BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.021 Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Kriegsmaterialgesetzes) vom 5. März 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, als indirekten Gegenvorschlag eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. März 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-0715

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Übersicht Der Bundesrat empfiehlt die Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» zur Ablehnung. Er kann die Kernanliegen der Initiantinnen und Initianten zwar nachvollziehen, eine Verankerung des Initiativtextes auf Verfassungsstufe wäre aber nicht stufengerecht. Zudem würde eine Annahme der Initiative zu einer Schwächung der für die Schweiz wichtigen sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis (STIB) führen. Deshalb will der Bundesrat dem Parlament einen indirekten Gegenvorschlag unterbreiten. Dieser sieht vor, dass die heutigen Bewilligungskriterien in der Kriegsmaterialverordnung auf Gesetzesstufe überführt werden, jedoch ohne die Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Zudem soll eine Abweichungskompetenz für den Bundesrat vorgesehen werden, die es ihm ermöglicht, im Falle ausserordentlicher Umstände zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens von den gesetzlichen Bewilligungskriterien abzuweichen.

Inhalt der Initiative Die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer will die Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte nicht mehr auf Verordnungsebene, sondern auf Verfassungsstufe regeln. Damit würde dem Bundesrat die Kompetenz für Anpassungen an den Kriterien entzogen. Ebenso sollen damit Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer verhindert werden. Die Initiantinnen und Initianten möchten ausserdem den «Status Quo von 2014» wiederherstellen, indem Ausfuhren von Kriegsmaterial in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, generell verboten werden ­ unabhängig davon, ob sich das auszuführende Kriegsmaterial für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen eignet.

Vorzüge und Mängel der Initiative Die Initiative greift eine 2018 emotional geführt Debatte über eine letztlich nicht umgesetzte Anpassung der Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte auf und ermöglicht es dem Stimmvolk, Stellung zur Ausgestaltung der Kriegsmaterialausfuhrpolitik zu nehmen. Die mit der Initiative verbundene Kompetenzverschiebung von der Exekutive zum Souverän widerspricht jedoch dem Grundsatz, dass der Gesetzgeber die Grundzüge einer Regelung verabschiedet und den Erlass der zugehörigen Ausführungsbestimmungen
dem Bundesrat überlässt. Mit der Verankerung von Verboten auf Verfassungsstufe würden Parlament und Bundesrat ihren Handlungsspielraum hinsichtlich der Aufrechterhaltung der STIB verlieren, da allfällige Anpassungen der Bewilligungskriterien an veränderte Verhältnisse eine lange und aufwändige Verfassungsänderung bedingen. Die Stärkung der STIB ist dem Bundesrat jedoch ein wichtiges sicherheitspolitisches Anliegen. Ebenso könnten die Verfassungsverbote gesetzliche Spezialregelungen in Frage stellen. Dies beträfe z. B. jene Regelung für Ersatzteillieferungen zu früher aus der Schweiz ausgeführtem Kriegsmaterial, die zugunsten der Rechtssicherheit und damit des Vertrauensschutzes durch das Parlament geschaffen wurde. Mit dieser Spezialregelung soll sichergestellt werden, dass Ersatzteillieferungen, zu denen sich der Schweizer Lieferant anlässlich des Verkaufs eines 2 / 42

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Waffensystems langfristig verpflichtet hat, nicht ohne wichtigen Grund abgelehnt werden. Ohne eine solche Spezialregelung für Ersatzteillieferungen wäre das Erfüllen von vereinbarten Garantieleistungen nicht mehr in allen Fällen möglich, was den Ruf der Schweiz als verlässliche Wirtschaftspartnerin und die Konkurrenzfähigkeit von Schweizer Firmen beeinträchtigen könnte. Die von der Allianz vorgesehenen Verbote sollen daher in einem Gesetz anstatt in der Verfassung verankert werden.

Antrag des Bundesrates Da der Bundesrat das Anliegen der Allianz nach mehr demokratischer Kontrolle grundsätzlich nachvollziehen kann, die Initiative aber gewisse Mängel aufweist, stellt er ihr einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber.

Der indirekte Gegenvorschlag sieht vor, die heutigen Bewilligungskriterien in der Kriegsmaterialverordnung auf Gesetzesstufe zu überführen, jedoch ohne die Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen des heute geltenden Artikels 5 Absatz 4 der Kriegsmaterialverordnung. Diese von der Allianz kritisierte Ausnahme wird ersatzlos gestrichen. Zudem sieht der indirekte Gegenvorschlag eine Abweichungskompetenz für den Bundesrat vor, die es ihm ermöglicht, im Falle ausserordentlicher Umstände zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens von den gesetzlichen Bewilligungskriterien abzuweichen.

Mit der Streichung der Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen, der Verankerung der Bewilligungskriterien auf Gesetzesstufe und dem Ausschluss von Kriegsmaterialausfuhren in Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, berücksichtigt der indirekte Gegenvorschlag die drei Hauptanliegen der Allianz. Durch die Überführung der Bewilligungskriterien von der Verordnung ins Gesetz wird der Bundesrat keine Möglichkeit mehr haben, Anpassungen vorzunehmen. Es ist dennoch wichtig, dass der Bundesrat über eine Abweichungskompetenz verfügt, damit er innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens bei ausserordentlichen Umständen zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes zeitnah reagieren kann.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

6 6 7 7

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Hintergrund 2.2 Die sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis der Schweiz

8 8 9

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

11 11 11 13

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.1.1 «Rüstungsexporte gehören unter demokratische Kontrolle» 4.1.2 «Die Allianz will keine Verschärfung der Waffenexportpraxis, sondern eine Rückkehr zum » 4.1.3 «Der Bundesrat kann die Lockerung schon nächstes Jahr wieder gewähren» 4.1.4 «Die Schweiz muss Fluchtursachen bekämpfen» 4.1.5 «Waffen in Krisenregionen gelangen schnell in die Hände von Terroristen» 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.2.1 Auswirkungen der Ausnahmen auf Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind 4.2.2 Auswirkungen der Aufhebung der Ausnahmeregelung für Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen 4.2.3 Auswirkungen auf die Ersatzteilregelung 4.2.4 Sicherheitspolitische und volkswirtschaftliche Auswirkungen 4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

16 16

5

Schlussfolgerungen

24

6

Indirekter Gegenvorschlag

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16 18 19 19 19 20 20 21 22 22 23 24

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6.1

6.2 6.3 6.4

6.5

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 6.1.1 Vernehmlassungsvorlage 6.1.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 6.1.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens Grundzüge der Vorlage Erläuterungen zu einzelnen Artikeln Auswirkungen 6.4.1 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4.2 Auswirkungen auf die Sicherheit der Schweiz Rechtliche Aspekte 6.5.1 Verfassungsmässigkeit 6.5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.5.3 Erlassform

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Bundesgesetz über das Kriegsmaterial (Kriegsmaterialgesetz, KMG) (Entwurf)

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» (Entwurf)

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 107 Abs. 24 Er [der Bund] erlässt in der Form eines Bundesgesetzes Vorschriften über die Herstellung, die Beschaffung und den Vertrieb sowie über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial.

2

3

Auslandsgeschäfte mit Kriegsmaterial sind insbesondere verboten, wenn: a.

das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen, namentlich für: 1. demokratische Länder, die über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist, 2. Länder, die ausschliesslich im Rahmen einer Resolution des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen in solche Konflikte verwickelt sind;

b.

das Bestimmungsland Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt;

c.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird; oder

d.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird.

Abweichend von Absatz 3 kann das Gesetz Ausnahmen vorsehen für Geräte zur humanitären Entminung sowie für einzelne Hand- und Faustfeuerwaffen mit dazugehöriger Munition, sofern die Waffen ausschliesslich privaten oder sportlichen Zwecken dienen.

4

1

SR 101

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Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 107 Abs. 24 (Waffen und Kriegsmaterial) Treten innerhalb von drei Jahren nach Annahme von Artikel 107 Absätze 24 durch Volk und Stände die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg; diese gelten bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» wurde am 27. November 2018 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 24. Juni 2019 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 16. Juli 2019 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 126 355 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist4.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) und unter Berücksichtigung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung vom 20. März 20206 über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 6. März 2021 die Entwürfe für einen Bundesbeschluss und einen Erlass sowie eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 6. März 2022 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen. Sie kann die Behandlungsfrist um ein Jahr verlängern, wenn die Voraussetzungen gemäss Artikel 105 ParlG erfüllt sind.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 BV:

2 3 4 5 6

a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2018 7717 BBl 2019 5147 SR 171.10 AS 2020 847

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Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Hintergrund

Die Initiative wurde durch die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer als Reaktion auf die vom Bundesrat am 15. Juni 2018 beschlossene, aber nicht durchgeführte Anpassung der Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 19987 (KMV) lanciert, welche eine Angleichung der Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte an diejenigen der EU (und damit unserer Nachbarländer) zum Ziel hatte. Hintergrund dieses Beschlusses bildeten Befürchtungen, die sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis (STIB) der Schweiz könnte gefährdet sein8. Über eine eigene industrielle Basis in der Sicherheits- und Wehrtechnik zu verfügen, ist für die Glaubwürdigkeit der Sicherheitspolitik eines kleinen, neutralen Landes auch in einer zunehmend globalisierten Welt weiterhin zentral (vgl. Ziff. 2.2). Entsprechend ist in Artikel 1 des Kriegsmaterialgesetzes vom 13. Dezember 19969 (KMG) festgehalten, dass innerhalb der durch die Exportkontrolle zu wahrenden Schranken (internationale Verpflichtungen der Schweiz sowie aussenpolitische Grundsätze) eine an die Bedürfnisse der Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrecht erhalten werden soll. Zur Gewährleistung dieses Ziels müssen die Rahmenbedingungen der Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial regelmässig überprüft werden.

Die Schweiz verfügt heute über eine vergleichsweise starke industrielle Basis, die jedoch einem stetig zunehmenden internationalen Standortwettbewerb ausgesetzt ist.

Einmal verlorene industrielle Kapazitäten sind nur schwer wieder aufbaubar. Dies gilt in besonderem Masse für die Technologiekompetenzen und die industriellen Fähigkeiten und Kapazitäten im Bereich der Sicherheits- und Wehrtechnik, zumal der internationale Rüstungsmarkt kein offener Markt ist, sondern oft durch nationale Auflagen reguliert wird. Wegen des beschränkten und tendenziell eher abnehmenden nationalen Absatzmarktes für Kriegsmaterial ist die hiesige Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie auf Exporte angewiesen.

Im Rahmen der 2018 geplanten Revision der KMV war der Bundesrat deshalb der Auffassung, dass eine Differenzierungsmöglichkeit geschaffen werden sollte, wonach die Ausfuhr von Kriegsmaterial in ein Bestimmungsland, das in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, im Einzelfall bewilligt werden kann, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das
fragliche Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt selbst eingesetzt wird.

Der Bundesrat verzichtete mit Entscheid vom 31. Oktober 2018 auf diese Anpassung der Kriegsmaterialverordnung. Ausschlaggebend für den Verzicht auf die Verordnungsanpassung war für den Bundesrat, dass die politische Unterstützung für die Reform insbesondere in den zuständigen Sicherheitspolitischen Kommissionen nicht mehr gegeben war. Aufgrund der Ablehnung der Motion der Fraktion BD vom 28. Mai 2018 (18.3394 «Verbreiterung der demokratischen Basis von Waffenexporten») durch das Parlament erachtete die Allianz die vorliegende Initiative weiterhin 7 8 9

SR 514.511 Medienmitteilung des Bundesrates vom 15. Juni 2018: «Kriegsmaterialverordnung wird angepasst».

SR 514.51

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als notwendig. Sie hielt dazu fest, dass der Bundesrat ohne diese Initiative jederzeit wieder eine Lockerung der Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte beschliessen könnte, falls diese auf Verordnungsebene verbleiben würden. Indem dem Bundesrat die Kompetenz zur Anpassung der Bewilligungskriterien entzogen wird, sollen Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer verhindert werden. Gleichzeitig würden die Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte mittels einer grundsätzlichen Verankerung auf Verfassungsstufe direkt durch das Volk legitimiert. Schliesslich soll mit der Initiative auch die 2014 eingeführte Ausnahmeregelung betreffend Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen wieder abgeschafft werden.

Die Initiative sieht vor, spezifische Verbote für die Ausfuhr von Kriegsmaterial auf Verfassungsstufe zu verankern. Diese Verbote lehnen sich an die bereits heute geltenden Bewilligungskriterien an, sehen aber auch eine leichte Verschärfung vor. Mit der Festlegung dieser Verbote auf Verfassungsstufe würde die Möglichkeit von Parlament und Bundesrat eingeschränkt werden, die Bewilligungspraxis zur Ausfuhr von Kriegsmaterial auszugestalten.

Die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer setzt sich aus einem Bündnis verschiedener Hilfsorganisationen, Parteien und kirchlichen Organisationen zusammen. Unter den 47 Entitäten befinden sich neben Organisationen wie bspw. Amnesty International Schweiz, der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), Public Eye oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe auch Mitglieder der BDP, der SP, der Grünen, der EVP, der GLP sowie verschiedener Jungparteien.

2.2

Die sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis der Schweiz

Der Bundesrat definiert die STIB in seinen Grundsätzen für die Rüstungspolitik des VBS als «Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die in der Schweiz über Kompetenzen, Fähigkeiten und Kapazitäten im sicherheits- und wehrtechnischen Bereich verfügen». Die STIB leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der nötigen Ausrüstung und der erforderlichen Dienstleistungen für die Schweizer Armee und weitere Institutionen der staatlichen Sicherheit des Bundes, wie beispielsweise das Bundesamt für Polizei und das Grenzwachtkorps. Eine leistungsfähige STIB ist in vielen Staaten ein Bestandteil der Rüstungspolitik und somit auch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Für die Schweiz ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung, weil sie als neutraler Staat, der keiner Verteidigungsallianz angehört, keinen Anspruch auf militärische Unterstützung durch andere Staaten hat. Die Stärkung der STIB ist dem Bundesrat deshalb ein wichtiges sicherheitspolitisches Anliegen. Darauf hat er in seinen Grundsätzen für die Rüstungspolitik des VBS vom 24. Oktober 2018 10 einen starken Fokus gelegt.

Die Technologiekompetenzen und Industriefähigkeiten der Schweiz im Bereich der Sicherheits- und Wehrtechnik bestehen vorwiegend im Wissen und in den Fähigkeiten

10

www.ar.admin.ch > Beschaffung > Rüstungspolitik des Bundesrates (Stand 02.10.2020).

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innovativer kleiner und mittlerer privater Unternehmen, die gegen starke internationale Konkurrenz technologisch hochwertige Subsysteme oder Einzelkomponenten für militärische und zivile Gesamtsysteme produzieren. Gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen in der Schweiz bilden diese Unternehmen die STIB, die damit weit mehr als nur die klassischen Rüstungsunternehmen umfasst. Die Schweiz hat jedoch keine umfassende Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie und ist in diesem wichtigen Bereich zu grossen Teilen vom Ausland abhängig. Systemlieferanten und -integratoren gibt es mit wenigen Ausnahmen nur noch unter den in der Schweiz ansässigen Niederlassungen ausländischer Unternehmen. Oft sind dies ehemalige Schweizer Firmen, die von ausländischen Konzernen übernommen wurden. Die Mehrzahl der Rüstungsgüter und Dienstleistungen wird über solche Schweizer Vertretungen grosser internationaler Unternehmen beschafft. Die Schweiz hat daher keinen direkten Einfluss darauf, dass der Zugriff auf die in diesen nationalen Sicherheitssystemen eingesetzten Technologien und die für Integration, Betrieb und Instandhaltung solcher Systeme erforderlichen industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten in der Schweiz zu jedem Zeitpunkt sichergestellt werden können.

Völlige Unabhängigkeit vom Ausland ist für die Schweiz im Rüstungsbereich daher kein realistisches Ziel. Sie konzentriert sich deshalb auf die Beherrschung ausgewählter Technologien und industrieller Kernfähigkeiten, die für die nationale Sicherheit von zentraler Bedeutung sind. Die STIB soll in der Lage sein, diese zentralen Technologiekompetenzen und Industriefähigkeiten mit den erforderlichen Kapazitäten in der Schweiz bestmöglich sicherzustellen. Die STIB soll wesentliche Leistungen für die Durchhaltefähigkeit der wichtigsten Einsatzsysteme der Armee und weiterer Institutionen staatlicher Sicherheit des Bundes erbringen können. Dazu braucht es einerseits zentrale Fähigkeiten für den Betrieb und die möglichst autonome Instandhaltung bestehender und zukünftiger Einsatzsysteme und andererseits auch ausgeprägte Entwicklungs- und Integrationsfähigkeiten, um zum Beispiel im Rahmen von Werterhaltungsmassnahmen neue Komponenten herstellen bzw. erfolgreich in diese Systeme integrieren zu können.

In der Schweiz sind Unternehmen, wie sie in der Definition der STIB
erwähnt sind, grundsätzlich privatrechtlich organisiert und können am Markt nur bestehen, wenn sie wettbewerbsfähig sind und ihre Produkte und Dienstleistungen gewinnbringend verkaufen können. Die Inlandnachfrage durch die Armee und weiterer Institutionen staatlicher Sicherheit des Bundes reicht nicht aus, um die verlässliche Existenz der STIB mit der erforderlichen Breite und Tiefe an Kompetenzen, Fähigkeiten und Kapazitäten gewährleisten zu können. Aus diesem Grund ist neben der Beschaffung im Inland und den Offset-Geschäften insbesondere die Exportkontrollpolitik von grosser Bedeutung, weil diese drei Instrumente direkt die Absatzmöglichkeiten der Unternehmen beeinflussen und somit die direktesten Steuerungsmöglichkeiten zur Stärkung der STIB darstellen. Eine leistungsfähige STIB erfordert wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, die es den Unternehmen ermöglichen, ihre konkurrenzfähigen Produkte und Dienstleistungen auch international anzubieten. Der Bund schafft mit seiner Gesetzgebung und der Exportkontrollpolitik unter Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen und im Einklang mit seinen aussenpolitischen Grundsätzen die diesbezüglichen Voraussetzungen.

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Für weitere Informationen zur Ausrichtung der schweizerischen Wirtschafts-, Innovations-, Sicherheits- und Rüstungspolitik zugunsten der STIB wird auf den Bericht des Bundesrates vom 4. Dezember 2020 in Erfüllung des Postulats 17.3243 Golay vom 17. März 2017 «Innovation und Sicherheit. Ein Tandem, das für den Wohlstand und die Unabhängigkeit der Schweiz entscheidend ist»11 verwiesen.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Die Initiative soll laut der Allianz in erster Linie eine «nachhaltige demokratische Regelung» der Kontrolle von Kriegsmaterialexporten ermöglichen, indem die Ausfuhrkriterien auf Verfassungs- und Gesetzesebene geregelt werden. Die Initiantinnen und Initianten erhoffen sich ferner die Bekämpfung von Fluchtursachen. Heute seien so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Wenn die Schweiz Waffen in Länder exportiere, die Menschenrechte verletzten, treibe das immer mehr Menschen in die Flucht. Schliesslich betonen die Initiantinnen und Initianten beim Export in Krisengebiete die Gefahr einer Weiterleitung der Waffen in die Hände von Terroristen. Die Allianz will mit der Initiative kein WaffenexportVerbot erreichen, sondern eine Rückkehr zu den Bewilligungskriterien, die der Bundesrat 2008 beschlossen hat (Einführung der Ausschlusskriterien in Art. 5 Abs. 2 KMV) und die 2014 mit der Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Artikel 5 Absatz 4 KMV angepasst wurden. Damit soll verhindert werden, dass Waffen in Länder exportiert werden können, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen oder in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind ­ unabhängig davon, ob sich das auszuführende Kriegsmaterial für eine Verwendung im Konflikt oder zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen eignet.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die wesentlichen Bewilligungsvoraussetzungen für Kriegsmaterialausfuhren sind heute auf Gesetzesstufe geregelt. Das KMG hält in Artikel 22 fest, dass Kriegsmaterialausfuhren bewilligt werden, wenn dies dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widerspricht. Dem Bundesrat bleibt es überlassen, auf Verordnungsstufe den Vollzug zu regeln (Art. 43 KMG). Dies hat er mit dem Erlass der Bewilligungskriterien in Artikel 5 KMV getan, welche zu berücksichtigen sind (Art. 5 Abs. 1 KMV) oder aber zwingend zu einer Bewilligungsverweigerung führen (Ausschlusskriterien, Art. 5 Abs. 2 KMV). Daneben bestehen Ausnahmeregelungen in Artikel 5 Absätze 3 und 4 KMV.

11

www.parlament.ch > 17.3243 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Art. 5

Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte

Bei der Bewilligung von Auslandsgeschäften und von Abschlüssen von Verträgen nach Artikel 20 KMG sind zu berücksichtigen: 1

a.

die Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität;

b.

die Situation im Innern des Bestimmungslandes; namentlich sind zu berücksichtigen die Respektierung der Menschenrechte und der Verzicht auf Kindersoldaten;

c.

die Bestrebungen der Schweiz im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere der mögliche Umstand, dass das Bestimmungsland auf der jeweils geltenden OECD-DAC-Liste der Empfängerländer öffentlicher Entwicklungshilfe12 unter den am wenigsten entwickelten Ländern aufgeführt ist;

d.

das Verhalten des Bestimmungslandes gegenüber der Staatengemeinschaft, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung des Völkerrechts;

e.

die Haltung der Länder, die sich zusammen mit der Schweiz an internationalen Exportkontrollregimes beteiligen.

Auslandsgeschäfte und Abschlüsse von Verträgen nach Artikel 20 werden nicht bewilligt, wenn: 2

a.

das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist;

b.

das Bestimmungsland Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt;

c.

[...]

d.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird; oder

e.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird.

Abweichend von den Absätzen 1 und 2 kann eine Bewilligung erteilt werden für einzelne Waffen der Kategorie KM1 des Anhangs 1 mit der dazugehörigen Munition, sofern die Waffen ausschliesslich privaten oder sportlichen Zwecken dienen.

3

Abweichend von Absatz 2 Buchstabe b kann eine Bewilligung erteilt werden, wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird.

4

Die Allianz will mit der Initiative die bestehenden Ausschlusskriterien in Artikel 5 Absatz 2 KMV mit gewissen Abweichungen als Verbote in die Verfassung überführen, äussert sich aber nicht zu den in der Praxis relevanten Bewilligungskriterien in Artikel 5 Absatz 1 KMV. Die Ausgestaltung der Ausschlusskriterien als Verbote und ihre Verankerung auf Verfassungsstufe führt zu einer formell-rechtlichen Änderung.

12

Die OECD-DAC Liste ist unter folgender Internetadresse abrufbar: www.oecd.org.

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Materiell-rechtlich ergibt sich daraus im Vergleich zu den heutigen Ausschlusskriterien indessen grundsätzlich kein Unterschied, da beide im Endeffekt zu einem Ausschluss der Bewilligungserteilung führen.

Die Initiative sieht zudem vor, dass die heutige Ausnahme in Artikel 5 Absatz 4 KMV wegfällt. Diese ermöglicht es, Kriegsmaterialausfuhren in Bestimmungsländer, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, ausnahmsweise zu bewilligen, wenn nur ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. Dagegen ermöglicht die Initiative dem Gesetzgeber den Erlass gewisser Ausnahmeregelungen für Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Weiter werden Geräte zur humanitären Entminung explizit von den Verboten ausgenommen. Auch die heutige Ausnahme in Artikel 5 Absatz 3 KMV für einzelne Hand- und Faustfeuerwaffen für private und sportliche Zwecke soll bestehen bleiben.

Die Initiative äussert sich nicht zum Umgang mit Ersatzteillieferungen für bereits geliefertes Kriegsmaterial. Zugunsten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sieht die heutige Regelung eine höhere Schwelle für die Ablehnung von Ersatzteillieferung zu früher geliefertem Kriegsmaterial vor. Die absolute Formulierung der Verbote in Artikel 107 Absatz 3 des Initiativtextes könnte sowohl für die Lieferung neuer Produkte als auch für die Lieferung von Ersatzteilen zu bereits geliefertem Kriegsmaterial gelten, da die Verbote auf Verfassungsstufe der gesetzlichen Spezialregelung in Artikel 23 KMG vorgingen. In diesem Fall würde es sich um eine deutliche Verschärfung zulasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes handeln.

3.3

Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

Die Bestimmungen des Initiativtexts sind weitgehend mit den heute geltenden Ausschlusskriterien von Artikel 5 Absatz 2 KMV identisch. Es bestehen aber einzelne Unterschiede, welche nachfolgend näher erläutert werden.

Art. 107 Abs. 2 «in der Form eines Bundesgesetzes» Der Initiativtext sieht vor, dass der Bund in der Form eines Bundesgesetzes Vorschriften erlässt über die Herstellung, die Beschaffung und den Vertrieb sowie über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial. Im Unterschied zur bisherigen Bestimmung, die allgemein davon spricht, dass der Bund Vorschriften über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial erlässt, wird neu die Form, in welcher die entsprechenden Vorschriften zu erlassen sind, vorgeschrieben. Das normhierarchische Verhältnis zwischen Gesetz und Verordnung ergibt sich aus Artikel 164 und 182 BV.

In systematischer Hinsicht ist die Qualifizierung «Bundesgesetz» deshalb nicht derart zu verstehen, dass der Bundesrat gestützt auf Artikel 182 BV keine Vollzugsbestimmungen mehr erlassen darf. Der Initiativtext muss damit nicht als Delegationsverbot verstanden werden, doch verlangt er zumindest eine Überprüfung der Verteilung der Regelungsmaterie auf Gesetz und Verordnung und deren allfällige Neuordnung.

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Art. 107 Abs. 3 Bst. a «Auslandsgeschäfte mit Kriegsmaterial sind insbesondere verboten, wenn [...] das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist».

Der Begriff «interner bewaffneter Konflikt» wurde vom Bundesrat zusammen mit den Ausschlusskriterien von Artikel 5 Absatz 2 KMV im Jahr 2008 eingeführt. Ziel der Bestimmung war es, einen absoluten Ausschlussgrund für Länder zu schaffen, die in einen internen bewaffneten Konflikt (umgangssprachlich auch als «Bürgerkrieg» bezeichnet) verwickelt sind. In der Antwort auf die Anfrage 09.1108 Lang vom 12. Juni 2009 «Unhaltbare Interpretation der Kriegsmaterialverordnung» erklärte der Bundesrat, dass Kriegsmaterialausfuhren dann ausgeschlossen seien, wenn im Empfängerstaat für das Kriegsmaterial selber ein interner bewaffneter Konflikt herrscht.

Die Allianz möchte den Begriff der Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt, der auch im Initiativtext Verwendung findet, breiter verstanden wissen. So ist sie der Auffassung, dass dieses Ausschlusskriterium auch dann zur Anwendung kommen soll, wenn das Bestimmungsland in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, der auf dem Territorium eines anderen Staates stattfindet. Namentlich wird die Verwicklung Saudi-Arabiens im bewaffneten Konflikt im Jemen genannt.13 Gemäss dem Verständnis des Bundesrates kommt der absolute Ausschlussgrund der Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt gemäss Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a KMV für Saudi-Arabien nicht zur Anwendung. Der Bundesrat hat deshalb beschlossen, gestützt auf Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a KMV alle Kriegsmaterialausfuhren abzulehnen, bei welchen Grund zur Annahme für einen Einsatz im Jemenkonflikt besteht. Dies gilt für diejenigen Länder, die sich an der von Saudi-Arabien geführten Militärkooperation im Jemen beteiligen und betrifft vor allem Waffen wie z. B. Sturmgewehre oder gepanzerte Truppentransporter. Demgegenüber betrachtet der Bundesrat die Ausfuhr von Flugabwehrsystemen grundsätzlich als bewilligungsfähig.

Mit der von der Allianz vorgesehenen Interpretation des Begriffs der Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt wären alle Kriegsmaterialexporte in diejenigen Länder abzulehnen, die in den Konflikt im Jemen involviert sind resp. militärisch intervenieren. So wäre
beispielsweise die Ausfuhr von Flugabwehrsystemen nach Saudi-Arabien verboten. Diese Begriffsauslegung der Verwicklung hätte eine weitere Verschärfung der gut 20-jährigen Bewilligungspraxis zur Folge. So würde sich die Frage stellen, ob nicht auch Länder wie die USA oder Frankreich in interne bewaffnete Konflikte verwickelt sind, was ein Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Frankreich oder in die USA zur Folge hätte. Das Initiativkomitee versucht dies mit einer Ausnahmemöglichkeit zu lösen (vgl. nachfolgende Erläuterungen zu Art. 107 Abs. 3 Bst. a Ziff. 1 und 2). Sollte die Initiative angenommen werden, läge die spezifische Auslegung des Verbots und damit des Kriteriums der Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt in der Kompetenz des Parlaments und, nachgelagert, des Bundesrates.

13

www.korrektur-initiative.ch > Initiative > Die Hauptargumente (Stand 15.02.2021).

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Art. 107 Abs. 3 Bst. a Ziff. 1 und 2 «Demokratische Länder, die über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist»; und «Länder, die ausschliesslich im Rahmen einer Resolution des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen in solche Konflikte verwickelt sind».

Vom verfassungsrechtlichen Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial an ein Bestimmungsland, das in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, soll der Gesetzgeber Ausnahmen vorsehen können. Dies ist namentlich möglich für demokratische Länder, die über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist oder für Länder, die ausschliesslich im Rahmen einer Resolution des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen in solche Konflikte verwickelt sind. Bei den Formulierungen «demokratische Länder» und «über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit demjenigen der Schweiz vergleichbar ist» handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Für die Beurteilung, ob ein Land als demokratisch zu gelten hat, ist mangels Definition im Initiativtext unklar, welche Kriterien oder Standards heranzuziehen sind. Auch hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers und allenfalls des Bundesrates, Konkretisierungen vorzunehmen.

Gemäss Lesart der Allianz verlangt der geltende Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a der KMV (Bewilligungsverweigerung, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist), dass auch Waffenlieferungen an Länder verboten sind, die im Rahmen eines UNO-Mandats in Konflikte verwickelt sind. Gemäss Allianz würde die im Initiativtext verankerte Ausnahme für Länder, die ausschliesslich im Rahmen einer Resolution des Sicherheitsrats der UNO in solche Konflikte verwickelt sind, Abhilfe schaffen. Aus Sicht des Bundesrates drängt sich diese Präzisierung des Rechtstextes nicht auf. Liegt eine Resolution der UNO für eine militärische Intervention resp. eine Friedenssicherung vor, so handelt es sich nicht um eine kriegsmaterialrechtliche Verwicklung in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt, sondern um eine Handlung dieses Staates zur Friedenssicherung im Namen der Staatengemeinschaft. Die in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a Ziffern 1 und 2 nicht
abschliessend aufgeführten, möglichen Ausnahmeregelungen unterstreichen, dass vom Ausschlusskriterium des bewaffneten Konflikts im Sinne der vorgenannten Interpretation des Initiativkomitees nur unter den im Initiativtext bzw.

von den Definitionen des Gesetzgebers explizit genannten Gründen abzuweichen wäre (Laut Komitee gälte auch die extraterritoriale Teilnahme als Verwicklung.). Die Ausnahmeregelungen würden aber erlauben, dass Staaten wie beispielsweise die USA oder Frankreich, welche gemäss dem Verständnis der Allianz vom Verbot in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a betroffen wären, aufgrund der Ausnahmen in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a Ziffern 1 und 2 dennoch mit Kriegsmaterial aus der Schweiz beliefert werden könnten.

Art. 107 Abs. 4 «Geräte zur humanitären Entminung» Der Initiativtext ermöglicht den Erlass von gesetzlichen Ausnahmen für Geräte zur humanitären Entminung zu allen in Artikel 107 Absatz 3 BV verankerten Verboten.

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Da solche Geräte nicht als Kriegsmaterial gelten, sondern der Bewilligungspflicht gemäss Güterkontrollgesetz vom 13. Dezember 199614 unterstehen, würde diese Ausnahmemöglichkeit in der Praxis nicht zur Anwendung kommen.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Die Initiantinnen und Initianten beabsichtigen mit der Initiative, (1) die demokratische Kontrolle von Kriegsmaterialexporten zu stärken, (2) die Lieferung von Kriegsmaterial in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, generell und ohne Ausnahmen zu unterbinden (Rückkehr zum «Status Quo von 2014»), (3) den Bundesrat in seinem Handlungsspielraum einzuschränken, um so insbesondere sicherzustellen, dass Schweizer Waffen auch künftig nicht in Bürgerkriegsländer geliefert werden können, (4) Fluchtursachen zu bekämpfen und (5) zu verhindern, dass Schweizer Waffen in die Hände von Terroristen gelangen. 15 Nachfolgend wird die Initiative auf ihre Wirkung hinsichtlich dieser Anliegen geprüft.

4.1.1

«Rüstungsexporte gehören unter demokratische Kontrolle»

Die Allianz begründet die Initiative u.a. damit, dass der Bundesrat heutzutage in Eigenregie über die Kriegsmaterialexport-Politik der Schweiz entscheiden könne. Die Bewilligungsvoraussetzungen für Kriegsmaterialausfuhren sind unter dem geltenden Recht bereits auf Gesetzesstufe verankert (Art. 22 KMG), während die entsprechenden Ausführungsbestimmungen in der Kriegsmaterialverordnung (Art. 5 KMV) enthalten sind. Damit liegt die Kompetenz für eine Anpassung der Ausführungsbestimmungen zwar beim Bundesrat, diese ist in der Vergangenheit jedoch nie autonom wahrgenommen worden. Die Ergänzung der Bewilligungskriterien im Jahr 2008 um Ausschlussgründe (Art. 5 Abs. 2 KMV) erfolgte auf Empfehlung der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK)16, die Ausnahmeregelung in Artikel 5 Absatz 4 KMV wurde gestützt auf die Motion 13.3662 der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates (SiK-S) vom 25. Juni 2013 «Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie beseitigen» eingeführt und der Beschluss des Bundesrates zur Erarbeitung einer erneuten Verordnungsanpassung im Jahre 2018 erfolgte ebenfalls auf Initiative der SiK-S17.

14 15 16

17

SR 946.202 www.korrektur-initiative.ch > Initiative > Die Hauptargumente (Stand 02.10.2020).

Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 7. Nov. 2006 «Vollzug der Kriegsmaterialgesetzgebung: Entscheide des Bundesrates vom 29. Juni 2005 sowie die Wiederausfuhr von Panzerhaubitzen nach Marokko» (BBl 2007 2117).

www.parlament.ch > Services > News Suche > Kommission unterstützt Revision der Kriegsmaterialverordnung (Stand 02.10.2020).

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Ausserdem hat der Bundesrat zwingend die gesetzlichen Schranken der Bewilligungsvoraussetzungen in Artikel 22 KMG einzuhalten. Der im Rahmen verschiedener Gelegenheiten stattfindende Austausch zwischen Parlament und Bundesrat (bspw. SiK, GPK) erlaubt eine regelmässige Überprüfung der Bewilligungskriterien in Artikel 5 KMV auf ihre Eignung zur Erfüllung des in Artikel 1 KMG verankerten Gesetzeszwecks und auf ihre Konformität mit den in Artikel 22 KMG verankerten Bewilligungsvoraussetzungen. Der Bundesrat informiert die GPK gestützt auf Artikel 32 KMG zudem jährlich über die Einzelheiten der Kriegsmaterialausfuhr. Damit erhält das Parlament bereits unter dem geltenden Recht die notwendigen Informationen und hat die Möglichkeit, auf die Ausgestaltung der Ausführungsbestimmungen auf Verordnungsstufe Einfluss zu nehmen.

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die im Gesetz festgelegten Schranken in Artikel 22 KMG ist die demokratische Kontrolle bereits heute gewährleistet. Die Initiative würde die demokratische Legitimität erhöhen. Es wäre aufgrund der Normenhierarchie jedoch unüblich, die Kriterien in der Verfassung zu verankern. Zudem veranschaulicht die heutige Kriegsmaterialgesetzgebung gerade den gesetzgeberischen Normalfall: Das Parlament gibt gestützt auf die BV die Leitlinien eines Regelungsgegenstandes in einem Gesetz vor und delegiert die Ausgestaltung der dazugehörigen Ausführungsbestimmungen an den Bundesrat. Mit dieser Delegation des Parlaments erhält der Bundesrat nicht nur eine gewisse materielle Ausgestaltungsmöglichkeit für diese Ausführungsbestimmungen, sondern wird auch demokratisch dazu legitimiert, diese überhaupt zu erlassen.

Die Frage, ob die spezifischen Kriterien zur Prüfung von Ausfuhrgesuchen auf Gesetzesstufe oder vom Bundesrat in der Verordnung festzulegen sind, wurde bereits 1995 diskutiert, als der Bundesrat am 15. Februar 1995 den eidgenössischen Räten die Totalrevision des KMG unterbreitete. In Artikel 21 des Entwurfs des Bundesrates waren die Bewilligungskriterien für den Transfer von Kriegsmaterial enthalten, wie sie heute in praktisch gleicher Form in Artikel 5 Absatz 1 KMV zu finden sind. Die Eidgenössischen Räte haben sich letztlich gegen diese Lösung entschieden und folgten der Argumentation der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates. Diese vertrat
die Auffassung, dass es nicht nötig sei, die Bewilligungskriterien im Detail im Gesetz aufzuführen, dies könne in der Verordnung erfolgen. Der Gesetzgeber legte schliesslich in Artikel 22 KMG fest, dass der Transfer von Kriegsmaterial bewilligt wird, wenn dies dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widerspricht. Für die Konkretisierung dieser Grundsätze verwies er auf den Verordnungsweg.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Kriegsmaterialgesetz vom 30. Juni 1972 die Bewilligungskriterien auf Gesetzesstufe regelte (Art. 11). Diese Bewilligungskriterien bestanden allerdings aus lediglich zwei Ablehnungsgründen und gewährten dem Bundesrat einen gewissen Auslegungsspielraum. Artikel 1 i. V. m. Artikel 22 des heutigen KMG verlangt vom Bundesrat eine komplexere Güterabwägung.

So sind die internationalen Verpflichtungen der Schweiz zu erfüllen und ihre aussenpolitischen Grundsätze zu wahren; und dabei soll in der Schweiz eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechterhalten werden können. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass die Bundesver-

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sammlung für die spezifischen Bewilligungskriterien auf den Verordnungsweg verwies. So war es bisher dem Bundesrat überlassen, sicherzustellen, dass er die internationalen Verpflichtungen der Schweiz erfüllt und ihre aussenpolitischen Grundsätze wahrt. Die Geschäftsprüfungskommissionen sowie die sicherheitspolitischen Kommissionen der Bundesversammlung prüften die bundesrätliche Bewilligungspraxis regelmässig und intervenierten mit Empfehlungen oder Motionen, wenn Anpassungen notwendig waren.

4.1.2

«Die Allianz will keine Verschärfung der Waffenexportpraxis, sondern eine Rückkehr zum »

Die Allianz macht geltend, dass die schwerwiegende und systematische Verletzung von Menschenrechten oder eine Bürgerkriegssituation im Bestimmungsland unter dem früheren Recht die Erteilung einer Bewilligung für die Ausfuhr von Kriegsmaterial in jedem Fall ausschlossen. Im Abstimmungskampf zur Initiative «für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» im Jahr 2009 habe der Bundesrat versprochen, die Bewilligungskriterien nicht zu lockern. Dieses Versprechen habe der Bundesrat zuerst 2014 und nun auch 2018 wieder gebrochen, weshalb die Initiative notwendig sei.

Die vorgesehenen Verbote des Initiativtexts entsprechen in ihrer Wirkung grundsätzlich den Ausschlusskriterien von Artikel 5 Absatz 2 KMV, welche vor der Anpassung der KMV im Jahr 2014 existiert haben. Dadurch wären Ausfuhren von Kriegsmaterial in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, generell nicht mehr bewilligungsfähig. Im Hinblick auf Kriegsmaterialausfuhren in solche Länder würde eine Annahme der Initiative zu einer Verschärfung der Bewilligungskriterien und der Ausfuhrpraxis führen, weil die heute bestehende Ausnahme zum Kriterium der schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Artikel 5 Absatz 4 KMV wegfallen würde. Somit würde bezüglich der Lieferung von Kriegsmaterial in Länder, welche Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, die Rechtslage vor der Änderung im Jahre 2014 wiederhergestellt. Bei Ausfuhren in andere Länder hätte eine Annahme der Initiative grundsätzlich keine Auswirkungen auf die bisherige Ausfuhrpraxis. Betreffend die Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, hinge die zukünftige Bewilligungspraxis massgeblich davon ab, ob das Parlament Ausnahmeregelungen beschliesst und ob es weitere Konkretisierungen vornimmt (z. B. mit Blick auf den Begriff der Verwicklung in einen bewaffneten Konflikt). Anders verhält es sich bei Ersatzteillieferungen. Dort könnte die Initiative zu einer deutlichen Verschärfung führen, die auch über den vom Initiativkomitee angestrebten Status Quo von 2014 hinausginge.

Bezüglich der angesprochenen Nichteinhaltung des Versprechens durch den Bundesrat, keine Lockerungen vorzunehmen, ist festzuhalten, dass die Anpassung der Ausschlusskriterien von Artikel 5 Absatz 2 KMV im Jahr 2014
und die beschlossene, aber nicht vollzogene Anpassung im Jahr 2018 auf parlamentarische Initiativen zurückzuführen sind. Der Bundesrat wurde somit nicht von sich aus tätig, sondern aufgrund von Bestrebungen aus dem Parlament.

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4.1.3

«Der Bundesrat kann die Lockerung schon nächstes Jahr wieder gewähren»

Sollte die Initiative angenommen werden, könnte der Bundesrat gestützt auf das Kriegsmaterialgesetz keine Anpassung der Bewilligungskriterien mehr vornehmen.

Sein Handlungsspielraum würde dadurch eingeschränkt werden. Jedoch wäre es dem Bundesrat gestützt auf Artikel 184 BV grundsätzlich weiterhin möglich, von den Bewilligungskriterien abzuweichen (vgl. Ziff. 6.3). Mit der Initiative wäre für die Anpassung der Bewilligungskriterien grundsätzlich nur noch das Parlament bzw. das Stimmvolk zuständig. Eine zukünftige Lockerung der Bewilligungskriterien bleibt aber dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings müsste eine solche durch das Parlament im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens oder durch das Stimmvolk erfolgen.

Durch die Verlagerung auf die Verfassungsebene resp. Gesetzesebene würde die Hürde für Anpassungen folglich erhöht.

4.1.4

«Die Schweiz muss Fluchtursachen bekämpfen»

Die Initiantinnen und Initianten argumentieren, dass Waffenlieferungen in Länder, welche die Menschenrechte verletzen, noch mehr Menschen in die Flucht treiben würden. Die Initiative bekämpfe diesen Effekt, indem sie Waffenlieferungen in Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, vollständig unterbinde. Kriegsmaterialausfuhren werden jedoch bereits heute abgelehnt, wenn das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt. Ausnahmen sind nur möglich, wenn nur ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird (z. B. für Flugabwehrsysteme, die sich nicht zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eignen). Daher führt eine Annahme der Initiative auch mit Blick auf Fluchtursachen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen zu keiner Verbesserung.

4.1.5

«Waffen in Krisenregionen gelangen schnell in die Hände von Terroristen»

Laut der Allianz gelangen Kriegsmaterialausfuhren in Länder, die Menschenrechte verletzen oder die sich in einer instabilen Situation befinden, schnell in die falschen Hände, namentlich von Terrorgruppen. Dies hätten Fälle mit Handgranaten, Panzern und Munition in den letzten Jahren gezeigt.

Bereits heute wird diesem Risiko im Rahmen der Einzelfallprüfung von Ausfuhrgesuchen durch das SECO und das EDA Rechnung getragen. Besteht gemäss Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe e KMV ein hohes Risiko, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird, muss das Ausfuhrgesuch zwingend abgelehnt werden. Weitere Massnahmen zur Reduktion des Proliferationsrisikos sind die von der zuständigen Regierungsstelle des Empfängerlands zu unterzeichnende Nichtwiederausfuhr-Erklärung sowie die Kontrollen vor Ort (Post19 / 42

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shipment Verification), welche als Reaktion auf die in der Initiative aufgeführten Missbrauchsfälle eingeführt worden sind. Vor diesem Hintergrund bringt die Initiative keine entscheidende Verbesserung, zumal sie mit Blick auf das Ausschlusskriterium beim Vorliegen eines hohen Risikos für eine Weiterleitung an einen unerwünschten Endempfänger keine inhaltliche Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen vorsieht. Auch nach Annahme der Initiative wäre somit die bestehende Bewilligungspraxis tel quel weiterzuführen.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Die grösste Auswirkung der Initiative bei einer Annahme wäre die Verankerung von Ausschlusskriterien für Kriegsmaterialexporte in der Form von Verboten in der BV.

Damit wird sowohl dem Bundesrat als auch dem Gesetzgeber die Kompetenz für Anpassungen an den Verboten entzogen. Dem Gesetzgeber bliebe die Möglichkeit vorbehalten, Ausnahmen für Kriegsmaterialexporte in Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, zu erlassen. Dies sieht Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a des Initiativtextes vor. Bezüglich der drei weiteren Verbote (Art. 107 Abs. 3 Bst. bd des Initiativtextes) sind dagegen keine Ausnahmen möglich. Von praktischer Bedeutung ist dies mit Blick auf das geltende Recht für Exporte in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen. Die Verbote im Initiativtext sind zudem nicht abschliessend formuliert, was es dem Gesetzgeber ermöglicht, weitere Verbote zu erlassen. Ebendies gilt für die im Initiativtext formulierten Ausnahmen für Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Bei einer Annahme der Initiative stellt sich ausserdem die Frage, ob gesetzliche Spezialregelungen, z. B. für Ersatzteillieferungen, in Zukunft noch möglich wären. Schliesslich bleibt unklar, was mit den heutigen Bewilligungskriterien in Artikel 5 Absatz 1 KMV geschieht.

4.2.1

Auswirkungen der Ausnahmen auf Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind

Das Verständnis des Bundesrates der kriegsmaterialrechtlichen Verwicklung eines Bestimmungslandes in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt unterscheidet sich von der Art und Weise, wie die Allianz diese Begriffe versteht. Entsprechend enthält der Initiativtext zwei Ausnahmen für das Verbot von Exporten in Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind (Art. 107 Abs. 3 Bst. a Ziff. 1 und 2) und ermöglicht dem Parlament, weitere Ausnahmen auf Gesetzesstufe zu schaffen. Die Auswirkung dieses Verbots in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a hängt somit davon ab, ob der Gesetzgeber weitere Ausnahmeregelungen beschliesst und ob er sich zur Auslegung des Begriffs der «Verwicklung» äussert.

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4.2.2

Auswirkungen der Aufhebung der Ausnahmeregelung für Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen

Die heutige Ausnahme in Artikel 5 Absatz 4 KMV für die Erteilung einer Bewilligung auch im Falle, dass das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt, würde bei der Annahme der Initiative wegfallen. Damit verbunden wäre eine Abkehr von der Möglichkeit, im Einzelfall eine Differenzierung nach dem Risikopotenzial des auszuführenden Kriegsmaterials vornehmen zu können, wie es u. a. für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP18 ermöglicht wird. Im Ergebnis würde es dadurch verunmöglicht, einem Staat, der die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt, Kriegsmaterial zu liefern, welches er für die Landesverteidigung beschaffen will und das sich nicht zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen eignet (je nach Situation im Bestimmungsland z. B. Flugabwehrsysteme oder Radaranlagen zur Feuerleitung für die Marine). Mit der Annahme der Initiative würde eine rechtliche Situation geschaffen, die sich von derjenigen der EU-Mitgliedstaaten in Richtung einer Verschärfung entfernt und die Schweizer Rüstungsindustrie dadurch im Verhältnis zur europäischen Konkurrenz benachteiligt.

In seinem Bericht in Erfüllung des Postulats 10.3622 Frick vom 18. Juni 2010 «Gleich lange Spiesse für die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie im Vergleich mit der europäischen Konkurrenz»19 hat der Bundesrat festgehalten, dass die schweizerische Gesetzgebung und die Bewilligungspraxis betreffend Rüstungsausfuhren mit derjenigen Österreichs und Schwedens, welche ähnlichen völkerrechtlichen und aussenpolitischen Rahmenbedingungen im Bereich des Exports von Kriegsmaterial unterliegen, vergleichbar sind. Allerdings ist die Schweiz auch im Vergleich zu diesen Staaten punktuell strenger. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, insbesondere Frankreich, Deutschland und Italien, ist die Schweiz sogar deutlich strenger. Die markanteste Abweichung stellte das Ausschlusskriterium betreffend die Menschenrechte dar (Art. 5 Abs. 2 Bst. b KMV), ebenso das Ausschlusskriterium betreffend Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind (Art. 5 Abs. 2 Bst. a KMV).

Auf der Grundlage der Motion 13.3662 SiK-S vom 25. Juni 2013 «Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie beseitigen» hat der Bundesrat im
Jahr 2014 den Artikel 5 Absatz 4 in die Kriegsmaterialverordnung eingefügt. Gestützt auf diese Bestimmung können Ausfuhren von Kriegsmaterial in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, ausnahmsweise bewilligt werden, wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. Damit wurden die rechtlichen Unterschiede im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten reduziert, da so eine differenzierte Bewilligungspraxis mit Blick auf das Risikopotential 18

19

Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, ABl. L 335 vom 13.12.2008, S. 99; zuletzt geändert durch Beschluss (GASP) 2019/1560, ABl. L 239 vom 17.9.2019, S. 16.

BBl 2013 2813 S. 2851

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des spezifischen Endempfängers sowie unter Berücksichtigung der Eignung des Kriegsmaterials für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen ermöglicht wurde.

4.2.3

Auswirkungen auf die Ersatzteilregelung

Artikel 23 KMG sieht eine Spezialregelung für Ersatzteile zu bereits geliefertem Kriegsmaterial vor. Demnach wird die Ausfuhr von Ersatzteilen für Kriegsmaterial, dessen Ausfuhr bewilligt worden ist, ebenfalls bewilligt, wenn in der Zwischenzeit keine ausserordentlichen Umstände eingetreten sind, die einen Widerruf der ersten Bewilligung verlangen würden. Dies bedeutet, dass für den Export von Ersatzteilen zu bereits geliefertem Kriegsmaterial ein Bewilligungsautomatismus besteht, sofern keine entsprechenden ausserordentlichen Umstände eingetreten sind. Zugunsten der Rechtssicherheit, d. h.damit Unternehmen ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen können, wählte der Gesetzgeber somit für die Ablehnung von Ersatzteillieferungen bewusst eine höhere Hürde als für die Ablehnung von Lieferungen von neuem Kriegsmaterial. Die Initiative äussert sich nicht zur Regelung für Ersatzteillieferungen. Weil die Verfassung dem Gesetz vorgeht, stellt sich die Frage, ob die von der Initiative vorgesehenen verfassungsmässigen Verbote unabhängig von der gesetzlichen Regelung genauso Anwendung auf Ersatzteillieferungen finden wie auf die Lieferung von neuem Kriegsmaterial. Dies stünde der Rechtssicherheit, dem Vertrauensschutz und dem Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind (pacta sunt servanda), entgegen.

Der Kauf von Kriegsmaterial bedingt auch die Gewissheit, Garantieleistungen und Ersatzteile erhalten zu können. Gerade wenn absolute Ausschlussgründe oder Verbote für Kriegsmaterialausfuhren festgelegt werden, die ausschliesslich die Situation im Bestimmungsland, nicht aber die Art des auszuführenden Kriegsmaterials resp. dessen Risiken berücksichtigen, ist eine Spezialregelung für Ersatzteile erforderlich. Nur so kann der Vertrauensschutz gegenüber dem Kunden und sein Verlangen nach Rechtssicherheit im Einzelfall mitberücksichtigt werden. Der Wegfall dieser Spezialregelung würde dem Ruf der Schweizer Industrie als zuverlässige Partnerin schaden, insbesondere dann, wenn in für das Bestimmungsland nicht nachvollziehbaren Fällen die Lieferung von Ersatzteilen einzig aufgrund der Rechtslage und nicht aufgrund des spezifischen Risikos im Bestimmungsland untersagt werden müsste.

4.2.4

Sicherheitspolitische und volkswirtschaftliche Auswirkungen

Rund 200 Unternehmen und Einzelfirmen beantragen regelmässig eine Bewilligung für den Transfer von Kriegsmaterial. Dabei handelt es sich nicht nur um grosse Unternehmen, sondern auch um zahlreiche KMU. Die Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie inklusive Zulieferbetriebe wurde zuletzt im Rahmen des Berichts des Bundesrates vom 21. November 2012 in Erfüllung des Postulats 10.3622 Frick «Gleich lange Spiesse für die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie im Vergleich mit der europäischen Konkurrenz» auf zwischen 10 000 und 20 000 Beschäftigte geschätzt. Eine Verschärfung der schweizerischen Ausfuhrpolitik im Vergleich zur europäischen Konkurrenz 22 / 42

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könnte neben einem Verlust von Arbeitsplätzen in der Schweiz auch zu einem Abfluss von technologischem Knowhow und industriellen Kernfähigkeiten ins Ausland führen. Dies hätte eine Schwächung der STIB zu Ungunsten der Armee und weiterer Institutionen staatlicher Sicherheit des Bundes zur Folge (vgl. Ziff. 2.2).

Die gesamtschweizerischen wirtschaftlichen Folgen der Initiative würden sich grundsätzlich in Grenzen halten, da die Kriegsmaterialexporte zwischen 2015 und 2019 im Durchschnitt 508,6 Millionen Franken betrugen und deren durchschnittlicher Anteil an den Gesamtexporten aus der Schweiz stets unter einem Prozent (0,17 %) lag. Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kriegsmaterialexporten ist damit eher gering.

Zudem betraf die nun zu streichende Ausnahmeregelung nur einen kleinen Teil der Kriegsmaterialexporte. Gesamtschweizerisch betrachtet wären die volkswirtschaftlichen Konsequenzen deshalb als moderat zu bewerten. Allerdings wären einige Regionen bei einer Geschäftsaufgabe der dort ansässigen Unternehmen stärker betroffen.

Die regionalpolitische Bedeutung darf deshalb nicht ausser Acht gelassen werden. In einzelnen Kantonen hängen zahlreiche Arbeitsplätze und ein relativ wichtiger Wertschöpfungsanteil mit der Herstellung von Kriegsmaterial zusammen. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang der indirekte Wertschöpfungsanteil und auch der Umstand, dass eine Reduktion oder im Extremfall der Einbruch der Exporte aufgrund wegfallender Skalenerträge auch Auswirkungen auf die Inlandproduktion oder die gesamtwirtschaftliche Situation eines Unternehmens und dessen Zulieferbetriebe haben könnte.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Die Initiative greift eine 2018 sehr emotional geführte Debatte auf und ermöglicht es dem Stimmvolk, Stellung zu nehmen. Anders als bei der eidgenössischen Volksinitiative «Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten»20, welche 2009 zur Abstimmung kam, geht es bei der vorliegenden Initiative nicht um ein generelles Verbot von Kriegsmaterialexporten, sondern um die Regelung eines Teilbereichs davon. Hinter der Initiative steht eine breite Allianz von Parteien und Organisationen. Auch die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung haben gezeigt, dass eine Verschärfung der Bewilligungskriterien insbesondere von einer Mehrheit der Parteien grundsätzlich befürwortet wird.

Die mit der Initiative verbundene Kompetenzverschiebung widerspricht jedoch dem Grundsatz, dass der Gesetzgeber die Grundzüge einer Regelung erlässt und den Erlass der zugehörigen Ausführungsbestimmungen dem Bundesrat überträgt. Die vorgesehenen Verbote müssten daher eigentlich in einem Gesetz anstatt in der Verfassung verankert werden. Wären die Verbote auf Gesetzesstufe verankert, bliebe auch die Anwendung der Spezialregelung in Artikel 23 KMG für Ersatzteillieferungen sichergestellt.

Mit der Annahme der Initiative verlieren Parlament und Bundesrat ihren Handlungsspielraum, u. a. zugunsten der STIB. Eine leistungsfähige technologische und industrielle Basis ist jedoch eine wichtige Komponente der Rüstungspolitik. Die STIB setzt 20

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sich zusammen aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die in der Schweiz über Kompetenzen, Fähigkeiten und Kapazitäten im sicherheits- und wehrtechnischen Bereich verfügen21. Allfällige Anpassungen der Bewilligungskriterien an veränderte Verhältnisse würden erheblich erschwert. Sowohl eine Aufweichung als auch eine Verschärfung der Kriterien bedürfte zumindest eines parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses oder sogar einer weiteren Volksabstimmung. Der grosse Vorteil der heutigen Lösung liegt gerade darin, flexibel auf neue Gegebenheiten reagieren zu können, sodass die Erfüllung der in den Artikel 1 und 22 KMG verankerten Zielsetzungen jederzeit gewährleistet werden kann. Die entsprechenden Bestimmungen stellen eine ausgewogene Berücksichtigung aussen- und sicherheits-politscher Interessen sicher.

Eine Annahme der Initiative könnte dieses ausgewogene Gefüge zulasten der STIB einseitig beeinträchtigen. Im Gegensatz zur aktuellen Gesetzgebung und Praxis wäre eine regelmässige Überprüfung der Rahmenbedingungen der Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial durch Parlament und Bundesrat und nötigenfalls deren zeitnahe Anpassung, wie diese sowohl im Jahr 2014 als auch für die Einführung der Ausschlusskriterien im Jahr 2008 vorgenommen wurden, nur noch beschränkt möglich.

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative tangiert keine völkerrechtlichen Verträge oder Verpflichtungen. Sie steht insbesondere im Einklang mit dem Neutralitätsrecht und dem Vertrag vom 2. April 201322 über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty).

5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat kann die Kernanliegen der Allianz nachvollziehen. Die Initiative geht ihm jedoch zu weit, da eine Annahme der Initiative die Normenhierarchie verletzen und die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie im Vergleich zur europäischen Konkurrenz wirtschaftspolitisch benachteiligen würde. Dies hätte für die Schweiz direkte sicherheitspolitische Konsequenzen, weil eine Schwächung der STIB die rüstungspolitische Auslandabhängigkeit der Schweiz verstärkt. Zudem wäre die Umsetzung der im Initiativtext enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe mit Schwierigkeiten verbunden und würde zu Rechtsunsicherheit für die Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie führen. Letztlich würde ein Wegfall der Ersatzteilregelung in Artikel 23 KMG zu einer weiteren deutlichen Verschärfung zulasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes führen, was dem Ruf der Schweizer Industrie als zuverlässige Partnerin schaden würde.

Aus diesen Gründen lehnt der Bundesrat die Initiative ab, stellt ihr jedoch einen indirekten Gegenvorschlag entgegen, der die heutigen Bewilligungskriterien in Artikel 5 KMV auf Gesetzesstufe verankern soll, jedoch ohne die Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Hingegen soll 21 22

www.ar.admin.ch > Beschaffung > Rüstungspolitik des Bundesrates > STIB.

SR 0.518.61

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der Bundesrat die Kompetenz erhalten, von den gesetzlichen Bewilligungskriterien innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens abweichen zu können, um aussen- oder sicherheitspolitische Interessen des Landes im Falle ausserordentlicher Umstände zu wahren.

Mit der Streichung der Ausnahme für Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen (1), der Verankerung der Bewilligungskriterien auf Gesetzesstufe (2) und dem Ausschluss von Kriegsmaterialausfuhren in Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind (3), werden die drei Hauptanliegen des Initiativkomitees berücksichtigt. Durch die Abweichungskompetenz für den Bundesrat wird zudem einem zentralen Anliegen gemäss einem Teil der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung entsprochen.

Gleichzeitig können mit dem Gegenvorschlag die negativen Konsequenzen der Kompetenzverschiebung abgefedert werden. So bliebe insbesondere die Anwendung der Ersatzteilregelung von Artikel 23 KMG sichergestellt. Zudem würde für die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie Rechtsicherheit geschaffen, da z. B. keine neuen unbestimmten Rechtsbegriffe eingeführt würden. Des Weiteren würde der für die Bewilligungspraxis wichtige Artikel 5 Absatz 1 KMV auf die gleiche Stufe gehoben wie die Ausschlussgründe in Artikel 5 Absatz 2 KMV.

6

Indirekter Gegenvorschlag

6.1

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Der Bundesrat eröffnete am 20. März 2020 das Vernehmlassungsverfahren zur Änderung des KMG als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative. Er schickte zwei Varianten eines indirekten Gegenvorschlags in die Vernehmlassung, welche bis zum 29. Juni 2020 dauerte.

Die Kantone sowie die Konferenz der Kantonsregierungen, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft sowie 41 weitere interessierte Kreise wurden für die Vernehmlassung direkt angeschrieben. Insgesamt wurden 91 interessierte Behörden und Organisationen um ihre Stellungnahme gebeten.23

6.1.1

Vernehmlassungsvorlage

Es wurden zwei Varianten für einen indirekten Gegenvorschlag in die Vernehmlassung geschickt: Variante 1 sah vor, sowohl die in Artikel 5 Absatz 1 KMV enthaltenen und im Bewilligungsverfahren zu berücksichtigenden Kriterien als auch die in Artikel 5 Absatz 2 23

Die Vernehmlassungsunterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > WBF.

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KMV verankerten Ausschlusskriterien inklusive der dazugehörigen Ausnahmen in den Absätzen 3 und 4 unverändert in das KMG zu überführen. Ausserdem sollte eine Abweichungskompetenz es dem Bundesrat ermöglichen, im Falle ausserordentlicher Umstände von den Bewilligungskriterien abzuweichen, sollte die Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordern.

Variante 2 sah ebenfalls vor, sowohl die in Artikel 5 Absatz 1 KMV enthaltenen als auch die in Artikel 5 Absatz 2 KMV verankerten Bewilligungskriterien inklusive der dazugehörigen Ausnahme von Absatz 3 in das KMG zu überführen. Dagegen würde die Ausnahme von Artikel 5 Absatz 4 KMV für Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, ersatzlos gestrichen. Zudem sah Variante 2 keine Kompetenz für den Bundesrat vor, im Falle von ausserordentlichen Umständen von den Bewilligungskriterien abweichen zu können.

6.1.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Bis zum Ablauf des Vernehmlassungsverfahrens am 29. Juni 2020 gingen beim WBF 69 Stellungnahmen von Behörden und Organisationen ein. Die Mehrheit der Kantone befürwortete Variante 1 des indirekten Gegenvorschlags. Die Mehrheit der Parteien, die Allianz, zwei Entwicklungsorganisationen und eine christliche Organisation sprachen sich für Variante 2 aus. Die Wirtschaftsverbände lehnten beide Varianten des indirekten Gegenvorschlags ab, ebenso die Unternehmen der Rüstungsindustrie.

Schliesslich folgten 1367 Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf der Allianz, persönlich mit einer Stellungnahme Variante 2 zu befürworten.

6.1.3

Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Die Stellungnahmen aus der Vernehmlassung fielen heterogen aus. In erster Linie wurde entweder Variante 1 oder 2 des indirekten Gegenvorschlags befürwortet. Es gab aber auch Rückmeldungen, welche beide Varianten ablehnten oder keine Präferenz für eine Variante hatten. Für die einzelnen Argumente wird auf den entsprechenden Ergebnisbericht24 verwiesen.

Betrachtet man die eingegangenen Stellungnahmen rein quantitativ, so sprechen sich insgesamt 15 Behörden und Organisationen für Variante 1 aus, während 29 die Variante 2 bevorzugen und 16 beide Varianten ablehnen. Daneben befürworten 1367 Bürgerinnen und Bürger Variante 2. Bei einer solchen Betrachtung des Vernehmlassungsergebnisses würde Variante 2 die meisten Stimmen auf sich vereinen. Vorliegend ist eine rein quantitative Betrachtung aber nicht sachgemäss, da die relative Bedeutung der einzelnen Organisationen unberücksichtigt bliebe und die Tatsache, dass sowohl die Stellungnahmen für die Varianten 1 und 2 wie auch die Ablehnungen teilweise 24

Der Ergebnisbericht ist abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > WBF.

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auf Vorlagen oder auf Absprachen zwischen einzelnen Vernehmlassungsteilnehmern beruhen, nicht in die Auswertung einfliessen würde. Es drängt sich deshalb eine qualitative Betrachtungsweise des Ergebnisses der Vernehmlassung auf.

Unter den 15 Befürwortern von Variante 1 befinden sich 12 Kantone. Aus ihrer Sicht berücksichtigt Variante 1 unter anderem die Notwendigkeit, dem Bundesrat im Falle von ausserordentlichen Umständen genügend Handlungsfreiheit zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes zu gewähren. Aufgrund der Unterstützung durch 12 Kantone gewinnt Variante 1 an politischem Gewicht, insbesondere da die Stellungnahmen der Kantone individuell und nicht mittels einer gemeinsamen Vorlage oder in Absprache erfolgten wie beispielsweise bei den Unternehmen der Rüstungsindustrie, den Mitgliedern der Allianz oder den 1367 Bürgerinnen und Bürgern.

Auch wenn Variante 1 nach dieser Beurteilung eine starke Unterstützung geniesst, darf ihr politisches Defizit nicht ausser Acht gelassen werden, welches die Vernehmlassung aufgezeigt hat. Von acht politischen Parteien sprachen sich sechs (BDP, CVP, EVP, GLP, Grüne und SP) explizit für Variante 2 aus, da sie insbesondere für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen keine Ausnahme mehr zulässt. Als einzige Partei sprach die FDP sich für Variante 1 aus; die SVP lehnt einen Gegenvorschlag grundsätzlich ab.

Die GLP beantragen zudem in Ihrer Stellungnahme, dass der Gegenvorschlag so zu ergänzen sei, dass für die Lieferung von Ersatzteilen die gleichen Regeln wie für sonstige Waffenexporte gelten.

Obwohl die Vernehmlassung für keine der beiden Varianten eine klare Präferenz aufzeigte, war festzustellen, dass bei den Befürworterinnen und Befürwortern von Variante 2 vor allem das Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial in Länder, die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, im Vordergrund steht. Die Befürworter von Variante 1 betonten dagegen vor allem die Wichtigkeit der Abweichungskompetenz des Bundesrates im Falle ausserordentlicher Umstände.

Am 21. Oktober 2020 beschloss der Bundesrat deshalb, den beiden politischen Lagern mit einem neuen indirekten Gegenvorschlag als Kompromiss, der beide Anliegen aufnimmt, entgegenzukommen.

6.2

Grundzüge der Vorlage

Überführung der Bewilligungskriterien von der Verordnung ins Gesetz Die bei der Bewilligung von Auslandsgeschäften mit Kriegsmaterial zu berücksichtigenden Kriterien (Ablehnungskriterien) in Artikel 5 Absatz 1 KMV werden von der Verordnungsstufe auf die Gesetzesstufe gehoben und ins KMG überführt. Dasselbe gilt für die Ausschlusskriterien in Artikel 5 Absatz 2 KMV und die Abweichung davon für private oder sportliche Zwecke in Artikel 5 Absatz 3 KMV.

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Streichung der Ausnahme für Länder mit schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen Ersatzlos gestrichen wird hingegen die Ausnahme in Artikel 5 Absatz 4 KMV für Auslandsgeschäfte betreffend Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen.

Mit der Überführung der Bewilligungskriterien ins Gesetz wird dem Anliegen des Initiativkomitees nach mehr demokratischer Kontrolle Rechnung getragen. Zudem wird mit der Streichung von Artikel 5 Absatz 4 KMV und dem Ausschluss von Kriegsmaterialausfuhren in Bestimmungsländer, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, den drei Hauptanliegen des Initiativkomitees sowie den Befürworterinnen und Befürwortern von Variante 2 des Vernehmlassungsvorschlags entsprochen.

Ausnahme für Ausfuhren für Einsätze zugunsten des Friedens Im Gegensatz zur Initiative sieht der indirekte Gegenvorschlag eine Ausnahme der Bewilligungskriterien vor, wenn das auszuführende Kriegsmaterial im Rahmen von Einsätzen zugunsten des Friedens verwendet werden soll, sofern die Einsätze auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder einer supranationalen Organisation, deren Ziel die Friedensförderung ist, durchgeführt werden. Mit der geltenden Praxis wurden Ausfuhren für solche Einsätze in der Vergangenheit bewilligt. Dies erfolgte im Einklang mit den in Artikel 22 KMG genannten Bewilligungsvoraussetzungen (Völkerrecht, internationale Verpflichtungen der Schweiz und Grundsätze der Schweizer Aussenpolitik). Mit der Verankerung der Bewilligungskriterien auf Gesetzesstufe wären solche Ausfuhren kaum mehr möglich, da Bestimmungsländer, in denen solche Einsätze stattfinden, in den meisten Fällen in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind und/oder die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen. Eine Ausnahmeregelung zur Weiterführung dieser Praxis in Abweichung von den Ausschlusskriterien in Absatz 2 ist daher notwendig. Entsprechende Ausnahmen sollen folglich künftig unter klar definierten Bedingungen weiterhin möglich sein.

Abweichungskompetenz für den Bundesrat unter ausserordentlichen Umständen Um im Falle ausserordentlicher Umstände zur Wahrung der aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen des Landes von den Bewilligungskriterien
abweichen zu können, sieht die Regelung für den Bundesrat eine entsprechende Abweichungskompetenz vor. Diese kann jedoch nur unter klar definierten Rahmenbedingungen zur Anwendung kommen.

Diese Abweichungskompetenz war ein Hauptanliegen der Befürworter von Variante 1 des Vernehmlassungsvorschlags.

Der als indirekter Gegenvorschlag vorgesehene Gesetzesentwurf lautet wie folgt:

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Art. 22a

Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte

Bei der Beurteilung eines Gesuchs um die Bewilligung von Auslandsgeschäften nach Artikel 22 und von Abschlüssen von Verträgen nach Artikel 20 sind zu berücksichtigen: 1

a.

die Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität;

b.

die Situation im Innern des Bestimmungslandes; namentlich sind zu berücksichtigen die Respektierung der Menschenrechte und der Verzicht auf Kindersoldaten;

c.

die Bestrebungen der Schweiz im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit; namentlich ist der mögliche Umstand zu berücksichtigen, dass das Bestimmungsland auf der jeweils geltenden Liste der Entwicklungshilfeempfänger des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-DAC-Liste) unter den am wenigsten entwickelten Ländern aufgeführt ist;

d.

das Verhalten des Bestimmungslandes gegenüber der Staatengemeinschaft, namentlich hinsichtlich der Einhaltung des Völkerrechts;

e.

die Haltung der Länder, die sich zusammen mit der Schweiz an internationalen Exportkontrollregimes beteiligen.

Auslandsgeschäfte nach Artikel 22 und Abschlüsse von Verträgen nach Artikel 20 werden nicht bewilligt, wenn: 2

a.

das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist;

b.

das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt;

c.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird; oder

d.

im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird.

Abweichend von den Absätzen 1 und 2 kann eine Bewilligung erteilt werden für einzelne Hand- und Faustfeuerwaffen jeglichen Kalibers mit der dazugehörigen Munition und Zubehör, sofern die Waffen ausschliesslich privaten oder sportlichen Zwecken dienen.

3

Abweichend von Absatz 2 kann eine Bewilligung für Auslandsgeschäfte für Einsätze zugunsten des Friedens erteilt werden, die auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder einer supranationalen Organisation, deren Ziel die Friedensförderung ist, durchgeführt werden.

4

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Art. 22b

Abweichung des Bundesrates von den Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte

Der Bundesrat kann unter Einhaltung der Voraussetzungen in Artikel 22 von den Bewilligungskriterien nach Artikel 22a abweichen, wenn: 1

a.

ausserordentliche Umstände vorliegen; und

b.

die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert.

Erfolgt die Abweichung mittels Verfügung, so informiert der Bundesrat die sicherheitspolitischen Kommissionen der Bundesversammlung spätestens 24 Stunden nach seinem Beschluss.

2

Erfolgt die Abweichung mittels Verordnung, so befristet der Bundesrat diese angemessen; ihre Geltungsdauer beträgt höchstens vier Jahre. Der Bundesrat kann die Geltungsdauer einmal verlängern. In diesem Fall tritt die Verordnung sechs Monate nach dem Inkrafttreten ihrer Verlängerung ausser Kraft, wenn der Bundesrat der Bundesversammlung bis dahin keinen Entwurf für eine Anpassung der Bewilligungskriterien nach Artikel 22a unterbreitet.

3

Mit Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmungen würde der bestehende Artikel 5 KMV abgelöst.

6.3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 22 Der bestehende Artikel 22 KMG legt die Bewilligungsvoraussetzungen fest. So werden Gesuche für Auslandsgeschäfte mit Kriegsmaterial bewilligt, wenn dies dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widerspricht.

Im Bereich der Kriegsmaterialexporte sind verschiedene völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einschlägig. Dazu gehören unter anderem völkerrechtliche Waffenembargos und Sanktionsmassnahmen, der Vertrag über den Waffenhandel, das Neutralitätsrecht, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Deren Anwendung und Umsetzung bestimmt sich nach den relevanten völkerrechtlichen Quellen und entsprechender internationaler Rechtsprechung.

Die aussenpolitischen Grundsätze sind als Zielvorgaben insbesondere in Artikel 54 BV verankert. Demgemäss setzt sich der Bund für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt ein, trägt bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt sowie zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Aufgrund ihrer Verankerung in der BV können die aussenpolitischen Grundsätze, wie sie in Artikel 54 BV festgehalten sind, nur durch andere aussenpolitische Interessen relativiert werden. Zusätzlich kommt der Schweiz als Depositar der Genfer Abkommen und aufgrund ihrer humanitären Tradition eine Fürsprecherrolle für das humanitäre Völkerrecht und für humanitäre Werte zu.

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Bei der Beurteilung von Kriegsmaterialgesuchen ist immer auch die Neutralität der Schweiz zu beachten. Diese setzt sich aus dem Neutralitätsrecht und der Neutralitätspolitik zusammen. Der Status der Neutralität beinhaltet somit völkerrechtliche Verpflichtungen, wie sie in den Haager Konventionen von 190725 und im Völkergewohnheitsrecht verankert sind. Gemäss Völkergewohnheitsrecht dürfen Staaten auch zu Friedenszeiten keine Verpflichtungen eingehen, die bei einem Konfliktfall ihren Pflichten aus dem Neutralitätsrecht zuwiderlaufen. Gesamthaft betrachtet ist die Neutralität ein aussen- und sicherheitspolitisches Instrument der Schweiz. Mittels ihrer Neutralitätspolitik trifft die Schweiz daher ausserhalb konkreter rechtlicher Pflichten weitere Massnahmen, welche die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität gewährleisten und damit ihren besonderen Status als dauernd neutraler Staat in der Staatengemeinschaft sicherstellen. Da das Neutralitätsrecht nur bei zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten greift, sind auch neutralitätspolitische Überlegungen primär im Kontext von bewaffneten Konflikten zwischen Staaten relevant. Allerdings können sich auch bei Kriegsmaterialexporten an Staaten, welche Partei eines nicht internationalen (internen) bewaffneten Konflikts sind, Glaubwürdigkeitsfragen für die Schweizer Neutralität ergeben. Dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn diese Kriegsmaterialexporte in bestimmten Konstellationen von der Staatengemeinschaft als klare Begünstigung einer Konfliktpartei wahrgenommen werden. Eine solche Wahrnehmung könnte ­ unabhängig von der rechtlichen Qualifikation des Konflikts ­ negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Schweizer Neutralität im Hinblick auf zukünftige zwischenstaatliche Konflikte haben.

Art. 22a Artikel 22 KMG wurde bisher durch Artikel 5 KMV konkretisiert. Neu erfolgt die Konkretisierung durch Artikel 22a E-KMG.

Artikel 22a enthält Kriterien, welche bei Auslandsgeschäften zu berücksichtigen sind (Ablehnungskriterien, Abs. 1) oder aber zwingend zu einer Bewilligungsverweigerung führen (Ausschlusskriterien, Abs. 2). Daneben bestehen in den Absätzen 3 und 4 Ausnahmeregelungen.

Die Ablehnungs- und Ausschlusskriterien von Artikel 22a inklusive der Ausnahmebestimmungen in den Absätzen 3 und 4 sind bei der Einzelfallbeurteilung im
Einklang mit Artikel 22 auszulegen. So sieht Artikel 22 u. a. vor, dass die völkerrechtlichen Pflichten einzuhalten sind. Dadurch wird sichergestellt, dass ein Auslandsgeschäft den völkerrechtlichen Pflichten der Schweiz nicht widerspricht. Insbesondere stehen diese Geschäfte so auch im Einklang mit dem Vertrag über den Waffenhandel, dem Neutralitätsrecht, dem humanitären Völkerrecht und den Menschrechten. Daneben finden sich in Artikel 22a Absätze 1 und 2 namentlich die aussenpolitischen Grundsätze der Linderung von Not und Armut, der Achtung der Menschenrechte und der Förderung der Demokratie sowie des friedlichen Zusammenlebens der Völker wieder.

Da die aussenpolitischen Grundsätze weiter formuliert sind als die konkreten Abwägungs- bzw. Ablehnungskriterien, bleiben diese Grundsätze bestehen. Konkret bedeutet dies, dass bei der Auslegung von Artikel 22a allen aussenpolitischen Grundsätzen

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SR 0.515.21 und SR 0.515.22

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Rechnung getragen werden muss und nicht einzelne Grundsätze ausser Acht gelassen werden können.

Art. 22a Abs. 1 Absatz 1 nennt die Kriterien, die bei der Prüfung von Gesuchen berücksichtigt werden müssen (Ablehnungskriterien), jedoch keine zwingende Rechtsfolge anordnen. Die Bewilligungsbehörden haben somit einen Ermessensspielraum bei der Beantwortung der Frage, wie sie diese Ablehnungskriterien im konkreten Fall gewichten, und ob sich daraus eine Ablehnung ergibt. Die Ablehnungskriterien wurden unverändert aus Artikel 5 Absatz 1 KMV übernommen.

Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe a sieht die Berücksichtigung der Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität vor. Es ist entsprechend zu prüfen, ob eine Lieferung geeignet ist, die Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität zu beeinträchtigen. Bei dieser Prüfung ist insbesondere die Situation im Bestimmungsland und in der umliegenden Region zu beurteilen. Grundsätzlich sind in diesem Zusammenhang deshalb bei der Abwägung über das Erteilen der Bewilligung unter anderem auch die Art des auszuführenden Kriegsmaterials sowie der konkrete Endempfänger und der Einsatzzweck des Materials von Relevanz. Die Beeinträchtigung der Aufrechterhaltung des Friedens, der internationalen Sicherheit und der regionalen Stabilität ist im konkreten Einzelfall zu beurteilen. Eine Beeinträchtigung gilt insbesondere dann als gegeben, wenn Grund zur Annahme besteht, dass sich das infrage stehende Kriegsmaterial destabilisierend auf den Frieden, die internationale Sicherheit oder die regionale Stabilität auswirken würde. Jedoch kann bereits die Möglichkeit, dass das Material in einer den Frieden, die internationale Sicherheit oder die regionale Stabilität beeinträchtigenden Begebenheit gebraucht werden könnte, zu einer Ablehnung eines Gesuchs führen. Dies kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn im Bestimmungsland respektive in der Region eine Konfliktsituation vorliegt oder ein Land oder ein Region stark von terroristischer Aktivität oder organisierter Kriminalität betroffen ist.

Gemäss bundesrätlicher Praxis kann das vorliegende Kriterium bereits zu einer Ablehnung eines Gesuchs führen, wenn Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial in einem bewaffneten
Konflikt eingesetzt wird, selbst wenn noch kein Anwendungsfall nach Absatz 2 Buchstabe a vorliegt. Dies war z. B. für Kriegsmateriallieferungen an Länder der Fall, die im Rahmen der von Saudi-Arabien geführten Militärallianz ab 2015 militärisch im Jemen intervenierten. Ob ein Ausfuhrgesuch gestützt auf Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe a abgelehnt werden muss, ist im Einzelfall zu entscheiden. In der Praxis werden Kriegsmateriallieferungen an Länder, welche mit ihren Einsätzen zu Frieden und Sicherheit beitragen und damit ähnliche Werte wie die Schweiz vertreten (insbesondere Nachbarländer), anders beurteilt als Lieferungen an Länder, welche diese Werte untergraben. Im Grundsatz entspricht eine solche Differenzierung auch dem Willen der Initiantinnen und Initianten. Auch sie sehen in ihrem Initiativtext eine Ausnahme für demokratische Länder vor, die über ein mit der Schweiz vergleichbares Exportkontrollregime verfügen.

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Gemäss Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe b ist die Situation im Innern des Bestimmungslandes zu berücksichtigen. Namentlich genannt werden die Menschenrechtslage und der Verzicht auf Kindersoldaten. Die Bestimmung ist weit gefasst, weshalb auch weitere Aspekte, die sich auf die Situation im Innern des Empfängerstaates beziehen, zu einer Ablehnung führen können. Generell ist deshalb die Stabilität im Innern des Bestimmungslandes zu berücksichtigen. Von Bedeutung sind diesbezüglich beispielsweise auch Unruhen sowie das Niveau des organisierten Verbrechens oder der Korruption. Grundsätzlich sind in diesem Zusammenhang bei der Abwägung über das Erteilen der Bewilligung unter anderem auch die Art des auszuführenden Kriegsmaterials sowie der konkrete Endempfänger und der Einsatzzweck des Materials von Relevanz.

Gestützt auf Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe c sollen sowohl Bestrebungen der Schweiz im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wie auch die Teilnahme der Schweiz im Rahmen von multilateralen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden. Zu berücksichtigen sind aber auch allfällige Sicherheitsbedürfnisse des Empfängerstaates. Für die Beurteilung solcher Sicherheitsbedürfnisse wird auf die sicherheitspolitische Situation sowie auf die Menge und Art des auszuführenden Kriegsmaterials abgestellt. Dabei ist eine Einschätzung vorzunehmen, inwiefern die für die Beschaffung des Empfängerlands eingesetzten wirtschaftlichen Ressourcen im Verhältnis zu dessen Sicherheitsbedürfnissen stehen. Ferner sollen die für die Beschaffung eingesetzten wirtschaftlichen Ressourcen des Empfängerlands in ein Verhältnis zu seinen Aufwendungen für andere notwendige Staatsausgaben gesetzt werden.

Mit Blick auf eine kohärente Entwicklungspolitik soll insbesondere berücksichtigt werden, dass die Schweiz mehrere der Länder der OECD-DAC-Liste mehrheitlich fragile Staaten durch Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Dem Kriterium der OECD-DAC-Liste kommt deshalb bei der Beurteilung von Auslandsgeschäften eine wichtige Bedeutung zu. Im Ergebnis soll verhindert werden, dass die sozioökonomische Entwicklung des Empfängerstaates durch Kriegsmateriallieferungen beeinträchtigt wird. Gleichzeitig soll möglichen Widersprüchen begegnet werden, die sich zwischen der Unterstützung der Schweiz sowie der internationalen
Gemeinschaft im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und allfälligen Lieferungen von Kriegsmaterial aus der Schweiz ergeben können.

Gemäss Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe d ist zu berücksichtigen, wie ein Staat sich gegenüber der Staatengemeinschaft verhält. Dabei ist namentlich zu prüfen, ob er seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält. Zentral sind so beispielsweise die Verpflichtungen im Bereich der Abrüstung und der Non-Proliferation, des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte sowie völkerrechtlicher Embargos.

Gemäss Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe e soll bei der Beurteilung eines Gesuchs auch der Haltung anderer Staaten, die sich an internationalen, von der Schweiz unterstützten Exportkontrollmassnahmen beteiligen, Rechnung getragen werden. Damit wird eine gewisse internationale Harmonisierung angestrebt, was Voraussetzung einer wirksamen Exportkontrollpolitik ist.

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Art. 22a Abs. 2 Während die Kriterien in Absatz 1 im Einzelfall eine qualitative Beurteilung im Rahmen einer Güterabwägung verlangen, regelt Absatz 2 die Fälle, in welchen die Ablehnung eines Gesuchs zwingend ist. Die Ausschlusskriterien in Absatz 2 wurden inhaltlich unverändert aus Artikel 5 Absatz 2 KMV übernommen.

Artikel 22a Absatz 2 Buchstabe a: Die Bewilligungsverweigerung ist zwingend, falls der Empfängerstaat in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts bestimmt sich nach objektiven Kriterien.

Ein internationaler bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn zwischen Staaten auf bewaffnete Gewalt zurückgegriffen wird. Die kriegsmaterialrechtliche Verwicklung in einen solchen internationalen bewaffneten Konflikt verlangt eine kriegerische Intervention staatlicher Organe, wie der Streitkräfte einer Konfliktpartei, oder einer bewaffneten Gruppierung, die der Kontrolle einer staatlichen Konfliktpartei untersteht. Die Konfliktschwelle im Sinne des Kriegsmaterialgesetzes orientiert sich zuerst an der Anwendbarkeit des Neutralitätsrechts. Das bedeutet, dass der Konflikt eine gewisse Dauer und Intensität aufweisen muss, damit die Ausfuhr von Kriegsmaterial zwingend abgelehnt werden muss. Das vorliegende Ausschlusskriterium geht aber über die neutralitätsrechtlichen Pflichten hinaus, weil das Neutralitätsrecht Kriegsmaterialexporte durch private Unternehmen an Konfliktparteien im Gegensatz zu solchen durch staatliche Stellen nicht verbietet, sondern lediglich dem Gleichbehandlungsgebot unterstellt.

Ein interner bewaffneter Konflikt besteht, wenn es zwischen Regierungsbehörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen innerhalb eines Staates zu bewaffneter Gewalt kommt. Für das Vorliegen eines internen bewaffneten Konflikts müssen die Feindseligkeiten ein gewisses Mass an Intensität erreichen und die bewaffneten Gruppen einen Mindestgrad an Organisation aufweisen.

Das Ausschlusskriterium der kriegsmaterialgesetzlichen Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt kommt gemäss aktuellem Verständnis des Bundesrates nur dann zur Anwendung, wenn im Empfängerland selbst ein interner bewaffneter Konflikt herrscht. Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, dass Kriegsmaterialausfuhren in Bestimmungsländer,
die auf ihrem Territorium selbst in einen internen bewaffneten Konflikt (umgangssprachlich oft auch als «Bürgerkrieg» bezeichnet) verwickelt sind, zwingend abzulehnen sind. In Fällen, in denen ein Staat einen Drittstaat auf dessen Territorium im Kampf gegen nichtstaatliche bewaffnete Gruppen unterstützt und dieser Drittstaat der Unterstützung zugestimmt hat, ist die Lieferung von Kriegsmaterial an den unterstützenden Staat deshalb nicht per se ausgeschlossen. Bei Ländern, die militärisch in Drittstaaten intervenieren, für die eine Ablehnung aufgrund der bundesrätlichen Auslegung des Begriffs «Verwicklung» jedoch nicht zwingend angezeigt ist, muss jeweils geprüft werden, ob insbesondere gestützt auf Absatz 1 Buchstabe a eine Ablehnung angezeigt ist, z. B. wenn Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial im bewaffneten Konflikt eingesetzt werden könnte. In der Praxis ist bei der Beurteilung von Gesuchen zur Feststellung der Verwicklung in einen internen bewaffneten Konflikt im Sinne des Kriegsmaterialgesetzes auch die Dauer der Auseinandersetzungen relevant.

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Artikel 22a Absatz 2 Buchstabe b: Gesuche sind zwingend abzulehnen, wenn das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich das auszuführende Kriegsmaterial dazu eignet, damit schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Zur Beurteilung, ob eine schwerwiegende Verletzung von Menschenrechten vorliegt, ist eine mögliche Verletzung der elementaren, international verankerten Menschenrechtsgarantien zu prüfen, wozu namentlich folgende hier relevanten Garantien zählen: das Recht auf Leben; das Recht, nicht gefoltert oder sonst wie grausam, unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden; das Recht auf Freiheit und Sicherheit; das Recht auf Gedanken- und Religionsfreiheit; das Recht auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Unbestritten ist, dass Verletzungen des zwingenden Völkerrechts in jedem Fall als schwerwiegende Verletzung von international geltenden Menschenrechten betrachtet werden. Zum zwingenden Völkerrecht zählen namentlich das Gewaltverbot, die Verbote von Folter, Völkermord und Sklaverei, die Grundzüge des humanitären Völkerrechts sowie die Summe der notstandsfesten Garantien der europäischen Konvention vom 4. November 195026 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196627 über bürgerliche und politische Rechte. Für Menschenrechte, welche nicht zu diesem engen Kreis des zwingenden Völkerrechts gehören, dürfte die Schwelle für die Annahme einer schwerwiegenden Verletzung höher liegen. Die Behörden verfügen somit über einen gewissen Ermessensspielraum.

Die Systematik von Menschenrechtsverletzungen ist dann gegeben, wenn diese planmässig oder nach einer in der Art und Weise vergleichbaren Methodik begangen werden. Dabei genügt es, dass bei der entsprechenden Menschenrechtsverletzung wiederkehrende Muster erkennbar sind. Es ist jedoch nicht notwendig, dass diese auch in jedem Fall tatsächlich stattfindet (z. B. Folter jeder verhafteten Person). Des Weiteren ist beispielsweise zu beachten, ob regional verübte Menschenrechtsverletzungen dem Bestimmungsland zugerechnet werden können. Bei der Frage der Zurechenbarkeit kann unter anderem berücksichtigt werden, ob sich die Verletzungen auf bestimmte Regionen und/oder Behörden beschränken. Systematische
Menschenrechtsverletzungen sind z. B. die institutionalisierte oder organisierte Verfolgung und Folterung der politischen Opposition, die gesetzlich verankerte Körperstrafe bei der Ahndung von Verbrechen oder die Einschränkung der gesetzlich vorgeschriebenen fundamentalen Verfahrensgarantien. Ebenso als systematische Menschenrechtsverletzung zu qualifizieren, ist die koordinierte und wiederholte gewaltsame Unterdrückung von friedlichen Versammlungen. Isolierte Fälle von exzessiver Polizeigewalt, die keine planmässige Ausübung oder eine in der Art und Weise vergleichbare Methodik erkennen lassen, sind hingegen nicht als systematisch anzusehen. Diese sind im Rahmen der Beurteilung der Situation im Innern des Bestimmungslandes gestützt auf Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe b zu berücksichtigen.

Artikel 22a Absatz 2 Buchstabe c: Besteht im Bestimmungsland ein hohes Risiko, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird,

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SR 0.101 SR 0.103.2

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ist die Ablehnung zwingend. Dabei sind einerseits die Art des auszuführenden Kriegsmaterials, andererseits der spezifische Endempfänger sowie die Umstände im Bestimmungsland wie bspw. die Menschenrechtslage und das generelle Verhalten des Staates gegenüber der Zivilbevölkerung zu berücksichtigen. Ein hohes Risiko ist dann gegeben, wenn sich das Kriegsmaterial für einen Einsatz gegen die Zivilbevölkerung eignet und konkrete Anhaltspunkte für einen Einsatz des Materials gegen die Zivilbevölkerung bestehen, weil beispielsweise der Endempfänger oder ein vergleichbarer Akteur im Bestimmungsland bereits in der Vergangenheit repressiv gegen diese vorgegangen ist.

Artikel 22a Absatz 2 Buchstabe d: Besteht im Bestimmungsland ein hohes Risiko, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird, ist die Bewilligung zu verweigern. Das Risiko ist als hoch einzustufen, wenn trotz der Berücksichtigung allfälliger risikosenkender Massnahmen (z.B.

Nichtwiederausfuhr-Erklärung inkl. Post-shipment Verification) davon ausgegangen werden muss, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger gelangt. Für die Beurteilung des Risikos ist ausserdem die Art des auszuführenden Materials von Bedeutung (so kann bspw. eine Pistole einfacher weitergegeben werden als ein schweres Waffensystem wie eine Haubitze). Weiter sind die Situation im Bestimmungsland und der Region (bspw. Niveau an Korruption und organisierter Kriminalität) sowie das Verhalten des Endempfängers in der Vergangenheit für die Beurteilung zentral. Kam es bereits früher zu Fällen der unrechtmässigen Weiterleitung an unerwünschte Endempfänger, ist das Risiko als höher zu beurteilen, als wenn dies nicht der Fall ist.

Art. 22a Abs. 3 Absatz 3 ermöglicht die Bewilligungserteilung für einzelne Hand- und Faustfeuerwaffen für private oder sportliche Zwecke unabhängig von den aufgeführten Kriterien.

Als private Zwecke gelten namentlich die Jagd, der persönliche Schutz oder die Sammlung.

Art. 22a Abs. 4 Weil Bestimmungsländer, auf deren Territorium Einsätze zugunsten des Friedens stattfinden, in den meisten Fällen in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind und/oder die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, sind Ausfuhren in solche Länder grundsätzlich
zwingend ausgeschlossen.

Die Schweiz hat jedoch ein Interesse daran, dass solche Auslandsgeschäfte (vorliegend geht es primär um Ausfuhren) unter klaren Rahmenbedingungen in Abweichung von den zwingenden Ausschlusskriterien in Absatz 2 bewilligungsfähig sind.

In den Anwendungsbereich von Artikel 22a Absatz 4 E-KMG fallen in erster Linie friedenserhaltende Operationen auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie friedenserhaltende Operationen einer supranationalen Organisation, deren Ziel die Friedensförderung ist.

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Auslandsgeschäfte für solche Einsätze zugunsten des Friedens können demnach bewilligt werden, wenn die Schranken von Artikel 22 KMG gewahrt werden und die Ablehnungskriterien von Absatz 1 nicht gegen die Bewilligung der entsprechenden Ausfuhr sprechen. So müssen, nebst den Ablehnungskriterien von Absatz 1, die nachfolgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: a.

Weder der Einsatz zugunsten des Friedens noch die Ausfuhr des Kriegsmaterials stehen im Widerspruch mit dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen sowie den aussenpolitischen Grundsätzen der Schweiz.

b.

Es ist ein mit dem Völkerrecht im Einklang stehendes Mandat vorhanden.

c.

Die Vereinbarkeit mit dem Vertrag über den Waffenhandel, der Neutralität der Schweiz, dem humanitären Völkerrecht, den Menschenrechten, völkerrechtlichen Sanktionsmassnahmen sowie weiteren völkerrechtlichen und internationalen Verpflichtungen ist gewährleistet.

Art. 22b

Abweichung des Bundesrates von den Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte

Die in Artikel 22b eingeführte Abweichungskompetenz für den Bundesrat gewährleistet eine gewisse Flexibilität, damit die Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial an sich ändernde aussen- und sicherheitspolitische Gegebenheiten angepasst werden kann.

Ebenso wird damit die nötige Möglichkeit geschaffen, welche es innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens erlaubt, eine an die Bedürfnisse der Schweizer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität aufrechtzuerhalten (Art. 1 KMG) und die aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz zu wahren.

Konkret sieht die Abweichungskompetenz für den Bundesrat in Artikel 22b analog Artikel 7c des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199728 (RVOG) zwei Möglichkeiten vor: Er kann entweder im Einzelfall mittels Verfügung von den Ablehnungskriterien in Artikel 22a E-KMG abweichen (Abs. 2) oder eine in angemessener Weise befristete Verordnung (Abs. 3) erlassen. In beiden Fällen ist diese Abweichungskompetenz nur ausnahmsweise und unter klar definierten, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen anwendbar:

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­

Es müssen ausserordentliche Umstände vorliegen (siehe nachfolgend «Hintergrund»). Der Entscheid, von den Bewilligungskriterien in Artikel 22a E-KMG abzuweichen, ist nur zulässig, wenn ein hohes Staatsinteresse an der Bewilligung eines ansonsten nicht bewilligungsfähigen Auslandsgeschäftes gegenüber Interessen an einer Nichterteilung der Bewilligung deutlich überwiegt. Damit unterscheiden sich diese ausserordentlichen Umstände sich von denjenigen, die zu einer Suspendierung oder einem Widerruf bereits erteilter Bewilligungen führen.

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Der Bundesrat kann nur von den Bewilligungskriterien in Artikel 22a E-KMG abweichen, wenn die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz dies erfordert.

SR 172.010

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Inhaltlich hat sich der Bundesrat bei der Abweichung von den Bewilligungskriterien in Artikel 22a E-KMG an die absoluten Schranken von Artikel 22 KMG zu halten. Konkret heisst das, dass Auslandsgeschäfte auch bei Anwendung der Ausnahmeregelung nur bewilligt werden können, wenn diese dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widersprechen.

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Schliesslich ist ein bundesrätliches Handeln gestützt auf die Abweichungskompetenz nur angezeigt, wenn eine zeitliche und sachliche Dringlichkeit besteht, die keinen Aufschub für gesetzgeberische Arbeiten erduldet.

Sollten ausserordentliche Umstände eintreten und die aussen- und sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz eine Abweichung von diesen Kriterien notwendig machen, so bleibt das Parlament entlang der gesetzlichen Vorgaben für die Anwendung des verfassungsmässigen Notrechts involviert (vgl. Art. 7c RVOG). Erfolgt die Abweichung mittels Verfügung, so informiert der Bundesrat die sicherheitspolitischen Kommissionen der Bundesversammlung spätestens 24 Stunden nach seinem Beschluss, d. h. nach Erlass der Verfügung. Erfolgt die Abweichung mittels Verordnung, so befristet der Bundesrat diese angemessen, höchstens aber auf vier Jahre. Er kann die Geltungsdauer einmal verlängern. In diesem Fall tritt die Verordnung sechs Monate nach dem Inkrafttreten ihrer Verlängerung automatisch ausser Kraft, wenn der Bundesrat bis dahin der Bundesversammlung keinen Entwurf für eine Anpassung der gesetzlichen Bewilligungskriterien nach Artikel 22a unterbreitet. Diese Anpassung der Bewilligungskriterien untersteht dem Referendum.

Hintergrund Die globalen Machtverhältnisse galten bei Inkrafttreten des Kriegsmaterialgesetzes im Jahr 1998 als relativ stabil. Die geopolitische Weltlage ist heute jedoch wieder stärker von Unsicherheit geprägt und die regelbasierte internationale Ordnung ist in jüngster Zeit vermehrt unter Druck gekommen. So hat auch die Gefahr von internen und internationalen bewaffneten Konflikten global zugenommen und auch sogenannte westliche Länder, die Teil des Hauptabsatzmarktes der Schweizer Rüstungsindustrie sind, sind an solchen bewaffneten Konflikten beteiligt respektive könnten in Zukunft gemäss kriegsmaterialrechtlichem Verständnis in solche verwickelt werden.

Gleichzeitig nimmt die Zahl der relevanten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure zu, woraus eine sicherheitspolitisch fragmentierte Lage resultiert. Diese Trends thematisierte der Bundesrat auch im Sicherheitspolitischen Bericht 201629 und in seinem Bericht zur Bedrohungslage 202030.

Sollte es zu Situationen kommen, in denen ein Staat, mit dem die Schweiz Rüstungsbeziehungen hat, in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, wäre es wichtig, dass der Bundesrat eine Güterabwägung vornehmen kann, 29

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Die Sicherheitspolitik der Schweiz (16.061). Bericht des Bundesrates vom 24. Aug. 2016, abrufbar unter: www.vbs.admin.ch > Weitere Themen > Sicherheitspolitik > Sicherheitspolitische Berichte > 2016.

Jährliche Beurteilung der Bedrohungslage ­ Bericht des Bundesrates vom 29. April 2020 an die eidgenössischen Räte und die Öffentlichkeit; abrufbar unter: www.vbs.admin.ch > Weitere Themen > Nachrichtenbeschaffung > Nachrichtendienstgesetz > Dokumente > Jährliche Beurteilung der Bedrohungslage 2020.

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um zu klären, welche Kriegsmaterialexporte innerhalb der völkerrechtlichen Schranken noch bewilligt werden können und welche mit Blick auf die aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz abgelehnt werden müssen. Dies war z. B. 2003 der Fall, als der Bundesrat gewisse Kriegsmaterialausfuhren in die USA bewilligte, obwohl diese in einen neutralitätsrechtlich relevanten internationalen bewaffneten Konflikt mit dem Irak verwickelt waren. Dies war insofern möglich, als damals das neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot aufgrund des UNO-Waffenembargos gegen den Irak nicht anwendbar war und hinreichend ausgeschlossen werden konnte, dass die Zulieferungen aus der Schweiz in Systemen verbaut wurden, die im Konflikt zum Einsatz gekommen wären.31 Es ist daher nicht auszuschliessen, dass sich der Bundesrat in Zukunft erneut die Frage stellen muss, ob oder wie weit die Zusammenarbeit von Schweizer Zulieferbetrieben mit Rüstungsunternehmen eines bestimmten Staates im Falle eines bewaffneten Konflikts aufrechterhalten werden kann. Wichtig wird diese Möglichkeit der Güterabwägung beispielsweise auch dann, wenn Offset-Verpflichtungen aus einer allfälligen Kriegsmaterial-Beschaffung betroffen sind, die im Falle der Ablehnung von Ausfuhrbewilligungen diplomatische Herausforderungen (bspw.

Androhung von Wirtschaftssanktionen) mit sich bringen könnten. Gerade bei Ländern, zu denen die Schweiz ein enges Verhältnis pflegt und die wichtige politische und wirtschaftliche Partner sind, müsste dem Bundesrat bei solchen ausserordentlichen Umständen die Möglichkeit gegeben sein, eine Güterabwägung zur Wahrung der aussen- und sicherheitspolitischen Interessen vorzunehmen.

Ohne die Abweichungskompetenz für den Bundesrat wären Ausfuhren an Länder, welche in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, mit Ausnahme der unter den Absätzen 3 und 4 geregelten Fällen, gesetzlich ausgeschlossen. Damit liesse das Gesetz kaum politischen Interpretationsspielraum zu. Eine Güterabwägung durch den Bundesrat wäre also nur noch gestützt auf die Verfassung, insbesondere Artikel 184 BV, möglich. Eine solche auf die BV gestützte Bewilligung von Kriegsmaterialausfuhren stünde dem expliziten Wortlaut des Gesetzes entgegen und könnte staatspolitische Fragen aufwerfen, weshalb eine gesetzlich vorgesehene
Abweichungskompetenz klare Verhältnisse schafft. Mit einer Abweichungskompetenz ist der Bundesrat für den Fall einer raschen Eskalation derartiger Spannungen gewappnet und kann innerhalb des rechtlichen Rahmens und anhand eng definierter Kriterien eine Güterabwägung vornehmen.

6.4

Auswirkungen

6.4.1

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die in der Vorlage gestrichene Ausnahmebestimmung in Artikel 5 Absatz 4 KMV wurde 2014 aufgrund der Motion 13.3662 der SiK-S vom 25. Juni 2013 «Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie beseitigen» in die KMV eingeführt, um die Benachteiligung der Schweizer Sicherheitsindustrie gegenüber der europäischen 31

Vgl. Die Neutralität auf dem Prüfstand im Irak-Konflikt: Zusammenfassung der Neutralitätspraxis der Schweiz während des Irak-Konflikts in Erfüllung des Postulats 03.3066 Reimann und der Motion 03.3050 der SVP-Fraktion vom 2. Dez. 2005, BBl 2005 6997 S. 7012f.

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Konkurrenz zu beseitigen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Sept. 2013).

Im Ergebnis wurden damit verbesserte Wettbewerbsbedingungen für die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie resp. die STIB geschaffen, ohne dass die Weiterführung der Friedensaussen- und Menschenrechtspolitik durch die Praxis der Kriegsmaterialausfuhr in Frage gestellt worden wäre.

Die Streichung der heutigen Ausnahmebestimmung würde bedeuten, dass Ausfuhren von Kriegsmaterial in Länder, die die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen, auch dann ausgeschlossen sein werden, wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Material für diese Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. Davon betroffen wären insbesondere drei grössere Schweizer Rüstungsunternehmen sowie ihre zahlreichen Unterlieferanten, die STIB-relevant sein können.

Im Vergleich zur Regelung im Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP der EU, in welchem in dieser Hinsicht ein differenzierter Ansatz gewählt wurde, werden die Rahmenbedingungen in diesem Punkt für die Schweiz restriktiver sein, wodurch ein Wettbewerbsnachteil entstehen könnte.

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen würden sich grundsätzlich in Grenzen halten, da der Anteil der Kriegsmaterialexporte an den Gesamtexporten aus der Schweiz stets unter einem Prozent liegt und die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kriegsmaterialexporten damit eher gering ist. Zudem betraf die Ausnahmeregelung, die nun gestrichen werden soll, bisher nur einen kleinen Teil der Kriegsmaterialexporte. Gesamtschweizerisch betrachtet wären die Konsequenzen deshalb als moderat zu bewerten.

Trotzdem wären einige Regionen bei einer Geschäftsaufgabe der dort ansässigen Unternehmen stärker betroffen. Die regionalpolitische Bedeutung darf deshalb nicht ausser Acht gelassen werden. In einzelnen Kantonen hängen zahlreiche Arbeitsplätze und ein relativ wichtiger Wertschöpfungsanteil mit der Herstellung von Kriegsmaterial zusammen. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang der indirekte Wertschöpfungsanteil.

6.4.2

Auswirkungen auf die Sicherheit der Schweiz

Stärker als die volkswirtschaftlichen Folgen wären die sicherheitspolitischen Konsequenzen. Die Schweiz, die als neutraler Staat keinem Verteidigungsbündnis angehört, ist auf eine eigene starke STIB angewiesen, um zumindest in ausgewählten sicherheitsrelevanten Bereichen nicht vollkommen vom Ausland abhängig zu sein. Eine gegenüber den anderen europäischen Staaten verschärfte Ausfuhrpolitik würde zu einem Wettbewerbsnachteil der Unternehmen der eigenen STIB führen. Sämtliche Unternehmen der heimischen STIB sind privatrechtliche juristische Personen, die nur existieren können, wenn sie einen branchenüblichen Gewinn erzielen können. Wenn dies in der Schweiz nicht mehr möglich ist, kann ein Unternehmen seine Produktion entweder ins Ausland oder seine Aktivitäten in Bereiche ausserhalb der Sicherheits- und Wehrtechnik verlagern. In beiden Fällen gingen der Schweiz Kompetenzen und Fähigkeiten verloren, auf welche sie aus Sicherheitsüberlegungen dringend angewiesen ist (vgl. Ziff. 2.2).

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6.5

Rechtliche Aspekte

6.5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 107 Absatz 2 BV, der den Bund ermächtigt, Vorschriften über die Herstellung, die Beschaffung und den Vertrieb sowie über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial zu erlassen. Zu berücksichtigen ist auch Artikel 54 Absatz 1 BV, welcher festlegt, dass die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind.

6.5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage tangiert keine völkerrechtlichen Verträge oder Verpflichtungen. Sie steht insbesondere im Einklang mit den Schweizer Verpflichtungen gegenüber dem Vertrag über den Waffenhandel.

6.5.3

Erlassform

Die Vorlage beinhaltet wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 163 Absatz 1 BV.

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