Vorentwurf des Gegenentwurfs wurde vom 12. August 2020 bis zum 20. November 2020 eine Vernehmlassung durchgeführt. Insgesamt gingen 110 Stellungnahmen ein.

Die Mehrheit der Kantone (AG, BL, BS, FR, GE, GL, GR, LU, NW, SH, TI, VD, VS, ZH und ZG), die SP und die GLP, die Konsumentenorganisationen sowie zahlreiche NGOs haben sich für den direkten Gegenentwurf ausgesprochen. Sie verlangen jedoch, dass dieser verstärkt wird (z. B. Konkretisierung der Begriffe «tierfreundliche Unterbringung» und «regelmässigen Auslauf», Festlegung von Höchstbeständen).

Weiter sprechen sie sich dafür aus, eine Einfuhrregelung in die Verfassung aufzunehmen. Schliesslich weisen sie auf Zielkonflikte bei der Raumplanung und der Umwelt (Ammoniak, Stickstoff) sowie die Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung der Bauernbetriebe hin. Die GLP regt an, eine Reduktion des Fleischkonsums anzustreben.

Auch BE und JU sind für den Gegenentwurf, aber mit Vorbehalten. Sie befürchten einen geringen volkswirtschaftlichen Nutzen im Verhältnis zu den zu erwartenden Zusatzkosten für den Vollzug (zusätzliche Ressourcen), die Investitionen für neue Bauten und die Beseitigung der Umweltfolgen (Ammoniak- und Stickstoffbelastung der Umwelt). Ebenfalls befürchten sie eine Benachteiligung der Schweizer Bauernbetriebe, weil diese ­ anders als dies bei Importen der Fall ist ­ nach den strengen schweizerischen Vorgaben produzieren müssen.

Die Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte, die für den Vollzug der Tierschutzgesetzgebung im Landesinnern zuständig sind, ist für den direkten Gegenentwurf und gegen die MTI. Sie fordert jedoch die Ergänzung der Verfassungsbestimmung durch die Aspekte «bedarfsgerechte Fütterung», «Pflege und Beschäftigung», «schonende Transportbedingungen» sowie allenfalls eine Importregelung.

Die Konsumentenorganisationen Fédération Romande des Consommateurs und Stiftung für Konsumentenschutz sind für den direkten Gegenentwurf, fordern jedoch dessen Erweiterung (z. B. komplettes RAUS-/BTS-Programm als Mindeststandard, Regelung der Gruppengrössen, Umsetzung von Art. 104a Bst. d BV, Kompensation der Direktzahlungsausfälle sowie gegebenenfalls Deklarationspflicht für Importe, welche die neuen Standards nicht erfüllen).

Sentience Politics (als Vertreterin des Initiativkomitees) und die Grünen
begrüssen die Bestrebungen des Bundesrates, das Tierwohl zu verbessern. Sie betrachten die in Aussicht gestellten Verbesserungen aber als rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen, die wesentlich weniger weit gehen als die Forderungen der MTI. Im Text des Gegenentwurfs fehlten die «Würde der Kreatur» und eine Einfuhrregelung. Zudem sei der Verfassungstext bezüglich des «Wohlergehens» der Tiere zu konkretisieren.

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Sie sprechen sich deshalb für die Annahme der MTI und gegen den direkten Gegenentwurf aus.

Der Schweizer Tierschutz stellt analoge Forderungen wie Sentience Politics und die Grünen, fordert aber zusätzlich, dass ein Weg gefunden werden müsse, um das Direktzahlungssystem für die Tierwohlprogramme fortzusetzen.

Gegen den direkten Gegenentwurf sind eine Minderheit der Kantone (AI, AR, NE, OW, SZ, TG, UR), die bürgerlichen Parteien (CVP, SVP und FDP), der Schweizer Bauernverband, verschiedene weitere Bauernvereinigungen, die Produzentenorganisationen (u. a. Schweizerischer Fleischfachverband, Schweizer Milchproduzenten, Vereinigung Schweizer Futtermittelfabrikanten und Proviande) sowie Handel und Gewerbe (IG Detailhandel Schweiz, Gewerbeverband). Sie argumentieren, die geltenden Bestimmungen seien streng genug. Massentierhaltung sei schon heute verboten. Es brauche keine zusätzlichen Verfassungsbestimmungen. Weiter führen sie an, dass sich Labels heute mit RAUS/BTS profilieren können. Wenn diese Anreizsysteme zum Mindeststandard erklärt würden, bliebe kein Raum mehr für diesbezügliche Tierwohlbeiträge. Zudem bemängeln sie das Fehlen einer Einfuhrregelung. Auch seien die Anforderungen hinsichtlich Auslauf und Stallhaltung in Gebieten, in denen der Raum knapp ist, zu streng. Schliesslich weisen sie darauf hin, dass die Umstellung für die Landwirtinnen und Landwirte mit hohen Kosten verbunden wäre.

Ebenfalls gegen den direkten Gegenentwurf ist der Verband Gastro Suisse. Er befürchtet die Verteuerung des Schweizer Fleischs und die Förderung des Einkaufstourismus.

6.3

Grundzüge der Vorlage

6.3.1

Allgemeines

Der direkte Gegenentwurf schafft die Grundlage, dass die Schweiz ihr verglichen mit anderen Ländern heute schon hohes Tierschutzniveau weiter erhöhen kann. Wird er angenommen, hat der Bundesrat dem Parlament entsprechende Vorschläge zur Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen auf Gesetzesstufe zu unterbreiten.

Diese Vorschläge werden vorgängig einer Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) unterzogen.

Der direkte Gegenentwurf will in der Verfassung den Grundsatz verankern, dass alle Tiere während ihres Lebens tiergerecht gehalten werden. In diesem Zusammenhang sind namentlich für Nutztiere der regelmässige Auslauf und die tierfreundliche Haltung sowie ein rücksichtsvoller Umgang (Pflege) von zentraler Bedeutung. Sind die Tiere zur Schlachtung bestimmt, soll diese schonend erfolgen. Um das zu bekräftigen, soll der Schutz des Wohlergehens für alle Tiere in die Verfassung aufgenommen werden. Dies ermöglicht, beispielsweise auch für die Wildtierhaltung (Zirkus, Zoo, private Haltung von Reptilien und Amphibien) strengere Vorschriften in der Tierschutzgesetzgebung festzulegen. Für die Nutztiere sollen die Elemente «tierfreundliche Unterbringung und Pflege», «regelmässiger Auslauf» sowie «schonende Schlachtung» in der Verfassung verankert werden.

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Auf die in der Initiative vorgesehene Bezugnahme auf die privatrechtlichen BioSuisse-Richtlinien 2018 in der Verfassung soll dagegen verzichtet werden.

Anreizprogramme können wesentlich zur Verbesserung des Tierwohls beitragen. Sie werden denn heute auch schon breit genutzt (s. Ziff. 2.2.2). Aus Tierschutzsicht befriedigen sie jedoch nicht vollständig, weil nur ein Teil der Tiere gemäss diesen tierwohlfreundlichen Programmen gehalten wird. Mit dem direkten Gegenentwurf sollen die Minimalanforderungen in der Nutztierhaltung in den Bereichen Auslauf sowie Unterbringung und Pflege deshalb für alle Nutztiere angehoben werden, was einen entscheidenden Fortschritt zugunsten des Wohls sämtlicher Nutztiere bedeutet.

Das angestrebte Schutzniveau soll erhöht werden, indem Anforderungen der freiwilligen Direktzahlungsprogramme RAUS und BTS weitgehend als Mindeststandard übernommen werden. Im Vordergrund stehen dabei diejenigen Anforderungen, die besonders zum Tierwohl beitragen und deren Kosten für die Landwirtschaft tragbar sind. Darüber hinaus soll den jeweils neusten Erkenntnissen betreffend die Tierhaltung Rechnung getragen werden. Entsprechende Mindeststandards sind fortlaufend auf Gesetzes- bzw. Verordnungsstufe festzulegen.

Der im Zusammenhang mit der Erhöhung der Tierschutzstandards von den Betrieben zu leistende Aufwand für bauliche Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohls soll, wie mit der AP22+ vorgeschlagen, verstärkt mit Investitionshilfen mitfinanziert werden. Zudem ist davon auszugehen, dass der Strukturwandel in den nächsten 25 Jahren zu einer weiteren Reduktion der Betriebe führen wird. Bei gleichbleibendem Direktzahlungsbetrag bedeutet dies, dass für den einzelnen Betrieb mehr Geld zur Verfügung stehen wird. Überdies handelt es sich bei einem Teil der Mehrkosten um Sowiesokosten. Das heisst, diese Investitionen würden während der Übergangsfrist bis zur Umsetzung der strengeren Vorschriften ohnehin anfallen. Hinzu kommt, dass die technologische Entwicklung in den nächsten 25 Jahren dafür sorgen wird, dass effizienter produziert und die Produktionskosten gesenkt werden können. Schliesslich sollen über die neuen Minimalanforderungen hinausgehende besonders tierfreundliche Haltungsformen auch künftig mit (weiterentwickelten) Direktzahlungsprogrammen finanziell unterstützt werden. Aufgrund
der langen Übergangsfrist kann deshalb davon ausgegangen werden, dass sich die Einkommenssituation der Landwirtinnen und Landwirte durch den direkten Gegenentwurf nicht signifikant verändert. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass der direkte Gegenentwurf ohne zusätzliche Kosten für den Bundeshaushalt umgesetzt wird, indem allenfalls Umlagerungen in den bestehenden Instrumenten vorgenommen werden.

Von der MTI aufgenommen werden soll im direkten Gegenentwurf zudem der Aspekt der Schlachtung. Es handelt sich dabei um einen besonders sensiblen und von der Öffentlichkeit abgeschirmten Bereich. Fehlverhalten ist hier oft mit starken Schmerzen, grossem Leiden und erheblicher Angst bei den Tieren verbunden. Daher sollen die Anforderungen an die Schlachtung ebenfalls angehoben werden (s. dazu die Erläuterungen zu Art. 80 Abs. 2bis Bst. c unter Ziff. 6.4).

Um die angestrebten Verbesserungen zu erreichen, soll ­ wie das auch die MTI vorsieht ­ eine massvolle Übergangsfrist gewährt werden. Als «angemessen» betrachtet der Bundesrat in Übereinstimmung mit der MTI eine Übergangsfrist von maximal

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25 Jahren, wenn bauliche Anpassungen erforderlich sind. Die vorgeschlagenen Änderungen werden somit erst die nächste Generation von Landwirtinnen und Landwirten betreffen. Soweit es nicht um bauliche Anpassungen oder Einrichtungen geht, können Übergangsfristen von rund 15 Jahren ausreichen. Diese kürzere Übergangsfrist soll in erster Linie in den Bereichen Pflege und Schlachtung gelten. In welchen Bereichen sie darüber hinaus noch anwendbar sein soll, wird die vertiefte RFA zeigen, die im Fall der Annahme des Gegenentwurfs im Hinblick auf die Botschaft des Bundesrates zur Umsetzung des Gegenentwurfs durchzuführen ist. Am Investitionsschutz gemäss Artikel 8 TSchG soll jedoch nichts geändert werden.

6.3.2

Regulierung der Einfuhr

Von der Aufnahme einer spezifischen Einfuhrregelung in die Verfassung soll abgesehen werden. Die geltenden Artikel 80 Absatz 2 Buchstabe d und 104a BV sowie Artikel 14 Absatz 1 TSchG erlauben es dem Gesetzgeber heute schon, entsprechende Bestimmungen zu erlassen.

Artikel 104a Buchstabe d BV verlangt, dass der Bund zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln Voraussetzungen für grenzüberschreitende Handelsbeziehungen schafft, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Dazu gehört, dass die Schweiz ihren Partnern im Rahmen der Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen die Aufnahme eines bilateralen Dialogs über nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssysteme vorschlagen kann.

In diesem Dialog können auch Fragen im Zusammenhang mit nachhaltigen Produktionsmethoden thematisiert werden.

Artikel 14 Absatz 1 TSchG gibt dem Bundesrat die Kompetenz, aus Gründen des Tierschutzes die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten an Bedingungen zu knüpfen, einzuschränken oder zu verbieten. Diese Bestimmung ermöglicht beispielsweise auch, die Einfuhren tierischer Erzeugnisse, die den neuen strengeren schweizerischen Vorgaben nicht entsprechen, einer Deklarationspflicht zu unterstellen. Zusätzliche Deklarationspflichten können auf die Artikel 13 des Lebensmittelgesetzes vom 20. Juni 201442, Artikel 18 LwG oder Artikel 2 des Konsumenteninformationsgesetzes vom 5. Oktober 199043 abgestützt werden. Einfuhrregelungen können jedoch potenziell mit den internationalen Handelsverpflichtungen der Schweiz im Konflikt stehen. Es ist deshalb stets im Einzelfall abzuklären, ob eine entsprechende Regelung völkerrechtskonform ist. Im Übrigen ist ein Hinweis auf die Produktion nach den besonders strengen schweizerischen Vorgaben heute schon zulässig.

42 43

SR 817.0 SR 944.0

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6.3.3

Regulierung der Gruppengrösse

Das Schweizer Tierschutzrecht schützt das einzelne Tier unabhängig von der Anzahl der in einer Tierhaltung gehaltenen Tiere (Bestandesgrösse). Das heisst, aus tierschutzrechtlicher Sicht (Würde, Wohlergehen der Tiere) besteht kein Bedarf, die Bestandesgrösse zu beschränken. Die Gruppengrösse (d. h. die Anzahl der Tiere in einer Unterkunft oder in einem Gehege) darf schon gemäss geltendem Recht nur so gross sein, dass die Anpassungsfähigkeit der Individuen nicht überfordert wird. Auch bezüglich der Gruppengrösse besteht somit aus Tierschutzsicht kein Bedarf nach einer Verschärfung der Vorschriften. Generell werden die Gesundheit und das Wohlergehen der Nutztiere entscheidend beeinflusst vom Komfort, welchen die Infrastruktur bietet (Liegeflächen, Sichtschutz, Rückzug, Beschäftigung), und vom Management (Futter, Pflege).

Nutztiere sind soziallebende Arten, denen Sozialkontakte mit ihren Artgenossen ermöglicht werden müssen. Sie sollten in Gruppen gehalten werden, in denen sich die Tiere frei bewegen können. Wer Tiere hält, muss dabei das Verhalten der einzelnen Tiere und der Gruppe beobachten, für Ausweich- und Rückzugsmöglichkeiten sorgen und falls notwendig unverträgliche Individuen separieren.

Aus Sicht des Tierschutzes (Schutz der Würde und des Wohlergehens der Tiere) ist es, wie erwähnt, nicht nötig, die Bestandesgrösse von Tierhaltungen zu beschränken.

Eine Regulierung der Bestandesgrösse kann jedoch aus Umweltgründen oder zur Förderung der bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betriebe angezeigt sein. Entsprechend führen heute schon die HBV wie auch die Vorschriften im Umweltschutz- und Raumplanungsrecht zu einer Begrenzung der Bestandesgrössen. Zudem kann die Reduktion der Bestandesgrössen auch mit Anreizen über die Direktzahlungen gefördert werden. Auch die Kreditvergabe für Neubauten kann mit solchen Kriterien verknüpft werden. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Reduktion der Gruppengrösse auch mit Labels ausgelobt werden darf. Dies lassen sowohl das LwG wie auch das Lebensmittelrecht zu.

Eine zusätzliche Regulierung auf Verfassungsstufe ist deshalb nicht nötig.

6.3.4

Regulierung von Umweltaspekten

Artikel 80 BV bezieht sich auf den Tierschutz. Regulierungen, die den Umweltschutz betreffen, lassen sich nicht darauf abstützen. Sie werden namentlich durch die Artikel 73 und 104 BV abgedeckt. Der Erlass von Regulierungen zur Reduktion der Umweltbelastung durch die Tierhaltung erfolgt gegenwärtig in erster Linie über die parlamentarische Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» (s. Ziff. 2.3.4). Die verwaltungsinternen Arbeiten zu deren Umsetzung haben bereits

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begonnen. Der Bundesrat hat in diesem Zusammenhang am 28. April 2021 unter anderem folgende Vorschläge in die Vernehmlassung gegeben:44 ­

Die bisherigen Fehlerbereiche von +10 Prozent bei Stickstoff und Phosphor sollen aufgehoben werden, was faktisch einer Reduktion entspricht.

­

Bei den Produktionssystembeiträgen sollen neu unterstützt werden: ­ der effiziente Stickstoffeinsatz zur Reduktion von Treibhausgas- und Ammoniakemissionen sowie der Stickstoffüberschüsse; ­ die vermehrte Weidehaltung bei den Rindviehkategorien; ­ die längere Nutzung von Kühen im Hinblick auf die Reduktion der Methanemissionen.

Bei positivem Verlauf der Vernehmlassung sollen die entsprechenden Verordnungsbestimmungen auf den 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt werden.

6.4

Erläuterungen zu den einzelnen Absätzen

Der direkte Gegenentwurf des Bundesrates zur MTI ändert den bisherigen Artikel 80 Absatz 1 BV ab und ergänzt Artikel 80 um einen neuen Absatz 2bis. Die heutigen Absätze 2 und 3 bleiben unverändert.

Absatz 1 In der Grundsatzbestimmung von Artikel 80 Absatz 1 soll neu das «Wohlergehen der Tiere» explizit verankert werden. Der Begriff «Tiere» soll nicht nur Wirbeltiere erfassen, sondern auch Kopffüsser (Cephalopoda) und Panzerkrebse (Reptantia), weil davon auszugehen ist, dass auch diese Tiere über Schmerz- oder Leidensfähigkeit verfügen. Wie bisher soll jedoch der Bundesrat bestimmen, in welchem Umfang das Tierschutzrecht auf die wirbellosen Tiere anwendbar sein soll. Zu regeln sind nebst der Nutzung und Haltung solcher Tiere namentlich auch Eingriffe an ihnen.

Der Begriff «Wohlergehen des Tieres» ist heute im Zweckartikel des TSchG genannt und soll nun in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Er umfasst mehr als die Erfüllung der heutigen tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen. Insbesondere muss eine tiergerechte Haltung den Tieren ein möglichst artgemässes Verhalten erlauben. Ihre Anpassungsfähigkeit in Bezug auf das Haltungssystem darf nicht überfordert werden. Zum «Wohlergehen» gehört ebenfalls, dass dem Bewegungsbedürfnis aller Tiere ausreichend Rechnung getragen wird und dass sie über arttypische Beschäftigungsmöglichkeiten verfügen. Die neu vorgeschlagene Verfassungsbestimmung stellt klar, dass dem Wohlergehen aller Tiere künftig mehr Gewicht beigemessen werden soll. Damit soll auch in der Verfassung deutlicher abgebildet werden, dass Tiere rechtlich schon seit 2003 nicht mehr als Sache betrachtet werden. Während sich die MTI nur auf die Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung bezieht, soll das Ziel des Wohlergehens im direkten Gegenentwurf grundsätzlich für alle Tiere gelten. Die Verfassung soll so die Leitplanken für alle künftig bezüglich der Tiere zu erlassenden 44

Dokumente abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Laufende Vernehmlassungen > Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung.

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Vorschriften setzen. Insofern geht der vorgeschlagene direkte Gegenentwurf weiter als die MTI.

Absatz 2bis Dieser Absatz präzisiert, was spezifisch bei Nutztieren unter Wohlergehen zu verstehen ist. Nutztiere sind Tiere von Arten, die direkt oder indirekt zur Produktion von Lebensmitteln oder für eine bestimmte andere Leistung (z. B. Kutschpferde im Tourismus oder Diensthunde gemäss Art. 69 Abs. 2 der Tierschutzverordnung vom 23. April 200845) gehalten werden oder dafür vorgesehen sind. Die Beschränkung auf diese Tierkategorie gründet darauf, dass sich die Nutztiere ihres Verwendungszweckes wegen in einer speziellen Situation befinden. Wirtschaftlichkeit und Tierwohl stehen ­ anders als bei Heimtieren ­ in einem besonderen Spannungsverhältnis. Bei den Heimtieren besteht deshalb gegenwärtig keine dringliche Notwendigkeit, die Tierschutzgesetzgebung anzupassen. Ergibt sich diesbezüglich ein Bedarf, werden entsprechende Massnahmen durch den neu vorgeschlagenen Absatz 1 jedoch abgedeckt.

Die Anforderungen für BTS-Tierwohlbeiträge sind in den Artikeln 72­76 sowie in Anhang 6 DZV festgelegt. Diese sollen weitgehend übernommen werden. Im Vordergrund stehen dabei diejenigen Anforderungen, die besonders zum Tierwohl beitragen und deren Kosten für die Landwirtschaft tragbar sind. Darüber hinaus soll den jeweils neusten Erkenntnissen betreffend die Tierhaltung Rechnung getragen werden. Diese Anforderungen sollen künftig zu Minimalanforderungen werden.

Zu Buchstabe a: Das Kriterium «tierfreundliche Unterbringung und Pflege» bezieht sich einerseits auf die Stall- und die Aussenbereiche und anderseits auf den Umgang mit den Tieren. Die Stall- und die Aussenbereiche sollen so beschaffen sein, dass die zentralen Grundbedürfnisse der Tiere abgedeckt werden können: Nahrungsaufnahme (einschliesslich Futtersuche und Gelegenheit zu sozialen Kontakten als Beschäftigungskomponenten), Ruhen (zentral für die Verdauung, den Stoffwechsel und das Immunsystem) und Bewegung (s. Bst. b). Grundsätzlich soll Einstreu vorhanden sein, wenn auch in unterschiedlicher Menge (s. unten). Neben den räumlichen Verhältnissen kommt auch der ausreichenden Beleuchtung eine grosse Bedeutung zu.

Nicht generell verboten werden soll die Anbindehaltung bei den Rindern. Sie soll zulässig bleiben, wenn die Tiere auch Auslauf haben (Regelung analog
den Bio-SuisseRichtlinien). Bei den Ziegen soll die Anbindehaltung dagegen verboten werden.

Auf Betrieben, die sich bisher nicht an den Tierwohlprogrammen beteiligt haben, sollen bei der Annahme des Gegenentwurfs gegenüber heute namentlich folgende Verbesserungen erreicht werden: Allgemeine Anforderungen für alle Tierkategorien:

45

­

artgerechte Fütterung;

­

mehr Beschäftigungsmaterial;

­

nicht perforierter Liegebereich mit eingestreuten Liegeflächen.

SR 455.1

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Rinder: ­

Freilaufställe mit befestigten Fress- und Tränkebereichen;

­

Rindvieh ab 5 Monaten darf nur in Kombination mit RAUS angebunden gehalten werden;

­

Verbot für Einflächenbuchten mit Vollspaltenböden bei der Munimast;

­

bei Mastrindern Zweiflächenbucht mit eingestreutem Liegebereich oder Liegeboxenlaufstall mit weichen Matten in den Liegeboxen;

­

bessere Versorgung mit Raufutter mit Auswirkungen auf die Anämie-Problematik (weisses Kalbfleisch) bei den Kälbern und Verhaltensstörungen bei Mastrindern.

Schweine: ­

besseres Angebot an Beschäftigungsmaterial beispielsweise zum Spielen, Wühlen und Nagen;

­

bessere Versorgung mit Raufutter mit positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation (Prävention von Schwanzbeissen).

Ziegen: ­

Verbot der Anbindehaltung; Haltung in Gruppen ohne Fixierung.

Kaninchen: ­

Zugang zu einem Bereich mit einer Einstreuschicht, welche den Tieren das Scharren ermöglicht;

­

Angebot von erhöhten Flächen im Gehege;

­

Buchten für Mastkaninchen mindestens 2 m2.

Nutzgeflügel: ­

ganzflächig eingestreuter Stall;

­

täglich Zugang zu einem Aussenklimabereich: ­ Legehennen ab der 24. Lebenswoche, ­ Mastpoulets ab dem 22. Lebenstag;

­

erhöhte Sitzgelegenheiten für Mastgeflügel;

­

Lichtstärke von mindestens 15 Lux im Stall.

Zu Buchstabe b: Tiere haben ein Grundbedürfnis nach freier Bewegung. Dies ist ein wichtiger Aspekt tiergerechter Haltung sowie des Tierwohls und der Tiergesundheit. Regelmässiger Auslauf trägt auch zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten bei und dadurch zur Verminderung des Medikamenteneinsatzes, so namentlich des Einsatzes von Antibiotika. Neu sollen grundsätzlich sämtliche Nutztiere regelmässigen Auslauf haben. In diesem Bereich sollen die heutigen Anforderungen des RAUSProgrammes weitgehend übernommen und zu künftigen Minimalanforderungen wer-

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den. Regelmässiger Auslauf bedeutet täglichen Zugang zu einem Aussenklimabereich, einem Laufhof oder zur Weide. Sofern im Interesse des Tierwohls, soll bei Bedarf eine Beschattung bzw. ein Witterungsschutz auch im Auslauf möglich sein. Je nach Tierart (Geflügel, Kälber und Schweine im Sommer) kann dies sogar erforderlich sein. Die Tiere sollen grundsätzlich Gelegenheit erhalten, sich frei zu bewegen, und ungehindert durch Stricke, Ketten oder dergleichen die Schrittart, die Richtung und die Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung bestimmen können.

Auch beim Auslauf sollen weitere punktuelle Ausnahmen möglich sein, das Tierwohl muss jedoch auch bei diesen stets gewahrt bleiben. So soll es beispielsweise zulässig sein, den Tieren gestaffelt Auslauf zu gewähren, damit auch kleinere Auslaufflächen weiterhin benutzt werden können. Weiter ist das RAUS-Programm (Auslauf auf Weide) bei der Mastgeflügelhaltung nur umsetzbar, wenn entsprechende Weiden in Stallnähe sind, da Geflügel nicht wie Rinder auf eine Weide getrieben werden kann (RAUS-Beteiligung für Mastpoulets aktuell 8 %). Auch müssten für RAUS andere Rassen verwendet werden, weil eine längere Lebensspanne der Tiere gefordert wird.

Für Mastgeflügel soll das RAUS-Programm deshalb nicht verbindlich sein.

In den übrigen Bereichen hätte die Übernahme der RAUS-Anforderungen als Mindeststandard auf «Nicht-RAUS-Betrieben» gegenüber heute u. a. folgende Verbesserungen zur Folge: Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe: ­

Auslauf monatlich an mindestens 26 Tagen im Sommer und 13 Tagen im Winter auf Auslauffläche oder Weide;

­

Mastrinder müssen dauernd Zugang zu einer befestigten Auslauffläche haben.

Schweine: ­

täglich mehrstündiger Zugang ins Freie;

­

Mastschweine mit befestigtem Auslauf: täglich muss ein mehrstündiger Zugang möglich sein;

­

Zuchtsauen muss während der Säugeperiode an mindestens 20 Tagen ein einstündiger Auslauf gewährt werden.

Nutzgeflügel: ­

zusätzlich zum Zugang zu einem Aussenklimabereich täglich während 5 Stunden Zugang zu einer Weide.

Zu Buchstabe c: Als «schonende Schlachtung» soll eine Schlachtung gelten, bei der mit allen möglichen und zumutbaren Mitteln vermieden wird, dass die Tiere Schmerz empfinden, leiden, Schaden nehmen oder Angst haben. Insbesondere stellen der behutsame Umgang mit den Tieren im Schlachtbetrieb, die fachgerechte Betäubung sowie das Entbluten der Tiere hohe Anforderungen an das Personal. Zur schonenden Schlachtung gehört, dass diese durch fachkundige und geübte Personen ausgeführt wird, welche mit der Methode und der betreffenden Tierart vertraut sind. Voraussetzung für eine schonende Schlachtung ist schliesslich auch, dass die verwendeten Betäubungsanlagen und -geräte für diesen Zweck geeignet sind, regelmässig gewartet und überprüft 36 / 46

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werden und dass das Personal, das sie bedient, über die hierfür erforderliche Ausbildung verfügt. Zusätzlich zu den geltenden Vorgaben für das Schlachten von Tieren sollen daher strengere Vorgaben für die Ausbildung des Personals erlassen werden.

Zudem soll das Inverkehrbringen von Betäubungsanlagen und -geräten strenger geregelt und einer Bewilligungspflicht unterstellt werden. Auch die zulässigen Betäubungsmethoden sollen eingeschränkt werden (z. B. CO2).

6.5

Auswirkungen

6.5.1

Personelle und finanzielle Auswirkungen auf den Bund

Der Bundesrat hat mit der Botschaft zur AP22+ unter anderem vorgeschlagen, das Tierwohl und die Nutztiergesundheit gezielter mit Direktzahlungen und Investitionshilfen zu unterstützen. Der direkte Gegenentwurf baut darauf auf und verstärkt mit einer Erhöhung der gesetzlichen Mindestanforderungen mit angemessenen Übergangsbestimmungen den eingeschlagenen Weg. Ein wesentliches Element des direkten Gegenentwurfs besteht darin, dass die Erhöhung des Tierwohls nicht zulasten der inländischen Betriebe erfolgen soll. Die Ergebnisse der Vernehmlassung lassen diesbezüglich auf einen breiten politischen Konsens schliessen.

Der Bundesrat zielt darauf ab, die Mehrkosten und Einkommenseinbussen bei den betroffenen Produzentinnen und Produzenten mit angepassten Direktzahlungen oder Investitionshilfen zu kompensieren. Mit der durchgeführten RFA (s. Ziff. 4.3) wurden auch die Auswirkungen des direkten Gegenentwurfs untersucht. Die RFA kommt zum Schluss, dass beim direkten Gegenentwurf mit Mehrkosten von gesamthaft ca. 260­390 Millionen Franken pro Jahr zu rechnen ist, wenn die Anforderungen kurzfristig erfüllt werden müssten. Bei einer Übergangsfrist von 25 Jahren reduzieren sich die tatsächlichen Mehrkosten. Sie würden nur noch rund 25­40 Millionen Franken pro Jahr betragen (s. die Tabellen in den Anhängen 2 und 3). Geht der Strukturwandel so weiter wie bisher, ist davon auszugehen, dass es in den nächsten 25 Jahren zu einer weiteren Reduktion der Betriebe kommen wird. Bei gleichbleibendem Direktzahlungsbetrag wird für den einzelnen Betrieb somit mehr Geld zur Verfügung stehen. Die jährlichen Direktzahlungen des Bundes betragen heute 2,8 Milliarden Franken. Davon werden rund 280 Millionen Franken spezifisch für das Tierwohl eingesetzt, wovon 200 Millionen auf RAUS und 80 Millionen auf BTS entfallen. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass sich der direkte Gegenentwurf bei entsprechenden Umlagerungen der Direktzahlungen und Finanzhilfen für den Bund kostenneutral umsetzen lässt.

6.5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Behörden kontrollieren die Einhaltung der Tierschutzstandards schon heute regelmässig. Diesbezüglich ist somit nicht mit einem Zusatzaufwand zu rechnen.

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6.5.3

Auswirkungen auf Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt

Wie unter den Ziffern 4.3 und 6.5.1 erwähnt, wurde für die Abschätzung der Auswirkungen sowohl der MTI wie auch des vorliegenden direkten Gegenentwurfs eine RFA durchgeführt. Wird der Gegenentwurf angenommen, werden die konkreten Umsetzungsmassnahmen, die der Bundesrat in der danach auszuarbeitenden Botschaft vorschlagen wird, einer vertieften RFA unterzogen. Die vorliegende RFA gibt eine erste Grobeinschätzung möglicher Auswirkungen des direkten Gegenentwurfs. Mangels Festlegung der konkreten Umsetzungsmassnahmen können jedoch die Auswirkungen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in den Einzelheiten beurteilt werden.

Im Rahmen der RFA wurden folgende Aspekte geprüft: a.

Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns

Die geltende Verfassungsbestimmung zum Tierschutz (Art. 80 BV) stammt aus den 1970er-Jahren. Aspekte wie das Wohlergehen der Tiere, Bewegungsfreiheit und Auslauf waren damals keine zentralen Themen. Bei der Totalrevision der Bundesverfassung 1999 wurde der damalige Artikel 25bis der alten Bundesverfassung zwar redaktionell angepasst, inhaltlich aber nicht verändert. Das geltende Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005 stellte die Würde und das Wohlergehen des Tieres ins Zentrum und verfolgte damit einen weit moderneren Ansatz. Dieser trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Tiere rechtlich seit 2003 nicht mehr als Sache betrachtet werden (s. auch Ziff. 6.4). Mit dem direkten Gegenentwurf zur MTI bietet sich die Gelegenheit, die heutige, inhaltlich auf dem Gedankengut der 1970er-Jahre basierende Verfassungsbestimmung den heutigen gesellschaftlichen Erwartungen an den Umgang mit Tieren anzupassen.

Aus ökonomischer Sicht handelt es sich beim Tierwohl um ein öffentliches Gut. Die tierfreundliche Haltung von Nutztieren entspricht einem Anliegen, das grundsätzlich von der gesamten Gesellschaft gutgeheissen wird. Es besteht jedoch ­ wie bei allen öffentlichen Gütern ­ die Möglichkeit, sich als «Trittbrettfahrer» zu verhalten. Das heisst, man kann vom Tierwohl profitieren, ohne sich an dessen Finanzierung zu beteiligen. Die Folge ist, dass dem Tierwohl zu wenig Rechnung getragen wird und eine Unterversorgung mit dem Gut Tierwohl durch den Markt stattfindet. Aus ökonomischer Sicht liegt beim Tierwohl damit ein Marktversagen vor. Das Ziel der Massnahmen gemäss MTI und Gegenentwurf ist es, diese Situation zu verbessern.

b.

Alternative Handlungsoptionen

Es besteht die Möglichkeit, an der bestehenden Verfassungsbestimmung festzuhalten und das Tierschutzrecht ausschliesslich auf gesetzlicher Ebene weiterzuentwickeln.

Dies hätte allerdings zur Folge, dass sich die Gesetzgebung je länger, je mehr von der heutigen Verfassungsbestimmung entfernt. Zugleich würde die Verfassungsbestimmung immer weniger die gesellschaftlichen Erwartungen widerspiegeln.

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c.

Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen

Konsumentinnen und Konsumenten Die Konsumentinnen und Konsumenten würden über eine noch grössere Auswahl nachhaltig produzierter landwirtschaftlicher Erzeugnisse verfügen. Bei der angestrebten kostenneutralen Umsetzung sollte eine Kostensteigerung bei inländischen Produkten ausbleiben. Die Konsumentinnen und Konsumenten würden diesfalls für dasselbe Geld unter dem Gesichtspunkt des Tierwohls hochwertigere Produkte erhalten.

Produzentinnen und Produzenten Von den Massnahmen des direkten Gegenentwurfs zur MTI sind vor allem die landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetriebe betroffen. Gemäss RFA ist nach Ablauf der Übergangsfrist mit Mehrkosten von gesamthaft ca. 25­40 Millionen Franken pro Jahr zu rechnen.

Diese Mehrkosten würden vor allem bei Tierhaltungsbetrieben anfallen, die sich noch nicht an den Tierwohlprogrammen BTS und RAUS beteiligen. Je nach Tierkategorie sind die Betriebe unterschiedlich betroffen (s. Anhang 1, Stand 2019).

Können die Tierhaltungsbetriebe diese Mehrkosten und Umsatzeinbussen nicht über höhere Direktzahlungen oder höhere Absatzpreise ausgleichen, sind auch beim direkten Gegenentwurf Betriebsumstellungen oder -schliessungen nicht auszuschliessen.

Der Bundesrat strebt jedoch eine für die Produzentinnen und Produzenten kostenneutrale Umsetzung des Gegenentwurfs an (s. Ziff. 6.5.1). Zudem können die Anreizprogramme abgestimmt auf die neuen gesetzlichen Mindestanforderungen weiterentwickelt werden und vielen Betrieben neue unternehmerische Perspektiven bieten.

Importeure Wenn den Produzentinnen und Produzenten keine zusätzlichen Kosten entstehen, sollte eine Kostensteigerung bei inländischen Produkten ausbleiben. Entsprechend sollten sich auch keine weiteren Auswirkungen für die Importeurinnen und Importeure ergeben.

Baufirmen Ein Grossteil der Kosten entfällt auf Investitionen für neue Ställe. Von solchen Investitionen profitiert das Baugewerbe. Zu beachten ist jedoch, dass ein Grossteil der Investitionskosten auf «Sowiesokosten» entfällt. Diese Investitionen sind nicht zusätzlich, sondern fallen im regulären Investitionszyklus an.

d.

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

In den nächsten 25 Jahren ist zu erwarten, dass der Strukturwandel bei der Produktion und Vermarktung von Agrarerzeugnissen sowie hinsichtlich Betriebsgrösse weiter voranschreitet. Bleiben die Bundesmittel für Direktzahlungen auf dem bisherigen Niveau, steigen die Direktzahlungen pro Betrieb. Dies sollte ­ zusammen mit der bis in 25 Jahren fortschreitenden technologischen Entwicklung ­ grundsätzlich ermöglichen, die Preise für inländische landwirtschaftliche Erzeugnisse auf dem heutigen Niveau zu belassen.

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e.

Zweckmässigkeit im Vollzug

Die Herausforderung im Vollzug liegt darin, die Einhaltung der neuen Vorgaben bei den Betrieben zu überprüfen. Im Landesinnern kann hierfür auf bereits bestehende Strukturen zurückgegriffen werden.

f.

Auswirkungen auf die Umwelt

Die heute vorhandenen Daten zeigen, dass ein verbesserter Tierschutz nicht zwingend zu einer stärkeren Belastung der Umwelt führt. Entscheidend ist die konkrete Umsetzung in den einzelnen Tierhaltungen.

Die RFA zeigt, dass sich die Ammoniakemissionen über alle Tierkategorien gegenüber heute nicht signifikant verändern. Beim Gegenentwurf muss, bei gleichbleibendem Tierbestand, mit einer Erhöhung um ca. 2,2 % gerechnet werden.

Bei Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft von rund 42 500 Tonnen NH3-N46 pro Jahr47 entspricht dies beim Gegenentwurf einem Anstieg der Emissionen von 900 Tonnen NH3-N. Falls sich der Tierbestand bis zum Zeitpunkt der Umsetzung des Gegenentwurfs reduziert, würden die Effekte dannzumal geringer ausfallen. Unabhängig davon, ob der Gegenentwurf angenommen wird, ist wichtig, dass inskünftig mit spezifischen Begleitmassnahmen ein Anstieg der Emissionen verhindert und dies durch Monitoring verifiziert wird.

Bezüglich der Lach- und Methangasemissionen ist der Tierbestand massgebend. Der Gegenentwurf hat keine Auswirkungen auf den Tierbestand und somit auch nicht auf die Methan- oder Lachgasemissionen.

Der Gegenentwurf erhöht die Umweltkosten um ca. 40 Millionen Franken pro Jahr.

Unter Einbezug der «Sowiesoeffekte» resultieren Umweltkosten von ca. 5 Millionen Franken pro Jahr.

6.6

Gegenüberstellung von direktem Gegenentwurf und Initiative

Die Gegenüberstellung von direktem Gegenentwurf und MTI ergibt Folgendes: ­

46 47

Sowohl der direkte Gegenentwurf wie auch die MTI streben eine deutliche Verbesserung des Tierwohls an. Diese geht bei der MTI noch weiter als beim Gegenentwurf. Die Kosten zur Umsetzung des Gegenentwurfs betragen im Gegenzug nur einen Bruchteil dessen, was die Umsetzung der MTI verursachen würde. Konkret: Der gesamte Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft beträgt 11,4 Milliarden Franken, allein jener von Lebensmitteln tierischer Herkunft 5,5 Milliarden Franken. Gemäss RFA würde die MTI die Produktionskosten von Lebensmitteln tierischer Herkunft um ca. 5­20 % erhöhen, der Gegenentwurf um ca. 1 %.

NH3-N: Menge Stickstoffemissionen (Anteil N) in Form von Ammoniak (NH 3).

Vgl. RFA.

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­

Ein wesentliches Element des direkten Gegenentwurfs besteht darin, dass die Erhöhung des Tierwohls nicht zulasten der inländischen Betriebe erfolgen soll (s. Ziff. 6.5.1). Angesichts des Strukturwandels hin zu weniger, aber grösseren Betrieben, der technologischen Entwicklung, der bis in 25 Jahren voraussichtlich sinkenden Tierbestände sowie der Möglichkeit, die allfällig anfallenden Mehrkosten der Produzentinnen und Produzenten weitgehend über Anpassungen bei den Investitionshilfen, beim Direktzahlungssystem und durch weitere agrarpolitische Massnahmen aufzufangen, erscheint das Erreichen dieser Vorgabe realistisch. Aufgrund der höheren Kosten der MTI dürften den Produzentinnen und Produzenten bei Annahme der MTI dagegen Mehrkosten entstehen.

­

Entstehen den Produzentinnen und Produzenten keine oder nur geringe Mehrkosten, dürfte der Gegenentwurf nicht oder höchstens geringfügig zu höheren Preisen für Lebensmittel tierischer Herkunft führen. Demgegenüber wäre bei Annahme der MTI mit höheren Preisen für Lebensmittel tierischer Herkunft zu rechnen.

­

Bei den Auswirkungen auf die Umwelt schneidet die Initiative etwas besser ab als der Gegenentwurf. Werden die Tierbestände, wie von der MTI vorgesehen, reduziert, nehmen die Emissionen gegenüber heute um 2 % bis 3 % ab, während sie beim Gegenentwurf um ca. 2,2 % zunehmen. Zudem ist davon auszugehen, dass bei Annahme der MTI die Anzahl Tiere stärker abnehmen wird als beim direkten Gegenentwurf. Somit würden auch die Treibhausgasemissionen (z. B. Methan) stärker abnehmen.

­

Der Erlass von Einfuhrregelungen im Sinne der Initiative hätte zur Folge, dass die Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könnte. Der direkte Gegenentwurf lässt sich demgegenüber unter Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz umsetzen.

­

Die MTI sieht vor, dass nur noch Lebensmittel tierischer Herkunft importiert werden dürfen, die bezüglich der Würde des Tieres nach den Grundsätzen der Bio-Suisse-Richtlinie 2018 produziert wurden (oder zumindest «angemessen äquivalent», vgl. die Ausführungen zu Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zur Initiative unter Ziff. 3.3). Dies zu kontrollieren, wäre insbesondere bei zusammengesetzten Lebensmitteln schwierig und teuer und mit einem grossen administrativen Aufwand verbunden.

­

Die Verankerung des Bio-Suisse-Standards in der Verfassung ist aus mehreren Gründen problematisch: Private Standards gehören nicht in die Verfassung. Darüber hinaus sind die Vorgaben zu detailliert für diese oberste Normstufe. Schliesslich sind die Regeln auch zu statisch und werden im Zeitpunkt ihrer Wirkung nach Ablauf der Übergangsfrist bereits überholt sein.

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6.7

Rechtliche Aspekte

6.7.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 139 Absatz 5 BV kann die Bundesversammlung einer Volksinitiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen. Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung einen direkten Gegenentwurf zur MTI mit dem Antrag, diesem Gegenentwurf zuzustimmen und ihn Volk und Ständen gleichzeitig mit der MTI zu unterbreiten mit der Empfehlung, dem Gegenentwurf zuzustimmen. Sofern die MTI nicht zurückgezogen wird, wird der Gegenentwurf zusammen mit der MTI nach dem Verfahren gemäss Artikel 139b BV Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

6.7.2

Erlassform

Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung den Gegenentwurf zur Volksinitiative nach den Artikeln 97 Absatz 1 Buchstabe a und 101 ParlG in der Form eines Bundesbeschlusses.

6.7.3

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedürfen Bestimmungen, die eine einmalige Ausgabe von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder beider Räte. Auf diese Thematik wird im Fall der Annahme des direkten Gegenentwurfs in der Volksabstimmung in der Botschaft des Bundesrates zu dessen Umsetzung einzutreten sein. Vorgängig werden die konkreten Massnahmen einer vertieften RFA unterzogen werden. Erst danach wird es möglich sein, die genauen Ausgaben abzuschätzen.

6.7.4

Vereinbarkeit des Gegenentwurfs mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Im Gegensatz zur MTI kann der direkte Gegenentwurf im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen umgesetzt werden, da insbesondere auf die in der MTI geforderten Importregelungen verzichtet wird.

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Anhang 1

Statistik der RAUS- und der BTS- Beiträge 2019 In Zahlen Anteil ohne RAUS-Beiträge 2019 Tierart

GVE

Anteil ohne BTS-Beiträge 2019 Betriebe*

Tierart

GVE

Betriebe*

Rinder

148 476

4 899 Rinder

373 529

15 188

Pferde

7 108

2 808 Pferde

24 742

7 999

Ziegen

2 526

2 730 Ziegen

6 302

4 580

4 576

1 919 49 865

2 877

4 933

9 735

214

599

459 585

16 291

Schafe Schweine

77 484

Nutzgeflügel

44 335

Hirsche

337

Bisons

128

Total

284 970

3 070 Schweine 10 070 Nutzgeflügel 73 Kaninchen 7 5 440 Alle Tierarten

In Prozenten Anteil ohne RAUS-Beiträge 2019 Tierart

GVE

Anteil ohne BTS-Beiträge 2019 Betriebe*

Tierart

GVE

Betriebe*

Rinder

16 %

14 % Rinder

41 %

44 %

Pferde

20 %

28 % Pferde

80 %

80 %

Ziegen

21 %

46 % Ziegen

55 %

77 %

Schafe

12 %

26 %

Schweine

49 %

49 % Schweine

32 %

46 %

Nutzgeflügel

58 %

78 % Nutzgeflügel

Hirsche

25 %

29 % Kaninchen

Bisons

35 %

44 %

Total

23 %

14 % Alle Tierarten

7%

76 %

27 %

85 %

39 %

42 %

* Basis: Direktzahlungsberechtigte Betriebe, die über die jeweilige Tierart verfügen.

Quelle: BLW

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Anhang 2

Jährliche Kosten von MTI und Gegenentwurf48 MTI Massnahme

Tierart

Tierfreundliche Unterbringung und Pflege und Zugang ins Freie

Legehennen

Betroffene Betriebe [Anzahl]

Gegenentwurf Kosten* [Mio.

CHF/Jahr]

Betroffene Betriebe [Anzahl]

Kosten* [Mio.

CHF/Jahr]

gering

100

gering

d) 390­580

nicht relevant

­

3 000 2 900

30­50

a)

Mastpoulets Schweine

70­100

Milchkühe

440­660

b) 6 600 c) 17 800

170­250

Rinder

210­310

b) 7 300 c) 11 800

60­90

Total

n.a. 1 100­1 650

Maximale Tierbestände f)

Legehennen

Tierbestand max. 2,5 DGVE pro ha

Alle Tierarten

900

260­390

110 h)

2 400 bzw. 200 900

Total Kosten Sowiesokosten j) Total Kosten (mit Abzug der Sowiesokosten und gegen Ende der Übergangsfrist)

e)

g) 160­250

Mastpoulets

Total

b) c)

n.a.

i)

250

520­610 1 620­2 260

260­390

50 %­75 %

90 %

410­1 130

n.a.

25­40

* Oberer Wert bei Bandbreite: geschätzte Kosten für sofortige Umsetzung. Unterer Wert: geschätzte Kosten abzüglich eines Drittels der Kosten aufgrund von diversen Einflussfaktoren.

n.a. nicht quantifizierbar.

a) Die betroffene Anzahl konnte nicht berechnet werden, sie ist aber grösser als die vom Gegenentwurf betroffene Anzahl Betriebe.

b) Erfüllen bislang die Kriterien des RAUS-Programms nicht.

c) Erfüllen bislang die Kriterien des BTS-Programms nicht.

d) Inklusive Umstellung auf langsamer wachsende Pouletrassen.

e) Die betroffene Anzahl wurde nicht quantifiziert. Eine Summierung der Einzelwerte ist nicht möglich (Überlappungen durch Betriebe, die mehrere Tierarten halten).

f) Geflügelbetriebe eröffnen neue Betriebe, um Tierbestand gleichbleiben zu lassen.

g) Von den 250 Millionen Franken entfallen 160 Millionen Franken auf neue Produktionsmethoden und 90 Millionen Franken auf Zusatzinvestitionen (Angaben zuhanden Aviforum).

48

Die Berechnungen beziehen sich auf die Mehrkosten vor Ablauf der Übergangsfrist von 25 Jahren. Vorher sind die Mehrkosten wesentlich geringer.

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h) Von den 2400 Betrieben sind 200 stark betroffen.

i) Umsatzeinbussen infolge Reduktion des Tierbestands.

j) Als Sowiesokosten gelten Kosten, die sowieso anfallen würden (insbesondere Investitionskosten in einem regulären Investitionszyklus).

Tabelle INFRAS

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Anhang 3

Jährliche Kosten Betriebe und Umweltkosten von MTI und Gegenentwurf49 MTI

Gegenentwurf

Kosten [Mio. CHF/Jahr]

Kosten [Mio. CHF/Jahr]

Total Kosten Betriebe

1 620 bis 2 260

260 bis 390

Total Kosten Umwelt

­110 bis ­280

40

Netto (gerundet)**

1 340 bis 2 150

300 bis 430

Sowiesoeffekte*

50 % bis 75 %

90 %

340 bis 1 080

30 bis 45

Netto** (nach Abzug der Sowiesokosten und gegen Ende der Übergangsfrist)

* Als Sowiesoeffekte gelten Kosten und Nutzen, die sowieso anfallen würden.

** Die Bandbreiten wurden jeweils in einer Minimum-Maximum-Logik hergeleitet. Zum Beispiel 1620 ­ 280 Millionen Franken = 1340 Millionen Franken. Davon 75 % Sowiesokosten abziehen, ergibt 340 Millionen Franken.

Tabelle INFRAS

49

Die Berechnungen beziehen sich auf die Mehrkosten vor Ablauf der Übergangsfrist von 25 Jahren. Vorher sind die Mehrkosten wesentlich geringer.

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