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Alimentierung von Armee und Zivilschutz Teil 1: Analyse und kurz- und mittelfristige Massnahmen Bericht des Bundesrates vom 30. Juni 2021

2021-2281

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Übersicht Ausgangslage Der Bundesrat beauftragte am 28. Juni 2017 das VBS, in Zusammenarbeit mit dem WBF bis Ende 2020 die personelle Alimentierung von Armee und Zivilschutz zu analysieren. In einem Bericht soll dargelegt werden, wie mittel- und langfristig Dienstpflichtige und Freiwillige rekrutiert werden können, deren Anzahl und Kompetenzen den Bedürfnissen von Armee und Zivilschutz entsprechen. Der Bericht soll auch aufzeigen, wie sichergestellt werden kann, dass Militärdienstleistenden im zivilen und beruflichen Leben durch die Erfüllung ihrer Dienstpflicht Vorteile erwachsen.

Seither hat das Parlament mehrere Vorstösse angenommen, die im Zusammenhang mit der Alimentierung des Zivilschutzes, der Erhöhung des Frauenanteils in der Armee und der Prüfung einer Bürgerdienstpflicht stehen. Aufgrund dieser Vorstösse handelt es sich beim vorliegenden Dokument um einen Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung.

Der Bericht zeigt mögliche Massnahmen zur Verbesserung der Alimentierung der Zivilschutzbestände auf und behandelt einen Teil der parlamentarischen Vorstösse.

Mögliche längerfristige Massnahmen, die eine Anpassung des Dienstpflichtsystems und damit auch der Bundesverfassung erfordern würden, werden Gegenstand eines zweiten Teils des Berichts sein, der Ende 2021 vom Bundesrat beraten wird.

Die Armee hat einen Sollbestand von 100 000 und einen Effektivbestand von 140 000 Armeeangehörigen. Der Effektivbestand ist deshalb höher als der Sollbestand, weil nicht immer alle Armeeangehörigen in den Dienst einrücken. Beim Zivilschutz wurden die Bestände mit der Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ den aktuellen und künftigen Gefährdungen und Risiken angepasst und auf die Bedürfnisse der Gemeinden, Regionen und Kantone ausgerichtet. Dabei wurden auch kantonsspezifische Voraussetzungen wie Anzahl Einwohner, Topografie, politische und finanzielle Gegebenheiten berücksichtigt. Der Bundesrat legte, gestützt auf den Bedarf der Kantone, eine nationale Zielgrösse von 72 000 Zivilschutzangehörigen fest.

Inhalt des Berichts Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass der angestrebte Effektivbestand der Armee von 140 000 noch einige Jahre gehalten werden kann. Das wird sich gegen Ende dieses Jahrzehnts aber ändern, weil 2028 und 2029 je zwei Jahrgänge entlassen werden: Dann erreichen wegen der
Verkürzung der Einteilungsdauer (Dauer der Militärdienstpflicht in Altersjahren) von 12 auf 10 Jahre jeweils zwei Jahrgänge das Ende ihrer Dienstpflicht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die mit der Weiterentwicklung der Armee eingeführte Flexibilisierung von Rekrutierung und Beginn des Militärdienstes noch keine verlässlichen Prognosen zu den Beständen zulässt. Ab 2023, nach Abschluss der Umsetzungsphase, werden diesbezüglich klarere Aussagen möglich sein.

Im Gegensatz zur Armee ist der Zivilschutz bereits jetzt nicht mehr genügend alimentiert, dies als Folge tiefer Rekrutierungszahlen. Eine der Ursachen dafür ist die Ein-

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führung der differenzierten Zuteilung (Tauglichkeit) für die Armee: Ein Teil der Stellungspflichtigen, die früher wegen Untauglichkeit für den Militärdienst dem Zivilschutz zugewiesen wurden, können neu doch Militärdienst leisten. Sie gehen damit dem Zivilschutz verloren. Hinzu kommt, dass mit der Revision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes von 2019, in Kraft getreten am 1. Januar 2021, die Einteilungsdauer für den Zivilschutz von 20 auf 14 Jahre reduziert wurde.

Der vorliegende Bericht enthält eine Übersicht über die bisher getroffenen Massnahmen. Zusätzliche Massnahmen betreffend die Armeebestände sollen erst vorgeschlagen werden, wenn die Umsetzung der laufenden Armeereform abgeschlossen ist und eine verlässliche Beurteilungsgrundlage zu ihren Auswirkungen auf die Bestände vorliegt. Der Bundesrat wird den eidgenössischen Räten im Sommer 2023 den Abschlussbericht zur Umsetzung der Weiterentwicklung der Armee vorlegen. Darin wird er auch beurteilen, welche Massnahmen zur personellen Alimentierung der Armee nötig sind.

Im Zivilschutz ist die Datenlage klarer und der Handlungsbedarf dringender, weil schon Anfang 2021 die Bestände sehr stark abgenommen haben. Deshalb schlägt der Bundesrat für den Zivilschutz schon heute weitergehende Massnahmen vor. Die Alimentierung des Zivilschutzes soll unter anderem mit einer Annäherung des Zivildienstes an den Zivilschutz sichergestellt werden. Konkret sollen Zivildienstpflichtige in Kantonen, in denen der Zivilschutz dauerhaft unteralimentiert ist, einen Teil ihre Zivildienstpflicht im Zivilschutz absolvieren. Um die Massnahmen zur Verbesserung der Zivilschutzbestände so rasch wie möglich umzusetzen, hat der Bundesrat am 30. Juni 2021 das VBS beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem WBF bis im Sommer 2022 eine Vernehmlassungsvorlage für die anzupassenden Rechtsgrundlagen zu erarbeiten.

Da der Bundesrat davon ausgeht, dass die Bestände der Armee und des Zivilschutzes und die Gewinnung der erforderlichen Kompetenzen der Dienstpflichtigen mit dem derzeit bestehenden Dienstpflichtsystem nicht auf Dauer gesichert werden können, sollen auch weiterführende Überlegungen zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems angestellt werden. Der Bundesrat hat am 30. Juni 2021 das VBS beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem WBF bis Ende 2021 einen zweiten
Teil dieses Berichts vorzulegen, mit Varianten zur langfristigen Anpassung des Dienstpflichtsystems. Dieser Bericht wird bis Anfang 2022 an die eidgenössischen Räte überwiesen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Ausgangslage 1.1 Armee, Zivilschutz und Zivildienst sowie deren Bestände 1.2 Bericht der Studiengruppe Dienstpflichtsystem und Auftrag des Bundesrates vom 28. Juni 2017 1.3 Parlamentarische Vorstösse und Antrag der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr auf Integration von Zivildienstleistenden in den Zivilschutz 1.4 Frauen in der Armee und im Zivilschutz

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8 9

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Methodik 2.1 Beteiligte Stellen und Struktur 2.2 Begriffe 2.3 Grundlagen

9 9 10 11

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Die Bestände der Armee 3.1 Eckwerte der Armee 3.2 Entwicklung der Bestände 3.2.1 Stellungspflichtige und Tauglichkeit 3.2.2 Soll- und Effektivbestände 3.2.3 Bestände in den Wiederholungskursen 3.2.4 Spezifische Bestände 3.2.4.1 Bestände bei Formationen mit erhöhter Bereitschaft 3.2.4.2 Bestände an militärischen Kadern 3.3 Entwicklung der Bestände an Frauen in der Armee 3.4 Auswirkungen der Bestandesentwicklung 3.4.1 Auswirkungen auf Ausbildung und Grundbereitschaft 3.4.2 Auswirkungen auf Einsätze 3.5 Steuerungsmöglichkeiten 3.6 Massnahmen der Armee in Umsetzung 3.6.1 Differenzierte Zuteilung 3.6.2 Senkung der medizinischen Abgänge aus der Rekrutenschule 3.6.3 Verbesserung der Vereinbarkeit der Grund- und Weiterausbildung mit dem Privatleben 3.6.4 Verbesserung der zeitlichen Abstimmung von Dienst und ziviler Ausbildung 3.6.5 Verstärkung der Ausbildungszusammenarbeit und Führungszertifikat für Milizkader 3.6.6 Ausbildungsgutschrift 3.6.7 Kommunikation und Information

14 14 16 16 16 18 19

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3.6.8 3.7 3.8

Verbesserte Nutzung des Potenzials der Frauen in der Armee Einschätzung der Wirkung der Massnahmen Fazit

26 28 30

4

Die Bestände des Zivilschutzes 4.1 Bestände und Rekrutierungszahlen 4.2 Delta zwischen kantonalen Soll- und Ist-Beständen 4.3 Ursachen 4.4 Auswirkungen 4.5 Anpassungen mit der Revision des BZG 4.6 Fazit

31 31 34 34 34 35 36

5

Mögliche Massnahmen zur Verbesserung der Zivilschutzbestände 5.1 Kurzfristige Massnahme 5.2 Mittelfristige Massnahmen

37 37 37

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Weiteres Vorgehen 6.1 Kurzfristige Massnahme 6.2 Mittelfristige Massnahmen 6.3 Nächste Schritte

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Erkenntnisse aus dem Covid-19-Einsatz für die Alimentierung von Armee und Zivilschutz

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Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Armee, Zivilschutz und Zivildienst sowie deren Bestände

Das Dienstpflichtsystem regelt, welche Personen wann und für welche Dauer der Armee, dem Zivildienst oder dem Zivilschutz zugeteilt werden und welche Leistungen sie dort zu erbringen haben. Erwerbsersatz und Wehrpflichtersatzabgabe kommen als finanzielle Rahmenbedingungen hinzu. Das Dienstpflichtsystem dient dazu, die Armee und den Zivilschutz personell so zu alimentieren, dass sie ihre Aufträge erfüllen können. Dafür muss eine ausreichende Zahl von geeigneten Dienstpflichtigen rekrutiert und wenn möglich für die gesamte rechtlich festgelegte Dienstdauer behalten werden. An den Rekrutierungstagen werden der Armee und dem Zivilschutz ihre Angehörigen zugeteilt: militärdiensttaugliche Stellungspflichtige der Armee und militärdienstuntaugliche, aber schutzdiensttaugliche Stellungspflichtige zum Zivilschutz.

Wer militärdiensttauglich ist, den Militärdienst aber nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, kann einen zivilen Ersatzdienst leisten.

Der Auftrag der Armee ist in Artikel 58 der Bundesverfassung1 und im Militärgesetz vom 3. Februar 19952 (MG) festgeschrieben. Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt zur Erhaltung des Friedens bei, verteidigt das Land und seine Bevölkerung und wahrt die schweizerische Lufthoheit. Zudem unterstützt sie bei vorhersehbaren und nicht vorhersehbaren Ereignissen subsidiär die zivilen Behörden, primär im Inland, aber auch im Ausland mit Hilfe- und Schutzleistungen und leistet Beiträge zur Friedensförderung. Aus diesem Auftrag leitet sich das Leistungsprofil der Armee ab.

Damit sie ihren Auftrag erfüllen kann, muss sie über ausreichende Bestände verfügen.

Der Auftrag des Zivilschutzes ist im Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz vom 20. Dezember 20193 (BZG) festgeschrieben. Der Zivilschutz ist für den Schutz der Bevölkerung, die Betreuung von schutzsuchenden Personen, den Schutz der Kulturgüter, die Unterstützung der zivilen Führungsorgane und der anderen Partnerorganisationen sowie für Instandstellungsarbeiten und Einsätze zugunsten der Gemeinschaft verantwortlich. Dazu benötigt er eine gewisse Anzahl von Personen.

Der Zivildienst ist ebenfalls ein Instrument der Sicherheitspolitik, weil er Beiträge im Rahmen des Sicherheitsverbundes Schweiz und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erbringt. Der Auftrag des Zivildienstes ist im Zivildienstgesetz
vom 6. Oktober 19954 (ZDG) festgelegt: Zivildienstpflichtige können zur Unterstützung der Zivilbevölkerung bei der Vorbeugung und Bewältigung von Katastrophen und Notlagen sowie der Regeneration nach solchen Ereignissen eingesetzt werden. Die Auftragserfüllung des Zivildienstes ist aber nicht wie jene der Armee und des Zivilschutzes an einen bestimmten Bestand gekoppelt.

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SR 101 SR 510.1 SR 520.1 SR 824.0

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Gegenwärtig verfügt die Armee über die notwendigen Bestände, um ihren Auftrag zu erfüllen, der Zivilschutz hingegen (auf nationaler Ebene) bereits nicht mehr. Während einer Übergangsphase bleiben Armeeangehörige, die vor dem Start der Weiterentwicklung der Armee bereits dienstpflichtig waren, 12 Jahre eingeteilt. Für Armeeangehörige, die nach dem 1. Januar 2018 dienstpflichtig wurden, dauert die Dienstpflicht 10 Jahre (Art. 19 Abs. 1 der V vom 22. Nov. 20175 über die Militärdienstpflicht, VMDP). Wenn die Übergangsregelung ausläuft, werden 2028 und 2029 je zwei Jahrgänge entlassen werden. Zusammen mit den stark angestiegenen Abgängen in den Zivildienst und den zahlreichen Abgängen aus medizinischen Gründen wird der Effektivbestand voraussichtlich Ende des laufenden Jahrzehnts auf 120 000 Armeeangehörige sinken ­ viel tiefer als geplant. Zur Verringerung der medizinischen Abgänge hat die Armee unter anderem die Tauglichkeitskriterien angepasst und die progressive Leistungssteigerung eingeführt. Darüber hinaus rekrutiert sie heute dank der differenzierten Zuteilung auch Stellungspflichtige, die früher militärdienstuntauglich waren. Dies ist einer der Gründe für den Rückgang der Bestände im Zivilschutz.

Die Zivilschutzbestände drohen noch rascher und stärker zu sinken als jene der Armee.

1.2

Bericht der Studiengruppe Dienstpflichtsystem und Auftrag des Bundesrates vom 28. Juni 2017

Der Bundesrat setzte am 9. April 2014 eine Studiengruppe zur Überprüfung des Dienstpflichtsystems ein. Diese überprüfte, wie Dienstpflichtige der Armee, dem Zivildienst und dem Zivilschutz zugeteilt werden und welche Leistungen sie dort zu erbringen haben. Die Studiengruppe untersuchte verschiedene Möglichkeiten, das Dienstpflichtsystem weiterzuentwickeln, leitete daraus konkrete Verbesserungsvorschläge und Modelle ab und machte eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung des aktuellen Dienstpflichtsystems. Sie präsentierte drei Alternativen zum heutigen Dienstpflichtsystem. Das «norwegische Modell» sieht vor, dass Männer und Frauen dienstpflichtig sind, dass jedoch nur so viele einen persönlichen Dienst leisten, wie Armee und Zivilschutz wirklich benötigen. Alle anderen entrichten eine Ersatzabgabe. Beim Modell «Sicherheitsdienstpflicht» wären Schweizer Männer dienstpflichtig und leisteten Dienst entweder in der Armee oder im Katastrophenschutz, der den Zivilschutz und Teile des Zivildienstes umfassen würde. Beim Modell «Allgemeine Dienstpflicht» wären Schweizerinnen und Schweizer sowie optional auch Ausländerinnen und Ausländer dienstpflichtig. Sie würden, sofern die Personalbedürfnisse der Armee erfüllt wären, je nach Tauglichkeit und Eignung frei wählen, wo sie ihren Dienst absolvieren. Alle diese drei Modelle würden eine Verfassungsrevision erfordern. Die Studiengruppe kam zum Schluss, dass keine dringende Veranlassung bestehe, das Dienstpflichtsystem grundlegend im Sinn dieser Modelle zu ändern. Sie empfahl dem Bundesrat aber für den Fall einer Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems das «norwegische» Modell.

Der Bundesrat nahm am 28. Juni 2017 vom Bericht Kenntnis und beauftragte das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), 5

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bis Ende 2020 die personelle Alimentierung von Armee und Zivilschutz in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) zu analysieren. In einem Bericht soll dargelegt werden, wie mittel- und langfristig Dienstpflichtige und Freiwillige rekrutiert werden können, deren Anzahl und Kompetenzen den Bedürfnissen von Armee und Zivilschutz entsprechen. Der Bericht soll auch aufzeigen, wie sichergestellt werden kann, dass Militärdienstleistenden durch die Erfüllung ihrer Dienstpflicht im zivilen und beruflichen Leben Vorteile erwachsen. Um auch die Empfehlung der Studiengruppe bezüglich einer Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems zu berücksichtigen, beauftragte der Bundesrat das VBS, die Analyse der Bestände auch auf der Grundlage des «norwegischen» Modells durchzuführen. Im Bericht soll ebenfalls dargelegt werden, wie sich bis dahin die Weiterentwicklung der Armee auf das Dienstpflichtsystem ausgewirkt hat und welche Wirkung die Massnahmen von Armee und Zivilschutz zur Verbesserung des gegenwärtigen Dienstpflichtsystems haben.

1.3

Parlamentarische Vorstösse und Antrag der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr auf Integration von Zivildienstleistenden in den Zivilschutz

Seit dem Auftrag des Bundesrates wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse eingereicht, die im Zusammenhang mit der Alimentierung von Armee und Zivilschutz stehen: ­

Interpellation 19.3626 Eichenberger Mehr Soldatinnen und Kaderfrauen in der Armee! (im Nationalrat erledigt);

­

Postulat 19.3789 Seiler Graf Stärkung der Chancen und Rechte der Frauen in der Armee: Erfahrungen in ausgewählten Staaten (im Nationalrat angenommen);

­

Postulat 19.3735 Vonlanthen Einführung eines Bürgerdienstes. Ein Mittel, um das Milizsystem zu stärken und neuen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen? (im Ständerat angenommen).

Die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr hat den Sicherheitspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte beantragt, die Zusammenführung von Zivildienst und Zivilschutz (konkret die Integration von Dienstpflichtigen, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten, in den Zivilschutz) und die Vergrösserung des Rekrutierungsgefässes durch Frauen und Ausländerinnen und Ausländer zu prüfen.

Der Bundesrat hat sich nicht inhaltlich zu diesen parlamentarischen Vorstössen geäussert, sie aber zur Annahme empfohlen und bei der Beantwortung darauf verwiesen, dass die Anliegen dieser Vorstösse im Bericht zur Alimentierung von Armee und Zivilschutz geprüft und behandelt würden. Dasselbe gilt auch für den Antrag der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr.

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Die thematische Verknüpfung mit der personellen Alimentierung von Armee und Zivilschutz auf der Grundlage des aktuellen Dienstpflichtsystems ist bei allen Vorstössen gegeben. Das Postulat 19.3735 Vonlanthen regt allerdings grundsätzliche Änderungen des Dienstpflichtsystems an, die eine Verfassungsrevision erfordern würden.

Deshalb wird sein Anliegen in einem zweiten Teil des Berichts über die Alimentierung von Armee und Zivilschutz behandelt, der Varianten zu einer möglichen langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems enthalten wird. Dieser zweite Teil wird bis Anfang 2022 an die eidgenössischen Räte überwiesen.

1.4

Frauen in der Armee und im Zivilschutz

Weil das Erfüllen einer Dienstpflicht eine wichtige Rolle in der Diskussion zum Streben nach Gleichstellung von Mann und Frau spielen kann, werden Armee und Zivilschutz alles daransetzen, so viel Frauen wie möglich dazu zu bewegen, freiwillig Militär- oder Schutzdienst zu leisten. Mehr Frauen in der Armee sind auch ohne Unterbestände willkommen, weil sie zusätzliche Kompetenzen einbringen. Mit der Aussicht darauf, dass die Armee längerfristig mit Unterbeständen rechnen muss, kommt ein quantitatives Argument hinzu. Deshalb wurde der freiwillige Dienst von Frauen bei der Erarbeitung von Massnahmen zur Sicherstellung der Alimentierung von Armee und Zivilschutz berücksichtigt.

2

Methodik

2.1

Beteiligte Stellen und Struktur

Der vorliegende Bericht wurde durch den Bund und die Kantone gemeinsam erarbeitet. Seitens des Bundes arbeiteten das VBS (Generalsekretariat, Gruppe Verteidigung, Bundesamt für Bevölkerungsschutz) und das WBF (Bundesamt für Zivildienst) mit.

Die Kantone waren mit Vertretern der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr und der Konferenz der kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungsschutz und Zivilschutz an den Arbeiten beteiligt.

Nach den einführenden und methodischen Ausführungen (Kap. 1 und 2) und basierend auf einer Anzahl von inhaltlichen Annahmen (Ziff. 2.3) werden die Bestände von Armee und Zivilschutz sowie Ursachen und Folgen von Bestandeslücken dargestellt (Kap. 3 und 4). In diesen Kapiteln werden Massnahmen, die durch Armee und Zivilschutz bereits ergriffen wurden, sowie deren erwartete Wirkung vorgestellt. In Kapitel 5 werden mögliche weitere Massnahmen zur Linderung oder Lösung der Bestandesprobleme des Zivilschutzes erläutert. Kapitel 6 enthält die Absichten des Bundesrates zur Umsetzung dieser Massnahmen. Kapitel 7 beschreibt die für die personelle Alimentierung relevanten Erkenntnisse aus dem Einsatz zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie ab Frühjahr 2020.

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2.2

Begriffe

Armeebestände6

6

­

Jede Formation der Armee hat einen Sollbestand, das heisst einen Bestand, der nötig ist, damit die geforderte Leistung in einem Einsatz gemäss den vorgegebenen Prinzipien und Einsatzverfahren erbracht werden kann. Der Sollbestand der Armee ist die Summe der Sollbestände aller Formationen und beträgt 100 000 Armeeangehörige. Wenn er erreicht ist, sind alle Positionen aller Verbände besetzt und die Armee ist in personeller Hinsicht voll funktionsfähig. Wenn die Alimentierung der Armee ideal funktioniert, ist für jeden Sollbestandsplatz mindestens ein Armeeangehöriger eingeteilt, der die für die Funktion notwendige Ausbildung absolviert hat und den entsprechenden Grad bekleidet.

­

Aus gesundheitlichen, beruflichen oder anderen Gründen können nicht alle Eingeteilten jedem Aufgebot Folge leisten. Jeder Verband muss deshalb personell so dotiert sein, dass er auch bei einer durchschnittlichen Ausfallquote den Sollbestand erreicht. Dies nennt man den Effektivbestand. Er muss erfahrungsgemäss rund 40 Prozent über dem Sollbestand liegen, also bei 140 000 für die ganze Armee. Er umfasst alle Armeeangehörigen, die eine Grundausbildung absolviert haben und in den Stäben und Formationen eingeteilt sind. Das Delta zwischen Sollbestand und Effektivbestand variiert zwischen den verschiedenen Formationen: Verbände, die eine höhere Einsatzwahrscheinlichkeit haben, sind mit höheren Bereitschaftsvorgaben belegt und deshalb auch stärker alimentiert.

­

Der Bestand an Ausbildungsdienstpflichtigen entspricht der Anzahl der in einer Formation Eingeteilten, die ihre Ausbildungsdienstpflicht noch nicht erfüllt haben, also noch Wiederholungskurse leisten müssen und auch für Einsätze im Assistenz- und Aktivdienst aufgeboten werden können.

­

Der Bestand an Nicht-Ausbildungsdienstpflichtigen entspricht der Anzahl der in einer Formation Eingeteilten, die ihre Ausbildungsdienstpflicht erfüllt haben, also keine Wiederholungskurse mehr leisten müssen, aber noch militärdienstpflichtig sind. Diese bleiben eingeteilt, können aber nur noch für Einsätze im Assistenz- oder Aktivdienst aufgeboten werden.

­

Unter dem Bestand an Aufgebotenen versteht man die Anzahl Armeeangehöriger, die ein Aufgebot für einen Ausbildungsdienst oder einen Einsatz erhalten haben.

­

Unter dem Einrückungsbestand versteht man die Anzahl der zu einer Dienstleistung Eingerückten.

­

Nicht zum Bestand gezählt werden die Rekruten, weil sie für Einsätze der Armee (vor allem Sicherungseinsätze) nicht herangezogen werden können, solange sie die Rekrutenschule nicht abgeschlossen haben. Ebenfalls nicht zum Bestand der Armee zählen Armeeangehörige, die in folgenden Organisationseinheiten eingeteilt sind: Oberauditorat, Betriebsdetachemente Die Begriffe stammen aus der jährlichen Armeeauszählung «ARMA» 2020.

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der Kantone, Kompetenzzentrum Sport, Stäbe des Bundesrates, Personalgefäss Rotkreuzdienst, Personalgefässe gemäss Artikel 6 der Verordnung vom 29. März 20177 über die Strukturen der Armee (VSA) und gemäss Artikel 18 MG sowie Durchdiener mit erfüllter Ausbildungsdienstpflicht.

­

Unter vorzeitigen Abgängen versteht man jene Armeeangehörigen, die den Militärdienst vor der vollständigen Erfüllung ihrer Militärdienstpflicht verlassen. Gründe für vorzeitige Abgänge sind vor allem der Übertritt in den Zivildienst und Untauglichkeit aus medizinischen Gründen.

Zivilschutzbestände ­

Der Sollbestand für den kantonalen Bestand an Zivilschutzangehörigen richtet sich nach dem Bedarf des Kantons, wobei verschiedene Faktoren massgebend sind: Gefährdungs- und Risikoanalyse, Leistungsspektrum und -profil sowie weitere kantonsspezifische Voraussetzungen wie Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner, Topografie und finanzielle Rahmenbedingungen. Für die Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ und die Revision des BZG per 1. Januar 2021 ging der Bundesrat aufgrund der Angaben der Kantone von einer landesweiten Zielgrösse von 72 000 Zivilschutzangehörigen aus; die Kantone können aber letztlich ihre Bestände selber bestimmen.

­

Der Ist-Bestand entspricht den tatsächlich in einer Zivilschutzformation eingeteilten und in einem Ereignisfall verfügbaren Schutzdienstpflichtigen. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Ereignis ein Teil der Zivilschutzangehörigen einem Aufgebot nicht Folge leisten kann, weil sie krank sind oder aus anderen Gründen.

­

Mit der Revision des BZG wurde im Zivilschutz die Personalreserve aufgehoben, in die überzählige Personen früher eingeteilt wurden. An ihre Stelle trat ein interkantonaler Personalpool, mit dem die Zuweisung von Schutzdienstpflichtigen und der Ausgleich von Über- und Unterbeständen zwischen den Kantonen erleichtert werden soll. Neu werden nicht eingeteilte oder überzählige Schutzdienstpflichtige interkantonal im Personalpool erfasst.

Die Zuteilung erfolgt in Absprache zwischen den betroffenen Kantonen mit Über- bzw. Unterbeständen

2.3

Grundlagen

Datenlage Der vorliegende Bericht wurde in einer Zeit erarbeitet, in der Prognosen zu den Entwicklungen der Armeebestände besonders schwierig sind. Mit der Weiterentwicklung der Armee wurde das Rekrutierungs- und Ausbildungsmodell geändert. Das Rekrutierungsalter wurde flexibilisiert: Militärdienstpflichtige können neu die Rekrutierung bis zu dem Jahr aufschieben, in dem sie das 24. Altersjahr vollenden. Sie können damit innerhalb von fünf Jahren auswählen, wann sie zur Rekrutierung antreten. Als 7

SR 513.11

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Folge davon kann die Anzahl Rekrutierter für die Armee und für den Zivilschutz pro Jahr stärker schwanken. Die Zahlen sollten sich bis 2023 einpendeln, wenn jene, die von der 2018 eingeführten Flexibilität maximalen Gebrauch gemacht haben, zur Rekrutierung erscheinen müssen. 2018 und 2019 haben rund 5000­6000 Stellungspflichtige pro Jahr die Rekrutierung aufgeschoben. Es ist unsicher, wie viele davon schliesslich Militär-, Schutz- oder Zivildienst leisten werden, zumal die Militärdiensttauglichkeit mit steigendem Alter sinkt.8 Weiter haben Anpassungen am Ausbildungsmodell, wie der Wechsel von einer dreimaligen zu einer zweimaligen Durchführung der Rekrutenschulen pro Jahr oder die veränderten Anforderungen an militärische Kader, Einfluss auf die Gewinnung von Militärdienstpflichtigen.

Wegen dieses Systemwechsels sind die Zahlen der Jahre ab 2018 mit jenen der Vorjahre nur bedingt vergleichbar.9 Diese Unsicherheiten sollten im Laufe der nächsten Jahre einem klareren Bild weichen.

Annahmen zur Bedrohungs- und Gefahrenlage Im Lichte der aktuellen Sicherheitslage sieht der Bundesrat keinen Anlass, die grundlegende Ausrichtung der Armee in Frage zu stellen. Kleinere Anpassungen werden im Rahmen der fähigkeitsorientierten Streitkräfteentwicklung laufend vorgenommen.

Die Berichte der Armee zur Weiterentwicklung der Luftwaffe 10 und der Bodentruppen11 bilden hierzu die Grundlage. Ähnliches gilt für die Ausrichtung des Zivilschutzes.

Die in den sicherheitspolitischen Berichten 201012, 201613 und 2021 beschriebene Bedrohungs- und Gefahrenlage hat sich nicht grundlegend verändert, auch wenn sie sich in verschiedenen Bereichen akzentuiert hat. Die Rivalitäten unter Grossmächten und aufstrebenden Regionalmächten sind noch grösser geworden, das Verfolgen und Durchsetzen machtpolitischer Interessen ausgeprägter. Auch der konzertierte Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln in der hybriden Konfliktführung hat zugenommen. Die rasant fortschreitende Digitalisierung hat die Bedrohungen im Cyberraum weiter verstärkt und damit zusammenhängende Verletzlichkeiten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft erhöht. Desinformation hat sich zu einer wesentlichen sicherheitspolitischen Bedrohung entwickelt. Ebenso nehmen wetterbedingte Extremereignisse im Zuge des Klimawandels zu, und die Gefahr von Pandemien mit globalen
Auswirkungen hat sich mit der Covid-19-Pandemie auf drastische Weise bestätigt.

Diese derzeit besonders aktuellen Bedrohungen haben die anderen Bedrohungen, z. B.

jene eines bewaffneten Angriffs, nicht ersetzt oder verdrängt, sondern sind hinzuge-

8

9 10 11

12 13

Siehe hierzu: Dr. med. Frank Rühli (et al): Analyse möglicher Ursachen für die kantonalen Unterschiede in den Militärtauglichkeitsraten. Bericht zuhanden des Oberfeldarztes der Armee. Zürich, 24. Oktober 2016.

Anzahl Rekrutierte: Mittelwert 2010­2017: 25 254, Mittelwert 2018­2019: 21 558.

Luftverteidigung der Zukunft. Sicherheit im Luftraum zum Schutz der Schweiz und ihrer Bevölkerung. VBS, 2017; www.vbs.admin.ch > Verteidigung > Air2030 > Dokumente.

Zukunft der Bodentruppen. Grundlagenbericht zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Bodentruppen. VBS, 2019; www.vbs.admin.ch > Verteidigung > Modernisierung Bodentruppen > Dokumente.

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kommen. Zwar bleibt die Wahrscheinlichkeit weiterhin gering, dass die Schweiz direkt Opfer eines bewaffneten Angriffs wird, aber dieses Risiko ­ und insbesondere das Risiko, dass die Schweiz von einem bewaffneten Konflikt indirekt betroffen würde ­ hat in den letzten Jahren zugenommen.

Aus Sicht des Bevölkerungsschutzes haben sich die Risiken und Gefahren für die Schweiz in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert. Nach wie vor zählen Strommangellagen, Stromausfälle, Pandemien, Hitzewellen und Erdbeben zu den grössten Katastrophen- und Notlagerisiken mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Bevölkerung und Gesellschaft. Grosse Ereignisse sind zwar selten, und ihre Eintretenswahrscheinlichkeit ist gering, aber sie hätten grosse Auswirkungen. Der Klimawandel stellt die Katastrophenvorsorge vor neue Herausforderungen. Gemäss der UNO hat sich die Anzahl klimabedingter Katastrophen in den letzten 20 Jahren im Vergleich zu den vorangegangenen zwei Jahrzehnten global verdoppelt. Es ist anzunehmen, dass in der Schweiz klimatische Extremereignisse (z. B. Hitzewellen, Trockenheit, Starkniederschläge, Hochwasser, Stürme) in den kommenden Jahrzehnten in ihrer Häufigkeit und Intensität weiter zunehmen. Die Trockenheit und die Hitzewellen von 2015 und 2018 sind konkrete Anzeichen dieser Entwicklung. Ebenso wird das Risiko von Felsstürzen und Hangrutschungen sowie Waldbränden als Folge der klimatischen Veränderungen steigen. Gleichzeitig wird die Bevölkerung wachsen und die Nutzung und Vernetzung der Lebens- und Wirtschaftsräume zunehmen. Mit der Digitalisierung entstehen neue Verletzlichkeiten, und die Abhängigkeit von einer funktionierenden Stromversorgung wächst stetig. Die Vorsorge für und Bewältigung von Katastrophen und Notlagen sowie die Regeneration nach solchen Ereignissen werden damit komplexer und anspruchsvoller.

Leistungsprofile von Armee und Zivilschutz Abgeleitet von den gesetzlichen Aufgaben und der Bedrohungslage, ergibt sich je ein Leistungsprofil für die Armee und den Zivilschutz.

Mit der Weiterentwicklung der Armee wurde das Leistungsprofil der Armee überarbeitet; es entspricht den in den sicherheitspolitischen Berichten beschriebenen Bedrohungen und Gefahren. Bei nicht vorhersehbaren Ereignissen sollen bis zu 35 000 Armeeangehörige innert zehn Tagen eingesetzt werden können. Der
Kräfteansatz bei den Milizformationen mit hoher Bereitschaft wurde erhöht, die Reaktionszeit verkürzt. Alle Fähigkeiten der Armee, einschliesslich jener zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs, werden laufend weiterentwickelt und auf die Bedrohungslage ausgerichtet.

Im Fall einer grösseren Katastrophe oder Notlage kann die Armee die zivilen Behörden unterstützen, z. B. das zivile Gesundheitswesen, wie dies während der Covid-19Pandemie der Fall war. Truppen könnten auch zur Ortung und Rettung nach einem Erdbeben oder zur Überwindung von Gewässern bei Überschwemmungen eingesetzt werden. Die Bereitschaft, die ausreichende Alimentierung und die Durchhaltefähigkeit der Armee sind deshalb auch für den Bevölkerungsschutz wichtig.

Mit den neuen Bedrohungen, wie beispielsweise den Bedrohungen aus dem CyberRaum, verschwinden die «alten» Bedrohungen nicht. Sie ergänzen diese und werden in unterschiedlichen Kombinationen zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt.

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Kommen immer mehr Bedrohungen hinzu, ohne dass bestehende verschwinden, muss die Armee zusätzliche Fähigkeiten entwickeln oder Priorisierungen vornehmen.

Der Zivilschutz muss künftig mit mehr Einsätzen und steigender Beanspruchung der Zivilschutzangehörigen rechnen. Einerseits muss bei kurzfristig auftretenden Ereignissen (z. B. bei Unwettern, Stürmen oder Überschwemmungen) eine ausreichende Anzahl von Zivilschutzangehörigen rasch aufgeboten werden können und wirklich verfügbar sein. Anderseits muss der Zivilschutz auch lang andauernde Katastrophen oder Notlagen (z. B. bei einer Pandemie oder einem Stromausfall) durchhalten.

Zudem muss während langandauernden Notlagen wie einer Pandemie auch genug Personal für die Bewältigung von zusätzlichen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder technischen Schadenereignissen zur Verfügung stehen. Der Zivilschutz muss auch genügend Personal haben, um die kantonalen Leistungsaufträge zu erfüllen, die mit den Partnerorganisationen des Bevölkerungsschutzes abgestimmt sind. Schliesslich sollte auch interkantonale Hilfeleistung jederzeit geleistet werden können.

Notwendige Bestände von Armee und Zivilschutz Der Bundesrat sieht aus heutiger Sicht vor, bis 2030 den Sollbestand und die Anzahl Truppenkörper der Armee unverändert zu halten; der Bedarf an Kadern bleibt ebenfalls unverändert. Eine Senkung der Bestände von Armee und Zivilschutz würde zu einem Leistungsabbau führen, was angesichts der Entwicklung der Bedrohungslage nicht angezeigt ist. Für diesen Bericht wird angenommen, dass die Sollbestände auch nach 2030 etwa gleichbleiben: 100 000 Armeeangehörige und 72 000 Zivilschutzangehörige. Armee und Zivilschutz sollen so alimentiert sein, dass im Einsatzfall zu jedem Zeitpunkt 100 000 Armeeangehörige und 72 000 Zivilschutzangehörige gleichzeitig im Einsatz sein können.14

3

Die Bestände der Armee

Bei der Analyse der Armeebestände müssen zwei Aspekte betrachtet werden. Zum einen benötigt die Armee eine genügende Anzahl an Armeeangehörigen, die in Verbänden eingeteilt sind, damit im Fall einer Mobilmachung der Sollbestand erreicht wird und die Armee die benötigten Leistungen erbringen kann. Zum anderen sollte der Bestand in den Wiederholungskursen möglichst nahe am Sollbestand liegen, damit die Armee realitätsnah ausbilden kann. Die Entwicklung der Bestände von Militärdienstpflichtigen und Ausbildungsdienstpflichtigen wird nachfolgend beschrieben.

3.1

Eckwerte der Armee

Mit der Weiterentwicklung der Armee haben die eidgenössischen Räte einen Sollbestand von 100 000 Armeeangehörigen festgelegt (V der Bundesversammlung vom

14

Nicht dazu gerechnet werden dabei die Zivildienstpflichtigen. Sie können in Katastrophen und Notlagen eingesetzt werden, zum Beispiel zur Unterstützung der Durchhaltefähigkeit der Leistungserbringung des Zivilschutzes.

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18. März 201615 über die Organisation der Armee, Armeeorganisation, AO). 16 Langjährige Erfahrungen zeigen, dass zur Erreichung des Sollbestandes ein ungefähr 1,4-mal höherer Effektivbestand erforderlich ist, weil nicht alle Armeeangehörigen im Falle einer Mobilmachung zum Einsatz einrücken. Deshalb wurde die Einteilungsdauer so bestimmt, dass ein Effektivbestand von 140 000 Armeeangehörigen erreicht werden kann. Dafür müssen folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein: ­

Mannschaftsangehörige (Soldaten und Gefreite) und Unteroffiziere bleiben nach Absolvierung der Rekrutenschule zehn Jahre eingeteilt (Durchdiener sieben Jahre).

­

Höhere Unteroffiziere und Offiziere bleiben abhängig von ihrem Grad länger eingeteilt.

­

Im Durchschnitt müssen mindestens 15 900 Armeeangehörige jedes Rekrutenjahrgangs ihre Militärdienstpflicht vollenden, d.h. bis zu ihrer regulären Entlassung Armeeangehörige bleiben.

Sollbestand und Effektivbestand der Armee sind in der AO definiert. Im Militärgesetz sind weitere Eckwerte zu Militärdienstpflicht und Ausbildung festgelegt: ­

die Anzahl der zu leistenden Diensttage (höchstens 280 Tage Ausbildungsdienst für die Mannschaft);

­

die Dauer des Verbleibs in der Armee, sprich die Dauer der Militärdienstpflicht (12 Jahre);

­

das Altersintervall für die Rekrutierung (bis zur Vollendung des 24. Altersjahres);

­

das Altersintervall für die Absolvierung der Rekrutenschule (bis zur Vollendung des 25. Altersjahres);

­

die Dauer der Rekrutenschule (18 Wochen);

­

die Anzahl der Wiederholungskurse (6);

­

und die Dauer der Wiederholungskurse (3 Wochen) für die Mannschaft.

Der Bundesrat kann von diesen Eckwerten abweichende Regelungen innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten in Verordnungen festlegen. So hat er in der VMDP die Anzahl zu leistender Diensttage auf 245 (Art. 47 VMDP) und die Dauer der Militärdienstpflicht auf 10 Jahre nach Absolvierung der Rekrutenschule (Art. 17 VMDP) festgelegt. Diese Anpassung erfolgte, als integraler Teil der Umsetzung der Weiterentwicklung der Armee, aufgrund der Reduktion des Sollbestandes, des neuen Ausbildungsmodells und zur Sicherung der Bestände an Kadern. Gleichzeitig wurde der Wechsel auf eine zweimalige Durchführung von Rekrutenschulen pro Jahr unter gleichzeitiger Verkürzung der Rekrutenschuldauer und Verlängerung der Kaderausbildungsdienste vollzogen. Es ging darum, die Ausbildung der Kader zu verbessern, indem das frühe Sammeln von praktischer Führungserfahrung ermöglicht und die 15 16

SR 513.1 Gemäss Art. 1 Abs. 1 AO verfügt die Armee nach Abschluss der Umsetzungsarbeiten der WEA über einen Sollbestand von maximal 100 000 und einen Effektivbestand von höchstens 140 000 Militärdienstpflichtigen.

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Vereinbarkeit von Militärdienstleistungen einerseits und ziviler Tätigkeit andererseits erhöht wird.

3.2

Entwicklung der Bestände

3.2.1

Stellungspflichtige und Tauglichkeit

Von 2013 bis 2017 ging die Anzahl Stellungspflichtiger aufgrund der demografischen Entwicklung leicht zurück (von 40 535 auf 36 538).17 Gleichzeitig blieb die Tauglichkeitsrate mit rund 65 % ungefähr konstant. Im Durchschnitt waren jedes Jahr rund 24 800 Stellungspflichtige militärdiensttauglich.

2018 und 2019 lagen die Zahlen tiefer: Nur rund 30 700 Stellungspflichtiger erschienen jeweils zur Rekrutierung,18 und nur rund 21 500 waren jeweils militärdiensttauglich.19 Dieser Rückgang ist wahrscheinlich eine Folge davon, dass viele Stellungspflichtige von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Rekrutierung bis maximal zur Erfüllung des 24. Altersjahres aufzuschieben. 2023 wird der erste Rekrutierungsjahrgang der Weiterentwicklung der Armee das 25. Altersjahr erreichen.

Die Zahlen sollten sich in der Folge ungefähr auf den Werten von 2017 einpendeln.

Allerdings ist aufgrund einer Studie der Universität Zürich20 zu beachten, dass die Tauglichkeit mit steigendem Alter sinkt.

3.2.2

Soll- und Effektivbestände

Tabelle 1: Auswirkungen der Abgänge auf die Jahrgänge an Stellungspflichtigen 17 18 19 20

Mittelwert Stellungspflichtige 2013­2017: 38 276.

Mittelwert Stellungspflichtige 2018­2019: 30 722.

Mittelwert Militärdiensttaugliche 2018­2019: 21 558, entspricht einer Tauglichkeitsrate von 70,19 %.

Prof. Dr. Frank Rühli (et al): Analyse möglicher Ursachen für die kantonalen Unterschiede in den Militärtauglichkeitsraten, Zürich 2016.

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Ein anhaltendes Problem für die Bestände besteht hingegen bei den vorzeitigen Abgängen aus der Armee, wie die Werte für die Periode 2013­2017 zeigen. Pro Rekrutierungsjahrgang scheiden über die gesamte Dienstzeit durchschnittlich rund 11 800 Armeeangehörige vorzeitig aus dem Militärdienst aus (der Grossteil davon aus medizinischen Gründen oder wegen Übertritt in den Zivildienst,21 dazu kommen aber in weit geringerem Ausmass noch weitere Gründe, wie Dienstbefreiung, Auslandaufenthalt, Todesfall).

Für die Armee besonders problematisch sind die Abgänge nach absolvierter Rekrutenschule. Bei der Konzeption der Weiterentwicklung der Armee ging man von Abgängen von rund 2100 Armeeangehörigen nach absolvierter Rekrutenschule aus. In Realität sind diese Abgänge aber signifikant höher: Zwischen 2013 und 2017 betrugen sie im Durchschnitt rund 4900.22 Das bedeutet, dass pro Rekrutierungsjahrgang nur rund 13 000 Armeeangehörige ihre ordentliche Militärdienstpflicht vollständig erfüllen ­ 2900 weniger, als benötigt werden, um nachhaltig den Effektivbestand von 140 000 Armeeangehörigen zu halten.

2018 und 2019 sind aufgrund der flexibilisierten Rekrutierung sowohl die Anzahl der zur Rekrutierung erschienenen Stellungspflichtigen als auch die Zahl der Abgänge tiefer. Dies ist aber eine vorübergehende Situation; definitive Erkenntnisse sollten am Ende der Umsetzung der Weiterentwicklung der Armee vorliegen. Im Verhältnis zur Anzahl beurteilter Stellungspflichtiger entsprechen die Werte von 2018 und 2019 ungefähr jenen der Vorjahre.

Trotz den deutlich über den Planungswerten liegenden Abgängen wird der Effektivbestand bis Ende dieses Jahrzehnts die gesetzlich vorgeschriebene Grenze von 140 000 Armeeangehörigen überschreiten. Diese Überschreitung wurde mit den Übergangsbestimmungen der VMDP in Kauf genommen, indem der Bundesrat die Dauer der Militärdienstpflicht von Unteroffizieren, Gefreiten und Soldaten, die vor Beginn der Umsetzung der WEA ihren Militärdienst begonnen hatten, auf das im MG festgeschriebene Maximum von 12 Jahren festlegte. Er wollte damit im Hinblick auf besondere Lagen den Bestand um zwei zusätzliche Jahrgänge erhöhen und die Entlassung der Armeeangehörigen aus der Militärdienstpflicht während der Übergangszeit im Interesse der Kantone besser staffeln können. Von den Armeeangehörigen, die von
dieser Übergangsbestimmung betroffen sind und deren Militärpflicht deshalb 12 Jahre dauert, haben im Übrigen viele ihre Ausbildungsdienstpflicht bereits erfüllt.

2028 und 2029 werden je zwei Jahrgänge aus der Militärdienstpflicht entlassen, 23 nämlich die letzten Jahrgänge, deren Militärdienstpflicht mit den Übergangsbestimmungen der Weiterentwicklung der Armee verlängert wurden, sowie zwei «normale» Jahrgänge gemäss Weiterentwicklung der Armee. Damit wird das Problem der Alimentierung der Armee akut werden. Wenn die Abgänge sich auf dem Niveau der letzten Jahre bewegen, wird der Effektivbestand ab 2029 aufgrund der Entlassung von 21 22

23

Mittelwerte Abgänge 2013­2017: Medizinische Abgänge: 5453 Armeeangehörige, Abgänge in den Zivildienst: 5826 Armeeangehörige.

Mittelwerte Abgänge nach dem Grundausbildungsdienst 2010­2017: Medizinische Abgänge: 1567 Armeeangehörige, Abgänge in den Zivildienst: 2549 Armeeangehörige; Abgänge aus anderen Gründen: 758 Armeeangehörige.

Art. 117 Abs. 2VMDP.

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vier Jahrgängen innerhalb von zwei Jahren unter 120 000 sinken. Dies liegt erheblich unter dem angestrebten Effektivbestand vom 1,4-Fachen des Sollbestandes. Bei gleichbleibenden Rekrutierungs- und Abgangswerten wird die Armee also langfristig nicht in der Lage sein, den Effektivbestand von 140 000 Armeeangehörigen zu halten.

3.2.3

Bestände in den Wiederholungskursen

Der Bundesrat kann für einen Einsatz alle eingeteilten Armeeangehörigen aufbieten, auch jene, die ihre Ausbildungsdienstpflicht bereits erfüllt haben. Für die Bestände in den Wiederholungskursen ist hingegen nur die Zahl jener Armeeangehörigen relevant, die ihre Ausbildungsdienstpflicht noch nicht erfüllt haben. Diese ist abhängig vom Zufluss ausgebildeter Rekrutinnen und Rekruten und vom Bestand an bereits eingeteilten Armeeangehörigen, die noch nicht alle Wiederholungskurse absolviert haben.

Eine ungenügende Alimentierung durch die Rekrutenschulen in einem bestimmten Jahr muss, wenn immer möglich, durch mehr Einteilungen in den Folgejahren kompensiert werden. Die mit der laufenden Reform eingeführte Möglichkeit, die sechs Wiederholungskurse innerhalb von neun Jahren zu absolvieren (in den Übergangsbestimmungen bis 2029 sechs Wiederholungskurse in zwölf Jahren) bringt mit sich, dass nicht alle Ausbildungsdienstpflichtigen jedes Jahr in den Wiederholungskurs einrücken müssen. Dies akzentuiert sich noch: Weil die Dienstpflicht für die Stufe Soldaten und Unteroffiziere von 260 auf 245 Diensttage reduziert wurde und weil die Mehrheit der heute eingeteilten Armeeangehörigen noch eine Rekrutenschule von 21 Wochen (heute 18 Wochen) absolviert haben, haben viele Armeeangehörige nur fünf statt sechs Wiederholungskurse zu leisten. Im Ergebnis hat ein erheblicher Teil der Armeeangehörigen (1. März 2020: 43 045) ihre Ausbildungsdienstpflicht erfüllt und kann nur noch für Einsätze, nicht aber für Wiederholungskurse aufgeboten werden.

Erschwerend hinzu kommen die höher als erwartet ausfallenden Abgänge während der Einteilungszeit der Armeeangehörigen in den Verbänden. In den letzten Jahren erfolgten 30­45 % der Zulassungen zum Zivildienst zwischen dem Ende der Rekrutenschule und dem Ende der Ausbildungsdienstpflicht. Diese Abgänge nach Ende der Rekrutenschule gehen direkt zulasten der Bestände in den Wiederholungskursen.

Dienstverschiebungen sind bestandsneutral, und ihre Zahl hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Sie haben keinen direkten Einfluss auf die Alimentierung der Armee. Sie seien hier aber erwähnt, weil oft zu hören ist, dass die Bestände wegen Dienstverschiebungen zu tief seien. Diese führen aber nur dazu, dass bis zu einem Drittel der Armeeangehörigen in einem Truppendienst aus fremden
Einheiten stammen und die Verteilung über das Jahr nicht gleichmässig erfolgt, 24 was zu höheren Beständen bei den Truppenkörpern führt, die in der zweiten Jahreshälfte in den Dienst gehen.

24

Hauptursache für den Unterschied zwischen den Beständen von Aufgebot und in den Wiederholungskursen sind die bewilligten Dienstverschiebungen von durchschnittlich 23,5 %.

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3.2.4

Spezifische Bestände

3.2.4.1

Bestände bei Formationen mit erhöhter Bereitschaft

Die Wahrscheinlichkeit eines Aufgebots für einen Einsatz ist bei Milizverbänden mit hoher Bereitschaft25 grösser als bei anderen Verbänden, und sie müssen nach dem Aufgebot praktisch aus dem Stand Leistungen erbringen können. Deshalb werden diese Verbände über die Rekrutierung bewusst stärker alimentiert als die übrigen Formationen. Auch der Anteil an Ausbildungsdienstpflichtigen ist höher als bei den restlichen Formationen. Dies hat sowohl einen direkten als auch einen indirekten Nutzen.

Der direkte Nutzen besteht darin, dass im Bedarfsfall mehr Armeeangehörige aufgeboten werden und damit ein höherer Einrückungsbestand erwartet werden können.

Das gilt für den gesamten Bestand, aber insbesondere für Schlüsselfunktionen. Die Armee geht davon aus, dass so der Sollbestand des jeweiligen Verbands und damit auch dessen volles Leistungsvermögen erreicht wird. Der indirekte Nutzen der höheren Alimentierung liegt in einer besseren Ausbildung. Durch die höheren Bestände im Ausbildungsdienst sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass der Verband als Gesamtsystem realitätsnah26 trainieren kann. Das wirkt sich positiv auf dessen Bereitschaft aus.

3.2.4.2

Bestände an militärischen Kadern

Die Armee ist derzeit in der Lage, alle Kaderfunktionen zu alimentieren. Bei gewissen Funktionen der höheren Unteroffiziere (Fouriere und Hauptfeldweibel) sind sehr gute Alimentierungen zu verzeichnen, während die Stäbe der Truppenkörper verkraftbare Unterbestände ausweisen. Die Erfüllung des Leistungsprofils der Armee ist gegenwärtig nicht durch einen Mangel an Kadern gefährdet.

3.3

Entwicklung der Bestände an Frauen in der Armee

Von den 143 372 am 1. März 2020 eingeteilten Armeeangehörigen sind 1253 weiblich. Dies entspricht einem Anteil von 0,9 % und einem anteilsmässigen Zuwachs von 0,4 % gegenüber 2010.

25

26

Milizformationen mit hoher Bereitschaft können innerhalb von Tagen aufgeboten und eingesetzt werden. Sie ergänzen im Bedarfsfall die bereits eingesetzten Kräfte und schaffen die Voraussetzungen für das Aufgebot von noch mehr Truppen. Ihr Material wird abgabebereit zusammengestellt und gesperrt eingelagert, damit sie rasch ausgerüstet werden können. Milizformationen mit hoher Bereitschaft sind insbesondere für Sicherungsaufgaben, Katastrophenhilfe, ABC-Abwehr sowie Genie, Logistik und Sanität einsetzbar. Ein Teil der Formationen verstärkt die Führungsfähigkeit und leistet logistische Unterstützung.

Realitätsnah heisst in diesem Kontext entsprechend den jeweiligen Einsatzverfahren, mit den jeweiligen (Haupt-) Systemen und der relevanten Verbandsgrösse. Die Verbandsgrösse mit der trainiert werden soll, variiert dabei je nach Truppengattung und zu erreichendem Bereitschaftsgrad.

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Die Anzahl weiblicher Armeeangehöriger unterteilt sich in 483 Frauen in den Mannschaftsgraden (38,5 %), 316 Unteroffizieren (25,2 %), 104 höheren Unteroffizieren (8,3 %), 350 Offizieren (27,9 %) und einem höheren Stabsoffizier (0,1 %). Neun von zehn in die Rekrutenschule eingerückten Frauen erhalten einen Kadervorschlag und beginnen eine Kaderschule (Unteroffiziersschule, Lehrgang für höhere Unteroffiziere, Offiziersschule). Entsprechend sind weibliche Armeeangehörige in Kaderfunktionen proportional höher vertreten. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass Personen, die freiwillig Dienst leisten, in der Regel mehr Motivation mitbringen und mehr von ihnen eine Kaderlaufbahn anstreben.

Obwohl den Frauen seit 2004 alle Funktionen offenstehen, ist der Anteil an weiblichen Armeeangehörigen in den verschiedenen Truppengattungen und Funktionen unterschiedlich. Die Mehrheit der Frauen üben Funktionen in den Unterstützungstruppen (Kommandostäbe, Führungsunterstützung, Logistik, Sanität) oder in den Bereichen Ausbildung und Support aus (54,1 %; gesamthaft bei Frauen und Männern sind es 48,4 %). In den Kampftruppen (Infanterie, Panzer, Artillerie, Genie) sind 17,7 % (gesamthaft bei Frauen und Männern sind es 31,8 %) und in der Luftwaffe (Flieger, Fliegerabwehr) 10,2 % (gesamthaft bei Frauen und Männern sind es 9,8 %) eingeteilt.

Die weiteren 18,6 % verteilen sich auf weitere Truppenteile (Rettung, ABC-Abwehr, Spezialkräfte und Dienstzweige).

3.4

Auswirkungen der Bestandesentwicklung

3.4.1

Auswirkungen auf Ausbildung und Grundbereitschaft

Reduzierte Bestände während der Wiederholungskurse wirken sich auf die Grundbereitschaft der Formationen negativ aus; die betroffenen Formationen können dann nicht jene Leistungen realitätsnah trainieren, die im Verband erbracht werden müssen.

Dies betrifft vor allem Verfahren und Leistungen ab Stufe Einheit und Truppenkörper.

Das Zusammenspiel zwischen den Zügen und Einheiten innerhalb der Truppenkörper gehört zur Kernkompetenz der Kader. Kann diese nicht aufrechterhalten werden, sinkt die Grundbereitschaft. Einsatz wie Ausbildung basieren in der Milizarmee auf den Milizkadern. Wenn diese nicht genügend üben können, kann die Armee ihre Leistungen auf Dauer nicht mehr vollständig erbringen.

3.4.2

Auswirkungen auf Einsätze

Die Armee kann mit dem heutigen Alimentierungsstand die wahrscheinlichen planbaren und nicht planbaren Einsätze, insbesondere zur Unterstützung der zivilen Behörden, leisten. Um die erforderlichen Einsatzbestände zu erreichen, können massgeschneiderte Formationen aufgeboten werden. Unterbestände oder vakante Funktionen können durch das Aufgebot zusätzlicher Verbände, Teilen von Verbänden oder Einzelpersonen kompensiert werden.

Schwierigkeiten entstünden allerdings, wenn die gesamte Armee aufgeboten oder ein Grossteil der Armee über längere Zeit in nicht planbaren Einsätzen eingesetzt werden 20 / 46

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müsste. Dann wäre die Möglichkeit, fehlende Bestände oder einzelne Funktionen zu kompensieren, stark eingeschränkt. Angesichts der Bedrohungslage erscheint das kurzfristig als wenig wahrscheinlich. Dennoch muss die Alimentierung auf den Sollbestand ausgerichtet werden, der die Erfüllung des gesamten Leistungsprofils gemäss Armeeauftrag ermöglicht.

Die Lücken in der Alimentierung hatten bisher keine Auswirkungen auf die Einsätze der Armee. Einsätze, die mit Vorlauf geplant werden (z. B. Armeeeinsatz am Jahrestreffen des World Economic Forum), berücksichtigen die reduzierten Bestände an Ausbildungsdienstpflichtigen im Wiederholungskurs; im Bedarfsfall werden entsprechend gleichzeitig mehr Verbände aufgeboten und eingesetzt, indem die Zeitpunkte der Wiederholungskurse verschoben werden.

Bei einer Mobilmachung sind im Unterschied zu den Wiederholungskursen grundsätzlich alle Militärdienstpflichtigen einrückungspflichtig.27 Mit der Unterschreitung des Effektivbestandes, die Ende des laufenden Jahrzehnts eintreten wird, können im Fall einer allgemeinen Mobilmachung der Sollbestand nicht mehr erreicht und nicht mehr alle Aufgaben erfüllt werden.

3.5

Steuerungsmöglichkeiten

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, um den Effektivbestand zu steuern: den Zufluss an Rekrutierten, die Anzahl der vorzeitigen Abgänge und die Einteilungsdauer.

Die erste Möglichkeit betrifft den Anteil der Militärdienstpflichtigen an der Gesamtbevölkerung. Gegenwärtig ist dieser Anteil beschränkt auf die Schweizer Männer; Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten. Eine Erhöhung des Anteils der Militärdienstpflichtigen (z. B. durch eine Anpassung der Anforderungen für die Tauglichkeit oder eine Ausweitung der Militärdienstpflicht auf weitere Personengruppen) würde die Anzahl Militärdiensttauglicher erhöhen, was die Alimentierungssituation sowohl für Einsätze als auch für Wiederholungskurse verbessern würde.

Die zweite Möglichkeit betrifft die Abgänge von Angehörigen der Armee vor Beendigung ihrer gesamten Militärdienstpflicht. Die überwiegende Mehrheit davon erfolgt aus medizinischen und Gewissensgründen. Eine Reduktion der Abgänge würde die Alimentierungssituation für Einsätze und Wiederholungskurse verbessern.

Als dritte Möglichkeiten kann der Effektivbestand der Armee über die Einteilungsdauer gesteuert werden. Schon die Verlängerung der Dienstpflicht um ein Jahr hätte einen beträchtlichen Effekt.

Der effektive Spielraum, die Alimentierung der Armee zu steuern, ist im aktuellen Gesetzesrahmen aufgrund von rechtlichen Vorgaben jedoch begrenzt. Der Anteil der Militärdienstpflichtigen ist in der Verfassung festgelegt (Schweizer Männer sind wehrpflichtig). Die Eckwerte Sollbestand, Effektivbestand, Anzahl und Dauer der

27

Ausnahmen wären beispielsweise medizinisch Dispensierte oder Armeeangehörige mit Auslandaufenthalt.

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Wiederholungskurse, Einteilungsdauer und Anzahl Ausbildungsdiensttage sind vorgegeben. Die einzige Möglichkeit, die innerhalb der geltenden Rechtsgrundlagen beeinflusst werden kann, sind die vorzeitigen Abgänge aus der Armee.

3.6

Massnahmen der Armee in Umsetzung

Die Armee hat in den letzten Jahren mehrere Massnahmen ergriffen, um den Militärdienst attraktiver zu gestalten und Anreize für Militärdienstleistende zu schaffen. So zielen Massnahmen in den Bereichen Kommunikation und Gewinnung, Bindung und Beratung darauf ab, bereits 14­18-jährige Jugendliche anzusprechen und ihnen die verschiedenen Aspekte des Militärdienstes aufzuzeigen. Mit einer Reorganisation der Orientierungstage sollen 18-jährigen jungen Erwachsenen Informationen zum Militärdienst adressatengerecht vermittelt werden. Weitere Massnahmen sprechen hauptsächlich die bereits Dienst Leistenden an, mit der Absicht, die medizinischen Entlassungen zu reduzieren und den Armeeangehörigen die Vereinbarkeit zwischen ihrem zivilen Leben und dem Militäralltag zu erleichtern. Damit sollen die Abgänge während und nach der Grundausbildung reduziert werden.

3.6.1

Differenzierte Zuteilung

Mit der differenzierten Zuteilung ist es seit 2015 möglich, auch Stellungspflichtige in die Armee aufzunehmen, die medizinische Einschränkungen haben, beispielsweise beim Tragen, Heben oder Marschieren. Spezielle medizinische Untersuchungskommissionen beurteilen im Einzelfall die Tauglichkeit für die vorgesehene spezifische militärische Funktion. So wird ermöglicht, dass Stellungspflichtige ­ soweit medizinisch vertretbar ­ auch mit Einschränkungen Militärdienst leisten können. Oberstes Gebot bei der Beurteilung der Diensttauglichkeit ist und bleibt, dass die als militärdiensttauglich erklärten Personen durch die vorgesehene Dienstleistung weder ihre eigene Gesundheit noch jene ihrer Kameradinnen und Kameraden gefährden.

3.6.2

Senkung der medizinischen Abgänge aus der Rekrutenschule28

Um den Eintritt in den militärischen Alltag durch eine längere Angewöhnungszeit zu erleichtern, wurden die progressive Steigerung der körperlichen Belastung (effektiveres Sportprogramm) und vermehrte Erholungsmöglichkeiten (Ausgang ab der ersten Woche der Rekrutenschule, Freizeit zur eigenen Verfügung während des Tages, genügend Schlaf) eingeführt. Die gezielte Sensibilisierung und Ausbildung der Kader und die verstärkte Information der Rekruten über die Leistungen der Armee im sozialen Bereich (Armeeseelsorge, psychologisch-pädagogischer Dienst, Sozialdienst der

28

Vgl. Empfehlung 10 des Berichts der Studiengruppe Dienstpflichtsystem, S. 171.

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Armee) unterstützen die Angewöhnung. Es kann auch der progressiven Leistungssteigerung zugeschrieben werden, dass die Entlassungen aus medizinischen Gründen während der Rekrutenschule rückläufig sind.29

3.6.3

Verbesserung der Vereinbarkeit der Grund- und Weiterausbildung mit dem Privatleben

Der mit der Weiterentwicklung der Armee eingeführte flexible Start der Rekrutenschule soll eine bessere Koordination der zivilen Aus- und Weiterbildung und der Rekrutenschule erlauben. Zudem führte die Armee ab 1. Januar 2020 regelmässige Abtreten am Freitag während des Grundausbildungsdienstes ein, um die Vereinbarkeit der zivilen und militärischen Verpflichtungen zu verbessern. Während der Rekrutenschule können Rekruten, Soldaten und Kader zum selben Zweck ausserdem zwei individuelle, frei wählbare und nicht zu begründende Urlaubstage beziehen (sogenannte Joker-Tage).

3.6.4

Verbesserung der zeitlichen Abstimmung von Dienst und ziviler Ausbildung

Wenn Abschlussprüfungen auf den Beginn der Rekrutenschule fallen, können betroffene Rekruten später zum Dienst antreten. Bei wichtigen persönlichen Gründen können Armeeangehörige ihren Ausbildungsdienst zeitlich aufgeteilt leisten. Die Verschiebung der Sommer-Rekrutenschule um eine Woche seit 2020 ist ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Berufsbildung, der Hochschulen und der Armee. Die Anzahl Urlaubsgesuche für noch ausstehende oder noch nicht ganz abgeschlossene Matura- oder Lehrabschlussprüfungen dürfte sich damit reduzieren und die Attraktivität der Kaderausbildung dank der immer noch sichergestellten Abstimmung auf das Studium beibehalten werden.

Zur verbesserten Synchronisation der militärischen Kaderlaufbahn mit einer zivilen Ausbildung können abverdienende Kader, die direkt nach dem Praktischen Dienst 30 ihr Studium beginnen wollen, vier Wochen vor Ende der regulären Rekrutenschule entlassen werden und ihr Abverdienen damit vorzeitig beenden.31 Die vorgezogene Entlassung wird im Rahmen der Wiederholungskurse kompensiert. Jährlich werden so etwa 100 Armeeangehörige aufgrund des Studiums frühzeitig entlassen. Für die Studienvorbereitung erhalten die Kader bis zu fünf individuell wählbare Urlaubstage.

29

30 31

2009 lag der Anteil von Rekruten und Kaderanwärtern, die aus der Grundausbildung entlassen werden mussten, bei 11,8 % (Referenzwert: Einrückungsbestand), 2013­2016 zwischen 10,1 und 12,6 %, 2018 bei 6,5 %.

Das Abverdienen eines Grades wird «praktischer Dienst» genannt.

Im Start 2/2018 waren es 106 Kader, im Start 2/2019 98 Kader, die davon Gebrauch machten.

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3.6.5

Verstärkung der Ausbildungszusammenarbeit und Führungszertifikat für Milizkader

Um die Attraktivität der militärischen Ausbildung zu steigern, wird die Ausbildungszusammenarbeit mit zivilen Ausbildungsinstitutionen und die Anerkennung militärischer Ausbildungen durch den zivilen Bereich verstärkt. Kader können sich seit 2012 für ihre militärische Kaderausbildung ECTS-Punkte von den Universitäten und Hochschulen anrechnen lassen. Zwischen der Armee und verschiedenen Hochschulen wurde zudem vereinbart, dass Dienstleistungen in gewissen Funktionen der Armee als Praktikum angerechnet werden. Die militärische Ausbildung ist auch für bestimmte Funktionen an Berufslehren und -weiterbildungen anrechenbar.32 Durch die Anrechenbarkeit der militärischen Ausbildung an eine zivile Aus- und Weiterbildung kann der Militärdienst einen zusätzlichen Nutzen für junge Erwachsene schaffen. Die Armee will sich als Ausbildungsstätte innerhalb der schweizerischen Bildungslandschaft etablieren.

Mit der Schaffung anerkannter Zertifikatslehrgänge (Anlehre, Berufslehre, berufliche Weiterbildung) im Rahmen der fachtechnischen Grundausbildungen leistet die Armee einen weiteren Beitrag zum individuellen Kompetenzausbau. Dazu muss die militärische Fachgrundausbildung so gestaltet werden, dass sie auch zivil von Nutzen ist. Das beste Beispiel dafür ist der mit der Weiterentwicklung der Armee eingeführte CyberLehrgang, der einer zivilen Fachausbildung gleichgestellt ist. Weiterführende Überlegungen in diese Richtung sind Gegenstand der zurzeit laufenden Ausarbeitung der Ausbildungsstrategie 2030. Während sich die Zertifikate in einer Rekrutenschule auf die Erweiterung bereits erworbener beruflicher Fähigkeiten fokussieren, wären bei den Durchdienern weiterführende Zertifikate wie etwa der Abschluss mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis möglich. 33 Bereits heute erhalten alle Kaderangehörigen ab Stufe Gruppenführer neben der militärischen Qualifikation einen Bildungs- und Kompetenznachweis. Dieser bestätigt die Kompetenzen, die Kaderangehörige während der Grundausbildung und beim Abverdienen des militärischen Grades erworben haben.34 Es ist geplant, dass alle Angehörigen der Armee nach Abschluss ihrer Grundausbildung einen solchen Bildungs- und Kompetenznachweis erhalten.

Seit dem 1. Mai 2019 können Absolventinnen und Absolventen von Offiziersschulen und Höheren Unteroffizierslehrgängen kostenlos das Zertifikat der Stufe 1 der Schweizer Kader-Organisation beziehen35.

32

33 34 35

Anrechnung des praktischen Dienstes als «Berufsbildnerkurs gastgewerbliche Berufe» durch die Hotel & Gastro formation Schweiz für Küchenchefs. Anrechnung der Fahrberechtigungen der militärischen Kategorien A (Motorschiff), 930 (Lastwagen) und 931 (Lastwagen bis 7,5 Tonnen) an den Erwerb des äquivalenten zivilen Führerausweises für Fahrerinnen und Fahrer. Anrechnung der Rekrutenschule und/oder der Kaderschule als Praktikumszeit zur Ausbildung zum Polier.

Beispielsweise eine Ausbildung zum Diagnostiker oder zum Strassentransportfachmann.

Bisher konnten den Kaderangehörigen rund 11 500 Bildungs- und Kompetenznachweise ausgehändigt werden.

Rekrutenschulenbeginn 1/19. Bisherige Zahlen wurden in der Armeeauszählung (ARMA) 2020 erfasst.

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3.6.6

Ausbildungsgutschrift

Abhängig von Dienstgrad und Ausbildungsdauer wird den Milizkadern eine finanzielle Ausbildungsgutschrift36 gewährt. Diese kann für die Finanzierung einer zivilen Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden. Seit 2018 wurden insgesamt 936 Ausbildungsgutschriften ausbezahlt; davon wurden 479 für ein Bachelorstudium eingesetzt.

3.6.7

Kommunikation und Information

Mit der Studie Sicherheit 202037 wurde festgestellt, dass die breite Bevölkerung der Schweiz ein eher geringes Wissen über die Armee und ihre Aufgaben hat. Wenn es der Armee gelingt, mehr junge Schweizerinnen und Schweizer auf Social-MediaKanälen zu erreichen, ihnen Informationen über die Armee und ihre Aufgaben zu vermitteln und ihr Interesse zu wecken, könnte sie bei der Rekrutierung besser informierte und möglicherweise auch stärker motivierte junge Erwachsene antreffen. Die Armee baut ihre Kommunikationskanäle stetig aus, mit der Absicht die Schweizer Bevölkerung vermehrt über ihre Aktivitäten zu informieren.

2018 wurde das Projekt «Laufbahnberatung» initialisiert. Es soll jungen Menschen die Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen, welche die Armee für sie bereithält. Mit Informationsständen in Gymnasien und Berufsfachschulen sowie an Zukunftstagen (Fachhochschulen, Universitäten) werden Jugendliche über die Armee in all ihren Facetten informiert. Die Armee präsentiert sich zudem an Berufs- und Bildungsmessen.

An jährlichen Anlässen der Armee werden die Gremien der verschiedenen Bildungsstufen informiert.38 Diese Informationen ergänzen die schriftlichen Orientierung über den Militärdienst, die Schweizerinnen und Schweizer im 17. Altersjahr von den Militärverwaltungen der Kantone erhalten.

Mit der Bewirtschaftung von Social-Media-Kanälen (Instagram, Facebook, YouTube, etc.) und Videoclips, wie z B Join #teamarmee oder Get ready for #teamarmee werden Jugendliche auf die Armee aufmerksam gemacht und über ihre Chancen und Möglichkeiten in der Armee informiert. Die App «SwissRookie» dient Stellungspflichtigen dazu, sich auf die Rekrutierung vorzubereiten.

Im Frühjahr 2021 publizierte die Militärakademie an der ETH Zürich eine Studie39 zum Social-Media-Auftritt der Armee. Sie kommt zum Schluss, dass Social-Media für junge Menschen das Kommunikationsinstrument der Stunde sind. Allerdings kennen nur 15 Prozent der Befragten mindestens einen Kanal der Schweizer Armee. Die Social-Media-Präsenz der Armee wird allgemein positiv wahrgenommen. In der Studie wird herausgestrichen, dass die Kenntnis mindestens eines Social-Media-Kanals 36

37

38 39

Seit 1. Jan. 2018: Fourier, Einheitsfeldweibel, Feuerleitstellen-Unteroffizier (Feldweibel), Zugführer, Einheitskommandant, Führungsgehilfe Truppenkörper, Stabsoffizier.

Seit 1. Jan. 2020 zusätzlich auch für Gruppenführer (Wachtmeister).

Sicherheit 2020. Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend; Hrsg.: Tibor Szvircsev Tresch, Andreas Wenger; Militärakademie (MILAK) an der ETH Zürich und Center for Security Studies, ETH Zürich.

Diese Aktivitäten wurden mit den Kantonen per Ende 2019 konsolidiert.

Eva Moehlecke de Baseggio, Olivia Schneider, Tibor Szvircsev Tresch (Hrsg): Social Media and the Armed Forces. Springer 2020.

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der Armee im Zusammenhang mit einer positiveren Einstellung gegenüber der Armee steht ­ unabhängig von seiner oder ihrer generellen Haltung. Die Studie empfiehlt der Schweizer Armee, vermehrt und proaktiv mit Bürgerinnen und Bürgern jeden Alters in einen Dialog zu treten, und macht darauf aufmerksam, dass moderierte Diskussionen auf Social-Media-Kanälen der Armee die Qualität der Diskussion verbessern.

3.6.8

Verbesserte Nutzung des Potenzials der Frauen in der Armee

Die Erhöhung des Frauenanteils in der Armee ist weniger ein Mittel zur Verbesserung der quantitativen Alimentierung und mehr als Ausdruck des Willens, die geeigneten Personen für die Sicherheit der Schweiz zu gewinnen. Zentral ist der Grundsatz der Förderung der Chancengleichheit «Gleiche Leistung ­ gleiche Chancen».

Dazu wurden Massnahmen ergriffen, um junge Frauen besser über den Militärdienst zu informieren. Die Armee will sie dazu anregen, sich mit dem Thema Sicherheit im Allgemeinen und der Armee im Besonderen zu befassen. Sie will ihnen aber auch Möglichkeiten aufzeigen, ihre persönlichen und beruflichen Kompetenzen mit Fähigkeiten zu ergänzen, die sie sich in der Armee aneignen können. Die konkreten Massnahmen sind die Folgenden:

40

41

­

Das VBS prüft in Zusammenarbeit mit den Bildungsverantwortlichen, ob künftig Aspekte der Sicherheitspolitik in den Schulunterricht aufgenommen werden sollen. Geprüft wird konkret die Einführung eines «Sicherheitstages» oder einer «Sicherheitswoche» an Gymnasien und Berufsschulen, analog zu Wirtschaftswochen, die in solchen Instituten häufig stattfinden.

­

Mit der Einladung zur freiwilligen Teilnahme an den Orientierungstagen soll das Interesse der Frauen an einer freiwilligen Übernahme der Militärdienstpflicht gesteigert werden. Heute organisieren die meisten Kantone spezielle Orientierungstage nur für Frauen, an denen sie einer bereits militärdienstleistenden Frau Fragen stellen können. Der Orientierungstag gilt auch für Frauen als Amtstermin.40 Um Hürden für eine zahlreiche Teilnahme von Frauen abzubauen, hat der Bundesrat die kantonalen Behörden und die Arbeitgeber- und Gewerbeverbände informiert, dass gemäss geltendem Obligationenrecht41 die Lohnfortzahlung auch für freiwillig an Orientierungstagen teilnehmende Frauen geleistet werden muss. Die Anzahl der teilnehmenden Frauen an Orientierungstagen hat sich 2019 gegenüber 2017 um ein Drittel erhöht. Rund 45 % der Besucherinnen lassen sich rekrutieren. Davon rücken ungefähr 60 % in eine Rekrutenschule ein; dies entspricht mehr als einem Viertel der Teilnehmerinnen an den Orientierungstagen.

Ein «Amtstermin» ist ein Termin den man persönlich auf einer Amtsstelle wahrnimmt.

Dabei kann unterschieden werden zwischen einem obligatorischen Amtstermin, den man aufgrund einer gesetzlichen Pflicht wahrnehmen muss, und einem fakultativen Amtstermin, den man aufgrund eines persönlichen Anliegens wahrnehmen möchte.

SR 220

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­

Die Armee hat eine Informationskampagne «Sicherheit ist auch weiblich» gestartet. Diese richtet sich an junge Frauen und nutzt moderne Kommunikationsformen und -kanäle. Damit sollen mehr Frauen dazu bewegt werden, sich für den Militärdienst zu interessieren, um schliesslich freiwillig Militärdienst zu leisten.

Um das Potenzial des hohen Frauenanteils im Friedensförderungsdienst zu nutzen, wird abgeklärt, ob Frauen, die einen Friedensförderungsdienst geleistet, aber keine Rekrutenschule absolviert haben, sich freiwillig in die Armee einteilen lassen oder direkt eine militärische Kaderausbildung beginnen können. In einer Versuchsphase sollen aus zwei Friedensförderungskontingenten 2021 die ersten weiblichen Kontingentsangehörigen auf freiwilliger Basis in die Armee eingeteilt werden. Die ersten Erkenntnisse zeigen ein beachtliches Potenzial auf: Mehr als ein Drittel der Frauen wären bereit, sich einteilen zu lassen. Im Friedensförderungsdienst werden Frauen mit ziviler Ausbildung zu militärisch gut ausgebildeten und einsatzerfahrenen Soldaten, die in verschiedensten Funktionen Dienst leisten.

Die Chefin VBS beauftragte am 6. Dezember 2019 die Interne Revision VBS zu prüfen, welche Stellen sich mit der Frauenförderung in der Armee befassen, von der Rekrutierung bis hin zur Entlassung. Es sollte erfasst werden, welche Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten dabei bestehen und welche konkreten Massnahmen bisher eingeleitet wurden. Aufgrund der Erkenntnisse des Prüfberichts «Zuständigkeiten bezüglich Frauenförderung in der Armee» wurde die Armee beauftragt, eine Gender-Strategie zu verfassen. Diese soll eine Vision, eine Strategie und einen konkreten Massnahmenplan umfassen und so ausgestaltet sein, dass sie nach innen und aussen kommuniziert werden kann.

Zudem hat das VBS eine Arbeitsgruppe «Frauen in der Armee» gebildet, die alle Fragestellungen rund um die Förderung der Frauen in der Armee prüfen soll. Am 8. März 2020 hat das VBS den Bericht «Arbeitsgruppe Frauen in der Armee: Erhöhung des Frauenanteils in der Armee» veröffentlicht. Darin wurden unter anderem die folgenden zusätzlichen Massnahmen vorgeschlagen, die geprüft und wenn möglich sofort umgesetzt werden sollen: ­

Die Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass wissenschaftliche Grundlagen für einen stärkeren Einbezug der Frauen in der Armee fehlen. Dafür soll eine Studie in Auftrag gegeben werden, um beispielsweise zu klären, welches Bild Frauen von der Armee haben, unter welchen Bedingungen sie sich für Militärdienst melden würden und welche Gründe sie vom Militärdienst abhalten. Der Frage, welche Unterstützung Frauen in der Armee erfahren, soll ebenso nachgegangen werden, wie jener nach den Bedürfnissen der Frauen in der Armee und nach den grössten Hürden in ihrer Entwicklung. Schliesslich soll auch erforscht werden, womit männliche Führungs- und Ausbildungspersonen besonders Mühe bekunden, wenn es um den Einbezug von Frauen in die Armee geht. Dies soll ermöglichen, abzuschätzen, was gut funktioniert, was am dringendsten geändert werden müsste und wie die Armee der Zukunft gestaltet sein sollte.

­

Bis Ende 2021 soll eine Fachstelle Frauen in der Armee eingerichtet werden.

Sie soll die verschiedenen Aktivitäten der Armee auf das Ziel ausrichten, mehr 27 / 46

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Frauen in die Armee zu bringen und Anlaufstelle für systemische Probleme sein, mit denen Frauen in der Armee konfrontiert sind.

­

Damit der Militärdienst familienfreundlich gestaltet werden kann und alle Erziehungsberechtigten (Mütter und Väter) ihrer Dienstpflicht nachkommen können und die Schweizer Armee eine moderne und familienfreundliche Institution wird, sollen folgende Massnahmen geprüft werden: Unterstützung für Kinderbetreuung, vermehrte Teilzeitarbeit für Berufsmilitär und Sensibilisierung von Vorgesetzten zu Fragen der Vereinbarkeit von Familie, Erwerbsarbeit und Studium.

Die Resultate dieser Massnahmen und Prüfungen dürften sich in zwei bis drei Jahren zeigen, zumindest als Trends. Dieser Zeitpunkt fällt zusammen mit dem Abschluss der Umsetzung der laufenden Armeereform. Deshalb bietet es sich an, dann eine aktualisierte Standortbestimmung zum Thema Frauen in der Armee vorzunehmen, konkret innerhalb des Abschlussberichts zur Weiterentwicklung der Armee, der 2023 an die eidgenössischen Räte überwiesen werden soll.

Die Interpellation 19.3626 Eichenberger (Mehr Soldatinnen und Kaderfrauen in der Armee!) verlangte vom Bundesrat, Ziele und Massnahmen aufzuzeigen, wie der Anteil an Frauen bei Truppe und Kadern erhöht werden kann. Das Postulat 19.3789 Seiler Graf (Stärkung der Chancen und Rechte der Frauen in der Armee: Erfahrungen in ausgewählten Staaten) lädt den Bundesrat ein, abzuklären, wie ausgewählte Staaten die Chancen und Rechte der Frauen in der Armee stärken, sowie vorbildliche Methoden vor dem Hintergrund seiner eigenen Politik zur Gleichstellung von Mann und Frau in Staat und Gesellschaft zu bewerten und darüber Bericht erstatten. Die Armee hat erste Abklärungen in den Streitkräften von Österreich, Schweden, Finnland und Estland getätigt. Dabei handelt es sich um eine erste (und zu einem späteren Zeitpunkt ausbaufähige) Auswahl an Staaten, deren Wehrpflichtsysteme mit dem der Schweiz einigermassen vergleichbar sind und die auch bestrebt sind, den Frauenanteil zu erhöhen. Mit der ebenfalls auf Vergleichen mit dem Ausland basierenden GenderStrategie und dem Massnahmenplan des VBS erachtet der Bundesrat die Interpellation 19.3626 Eichenberger und das Postulat 19.3789 Seiler Graf als beantwortet bzw.

umgesetzt.

3.7

Einschätzung der Wirkung der Massnahmen

Heute ist die Mehrzahl der oben erwähnten Massnahmen umgesetzt. Damit können erste Schlüsse gezogen und erste Tendenzen zu deren Wirkung erkannt werden.

Die Massnahmen im Bereich der Rekrutierung greifen. Die differenzierte Zuteilung erlaubt es, ungefähr 5 % mehr der Stellungspflichtigen zu rekrutieren. Dieser Erfolg wird aber dadurch relativiert, dass von den differenziert Zugeteilten ungefähr ein Fünftel ein Zivildienstgesuch eingereicht hat. Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt, die Entwicklung muss weiterhin beobachtet werden.

Die medizinischen Abgänge aus der Rekrutenschule konnten, wohl auch dank der progressiven Leistungssteigerung, seit 2011 fast halbiert werden. Diese Massnahme ist deshalb als Erfolg zu werten. 2009 betrug der Anteil der Abgänge aus der 28 / 46

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Grundausbildung 11,8 % des Einrückungsbestandes, 2013­2016 zwischen 10,1 % und 12,6 %, 2018 6,5 %.

Auch wenn die Wirkung der Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit des zivilen Lebens mit dem Militärdienst aufgrund der Covid-19-Pandemie verzögert eintreten wird und generell schwer messbar ist, verbessern sie doch die Vereinbarkeit von Militärdienst und Zivilleben für junge Militärdienstleistende und dürften zu einer grösseren Zufriedenheit und weniger Abgängen führen.

Die Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Militärdienst und ziviler Ausbildung werden unterschiedlich genutzt. Nur wenige Rekruten machten von der Möglichkeit Gebrauch, wegen Überschneidungen zwischen Lehrabschlussprüfungen und Rekrutenschule Urlaubsgesuche einzureichen. Die Möglichkeit, die Rekrutenschule um vier Wochen zu kürzen, um den Beginn des Herbstsemesters an Hochschulen nicht zu verpassen,42 findet hingegen immer mehr Anklang. 2018 machten davon 106 Kader Gebrauch, 2019 waren es 109, 2020 sind es bereits 166, was 9,4 % des Kaderbestandes im Grundausbildungsdienst ausmacht. Der Effekt dieser Massnahme auf die Alimentierung ist schwierig zu beziffern.

Seitdem militärische Kader eine Ausbildungsgutschrift43 erhalten (1. Jan. 2018), wurden 1188 Gesuche eingereicht, von denen 1088 genehmigt wurden. Die meisten Gesuche wurden durch Kader im Rang eines Leutnants gestellt (70 %). Die Ausbildungsgutschriften wurden vor allem für ein Bachelor-Studium eingesetzt (53 %). Bis heute wurden Ausbildungsgutschriften im Wert von rund 2.1 Millionen Franken ausbezahlt.

Auch die Kommunikations- und Informationsmassnahmen wirken: Die Armee ist heute in den sozialen Medien präsenter, was einen positiven Einfluss auf ihre Reputation hat. Dieser Effekt wird verstärkt, wenn eine Interaktion mit der Armee oder mit Kolleginnen und Kollegen stattfindet. Auch mit einer verstärkten physischen Präsenz hat die Armee die Informationsqualität verbessert und den Zugang zur Armee vereinfacht. Die Neustrukturierung der Orientierungstage und die Reduktion der Anzahl Funktionen ermöglichen der Armee eine gezieltere Vermittlung von Informationen.

Die Massnahmen zur Anhebung des Frauenanteils waren erfolgreich: Die Zahl der neu eingeteilten Frauen hat sich mehr als verdreifacht.

Weiterhin problematisch sind die zahlreichen Abgänge zwischen dem Ende
der Rekrutenschule und der Entlassung aus der Militärdienstpflicht.

In den meisten Bereichen sind die Massnahmen gemäss den Konzepten umgesetzt.

Erste positive Tendenzen sind feststellbar. Für eine fundierte Wirkungsanalyse ist es heute zu früh, insbesondere weil die Daten von 2020 nicht in die Auswertung einbezogen werden können, da wegen der Covid-19-Pandemie die Zahlen des Jahres 2020

42

43

Nach einer Absprache mit swissuniversities wurde die Möglichkeit geschaffen, die Rekrutenschule um vier Wochen zu verkürzen. Die Diensttage müssen dann allerdings im Wiederholungskurs nachgeholt werden.

Heute erhalten die Milizkader nach absolviertem Gradänderungsdienst und bestandener Führungsprüfung den landesweit anerkannten Fähigkeitsausweis Leadership. Schlagen junge Militärdienstleistende eine Kaderlaufbahn ein, so haben sie Anrecht auf eine Ausbildungsgutschrift. Die Höhe des Betrags richtet sich nach Dienstgrad und Funktion.

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mit den vorherigen Jahrgängen nicht vergleichbar sind. Eine auf konkreten Erfahrungs- und Vergleichswerten basierte Einschätzung der Wirkung kann mit dem Schlussbericht über die Weiterentwicklung der Armee 2023 erfolgen.

3.8

Fazit

Bis Ende dieses Jahrzehnts wird die Armee über einen ausreichenden Effektivbestand verfügen; im Fall eines Einsatzes können also genügend Armeeangehörige einrücken.

Diese müssen allerdings eine längere einsatzorientierte Ausbildung absolvieren, um die vollständige Grundbereitschaft für die erforderlichen Leistungen zu erreichen.

Es steht aber bereits fest, dass der angestrebte Effektivbestand von 140 0000 Armeeangehörigen bei unveränderten Rahmenbedingungen (Anzahl Dienstpflichtige und Anzahl Abgänge aus der Armee) ab 2030 um rund 20 000 unterschritten wird.

Wegen der tiefen Beständen an Armeeangehörigen, die noch Wiederholungskurse leisten müssen, wird die Ausbildung in den Wiederholungskursen in den nächsten Jahren nicht auf dem gewünschten Niveau möglich sein. Darunter werden die Grundbereitschaft der Armee und die Kadergewinnung leiden.

Der Bundesrat hat diese grundsätzlichen Probleme erkannt, die einerseits mit der Konzeption und den Übergangsregelungen der Weiterentwicklung der Armee, anderseits mit den zu hohen vorzeitigen Abgängen aus der Armee zusammenhängen. Er ist aber der Ansicht, dass jetzt der falsche Zeitpunkt für weitergehende Massnahmen wäre.

Zum einen befindet sich die Weiterentwicklung der Armee bis Ende 2022 in der Umsetzung, und es wäre nicht zweckmässig, in dieser Phase strukturelle Massnahmen zu ergreifen. Zum andern sind zuverlässige Voraussagen zu den jährlichen Rekrutierungszahlen erst ab 2023 möglich. Erst dann wird sich zeigen, ob die Flexibilisierung der Absolvierung der Rekrutenschule die Abgänge reduzieren konnte oder ob sie die Bestände noch weiter verringert, da die Tauglichkeit mit zunehmendem Alter sinkt.

Im vorliegenden Bericht verzichtet der Bundesrat deshalb auf Vorkehrungen, die über die bereits ergriffenen Schritte zur Verbesserung der Alimentierung der Armee hinausgehen. Solche sollen erst mit dem Abschlussbericht zur Weiterentwicklung der Armee vorgesehen werden, der gemäss dem politischen Controlling des Bundesrates (Art. 149b MG) Mitte 2023 erscheinen soll. Das ermöglicht eine Abstützung auf eine solidere Datenlage zu Rekrutierungsbeständen und Abgängen.

Das VBS erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem WBF bis Ende 2021 einen zweiten Teil des Alimentierungsberichts mit möglichen Varianten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems. Dieser
wird auch eine mögliche Anwendung des «norwegischen» Modells, das die Ausdehnung der Dienstpflicht auf Frauen vorsieht, in der Schweiz analysieren, gemäss Auftrag des Bundesrates vom 28. Juni 2017.

Dieser zweite Teil des Alimentierungsberichts soll bis Anfang 2022 an die eidgenössischen Räte überwiesen werden.

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4

Die Bestände des Zivilschutzes

Die Zivilschutzreform 2004 sah einen Sollbestand von 120 000 Zivilschutzangehörigen vor, zu dessen Sicherung 6000 Rekrutierte pro Jahr sowie eine Dienstpflichtdauer von 20 Jahren notwendig waren. In der Folge wurden kommunale Zivilschutzorganisationen zu regionalen Organisationen zusammengeführt. Dies führte zu Reduktionen des benötigten (Soll-)Bestandes und einer bis 2013 über dem Bedarf liegenden Rekrutierungsquote. Als Ergebnis bildete sich eine erhebliche Personalreserve. Die Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ sollte die Zivilschutzbestände den aktuellen und künftigen Gefährdungen und Risiken anpassen und auf die Bedürfnisse der Kantone und Gemeinden ausrichten sowie die Personalreserve abbauen.44 Vor diesem Hintergrund, aber auch um die Verweildauer von Schutzdienstpflichtigen an jene in der Armee anzugleichen, wurde mit der jüngsten Revision des BZG beschlossen, die Dienstpflichtdauer zu senken und die Personalreserve abzuschaffen.

Der Ist-Bestand per Ende 2020, vor den Entlassungen als Folge der Reduktion der Dienstpflichtdauer, betrug rund 76 000 Zivilschutzangehörige. Die Reduktion von 20 auf 12 Einteilungsjahre hätte eine massive Reduktion der Bestände per 1. Januar 2021 zur Folge gehabt, da auf Anhieb alle Zivilschutzangehörigen auf Stufe Mannschaft und Unteroffiziere, die 12 Jahre Dienst geleistet haben, entlassen worden wären. Um diese Reduktion abzuschwächen, legte der Bundesrat am 11. November 2020 auf Antrag der Kantone und in Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten45 die Schutzdienstpflicht gesamtschweizerisch auf 14 Jahre fest.

4.1

Bestände und Rekrutierungszahlen

Der aktuelle Ist-Bestand von rund 69 000 Zivilschutzangehörigen46 liegt bereits unter dem vorgesehenen Sollbestand von 72 000. Der Ist-Bestand setzt sich aus dem Einsatzbestand, neu rekrutierten Zivilschutzangehörigen und einem Teil der im Personalpool (die interkantonale Version der bisherigen kantonalen Personalreserven) eingeteilten Zivilschutzangehörigen zusammen. Zum Einsatzbestand gehören ausgebildete und in eine Zivilschutzorganisation eingeteilte Zivilschutzangehörige, die einsatzbereit sind und aufgeboten werden können. Dazu kommen neu Rekrutierte, die noch nicht ausgebildet sind und erst ihre Grundausbildung absolvieren und in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt werden müssen. Im Personalpool Eingeteilte, die noch mindestens sechs Jahre dienstpflichtig sind und in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt werden könnten, werden ebenfalls zum Ist-Bestand gezählt. Ein grosser Teil davon müsste jedoch erst noch ausgebildet werden.

44 45 46

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 9. Mai 2012 zur Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ (BBl 2012 5503).

Art. 31 Abs. 7 Bst. a BZG.

Nach den Entlassungen aufgrund der Reduktion der Dienstpflichtdauer von 20 auf 14 Jahre für Mannschaft und Unteroffiziere.

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Ist-Bestand (auf 100 gerundet)

Einsatzbestand (ausgebildete und eingeteilte Zivilschutzangehörige) Neu Rekrutierte (vor allem Rekrutierungsjahrgänge 2019/2020; Grundausbildung noch nicht absolviert und noch nicht eingeteilt) Personalpool (Zivilschutzangehörige mit mindestens 6 Jahren verbleibender Dienstpflicht; davon ausgebildet rund 500) Total

60 200 5 300 3 400 68 900

Daneben gibt es Zivilschutzangehörige, die zwar aufgrund ihres Alters noch dienstpflichtig sind, aber aus verschiedenen Gründen nicht mehr in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt und eingesetzt werden können. Dazu gehören im Personalpool Eingeteilte, die weniger als sechs Jahre dienstpflichtig sind. Davon ist ein grosser Teil nicht ausgebildet, und eine Ausbildung lohnt sich aus Sicht der Kantone im Hinblick auf die nur noch kurze Dienstpflichtdauer von fünf oder weniger Jahren nicht mehr.

Ausserdem gibt es Zivilschutzangehörige mit Auslandabwesenheit. Hinzu kommen Personen mit vorzeitiger Entlassung zugunsten der Partnerorganisationen47 sowie Personen, die aufgrund einer Freiheits- oder Geldstrafe vom Schutzdienst ausgeschlossen wurden.48 Bei der Bestimmung des Sollbestandes von 72 000 Zivilschutzangehörige ging der Bundesrat 2018 davon aus, dass die Anzahl von 6000 Rekrutierten pro Jahr zu erreichen und damit eine Reduktion der Einteilungsdauer von 20 auf 12 Jahre vertretbar sei. In der Zwischenzeit hat sich aber gezeigt, dass die angestrebte Rekrutierungszahl trotz relativ stabiler Anzahl an Stellungspflichtigen und konstanter Tauglichkeitsrate nicht erreicht, sondern stark unterschritten wird. Deshalb hat der Bundesrat die Schutzdienstpflicht wie beschrieben von 12 auf 14 Jahre verlängert.

Um den notwendigen Bestand von 72 000 bei einer Dienstpflichtdauer von 14 Jahren sicherzustellen, müssten pro Jahr rund 5200 Personen für den Zivilschutz rekrutiert werden. Die Anzahl Rekrutierungen ist aber seit einigen Jahren rückläufig. Konnten 2011 noch 8350 Personen rekrutiert werden, waren es 2019 noch 3532. Bei den Erstrekrutierten (an der Rekrutierung dem Zivilschutz zugewiesene Stellungspflichtige) sank die Anzahl von 6373 Personen 2011 auf 3880 im Jahr 2017 und dann 2018 auf 2908 und 2019 auf 2778 Personen. Der Rückgang 2018 und 2019 ist teilweise eine Folge davon, dass der Zeitpunkt der Rekrutierung und der Absolvierung der Rekrutenschule ab 2018 flexibel gewählt werden kann und 2018 und 2019 weniger Personen die Rekrutierung absolvierten. Diese Entwicklung erfolgte parallel zu einem Rückgang der Gesamtzahl der Stellungspflichtigen von rund 40 500 im Jahr 2010 auf rund 36 500 im Jahr 2017. 2018 und 2019 sind diese Zahlen noch einmal gesunken.

47

48

Art. 37 BZG: Schutzdienstpflichtige, die in einer Partnerorganisation des Bevölkerungsschutzes benötigt werden, können auf Gesuch hin von den Kantonen vorzeitig aus der Schutzdienstpflicht entlassen werden.

Art. 38 BZG: Schutzdienstpflichtige, die zu einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vom mindestens 30 Tagessätzen verurteilt werden, können vom Schutzdienst ausgeschlossen werden.

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Wie in Kapitel 3.2.1. beschrieben, ist die Vergleichbarkeit der Anzahl Stellungspflichtigen aber nur bis 2017 gegeben.

Während die Rekrutierungsquote der Militärdiensttauglichen zwischen 2010 und 2017 prozentual von 66,1 % auf 68,5 % aller Stellungspflichtigen zunahm, sank die Rekrutierungsquote der Schutzdiensttauglichen von 15,9 auf 10,4 %. Wenn man nur die tauglichen Stellungspflichtigen (Militärdienst und Schutzdienst) betrachtet, erhöhte sich der Anteil der Militärdiensttauglichen von 80,6 auf 86,8 %, jener der Schutzdiensttauglichen reduzierte sich dagegen von 19,4 auf 13,2 %. Die Ursache liegt wahrscheinlich darin, dass die Armee seit 2015 die Tauglichkeitskriterien angepasst hat. Anzumerken bleibt, dass der Anteil der weder für Militär- noch für Schutzdienst Tauglichen seit 2017 nur geringfügig schwankte; im Durchschnitt lag er bei rund 21 % aller Stellungspflichtigen.

Bei gleichbleibend tiefer Rekrutierungsquote muss der Bundesrat für das Jahr 2030 von einem Bestand von nur 51 000 Zivilschutzangehörigen ausgehen; der vorgesehene Sollbestand von 72 000 kann mittel- und langfristig nicht erreicht werden. Bei nur mehr rund 2700 Rekrutierungen pro Jahr (2020) für den Zivilschutz müsste die bisherige Dienstpflichtdauer von 20 Jahren wiedereingeführt werden, um den Sollbestand längerfristig zu erhalten.

Ausgehend vom Ist-Bestand 2021, der Anzahl der jährlich zu erwartenden neu Rekrutierten (Annahme: 3000 Personen pro Jahr) und der Entlassungen ergibt sich für die Entwicklung des Ist-Bestandes bis 2030 folgende Prognose (gerundete Zahlen).

2021

2022

2023

2024

2025

Anfangsbestand

69 000

67 500

65 700

63 600

61 200

Neu Rekrutierte

3 000

3 000

3 000

3 000

3 000

Entlassungen

4 500

4 800

5 100

5 400

5 200

67 500

65 700

63 600

61 200

59 000

4 500

6 300

8 400

10 800

13 000

Endbestand Defizit zum nationalen Sollbestand

2026

2027

2028

2029

2030

Anfangsbestand

59 000

57 400

55 800

54 200

52 500

Neu Rekrutierte

3 000

3 000

3 000

3 000

3 000

Entlassungen

4 600

4 600

4 600

4 700

4 500

Endbestand

57 400

55 800

54 200

52 500

51 000

Defizit zum nationalen Sollbestand

14 600

16 200

17 800

19 500

21 000

Zudem müssten Ende 2025 die Zivilschutzangehörigen entlassen werden, deren Dienstpflicht gestützt auf Artikel 99 Absatz 3 BZG verlängert wurde (siehe Ziff. 4.5).

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4.2

Delta zwischen kantonalen Soll- und Ist-Beständen

Da ein Angehöriger des Zivilschutzes grundsätzlich dort seinen Dienst leistet, wo er seinen Wohnsitz hat, haben bevölkerungsreichere Regionen oder Städte mit einem hohen Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in der Regel eher Überbestände als Regionen mit schwächeren wirtschaftlichen Strukturen. Gewisse Unterschiede bei den Beständen dürften auch darauf zurückzuführen sein, dass die Tauglichkeitsquoten in den verschiedenen Regionen der Schweiz stark divergieren. In der Praxis haben die Kantone die Möglichkeit nur zum Teil genutzt, kantonale Über- und Unterbestände dadurch auszugleichen, dass sie Zivilschutzangehörige ausserhalb ihres Wohnsitzkantons einteilen. Die Nutzung dieser Möglichkeit ist von Kanton zu Kanton verschieden.

4.3

Ursachen

Die mit den Revisionen des BZG und der Zivilschutzverordnung vom 11. November 202049 beschlossene Senkung der Dienstpflichtdauer von 20 auf 14 Jahre hat zu einem Rückgang der Zivilschutzbestände insgesamt geführt, da per 1. Januar 2021 auf Anhieb alle Zivilschutzangehörigen auf Stufe Mannschaft und Unteroffiziere entlassen wurden, die bereits 14 Jahre Schutzdienst geleistet haben.

Dazu kommen Veränderungen bei der Rekrutierung: ­

Die Zahl der Stellungspflichtigen hat abgenommen. Neben der leicht rückläufigen demografischen Entwicklung ist dies insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Rekrutierung und die Rekrutenschule um bis fünf Jahre hinausgeschoben werden kann, was sich für die Rekrutierung für die Armee wie auch für den Zivilschutz zumindest temporär negativ auswirkt.

­

Die Armee rekrutiert seit 2015 Personen, die früher militärdienstuntauglich, aber schutzdiensttauglich waren. Als Folge verringert sich die Zahl der Schutzdiensttauglichen. Konkrete Zahlen zur Auswirkung der differenzierten Zuteilung auf die Zivilschutzrekrutierung liegen zurzeit noch nicht vor.

­

Schliesslich hatte die gründlichere medizinische Beurteilung an der Rekrutierung in den letzten Jahren zur Folge, dass weniger Rekruten aus medizinischen Gründen aus der Rekrutenschule ausscheiden und dann schutzdiensttauglich werden. Zudem werden die Rekruten langsamer an das militärische Umfeld herangeführt (progressive Leistungssteigerung), was zu weniger Ausfällen führt. Als Folge gibt es weniger Übertritte aus der Armee in den Zivilschutz.

4.4

Auswirkungen

Die sinkenden Bestände haben zur Folge, dass die vom Zivilschutz erwarteten Leistungen mittelfristig nicht mehr im vollen Umfang erbracht werden könnten. So kann 49

SR 520.11

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es bei der Führungsunterstützung der kantonalen und regionalen Führungsorgane oder bei der Unterstützung und Betreuung der betroffenen Bevölkerung je nach Ausmass zu personellen Engpässen kommen. Zudem verringert sich die Leistungsfähigkeit bei Tätigkeiten, die viel Personal erfordern, so etwa bei Instandstellungsarbeiten nach einem Katastrophenereignis (z. B. nach Überschwemmungen). Auch die Durchhaltefähigkeit bei einer langandauernden Notlage wie der aktuellen Corona-Pandemie ist stark gefährdet. Der Zivilschutz erbringt heute zudem Leistungen in Einsätzen zugunsten der Gemeinschaft, beispielsweise bei kulturellen und sportlichen Anlässen.

In welchem Umfang solche Leistungen weiter erbracht werden können, wäre vor dem Hintergrund der Bestandesprobleme neu zu erwägen.

4.5

Anpassungen mit der Revision des BZG

Zur Kompensation der Abgänge enthält das revidierte BZG eine Übergangsbestimmung,50 gemäss der die Kantone eine Verlängerung der Dienstpflichtdauer bis zum vollendeten 40. Altersjahr für maximal fünf Jahre ab Inkraftsetzung anordnen können.

Angesichts der düsteren Bestandesperspektiven haben alle Kantone geprüft, ob sie diese Möglichkeit ausschöpfen wollen; aktuell tun dies neun Kantone (AI, BL, FR, GL, GR, JU, LU, OW, TI). Damit können diese Kantone ihre Bestände bis Ende 2025 bis zu einem gewissen Grad sichern. Ab 2026 werden aber auch in diesen Kantonen Unterbestände entstehen, da alle von der Übergangsbestimmung betroffenen Zivilschutzangehörigen entlassen werden müssen. Die anderen 17 Kantone schöpfen die durch diese Übergangsregelung geschaffenen Möglichkeiten nicht aus, was ihre Unterbestände zum Teil verschärft. Der Bundesrat hat keine rechtliche Möglichkeit, die Kantone zu veranlassen, von dieser Kann-Bestimmung Gebrauch zu machen. Die Übergangsregelung ermöglicht so oder so keine nachhaltige Lösung, weil das Kernproblem die zu tiefen Rekrutierungszahlen sind.

Das BZG sieht zudem einen interkantonalen Personalpool zum Ausgleich von Unterund Überbeständen anstelle der bisherigen kantonalen Personalreserve vor 51. Kantone mit Unterbeständen sind gehalten, den Personalpool zu benützen, um ihre Bestände zu erhöhen.

Kantone mit Unterbeständen sollen zudem prüfen, inwieweit eine Reaktivierung von Zivilschutzangehörigen, die in der bisherigen Personalreserve eingeteilt waren, möglich und sinnvoll ist. Ein Teil der mit der Gesetzesrevision abgeschafften Reserve und im neuen interkantonalen Personalpool erfassten Zivilschutzangehörigen kann reaktiviert werden, um Bestandeslücken zu füllen. Das Potenzial dürfte kantonal und regional sehr unterschiedlich sein, je nach Umfang des Personalpools sowie Alter und Ausbildungsstand seiner Angehörigen. Der Bundesrat geht von rund 3400 Zivilschutzangehörigen aus, die aus dem interkantonalen Personalpool reaktiviert und in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt werden könnten. Es ist aber zu beachten, dass ein Grossteil dieser Zivilschutzangehörigen im Personalpool nicht ausgebildet ist.

Aufwand und Ertrag müssen abgewogen werden ­ vor allem, weil diese Massnahme 50 51

Art. 99 Abs. 3 BZG.

Art. 36 BZG.

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nur sehr kurzfristig Bestandeslücken füllen kann. Damit sich eine Ausbildung noch lohnt, sollten aus Sicht der Kantone Personalpool-Zivilschutzangehörige noch mindestens sechs Jahre Dienst leisten können. Somit schöpfen die Kantone auch diese gesetzliche Möglichkeit nicht aus, um ihre Zivilschutz-Bestände zumindest kurzfristig zu verbessern. Der Bundesrat hat jedoch hier keine rechtliche Möglichkeit, die Kantone dazu zu veranlassen.

Gemäss BZG ist schliesslich nur noch von der Schutzdienstpflicht befreit, wer die gesamte Rekrutenschule absolviert hat.52 Dies im Gegensatz zum vorherigen Recht, als diese Befreiung bereits nach 50 Tagen Rekrutenschule eintrat.

Diese Korrekturmassnahmen werden indes nicht ausreichen, die Bestandeseinbrüche aufzufangen. Dies wäre selbst dann nicht der Fall, wenn die Kantone alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen würden. Deshalb sind mittel- und längerfristige Massnahmen zur Sicherung der notwendigen Bestände erforderlich. Diese müssen darauf abzielen, das vorhandene Potenzial an personellen Ressourcen über den Kreis der heute ­ gemäss den geltenden rechtlichen Grundlagen ­ schutzdienstpflichtigen Personen hinaus zu nutzen oder diesen Kreis zu erweitern.

4.6

Fazit

Für den Zivilschutz sind in erster Linie nicht Abgänge das Problem, sondern vielmehr die sinkenden Rekrutierungsquoten. Die Zivilschutzbestände sind direkt abhängig von der Anzahl der stellungspflichtigen Personen, die für den Zivilschutz rekrutiert werden können, d.h. militärdienstuntauglich, aber schutzdiensttauglich sind. Wenn die Rekrutierungsquoten der Armee gesteigert werden, senkt das im gleichen Mass die Rekrutierungsquoten für den Zivilschutz. Mit der Revision des BZG hat sich das Alimentierungsproblem im Zivilschutz drastisch verschärft, und die nationale Zielgrösse von 72 000 Zivilschutzangehörigen wird bereits seit Anfang 2021 unterschritten.

Die im BZG vorgesehene Möglichkeit, während einer Übergangszeit von maximal fünf Jahren die Schutzdienstpflicht von Zivilschutzangehörigen, die bereits 14 Jahre schutzdienstpflichtig waren oder 245 Diensttage geleistet haben, bis zur Vollendung des 40. Altersjahres zu verlängern, genügt nicht, um die Bestände auf Dauer zu sichern. Diese Option wurde auch nicht dafür geschaffen, sinkende Rekrutierungsquoten aufzufangen, sondern um die Folgen der Reduktion der Dienstpflichtdauer für Mannschaft und Unteroffiziere von 20 auf 14 Jahre temporär ausgleichen zu können.

Im Vergleich zur Armee müssen also beim Zivilschutz rascher Lösungen gefunden werden.

52

Art. 29 Abs. 2 Bst. b BZG.

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5

Mögliche Massnahmen zur Verbesserung der Zivilschutzbestände

Im Folgenden werden kurz- und mittelfristige Massnahmen zur Verbesserung der Alimentierung der Zivilschutzbestände präsentiert. Kurzfristige Massnahmen können sofort ergriffen werden und erfordern teilweise Verordnungsrevisionen; für mittelfristige Massnahmen müssen Verordnungen und/oder Gesetze angepasst werden.

Ein Teil der Massnahmen ist darauf ausgerichtet, den Bestand an Zivilschutzleistenden zu vergrössern, indem Zivildienstpflichtige auch Schutzdienst leisten. Der Einsatz erfolgt in diesem Fall subsidiär, das heisst, erst dann, wenn die kantonalen Zivilschutzbestände (inkl. interkantonaler Personalpool) bereits aufgeboten oder wenn zur Stärkung der Durchhaltefähigkeit zusätzliche Personalreserven erforderlich sind.

Ein zweiter Teil der Massnahmen ändert den Bestand des Zivilschutzes nicht, sondern hat zum Ziel, Zivildienstpflichtige bei Katastrophen und Notlagen innerhalb des heutigen Systems schneller in den Einsatz zu bringen.

5.1

Kurzfristige Massnahme

Massnahme A: Obligatorisches Ausbildungsmodul für Zivildienstpflichtige Zivildienstpflichtige können gemäss geltender Rechtslage bei Katastrophen und Notlagen eingesetzt werden. Sie könnten neu verpflichtet werden, einen halben oder einen ganzen Tag ein Ausbildungsmodul «Bevölkerungsschutz» unter Leitung des Instruktionskorps des Zivilschutzes zu absolvieren, unter Anrechnung an die Zivildienstpflicht.

Diese Massnahme kann die Bestandesprobleme des Zivilschutzes nicht lösen, aber die Unterstützung durch Zivildienstleistende in Katastrophen und Notlagen durch eine bessere Anschlussfähigkeit verbessern. Dafür wären Anpassungen der Zivildienstverordnung vom 11. September 199653 (ZDV) erforderlich (insbesondere Art. 81 und 81a ZDV, unter Umständen Art. 80 ZDV).

5.2

Mittelfristige Massnahmen

Bei den folgenden Massnahmen geht es hauptsächlich darum, die Durchlässigkeit zwischen Armee, Zivildienst und Zivilschutz zu verbessern und dabei insbesondere die Integration von Zivildienstpflichtigen in den Zivilschutz zu ermöglichen. Die Massnahmen können in zwei Kategorien unterteilt werden: zum einen Massnahmen, die es erleichtern, Zivildienstpflichtige bei Katastrophen oder Notlageereignissen in den Einsatz zu bringen (D und E), zum anderen Massnahmen, welche die Alimentierung des Zivilschutzes verbessern (F, G, H und I). Alle Massnahmen haben gemeinsam, dass sie die Anpassung eines oder mehrerer bestehender Bundesgesetze erfordern.

53

SR 824.01

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Massnahme B: weitestmögliche Aufgabe des Wohnsitzprinzips Die in Ziffer 4.2. beschriebenen kantonalen Unterschiede in den Beständen rühren daher, dass Schutzdienstpflichtige grundsätzlich dort Dienst leisten, wo sie ihren Wohnsitz haben. Eine Aufweichung des Wohnsitzprinzips hat das Potenzial, die kantonalen Bestandesunterschiede zu reduzieren und die Bestände in den bevölkerungsschwachen Kantonen zu verbessern. Es wäre zu prüfen, wie gross das Potenzial ist und welche Vor- und Nachteile eine solche Massnahme hat. Dafür wäre eine Anpassung von Artikel 35 BZG erforderlich.

Massnahme C: Anpassung der Anforderungen für die Schutzdiensttauglichkeit Die tiefen Bestände in den Zivilschutzorganisationen gehen teilweise auf die angepassten Tauglichkeitskriterien der Armee zurück. Deshalb kann auch eine Anpassung der Anforderungen für den Zivilschutz geprüft werden. Dafür wäre eine Anpassung von Artikel 29 BZG erforderlich.

Massnahme D: Verpflichtung von Zivildienstpflichtigen mit militärischer Kaderausbildung für Einsätze als Gruppenführer bei Katastrophen und Notlagen Zivildienstpflichtige, die vor dem Übertritt in den Zivildienst eine militärische Kaderlaufbahn absolviert haben, könnten bei Katastrophen und Notlagen für Einsätze mit Führungsfunktion verpflichtet werden. Dafür würden neue Pflichtenhefte für Gruppenführer in Katastrophen und Notlagen definiert.

Diese Massnahme kann die Unterstützung durch Zivildienstleistende in Katastrophen und Notlagen qualitativ verbessern. Dafür müsste eine gesetzliche Grundlage im ZDG für eine spezifische Einsatzpflicht in Katastrophen und Notlagen mit entsprechend verkürzten Umteilungs- bzw. Aufgebotsfristen geschaffen werden. Eventuell müsste die Pflicht zur Absolvierung von Kaderausbildungskursen des Zivilschutzes im BZG verankert werden.

Massnahme E: Verkürzung der Aufgebotsfristen für Zivildienstpflichtige Die Aufgebotsfristen für Zivildienstpflichtige könnten verkürzt werden, damit sie bei Katastrophen und Notlagen rascher mit dem Zivilschutz zum Einsatz gelangen. Beim Zivilschutz gilt, dass schnelle Einsatzformationen innerhalb von Stunden und die übrigen Einsatzformationen innerhalb von Tagen aufgeboten werden können. Die Aufgebotsfristen für Zivildienstpflichtige müssten in Artikel 22 ZDG angepasst werden.

Diese Massnahme kann die Unterstützung durch
Zivildienstpflichtige in Katastrophen und Notlagen effizienter machen, weil sie rascher verfügbar wären.

Massnahme F: Ausweitung der Schutzdienstpflicht auf Militärdiensttaugliche, die gemäss Art. 49 Abs 2 MG aus der Armee entlassen werden Nach geltendem Militärgesetz werden Militärdiensttaugliche, die rekrutiert wurden, aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr die Rekrutenschule nicht absolviert haben, entlassen.54 Anschliessend bezahlen sie während 12 Jahren55 Wehrpflichtersatz, ohne 54 55

Art. 49 Abs. 2 MG.

Art. 13 Abs. 1 Bst. a MG.

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Dienst zu leisten. Es wäre zweckmässig, diese Dienstpflichtigen neu für schutzdienstpflichtig zu erklären. Das BZG und das MG müssten dafür angepasst werden.

Massnahme G: Militärdienstpflichtige, die nach absolvierter Rekrutenschule für den Militärdienst untauglich werden, müssen in der Folge Schutzdienst leisten.

Personen, die nach absolvierter Rekrutenschule für den Militärdienst untauglich erklärt werden, müssen nach geltender Rechtslage keinen Schutzdienst mehr leisten.

Auch Personen, die aus dem Zivildienst ausscheiden, werden nicht schutzdienstpflichtig, wenn sie bereits mindestens so viele Diensttage geleistet haben, wie eine Rekrutenschule dauert. Diese Regelung erscheint angemessen, wenn man bedenkt, dass Personen, die von Anfang an in den Schutzdienst eingeteilt wurden, im Laufe ihrer gesamten Dienstzeit durchschnittlich nur rund 100 Diensttage leisten. Gleichzeitig entgehen damit dem Zivilschutz jedoch viele Personen, die fähig wären, Schutzdienst zu leisten.

Es wäre zu prüfen, ob in Zukunft die noch fälligen (statt die bereits geleisteten) Militärdiensttage bis zur vollständigen Ableistung der Militärdienstpflicht entscheidend sein sollten. Denkbar wäre, dass jene Personen (die zwar nicht mehr militärdiensttauglich, wohl aber schutzdiensttauglich sind) Schutzdienst leisten müssen, die noch mindestens 80 Militärdiensttage zu absolvieren hätten. Artikel 29 Absatz 2 BZG müsste dahingehend angepasst werden.

Massnahme H: Freiwilliger Schutzdienst durch Zivildienstpflichtige mit Einteilung in den Zivilschutz Zivildienstpflichtige könnten freiwillig Dienst in Zivilschutzorganisationen leisten, unter Anrechnung an ihre Zivildienstpflicht. Sie würden je nach Fähigkeiten und Beständen der Kantone eingeteilt. Konkret würden sie eine Zivilschutz-Grundausbildung, jährliche Wiederholungskurse von 3 bis 21 Diensttagen und bei Bedarf unlimitiert Einsätze bei Katastrophen und Notlagen leisten. Die kantonalen Führungs- und Einsatzorganisationen könnten Zusatz- oder Kaderausbildungen vorsehen. Diese Massnahme kann dazu beitragen, die Situation der Zivilschutzbestände zu verbessern.

Allerdings kann nicht abgeschätzt werden, wie viele Zivildienstpflichtige sich tatsächlich freiwillig melden würden. Diese Massnahme würde eine Revision des BZG und des ZDG voraussetzen.

Massnahme I: Zivilschutzorganisationen
als Einsatzbetriebe des Zivildienstes Diese Massnahme sähe vor, Zivildienstpflichtige dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Zivildienstpflicht in einer Zivilschutzorganisation mit dauerndem Unterbestand zu absolvieren. Denkbar wären z. B. auf Mannschaftsstufe 80 Diensttage oder 12 Jahre Einteilungsdauer und auf Kaderstufe 120 Diensttage oder 12 Jahre Einteilungsdauer.

Die Zivildienstpflichtigen würden je nach Eignung und kantonalem Bedarf in einen Zivilschutz-Fachbereich eingeteilt und einer Zivilschutzorganisation zugewiesen.

Dabei gälte grundsätzlich das Wohnortsprinzip, d. h. die Zivildienstleistenden würden im jeweiligen Wohnortskanton oder der Wohnregion in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt. Nur wenn notwendig, sollten Zivildienstleistende in einem anderen Kanton eingeteilt werden. Die im Zivilschutz eingeteilten Zivildienstpflichtigen wären den Schutzdienstpflichtigen in Bezug auf die Dienstleistungen gleichgestellt.

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Sie würden eine Zivilschutz-Grundausbildung, jährliche Wiederholungskurse von 3 bis 21 Diensttagen und unlimitierte Einsätze bei Katastrophen und Notlagen leisten.

Hinzu kämen allenfalls Spezialisten- oder Kaderausbildungen. Die kantonalen Führungs- und Einsatzorganisationen könnten Zusatz- oder Kaderausbildungen vorsehen.

Gleichzeitig würden die Zivildienstpflichtigen für den Rest ihres Zivildienst-Pensums weiterhin Zivildienst in herkömmlichen Einsatzbetrieben des Zivildienstes leisten, wobei der Ausbildung und dem Einsatz im Zivilschutz Priorität zukäme: Zivildiensteinsätze müssten bei Bedarf unterbrochen werden, insbesondere im Falle von Katastrophen und Notlagen. Die im Zivilschutz geleisteten Diensttage würden den Zivildienstleistenden an die vorgegebene Gesamtdienstdauer angerechnet.

Die Zivilschutzorganisationen würden als Einsatzbetriebe für den Zivildienst anerkannt. Im Gegensatz zu den regulären Einsatzbetrieben des Zivildienstes müssen sie keine Abgabe an den Bund entrichten, aber bei Ausbildungsdiensten und Einsätzen die Kosten für Sold, Verpflegung und ­ wenn nötig ­ Unterkunft der eingeteilten Zivildienstpflichtigen tragen. Die Zu- und Einteilung würden für die entsprechenden Rekrutierungsgebiete durch einen Rekrutierungsoffizier des Zivilschutzes vorgenommen. Innerhalb eines Jahres nach der Zulassung zum Zivildienst würde der Zivildienstpflichtige die reguläre Grundausbildung des Zivilschutzes von 10 bis 19 Tagen absolvieren und könnte bei Bedarf auch dazu verpflichtet werden, eine Zusatz- oder Kaderausbildung zu leisten. Der Zivildienstpflichtige bliebe entweder für 10 Jahre in der Zivilschutzorganisation eingeteilt, oder er leistete im Rahmen der Gesamtdienstdauer, die er erfüllen muss, insgesamt 80 Diensttage im Zivilschutz. Im Falle von laufenden Einsätzen bei Katastrophen oder Notlagen wären bei Bedarf mehr Diensttage zu leisten. Für eine «En-bloc»-Anerkennung aller ZSO als Einsatzbetriebe des Zivildienstes müssen die Anerkennungsregeln des ZDG (Art. 41­43) und der Zivildienstverordnung (Art. 87­92) angepasst werden. Welche Rechtsanpassungen (ZDG und ZDV) erforderlich sind, damit Zivis im Rahmen ihrer Zivildienstpflicht zur Leistung von Dienst im Zivilschutz verpflichtet werden können, hängt von der konkreten Ausgestaltung dieser Massnahme ab; der Normierungsbedarf wird in
den Arbeiten zur Vernehmlassungsvorlage geprüft und bestimmt.

Das BZG und das ZDG sehen nicht vor, dass Militärdienstpflichtige und Zivildienstpflichtige auch schutzdienstpflichtig sind (Art. 1 ZDG und Art. 29 Abs. 2 Bst a BZG).

Die Bundesverfassung überlässt jedoch beim Zivildienst und beim Zivilschutz der Gesetzgebung einen weitreichenden Spielraum. Die Verpflichtung für Zivildienstpflichtige, einen Teil ihrer Dienstplicht in einer als Einsatzbetrieb des Zivildienstes anerkannten Zivilschutzorganisation zu leisten, könnte durch eine Revision der beiden Gesetze herbeigeführt werden. Dabei müsste auch festgelegt werden, dass die Summe der Zivilschutz- und der Zivildienstleistungen, die bei der Zulassung zum Zivildienst verfügte Gesamtdauer der ordentlichen Dienstleistungen nicht übersteigt, ausser im Falle von laufenden Einsätzen bei Katastrophen oder Notlagen. Sollte diese Option verfolgt werden, wäre es zweckmässig, die Zivilschutzorganisationen formell als Einsatzbetriebe für den Zivildienst zu bezeichnen, was ebenfalls eine Revision des Bundesgesetzes über den zivilen Ersatzdienst und der Verordnung über den zivilen Ersatzdienst erfordert. Da das BZG und das ZDG sowie die dazu gehörenden Verordnungen angepasst werden müssen, wäre mit einer Umsetzungsdauer von rund drei Jahren zu rechnen.

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Diese Massnahme würde das Rekrutierungs- und Alimentierungsproblem des Zivilschutzes stark entschärfen, weil Zivildienstpflichtige im Fall eines dauernden Unterbestandes in einem Kanton oder in einer Region, in eine Zivilschutzorganisation eingeteilt würden. Dafür stehen genügend Zivildienstpflichtige zur Verfügung. Da Zivildienstpflichtige nur bei Bedarf infolge eines dauernden Unterbestandes in einem Kanton oder einer Region in den Zivilschutz eingeteilt würden, hätte diese Massnahme keine (unnötigen) Überbestände zur Folge.

6

Weiteres Vorgehen

6.1

Kurzfristige Massnahme

Im Zivildienst soll in einer Revision der ZDV ein obligatorisches Ausbildungsmodul «Bevölkerungsschutz» unter Leitung des Instruktionskorps des Zivilschutzes für Zivildienstpflichtige (Massnahme A) zur Unterstützung in Katastrophen und Notlagen vorgesehen werden. Der Bundesrat erachtet diese Massnahme, welche die Qualität der Unterstützung durch den Zivildienst erhöhen soll, als zweckmässig.

6.2

Mittelfristige Massnahmen

Die mittelfristigen Massnahmen B und C sind aus Sicht des Bundesrates zweckmässig. Damit das Potenzial von Schutzdienstpflichtigen besser ausgeschöpft werden kann, soll eine Zuteilung in Abweichung vom Wohnsitzprinzip geprüft werden. Ebenfalls soll die Einführung einer differenzierten Schutzdiensttauglichkeit geprüft werden.

Die mittelfristigen Massnahmen für den Zivilschutz Massnahmen D und E sind aus Sicht des Bundesrates ebenfalls zielführend. Die rasche Integration von Zivildienstpflichtigen in einem Katastrophen- und Notlage-Einsatz ist wichtig; das hat auch der Einsatz zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie gezeigt. Diese Anpassungen, welche die Integration im Einsatz verbessern, sollen deshalb in einer nächsten Revision des ZDG aufgenommen werden.

Drei der mittelfristigen Massnahmen, die zu einer Verbesserung der Zivilschutzbestände führen (Massnahmen F, G und I) sollen aus Sicht des Bundesrates ebenfalls umgesetzt werden. Auf die Massnahme H soll verzichtet werden, weil sie mit Massnahme I obsolet wird.

Konkret soll die Schutzdienstpflicht auf Militärdiensttaugliche ausgeweitet werden, die entweder aus der Armee entlassen werden, obwohl sie die Rekrutenschule noch nicht absolviert haben, oder die nach absolvierter Rekrutenschule militärdienstuntauglich werden. Dadurch kann ein bisher ungenutzter Pool an möglichen Schutzdiensttauglichen genutzt werden.

Zudem soll mit der Verpflichtung von Zivildienstpflichtigen, einen Teil ihrer Zivildienstpflicht in einer Zivilschutzorganisation mit dauerndem Unterbestand zu absolvieren, die eigentliche Kernmassnahme umgesetzt werden. Auf diese Weise sollen Synergien zwischen dem Zivilschutz und dem Zivildienst genutzt werden.

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Zur Umsetzung dieser Massnahmen sollen die entsprechenden Bestimmungen in das MG, in das BZG und in das ZDG und die entsprechenden Verordnungen aufgenommen werden. Voraussichtlich erfordern alle diskutierten Massnahmen Anpassungen in den kantonalen Bestimmungen. Welche konkreten Anpassungen dies sind und welche Rechtsetzungsprojekte initiiert werden müssen, ist durch die Kantone noch zu bestimmen.

6.3

Nächste Schritte

Um die kurz- und mittelfristigen Massnahmen zur Verbesserung der Zivilschutzbestände umzusetzen, hat der Bundesrat am 30. Juni 2021 das VBS beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem WBF bis im Sommer 2022 eine Vernehmlassungsvorlage mit den notwendigen gesetzlichen Anpassungen zu erarbeiten.

Ebenfalls hat der Bundesrat das VBS beauftragt, in Zusammenarbeit mit der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz, Feuerwehr eine vom Wohnsitzprinzip abweichende Zuweisung und eine differenzierte Tauglichkeit von Schutzdiensttauglichen zu prüfen.

Da der Bundesrat davon ausgehen muss, dass die Bestände der Armee und des Zivilschutzes bei unveränderten Rahmenbedingungen mit dem derzeit bestehenden Dienstpflichtsystem langfristig nicht gesichert werden können, sollen auch weiterführende Überlegungen zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems angestellt werden. Der Bundesrat hat am 30. Juni 2021 das VBS beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem WBF und der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr bis Ende 2021 einen zweiten Teil des Alimentierungsberichts mit Varianten vorzulegen, wie das Dienstpflichtsystem langfristig angepasst werden könnte. Dieser Berichtsteil wird voraussichtlich anfangs 2022 an die eidgenössischen Räte überwiesen.

Nach Abschluss der Umsetzung der laufenden Armeereform wird der Bundesrat den eidgenössischen Räten im Sommer 2023 den nächsten Bericht gemäss Artikel 149b MG vorlegen, der die Wirkung der kurzfristigen Massnahmen zur Verbesserung der Armeebestände darlegt und eine Konkretisierung der weitergehenden Optionen enthält.

7

Erkenntnisse aus dem Covid-19-Einsatz für die Alimentierung von Armee und Zivilschutz

Bei der Bewältigung der ersten Welle der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 kamen dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend zuerst Zivilschutzangehörige, dann Teile der Armee und in der Folge Zivildienstpflichtige zum Einsatz. Bereits ab Anfang Februar 2020 wurden aufgrund der sich anbahnenden Covid-19-Pandemie in den Kantonen Tessin, Waadt, Wallis, Genf, Graubünden und anschliessend auch in BaselLandschaft, Bern, Luzern und Neuenburg zum Teil sehr kurzfristig Einheiten des Zivilschutzes zur Unterstützung der Institutionen des Gesundheitswesens und der kantonalen Führungsorgane aufgeboten. Nachdem sich die Anzeichen verdichteten, dass Unterstützungseinsätze der Armee notwendig werden könnten, hielt sich die Armee 42 / 46

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ab dem 22. Februar 2020 für solche bereit. Aufgrund der Verschärfung der Lage und erster vorliegender Unterstützungsgesuche aus den Kantonen Tessin, Graubünden, der beiden Basel und Thurgau mobilisierte der Bundesrat Teile der Armee. Ab Ende März 2020 übernahmen Angehörige des Zivildienstes, koordiniert im Rahmen des Ressourcenmanagements des Bundes, punktuell langfristig gewisse Aufgaben.

Die mit dem Verlauf der Pandemie verbundene Unsicherheit veranlasste die zuständigen Behörden, bei ihrer Planung Vorsicht walten zu lassen und die Unterstützung grosser Armeekontingente anzufordern. Aufgrund der vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen, die zu einer Abflachung der Infektionsraten führten, trat eine Überlastung des Gesundheitswesens nicht im befürchteten Ausmass ein. Dies hatte zur Folge, dass der effektive Bedarf des zivilen Gesundheitswesens zum Teil geringer war als die Zahl der auf Basis der eingegangenen und bewilligten Gesuche aufgebotenen Armeeangehörigen. Obwohl der Einsatz der Armee als notwendig anerkannt und von den Betroffenen geschätzt wurde, entstand auch der Eindruck, dass die Armee angefordert worden sei, bevor andere Ressourcen wie Zivilschutz, Zivildienst und private Anbieter genügend berücksichtigt worden waren. Mit Unverständnis reagierte die Öffentlichkeit auch auf Berichte, wonach einzelne Spitäler von einer Unterstützung durch die Armee profitierten, während ihr reguläres Personal gleichzeitig in Kurzarbeit war. Aufgrund dieser Erfahrung wurde die Subsidiarität der Gesuche während den Einsätzen zur Eindämmung der zweiten Welle von den Organen des Bundes strikter geprüft. Für die Armee hiess das, dass die gesuchstellenden Behörden bestätigen mussten, dass die Mittel sämtlicher anderer zur Verfügung stehenden Instrumente wie Zivilschutz, Zivildienst und private Anbieter ausgeschöpft waren, bevor sie um Unterstützung der Armee ersuchten.

Die Unterstützung der zivilen Behörden durch Zivilschutz, Armee und Zivildienst war erfolgreich. Entscheidende Faktoren waren zum einen die sehr rasch und unkompliziert, dezentral mobilisierbaren Zivilschutzeinheiten. Zum anderen konnte mit der reibungslos verlaufenen Teilmobilmachung der Armee rasch eine grosse Leistung in einem breiten Leistungsspektrum abgerufen werden. Zwingende Voraussetzung für die Auftragserfüllung beider Organisationen,
des Zivilschutzes und der Armee, waren die vollständig alimentierten Einheiten mit Personal, Kaderstruktur und Ausrüstung.

Verfügbarkeit Das Gros der benötigten Zivilschutzangehörigen konnte innerhalb von wenigen Tagen aufgeboten und flexibel je nach Bedarf, Lage und der zu erfüllenden Aufträge sowohl für wenige Tage als auch, mit Rotationen und Ablösungen, über mehrere Wochen hinweg eingesetzt werden. Im Covid-19-Einsatz wurde auf unentbehrliche Mitarbeitende von systemrelevanten Betrieben Rücksicht genommen. Dies betraf Mitarbeitende im Gesundheitswesen, in Betrieben für die Versorgung der Bevölkerung und Verkehrs- und Transportunternehmen. Weil umgekehrt dem Zivilschutz Mitarbeiter zur Verfügung standen, die von vorübergehenden Betriebsschliessungen oder Kurzarbeit betroffen waren, konnten diese Dispensationen meistens kompensiert werden.

So entstanden kaum personelle Engpässe.

Die Mobilmachung der Armee funktionierte generell und insbesondere im Hinblick auf die Anzahl eingerückter Armeeangehöriger sehr gut. Von den aufgebotenen Angehörigen der Armee rückten 91 Prozent ein, und die Nichteingerückten hatten mit 43 / 46

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wenigen Ausnahmen alle einen legitimen Grund für ihr Fernbleiben oder wurden durch ihren Kommandanten dispensiert. Für die Leistungserbringung stützte sich die Armee schwergewichtig auf bestehende Formationen ab. Es wurden aber auch Durchdiener aufgeboten, die ihre Ausbildungsdienstpflicht bereits erfüllt hatten, sowie Freiwillige einsatzbezogen ausgebildet und in die Formationen integriert. Wie der Zivilschutz dispensierte auch die Armee im Gesundheitswesen tätige Armeeangehörige, teils nachdem diese die einsatzbezogene Ausbildung der Formationen unterstützt hatten.

Die Menge an Aufgeboten zu Notlage-Einsätzen und zu ausserordentlichen Zivildiensteinsätzen richtete sich grundsätzlich nach dem von den kantonalen und den eidgenössischen Stellen konkret ausgewiesenen Bedarf an Unterstützung durch Zivildienstleistende über den Prozess des Ressourcenmanagements des Bundes.56 Nicht allen Anträgen konnte entsprochen werden; insbesondere bei fehlendem Nachweis der Arbeitsmarktneutralität.

Wertung mit Bezug zur Alimentierung Der Einsatz von Schutzdienstpflichtigen war dank dem flexiblen und bedarfsorientierten Aufgebots- und Einsatzsystem und der regionalen Verankerung des Zivilschutzes zweckmässig. Es wurden jeweils nur Zivilschutzangehörige aufgeboten und eingesetzt, die auch wirklich benötigt wurden. Die Zivilschutzangehörigen waren deshalb nicht permanent vor Ort und standen nicht dauernd im Einsatz. Um schnell auf Unterstützungsbegehren reagieren zu können, wurden sie teilweise auf Pikett gestellt.

Die regionale Verankerung erwies sich als grosser Vorteil bezüglich schneller Aufgebote und Einsätze: Die Zivilschutzangehörigen konnten schnell aus ihrem privaten Leben oder vom Arbeitsplatz für kürzere oder längere Einsätze aufgeboten werden.

Dauer und Umfang des Covid-19-Einsatzes haben gezeigt, dass die Durchhaltefähigkeit des Zivilschutzes über mehrere Monate hinweg gegeben sein muss, der Zivilschutz als Milizorganisation aber gleichzeitig auch auf die Verfügbarkeit und die Bedürfnisse der eingesetzten Zivilschutzangehörigen (Abwesenheit am Arbeitsplatz) Rücksicht nehmen muss.

Auch der Armeeeinsatz war zweckmässig. Die geforderten Leistungen konnten erbracht werden. Sachgerecht ausgebildete und ausgerüstete Armeeangehörige entlasteten rasch und zweckmässig das zivile Gesundheitswesen, die
Eidgenössische Zollverwaltung bei der Kontrolle der Grenzen und den Botschafts- und Residenzschutz.

Der aktuelle Alimentierungsgrad war ausreichend für die Deckung der Sollbestandesplätze und damit die Leistungserbringung.

Die Einrückungsbestände und die festgestellte Einrückungsmoral sind bezüglich der Alimentierung quantitativ ermutigend, insbesondere im Hinblick auf die ab 2029 erheblich sinkenden Effektivbestände. Ob die Einrückungsbestände auch in anderen Situationen gleich hoch sein werden, ist jedoch nicht sicher. Die Dispensationen von Armeeangehörigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, zeigte hingegen eine grundsätzliche Problematik auf, die sich nicht nur in einem Pandemie-Szenario stellt.

56

www.babs.admin.ch/de/aufgabenbabs/resmab.html

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Viele der eingesetzten Armeeangehörigen hatten ihre Ausbildungsdienstpflicht bereits absolviert, mussten aber für den Einsatz einrücken. Zudem hatten viele der mobilisierten Armeeangehörigen ihren letzten Wiederholungskurs infolge Dienstverschiebungen vor längerer Zeit absolviert. Wie bei jedem Einsatz musste die Armee deshalb den Ausbildungsstand mit einer einsatzbezogenen Ausbildung verbessern.

Dies findet zwar vor jedem Armee-Einsatz statt, je nach Umfang und Art der aufzuholenden Ausbildung kann aber ein hoher Anteil an nicht mehr ausbildungsdienstpflichtigen Angehörigen der Armee zum Problem werden. Im vorliegenden Fall konnte dies relativ rasch gelöst werden, weil insbesondere die Spital- und Sanitätsformationen sowie die Militärpolizei und die Infanterie in ihrer militärischen Kernaufgabe tätig waren. In einer Lage, in der die Armee Leistungen in einer höheren Eskalationsstufe erbringen muss, dürfte der Zeitbedarf für die Bereitstellung einsatzbereiter Verbände erheblich sein. Auch wenn die tiefen Bestände in den Wiederholungskursen keinen direkten Bezug zu den Effektivbeständen der Armee haben, muss die damit verbundene Senkung des Ausbildungsstands und der Bereitschaft weiterhin im Auge behalten werden.

Der Erfahrungsgewinn für die eingesetzten Armeeangehörigen und die Formationen war gross. Die Grundbereitschaft der eingesetzten Formationen wurde durch den Einsatz aber in Mitleidenschaft gezogen. Zum einen arbeiteten nicht alle Formationen in ihrem gesamten Leistungsspektrum; die damit entstandenen Ausbildungsdefizite können aber in den kommenden Jahren teilweise kompensiert werden. Zum anderen wurden den eingesetzten Angehörigen der Armee mehrere Wiederholungskurse an ihre Ausbildungsdienstpflicht angerechnet. Dies führt zu einer weiteren Senkung der Bestände an Ausbildungsdienstpflichtigen. Diese Lücke kann in den nächsten Jahren nicht durch eine Neu-Priorisierung in der Alimentierung geschlossen werden. Hierfür reicht weder die Anzahl an Ausbildungsplätzen und Ausbildnern noch die Anzahl verfügbarer Ausbildungsdienstpflichtiger. Die künftig eintretenden Lücken bei der Alimentierung werden ganz direkt die Leistungserbringung im Ereignisfall beeinträchtigen.

Aus der ersten Phase der Bewältigung der Corona-Pandemie wurde die Erkenntnis gewonnen, dass das Bundesamt für Zivildienst mit
seiner Organisationsgrösse nicht in der Lage ist, mit den eigenen Ressourcen neben den laufenden ordentlichen Einsätzen und zusätzlichen Notlageeinsätzen auch einen gleichzeitigen ausserordentlichen Zivildiensteinsatz zu bewältigen. Der Zivildienst ist nicht als Ersteinsatzorganisation bei Katastrophen und Notlagen konzipiert. Er erbringt seine komplementären und subsidiären Leistungen im Verbund mit den weiteren Akteuren aller föderalen Stufen und gemäss dem konkret ausgewiesenen Bedarf. Deshalb erscheinen Anpassungen zweckmässig, um eine grössere Anzahl Zivildienstleistender in Zivilschutzorganisationen eingeteilt für Notlageeinsätze in den Einsatz bringen zu können.

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