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Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 22. Juni 2021

2021-3276

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Das Wichtigste in Kürze Zur Bewältigung der Coronapandemie reduzierte der Bundesrat im Frühjahr 2020 mit diversen Massnahmen die Anzahl Grenzübertritte. Diese wurden von der Eidgenössischen Zollverwaltung, gemeinsam mit den kantonalen Sicherheitsbehörden umgesetzt. Erstmals seit Bestehen des Schengenraums wurden während mehreren Monaten systematische Grenzkontrollen durchgeführt, was die Behörden vor grosse, operative Herausforderungen stellte.

Die GPK-S untersuchte spezifisch die Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze im Zeitraum vom 13. März 2020 bis zum 15. Juni 2020. Die Inspektion fokussierte darauf, wie die Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) in die Beschlussfassung eingebunden wurde, wie sie die beschlossenen Massnahmen vollzog und welche Entscheide sie zum Vollzug dieser Massnahmen traf. Sie prüfte allerdings nicht die Beschlüsse der Grenzschliessung oder der Beschränkung des Grenzverkehrs als solche.

Die Kommission schildert im vorliegenden Bericht den ihr bekannten Sachverhalt und geht insbesondere auf das Einkaufstourismusverbot sowie die in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Bussen ein. Darauf basierend formuliert sie 5 Empfehlungen aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht. Unter Berücksichtigung ihres Zuständigkeitsbereichs befasste sich die Kommission mit der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der erwähnten Massnahmen. Sie betont dabei, dass es sich um eine nachträgliche Beurteilung von Entscheiden und Massnahmen handelt, die von der Bundesverwaltung innert kürzester Frist und unter einer unsicheren Informationslage getroffen werden mussten. Angesichts dessen und der verhältnismässig wenigen Beanstandungen und Beschwerden haben Zollbehörden und das Personal insgesamt gute Arbeit geleistet.

Krisenorganisation und Einbindung EZV Ein interner Krisenführungsstab (KFS) wurde von der EZV ab dem 3. Februar 2020 eingeführt und damit beauftragt, die Umsetzung potenzieller Grenzmassnahmen zu planen. Dies erleichterte die Umsetzung der späteren Beschlüsse. Eine allfällige Grenzschliessung wurde mit den beteiligten Partnern ab dem 26. Februar 2020 geplant und nach deren Umsetzung stand der KFS in regelmässigem Kontakt mit dem Vorsteher des EFD, dem Direktor der EZV, den Regionen, und den Sozialpartnern.

Zudem war die EZV im Bundesamt Bevölkerungsschutz (BSTB)
vertreten und wurde bei Bedarf über die Beschlüsse des Krisenstabs des Bundesrates Corona (KSBC) informiert.

Rechtmässigkeit des Einkaufstourismusverbots Die EZV reagierte auf das, trotz den Einschränkungen der Grenzübertritte, unerwartet hohe Verkehrsaufkommen ab dem 23. März 2020 mit Bussen basierend auf dem Zollgesetz. Ab dem 2. April 2020 wurden die Wiederhandlungen gegen die Kanalisierungsmassnahmen auf Basis der Covid-19-Verordnung 2 gebüsst und ab dem 17. April 2020 wurden auch die Ordnungsbussen aufgrund des Einkaufstourismus in dieser Verordnung verankert.

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Bezüglich der Rechtmässigkeit der auf das Zollgesetz gestützten Bussen, welche bis am 2. April respektive 17. April 2020 ausgesprochen wurden, herrscht Uneinigkeit in der Bundesverwaltung. Während das Bundesamt für Justiz (BJ) die rechtliche Grundlage als ungenügend erachtet und die Verhältnismässigkeit anzweifelt, ist die EZV, unterstützt vom EFD, von deren Rechtmässigkeit und Notwendigkeit überzeugt. Die GPK-S erachtet es unter rechtlichen Gesichtspunkten als positiv, dass das Einkaufstourismusverbot ab dem 17. April in der Covid-19-Verordnung 2 verankert wurde.

Ohne das Resultat von Gerichtsverfahren vorwegnehmen zu wollen, hält die GPK-S fest, dass bis zum 17. April 2020 keine ausdrückliche ­ und folglich aus ihrer Sicht keine ausreichende ­Rechtsgrundlage bestand.

Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat, sicherzustellen, dass bei Entscheiden, welche einen Eingriff in die Grundrechte von bedeutender Tragweite beinhalten, inskünftig frühzeitig die juristische Kompetenz des BJ genutzt wird. Zudem empfiehlt sie, den Anwendungsbereich des Artikel 127 Absatz 2 des ZG zu klären, da dieser Artikel nur eine allgemeine Strafnorm beinhaltet.

Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der Massnahmen Die GPK-S hält fest, dass die Koordination unter verschiedenen Verwaltungseinheiten nicht ausreichend war. Diese hätte rascher von der EZV als zuständiges Vollzugsorgan initiiert werden müssen, um von Anfang an eine verhältnismässigere Regelung zu finden. Bezüglich des Verhaltens des Zollpersonals erkennt die GPK-S kein grundsätzliches Problem: Im Verhältnis zur grossen Menge von Grenzübertritten und -kontrollen gab es eine relativ kleine Zahl von kritisierten Vorfällen.

Die Kommission hat sich zudem über die Zusammenarbeit der EZV mit den verschiedenen Departementen und Verwaltungseinheiten sowie den Grenzkantonen informiert. Aufgrund der dabei erlangten Erkenntnisse, empfiehlt sie, die praktischen Erfahrungen an der Schweizer Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien zu berücksichtigen. Sie empfiehlt weiter, gemeinsam mit den Grenzkantonen eine Bilanz über die Zusammenarbeit bei den Massnahmen an der Grenze und über den Informationsaustausch in diesem Bereich zu ziehen.

Aus Sicht der GPK-S haben sich die Begleitmassnahmen der EZV als wirksam erwiesen. Allerdings gab es zu Beginn der Krise viele Rückweisungen
an der Grenze. Auch der Informationsfluss zwischen den Verwaltungseinheiten war aus Sicht der Kommission nicht ausreichend. Basierend auf diesen Erkenntnissen empfiehlt die Kommission abschliessend, die interne und externe Kommunikation sowie den internen Informationsfluss zwischen Verwaltungseinheiten bei Beschlüssen und Massnahmen mit grossen Auswirkungen auf die Bevölkerung zu verbessern. Sie erachtet dafür eine verbesserte Koordination der beschlussfassenden und der vollziehenden Organe als notwendig.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung

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Hintergrund der Beschlussfassung

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Sachverhalt 3.1 Rechtsrahmen 3.2 Grenzmassnahmen zur Bekämpfung der Virusverbreitung 3.3 Einsatz der Armee

7 7 8 10

4

Krisenorganisation der EZV

11

5

Einkaufstourismusverbot durch die EZV 5.1 Antrag an den Bundesrat vom 1. April 2020 5.2 Antrag an den Bundesrat vom 16. April 2020 5.3 Verschiedene Arten von Bussen

12 14 15 16

6

Rechtmässigkeit des Einkaufstourismusverbots 6.1 Abweichende rechtliche Einschätzung der Rechtmässigkeit der Bussen 6.1.1 Position des BJ 6.1.2 Position der EZV 6.2 Einschätzung der GPK-S

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7

Zweckmässigkeit der Massnahmen 7.1 Zusammenarbeit der Verwaltungseinheiten 7.1.1 Austausch zwischen EZV, SEM und BJ 7.1.2 Verhältnismässigkeit des Einkaufstourismusverbots 7.1.3 Verhältnismässigkeit der Durchsetzung des Verbots 7.2 Andere Formen der Zusammenarbeit und Koordination 7.3 Zusammenarbeit mit den Kantonen 7.4 Internationale Beziehungen 7.5 Einschätzung der GPK-S

21 21 22 23 23 24 25 25 26

8

Wirksamkeit der Massnahmen 8.1 Beabsichtigte Wirkung der Massnahmen erreicht 8.2 Kommunikation zu den Massnahmen an der Grenze 8.2.1 Interne Kommunikation 8.2.2 Externe Kommunikation 8.3 Einschätzung der GPK-S

27 27 29 29 29 30

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Weiteres Vorgehen

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Abkürzungsverzeichnis

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18 19 20 20

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Bericht 1

Einleitung

Die GPK beschlossen an ihrer Sitzung vom 18. Mai 2020, eine Inspektion über die Massnahmen des Bundesrates und der Bundesverwaltung zur Bewältigung der Coronapandemie einzuleiten. Sie beauftragten ihre Subkommissionen damit, festzulegen, welche Aspekte untersucht werden sollen, und diese dann zu untersuchen. Mit diesem Ansatz wollten die GPK der anhaltenden Dynamik, den Auswirkungen und der thematischen Breite der Pandemie Rechnung tragen.

Nachdem die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) im April 2020 verschiedene Aufsichtseingaben erhalten hatte, begann die Subkommission EFD/ WBF der GPK-S im Auftrag der Gesamtkommission damit, die Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze zu untersuchen.

Im März 2020 hatte der Bundesrat die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) beauftragt, gemeinsam mit den kantonalen Sicherheitsbehörden1 die von ihm beschlossenen Massnahmen an den Landesgrenzen umzusetzen. Die GPK-S prüft in ihrer Inspektion nicht die Beschlüsse der Grenzschliessung oder der Beschränkung des Grenzverkehrs als solche, sondern befasst sich damit, wie die EZV in die Beschlussfassung eingebunden wurde, wie sie die beschlossenen Massnahmen vollzog und welche Entscheide sie zum Vollzug dieser Massnahmen traf. Unter anderem behandelt die Kommission die von der EZV im Frühjahr 2020 verhängten Bussen und deren Rechtmässigkeit. Auch die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit des Vollzugs werden untersucht. Die Untersuchung der Kommission beschränkt sich auf den Zeitraum vom 13. März 2020, dem Tag, an dem Grenzkontrollen für Reisende aus Italien eingeführt wurden, bis zum 15. Juni 2020, als die systematischen Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland, Österreich und Frankreich aufgehoben wurden.

In den ersten Kapiteln (Kap. 2 und 3) werden die Geschehnisse im Frühjahr 2020 und in den folgenden Kapiteln (Kap. 5) das Einkaufstourismusverbot und dessen Zustandekommen sowie am Rande weitere Massnahmen thematisiert. Es folgt die Einschätzung der GPK-S im Hinblick auf die Rechtmässigkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit der ergriffenen Massnahmen und deren Umsetzung (Kap. 6, 7 und 8).

Die GPK-S analysiert in diesem Bericht eine ganze Reihe von Massnahmen, ihr Fokus liegt aber auf dem Einkaufstourismusverbot und ihre wichtigsten Schlussfolgerungen beruhen auf der Analyse dieser Massnahme.
Dem vorliegenden Bericht liegen in erster Linie der Bericht der EZV2 zuhanden der Subkommission EFD/WBF der GPK-S, die schriftlichen Antworten auf Fragen und die Aussagen bei den durchgeführten Anhörungen zugrunde. Die Subkommission 1

2

Beschluss des Bundesrates vom 13.3.2020, Ziffer 6: «Die Kantone, in Zusammenarbeit mit dem EFD, sorgen für die Umsetzung an den Binnen- und Aussengrenzen der Flugplätze und Flughäfen.» Eidgenössische Zollverwaltung. Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze.

Bericht der EZV vom 2.10.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, nicht veröffentlicht (im Folgenden: Bericht der EZV vom 2.10.2020).

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liess sich mehrfach von Vertreterinnen und Vertretern der EZV orientieren und nahm Kenntnis von internen Dokumenten der EZV. Sie informierte sich zudem über den Ablauf der Ereignisse und über die Beschlüsse, die auf den verschiedenen Ebenen der EZV und in Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungseinheiten und Behörden getroffen worden waren. Ihr lagen ausserdem vier Aufsichtseingaben vor. Sie hörte ausserdem Vertreterinnen und Vertreter des Bundesamtes für Justiz (BJ) zur Frage der Recht- und Verhältnismässigkeit der Massnahmen an und nahm Kenntnis von einem Rechtsgutachten3 des BJ zu diesem Thema. Ferner unterhielt sie sich mit dem Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD), d. h. jenes Departements, dem die EZV angegliedert ist. Die GPK-S nahm darüber hinaus Kenntnis von der «After Action Review» (AAR)4 der EZV. Diese Selbstevaluation der EZV behandelt eine Reihe von positiven und negativen Erfahrungen der EZV in der ersten Pandemiewelle.

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Hintergrund der Beschlussfassung

Die Bundesbehörden befanden sich 2020 angesichts der Coronakrise in einer Lage, die in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich war. Noch wenige Wochen vor dem Auftreten des neuen Coronavirus in Europa erachtete die EZV das Szenario einer quasi kompletten Schliessung der Schengengrenzen für äusserst unwahrscheinlich. Seit dem Bestehen des Schengenraums sind in der Schweiz noch nie während mehrerer Monate systematische Grenzkontrollen durchgeführt worden. Die Auswirkungen der Bundesratsbeschlüsse in Sachen Personalbedarf, Verkehrskanalisierung, Landesversorgung und Öffentlichkeitsarbeit stellten die EZV auf operativer Ebene vor noch nie dagewesene Herausforderungen.

Die Beschlüsse mussten teilweise sehr rasch gefasst werden, und dies in einer Situation, in der noch kaum belastbare Informationen zum neuen Coronavirus vorlagen.

Die Konsultationsverfahren waren stark abgekürzt und einige Beschlüsse erfolgten sogar ohne Ämterkonsultation oder nach einem verkürzten Mitberichtsverfahren. Informationen mussten unter grossem Zeitdruck zwischen verschiedenen Hierarchiestufen, Ämtern, Departementen und Behörden ausgetauscht werden. Laut EZV mussten einige Beschlüsse des Bundesrates zudem innert weniger Stunden nach Bekanntgabe von den Vollzugsbehörden umgesetzt werden.

Die krisenbedingte Unsicherheit führte dazu, dass sich die von einer anderen Verwaltungseinheit erhaltenen Informationen bereits wenige Tage später ­ aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Lage ­ als ungenau oder gar falsch erwiesen, weshalb die Verwaltungseinheiten teilweise darauf verzichteten, die Verfahren und Diskussionen zum Krisenmanagement komplett und einheitlich zu dokumentieren.

Bei der EZV wurden Notizen zu internen Sitzungen direkt vor Ort mithilfe eines Programms erstellt und die Kommunikation mit anderen Einheiten erfolgte zumeist per

3

4

Rechtliche Beurteilung zur Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze durch die Eidgenössische Zollverwaltung. Rechtsgutachten des BJ vom 2.10.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S (im Folgenden: Schreiben des BJ vom 2.10.2020).

Covid-19 Einsatzauswertung (AAR) 1. Welle. Bericht der EZV vom 1.2.2021 (unveröffentlicht; im Folgenden: AAR vom 1.2.2021).

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Telefon. Die EZV hat eingeräumt, dass diese Vorgehensweise nicht ideal, aber aufgrund der Krisensituation und der Notwendigkeit rascher Entscheide erforderlich war.

Die GPK-S möchte deshalb betonen, dass dieser Bericht eine nachträgliche ­ sprich mit einem gewissen Abstand zu den Ereignissen erfolgende ­ Bewertung von Entscheiden und Massnahmen ist, die von der Bundesverwaltung innert kürzester Zeit getroffen werden mussten. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den mit Grenzübertritten verbundenen Kontrollen zwar um ein Massengeschäft handelt, sich aber jede einzelne Person, welche kontrolliert, weggewiesen oder gar gebüsst wird, in ihren individuellen Rechten beschnitten fühlt. Angesichts der Hunderttausende von täglichen Grenzübertritten (selbst in der Zeit der Grenzschliessungen im Frühling 2020 waren täglich noch zwischen 200 000 und 400 000 Grenzübertritte zu verzeichnen) stellen die insgesamt 8848 ausgefällten Bussen einen Bruchteil dar. Im Verhältnis dazu sind auch diejenigen Fälle, welche zu Beanstandungen oder gar Beschwerden von Betroffenen führten, zahlenmässig geringfügig. Jedoch darf die relativ geringe Zahl formeller Beschwerden nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich beim Erlass, bei der Kommunikation und bei der Umsetzung von Massnahmen an der Grenze grundsätzliche Fragen stellen, welche eine Vertiefung durch die Aufsichtsinstanzen verbunden mit einigen Empfehlungen rechtfertigen.

Angesichts dessen und der verhältnismässig wenigen Beanstandungen und Beschwerden haben Zollbehörden und das Personal insgesamt gute Arbeit geleistet.

3

Sachverhalt

3.1

Rechtsrahmen

Die EZV vollzieht eine Vielzahl von Rechtsnormen. Zum einen stützt sie sich auf das Zollgesetz (ZG)5, 6 und die dazugehörigen Verordnungen, in denen insbesondere die Überwachung und Kontrolle des Personen- und Warenverkehrs über die Zollgrenze geregelt ist. Die Grenzkontrollen richten sich aber auch nach Erlassen, die nicht zum

5 6

Zollgesetz vom 18.3.2005 (ZG; SR 631.0).

Art. 127 Ordnungswidrigkeiten (ZG; Stand am 15.9.2018) 1 Sofern nicht der Tatbestand einer Zollwiderhandlung erfüllt ist, wird mit Busse bis zu 5000 Franken bestraft, wer vorsätzlich oder grobfahrlässig verstösst: a. gegen eine Vorschrift der Zollgesetzgebung, eines völkerrechtlichen Vertrags oder gegen eine ihrer Ausführungsbestimmungen, soweit ein Erlass die Übertretung dieser Vorschriften für strafbar erklärt; oder b. gegen eine unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn gerichtete Verfügung.

2 Widerhandlungen gegen mündliche Anordnungen des Personals der EZV oder gegen Anordnungen, die durch Signale oder Tafeln getroffen werden, werden mit Busse bis zu 2000 Franken bestraft. Für die Anordnung ist kein Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels erforderlich.

3 Vorbehalten bleibt die Überweisung an ein Strafgericht nach Artikel 285 oder 286 des Strafgesetzbuchs.

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Zollrecht gehören, wie das vom Staatssekretariat für Migration (SEM)konzipierte7 Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG)8.

In der besonderen Lage im Sinne von Artikel 6 des Epidemiengesetzes (EpG)9 kann der Bundesrat an die Bevölkerung gerichtete Massnahmen anordnen. Wenn es eine ausserordentliche Lage im Sinne von Artikel 7 EpG erfordert, kann der Bundesrat die notwendigen Massnahmen für das ganze Land oder einen Teil des Landes anordnen.

In diesen Fällen findet Artikel 41 EpG Anwendung, wonach der Bundesrat Vorschriften über den internationalen Personenverkehr erlässt, um die grenzüberschreitende Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten zu verhindern. Das BAG kann dann gegen Personen, die in die Schweiz einreisen, Überwachungs-, Quarantäne- und Absonderungsmassnahmen ergreifen (Art. 33 bis 38 EpG). Nötigenfalls kann der Bundesrat diese Massnahmen provisorisch auf alle Personen ausdehnen, die aus Risikogebieten einreisen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann, wenn dies nötig ist, um die Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern, zudem Personen, die krank, krankheitsverdächtig, angesteckt oder ansteckungsverdächtig sind oder Krankheitserreger ausscheiden, provisorisch die Ausreise verweigern.

Der Bundesrat kann darüber hinaus auf der Grundlage von Artikel 184 Absatz 3 und Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)10 in Form einer Verordnung weitere dringliche Grenzmassnahmen ergreifen.

3.2

Grenzmassnahmen zur Bekämpfung der Virusverbreitung

Die Bundesbehörden ergriffen eine Reihe von Grenzmassnahmen, um die Verbreitung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu stoppen.

Im Auftrag des Bundesrates richtete die EZV aufgrund der italienischen Dekrete vom 8. und 9. März 202011 ab dem 8. März 2020 ein Monitoringsystem an der Grenze ein. Zur Durchführung dieses Monitorings beschloss die EZV am 11. März 2020, im Tessin den Grenzverkehr aus Italien auf die grossen Grenzübergänge zu kanalisieren.12 7 8 9 10 11

12

Art. 12 Abs. 2 Bst. c der Organisationsverordnung vom 17.11.1999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1).

Bundesgesetz vom 16.12.2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20).

Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101).

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (BV; SR 101) Decreto del Presidente del Consiglio dei ministri del 9 marzo 2020. Ulteriori disposizioni attuative del decreto-legge 23 febbraio 2020, n. 6, recante misure urgenti in materia di contenimento e gestione dell'emergenza epidemiologica da COVID-19, applicabili sull'intero territorio nazionale (20A01558) (GU n.62 del 9-3-2020); Decreto del Presidente del Consiglio dei ministri del 8 marzo 2020. Ulteriori disposizioni attuative del decreto-legge 23 febbraio 2020, n. 6, recante misure urgenti in materia di contenimento e gestione dell'emergenza epidemiologica da COVID-19 (20A01522) (GU Serie Generale n.59 del 08-03-2020).

Kanalisierung des Grenzverkehrs im Tessin auf grössere Grenzübergänge. Medienmitteilung der EZV vom 11.3.2020.

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Die EZV informierte den Bundesrat am 12. März 2020 über ihre Erkenntnisse.

Es zeigte sich, dass trotz des italienischen Reiseverbots und der angeordneten Coronamassnahmen13 auch weiterhin Personen mit Wohnsitz in Italien, die keiner Erwerbstätigkeit in der Schweiz nachgingen, versuchten, in die Schweiz einzureisen.

Bei einem Teil der Einreisenden bestand zudem der Verdacht, dass sie angesichts der sich abzeichnenden Kapazitätsengpässe im italienischen Gesundheitswesen beabsichtigten, auf Gesundheitseinrichtungen im schweizerischen Grenzgebiet auszuweichen, was wiederum Kapazitätsengpässe im ohnehin bereits stark ausgelasteten Tessiner Gesundheitswesen befürchten liess. Der Bundesrat beschloss deshalb am 13. März 2020 auf der Grundlage von Artikel 41 EpG, allen Personen aus Risikoländern oder -gebieten14, die nicht die Voraussetzungen von Artikel 3 der Covid-19-Verordnung 215 erfüllten, die Einreise in die Schweiz zu verweigern. Per 13. März 2021 führte der Bundesrat also in Anwendung von Artikel 25 ff. (namentlich Art. 28) des Schengener Grenzkodex16 sowie von Artikel 30 Absatz 2 der Verordnung über die Einreise und die Visumerteilung17 mit sofortiger Wirkung Kontrollen an den Grenzen zu Italien ein.18 Am 16. März 2020 erklärte der Bundesrat die ausserordentliche Lage im Sinne des Epidemiengesetzes19 und führte an den Grenzen zu allen Nachbarstaaten20 Schengenkontrollen ein. Die Einreise aus den Nachbarländern war ab diesem Zeitpunkt nur noch Schweizer Bürgerinnen und Bürgern, Personen mit einem Aufenthaltstitel für die Schweiz und Personen, die aus beruflichen Gründen in die Schweiz reisten, möglich.21 Weiter erlaubt waren der Transit- und der Warenverkehr.

Der Bundesrat beauftragte das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), genauer gesagt die EZV, die verschiedenen Bestimmungen der Covid-19-Verordnung 2 gemäss Artikel 98 ZG in Zusammenarbeit mit den kantonalen Sicherheitsbehörden an den Grenzen zu vollziehen.22 Er ermächtigte die EZV im Rahmen dieses Auftrags auch dazu, Grenzübergänge zu schliessen, um so den Grenzverkehr zu kanalisieren.23

13 14 15

16

17 18 19

20 21 22 23

Beschluss des Bundesrates vom 12.3.2020.

Am 13.3.2020 zählte hierzu nur Italien.

Verordnung 2 vom 13.3.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 2; [SR 818.101.24] AS 2020 773) (Fassung vom 13.3.2020).

Verordnung (EU) Nr. 2016/399 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9.3.2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen.

Verordnung vom 15.8.2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV; SR 142.204).

Bundesrat verschärft Massnahmen gegen das Coronavirus zum Schutz der Gesundheit und unterstützt betroffene Branchen. Medienmitteilung des Bundesrates vom 13.3.2020.

Coronavirus: Bundesrat erklärt die «ausserordentliche Lage» und verschärft die Massnahmen. Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.3.2020. Kanalisierung des Grenzverkehrs wird auf die ganze Schweiz ausgeweitet. Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.3.2020.

Frankreich, Deutschland und Österreich, da diese Länder am 16.3.2020 ebenfalls auf die Liste der Risikoländer gesetzt wurden.

Art. 3 der Verordnung 2 vom 13.3.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 2; SR 818.101.24; AS 2020 773).

Beschluss des Bundesrates vom 13.3.2020, Ziff. 5, S. 1.

Beschluss des Bundesrates vom 13.3.2020.

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3.3

Einsatz der Armee24

Mit Beschluss vom 6. März 2020 ermächtigte der Bundesrat das VBS, zur Unterstützung der Kantone im Rahmen der Gesundheitsversorgung bis längstens zum 27. März 2020 bis zu 800 Angehörige der Armee im Assistenzdienst einzusetzen. Der Bundesrat erweiterte den Einsatz in der Folge auf bis zu 8000 Armeeangehörige.25 Angesichts der nach wie vor hohen Anzahl Grenzübertritte ersuchte die EZV die Armee Ende März um subsidiäre Unterstützung, um die eigene Einsatzflexibilität und operationelle Durchhaltefähigkeit zu erhöhen. Ab Freitag, 27. März 2020, wurde die EZV von der Armee mit 50 Angehörigen der Militärpolizei und einem Milizbataillon unterstützt.26 Die Armeeangehörigen waren zuvor von den klar definierten Einsatzund Verhaltensregeln sowie ihren Kompetenzen unterrichtet worden. Der Leistungsauftrag an die Armee basierte auf der Verordnung vom 3. September 1997 über den Truppeneinsatz für den Grenzpolizeidienst27 und umfasste unter anderem Sicherungsaufgaben im Bereich des Personenverkehrs und die Unterstützung bei der Verkehrskanalisierung sowie bei der Überwachung von Grenzübergängen und der grünen Grenze. Die Armee hat in diesem Rahmen keine Entscheidbefugnis hinsichtlich des Vollzugs des Zoll-, Asyl- und Ausländerrechts, kann aber das Grenzwachtkorps unterstützen.

Weil mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten wurden und der Einsatz länger als drei Wochen dauerte,28 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Botschaft29, welche dieses in der Sondersession von Mai 2020 annahm.30 In dieser Botschaft erläuterte der Bundesrat die Details des Armeeeinsatzes.31 Nach Ansicht der EZV war ein Rückgriff auf den Zivilschutz ausgeschlossen, da es an der Grenze zu gefährlichen Situationen kommen kann und es deshalb bewaffnetes und entsprechend ausgebildetes Personal braucht.

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Der Armeeeinsatz wurde nur am Rande dieser Untersuchung erwähnt und ist nicht Untersuchungsgegenstand im engeren Sinne, weshalb dieses Thema im Teil zum Sachverhalt behandelt wird.

Coronavirus: Bundesrat erklärt die «ausserordentliche Lage» und verschärft die Massnahmen. Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.3.2020.

Covid-19: Armee unterstützt die Eidgenössische Zollverwaltung. Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.3.2020.

Verordnung vom 3.9.1997 über den Truppeneinsatz für den Grenzpolizeidienst (VGD; SR 513.72).

Der Bundesrat ist gemäss Art. 70 des Bundesgesetzes vom 3.2.1995 über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG; SR 510.10) zuständig für ein Aufgebot von bis zu 2000 Angehörigen der Armee oder von maximal drei Wochen. Werden mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten oder dauert der Einsatz länger als drei Wochen, so muss die Bundesversammlung den Einsatz genehmigen.

Botschaft zum Bundesbeschluss vom 22.4.2020 über den Assistenzdienst der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden im Rahmen der Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie (BBl 2020 3447).

Bundesbeschluss vom 5.5.2020 über den Assistenzdienst der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden im Rahmen der Massnahmen zur Bekämpfung der COVID-19Pandemie (BBl 2020 4669).

Botschaft zum Bundesbeschluss vom 22.4.2020 über den Assistenzdienst der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden im Rahmen der Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, Kap. 2.3.2 (BBl 2020 3447 3453).

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Die Luftwaffe intensivierte ihre Flüge zur Unterstützung der EZV und setzte Hubschrauber der Typen EC-635 und Super Puma mit FLIR-Kamerasystemen ein. Sie unterstützt die EZV auch in normalen Zeiten mit ihren Drohnen und Helikoptern bei der Grenzüberwachung. Die Helikopterflüge dienten im Frühjahr 2020 der Überwachung der geschlossenen Grenzübergänge und der grünen Grenze, der Kontrolle des Grenzverkehrs und der Spaziergängerinnen und Spaziergänger, Velofahrerinnen und Velofahrer, Reiterinnen und Reiter sowie Hundehalterinnen und Hundehalter an den entfernten, nicht überwachten Grenzübergängen. Da zu diesem Zeitpunkt keine Drohnen einsatzbereit waren, wurden ausschliesslich Hubschrauber eingesetzt. Die Flüge wurden situationsabhängig durchgeführt und deckten laut EZV32 zahlreiche Verstösse auf, namentlich Umgehungen von Grenzsperren, und ermöglichten so die Anpassung dieser Sperren.

4

Krisenorganisation der EZV

Die EZV ist der Ansicht, dass sie über klar definierte und funktionale Verfahren zur Situationsanalyse verfügt.33 Bei Bedarf kann sie einen Führungsstab bzw. eine Krisenorganisation bilden. Die EZV stellt dann ein Team von Mitarbeitenden zusammen (Direktionsmitglieder und Fachleute, zentral oder dezentral in den Regionen34), das den Auftrag erhält, die Situation zu koordinieren und zu bewältigen. Aufgrund von konkreten Erfahrungen aus der Vergangenheit (Euro 08, Flüchtlingskrise 2015/16, Terroranschläge im Ausland) und gross angelegten Übungen der letzten Jahre, von denen einige auch das Szenario einer Grenzschliessung umfassten (strategische Führungsübung [SFU], Sicherheitsverbundsübung [SVU] usw.), geht die EZV davon aus, dass sie über solide Erfahrungswerte verfügt. Dennoch braucht es in jeder neuen Situation dynamische und angepasste Massnahmen. Die EZV ist der Auffassung, dass sie in der Lage ist, rasch, flexibel und situativ auf Herausforderungen zu reagieren.

Die Beteiligung der Partner bei der Umsetzung des Dispositivs der EZV (Material des Bundesamtes für Strassen [ASTRA] und Einsatz der Armee) wurde mit den betreffenden Ämtern geplant, sobald das Szenario einer Grenzschliessung als wahrscheinlich eingeschätzt wurde, was am 26. Februar 2020 der Fall war. In der Folge konkretisierte sich dieses Szenario sehr rasch. Die Unterstützung erfolgte nach dem Entscheid des Bundesrates deshalb sehr schnell. In Bezug auf den Einsatz der Armee konnte die EZV auf vorbereitende Arbeiten aus den Jahren 2016/17 zurückgreifen.

Im vorliegenden Fall schuf die EZV ab dem 3. Februar 2020 rasch einen internen Krisenführungsstab (KFS). Dieser wurde beauftragt, die Umsetzung verschiedener potenzieller Grenzmassnahmen zu evaluieren und vorzubereiten. Dies erleichterte die Umsetzung der späteren Beschlüsse des Bundesrates. Der KFS stand in der Folge in ständigem Kontakt mit den Sozialpartnern und den Regionen, um die operativen Massnahmen vor Ort zu koordinieren. Tägliche Telefonkonferenzen mit den Regionen 32 33 34

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 3.

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 1.

Die EZV ist organisatorisch in sechs Regionen untergliedert, die jeweils einem Regionalchef unterstehen, der in seiner Region gleichzeitig das Grenzwachtkorps und den Zoll führt. Neue Regionalstruktur; Medienmitteilung der EZV vom 5.2.2020.

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und allen Direktionsbereichen der EZV sowie wöchentliche Telefonkonferenzen mit den Sozialpartnern (Garanto, Transfair, Personalverband des Bundes, Vereinigung der Kader des Bundes) wurden angesetzt, um Standortbestimmungen in Sachen Personal, Verkehr und Probleme beim Massnahmenvollzug vorzunehmen. Allfällige Gesuche der Regionen um Anpassung der Einsatzbefehle wurden dann in einer wöchentlichen Sitzung oder nötigenfalls in einer dringenden Ad-hoc-Sitzung des KFS besprochen.

Der Direktor der EZV und der Leiter des KFS tauschten sich während mehrerer Wochen dreimal täglich über die Lage aus. Zudem informierte und konsultierte der Direktor der EZV den Vorsteher des EFD im Rahmen eines wöchentlichen Lageberichts.

Die EZV ist gemäss der einschlägigen Verordnung35 im Bundesstab Bevölkerungsschutz (BSTB) vertreten. Sie nahm systematisch an den Sitzungen dieses Gremiums teil. Sie war hingegen nicht im Krisenstab des Bundesrates Corona (KSBC)36 vertreten, wurde bei Bedarf jedoch vom dort vertretenen Generalsekretariat des EFD informiert. Der Direktor der EZV nahm im Übrigen an einer oder zwei KSBC-Sitzungen direkt teil.

5

Einkaufstourismusverbot durch die EZV

Die EZV stellte zwischen dem 16. und dem 18. März 2020 an der nördlichen und der nordöstlichen Grenze der Schweiz eine unerwartete Verkehrszunahme fest. Als Grund dafür wurde vermutet, dass einige Arten von Geschäften in Deutschland geöffnet hatten, die in der Schweiz geschlossen waren. Dies führte zu einem noch höheren Verkehrsaufkommen in dieser Region als vor der Krise und einem massiven Einkaufstourismus (gemäss Schätzungen der EZV Zunahme des Gesamtverkehrs um rund 20 %37).

Dies stand in Widerspruch zu dem, was der Bundesrat mit seinem Beschluss bezweckt hatte, und stellte zudem ein operatives Problem für die mit systematischen Personenkontrollen beauftragte EZV dar, da deren Ressourcen dadurch stark beansprucht wurden. Die EZV stellte ausserdem fest, dass in der ganzen Schweiz Massnahmen zur Verkehrskanalisierung missachtet, Waren an geschlossenen Grenzübergängen eingeführt oder übergeben sowie Strassensperren über Feldwege umgangen wurden.

Die Regionen ersuchten die EZV in Bern an der täglichen Telefonkonferenz vom 18. März 2020 um Massnahmen gegen den massiven Einkaufstourismus und gegen die Missachtung der Verkehrskanalisierung und der geschlossenen Grenzübergänge.

Ein Verbindungsoffizier der EZV zum Staatssekretariat für Migration (SEM) informierte sich am 18. März 2020 telefonisch bei seiner Kontaktperson beim SEM, was die EZV wegen der vielen deutschen Staatsangehörigen, die nach Deutschland reisten, unternehmen solle. Gemäss der EZV war die erhaltene Auskunft,, dass die deutschen Staatsbürgerinnen und -bürger, die über eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz 35 36 37

Verordnung vom 2.3.2018 über den Bundesstab Bevölkerungsschutz (VBSTB; SR 520.17).

Siehe Weisungen vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung (BBl 2019 4593).

Bericht der EZV vom 2.10.2020, S. 5.

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verfügen und sich nur für Einkäufe nach Deutschland begeben, aus Gründen der Gleichbehandlung mit den Schweizer Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern an diesen Reisen gehindert werden müssen.38 Der Direktionsbereich Strafverfolgung der EZV arbeitete ein an die Mitarbeitenden an der Front gerichtetes Dokument39 aus, in dem die Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzungen der Kanalisierungsmassnahmen im Grenzverkehr aufgezeigt wurden. Da Barrieren oder Betonblöcke zur Sperrung von Grenzübergängen in ihren Augen klare Signale im Sinne von Artikel 127 Absatz 2 ZG sind, beschloss die EZV, dass ihre Mitarbeitenden ab dem 23. März 2020 in bestimmten Fällen Personen, die gegen diese Sperrungen verstossen, gemäss dieser Bestimmung mit Bussen in Höhe von 100 Franken belegen dürfen. Artikel 127 Absatz 2 ZG ermächtigt die EZV dazu, «Widerhandlungen gegen mündliche Anordnungen des Personals der EZV oder gegen Anordnungen, die durch Signale oder Tafeln getroffen werden, [...] mit Busse bis zu 2000 Franken» zu bestrafen. In der Bestimmung ist zudem präzisiert, dass für die Anordnung «kein Hinweis auf die Strafdrohung» erforderlich ist.

Parallel dazu wurden am 19. und 20. März 2020 an mehreren Grenzposten Schilder mit dem Hinweis angebracht, dass der Einkaufstourismus verboten ist. Beim Verhalten der Bevölkerung war allerdings keinerlei Veränderung festzustellen. Den Vorsteher des EFD wurde am 20. März 2020 vom Direktor der EZV über die operativen Probleme im Zusammenhang mit dem Einkaufstourismus informiert und befürwortete die von der EZV ergriffenen Massnahmen. Ein weiterer Schritt der EZV war, dass sie Personen mit in Deutschland gekauften Waren an der Einreise in die Schweiz hinderte.40 Die EZV beschloss folglich, sich bei der Verhängung von Bussen auf Artikel 127 Absatz 2 ZG zu stützen, sofern die mündlichen Anordnungen der EZV oder die Anordnungen durch Signale oder Tafeln für die Bevölkerung ausreichend klar waren. Diese Art von Sanktion kann Gegenstand eines Verwaltungsstrafverfahrens41 sein und gehört zu den üblichen Instrumenten der EZV. Der Direktor der EZV präsentierte diese Lösung am 27. März 2020 dem Vorsteher des EFD, der sich damit einverstanden erklärte. Der Departementsvorsteher hat gegenüber der GPK-S erklärt, dass die Rechtmässigkeit dieses Entscheids vom Rechtsdienst des Generalsekretariats des EFD geprüft wurde.42

38

39 40 41 42

Das SEM hat im Rahmen der Verwaltungskonsultation darauf hingewiesen, dass es sich beim fraglichen telefonischen Austausch um eine Einzelauskunft auf Fachebene handelte.

Diese Auskunft habe weder eine konsolidierte Stellungnahme des SEM noch eine offizielle Position der Geschäftsleitung des SEM dargestellt. Konsultationen zu derartigen Geschäften erfolgten üblicherweise in schriftlicher Form. Es sei nicht mehr nachvollziehbar, in welchem Zusammenhang dieses Thema von der EZV und dem SEM erörtert wurde. Festzuhalten sei jedenfalls, dass sich basierend auf diese Auskunft keine auf Artikel 127 ZG zu stützende Bussenpraxis ableiten lasse.

Interne Notiz der EZV vom 20.3.2020: «Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Kanalisierungsmassnahmen betr. dem Grenzverkehr ­ Gültig ab 23.3.2020».

Laut Angaben der EZV wurde beim Zurücklassen der Ware von einer Busse abgesehen.

Bundesgesetz vom 22.3.1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0).

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 10.12.2020, Anhörung des Vorstehers des EFD und der EZV.

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Der EZV zufolge sollte mit dem Einkaufstourismusverbot der Grenzverkehr reduziert werden, um eine Überlastung der EZV zu vermeiden, die vom Bundesrat am 13. März 2020 angeordneten systematischen Kontrollen sicherzustellen sowie die Kontinuität bei der Landesversorgung mit Waren und die Einreise von Grenzgängerinnen und Grenzgängern in prioritären Berufen zu gewährleisten.

5.1

Antrag an den Bundesrat vom 1. April 2020

Die Probleme an der nordöstlichen Grenze und die möglichen Lösungen wurden an der wöchentlichen Sitzung des KFS diskutiert, da die Region Nord beantragt hatte, die gleichen Massnahmen wie die Region Nordost ergreifen zu dürfen. Nach der KFSSitzung vom 24. März 2020 beschloss die EZV, einen Antrag an den Bundesrat zur Konkretisierung der Kompetenzen der EZV an den Grenzen zu entwerfen.43 In der Ämterkonsultation mit dem SEM und dem BJ vom 25. März 2020 wurde über eine Bestimmung zum Verbot des Einkaufstourismus diskutiert. Das BJ sprach sich gegen eine solche aus, da in seinen Augen die Einreise in die Schweiz in der Covid-19Verordnung 2 bereits implizit auf berufliche Zwecke beschränkt und eine ausdrückliche Präzisierung deshalb unnötig war. Die EZV verzichtete deshalb darauf, dem Bundesrat die Aufnahme des Einkaufstourismusverbots in die Covid-19-Verordnung 2 zu beantragen. Das EFD informierte den Bundesrat an der Sitzung vom 1. April 2020 folglich lediglich über die Situation an den Grenzen und über die zahlreichen Verstösse gegen die ergriffenen Massnahmen. Es machte den Bundesrat bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, dass Einkaufstourismus und andere Freizeitaktivitäten in Anbetracht der aussergewöhnlichen Lage ein Problem darstellen und die Frage der privaten grenzüberschreitenden Aktivitäten der Klärung bedarf.44 Aufgrund der Erfahrungen, die in den ersten beiden Wochen beim Vollzug der Massnahmen gemacht worden waren, beantragte das EFD dennoch eine Änderung der Covid-19-Verordnung 245, um einige praktische Probleme zu lösen, welche die Tätigkeit der Mitarbeitenden der EZV erheblich erschwerten.46 Das Departement wünschte aus operativen Gründen, dass sich die Mitarbeitenden der EZV ausdrücklich auf die Verordnung berufen können, wenn sie Personen die Einreise verweigern, obwohl diese eine Grenzgängerbewilligung besitzen.47

43

44 45 46 47

Die EZV wollte ursprünglich einen Antrag für die Bundesratssitzung vom 27.3.2020 vorbereiten, doch angesichts der Komplexität der Angelegenheit wurde mit dem SEM und dem BJ eine weitergehende Ämterkonsultation vereinbart.

Beschluss des Bundesrates vom 1.4.2020 «Konkretisierung der Kompetenzen der EZV an der Grenze» (im Folgenden «Beschluss des Bundesrates vom 1.4.2020»), S. 2.

Verordnung 2 vom 13.3.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 2; SR 818.101.24).

Beschluss des Bundesrates vom 1.4.2020, S. 4.

Beschluss des Bundesrates vom 1.4.2020, S. 5.

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Folglich ergriff der Bundesrat am 1. April 2020 einige Massnahmen48: Zum Beispiel erteilte er der EZV die Befugnis, kleinere untergeordnete Grenzübergänge zu schliessen und die Nutzung der vorrangigen Fahrspuren («Green Lanes49») zu regeln. Ausserdem wurde in der Covid-19-Verordnung 2 präzisiert, dass Personen mit Grenzgängerbewilligung die Grenze nur zu beruflichen Zwecken überqueren dürfen,50 auch wenn dies gemäss BJ51 bereits aus dem ursprünglichen Verordnungstext hervorging.

Zudem wurde die Möglichkeit der EZV in die Verordnung aufgenommen, Ordnungsbussen gegen Personen zu verhängen, welche die in Artikel 4 Absatz 4 der Covid-19Verordnung 2 vorgesehenen Bestimmungen für den grenzüberschreitenden Personenverkehr an den geschlossenen Grenzübergängen verletzen.

Ab dem 2. April 2020 drohte Personen, die gegen die Massnahmen zur Kanalisierung des Grenzverkehrs verstiessen, eine Ordnungsbusse gemäss Covid-19-Verordnung 2 und Personen, welche die Grenze zum Einkaufen oder für Freizeitaktivitäten überquerten, eine Zollbusse gemäss Artikel 127 Absatz 2 ZG wegen Widerhandlung gegen Anordnungen (entweder wegen der Missachtung von verbalen Anordnungen des EZV-Personals oder von Anordnungen auf Schildern). In der Schweiz wohnhafte und im Ausland arbeitende Personen wurden gemäss Anhang zum Einsatzbefehl52 nicht gebüsst, wenn sie mit bei der Rückkehr von der Arbeit getätigten normalen Einkäufen einreisten. Ebenso wurde niemandem, der die Einreisevoraussetzungen gemäss Covid-19-Verordnung 2 erfüllte, die Einreise in die Schweiz verweigert.53

5.2

Antrag an den Bundesrat vom 16. April 2020

Da bei der Auskunftszentrale des SEM sehr viele Anfragen zur Bussenpraxis bei Grenzübertritten zwecks Einkauf und Freizeit eingegangen waren, tauschten sich der Direktor der EZV und der Leiter des SEM am 6. April 2020 per Telefon und E-Mail aus. Das SEM teilte der EZV mit, dass diese Bussen in seinen Augen und nach Ansicht des BJ auf keinen bestehenden Rechtsakt, auch nicht auf das Zollgesetz, gestützt werden können, weshalb eine entsprechende Bestimmung in die Covid-19-Verordnung 2 aufgenommen werden müsse.

Die EZV formulierte deshalb einen Antrag an den Bundesrat und führte am 7. April 2020 eine Vorkonsultation mit dem SEM und dem BJ durch. Die EZV schlug vor, 48

49

50 51 52 53

Eingefügt durch Ziff. I der Verordnung vom 1.4.2020 (Kanalisierung des Grenzverkehrs) (AS 2020 1137). Aufgehoben durch Ziff. I der Verordnung vom 12.6.2020 (Einreise freizügigkeitsberechtigter Personen), in Kraft ab dem 15.6.2020 (AS 2020 2099).

Vorrangige Fahrspuren für wichtige Güter zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Landesversorgung sowie für Personen prioritärer Berufsgruppen, insbesondere für Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind (Art. 4 Abs. 5 der Covid-19-Verordnung 2.

Eingefügt durch Ziff. I der Verordnung vom 1.4.2020 [Kanalisierung des Grenzverkehrs] [AS 2020 1137]).

Siehe Art. 3 Abs. 3 der Covid-19-Verordnung 2. Neuer Wortlaut gemäss Ziff. I der Verordnung vom 18.3.2020, in Kraft ab dem 19.3.2020 (AS 2020 841).

Beschluss des Bundesrates vom 1.4.2020, S. 5.

Beilage Einsatzbefehl Covid-19 des KFS vom 30.3.2020.

Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze durch die Eidgenössische Zollverwaltung. Bericht der EZV vom 2.10.2020 zuhanden der Subkommission EFD/WBF der GPK-S (im Folgenden Bericht der EZV vom 2.10.2020).

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die Verordnung um einen Artikel 3a «Reisebeschränkungen» zu ergänzen, gemäss dem Grenzüberschreitungen zur Ausübung von Freizeitaktivitäten, für Besuche und für Einkäufe in Risikoländern und -regionen untersagt sind. Vorgesehen war auch, dass für Grenzübertritte zur Unterstützung oder Pflege eines bzw. einer nahen Verwandten ein ärztliches Zeugnis vorgelegt werden muss. Die Wareneinfuhr bei einer unberechtigten Grenzquerung oder ausserhalb der zugelassenen Grenzübergänge sollte verboten und die Einfuhr der Waren verweigert bzw. die Zerstörung der Waren veranlasst werden.54 Das BJ riet der EZV, aus Gründen der Verhältnismässigkeit und angesichts der Schwere der Grundrechtsbeschränkung von diesem Antrag abzusehen. Angesichts des politischen Willens des EFD-Vorstehers, dieses Problem zu lösen, fand noch am Karfreitag, 10. April 2020, am Morgen eine Telefonkonferenz der Direktoren statt.

An dieser Konferenz wurde letztlich vereinbart, dass die EZV nur noch das Einkaufstourismusverbot inklusive Sanktionsmöglichkeit per Ordnungsbusse beantragt. Weiter wurde festgehalten, dass nur Reisen gebüsst werden sollen, die ausschliesslich dem Einkaufstourismus dienen, um die von der EZV in der Praxis bereits angewendete Ausnahme für Personen, die nach ihrem Arbeitstag im Ausland mit Einkäufen zurückkehren, beizubehalten. Ausserdem wurde beschlossen, dass die EZV kein Verbot des grenzüberschreitenden Tourismus für andere Aktivitäten wie Velofahren oder Wandern beantragt, da diese Aktivitäten weniger problematisch seien, wirksame Kontrollen an der Grenze nicht im selben Masse behinderten wie der Einkaufstourismus und ihr Verbot Sache der Nachbarstaaten sei.55 Nach einer neuen Vorkonsultation zwischen EZV, SEM und BJ und einer dringlichen offiziellen Ämterkonsultation am Dienstag, 14. April 2020, nahm der Bundesrat den Antrag des EFD an seiner Sitzung vom 16. April 2020 an.56 Reisen, die ausschliesslich dem Einkaufstourismus dienten, waren somit zwischen dem 17. April und dem 15. Juni 2020 gestützt auf die Covid-19-Verordnung 2 verboten und Verstösse konnten mit einer auf 100 Franken reduzierten Ordnungsbusse57 geahndet werden.

5.3

Verschiedene Arten von Bussen

Die EZV stützte sich bis zum 2. April 2020 auf Artikel 127 Absatz 2 ZG, wenn sie Personen wegen Verstössen gegen die Kanalisierungsmassnahmen im Grenzverkehr (v. a. Schliessung von Grenzübergänge) oder gegen das Einkauftourismusverbot büsste. Laut EZV wurde allerdings nicht der Einkaufstourismus als solcher sanktioniert, sondern die Missachtung von verbalen Anordnungen des EZV-Personals oder von auf Schildern signalisierten Anordnungen.

54 55 56 57

Schreiben des BJ vom 2.10.2020, Ziff. 3.3.1, S. 8.

Bericht der EZV vom 2.10.2020, Ziff. 2.4, S. 9.

Änderung der Covid-19-Verordnung 2 vom 16.4.2020 (Einschränkung der Ein- und Ausfuhr von Waren), in Kraft ab dem 17.4.2020 (AS 2020 1245).

Das EFD hatte dem Bundesrat ursprünglich eine Bussenhöhe von 200 Franken vorgeschlagen.

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Diese Bussen nach Zollgesetz wurden auf der Grundlage des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) ausgesprochen, gemäss dem der Strafbescheid mit dem Einverständnis der beschuldigten Person ohne vorherige Aufnahme eines Schlussprotokolls erlassen werden kann (abgekürztes Verfahren). Dieser Strafbescheid wird dann unverzüglich rechtskräftig (Art. 65 Abs. 2 VStrR) und es ist kein Rekurs mehr möglich. Stimmt die beschuldigte Person dem abgekürzten Verfahren nicht zu, dann wird ein ordentliches Zollverfahren oder Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet. Bestätigt sich der Verdacht eines Verstosses, wird mittels Strafbescheid eine Busse verhängt (Art. 64 VStrR). Gegen diesen Strafbescheid kann die beschuldigte Person gemäss Artikel 67 VStrR vor Gericht Einsprache erheben.

Bei den Bussen, die ab dem 2. April 2020 wegen Verstössen gegen die Bestimmungen für den grenzüberschreitenden Personenverkehr verhängt wurden, handelte es sich um Ordnungsbussen auf der Grundlage der Covid-19-Verordnung 2. Diese müssen im Prinzip sofort bezahlt werden und werden mit der Bezahlung rechtskräftig (Art. 11 des Ordnungsbussengesetzes [OBG]58). Dies stellt ein gängiges Verfahren gemäss OBG dar, welches z. . bei Verstössen im Strassenverkehr häufig zur Anwendung kommt. In diesen Fällen ist kein Rekurs möglich. Verstösse gegen das Einkaufstourismusverbot hingegen wurden weiterhin gestützt auf Artikel 127 Absatz 2 ZG gebüsst.

Nach dem Beschluss des Bundesrates vom 16. April 2020 und der Schaffung einer rechtlichen Grundlage in der Covid-19-Verordnung 2 wurden diese Verstösse dann mit Ordnungsbusse gemäss dieser Verordnung geahndet (siehe Kap. 5.2).

Die EZV hat die GPK-S informiert, dass in neun Fällen zu Unrecht Ordnungsbussen wegen eines Verstosses gegen das Einkaufstourismusverbot ausgesprochen wurden.

Diese Bussen wurden ohne Rückerstattung zurückgezogen und in ordentliche Verwaltungsstrafverfahren gemäss Artikel 64 VStrR umgewandelt.59 Vier der neun betroffenen Personen verzichteten auf eine Beurteilung im Rahmen eines Zoll- bzw.

Verwaltungsstrafverfahrens und erklärten sich mit der materiell korrekten, aber formell fehlerhaften Ordnungsbusse einverstanden. Die fünf anderen Fälle werden aktuell in einem ordentlichen Verfahren näher überprüft.60 Laut Angaben der EZV wurden zwischen März und Juni 2020 8850
Bussen verhängt, 2460 davon wegen Einkaufstourismus.61 Von den 2460 Bussen für Verstösse gegen das Einkaufstourismusverbot wurden 1140 gestützt auf Artikel 127 ZG (30.3.­ 16.4.2020) und 1320 gestützt auf die Covid-19-Verordnung 2 (ab 17.4.2020) verhängt. Allerdings handelt es sich hierbei um ungefähre Statistiken.

Die EZV hat die GPK-S zudem informiert, dass einige Bussen annulliert wurden, da die betroffenen Personen beweisen konnten, dass diese Bussen nicht gerechtfertigt waren.62 Dies betraf 17 Ordnungsbussen wegen Verstössen gegen die Massnahmen

58 59 60 61 62

Ordnungsbussengesetz vom 16.3.2016 (OBG; SR 314.1).

Bundesgesetz vom 22.3.1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR, SR 313.0).

Bericht der EZV vom 2.10.2020, Kap. 3.3, S. 13.

E-Mail der EZV vom 21.10.2020 an das GPK-Sekretariat.

Bericht der EZV vom 2.10.2020, Beilage B.

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zur Verkehrskanalisierung. Von den Bussen wegen Verstössen gegen das Einkaufstourismusverbot wurden 45 der im abgekürzten Verfahren63 und 9 der im ordentlichen Verfahren erteilten Bussen annulliert und zurückerstattet.

Sonstige Verstösse (z. B. gegen das Ausländergesetz oder das Strafgesetzbuch) leitete die EZV den zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiter. Sie sind nicht Gegenstand dieses Berichts.

Geltungsdauer

Widerhandlung

Sanktiontypen

Die folgende Tabelle64 enthält eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Bussen, die von der EZV verhängt wurden: Ordnungsbussen gestützt auf COVID-19-Verordnung 2

Bussen für Ordnungswidrigkeiten Gestützt aus Art. 127, Abs. 2, ZG

Übrige Feststellungen (Verdacht auf rechtlich relevantes Verhalten)

gegen Einschränkungen des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs an den Grenzübergängen (Kanalisierungsmassnahmen)

gegen das Einkauf-

gegen Anordnungen der EZV

gegen das Kern- und Nebenstrafrecht (z. B. Strafgesetzbuch, Strassenverkehrsgesetz, Ausländer- und Integrationsgesetz)

2. April­ 15. Juni 2020

17. April­ 15. Juni 2020

bis 17. April 2020

unbefristet, unabhängig von der Coronakrise

stourismusverbot

6

Rechtmässigkeit des Einkaufstourismusverbots

6.1

Abweichende rechtliche Einschätzung der Rechtmässigkeit der Bussen

Die Rechtmässigkeit der Bussen wurde im Laufe des Frühjahrs 2020 in verschiedenen Presseartikeln thematisiert. In der Folge erhielt die GPK-S vier Aufsichtseingaben zu diesem Thema. Sie holte die rechtlichen Einschätzungen des BJ und der EZV ein und ersuchte das BJ, ihr einen Bericht65 zu diesem Thema anzufertigen.

63 64 65

Art. 65 VStrR Anhang B zum Bericht der EZV vom 2.10.2020.

Schreiben des BJ vom 2.10.2020.

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6.1.1

Position des BJ

Aus der Sicht des BJ kann der Einkaufstourismus nicht auf der Grundlage von Artikel 127 Absatz 2 ZG sanktioniert werden.66 Gemäss Artikel 1 des Strafgesetzbuchs darf eine Strafe oder Massnahme nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.67 Dieser Grundsatz gilt auch für das Nebenstrafrecht68, d. h. das Strafrecht ausserhalb des Strafgesetzbuchs. Laut BJ stellt Artikel 127 Absatz 2 ZG keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar, neue materielle Voraussetzungen für den Grenzübertritt festzulegen. Die Voraussetzungen für die Einreise bzw. für das Verbot der Einreise in die Schweiz sind durch das materielle Recht bestimmt und richteten sich zum fraglichen Zeitpunkt nach der Covid-19-Verordnung 2.

Diese enthielt vor dem 17. April 2020 kein strafbewehrtes Verbot des Einkaufstourismus und Artikel 127 Absatz 2 ZG wurde vom BJ nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen.

Das BJ ist hingegen der Auffassung, dass die Covid-19-Verordnung 2 ab dem 17. April 2020 eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Sanktionierung des Einkaufstourismus darstellte, auch wenn für schwere Grundrechtsbeschränkungen normalerweise eine formelle rechtliche Grundlage nötig ist. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Unmittelbarkeit der Gefahr im Sinne von Artikel 36 Absatz 1 BV.

Das BJ äusserte zudem grosse Vorbehalte und erhebliche Zweifel hinsichtlich der Grundrechtskonformität. Es sah in den vorgeschlagenen Reisebeschränkungen einen schweren Eingriff in die verfassungs- und völkerrechtlich garantierten Grundrechte der Bewegungsfreiheit und des Rechts, aus dem eigenen Land auszureisen (Art. 10 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 2 BV; Art. 12 Abs. 1 und 2 des UNO-Pakts II69). Fraglich waren nicht nur die Rechtmässigkeit und die von Artikel 36 BV vorgeschriebene Wahrung des Kerngehalts der Grundrechte, sondern auch die Verhältnismässigkeit der Einschränkungen. Derart einschneidende Massnahmen müssten sich klar in den Kampf gegen die grassierende Epidemie einschreiben, mit dem Ziel, die Volksgesundheit zu schützen. Nur in diesem Fall läge ein hinreichendes öffentliches Interesse im Sinne von Verfassung und Völkerrecht vor (vgl. Art. 36 Abs. 2 BV; Art. 12 Abs. 3 UNO-Pakt II).

Eine Berufung auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit war aus Sicht des BJ nicht möglich, da nicht nachvollziehbar
sei, inwiefern sich mit einem Verbot der Ausreise die Covid-Epidemie effizient bekämpfen liesse. Diese Bestimmung habe ein anderes Ziel, nämlich den guten Ablauf der Verfahren an den Grenzübergängen zu gewährleisten. Zudem seien die gefährdeten Personengruppen nicht spezifisch adressiert worden, was allenfalls im Einklang mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit gestanden hätte.

66 67 68 69

Schreiben des BJ vom 2.10.2020, S. 2.

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937 (StGB, SR 311.0).

Art. 333 Abs. 1 StGB.

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 (UNO-Pakt II, SR 0.103.2).

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6.1.2

Position der EZV

Die EZV, unterstützt vom EFD, ist der Auffassung, dass sie mit dem Einkaufstourismusverbot einen angemessenen Beschluss fasste und die Bussen gemäss Artikel 127 ZG rechtmässig waren. Sie ist sich bewusst, dass ihre Beschlüsse zum Teil erhebliche Beschränkungen der Grundrechte und insbesondere der persönlichen Freiheit einiger Personen in Extremsituationen darstellten, ist aber der Ansicht, dass sie notwendig waren, um die mit den dringlichen Verordnungen des Bundesrates angestrebten Ziele zu erreichen und so den der EZV erteilten Auftrag zum Vollzug dieser Verordnungen zu erfüllen.

In den Augen der EZV gibt ihr das Zollgesetz einen gewissen Handlungsspielraum, um Verstösse gegen mündliche Anordnungen des EZV-Personals oder gegen auf Schildern signalisierte Anordnungen ahnden (Ordnungswidrigkeiten) und so auf Krisen reagieren zu können.70 Allgemein ist die EZV der Meinung, dass alle Entscheide im Rahmen der Bewältigung der Covid-19-Krise transparent auf der Grundlage der verfügbaren Informationen und gestützt auf eine ausreichende Rechtsgrundlage71 sowie unter Berücksichtigung der verfügbaren Zeit, der verfügbaren Ressourcen, der Lage an der Grenze sowie der Stellungnahmen der Partnerämter und des EFD-Vorstehers getroffen wurden.

Laut Angaben der EZV befasste sich ein Bezirksgericht im Rahmen eines Verfahrens mit einer solchen Busse und bestätigte indirekt das Vorgehen der EZV.

6.2

Einschätzung der GPK-S

Die EZV ergriff im Frühjahr 2020 angesichts einer sich rasch verändernden Situation und in Anbetracht von Verstössen gegen die Beschlüsse des Bundesrates eine Reihe von Massnahmen, darunter das Einkaufstourismusverbot.

Die GPK-S erachtet es als positiv, dass das Einkaufstourismusverbot in der Covid-19Verordnung 2 verankert wurde und so ­ ab dem 17. April 2020 ­ eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Sanktionierung des Einkaufstourismus bestand. In ihren Augen bestehen an der Rechtmässigkeit der Bussen, die ab dem 17. April 2020 ausgesprochen wurden, keine Zweifel. Etwas skeptischer zeigt sie sich, was den Zeitraum von Ende März bis zum 16. April 2020 angeht.

Die Rechtmässigkeit der Bussen kann Gegenstand einer Einsprache im Rahmen eines ordentlichen Zoll- oder Verwaltungsstrafverfahrens sein.72 Ohne allfällige Gerichtsentscheide vorwegnehmen zu wollen, hält die GPK-S fest, dass bis zum 17. April 2020 keine ausdrückliche ­ und folglich keine ausreichende ­Rechtsgrundlage bestand.

70 71

72

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 10.12.2020, Anhörung des Vorstehers des EFD und der EZV.

Siehe auch Stellungnahme des Bundesrates zur Interpellation Dandrès «Eingeschränkter Grenzübertritt im Rahmen der Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie» vom 19.6.2020 (20.3884).

Siehe Art. 64 und 67 VStrR.

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Die Kommission verweist darauf, dass das Einkaufstourismusverbot, als es noch nicht in der Covid-19-Verordnung 2 verankert war, in der Bundesverwaltung sehr umstritten war (siehe Kap. 5.2). Sie ist der Ansicht, dass der Anwendungsbereich von Artikel 127 Absatz 2 ZG für die Zukunft geklärt werden sollte.

Das Bundesstrafgericht äusserte sich am Rande seines Entscheids SK.2020.43 vom 5. November 2020 ebenfalls zur Rechtmässigkeit der Bussen und kam zum Schluss, dass für die Strafbarkeit des Einkaufstourismus eine Rechtsgrundlage fehlt und die entsprechenden Bussen deshalb gegen das Rechtmässigkeitsprinzip im Strafrecht verstossen (Art. 1 StGB). Diese Einschätzung ist formell allerdings nicht Teil des Urteils (obiter dictum).

Die EZV hat gegenüber der GPK-S erklärt, dass sie sich angesichts der Kontroversen nicht mehr auf das Zollgesetz stützen wird, um ein solches Verbot zu sanktionieren, sollte es noch einmal zu einer ähnlichen Situation kommen.73 Die GPK-S begrüsst diese Haltung der EZV. Auch in ausserordentlichen Lagen ist dem Grundrechtsschutz gebührend Rechnung zu tragen.

Empfehlung 1

Konsultation des Bundesamtes für Justiz (BJ) bei Entscheiden von bedeutender Tragweite betreffend die Anwendung von grundrechtsbeschränkendem Recht

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass die zuständigen Verwaltungseinheiten bei Entscheiden betreffend die Anwendung von grundrechtsbeschränkendem Recht oder bei Fragen zu Grundrechtsbeschränkungen von bedeutender Tragweite frühzeitig die juristischen Kompetenzen des BJ nutzen. Der Bundesrat bzw. die zuständigen Verwaltungseinheiten haben alle Abklärungen vorzunehmen, die nötig sind, um die Rechtmässigkeit der ergriffenen Massnahmen sicherzustellen, insbesondere dann, wenn es sich um Grundrechtsbeschränkungen handelt.

Empfehlung 2

Klärung des Anwendungsbereichs von Artikel 127 Absatz 2 des Zollgesetzes (ZG)

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, den Anwendungsbereich von Artikel 127 Absatz 2 ZG zu klären.

7

Zweckmässigkeit der Massnahmen

7.1

Zusammenarbeit der Verwaltungseinheiten

Die EZV ist ein Vollzugsorgan, das neben dem Zollrecht auch weitere Rechtserlasse vollzieht. Die Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Krise gingen zumeist auf

73

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 10.12.2020, Anhörung des Vorstehers des EFD und der EZV, S. 6.

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Beschlüsse des EDI (BAG) und des EJPD (SEM) zurück. Die EZV setzt beispielsweise das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) an den Grenzen um, während das SEM dafür zuständig ist, die Voraussetzungen für den Grenzübertritt und für die Einwanderung festzulegen.

Die jeweils zuständigen Fachämter sind selbst verantwortlich für die Erfüllung ihrer Aufgaben und dementsprechend für die Sicherstellung der Rechtmässigkeit ihrer Massnahmen. Es liegt in ihrer Verantwortung, nötigenfalls ein Querschnittsamt wie das BJ einzubeziehen. Dieses ist zuständig für die präventive Rechtskontrolle und wirkt auf die Rechtmässigkeit von Erlassen, Beschlüssen und Entscheiden der Bundesbehörden hin.74 Das BJ wird dementsprechend bei der Ausarbeitung von Erlassen beigezogen und nicht bei Fragen der praktischen Umsetzung von Erlassen. Nur ausnahmsweise nimmt es auf Anfrage anderer Ämter Stellung zu Anwendungsfragen, nämlich dann, wenn damit rechtliche Grundsatzfragen verbunden sind. Aber auch dann wird das BJ nur in generell-abstrakter Weise einbezogen.75

7.1.1

Austausch zwischen EZV, SEM und BJ

Die Beschlüsse des Bundesrates vom 1. April 2020 und vom 16. April 2020 wurden auf Antrag des EFD (EZV) gefasst und sollten Probleme beim Massnahmenvollzugbeheben. Bevor dem Bundesrat Antrag gestellt wurde, fanden vorbereitende Arbeiten und Diskussionen statt, namentlich wurde eine kurze Ämterkonsultation gemäss Artikel 4 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung76 durchgeführt. Der Antrag, den Einkaufstourismus zu verbieten, wurde nach intensiven Diskussionen von EZV, BJ und SEM vom Bundesrat am 16. April 2020 behandelt. Und auch bei der Vorbereitung des Antrags an den Bundesrat vom 1. April 2020 wurde diese Frage thematisiert (siehe Kap. 5.1). Nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Verbot des Einkaufstourismus in die Covid-19-Verordnung 2 aufzunehmen, einigten sie die verschiedenen Einheiten letztlich auf eine Kompromisslösung, welche der Bundesrat dann am 16. April 202077 verabschiedete. Die entsprechende Bestimmung hatte folgenden Wortlaut: «Die Einfuhr von Waren über einen terrestrischen Grenzübergang aus einem Nachbarstaat, der ein Risikoland ist, ist verboten, wenn diese im Rahmen einer Reise erworben worden sind, die ausschliesslich dem Einkaufstourismus gedient hat.»

74 75 76 77

Art. 6 Abs. 2 der Organisationsverordnung vom 17.11.1999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1).

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 12.10.2020, Anhörung BJ.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (RVOV; SR 172.010.1).

Änderung der Covid-19-Verordnung 2 vom 16.4.2020 (Einschränkung der Einund Ausfuhr von Waren), in Kraft ab dem 17.4.2020 (AS 2020 1245).

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7.1.2

Verhältnismässigkeit des Einkaufstourismusverbots

Die Kompromisslösung, die letztlich gefunden wurde, wurde von der EZV, dem SEM und dem BJ als weniger problematisch betrachtet, weil die Freizeitaktivitäten, die wirksame Kontrollen an der Grenze nicht im selben Masse behinderten wie der Einkaufstourismus und deren Verbot zudem als Sache der Nachbarstaaten angesehen wurde, ausgenommen waren.

Es stellt sich die Frage, ob die verhältnismässigere Lösung, die dem Bundesrat am 16. April 2020 beantragt wurde (ohne Verbot grenzüberschreitender Freizeitaktivitäten wie Velofahren oder Jogging), nicht bereits für den Zeitraum vor dem 17. April 2020 hätte gefunden werden können, wenn sich die Ämter früher ausgetauscht hätten.

Es muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass die geschlossenen Grenzposten und die grüne Grenze laut EZV mit der Unterstützung durch die Armee ab dem 30. März 2020 besser überwacht werden konnten als in den ersten Wochen, was auch die Problematik der Freizeitaktivitäten relativierte.78 Der Nutzen des Verbots der Freizeitaktivitäten nahm deshalb im April ab.

Die GPK-S hält allerdings fest, dass diese Koordination nicht ausreichend war, umso mehr, als die geplanten Massnahmen Grundrechtsbeschränkungen vorsahen. Diese Koordination hätte von der EZV als zuständigem Vollzugsorgan initiiert werden müssen. Zudem wäre es in diesem Fall auch angemessen gewesen, wenn die EZV das BJ früher einbezogen hätte. Die Kommission ist sich bewusst, dass die Massnahmen sehr rasch ergriffen werden mussten, ist aber der Ansicht, dass es dennoch einer Koordination auf Amtsdirektorenebene bedurft hätte. Die GPK-S ist im Übrigen erstaunt darüber, dass die Möglichkeit, Verstösse gegen Grenzmassnahmen zu ahnden, nicht bereits früher, im Rahmen der Planung zur Bewältigung von Pandemien, geprüft wurde.79

7.1.3

Verhältnismässigkeit der Durchsetzung des Verbots

Vereinzelt wurde in Aufsichtseingaben das nach Ansicht der Betroffenen zu harte, nicht gebotene Verhalten des Zollpersonals kritisiert. Dazu befragt, streitet die Führung der EZV nicht ab, dass es in einigen Einzelfällen zu Fehlern gekommen ist, was bei der hohen Anzahl von Fällen unvermeidlich sei. Gemäss Erfahrung der EZV sind aber wirkliche Machtmissbräuche selten bis gar nie vorgekommen.80 Die EZV meinte zum Umgang mit Vorfällen, dass mit den Betroffenen eine Lösung gesucht wird, was meistens gelingt. Ansonsten werde der betroffene Mitarbeitende zu einer Stellungnahme aufgefordert. Anschliessend folge der Entscheid, wie weiter zu verfahren sei: 78 79

80

Bericht der EZV vom 2.10.2020, Kap. 2.4, S. 9.

Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018. Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung auf eine Influenza-Pandemie, BAG, www.bag.admin.ch > Publikationen > Broschüren und Poster > Publikationen zu übertragbaren Krankheiten > Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018.

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 10.12.2020, Anhörung des Vorstehers des EFD und der EZV.

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ad acta legen, Entschuldigung gegenüber dem Betroffenen, formelle Verfahren (Disziplinarverfahren, Strafanzeige).

Die GPK-S hält fest, dass im Verhältnis zur Gesamtmenge der Kontrollen und Zollabfertigungen lediglich bei einer äussert kleinen Zahl von Vorfällen Kritik am Verhalten des Zollpersonals geübt wurde. Ein systematisches Problem ist deshalb nicht zu erkennen, weshalb sich keine weiteren Untersuchungen aufdrängen. Die EZV räumt ein, dass es in Einzelfällen zu Fehlern kommen konnte. Sie verfüge aber über interne Prozesse für den Umgang mit solchen Fehlern.

7.2

Andere Formen der Zusammenarbeit und Koordination

Von Beginn der Krise an setzte die EZV die Hygiene- und Verhaltensregeln des BAG um. Die EZV verfasste in Zusammenarbeit mit dem BAG Schutzkonzepte und aktualisierte diese regelmässig. Diese sahen unter anderem das Tragen von Masken bei den verschiedenen Einsätzen und Kontrollen vor. Lange Zeit galt die Regel, dass Masken nur bei Kontakten getragen werden müssen, bei denen der Abstand von 2 Metern über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten unterschritten wird. Verkehrskontrollen wurden z. B. ohne Maske und lediglich mit Abstand zum kontrollierten Fahrzeughalter bzw. zur kontrollierten Fahrzeughalterin durchgeführt. Für die EZV als Bundesorgan stellte die Einhaltung der Gesundheitsbestimmungen eine grosse Herausforderung dar, da die Vorgaben des BAG (z. B. Maskenpflicht) und der Kantone teilweise voneinander abwichen. Da sich manche Regeln des Bundes von den kantonalen Vorgaben unterschieden, kam es dazu, dass einige kantonale Polizeikorps Masken tragen mussten und die Mitarbeitenden der EZV nicht, was der Bevölkerung schwierig zu vermitteln war. Die EZV wies im BSTB mehrfach auf dieses Problem hin.

Bei der Umsetzung der Beschränkungen des Grenzverkehrs arbeitete die EZV eng mit den verschiedenen Departementen und Verwaltungseinheiten zusammen. Unterstützt wurde die EZV von der Armee, aber auch vom ASTRA, welches Material, insbesondere Metallverbauungen für Strassensperren, zur Verfügung stellte. Die Zusammenarbeit mit diesen Partnern wurde aufgegleist, sobald die EZV das Szenario einer Grenzschliessung als wahrscheinlich erachtete.81 Diese Unterstützung erfolgte deshalb sehr rasch, als der Bundesrat den entsprechenden Beschluss gefasst hatte.

Der bilaterale Austausch mit anderen Bundesämtern (SEM, BAG, ASTRA, Armee usw.) erfolgte punktuell und nach Bedarf. Die EZV ist der Ansicht, dass die Zusammenarbeit im Wesentlichen gut funktionierte.82 Sie räumt aber ein, dass diesen Kontakten in Zukunft zu einem früheren Zeitpunkt mehr Beachtung geschenkt werden muss und von Krisenbeginn an ein regelmässiger Austausch vorzusehen ist. So hätten z. B. die Informationszentralen des BAG, des SEM, der EZV und allenfalls weiterer Ämter gemeinsam betrieben werden können.

81 82

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 2.

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 4.

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7.3

Zusammenarbeit mit den Kantonen

Die EZV stand in regelmässigem Kontakt mit den Kantonsbehörden, entweder wegen ortsspezifischer Probleme oder wegen eines allgemeinen Austauschs. Laut EZV83 war die Intensität und der Inhalt dieses Austauschs von Kanton zu Kanton verschieden. So nahmen einige Kantone nicht aufgrund der Bundesbeschlüsse, sondern aufgrund der Beschlüsse der ausländischen Behörden Kontakt mit der EZV auf. Zur Grenzschliessung konnten die Grenzkantone angesichts der Kurzfristigkeit der Beschlussfassung jedoch nicht konsultiert werden. Aufgrund des Kontrollauftrags der EZV und der zur Verfügung stehenden Ressourcen war es nicht immer möglich, die Grenzkantone optimal einzubeziehen. Laut EZV wäre eine engere Koordination mit den Kantonen in diesem Zeitraum unmöglich gewesen.

Die Zusammenarbeit mit den kantonalen Polizeikorps ist laut EZV84 auch in normalen Zeiten sehr intensiv, doch durch das gemeinsame Management der Covid-19-Krise war sie in einigen Regionen, in denen die Kantonspolizei Grenzübergänge bewachte, Kontrollen durchführte und die Schliessung von Grenzposten umsetzte (Genf, Jura, Tessin), noch enger.

Die EZV war in den kantonalen Krisenmanagementorganisationen, einschliesslich Führungsstab Polizei (FSTP), vertreten. Dies hat es laut EZV ermöglicht, die Bedürfnisse der Kantone sowie diejenigen der EZV direkt auf regionaler Ebene abzusprechen und ein optimal angepasstes Dispositiv zu errichten.

7.4

Internationale Beziehungen

Die Gesundheitsmassnahmen an der Grenze fallen in den Zuständigkeitsbereich der Gesundheitsministerien der jeweiligen Länder und diese koordinierten sich im Laufe des Frühjahrs 2020 auf Ministerebene.85 Die Vorsteherin des EJPD teilte in einer Anhörung durch eine andere GPKSubkommission mit, dass in Bezug auf die Grenzschliessungen Absprachen mit den anderen Ländern, namentlich den Nachbarländern, erfolgten, sobald dies möglich war.86 Dabei stand die Gegenseitigkeit der Massnahmen im Vordergrund, namentlich im Schengenraum.

Laut EZV wurden die Grenzschliessungen nicht international koordiniert. So schloss die EZV beispielweise an den Grenzen zu Österreich und Deutschland praktisch keine Übergänge, da diese Länder ihrerseits die Grenzübergänge geschlossen haben, was de facto auch auf der Schweizer Seite zu einer Schliessung führte. An der Grenze zu Frankreich musste die EZV hingegen selber sehr viele Übergänge schliessen. Die

83 84 85 86

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 12.10.2020, Anhörung EZV.

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 3.

Neues Coronavirus COVID-19: Erster bestätigter Fall in der Schweiz. Medienmitteilung des BAG vom 25.2.2020.

Protokoll der Sitzung der Subkommission EJPD/BK der GPK-N vom 5.10.2020, Anhörung der Vorsteherin des EJPD.

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Kommunikation und bilaterale Koordination mit den Nachbarländern in Sachen Umsetzung der Massnahmen an den Grenzen erfolgte trotzdem punktuell zu spezifischen und lokalen Fragen.

Die Rolle des EDA bei der Umsetzung der Grenzschliessungen wurde von der Subkommission nicht untersucht. Bestimmte Aspekte in Zusammenhang mit den internationalen Beziehungen werden im Übrigen im Rahmen anderer Inspektionen von den GPK untersucht.87

7.5

Einschätzung der GPK-S

Wie die GPK-S in Kapitel 6 festgehalten hat, wurde das BJ im Vorlauf des selbstständigen Entscheids der EZV, den Einkaufstourismus zu verbieten, nicht konsultiert. Das BJ wurde erst konsultiert, als die EZV dem Bundesrat die Verankerung dieses Verbots in der Covid-19-Verordnung 2 beantragen wollte. Wie bereits erwähnt und auch in der Empfehlung 1 formuliert, ist die GPK-S der Auffassung, dass die Vollzugsbehörden das BJ auch bei der Rechtsanwendung systematisch konsultieren sollten, wenn es um Grundrechtsbeschränkungen geht, insbesondere dann, wenn es sich um massive Beschränkungen handelt.

Die EZV ihrerseits wollte dem Bundesrat relativ früh Bestimmungen zum Einkaufstourismus beantragen, dies stiess jedoch beim BJ und beim SEM auf Widerstand. Angesichts der Bedeutung dieses Beschlusses für die wirksame Umsetzung der Massnahmen an der Grenze und insbesondere für die Sicherstellung der Wirksamkeit der Massnahmen des Bundesrates ist die GPK-S der Auffassung, dass sich die verschiedenen Verwaltungseinheiten bei diesem Thema ­ und den Problemen bei der Umsetzung der Massnahmen im Allgemeinen ­ hätten besser koordinieren müssen, um eine geeignete Lösung zu finden, namentlich im Rahmen der Verwaltungskonsultation vom 25. März 2020. Alternativen hätten geprüft und die konkreten Probleme der EZV bei den Stellungnahmen der verschiedenen Ämter besser berücksichtigt werden müssen. Dieses Thema hätte früher auf Direktorenebene diskutiert werden können, um schneller eine rechtlich korrekte Übergangslösung zu finden.

Für die GPK-S ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschluss der EZV nicht im Rahmen einer Sitzung eines Krisenorgans thematisiert wurde.88 Sie fragt sich zudem, warum der Vorsteher des EFD diese Meinungsverschiedenheit nicht an einer Bundesratssitzung zum Thema machte, zumal die diskutierten Massnahmen für die Umsetzung der Bundesratsbeschlüsse von grosser Bedeutung waren.

Durch eine raschere Koordination hätte eventuell eine von Anfang an verhältnismässigere Massnahme gefunden werden können. Nicht vergessen werden darf allerdings, dass sich die Lage zwischen Ende März und Mitte April 2020 schnell entwickelte und sich die Verhältnismässigkeit der ergriffenen Massnahmen von Tag zu Tag verän-

87 88

Siehe insbesondere den Jahresbericht 2020 der GPK und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, Kap. 4.7.1 (Grenzschliessung).

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 12.10.2020, Anhörung EZV.

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derte. Zu den vereinzelten Vorwürfen betreffend das Verhalten des Zollpersonals gegenüber betroffenen Grenzgängerinnen und Grenzgängern hält die GPK-S fest, dass angesichts der Menge von Grenzübertritten und -kontrollen unter solch schwierigen Umständen Fehler passieren können. Ein grundsätzliches Problem wurde aber nicht erkannt. Auch hat die EZV eine klare Praxis im Umgang mit Vorfällen und Fehlern.

Aus Sicht der Oberaufsicht besteht deshalb kein Handlungsbedarf.

Empfehlung 3

Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen an der Schweizer Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Erfahrungen der Eidgenössischen Zollverwaltung an der Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien (allfällige Gesetzesrevision, Anpassung des Pandemieplans, usw.) zu berücksichtigen.

Empfehlung 4

Zusammenarbeit mit den Grenzkantonen

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, gemeinsam mit den Grenzkantonen Bilanz zu ziehen über die Zusammenarbeit bei den Massnahmen an der Grenze und über den Informationsaustausch in diesem Bereich.

8

Wirksamkeit der Massnahmen

8.1

Beabsichtigte Wirkung der Massnahmen erreicht

Mit dem Einkaufstourismusverbot sollte, wie bereits erwähnt, der Grenzverkehr reduziert werden, um eine Überlastung der EZV zu vermeiden, die vom Bundesrat am 13. März 2020 angeordneten systematischen Kontrollen sicherzustellen sowie die Kontinuität bei der Landesversorgung mit Waren und die Einreise von Grenzgängerinnen und Grenzgängern in prioritären Berufen zu gewährleisten.89 Als Vollzugsorgan äussert sich die EZV normalerweise nicht zur Wirksamkeit der Massnahmen des Bundesrates. Sie hat allerdings gegenüber der Subkommission erklärt, dass die Begleitmassnahmen zur Grenzschliessung und zur Wiedereinführung systematischer Grenzkontrollen, wie die Möglichkeit der Kanalisierung des Landund Luftverkehrs, die Einrichtung von vorrangigen Fahrspuren für wichtige Waren und systemrelevante Personen oder das Verbot des Einkaufstourismus, den angestrebten Zweck erfüllten und die EZV dadurch ihr Dispositiv aufrechterhalten und einen flüssigen Verkehr gewährleisten konnte.90 Es wurden zahlreiche Versuche zur Umgehung der Einreisevoraussetzungen in die Schweiz (112 000 Wegweisungen), des Verbots des Einkaufstourismus oder der Kanalisierungsmassnahmen (insgesamt 8848 Bussen) festgestellt.

89 90

Siehe Ziff. 3.1; Bericht der EZV vom 2.10.2020, Kap. 2.1, S. 4.

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 3.

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In den Augen der EZV zeigen die zahlreichen Versuche zur Umgehung der angeordneten Grenzschliessungsmassnahmen, wie wichtig die grenzüberschreitende Mobilität für die Bevölkerung ist. Von einem Verbot des Grenzübertritts seien erstaunlich viele Personenkategorien betroffen (Familie, Arbeit, Betreuung von Angehörigen, Einkäufe, Tierpflege, Unterhalt von Liegenschaften usw.), was auch zeige, wie einschneidend eine solche Massnahme ist. Die EZV räumt ein, dass es nicht möglich war, für alle diese Bedürfnisse zufriedenstellende und kontrollierbare Lösungen zu finden, obwohl lokal pragmatischen Lösungen stets Raum gegeben worden sei.91 Die folgende Grafik (Grafik 1) zeigt deutlich den starken Rückgang des grenzüberschreitenden Verkehrs zwischen März und Juni 2020 und somit die Wirkung der ergriffenen Massnahmen.

Grafik 1: Zahl der Grenzübertritte zwischen Februar und Juni 2020, nach Region (Präsentation der EZV an der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 29.6.2020).

Es fällt jedoch auf, dass die Anzahl der Rückweisungen (Grafik 2) zu Beginn der Krise und bis Mitte April sehr hoch ist. Dies ist nach Ansicht der GPK-S zumindest teilweise auf die suboptimale Kommunikation der Schweizer Behörden zurückzuführen (siehe Kap. 8.2). Die Frage der Zweckmässigkeit der Massnahmen ist im Übrigen allgemein in Verbindung mit der Kommunikation zu sehen, welche im folgenden Kapitel thematisiert wird.

91

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 4.

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Rückweisungen

Grafik 2: Anzahl der Rückweisungen an der Grenze zwischen dem 15. März und dem 10. Juni 2020, Dashboard der EZV vom 10.6.2020.

8.2

Kommunikation zu den Massnahmen an der Grenze

8.2.1

Interne Kommunikation

Nach Ansicht der EZV kann der Informationsfluss zwischen dem Führungsstab und der übrigen EZV weiter optimiert werden.92 Der regelmässige Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern der Geschäftsleitung der EZV und den Regionen wurde hingegen als sehr wertvoll beurteilt und soll im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der EZV generell in die neuen Prozesse übernommen werden. Die Geschäftsleitung wird auf diese Weise regelmässig über die Entwicklungen «an der Front» auf dem Laufenden gehalten und kann so sehr schnell auf die Entstehung neuer Herausforderungen reagieren und umgehend den Führungsstab mit der Umsetzung beauftragen.

8.2.2

Externe Kommunikation

Die Wiedereinführung systematischer Grenzkontrollen, die der Bundesrat am 13. März 2020 für die Grenze zu Italien und am 16. März 2020 für die Grenzen zu Deutschland, Österreich und Frankreich beschloss, war vom EDI und vom EJPD beantragt worden. Die Zuständigkeit für die Kommunikation dieser Beschlüsse liegt bei 92

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 2.

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den verantwortlichen Departementen und Verwaltungseinheiten. Die EZV ist hier reines Vollzugsorgan. Laut EZV kommunizierte jedes Amt nach Rücksprache mit den Partnern zu jenen Massnahmen, deren Umsetzung in seiner Verantwortung lagen.93 Die EZV ist der Auffassung, dass alle Massnahmen in ihrem Verantwortungsbereich kommuniziert wurden, entweder an Points de Presse bzw. Medienkonferenzen oder mittels Medienmitteilungen. Das Verbot des Einkaufstourismus und der Freizeitaktivitäten auf der Grundlage von Artikel 127 Absatz 2 ZG sei zudem mithilfe von Hinweistafeln, wiederholten mündlichen Anordnungen der EZV-Mitarbeitenden und der Telefonzentralen sowie der jederzeit verfügbaren und laufend aktualisierten Website der EZV kommuniziert worden.94 Auch habe der Direktor der EZV an der Medienkonferenz vom 28. März 2020 darauf hingewiesen, dass grenzüberschreitende Freizeitaktivitäten und Einkaufstourismus verboten werden sollten und dann von der EZV gebüsst würden. Auch in einer Medienmitteilung vom 4. April 2020 sei auf dieses Verbot hingewiesen worden.95 Hierbei handelt es sich um eine regionale Medienmitteilung, die nur auf Deutsch vorliegt. Die EZV hat zugesichert, in Zukunft sicherzustellen, dass sie für diese Art Kommunikation eine vollständige Adressatenliste in allen Sprachregionen verwendet. Auch auf der Website der EZV wurde über das Verbot informiert: «Beim Grenzübertritt wird insbesondere der Zweck der Reise berücksichtigt; wer die Bedingungen vorsätzlich missachtet, zum Beispiel für Freizeitaktivitäten oder zum Einkaufen, wird gebüsst oder angezeigt.»96 Die EZV ist rückblickend der Ansicht, dass die Kommunikation gegenüber der Bevölkerung grundsätzlich angemessen war, jedoch aktiver und in bestimmten Punkten weitreichender hätte sein können.97 Kritisch sieht sie insbesondere den Punkt des Einkaufstourismusverbots.98 Sie hat der GPK-S allerdings mitgeteilt, dass die Bundeskanzlei, welche für die Gesamtkommunikation verantwortlich ist, in Bezug auf die Medienmitteilungen damals eine restriktivere Praxis als sonst verfolgte. Eine extensive Kommunikation sei zu jenem Zeitpunkt für unverhältnismässig gehalten worden.

Die Bundeskanzlei hat der GPK-S jedoch mitgeteilt, dass die Verantwortung für die Kommunikation stets bei den Verwaltungseinheiten lag und sie weder Anweisungen in diesem Bereich gegeben noch eine restriktivere Praxis verfolgt habe.

8.3

Einschätzung der GPK-S

Die GPK-S ist der Auffassung, dass sich die Massnahmen der EZV als wirksam erwiesen. Gewisse Unklarheiten relativierten zu Beginn der Krise die Tragweite der Massnahmen, doch die verschiedenen zuständigen Einheiten reagierten und schlugen 93 94 95

96 97 98

Schreiben der EZV vom 4.8.2020 an die Subkommission EFD/WBF der GPK-S, S. 5.

Bericht der EZV vom 2.10.2020, Kap. 4.2, S. 14.

COVID-19: Vorübergehende Schliessung des Grenzübergangs Biel-Benken wird aufgehoben. Regionale Medienmitteilung der EZV vom 4.4.2020; www.ezv.admin.ch > Aktuell > Medieninformationen > Regionale Medienmitteilungen.

www.ezv.admin.ch > Informationen zum Coronavirus > Offene Grenzposten (Stand 4.4.2020).

Protokoll der Sitzung der Subkommission EFD/WBF der GPK-S vom 12.10.2020, Anhörung der EZV.

AAR vom 1.2.2021, S. 3.

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dem Bundesrat die erforderlichen Änderungen vor. Ab dem 17. April 2020, dem Tag, an dem das Einkaufstourismusverbot in der Verordnung in Kraft trat, war die Lage klarer und die Kommunikation weitreichender und direkter.99 Die Kommunikation gegenüber der Bevölkerung im Zeitraum von Ende März bis Mitte April hätte nach Ansicht der GPK-S allerdings insgesamt intensiver sein können. Der Beschluss der EZV hätte angesichts seiner Bedeutung ­ zusätzlich zu den Anordnungen der EZV an den Grenzübergängen ­ ausführlich und ausdrücklich kommuniziert werden müssen. Die GPK-S kann die Begründung der EZV für ihre begrenzte Kommunikation nicht nachvollziehen. Nach der Anpassung der Covid-19Verordnung 2 am 16. April 2020 wurde dann ja auch eine spezifische Medienmitteilung («Coronavirus: Einkaufstourismus bleibt verboten») veröffentlicht. Dies wäre auch für den Beschluss der EZV von März 2020 notwendig gewesen. Eine Information mittels Schildern ermöglicht es den betroffenen Personen nicht, ihr Verhalten rechtzeitig anzupassen. Auf der Website war das Verbot zwar zu finden, doch es hätte auf der Startseite platziert werden müssen, um sofort sichtbar zu sein.

Die Tatsache, dass die Direktion des SEM Anfang April nicht über den Beschluss der EZV, den Einkaufstourismus zu verbieten, informiert war,100 ist in den Augen der GPK-S ein klares Zeichen dafür, dass weder der Informationsfluss zwischen den Verwaltungseinheiten noch die externe Kommunikation ausreichend war.

Die Bundeskanzlei schreibt in ihrem Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements in der Covid-19-Pandemie, dass die externe Kommunikation «grossmehrheitlich als sehr gut bis hervorragend empfunden» wurde, wohingegen die «interne Kommunikation, innerhalb der Bundesverwaltung, [...] kritischer beurteilt» worden sei, «auch wenn sie im Grossen und Ganzen funktioniert» habe.101 Teilweise sei diese «von Zufälligkeiten geprägt» gewesen und habe «auf informellem Weg» stattgefunden. Die Feststellungen der GPK-S zur internen Kommunikation decken sich in weiten Teilen mit jenen der Bundeskanzlei, allerdings ist die Kommission der Ansicht, dass in einigen Bereichen auch die externe Kommunikation Mängel aufwies. Darüber hinaus scheint auch der Informationsfluss zwischen den Verwaltungseinheiten nicht immer optimal funktioniert zu haben. So ist die GPK-S der Auffassung,
dass Massnahmen zur besseren Koordination der beschlussfassenden und der vollziehenden Organe ergriffen werden müssen. Es muss klarer geregelt werden, wie wichtige Beschlüsse einer Verwaltungseinheit, die grosse Auswirkungen auf die Bevölkerung haben, kommuniziert werden.

99

Coronavirus: Einkaufstourismus bleibt verboten. Medienmitteilung des Bundesrates vom 16.4.2020.

100 Siehe Kap. 5.2 101 Bericht der Bundekanzlei vom 11.12.2020 zur Auswertung des Krisenmanagements in der Covid-19-Pandemie (1. Phase / Februar­August 2020), Kap. 2.6, S. 25/26.

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Empfehlung 5

Verbesserung der internen und externen Kommunikation sowie des Informationsflusses zwischen Verwaltungseinheiten

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die interne und externe Kommunikation sowie den Informationsfluss zwischen Verwaltungseinheiten bei Beschlüssen und Massnahmen zu verbessern, wenn diese grosse Auswirkungen auf die Bevölkerung haben. Dazu gehören insbesondere auch Massnahmen zur besseren Koordination der beschlussfassenden und der vollziehenden Organe.

9

Weiteres Vorgehen

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, bis spätestens 24. September 2021 zu diesem Bericht Stellung zu nehmen und darzulegen, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen der Kommission umzusetzen gedenkt.

22. Juni 2021

Für die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Die Präsidentin: Maya Graf Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EFD/WBF: Matthias Michel Der Sekretär der Subkommission EFD/WBF: Pierre-Alain Jaquet

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Abkürzungsverzeichnis AAR AIG AS ASTRA BAG BBl BJ BSTB BV Covid-19 EDA EDI EFD EJPD EpG EZV FLIR GPK GPK-N GPK-S KFS KSBC MG OBG OV-EJPD RVOV Sars-CoV-2 SEM SFU SVU

After Action Review; Einsatzauswertung Bundesgesetz vom 16.12.2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20) Amtliche Sammlung des Bundesrechts Bundesamt für Strassen Bundesamt für Gesundheit Bundesblatt Bundesamt für Justiz Bundesstab Bevölkerungsschutz Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101) Coronavirus disease 2019; Coronavirus-Krankheit-2019 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101) Eidgenössische Zollverwaltung Forward Looking Infrared Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Krisenführungsstab (der EZV) Krisenstab des Bundesrates Corona Bundesgesetz vom 3. Februar 1995 über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG; SR 510.10) Ordnungsbussengesetz vom 16.3.2016 (OBG; SR 314.1) Organisationsverordnung vom 17.11.1999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1) Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (RVOV; SR 172.010.1) severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2; Schweres akutes Atemwegssyndrom-Coronavirus-Typ 2 Staatssekretariat für Migration Strategische Führungsübung Sicherheitsverbundsübung 33 / 34

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SR VBS VBSTB VGD VStrR WBF ZG

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Systematische Rechtssammlung Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Verordnung vom 2.3.2018 über den Bundesstab Bevölkerungsschutz (VBSTB; SR 520.17) Verordnung vom 3.9.1997 über den Truppeneinsatz für den Grenzpolizeidienst (VGD; SR 513.72) Bundesgesetz vom 22.3.1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0) Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG; SR 631.0)