BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.056 Botschaft zur Genehmigung eines Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie eines Protokolls zur Änderung des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung einiger anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.August 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung eines Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie eines Protokolls zur Änderung des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung einiger anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2011

M 11.3157 Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien. Wogen glätten (N 17.6.11, Cassis; S 21.9.11)

2012

M 11.3750 Neuverhandlung der Grenzgängervereinbarung mit Italien (S 21.9.11, WAK-S; N 12.3.12)

2014

P

12.4048 Neue Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger (N 16.9.14, Quadri)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. August 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Schweiz und Italien schlossen am 3. Oktober 1974 in Rom eine Vereinbarung über die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger und den finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden ab. Die Vereinbarung ist integraler Bestandteil des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung einiger anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-I), das in Rom am 9. März 1976 abgeschlossen wurde.

Der Kanton Tessin wies den Bundesrat seit einigen Jahren, besonders seit 2011, auf die Probleme hin, die sich aus dem Besteuerungssystem der Grenzgängerinnen und Grenzgänger gemäss der Vereinbarung von 1974 ergeben. Ab 2012 nahmen die Schweiz und Italien den bilateralen Dialog über Steuer- und Finanzfragen wieder auf.

Die Verhandlungen mündeten in die Unterzeichnung eines Änderungsprotokolls zum DBA-I sowie einer «Roadmap» am 23. Februar 2015. Im Lauf des Jahres 2015 wurden die Verhandlungen fortgesetzt, um in einem neuen Abkommen den Inhalt der Roadmap betreffend die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger zu konkretisieren. Am 22. Dezember 2015 paraphierten die Verhandlungsführer den Entwurf eines neuen Abkommens zur Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger inklusive Zusatzprotokoll sowie den Entwurf für ein Änderungsprotokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen, doch aus verschiedenen Gründen verzögerte sich die Unterzeichnung. Im Laufe des Jahres 2020 wurden die Gespräche im Hinblick auf die Unterzeichnung wiederaufgenommen. Am 23. Dezember 2020 unterzeichneten die Schweiz und Italien in Rom das neue Grenzgängerabkommen, ein Protokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens und einen Briefwechsel. Die italienische Regierungskrise Anfang 2021 hat bestätigt, dass es angezeigt war, die Gelegenheit zur Unterzeichnung vor Ende 2020 zu nutzen, ansonsten hätte sich die Unterzeichnung höchstwahrscheinlich noch lange verzögert.

Das neue Grenzgängerabkommen stellt eine erhebliche Verbesserung der Grenzgängerbesteuerung gegenüber der Vereinbarung von 1974 dar. Generell entspricht sein Inhalt den im Verhandlungsmandat und in der Roadmap festgehaltenen Zielen. Die Unterzeichnung des neuen Grenzgängerabkommens stellt ­ nach dem Abschluss des
Änderungsprotokolls zum DBA-I und der Roadmap im Februar 2015 sowie der Lösung im Jahr 2019 bezüglich des Status von Campione d'Italia ­ eine weitere wichtige Etappe im Normalisierungsprozess der Beziehungen zu Italien auf dem Gebiet der Steuern und der Finanzen dar.

Das neue Grenzgängerabkommen wurde in enger Zusammenarbeit mit den Behörden der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis ausgearbeitet. Die betroffenen Kreise, insbesondere im Tessin, wurden vor Abschluss des Abkommens ebenfalls konsultiert.

Die Kantone und die interessierten Kreise haben den Abschluss des neuen Grenzgängerabkommens, des Änderungsprotokolls zum Doppelbesteuerungsabkommen und des Briefwechsels begrüsst.

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Botschaft 1 Grundzüge des Abkommens 1.1 Ausgangslage, Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnisse Die Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger und den finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden1 («Vereinbarung von 1974») wurde am 3. Oktober 1974 in Rom abgeschlossen und trat am 27. März 1979 in Kraft. Die Vereinbarung von 1974 ist integraler Bestandteil des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung einiger anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen2 («DBA-I»), das in Rom am 9. März 1976 abgeschlossen wurde und gleichentags wie die Vereinbarung von 1974 in Kraft trat.

Der Kanton Tessin wies den Bundesrat besonders seit 2011 über die kantonalen Institutionen (Regierung und Parlament), seine Standesvertreterinnen und Standesvertreter in der Bundesversammlung, die politischen Parteien sowie die Bevölkerung des Kantons regelmässig auf die Probleme hin, die sich aus dem Besteuerungssystem der Grenzgängerinnen und Grenzgänger gemäss Vereinbarung von 1974 ergeben. Zu diesen Vorstössen gehören namentlich:

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Anfrage (11.1043) Quadri «Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Quellensteuer und Rückkehr an Wohnort»;

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Motion (11.3145) Gobbi «Italienisch-schweizerische Beziehungen. Vorläufig keine Überweisungen von Quellensteuern von Grenzgängerinnen und Grenzgänger mehr»;

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Postulat (11.3607) Robbiani «Überweisung der Quellensteuer bei Grenzgängerinnen und Grenzgänger»;

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Motion (11.3750) WAK-S «Neuverhandlung der Grenzgängervereinbarung mit Italien»;

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Standesinitiative (11.305) Tessin «Neuverhandlung der Grenzgängervereinbarung und Rückvergütung eines Grossteils der Quellensteuer-Ausgleichszahlungen an das Tessin»;

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Postulat (12.4048) Quadri «Neue Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger»;

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Postulat (13.3945) Regazzi «Negative Auswirkungen der Personenfreizügigkeit in den Grenzkantonen mit Massnahmenpaket abmildern»;

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Petition «Kündigung der Grenzgängervereinbarung».

SR 0.642.045.43 SR 0.672.945.41

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Der Kanton Tessin forderte insbesondere die Neuverhandlung bzw. Kündigung der Vereinbarung von 1974, dass der Anteil des Kantons an den Steuereinnahmen in der neuen Lösung erhöht werde, dass die neue Lösung auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhe und dass die steuerliche Belastung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Vergleich zur heutigen erhöht werde (volle Besteuerung in Italien). Am 9. Mai 2012 nahmen die Schweiz und Italien den bilateralen Dialog über Steuer- und Finanzfragen wieder auf.

Die Verhandlungen mündeten in die Unterzeichnung eines Änderungsprotokolls zum DBA-I sowie einer «Roadmap» am 23. Februar 2015. Im Lauf des Jahres 2015 wurden die Verhandlungen fortgesetzt, um in einem neuen Abkommen den Inhalt der Roadmap betreffend die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger zu konkretisieren. Die Verhandlungsführer paraphierten schliesslich am 22. Dezember 2015 den Entwurf eines neuen Abkommens zur Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger inklusive Zusatzprotokoll (hiernach «neues Grenzgängerabkommen») sowie den Entwurf für ein Änderungsprotokoll zum DBA-I zur entsprechenden Anpassung von Artikel 15 DBA-I. Die Ergebnisse des neuen Grenzgängerabkommens und des Änderungsprotokolls wurden im Rahmen des am 12. Februar 2016 eröffneten Anhörungsverfahrens in Form eines Berichts den Kantonen und den vom Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen betroffenen Kreisen vorgelegt. Die Kantone und Verbände begrüssten grundsätzlich das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll. Auf dieser Basis genehmigte der Bundesrat am 25. Mai 2016 die Unterzeichnung des neuen Grenzgängerabkommens und des Änderungsprotokolls. Seither wurden die Kontakte auf politischer Ebene fortgesetzt, um eine Unterzeichnung zu erreichen, die sich jedoch aus verschiedenen Gründen verzögerte.

In der Zwischenzeit wurden im Inland die Forderungen nach einer raschen Unterzeichnung und einem baldigen Inkrafttreten immer lauter. In diesem Zusammenhang wurden in den eidgenössischen Räten eine Vielzahl parlamentarischer Vorstösse eingereicht, unter anderem die folgenden: ­

Motion (17.3639) Chiesa «Verantwortung und Solidarität verpflichten den Bund dazu, den Kanton Tessin finanziell zu entschädigen, weil das Grenzgängerabkommen nicht in Kraft gesetzt wurde»;

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Anfrage (18.1070) Chiesa «Stillstand beim Grenzgängerabkommen. Geht das Tessin leer aus?»;

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Motion (18.3155) Quadri «Vereinbarung mit Italien über die Grenzgängerbesteuerung kündigen»;

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Postulat (19.3147) Merlini «Plan B des Bundesrates für den Fall, dass Italien das neue Abkommen über die Grenzgängerbesteuerung definitiv nicht unterzeichnet»;

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Interpellation (20.4520) Quadri «Das Abkommen über die Grenzgängerbesteuerung. Italien verhöhnt die Schweiz einmal mehr. Wie lange duldet der Bundesrat die Verzögerungstaktik noch, ohne die Vereinbarung von 1974 einseitig zu kündigen?».

Zudem schickte auch die Regierung des Kantons Tessin am 30. April 2020 in einem gemeinsam vom Tessiner Regierungsratspräsidenten und vom Präsidenten der Region 4 / 18

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Lombardei unterzeichneten Schreiben ihre «Empfehlungen» an den Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements sowie an den italienischen Wirtschafts- und Finanzminister, wie eine rasche Unterzeichnung und ein baldiges Inkrafttreten des neuen Grenzgängerabkommens am besten zu erzielen seien.

Im Lauf des Jahres 2020 intensivierten sich zwischen der Schweiz und Italien die Kontakte, was zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung führte. Der Kompromiss basiert auf dem 2015 paraphierten neuen Grenzgängerabkommen, das durch eine neue Bestimmung ergänzt wird, die eine Übergangsregelung für die bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger (im steuerrechtlichen Sinne) vorsieht. Zudem wurde eine Erhöhung des Anteils der Steuereinnahmen zugunsten des Staates, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, d. h. hauptsächlich der Schweiz, vereinbart. Diese Änderungen gehörten auch zu den wichtigsten «Empfehlungen» im Schreiben vom 30. April 2020 der Tessiner Kantonsregierung und der Lombardei.

Die drei betroffenen Kantone (GR, TI und VS) wurden eng in die Arbeiten eingezogen, die anlässlich der Gespräche im Jahr 2020 zur Vereinbarung von Artikel 9 (Übergangsregelung) führten; auch die vom Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen betroffenen Tessiner Kreise wurden über die wichtigsten Aspekte dieser neuen Bestimmung informiert.

Am 23. Dezember 2020 unterzeichneten die Schweiz und Italien in Rom das neue Grenzgängerabkommen, ein Protokoll zur Änderung des DBA-I und einen Briefwechsel. Die italienische Regierungskrise Anfang 2021 hat bestätigt, dass es angezeigt war, die Gelegenheit zur Unterzeichnung vor Ende 2020 zu nutzen; ansonsten hätte sich die Unterzeichnung höchstwahrscheinlich noch lange verzögert.

1.2 Würdigung Das neue Grenzgängerabkommen sieht neue Besteuerungsregeln vor, die für alle neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger gelten. Für bestehende Grenzgängerinnen und Grenzgänger ist eine besondere Übergangsregelung vorgesehen. Das neue Grenzgängerabkommen verbessert gegenüber der Vereinbarung von 1974 die Grenzgängerbesteuerung erheblich. Es wurden namentlich folgende Verbesserungen erzielt: ­

Die Vereinbarung von 1974 hält fest, dass die in der Schweiz tätigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger ausschliesslich in der Schweiz besteuert werden. Nach dem neuem Grenzgängerabkommen werden die bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger weiterhin ausschliesslich in der Schweiz besteuert, während die neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger ­ d. h. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nach Inkrafttreten des Abkommens Grenzgängerinnen und Grenzgänger werden ­ auch in Italien ordentlich besteuert werden. Italien wird die daraus resultierende Doppelbesteuerung der neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger vermeiden müssen. Dies führt zu einer wesentlichen Erhöhung der Steuerlast der neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Dadurch verliert der Grenzgängerstatus für neue Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus steuerlicher Sicht grundsätzlich an Attraktivität, was für den Kanton Tessin von Bedeutung ist.

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Gemäss Vereinbarung von 1974 liefern die betroffenen Kantone 40 Prozent der von den Grenzgängerinnen und Grenzgängern erhobenen Steuern an Italien ab (nach einer 1985 beschlossenen Anpassung wurde dieser Anteil auf 38,8 % gesenkt). Der Schweizer Fiskus behält demnach 61,2 Prozent der gesamten Quellensteuer. In Zukunft ist der Ausgleich von 40 Prozent der erhobenen Steuern durch die Schweizer Kantone für die bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger noch bis 2033 geschuldet. Die neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger werden im Staat des Ortes, an dem sie die Erwerbstätigkeit ausüben, beschränkt besteuert (80 % des Totals der normalerweise erhobenen Quellensteuer).

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Das neue Grenzgängerabkommen sieht im Gegensatz zur Vereinbarung von 1974 Gegenseitigkeit vor, weswegen der Schweizer Fiskus die Einkommen der in Italien tätigen Schweizer Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Prinzip teilweise wird besteuern können.

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Die Vereinbarung von 1974 sieht keine formelle Definition des Begriffs «Grenzgängerin/Grenzgänger» vor. Das neue Grenzgängerabkommen enthält eine klare, auf der heutigen Praxis beruhende Definition, die eine bessere Anwendung des Abkommens und eine wirksamere Bekämpfung von Missbräuchen erlauben wird.

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Das neue Grenzgängerabkommen enthält eine Bestimmung über die administrative Zusammenarbeit, die eine wirksame Besteuerung im Ansässigkeitsstaat und eine wirksame Missbrauchsbekämpfung ermöglichen wird; diese Bestimmung gilt nicht für die bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger.

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Das neue Grenzgängerabkommen enthält eine Überprüfungsklausel und damit ein rechtliches Dispositiv, das im Lauf der Zeit an die neuen Umstände angepasst werden kann.

Generell entspricht der Inhalt des neuen Grenzgängerabkommens den im Verhandlungsmandat und in der Roadmap festgehaltenen Zielen. Einige Aspekte konnten gegenüber der Roadmap sogar verbessert werden. Die Unterzeichnung des neuen Grenzgängerabkommens stellt ­ nach dem Abschluss des Änderungsprotokolls zum DBAI und der Roadmap im Februar 2015 sowie der Lösung im Jahr 2019 bezüglich des Status von Campione d'Italia ­ eine weitere wichtige Etappe im Normalisierungsprozess der Beziehungen zu Italien auf dem Gebiet der Steuern und der Finanzen dar.

Das neue Grenzgängerabkommen wurde in enger Zusammenarbeit mit den Behörden der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis ausgearbeitet. Die betroffenen Kreise, insbesondere im Tessin, wurden vor Abschluss des Abkommens ebenfalls konsultiert.

1.3 Erledigung parlamentarischer Vorstösse Mit der Motion 11.3157 Cassis «Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien. Wogen glätten» wird der Bundesrat beauftragt, sich für eine Verbesserung der Beziehungen zu Italien, namentlich im Steuerbereich, einzusetzen. Als der Motionär seinen Vorstoss einreichte, hielt er fest, dass die Beziehungen zwischen der Schweiz und

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Italien «sehr angespannt» seien, mit aus wirtschaftlicher und finanzieller Sicht schlimmen und für das «kulturelle» Klima schädlichen Folgen; nach Ansicht des Motionärs stellte dies eine Bedrohung für den nationalen Zusammenhalt dar. Der Bundesrat sollte deshalb eine klare Strategie zur Entspannung der gefährlich angespannten Lage entwickeln und umsetzen; die Kantone, die an Italien grenzen, insbesondere die Tessiner Regierung, bei der Erarbeitung dieser Strategie mit einbeziehen; die zuständigen Behörden der EU ebenfalls in die Erarbeitung dieser Strategie einbeziehen, sodass auch Italien die gemeinschaftlichen Regeln einhalte; jedes Instrument nutzen, das es der Schweiz erlaube, den für die Wahrung ihrer Interessen notwendigen Druck zu erzeugen (insb. das Instrument der Überweisung des Anteils der Quellensteuer, die auf den Einkommen der italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger erhoben wird). Die Schweiz und Italien nahmen, wie bereits erwähnt, am 9. Mai 2012 den bilateralen Dialog in Steuer- und Finanzangelegenheiten wieder auf. Im August 2012 verabschiedete der Bundesrat das Verhandlungsmandat, inklusive seiner Strategie, und seither wurden auf bilateraler Ebene mehrere Ergebnisse erzielt. Das Tessin und die anderen Grenzkantone wurden sowohl intern wie im Verhandlungskontext in die Gespräche mit einbezogen. Nach dem Abschluss der Roadmap und des Änderungsprotokolls zum DBA-I im Februar 2015, der bilateralen Lösung von 2019 bezüglich des Status von Campione d'Italia und der Unterzeichnung des neuen Grenzgängerabkommens im Dezember 2020 verbesserte sich die Situation auf dem Gebiet der Steuern sowohl bilateral wie im Inland gegenüber der Situation im Jahr 2011 merklich.

Mit der Motion 11.3750 WAK-S «Neuverhandlung der Grenzgängervereinbarung mit Italien» wird der Bundesrat beauftragt, im Rahmen der Neuverhandlung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Italien 1) die Gegenseitigkeit bei der Grenzgängerbesteuerung zu gewährleisten, 2) der neuen Definition des Grenzgängerstatus gemäss dem Freizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 19993 (FZA) Rechnung zu tragen und 3) die jüngsten sozioökonomischen Entwicklungen in den vom Abkommen direkt betroffenen Grenzregionen zu evaluieren und die Art der Ausgleichszahlung unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse neu zu definieren. Das
neue Grenzgängerabkommen sieht Gegenseitigkeit vor, der Begriff «Grenzgängerin/Grenzgänger» wurde gestützt auf eine Analyse der Begrifflichkeit im FZA definiert, und schliesslich trägt das neue Grenzgängerabkommen auch der aktuellen sozioökonomischen Realität der Grenzregionen der Schweiz und Italiens Rechnung.

Mit dem Postulat 12.4048 Quadri «Neue Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger» wird der Bundesrat beauftragt, die Möglichkeit zu prüfen, die Besteuerung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern auf die italienischen Steuersätze und zugleich die Steuereinnahmen für den Kanton Tessin zu erhöhen. Das neue Grenzgängerabkommen sieht die ordentliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger vor, mit Ausnahme derjenigen italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die sich auf die Übergangsregelung (Art. 9 des neuen Grenzgängerabkommens) berufen können. Zudem wurde für die Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die nicht in den Geltungsbereich der Übergangsregelung unter der

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Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit; SR 0.142.112.681.

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Vereinbarung von 1974 fallen, der Anteil im Staat des Erwerbsorts von 60 auf 80 Prozent erhöht; für die unter die Übergangsreglung fallenden Grenzgängerinnen und Grenzgängern wird der Anteil zugunsten der Schweiz ab dem Steuerjahr 2034 von 60 auf 100 Prozent, also auf die gesamte, normalerweise erhobene Quellensteuer angehoben.

Mit dieser Botschaft wird beantragt, die beiden Motionen und das Postulat abzuschreiben.

2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Grenzgängerabkommens und des Änderungsprotokolls zum DBA-I Grenzgängerabkommen Der Kommentar zum Musterabkommen der OECD («OECD-Musterabkommen») hält fest, dass das Musterabkommen keine Bestimmungen in Bezug auf die Grenzgängerinnen und Grenzgänger enthält, weil die betroffenen Staaten die aus lokalen Bedingungen resultierenden Probleme selber besser lösen können. In diesem Kapitel werden die Lösungen erläutert, die im neuen Abkommen zur Grenzgängerbesteuerung vereinbart wurden, und im Detail die wichtigsten Aspekte dieser Lösungen verdeutlicht.

Präambel Die beiden Staaten anerkennen in der Präambel des neuen Grenzgängerabkommens, dass den Grenzgebieten für die Infrastrukturen und die öffentlichen Dienstleistungen im Zusammenhang mit den Grenzgängerinnen und Grenzgängern Kosten erwachsen.

Anerkannt wird auch der wichtige Beitrag, den die Grenzgängerinnen und Grenzgänger an die Wirtschaft der Grenzgebiete leisten, in denen sie arbeiten. Schliesslich wird bestätigt, dass die beiden Vertragsstaaten die bei ihnen ansässigen Personen nach dem Welteinkommensprinzip besteuern und die definitive Besteuerung daher im Ansässigkeitsstaat erfolgt.

Art. 1

Unter das Abkommen fallende Personen

Das neue Grenzgängerabkommen ist gegenseitig, was bei der Vereinbarung von 1974 nicht der Fall war. Das Abkommen ist daher auf in der Schweiz oder in Italien ansässige natürliche Personen anwendbar, die im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates arbeiten. Der Ausdruck «Grenzgebiet» bedeutet für die Schweiz die Kantone Graubünden, Tessin und Wallis, während für Italien die Regionen Lombardei und Piemont, die Autonome Region Aostatal und die Autonome Provinz Bozen eingeschlossen sind.

Die Aufnahme des Prinzips der Gegenseitigkeit in das neue Grenzgängerabkommen geht namentlich auf eine Forderung des Kantons Tessin sowie der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S; Mo. 11.3750) zurück.

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Art. 2

Allgemeine Begriffsbestimmungen

Artikel 2 des neuen Grenzgängerabkommens enthält eine Auflistung von allgemeinen Begriffsbestimmungen für die Zwecke seiner Anwendung. Er enthält namentlich eine klare Definition des Ausdrucks «Grenzgängerin» oder «Grenzgänger», die die aktuelle Praxis widerspiegelt. Im Vergleich zur Vereinbarung von 1974 erhöht diese Definition inskünftig die Rechtssicherheit.

Die Bestimmungen des neuen Grenzgängerabkommens gelten für alle in einem Vertragsstaat ansässigen Personen, die in einer Gemeinde steuerlich ansässig sind, deren Gebiet ganz oder teilweise innerhalb einer 20 km breiten Zone an der Grenze zum anderen Vertragsstaat liegt. Diese Personen müssen im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates eine unselbstständige Erwerbsarbeit ausüben und grundsätzlich jeden Tag an ihr Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat zurückkehren. Eine Ausweitung dieser Definition, beispielsweise gestützt auf die Definition im Freizügigkeitsabkommen, wurde von den Vertragsparteien in Erwägung gezogen, aber nicht für nötig befunden; denn das Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung für die anderen Kategorien von ansässigen Arbeitnehmenden des anderen Vertragsstaates wird bereits nach den Artikeln 15 und 24 DBA-I gewährleistet.

Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten werden vor Inkrafttreten des neuen Abkommens in gegenseitigem Einvernehmen die Frage regeln, welche Gemeinden innerhalb der 20 km breiten Zone an der Grenze zum anderen Staat zu berücksichtigen sind.

Ziffer 2 des Zusatzprotokolls zum neuen Grenzgängerabkommen hält fest, dass es einer Grenzgängerin oder einem Grenzgänger gestattet ist, ohne den Grenzgängerstatus zu verlieren, an höchstens 45 Tagen pro Kalenderjahr aus beruflichen Gründen nicht an das Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat zurückzukehren, sofern die zuständigen Behörden nichts anderes beschliessen. Ferien- und Krankheitstage fallen nicht unter diese Begrenzung. Die Vorschrift der 45 Tage entspricht den Bestimmungen, die die Schweiz in Bezug auf die Höchstzahl mit Frankreich und Liechtenstein vereinbart hat. Ziffer 3 des Zusatzprotokolls verweist auch auf die Möglichkeit der Vertragsstaaten, sich im Fall von zukünftigen Entwicklungen im Bereich Telearbeit zu konsultieren, um Ziffer 2 des Zusatzprotokolls zu ändern oder zu ergänzen. Die Weiterentwicklung der Telearbeit wird von der aktuellen
Situation abhängen. Der Verweis in Ziffer 3 des Zusatzprotokolls lässt den Steuerbehörden die Möglichkeit offen, die Telearbeit sinngemäss im Kontext der Bestimmungen nach Ziffer 2 zu behandeln.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das neue Grenzgängerabkommen eine restriktivere Definition der «Grenzgängerinnen und Grenzgänger» enthält als das Freizügigkeitsabkommen. Artikel 21 Absatz 1 FZA sieht ausdrücklich vor, dass seine Bestimmungen die in den Doppelbesteuerungsabkommen festgelegte Begriffsbestimmung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger nicht berühren.

Art. 3

Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger

Die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger erfolgt gemäss den allgemeinen Bestimmungen von Artikel 15 DBA-I. Diese Bestimmungen entsprechen weitgehend Artikel 15 des OECD-Musterabkommens. Der Staat, in dem die Grenzgängerinnen und Grenzgänger die Arbeit ausüben, kann das Erwerbskommen jedoch 9 / 18

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nur beschränkt der Quellensteuer unterwerfen. Die Steuer beträgt höchstens 80 Prozent der Steuer, die in Anwendung des innerstaatlichen Steuerrechts erhoben werden könnte. Dies bedeutet konkret, dass dieser Staat in der Regel 80 Prozent der Steuer erhebt. Der im neuen Grenzgängerabkommen verwendete Ausdruck «höchstens 80 Prozent» stammt aus der Terminologie der Doppelbesteuerungsabkommen und wird für die Begrenzung der Quellensteuer auf passiven Einkommen üblicherweise verwendet. Dies hat den Vorteil, eine eindeutige Begrifflichkeit zu verwenden, deren Auslegung bekannt ist. Ziffer 4 des Zusatzprotokolls verdeutlicht die Auslegung des Ausdrucks «Steuer auf dem Einkommen der natürlichen Personen»: Damit sind für die Schweiz die Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern (nach dem durchschnittlichen Gemeindesteuerfuss eines bestimmten Kantons errechnet) gemeint.

Das neue Grenzgängerabkommen sieht demnach im Gegensatz zur Vereinbarung von 1974 keine ausschliessliche Besteuerung der neuen italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz vor. Unter dem neuen Grenzgängerabkommen wird das System der Vereinbarung von 1974, das einen finanziellen Ausgleich der Schweizer Kantone zugunsten der italienischen Grenzgemeinden vorsah, nur vorläufig und nur noch für aktuelle Grenzgängerinnen und Grenzgänger beibehalten und schliesslich nach dem Steuerjahr 2033 abgeschafft (vgl. Art. 9). Die italienische Seite hat darauf hingewiesen, einen finanziellen Ausgleich zugunsten dieser Kategorie von Gemeinden auf der Grundlage innerstaatlich italienischer Vorschriften auch nach dem Steuerjahr 2033 zu beabsichtigen.

Im Übrigen hält das neue Grenzgängerabkommen fest, dass die Grenzgängerinnen und Grenzgänger durch den Ansässigkeitsstaat besteuert werden, der auch die Doppelbesteuerung vermeiden muss. In der Präambel wird ausdrücklich festgehalten, dass die beiden Vertragsstaaten die bei ihnen ansässigen Personen nach dem Welteinkommensprinzip besteuern. Ziffer 1 des Zusatzprotokolls zum neuen Grenzgängerabkommen enthält eine Bestimmung, wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, umgehend gegenseitige Konsultationen über den Anpassungsbedarf des Abkommens durchzuführen, falls ein Vertragsstaat das eigene Besteuerungssystem wesentlich ändern sollte. Angesprochen wird insbesondere ein allfälliger Wechsel zur
Besteuerung nach dem Territorialitätsprinzip (d. h. zu einem System, in dem die im Ausland erzielten Einkommen von Ansässigen nicht mehr besteuert würden). Diese Bestimmungen sollen gewährleisten, dass vom neuen Grenzgängerabkommen erfasste Personen in Zukunft der Besteuerung auch in ihrem Ansässigkeitsstaat unterstehen. In diesem Zusammenhang wird in Artikel 3 Absatz 2 des neuen Grenzgängerabkommens bestätigt, dass die gesamte Steuerbelastung des Einkommens aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit der in Italien ansässigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger auf keinen Fall weniger betragen darf als die Steuer, die in Anwendung der Grenzgängervereinbarung von 1974 erhoben würde. Nach Ziffer 6 des Zusatzprotokolls überprüfen die Vertragsparteien anlässlich des jährlichen Treffens der gemischten Kommission nach Artikel 6 die Einhaltung dieses Prinzips.

In Artikel 3 wird zudem präzisiert, dass die Besteuerung im Vertragsstaat, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, über die Quellenbesteuerung erfolgt und jegliche andere Besteuerungsart ausgeschlossen wird (Abs. 3). Anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens führten die Schweiz und Italien auch einen Briefwechsel, um die Auslegung einiger Bestimmungen des neuen Grenzgängerabkommens zu 10 / 18

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klären und dessen Anwendung sicherzustellen. Der erwähnte Briefwechsel wurde von denselben Personen unterschrieben, die das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll zum DBA-I unterzeichnet haben; es handelt sich demnach um ein Abkommen, das zwischen den Vertragsparteien beim Abschluss des Vertrags zustande kam. Dieser Briefwechsel bestätigt insbesondere, dass die Erhebung einer Quellensteuer die einzige auf Grenzgängerinnen und Grenzgänger anwendbare Besteuerungsmethode ist und dass, soweit die Schweiz betroffen ist, die Regeln von Artikel 99a des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19904 über die direkte Bundessteuer nicht anwendbar sind. Die Bestimmungen von Artikel 3 Absatz 3 stellen, so wie sie im Briefwechsel ausgelegt werden, eine Sonderregel gegenüber den anderen Bestimmungen des neuen Grenzgängerabkommens sowie gegenüber anderen, vor diesem Abkommen geltenden Bestimmungen des interstaatlichen oder internationalen Rechts dar.

Art. 4

Gleichbehandlung

Das neue Grenzgängerabkommen enthält eine Regelung betreffend die Gleichbehandlung. Unbeschadet der Bestimmungen von Artikel 25 DBA-I führt diese Regelung einen zusätzlichen Schutz gegen allfällige Diskriminierungen der Grenzgängerinnen und Grenzgänger ein, die in den Geltungsbereich des neuen Grenzgängerabkommens fallen. Dieses lässt insbesondere keine Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Arbeitsstaat zu, die anders oder belastender ist als die Besteuerung, welcher andere Grenzgängerinnen und Grenzgänger unterliegen, die unter die Definition des Freizügigkeitsabkommens fallen. Diese Bestimmung verbietet daher grundsätzlich jede unterschiedliche Behandlung, ungeachtet ihrer negativen oder positiven Auswirkungen (d. h. Verbot der «negativen», aber auch der «positiven» Diskriminierung).

Hervorzuheben ist, dass keine Ungleichbehandlung im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn eine Grenzgängerin oder ein Grenzgänger gemäss FZA anders behandelt wird als eine Grenzgängerin oder ein Grenzgänger gemäss neuem Grenzgängerabkommen, sofern diese Ungleichbehandlung auf der Anwendung eines anderen Doppelbesteuerungsabkommens beruht (Ziff. 5 des Zusatzprotokolls). Ferner ist den Vertragsstaaten untersagt, eine diskriminierende steuerliche Behandlung aufgrund der Definition des Grenzgängers oder der Grenzgängerin nach neuem Abkommen (vgl.

Art. 2) vorzusehen, beispielsweise durch eine Definition, die auf der Häufigkeit der Rückkehr an den eigenen Wohnsitz beruht oder auf der Aufenthaltsdauer im Staat, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Art. 5

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Der Ansässigkeitsstaat der Grenzgängerinnen und Grenzgänger vermeidet die Doppelbesteuerung nach Artikel 24 DBA-I. Italien wendet demnach die Methode der Anrechnung der schweizerischen Steuern an. Für die Schweiz wird eine Sonderregel in Abweichung von Artikel 24 DBA-I eingeführt. Nach den Bestimmungen des DBA-I vermeidet die Schweiz die Doppelbesteuerung, indem sie die aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Ausland erzielten Einkommen von der Steuer befreit, vorbehalt-

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SR 642.11

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lich ihrer Berücksichtigung bei der Festlegung der Steuerbemessungsgrundlage. Angesichts der Tatsache, dass Italien aufgrund des neuen Grenzgängerabkommens seine Quellensteuer auf 80 Prozent des normalerweise erhobenen Betrags wird beschränken müssen, wurde eine Sonderregel eingeführt, um eine allfällige Differenz in der Steuerbelastung der in der Schweiz ansässigen Arbeitnehmenden, die nach neuem Abkommen als Grenzgängerin oder Grenzgänger gelten, einerseits und andererseits den übrigen in der Schweiz ansässigen Personen, die in Italien arbeiten, mindestens teilweise zu begrenzen. Das neue Grenzgängerabkommen erlaubt also der Schweiz, einen Teil des Einkommens der in der Schweiz ansässigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in Italien arbeiten, zu besteuern. Bei der Berechnung des in der Schweiz steuerbaren Einkommens wird der Bruttolohn der Grenzgängerinnen und Grenzgänger um vier Fünftel herabgesetzt. Konkret bedeutet dies, dass in der Steuerbemessungsgrundlage in der Schweiz ein Fünftel des Bruttolohns berücksichtigt wird. Diese Methode stellt ein pragmatisches Mittel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung dar.

Eine ähnliche Regelung wird zum Beispiel bereits auf die in Deutschland erwerbstätigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger angewendet.

Art. 6

Gemischte Kommission und Verständigungsverfahren

Die beiden Vertragsparteien verpflichten sich, Fragen zur Anwendung und Auslegung dieses Abkommens sinngemäss nach Artikel 26 DBA-I auf dem Verständigungsweg zu regeln.

Die gemischte Kommission tritt mindestens einmal jährlich zusammen, um die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens zu erörtern. Jeder Vertragsstaat kann eine Zusammenkunft der gemischten Kommission verlangen, die spätestens innerhalb von drei Monaten nach dem Gesuch zusammentreten muss. Die gemischte Kommission besteht aus den für die Anwendung des neuen Abkommens zuständigen Behörden sowie den Steuerbehörden der Kantone und der Regionen (vgl. Ziff. 6 des Zusatzprotokolls).

Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die der Auffassung sind, dass Massnahmen eines Vertragsstaates oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die diesem Abkommen nicht entspricht, können gestützt auf Artikel 26 DBA-I ihren Fall den zuständigen Behörden unterbreiten.

Art. 7

Administrative Zusammenarbeit

Um eine tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat zu gewährleisten und Missbräuche zu bekämpfen, enthält das neue Grenzgängerabkommen detaillierte Vorschriften über den Informationsaustausch in elektronischer Form. Da das Einkommen der bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgänger weiterhin ausschliesslich in der Schweiz besteuert wird, betrifft dieser Informationsaustausch nur neue Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinn des Abkommens, die nicht in den Geltungsbereich von Artikel 9 («Übergangsregelung») fallen. Es ist vorgesehen, dass die auszutauschenden Informationen bis zum 20. März des auf das Steuerjahr folgenden Jahres in einem vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens bilateral vereinbarten elektronischen Format übermittelt werden. Bei Fehlern bei der Berechnung der Quellensteuer,

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vom Arbeitgeber zu spät gelieferten Informationen oder unvollständigen Steuerperioden, für die weitere Anpassungen notwendig sind, ist eine nachträgliche Mitteilung spätestens bis zum 20. März des darauffolgenden Jahres vorgesehen.

Es sind zwei Kategorien von Informationen zu übermitteln: Informationen zur Identifizierung der steuerpflichtigen Person (z. B. Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnadresse, Geburtsort, Steuernummer oder Name des Arbeitgebers) und solche zur Steuerveranlagung (z. B. Bruttolohn, Betrag der Sozialabgaben oder erhobene Steuer).

Die Liste der auszutauschenden Informationen ist allgemein formuliert, um zu vermeiden, dass in Zukunft Probleme auftauchen könnten, wenn manche dieser vorgesehenen Kategorien im einen oder anderen Steuersystem neu definiert oder umbenannt würden. Was zum Beispiel die «Steuernummer des Arbeitgebers» angeht, ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g ausreichend allgemein formuliert, damit er die verschiedenen Steueridentifikationsnummern der Arbeitgeber abdeckt, die es in den Kantonen heute gibt.

Die Steuerbehörden der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis sind für die elektronische Übermittlung der Informationen über die in der Schweiz tätigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger zuständig. Sie übermitteln diese Informationen direkt an die italienische Steuerbehörde. Die italienische Steuerbehörde sendet die Informationen über die in der Schweiz ansässigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in Italien arbeiten, an die Eidgenössische Steuerverwaltung, die dafür besorgt ist, sie an die kantonalen Steuerbehörden weiterzuleiten.

Vorgesehen sind die dem internationalen Standard auf dem Gebiet des Informationsaustauschs auf Anfrage entsprechenden Vorschriften zur Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen. Ferner wurde auf Ersuchen der Schweiz für die Informationen, die den Arbeitgeber betreffen, eine restriktivere Regelung getroffen. Diese Informationen dürfen von der Steuerbehörde, die sie erhält, ausschliesslich zur Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger verwendet werden. Eine andere Verwendung durch die Steuerbehörde ist ausdrücklich verboten.

Schliesslich wurde die Gelegenheit ergriffen, um auch die anderen Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinne des Freizügigkeitsabkommens einzubeziehen, die nicht in den Anwendungsbereich des neuen
Grenzgängerabkommens fallen.. Ziffer 9 des Zusatzprotokolls zum neuen Grenzgängerabkommen hält diesbezüglich fest, dass es sich gemäss aktuellen Regelungen für die Schweiz um Grenzgängerinnen und Grenzgänger mit einer «G»-Bewilligung für Personen aus EU/EFTA-Staaten handelt, die in den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis arbeiten. Dieser Zusatz gewährleistet die steuerliche Berücksichtigung des Erwerbseinkommens dieser Personen in ihrem Ansässigkeitsstaat. In der Praxis gilt der elektronische Informationsaustausch demnach für die neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger (d. h. solche nach Art. 2 Bst. b, die jedoch nicht in den materiellen Geltungsbereich der Übergangsregelung nach Art. 9 fallen) sowie für alle in einem der beiden Vertragsstaaten ansässigen Arbeitnehmenden, die jedoch nicht innerhalb einer 20 km breiten Zone an der Grenze zum anderen Vertragsstaat wohnen (Art. 2 Bst. b Ziff. i) oder die nicht täglich an ihr Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat zurückkehren (Art. 2 Bst. b Ziff. iii).

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Die Vertragsstaaten werden vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens das reibungslose Funktionieren (Betriebsbereitschaft) des elektronischen Informationsaustauschs überprüfen.

Art. 8

Inkrafttreten

Die Bestimmungen des neuen Grenzgängerabkommens sind ab dem 1. Januar des auf das Jahr des Inkrafttretens folgenden Kalenderjahrs anwendbar. Das neue Grenzgängerabkommen ersetzt ab seinem Inkrafttreten die Vereinbarung von 1974. Die Bestimmungen der Vereinbarung von 1974 werden jedoch weiter angewandt, bis die Bestimmungen des neuen Grenzgängerabkommens anwendbar werden. Die Vertragsparteien sind sich hinsichtlich der Wirkung einig, dass die Vereinbarung von 1974 aufgehoben wird. Sie haben dennoch beschlossen, von Ersatz zu sprechen, um zu gewährleisten, dass die Vereinbarung von 1974 im Folgejahr des Inkrafttretens des neuen Grenzgängerabkommens weiter wirksam bleibt. Ziffer 10 des Zusatzprotokolls zum neuen Grenzgängerabkommen präzisiert, dass die Schweiz den in Anwendung der Vereinbarung von 1974 geschuldeten finanziellen Ausgleich auch für das letzte Jahr zahlen wird, in welchem die Bestimmungen der Vereinbarung von 1974 in Kraft waren.

Art. 9

Übergangsregelung

Dieser Artikel sieht eine Übergangsregelung für die Besteuerung von bestehenden Grenzgängerinnen und Grenzgängern vor, die in Italien wohnen und in einem der drei betroffenen Kantone arbeiten. Bestehende Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind definiert als unselbstständige Arbeitnehmende mit Wohnsitz in Italien, die zwischen dem 31. Dezember 2018 und dem Datum des Inkrafttretens des neuen Grenzabkommens in den Kantonen Graubünden, Tessin oder Wallis arbeiten oder gearbeitet haben und steuerliche Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Sinne der Definition des neuen Grenzabkommens sind. Ziffer 11 des Zusatzprotokolls enthält zwei wichtige zusätzliche Elemente im Hinblick auf die Qualifikation als bestehende Grenzgängerin oder bestehender Grenzgänger. Es wird klargestellt, dass als solche oder solcher gilt, wenn der Arbeitgeber während des in Artikel 9 Absatz 1 des Abkommens genannten Zeitraums die auf den Bezügen der Arbeitnehmenden erhobene Quellensteuer entrichtet oder die Erwerbstätigkeit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger der zuständigen Steuerbehörde gemeldet hat (vgl. Art. 5 der Quellensteuerverordnung vom 11. April 20185). Andererseits wird auch festgehalten, dass eine Person, die als bestehende Grenzgängerin oder bestehender Grenzgänger gilt, auch nach einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder einem Wechsel des Arbeitgebers weiterhin als solche bzw. solcher angesehen werden kann, allerdings nur, wenn die in Artikel 2 Buchstabe b des Abkommens (Definition) genannten Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind. Personen, die als bestehende Grenzgängerinnen oder bestehende Grenzgänger qualifizieren, werden ausschliesslich in der Schweiz besteuert.

Die Kantone Graubünden, Tessin und Wallis sind verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2033 einen finanziellen Ausgleich von 40 Prozent der Schweizer Quellensteuer 5

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an die italienischen Grenzgemeinden zu zahlen. Die letzte Ausgleichszahlung wird somit in der ersten Hälfte des Jahres 2034 erfolgen. Ab dem 1. Januar 2034 werden die drei Schweizer Kantone nicht mehr verpflichtet sein, einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Die gesamte schweizerische Quellensteuer, die von Personen erhoben wird, die der Definition bestehender Grenzgängerinnen und Grenzgänger entsprechen, verbleibt ab dann der Schweiz.

Schliesslich ist eine generelle Regelung zur koordinierten Bekämpfung möglicher Missbräuche der Übergangsregelung vorgesehen. Sie sieht vor, dass sich die zuständigen Behörden im Fall eines eindeutigen und offensichtlichen Missbrauchs der Bestimmungen über die Übergangssysteme konsultieren können, um die nach Abkommenszweck geeignete steuerliche Behandlung zu bestimmen. Konkret bedeutet dies, dass die kantonalen Steuerbehörden oder jede andere Person die Fälle von eindeutigem und offensichtlichem Missbrauch der zuständigen Schweizer Behörde, d. h. dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, melden können, damit diese Fälle untersucht und gegebenenfalls auf bilateraler Ebene mit der zuständigen italienischen Behörde besprochen werden. Ziffer 8 des Zusatzprotokolls hält fest, dass eine steuerpflichtige Person bei Uneinigkeit mit der kantonalen Steuerbehörde darüber, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Übergangsregelung erfüllt sind, die Eröffnung eines Verständigungsverfahrens nach Artikel 6 Absatz 3 des Abkommen verlangen kann.

Art. 10

Überprüfungsklausel

Die Vertragsstaaten überprüfen das neue Grenzgängerabkommen alle fünf Jahre, um zu entscheiden, ob Änderungen notwendig sind. Diese Überprüfungsklausel verfolgt den Zweck, den beiden Vertragsparteien zu ermöglichen, das Abkommen im Laufe der Zeit weiterzuentwickeln und auf angemessene Art und Weise die Änderungen zu berücksichtigen, die in den kommenden Jahren eintreten könnten.

Änderungsprotokoll zum DBA-I Das neue Grenzgängerabkommen stellt gegenüber den Bestimmungen von Artikel 15 DBA-I eine Sonderregel dar. Das zusammen mit dem neuen Grenzgängerabkommen unterzeichnete Änderungsprotokoll zum DBA-I verlangt demnach eine entsprechende Anpassung des Verweises in Artikel 15 Absatz 4 DBA-I.

3 Finanzielle Auswirkungen Das neue Grenzgängerabkommen gestaltet das System zur Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger zwischen der Schweiz und Italien um. Was die Personen betrifft, die in den Geltungsbereich der Übergangsregelung fallen werden, wird es bis zum Steuerjahr 2033 hinsichtlich der Besteuerung keinen spürbaren Unterschied im Vergleich zur aktuellen Situation gemäss der Vereinbarung von 1974 geben. Ab dem Steuerjahr 2034 werden die Steuereinnahmen des Bundes, der drei betroffenen Kantone und der Gemeinden der betroffenen Kantone aufgrund der Tat-

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sache, dass es keinen finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden mehr geben wird, eine Steigerung erfahren. Eine Schätzung dieser Steigerung ist nicht möglich, weil sie je nach Fluktuation der Anzahl Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die weiter unter die Übergangsregelung von Artikel 9 fallen werden, schwanken wird. Was die übrigen Grenzgängerinnen und Grenzgänger angeht, wird der wachsende Anteil zugunsten des Staates, in welchem sie die Erwerbstätigkeit ausüben, eine Erhöhung der Steuereinnahmen des Bundes, der drei betroffenen Kantone und der Gemeinden dieser Kantone nach sich ziehen. Andererseits dürfte die im neuen Abkommen vorgesehene Gegenseitigkeit auch eine gewisse, wenn auch nur sehr begrenzte Zunahme der Steuereinnahmen des Bundes, der drei betroffenen Kantone sowie deren Gemeinden erlauben, deren Gebiet ganz oder teilweise innerhalb einer 20 km breiten Zone an der Grenze zu Italien liegt; dies betrifft jedoch lediglich einige Hundert Personen.

Das Änderungsprotokoll zum DBA-I enthält keine Änderung der Kriterien für die Zuteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Schweiz und Italien und dürfte deshalb keine spezifischen Auswirkungen auf die Steuereinnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden haben.

Das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll zum DBA-I können grundsätzlich mit den aktuellen Personalressourcen umgesetzt werden.

4 Rechtliche Aspekte Das neue Grenzgängerabkommen sowie das Änderungsprotokoll zum DBA-I stützen sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)6, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (vgl. auch Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19977). Im vorliegenden Fall existiert kein Gesetz und kein Vertrag, die eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat vorsehen, einen Vertrag wie das neue Grenzgängerabkommen oder das Änderungsprotokoll zum DBA-I abzuschliessen. Somit ist das Parlament für deren Genehmigung zuständig.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20028 (ParlG) sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen.

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SR 101 SR 172.010 SR 171.10

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Das vorliegende neue Grenzgängerabkommen sowie das vorliegende Änderungsprotokoll zum DBA-I enthalten Bestimmungen, die den Schweizer Behörden Pflichten auferlegen und ihnen sowie den (natürlichen und juristischen) Privatpersonen Rechte verleihen. Sie enthalten somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 22 Absatz 4 ParlG und 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des neuen Grenzgängerabkommens sowie des Änderungsprotokolls zum DBA-I untersteht demnach dem Referendum für völkerrechtliche Verträge nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

5 Vernehmlassungsverfahren Das neue Grenzgängerabkommen sowie das Änderungsprotokoll zum DBA-I unterstehen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Referendum. Laut Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20059 (VlG) hätte folglich ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden müssen. Gestützt auf das im Dezember 2015 paraphierte Abkommen wurde im Februar 2016 ein Anhörungsverfahren organisiert. Dabei wurden das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll zum DBA-I den vom Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommens betroffenen Kantonen und Kreisen zusammen mit Erläuterungen zur Stellungnahme unterbreitet. Beide wurden positiv und ohne Einwände aufgenommen. Die drei betroffenen Kantone (GR, TI und VS) wurden im Jahr 2020 eng in die Gespräche miteinbezogen, die zur Vereinbarung von Artikel 9 (Übergangsregelung) führten; die vom Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen betroffenen Tessiner Kreise wurden zu den wichtigsten Aspekten dieser neuen Bestimmung mündlich konsultiert.

Auch sie begrüssten die neue Bestimmung und hatten nichts gegen sie einzuwenden.

Im Februar 2021 wurden das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll zum DBA-I zusammen mit Erläuterungen erneut den hauptsächlich Interessierten (Kantone GR, TI und VS sowie Wirtschaftskreise und Gewerkschaften der Kantone GR, TI und VS) zur Stellungnahme unterbreitet. Die positive Einschätzung wurde bestätigt; das neue Grenzgängerabkommen und das Änderungsprotokoll zum DBA-I haben keine Einwände hervorgerufen. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG wurde somit auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet.

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SR 172.061

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