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Schweizerisches Bundesblatt.

47. Jahrgang. II.

Nr. 20.

8. Mai 1895.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Revision der Militärartikel der Bundesverfassung.

(Vom 2. Mai 1895.)

Tit.

Unterm 10. Dezember 1894 haben die eidgenössischen Räte beschlossen, auf die ihnen unterbreitete partielle Revision der Militärorganisation nicht einzutreten, sondern den Bundesrat zu beauftragen, die Frage zu prüfen und darüber zu berichten, ob und in welcher Weise die Militärartikel der Bundesverfassung zu revidieren seien.

Indem wir uns beehren, dieser Einladung nachzukommen, weisen wir darauf hin, daß die Frage der Revision der Militärartikel der Bundesverfassung bereits unterm 4. April 1889 Gegenstand einläßlicher Erörterung im Nationalrate war. Es handelte sich urn eine Motion der Herren Nationalräte Oberst M ü l l e r , B ü h l m a n n , Gallati, Häni, K ü n z l i , Meister, Riniker, S c h o b i n g e r und V i g i e r , welche lautete: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen, ob und inwieweit die über unsere Heereseinrichtungen erhobenen Klagen, wie solche namentlich in den Verhandlungen des schweizerischen Offiziersvereins geltend gemacht worden, begründet sind, und Bericht und Antrag vorzulegen über die Mittel und Wege, wie wirklich bestehenden Mißständen abgeholfen werden soll."

Gleichzeitig mit dieser Motion wurde die mit derselben in Zusammenhang gebrachte Motion der Herren P y t h o n und H o c h s t r a ß e r behandelt, welche folgenden Inhalt hatte: Bundesblatt. 47. Jahrg. Bd. II.

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858 ,,Der Bundesrat wird für den Fall, daß er eine Revision unserer Militärorganisation anzubahnen für passend erachten sollte, eingeladen, die Frage zu prüfen, ob es nicht vorteilhaft wäre, den Truppen selbst die Ernennung ihrer Offiziere zu überlassen, wobei ihnen die Wahl unter den mit Fähigkeitszeugnissen versehenen Persönlichkeiten frei stünde."1 Im Laufe der Diskussion wurden folgende Abänderungsanträge gestellt : Von Herrn Nationalrat Geilinger: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen, ob und welche verfassungsmäßige Bestimmungen betreffend das Wehrwesen und damit im Zusammenhang stehende Gesetze und Verordnungen im Sinne der Vereinheitlichung abzuändern oder zu ergänzen sind, und darüber Bericht und Antrag vorzulegend Von Herrn Nationalrat T h èli n: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, über die Frage Berieht zu erstatten, ob es am Platze sei, die Militärorganisation und die damit zusammenhängenden Gesetze und Verordnungen innert den Schranken der Bundesverfassung abzuändern und zu ergänzen."1 Zur Begründung der Hauptmotion wurde von Herrn Oberstdivisionär Müller angeführt, daß sie geeignet sei, Beruhigung und Versöhnung nicht sowohl in den Räten als im Lande herbeizuführen und anzudeuten, in welcher Weise vorgegangen werden könnte, um gleichzeitig dem Interesse der Wehrfähigkeit und berechtigten, gegen ein Übermaß der Centralisation gerichteten Bedenken Rechnung zu tragen. Dieses Mittel sei eine gründliche und sachliche Prüfung durch den Bundesrat, welcher von den sachbezüglichen Klagen Kenntnis habe und vermöge seiner Stellung und seiner Unparteilichkeit in der Lage sich befinde, eine Vorlage zu bringen, die von allen Seiten acceptiert werden könne und dazu geeignet sei, wirklich vorhandene Mißstände zu beseitigen und die Schlagfertigkeit unseres Heeres und das Ansehen unserer Heereseinrichtungen im Ausland zu fördern und zu stärken.

Von Herrn Nationalrat Oberst R i n i k e r wurde die Motion mit besonderem Hinweis darauf unterstützt, daß einer der Hauptmißstände, die bei einer Kritik unserer Militärorganisation hervorgehoben werden müßten, der Mangel an Instruktion vorab unserer Landsturmoffiziere, sodann des Landsturms selbst sei, welcher wenigstens einmal im Jahr, am besten anläßlieh größerer Manöver, zu einer Itägigen Inspektion respektive Übung zusammengezogen werden sollte, daß sodann auch die Frage der Organisation von Armeecorps in ernstliche Erwägung gezogen werden sollte, die sich

859 schon deswegen empfehle, weil die der Division zugeteilten Specialwaffen viel zu schwach seien, um irgend Erhebliches leisten zu können.

Die Herren P y t h o n und H o c h s t r a ß e r ihrerseits führten zur Begründung ihrer Motion an, daß nach ihrer Meinung allerdings das bisherige System, nach welchem, auf Grund der Fähigkeitszeugnisse, die Kantone die Truppenoffiziere ernennen, das beste sei; wenn man aber den Kantonen dieses ihr Recht entziehen wolle, so sei es weit besser, die Ernennung der Offiziere den Truppen zu überlassen. Die Motion sei daher nur als eine eventuelle zu betrachten. Immerhin werde darauf aufmerksam gemacht, daß von maßgebender Seite immer weitergehende Anforderungen an Zeit und Geldbeutel des einzelnen Mannes gestellt werden, womit zusammenhänge, daß das Offizierscorps sich hauptsächlich aus städtischen Elementen rekrutiere und bei den Beförderungen diese letzteren auch in erster Linie berücksichtigt werden. Dieser Benachteiligung des ländlichen Elementes entgegenzutreten, sei ein Motiv der Motion.

Seitens des Bundesrates erklärte der damalige Chef des Militärdepartements, Herr H a u s e r , daß die Motion Müller angesichts ihres unpräjudizierlichen und konziliatorischen Charakters von ihm acceptiert werde. Auch die entschiedensten Gegner einer Centralisation müssen anerkennen, daß trotz der großen Fortschritte, welche die letzten 15 Jahre gebracht hätten, immerhin noch weitere Fortschritte zu machen seien. Über die Mittel zur Abhülfe der Übelstände, welche letztere hauptsächlich in der Art und Weise der Formation der Truppenkörper und in der Wahl und Zuteilung der Offiziere liegen, wo die kantonalen Grenzpfähle überall schädlich in den Weg treten, könne man verschiedener Ansicht sein, aber eine Verständigung hierüber sei durchaus nicht ausgeschlossen.

Können die nötigen Reformen ohne Verfassungsänderung eingeführt werden, um so besser. Dagegen müsse der Bundesrat der Motion Python entgegentreten, weil er sie, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten der praktischen Durchführung, a priori als unannehmbar und verwerflich, weil mit den Begriffen der militärischen Hierarchie und Disciplin unvereinbar, bezeichnen müsse.

Über die hierauf folgende Abstimmung ist im Protokoll des Nationalrates, dessen Ausführungen wir im vorstehenden gefolgt sind, folgendes zu lesen :
,,Die Motion Python fällt (nach den Erklärungen der Motionssteller) außer Betracht. In der Abstimmung über die Motion Müller wird in einer ersten eventuellen Abstimmung der ursprünglichen Fassung gegenüber dem Redaktionsvorschlage des Herrn Geilinger mit 56 gegen 47 Stimmen der Vorzug gegeben, und diese Fassung sodann in einer zweiten eventuellen Abstimmung

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dem Antrage des Herrn Thélin gegenüber mit 63 gegen 35 Stimmen festgehalten. Endlich wird, in definitiver Abstimmung, die Motion mit 72 gegen 26 Stimmen erheblich erklärt.

Der Bundesrat hat inzwischen diese vom Nationalrat beschlossene Motion keineswegs aus den Augen verloren.

In den Jahren 1889 und 1890 handelte es sich indessen um die Einführung des neuen Infanteriegewehres und des rauchschwachen Pulvers, Maßnahmen, welche unser Militärdepartement in hohem Grad in Anspruch nahmen. Gleichzeitig wurde für die Kavallerie ein Centralremontendepot geschaffen und behufs Vermehrung des Bestandes an zugerittenen Offizierspferden die Pferderegieanstalt erweitert.

In der Folge sodann haben wir uns der Erwägung nicht verschließen können, daß angesichts der Möglichkeit ernsterer europäischer Verwicklungen in erster Linie die Herstellung der Kriegsbereitschaft unserer Armee anzustreben und diejenigen Organisationen ins Leben zu rufen waren, welche vor allen Dingen nötig erscheinen zu einer kraftvollen und erfolgreichen Verteidigung des Landes.

In diesem Sinne wurde das Bundesgesetz über die Errichtung der Armeecorps erlassen, welches dazu bestimmt ist, der Armee in der Hand des Oberbefehlshabers einen festen inneren Halt zu geben und eine ausgiebigere und zweckmäßigere Verwendung der Specialwaffen zu ermöglichen. Im Hinblick auf denselben Zweck wurde durch Bundesratsbeschluß vom 30. Oktober 1891 eine ständige Landesverteidigungskomrnission eingesetzt. Ein Bundesgesetz ordnete die Errichtung von Radfahrercorps an. Am 29. Januar 1892 erließen die Räte den Bundesbeschluß betreffend die Kriegsbereitschaft der Armee, der namentlich eine beträchtliche Vermehrung der Munitionsbestände und die Anlegimg von Kriegsreserven an Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Schuhen bezweckte. Gleichzeitig wurde an die Errichtung von Armeeproviantmagazineu geschritten.

Der Grenzschute wurde militärisch organisiert und die Notmunition eingeführt. Die Dislokation des Kriegsmaterials wurde im Interesse rascherer Mobilisierung durchwegs revidiert, in Altdorf ein Rohgeschoßdepot und eine Laborierwerkstätte errichtet, das Territorialund Etappeawesen reorganisiert, der Landsturm bewaffnet und ausgerüstet und die Instruktion desselben gesetzlich geordnet. Auch die Specialabteilungen des unbewaffneten Landsturms sind infolge einer
Verordnung des Bundesrates vom 13. Februar 1894 organisiert worden. Zur Vervollständigung unseres Befestigungssystems auf dem Gotthard wurden die Befestigungen im untern Rhonethal angelegt und inzwischen die Organisation der Verwaltung und Verteidigung der sämtlichen Befestigungswerke geschaffen. Die Ka-

861 vallerie wurde mit einem neuen Karabiner kleinen Kalibers bewaffnet, ihre Rekrutierung vermehrt und behufs Verstärkung ihrer Gefechtskraft den Katen ein Antrag zur Einführung von Maschinengewehren unterbreitet. Das Gepäck der Kavallerie wurde wesentlich vereinfacht und erleichtert. Die Infanterie und Kavallerie erhielten neue, den heutigen Anforderungen entsprechende Réglemente. Das Instruktionscorps der verschiedenen Waffen wurde angemessen vermehrt und die ökonomische Situation der Instruktoren etwelchermaßen verbessert. Für eine zweckmäßigere Beschuhung der Truppen wurde durch Einführung eines neuen, den Ansprüchen nach allen Richtungen genügenden Schuhmodells und durch Abgabe der Schuhe zu' wesentlich reduzierten Preisen an den Wehrmann gesorgt. Als Ergänzung des Pensionsgesetzes wurde die Versicherung des Wehrmannes gegen Unfall eingeführt.

Durch Verordnung vom 28. Dezember 1894 wurden die Truppenverbände der Specialwaffen neu organisiert und deren Zuteilung an die Divisionen und Armeecorps festgestellt. Und endlich wurde auf Grund dieser Verordnung eine neue Mobilmachungsverordnung erlassen.

Durch diese und eine große Anzahl anderer nicht minder wichtiger Maßnahmen, welche ausnahmslos dasselbe Ziel, die Herstellung der Kriegsbereitschaft, verfolgten, sollte vorerst den dringendsten Bedürfnissen für. den Kriegsfall Genüge geleistet werden.

Nunmehr schien der Augenblick gekommen zu sein, zur Revision der Militärorganisatiou zu achreiten. Auch hier wollte der Bundesrat vorerst das Dringlichste erledigen und es wurde Ihnen daher zuerst der Entwurf einer neuen Truppenordnung vorgelegt.

Sie haben in dieser Beziehung unsere Meinung nicht geteilt und uns beauftragt, die gleichzeitige Revision dei- gesamten Militärorganisation ins Auge zu fassen und zu diesem Behufe die Frage zu prüfen, ob und in welcher Weise die das Militärwesen betreffendeo Artikel der Bundesverfassung zu revidieren seien.

Eine umfassende Prüfung dieser Frage nicht sowohl vom theoretischen Standpunkte aus, als vielmehr an Hand der erfahrungsmäßigen Ergebnisse der bisherigen Wehrordnuugen der Eidgenossenschaft hat uns dazu geführt, die Revisionsbedürftigkeit der gegenwärtigen Militärartikel der Bundesverfassung zu bejahen. Die Militärorganisation vom Jahre 1874 bezeichnet einen gewaltigen Fortschritt auf dem Gebiete unseres
Heerwesens. Keine künftige Neuordnung unserer Heeresverfassung wird an Tiefe und Umfang der neuen Gedanken sich voraussichtlich mit ihr messen können.

Die überwiegende Mehrzahl der durch sie geschaffenen Einrichtungen hat sich im Laufe einer 20jährigen Erfahrung in hohem Maße be-

862 währt. Eine weise Anlage des Gesetzes gestattete eine nach allen Richtungen fruchtbare Weiterentwicklung unseres Wehrwesens und eine Revision dieses Gesetzes auf anderen als den durch dasselbe geschaffenen Grundlagen ist wohl als ausgeschlossen zu betrachten.

In einer Richtung allein erscheint eine fundamentale Änderung durch die Erfahrung geboten: es ist dies die völlige Übertragung der Heeresverwaltung an den Bund. In diesem Punkte war dem Organisationsgesetze vom Jahre 1874 durch die Bestimmungen der Bundesverfassung eine unübersteigbare Schranke geboten worden.

Ein Blick auf die Entwicklung des schweizerischen Wehrwesens seit den ältesten Zeiten des Bundes bis auf unsere Tage zeigt uns, daß der Gedanke der Übertragung "der Heeresverwaltung auf den Bund keineswegs ein neuer ist.

Von dem Sempacherbriefe an (1393), der im Jahre 1499 den Zusatz erhielt, daß die Truppen auch den Hauptleuten anderer Orte, als ihrer eigenen, Gehorsam schulden, bis auf die Verfassung von 1874 hinab tritt uns jener Gedanke in stetig fortschreitender Entwicklung entgegen. Unbestritten war von allem Anfange an das oberste Gesetzgebungsrecht des Bundes. Niemals seit dem Sempacherbriefe ist das eidgenössische Heer ohne gemeinsame Bestimmungen unter die Fahne getreten.

Beschränkten sich der Sempacherbrief und seine Zusätze neben der beschworenen Verpflichtung zur gegenseitigen Hülfeleistung zumeist auf disciplinarische Vorschriften, so wurden im Wylerabschied (1647) bereits die Kontingente bezeichnet, welche jeder einzelne Ort zu stellen hatte, und die Gliederung des Heeres geordnet.

Weiter ging das eidgenössische Defensionale vom 18. März 1668, das nicht nur die Kontingente der Orte, sondern auch die Stärke der taktischen Einheiten und die Verpflegung und Besoldung der Truppen feststellte. Auch die Kriegsjustiz finden wir in dieser Heeresverfassung geordnet.

Unter der Helvetik war die Eidgenossenschaft in eine Anzahl von Militärdepartementen eingeteilt, an deren Spitze ein Generaliuspektor stand, welcher die Truppen seines Departements kommandierte. Unter dem Generalinspektor stand für den Unterricht ein Quartierkommandant, welchem die Exerziermeister der Gemeinden unterstellt waren. Die Verwaltung war verfassungsgemäß Sache der Centralregierung.

unter der Herrschaft der Mediationsakte ging zwar der Einheitsgedanke
wiederum einen Schritt rückwärts. Das ,,allgemeine Militärreglement für den schweizerischen Bundesvereina vom 22. Juni 1804 konnte erst am 5. Juni 1807 in Rechtskraft erwachsen,

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nachdem die Gesandtschaft des Standes Waadt der Tagsatzung die Kompetenz zum Erlasse desselben anfänglich bestritten hatte. Sehr charakteristisch erscheint die nachfolgende Bestimmung dieser Militärorganisation : ,,Die Bildung des eidgenössischen Kontingentscorps muß so beschaffen sein, daß die N a c h t e i l e , welche mit einem jeden MilitärFöderativsystem verbunden sind, soviel als möglich gehoben oder w e n i g s t e n s v e r m i n d e r t werden; daher alles, was auf Organisation, Oberkommando, Waffenübung, Disciplin, Dienst, Bewaffnung, Besoldung und Verpflegung der verschiedenen Eantouskontingente Bezug hat, nach einem völlig gleichförmigen Fuße eingerichtet werden soll."

Ein Kriegsrat bildete die oberste centrale Militärbehörde, welcher ein Inspektions-Generalstab, ein Oberrichter, ein Oberzahlmeisteramt und das Oberkriegskommissariat untergeordnet waren.

Nicht nur die sieben Legionen, aus welchen das Kontingentscorps (die Armee) zusammengesetzt war, bestanden aus Truppen verschiedener Kantone, auch die Bataillone waren zum Teil aus Compagnien mehrerer Eantone gebildet.

Als eine bis in alle Einzelheiten ausgearbeitete Militärorganisation tritt uns das ,,allgemeine Militärreglement" vom 20. August 1817 entgegen. Auch nach diesem Gesetze wurden mehrere Bataillone aus den Kontingentstruppen verschiedener Kantone zusammengesetzt.

Die Bundesverfassung vom Jahre 1848 übertrug dem Bunde den Unterricht der Genietruppen, der Artillerie und der Kavallerie, die Bildung der Instruktoren für die übrigen Waffengattungen, den höheren Militärunterricht für alle Waffengattungen, wozu er namentlich Militärschulen errichten und Zusammenzüge von Truppen anordnen sollte, und die Lieferung eines Teils des Kriegsmaterials.

Die Centralisation des Militär Unterrichts sollte nötigenfalls durch die Bundesgeset/gebung weiter entwickelt werden können. Außerdem wurde dem Bund die Überwachung des Unterrichts der Infanterie und der Scharfschützen, sowie die Anschaffung, der Bau und Unterhalt des Kriegszeugs überbunden, welches die Kantone zum Bundesheer zu liefern hatten. Die Revisionskommission der Tagsatzung hatte auf Grundlage des Entwurfs ihrer Mitglieder Kern und Druey die Centralisation des gesamten Unterrichts beantragt. Ihren Bericht über das Kapitel ,,Militärwesen" leitete sie mit folgenden Worten ein :
,,Da die Behauptung der Unabhängigkeit ein Hauptzweck des Bundes ist, so hängt eine größere Centralisation der militärischen Einrichtungen aufs engste mit einer Bundesrevision zusammen, welche

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eine Verstärkung der Centralgewalt beabsichtigt. Dessenungeachtet kann nicht von einer vollständigen Centralisation die Rede sein, weil bei der militärischen wie bei der politischen Organisation der vorherrschende Gedanke des ganzen Entwurfs, nämlich die Teilnahme der Nation und der Kantone, sich nicht verlieren darf."

Im Schöße der Tagsatzung wurde von der Gesandtschaft des Kantons B e r n der Antrag gestellt: ,,Das Militärwesen soll für die ganze Eidgenossenschaft sowohl in Hinsicht des Unterrichts als auch der Administration vollständig centralisiert werden. Das Kriegsmaterial der Kantone ist, insoweit letztere solches zu halten verpflichtet waren, der Eidgenossenschaft eigentümlich zu überlassen. Die Eidgenossenschaft ist berechtigt, die Militärgebäude der Kantone gegen Entschädigung an sich zu ziehen."

In der Abstimmung erhielt dieser Antrag nur die Stimme des Standes Bern.

In den Verfassungskämpfen der Jahre 1870--1874 rückte der Einheitsgedanke abermals scharf in den Vordergrund. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vom 17. Juni 1870 namentlich die Übelstände hervorgehoben, welche mit dem bisherigen System der kantonalen Kontingente verknüpft waren. Die kantonalen Kontingente betrugen nach Vorschrift des Art. 19 der Bundesverfassung von 1848 4 Va °/o der Bevölkerung. Schon im Laufe der Verhandlungen der Revisionskommission der Tagsatzung war darauf aufmerksam gemacht worden, ,,daß ein Widerspruch darin liege, wenn gesagt werde, die eidgenössische Armee bestehe aus so und so viel Mann, während man gleichzeitig jeden Schweizer für wehrpflichtig erklärte". Als den hauptsächlichsten Nachteil des Kontingentssystems bezeichnete der Bundesrat die mit demselben zusammenhängende Bildung von Bruchteilen taktischer Einheiten, und in der That zählte das Bundesheer damals nicht weniger als 22 halbe Bataillone und 24 einzelne Infanteriecornpagnien, welche lediglich zur Ausgleichung der Kantonskontingente errichtet worden waren und aus welchen also bei einer rationellen Organisation ganze Truppenkörper gebildet werden konnten. Der Bundesrat hatte daher behufs Durchführung des Grundsatzes der allgemeinen Wehrpflicht und Organisation des Bundesheeres nach Maßgabe der wehrfähigen Bevölkerung in seinen Entwurf die Bestimmung aufgenommen, daß die kantonalen Kontingente die g e s a m t e , nach der
eidgenössischen Gesetzgebung wehrpflichtige Mannschaft umfassen sollen. Die Ausführung des Militärgesetzes, mit Ausnahme der Bestimmungen, die sich auf den Unterricht beziehen, sollte nach den Anträgen der Mehrheit des Bundesrates unter der Aufsicht des Bundes durch die Kantone geschehen.

865 Dem gegenüber wurde in den eidgenössischen Räten von ' mehreren Seiten der Antrag gestellt, die Frage der Beteiligung der kantonalen Behörden bei der Militärverwaltung durch die Bundesgesetzgebung zu regulieren, und schließlieh wurde von beiden Räten die nachfolgende Fassung angenommen : ,,Die Ausführung des Militärgesetzes in den Kantonen geschieht durch die Kantonsbehörden in den durch die Bundesgesetzgebung festgesetzten Grenzen."

Die Kosten des Unterrichts, der Bewafihung, Bekleidung und Ausrüstung des Bundesheeres wurden dem Bund übertragen. Dagegen sollte das Kriegsmaterial der Kantone in den vorgeschriebenen Beständen auf den Bund übergehen.

Nachdem Volk und Kantone den Entwurf vom 5. März 1872 abgelehnt hatten, stellte der Bundesrat in seinem neuen Verfassungsentwurfe vom 4. Juli 1873 hauptsächlich folgende Grundsätze auf: Jeder Schweizer ist wehrpflichtig.

Das Bundesheer besteht aus der gesamten dienstpflichtigen Mannschaft.

Der Bund erläßt die Gesetze über das Wehrwesen und sorgt für deren Vollziehung.

, Der Bund erteilt den gesamten Militärunterricht.

Er bestreitet die Kosten des Unterrichts und der Bewaffnung und übernimmt auch die übrigen Auslagen für das Heerwesen, insoweit nicht ein Teil durch die Gesetzgebung den Kantonen auferlegt wird.

Die Beteiligung der Kantone an der Administration der Truppenkörper ihres Gebiets wird durch die Gesetzgebung bestimmt.

Hierbei stellte der Bundesrat sich ausdrücklich auf den Boden, daß die Militärhoheit der Eidgenossenschaft derjenigen der Kantone vorgehe und daß die Souveränität der letztern nur zur Geltung kommen könne, wo sie dem Zwecke des Bundes nicht hinderlich sei. In diesem Sinne und unter diesem Vorbehalte sollte den Kantonen garantiert werden: 1. Die Errichtung kantonaler Truppenkörper, in der Meinung, daß die taktischen Einheiten in der Eegel nicht aus Mannschaften verschiedener Kantone gebildet werden sollten; 2. die Bildung dieser kantonalen Truppenkörper und die Sorge für die Erhaltung ihres Bestandes nach den Vorschriften des Bundes; 3. das Recht, über die Streitkräfte ihres Gebiets zu verfügen, solange es nicht vom Bunde aus geschieht.

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Dem Bunde dagegen wurde nach dem Entwurf des Bundesrates zugeteilt : 1. Die Gesetzgebung über das Heerwesen; 2. der Militärunterricht sämtlicher Waffen; 3. die Anschaffung der gesamten Bewafinung; 4. das Recht der Benützung der vorhandenen Waffenplätze und Gebäude.

Von der Reprodukliou der Bestimmung des frühern Entwurfs, wonach das Kriegsmaterial der Kantone auf den Bund übergehen sollte, nahm der Bundesrat Umgang. Abgesehen davon, daß der Bund an dem hauptsächlichen Teil dieses Materials, nämlich an der Bewaffnung, ein Miteigentumsrecht bereits besaß, das, im Verhältnis der Beiträge an die Kosten berechnet, weiter ging als dasjenige der Kantone, hielt der Bundesrat dafür, daß die privatrechtliehe Frage des Eigentums hier füglich aus dem Spiel bleiben dürfe, wo der Bund in seiner unzweifelhaften Disposition über das Kriegsmaterial alles besitze, was vom Standpunkt der Militärhoheit notwendig erscheinen könne.

Bei der endgültigen Feststellung der Militärartikel durch die eidgenössischen Räte erlitten die Anträge des Bundesrates folgende Modifikationen : 1. Bezüglich der Zusammensetzung des Bundesheeres wurde der Begriff der kantonalen Truppenkörper ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen, indessen hinzugefügt, daß das Bundesheer außer den kantonalen Truppenkörpern aus allen Schweizern bestehe, welche zwar nicht zu diesen Truppenkörpern gehören, aber nichtsdestoweniger militärpflichtig sind.

2. Die Ausführung dei- Militärgesetze wurde ausdrücklich den Kantonen übertragen, allerdings innerhalb der durch die Bundesgesetzgebung festzusetzenden Grenzen und unter Aufsicht des Bundes.

3. Die Beschaffung der Bekleidung und Ausrüstung wurde als Sache der Kantone erklärt und nur die daherigen Kosten dem Bunde übertragen.

Eine Vergleichung der Bestimmungen der Bundesverfassung von 1874 mit denjenigen der Verfassung von 1848 mit Bezug auf die Vereinheitlichung des Militärwesens ergiebt, daß in der Richtung der Vereinheitlichung die Verfassung von 1874 folgende Fortschritte gemacht hat: 1. Die einheitliche Durchführung des Grundsatzes der allgemeinen Wehrpflicht und die Organisation des Bundesheeres nach Maßgabe der wehrfähigen Bevölkerung (Abschaffung des Skalakontingentssystems).

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2. Die Übernahme des gesamten Militärunterrichts durch den Bund.

3. Die Übernahme der gesamten Bewaffnung durch den Bund.

4. Die Übernahme der Kosten der Bekleidung und Ausrüstung durch den Bund.

5. Die Beaufsichtigung der kantonalen Militärverwaltung durch den Bund.

6. Unentgeltliche erste Ausrüstung, Bekleidung und Bewaffnung der Wehrmänner.

7. Unterstützung der Wehrmänner und ihrer Familien, welche infolge des eidgenössischen Militärdienstes ihr Leben verlieren oder dauernden Schaden an ihrer Gesundheit nehmen.

Aus diesem kurzen historischen Rückblick ergiebt sich in der That, daß die Entwicklung des schweizerischen Heerwesens im Laufe der Jahrhunderte gleichbedeutend ist mit der Entwicklung des Einheitsgedankens im Wehrwesen. Vorsichtig und mit steter Berücksichtigung der föderativen Grundlagen der Eidgenossenschaft ist dabei von Stufe zu Stufe vorgeschritten worden. Der Bundesrat glaubt annehmen zu dürfen, daß der Zeitpunkt heute gekommen sei, die letzten entscheidenden Schritte in dieser Richtung zu thun. Eine vorurteilslose Prüfung der einzelnen Fragen wird ergeben, daß auch eine grundsätzlich durchgeführte Vereinheitlichung unseres Heerwesens die Mitwirkung der Kantone keineswegs aussehließt, daß diese Mitwirkung vielmehr nach verschiedenen Seiten wünschenswert und geboten erscheint.

Ebensowenig als um einen Ausschluß der Mitwirkung der Kantone kann und soll es sich bei der Vereinheitlichung unseres Heerwesens um eine unseren Traditionen widersprechende Centralisation der Verwaltung handeln. Es wird uns vielmehr ein leichtes sein, den Nachweis zu leisten, daß unsere g e g e n w ä r t i g e Organisation eine wesentlich centralistische ist und damit auch an den mannigfachen Schäden aller bureaukratisch-centralisierten Verwaltungssysteme krankt, während die Übertragung der Verwaltung an den Bund eine gesunde Décentralisation erst möglich machen wird.

Dabei liegt uns die Meinung fern, daß gegen die Militärverwaltungen der Kantone im allgemeinen der Vorwurf der Vernachlässigung ihrer Pflichten erhoben werden könne. Wir befinden uns in der angenehmen Lage, zu bezeugen, daß die Militärbehörden der Kantone bestrebt sind, die Gesetze pflichtgemäß zu vollziehen und den verfassungsmäßigen Anordnungen des Bundes Folge zu geben. Viele unter ihnen haben in dieser Beziehung Vorzügliches

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geleistet. Nicht in dem bösen Willen und der administrativen Unfähigkeit der kantonalen Militärbeamten liegen die Übelstände der heutigen Organisation begründet, sondern in dem Wesen dieser Organisation selbst, welches im Widerspruch steht mit den Bedürfnissen einer rationellen, ihrem letzten Ziele entsprechenden Heeresverwaltung.

Eine der wichtigsten Aufgaben jeder Heeresorganisation, die diesen Namen verdient, besteht darin, daß sie in Friedeoszeiten dafür sorge, daß im Kriegsfalle dem Oberbefehlshaber erstens die vorhandenen personellen und materiellen Kriegsmittel in dem gesetzlich vorgeschriebenen Bestände zur Verfügung gestellt und zweitens, daß diese Streitmittel im Kriegsfälle (im Verlaufe des Krieges) ergänzt werden. Diese selbstverständlichen Grundsätze sind auch in der heutigen Gesetzgebung ausdrücklich anerkannt und ausgesprochen. Nach Art. 241 der Militärorganisation hat der Bundesrat dem Oberbefehlshaber die erforderliehen Streitmittel zur Verfügung zu stellen, und nach Art. 243 hat er die Pflicht, für die Ergänzung dieser Streitmittel sowohl in personeller als in materieller Beziehung zu sorgen.

Wie verhält es sich nun mit den Befugnissen, welche dem Bundesrat gesetzlich zu Gebot stehen, um diesen Pflichten zu ge3 nügen?

I. Personelles.

a. R e k r u t i e r u n g . Die Berechtigung des Bundes ist auf die Bildung der eidgenössischen Truppeneinheiten beschränkt (Militärorganisation Art. 20). Die Untersuchung und Entscheidung über die persönliche Dienstfähigkeit steht der Eidgenossenschaft aber nur unter Mitwirkung der k a n t o n a l e n Behörden zu (Art. 14).

b. E r h a l t u n g des B e s t a n d e s der Truppeneinheiten.

Die Pflicht hierfür liegt für die kantonalen Truppeneinheiten den K a n t o n e n , für die anderen dem Bunde ob (Art. 21 und 22).

Über die Rekrutierung sowohl als über den Bestand und die Ergänzung der Truppenkörper führen die K a n t o n e die Kontrolle (Art. 24); der Bund hat nur die Formulare aufzustellen und das Recht der Überwachung (Art. 24). Die Kontrolle der Kantone bezieht sich auch auf die Truppeneinheiten des Bundes. Bei der Organisation der von mehreren Kantonen gebildeten Bataillone, sowie bei derjenigen der Schützenbataillone wirken Bund und K a n t o n e zusammen (Art. 32 und 33).

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II. Materielles.

a . B e k l e i d u n g , Be w af f n u n g u n d p e r s ö n l i c h e A u s r ü s t u n g . Die Bekleidung und persönliche Ausrüstung der Mannschaft geschieht nach den eidgenössischen Vorschriften durch die K a n t o n e (Art. 144). Diese Regel gilt für die eidgenössischen und kantonalen Truppeneinheiten (Art. 145). Die K a n t o n e sind verpflichtet, die Bekleidung und Ausrüstung der Truppen stets in gutem Stand zu halten und das Fehlende zu ersetzen (Art. 152).

Den K a n t o n e n liegt die Aufbewahrung und Unterhaltung der Waffen ob, welche den Mannschaften abgenommen werden. Der Bund hat die Aufsicht (Art. 156).

b. C o r p s a u s r ü s t u n g . Die Corpsausrüstung, für welche neben den K a n t o n e n der Bund zu sorgen hat (Art. 142 und 162), bleibt in der Verwahrung der K a n t o n e , welche zur gehörigen Aufbewahrung und Unterhaltung derselben verpflichtet sind (Art. 165).

Das Kriegsmaterial der höheren Truppenverbände steht unter der direkten Verfügung und Verwaltung des Bundes (Art. 166) und wird aus dem eigenen Material des Bundes und demjenigen der K a n t o n e gebildet (Art. 167). Von den gesetzlichen Munitionsbeständen wird den K a n t o n e n derjenige Teil abgegeben, welcher von den Truppeneinheiten als Taschenmunition und als Ausstattung der Corpsfuhrwerke in das Feld geführt wird (Art. 173).

c. P f e r d e s t e l l u n g . Der Bund und die K a n t o n e haben zu den Truppeneinheiten die Pferde zu stellen (Art. 181), und zwar werden außer den zu den kantonalen Einheiten gehörenden Pferden und den Offizierspferden alle übrigen Pferde vom Bund gestellt (Art. 184). Die bei einer Pikettstellung tauglich befundenen Pferde werden durch Vermittlung der k a n t o n a l e n Behörden in den Dienst berufen (Art. 188).

Nach dieser Aufzählung der gesetzlichen Bestimmungen über die Pflichten und Kompetenzen des Bundes und der Kantone ist die Thatsache ernstlich ins Auge zu fassen, daß d i e s e B e s t i m m u n g e n gleichmäßig für Frieden und Krieg gelten.

Wenn es nun aber erfahrungsgemäß feststeht, daß es bei der heutigen Zersplitterung der Verwaltung schon in Friedenszeiten schwer hält, das Heerwesen auf dem gesetzlichen Bestand zu erhalten, so wird niemand zu bestreiten wagen, daß es im Kriege, wenn unser Heer dem Feinde gegenübersteht, dem Bundesrate
thatsächlich unmöglich sein wird, in der durch das Gesetz vorgeschriebenen Weise, d. h. unter Mitwirkung von fünfundzwanzig Kantonen, die Truppeneinheiten in kriegstüchtigem Zustande zu erhalten und personell und materiell zu ergänzen. Oder sollte es

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wirklich möglich sein, daß in diesem Fall jeder einzelne Truppenkörper von seinem Kanton direkt oder durch Vermittlung des Bundesrates den Ersatz von Mannschaft, Kleidung und Ausrüstung verlange und erhalte? Soll der Bundesrat mit den Kantonen, die ihre Pflicht nicht erfüllen wollen oder können, in Verbindung treten und eventuell ein Zwangsverfahren gegen sie eröffnen? Soll dasselbe Verfahren stattfinden, wenn über das Material verfügt werden muß, welches den Kantonen gesetzlich zur Aufbewahrung und zur Besorgung überlassen ist?

Man braucht diese Fragen nicht zu vermehren ; sie tragen alle ihre Antwort in sich selbst ; sie stellen heißt auch sie beantworten.

Es kann unmöglich die Meinung haben, daß es einem rationellen Heeresverwaltungssysteme entspreche, daß der Bundesrat im Kriegsfalle in die Lage kommen kann, wegen eines einzelneu Bataillons nicht nur mit einem, sondern mit vier Kantonen in Verkehr zu treten.

Der unabweisbare Schluß ist dieser : die jetzige Militärverwaltung der Eidgenossenschaft ist schon für Friedensverhältnisse kompliziert und daher mangelhaft, für den Kriegsfall ist dieselbe unbrauchbar, schon darum, weil der Bund nicht die Mittel besitzt, um der ihm obliegenden Pflicht zu genügen, dem Oberbefehlshaber im Kriegsfalle die gesetzlich vorgeschriebenen personellen und materiellen Kriegsmittel zur Verfügung zu stellen und diese Streitmittel im Laufe des Krieges zu ergänzen.

Während unser Heerwesen seit 1848 auf verschiedenen Gebieten wesentliche Fortschritte gemacht hat, steht die Heeresverwaltung grundsätzlich noch ganz auf dem Boden der Kontingentsarmee des ,,Militärreglements" von 1817. Jeder Kanton verwaltet seine Armee im Krieg und Frieden selbst.

Baldige Änderung dieses Zustandes ist daher dringend notwendig, wenn die Behörden nicht die schwere Verantwortlichkeit auf sich nehmen wollen, erst im Kriegsfall eine Militärverwaltung zu schaffen, die gerade in jenem Momente sich in vollster Thätigkeit befinden sollte.

Wir gehen nunmehr über zu einer kurzen Begründung der Änderungen, welche wir bezüglich der Militärartikel der Bundesverfassung Ihnen vorzuschlagen uns beehren.

Hierbei schicken wir voraus, daß wir zwar die meisten Bestimmungen der Art. 15 und 16 der Bundesverfassung für veraltet halten, uns jedoch nicht veranlaßt sehen, Ihnen die Streichung derselben zu beantragen. Dagegen schlagen wir vor, dem Art. 13 folgende neue Fassung zu geben: ,,Weder der Bund noch die

871 Kantone sind berechtigt, stehende Truppen zu halten. Vorbehalten sind die zur Bewachung und Verwaltung der eidgenössischen Festungswerke im Frieden erforderlichen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die Grenzwächter der Zollverwaltung und die Landjägercorps der Kantone." Diese Fassung entspricht den heutigen thatsächlichen Verhältnissen im Bund und in den Kantonen und erledigt zugleich die in den eidgenössischen Räten öfters erhobenen Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit einer ständigen militärischen Bewachung unserer Festungswerke. .

In einem neuen Art. 17biB stellen wir den Satz auf: Das Heerwesen ist Sache des Bundes. In diesem Satze gipfelt sich der Gedanke der vorliegenden Revision und es erseheint uns der Sache angemessen, daß er an die Spitze der neuen Artikel gestellt werde.

Im Art. 18 der bestehenden Bundesverfassung ist die Bestimmung enthalten, daß die Wehrmänner, welche infolge des eidgenössischen Militärdienstes ihr Leben verlieren oder dauernden Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, für sich oder ihre Familien im Falle des Bedürfnisses Anspruch auf Unterstützung des Bundes haben. Wir fügen dieser Bestimmung die weitere bei : ,,Der Bund unterstützt in Verbindung mit den Kantonen die Familien bedürftiger Wehrmänner, welche infolge Abwesenheit ihrer Ernährer im Militärdienste unverschuldet in Not geraten. Eine solche Unterstützung fällt nicht unter den Begriff der Armenunterstützung."' Diese Verpflichtung war bis jetzt ausschließlich den Kantonen überbunden (Art. 234 der Militärorganisation). Soll nun die Militärverwaltung auf den Bund übergehen, so versteht es sieh von selbst, daß dieser den Kantonen wenigstens einen Teil dieser Pflicht abnehme und im Verein mit ihnen die Fürsorge für die Angehörigen der bedürftigen Wehrmänner trage. Wir halten diese Konsequenz für so selbstverständlich, daß die finanziellen Folgen, welche die vorgeschlagene Bestimmung für den Bund nach sich ziehen wird, dagegen unseres Brachtens nicht ausschlaggebend sein können. Wenn auch die große Mehrzahl der Kantone der ihnen durch die Militärorganisation überbundenen Verpflichtung keineswegs nachkam, so erscheint uns doch der Gedanke ausgeschlossen, daß der Wehrmann unter der Militärhoheit des Bundes einen so gerechten und billigen Anspruch verlieren sollte, den er unter der Herrschaft der
kantonalen Hoheit gesetzlich erheben durfte. Wenn wir aus diesem Satze nicht die volle Konsequenz ziehen, dem Bunde die ausschließliche Unterstützungspflicht zu übertragen, so geschieht dieses ganz besonders mit Rücksicht darauf, weil dem Bunde dann eine wirksame Kontrolle über die Unterstützungsberechtigung in dem einzelnen Falle thatsächlich nicht zu Gebot stünde und die Gefahr nahe lege, daß

872 in der Geltendmachung des Unterstützungsanspruches sich zahlreiche Mißbräuche einschleichen würden. Der weitere Satz, daß aus dieser Unterstützung dem Wehrmanne keinerlei Nachteile mit Bezug auf dessen bürgerliehe Rechte und Ehren erwachsen dürfen, erscheint uns eines weitern Kommentars nicht zu bedürfen, da es offenbar nicht angeht, daß die öffentliche Unterstützung eines Bürgers, welche nur aus dem Grunde notwendig wurde, weil derselbe seine Wehrpflicht erfüllte, den Verlust der bürgerlichen Rechte und Ehren nach sich ziehe. Die Kostenfrage werden wir am Schlüsse dieses Berichtes besprechen.

Durch die im Art. 19 vorgeschlagene Fassung ,,das Bundesheer besteht aus allen dienstpflichtigen Schweizerbürgern a soll der Begriff der kantonalen Truppenkörper aufgegeben werden. Von dem Augenblicke an, da das Heerwesen ausschließlich auf den Bund übergeht und daher auch die Truppenkörper ausschließlich vom Bund gebildet und erhalten werden, hat es keinen Sinn mehr, jenen Begriff aufrecht zu erhalten. Gewissermaßen als Gegengewicht halten wir dagegen die Bestimmung aufrecht, daß die Truppeneinheiten aus der Mannschaft desselben Kantons gebildet werden sollen, soweit nicht militärische Gründe entgegenstehen. Diese Forderung ergiebt sich von selber. Sie ist in unserer Geschichte und in den Anschauungen unseres Volkes begründet und findet ihren Ausdruck auch in der Heeresorganisation der übrigen europäischen Staaten. Vom militärischen Standpunkte aus; läßt sich gegen dieselbe nichts einwenden. Eine Ausnahme wird -- wie bisher -- vorbehalten werden müssen mit Bezug auf die Bildung einer Anzahl Einheiten der Specialwaffen, für welche die Rekruten da genommen werden müssen, wo sie sieh finden.

In Bezug auf das Recht der Verfügung über die Truppen durch den Bund beantragen wir einfache Beibehaltung der jetzigen Redaktion. Was die Ausübung dieses Rechtes seitens der Kantone anbetrifft, so bestimmt die gegenwärtige Bundesverfassung, daß die Kantone über die Wehrkraft ihres Gebietes verfügen, soweit sie nicht durch verfassungsmäßige oder gesetzliche Anordnungen des Bundes beschränkt sind. Da es sich auf Grundlage unseres Entwurfs in Zukunft für die Kantone nur noch darum handeln kann, die Truppen ihres Gebietes aufzubieten, wenn dieses zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nötig erscheint, so halten
wir es für angemessen, das kantonale Verfügungsre.cht ausdrücklich auf diesen Fall zu beschränken. In diesem Sinne schlagen wir folgende Fassung vor: ,,Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und solange nicht eidgenössische Intervention eintritt, verfügen die Kantone über die Wehrkraft ihres Gebietes.a

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In dem Art. 20 des Entwurfs wird dem Bunde außer dem Unterricht, der Bewaffnung, Bekleidung und Ausrüstung des Heeres auch die Verwaltung des Heerwesens Obertragen. Hierauf bezüglich beschränken wir uns darauf, auf unsere daherigen Auseinandersetzungen im Eingange unseres Berichtes zu verweisen, indem wir darauf verzichten, die zahlreichen Schwierigkeiten, Komplikationen und Unzukömmlichkeiten im einzelnen aufzuzählen, welche in der Doppelverwaltung des Heeres durch Bund und Kantone begründet liegen.

Im letzten Alinea des Art. 20 ist die Bestimmung enthalten, daß den Kantonen auch fürderhin die Hälfte des Ertrages der Militärersatzsteuer verbleiben solle. Wir kommen zu diesem Antrage schon aus der Erwägung, daß der Bund unseres Erachtens wenig dabei gewinnen würde, wenn er den ganzen Ertrag der Steuer für sich beanspruchen wollte, ohne den Kantonen, auf deren Mitwirkung er beim Bezug derselben doch angewiesen ist, ihren Anteil zu belassen. Wichtiger noch als diese Erwägung erscheint uns das Bedenken, daß die Kantone in der Unterdrückung dieses Einnahmepostens nicht ohne Grund einen störenden Eingriff in ihre Finanzwirtschaft erblicken würden.

Art. 21 des Entwurfs behandelt die Auswahl der Offiziersaspiranten und die Ernennung und Beförderung der Offiziere derjenigen Truppeneinheiten, welche ausschließlich aus den Mannschaften eines und desselben Kantons gebildet werden. Bei der Wahl der Offiziere kommen zweierlei Erwägungen in Betracht, die militärische und die bürgerliche Eignung. Die erstere wird ganz natürlich von den militärischen Vorgesetzten, die letztere von den bürgerlichen Behörden am richtigsten beurteilt werden können. Wir nehmen daher für die Wahl der Offiziersaspiranten und für die Ernennung und Beförderung der Offiziere derjenigen Truppeneinheiten, welche aus den Mannschaften eines und desselben Kantons gebildet werden, ein gemischtes System in Aussicht. Analog den Bestimmungen, welche gegenwärtig für die Ernennung gewisser Kategorien von höhern Truppenführern bestehen (vide Art. 60 der Militärorganisation von 1874), schlagen wir zu diesem Zwecke die Aufstellung von Kommissionen vor, welche aus den militärischen Vorgesetzten, den Vertretern der Waffe und einem Vertreter der Kantonsregierung bestehen sollen und welchen die Aufgabe obliegt, die Offiziersaspirauten zu bezeichnen und
bezüglich der Ernennung und Beförderung der Offiziere dem Militärdepartement zu Händen des Bundesrates die nötigen Wahlvorschläge vorzulegen. In einem solchen Vorgehen erblicken wir die sicherste Gewähr dafür, daß bei der Wahl der Offiziere nicht einseitig die militärischen oder die bürgerBundesblatt. 47. Jahrg. Bd. II.

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liehen Eigenschaften entscheiden, sondern daß beide dabei zur gebührenden Geltung gelangen.

Es bedarf keiner nähern Begründung, daß dieses System vom militärischen Standpunkte aus dem bisherigen ohne weiteres vorzuziehen ist, da es in jedem einzelnen Falle einen gegenseitigen persönlichen Austausch der Meinungen gestattet. Es scheint uns ein solches System aber auch von dem Standpunkte der Kantone aus den Vorzug vor dem bisherigen zu verdienen, indem das Wahlrecht der Kantone nach dem bestehenden Gesetze im Grunde genommen doch kaum über die Bedeutung einer leeren Form hinausgeht und da, wo es darüber hinausgeht, nicht selten zu bedauerlichen Konflikten und Verschleppungen Veranlassung giebt. Daß eine Mitwirkung der Kantone auf dieser Grundlage aber auch einem etwaigen Vorschlags- oder Vetorechte der Kantone formell und materiell vorzuziehen ist, erscheint uns naheliegend. In Bezug auf die Art und Weise, wie dieses Wahlsystem sich praktisch durchführen ließe, verweisen wir auf Art. 78 des beiliegenden Vorentwurfs einer neuen Militärorganisation.

Art. 22. Heeresverwaltung. Wir glauben im allgemeinen Teil dieses Berichtes bereits den Beweis geleistet zu haben, daß die Heeresverwaltung einheitlich gestaltet und ganz in die Hand des Bundes gelegt werden sollte, und ferner, daß die Vereinheitlichung der Heeresverwaltung nicht die Centralisation, sondern vielmehr die Grundlage für eine vernünftige und lebenskräftige Décentralisation schaffen werde. In dem vorliegenden Artikel wird nun in allgemeinen Zügen ein Bild der Heeresverwaltung aufgestellt, wie sie sich unserer Ansicht nach künftig gestalten soll.

Hier haben wir uns vor allen Dingen die Frage gestellt, ob es nicht angezeigt wäre, uns darauf zu beschränken, im Artikel 20 den Bund mit der Verwaltung zu betrauen und alles weitere der Gesetzgebung zu überlassen? Dieses Vorgehen böte den nicht gering zu schätzenden Vorteil, daß der Gesetzgebung freie Hand gelassen würde, während die in unserem Art. 22 vorgesehene Organisation, wenn sie sich in der Praxis nicht bewähren sollte", nur auf dem Wege der Verfassungsrevision geändert werden könnte. Eine Schmälerung der Volksrechte wurde in der gesetzlichen Organisation nicht liegen, indem auch gegen diese das Referendum ergriffen werden kann.

Wenn wir uns trotzdem entschlosseo haben, die Grundzuge der
Verwaltung in die Verfassung niederzulegen, so geschah dies in der Meinung, daß die Verfassung hier volle Klarheit bieten sollte.

An den Begriff der sog. Centralisation der Heeresverwaltung sind von jeher eine Reihe ganz irrtümlicher Auffassungen gehängt worden,

875 die nicht zum geringen Teil die mannigfachen Bedenken hervorgerufen haben, welche der Vereinheitlichung des Heerwesens zur Stunde noch gegenübertreten. Wir sind der Ansicht, daß eine allgemeine Charakterisierung der Verwaltung, wie sie unser Art. 22 enthält, einen Teil jener Bedenken zu beseitigen wohl geeignet sei.

Ob nun die decentralisierte Administration in die Armeecorps oder in die Divisionen zu verlegen sei, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Für beides sprechen gewichtige Gründe. Wenn wir dem Armeecorpsverband im Frieden keinen Anteil am pulsierenden Leben des Heeresorganismus zuweisen, so wird er auch im Kriege nicht die ihm zukommende Bedeutung haben. Eine Verlegung der Administration in die Armeecorpskreise würde die Armeecorpskommandanten in direktere Beziehungen zur Verwaltung bringen, als die Organisation der Verwaltung nach Divisionskreisen. Das Ideal einer lebenskräftigen Armeeverwaltung wäre überhaupt die stufenweise Übertragung der ganzen Verwaltung an die Truppenführer von unten bis oben. Allein daran ist im Milizheere nicht zu denken und unsere Organisation wird sich darauf zu beschränken haben, die Truppenführer an der Administration und »m Unterricht soweit als möglich zu beteiligen, ohne sie zu ständigen Beamten zu machen.

Wir geben einer Verlegung der Verwaltung in die Divisionskreise den Vorzug, nicht nur weil sie dem Begriffe der Décentralisation mehr entspricht als eine armeecorpsweise Verwaltung und daher an sich zweckmäßiger erscheint als die letztere, sondern auch darum, weil die Divisionskreise dem Volke näher stehen und sich in seinen Anschauungen mehr eingelebt haben als die Armeecorpskreise. Dabei behalten wir uns vor, auf dem Wege der Gesetzgebung den Organismus in einer Weise auszugestalten, welche die lebendige Mitwirkung der sämtlichen Truppenführer verlangt.

Die Divisionskreise würden in der Regel in vier Infanterie- .

regimentsbezirke, diese in die nötige Zahl von Sektionen zerfallen.

Das Gebiet eines Kantons wäre, soweit thuulich, nur einem Divisionskreise zuzuteilen.

An die Spitze einer Kreisverwaltung würde ein Militärkreisdirektor gestellt, dem ein Kreiskriegskommissär und ein Kreiszeughausverwalter untergeordnet würden. Als untere Beamte sehen wir der Einteilung entsprechend die nötige Zahl von Bezirkskotnmandanten und Sektionschefs vor.
Die Wahl der Militärkreisdirektoren, der Kreiskriegskommissäre und der Kreiszeughausverwalter übertragen wir dem Bundesrat, die Wahl der Bezirkskommandanten und der Sektionschefs den Kantonen. Es liegt nahe, daß die Kautone besser in der Lage sind,

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die richtigen Persönlichkeiten für die Besetzung der erwähnten unteren Stellen zu finden, als der Bundesrat oder seine Organe.

Daneben mag in dem Umstände eine Beruhigung liegen, daß die Militärbeamten, mit welchen der Bürger direkt zu verkehren hat, von einer Behörde gewählt werden, auf welche der einzelne Bürger einen unmittelbareren Einfluß auszuüben vermag, als dies den ceutralen eidgenössischen Behörden gegenüber der Fall sein dürfte.

Nicht wenig verbreitet ist die Befürchtung, daß mit dem Übergang der gesamten Militärverwaltung auf den Bund bei der Beschaffung der Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände eine gleichmäßige Berücksichtigung des Gewerbestandes in den einzelnen Kantonen dahinfallen könnte. Zwar haben die kantonalen Verwaltungen sich bis jetât durchaus nicht ausnahmslos durch solche Rücksichten leiten lassen. Die Lieferung der Militärtücher zu Händen der Kantone konzentriert sich erfahrungsgemäß auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Hauptlieferanten und nicht anders verhält es sich mit der Beschaffung der Ausrüstungsgegenstände durch die Kantone. In dieser Beziehung ist gerade die eidgenössische Militärverwaltung mit gutem Beispiel vorangegangen. Bei der Bestellung der eidgenössischen Ordonnanzschuhe im Laufe der letzten drei Jahre ist dem großen und kleinen Handwerker im ganzen Lande von unserer Militärverwaltung Gelegenheit geboten worden, sich nach seinen Kräften zu beteiligen, und von dieser Gelegenheit haben zahlreiche Handwerker den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Dieses Vorgehen der eidgenössischen Militäradministration dürfte also an und für sich schon für die Zukunft beruhigend wirken, denn es ist selbstverständlich, daß auch unter einer neuen Ordnung der Dinge die gleichen Grundsätze der Billigkeit zu gunsten unserer Gewerbetreibenden die Verwaltung leiten werden.

Nichtsdestoweniger halten wir es für angemessen, es in der Verfassung auszuspreehen, daß die Beschaffung oder zum mindesten die Herstellung der Bekleidung und Ausrüstung der Rekruten in die Kreise zu verlegen sei, unter dem Vorbehalte der Kontrollierung durch die Central Verwaltung und unter einer angemessenen Mitwirkung der Kantone. Diese letztere denken wir uns so, daß zu diesem Behufe in jedem Kreise eine Kommission gebildet würde, in welcher die Kantonsregierungen vertreten wären. Wir halten auch diese
Mitwirkung der Kantone in der Militäradministration als im wohlverstandenen Interesse einer geordneten und sparsamen Ver waltung liegend.

Im letzten Alinea des Artikels 22 wird eine fernere Mitwirkung der Kantone darin gesucht, daß ihnen die Vermittlung des Verkehrs

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zwischen den Militärbehörden des Bundes und den Gemeinden übertragen wird. Es bezieht sich dieses ganz besonders auf die wichtigen Funktionen der Gemeinden bei der Mobilmachung des Heeres und deren Vorbereitung.

Artikel 23 (Waflenplätze, Kasernen und Zeughäuser). Schon die bestehende Bundesverfassung räumt dem Bund das Recht ein (Artikel 22), die in den Kantonen vorhandenen Waffenplätze und die zu militärischen Zwecken bestimmten Gebäude samt Zugehören gegen billige Entschädigung zur Benutzung oder als Eigentum zu übernehmen, wobei ausdrücklich hinzugefügt ist, daß die Norm für die daherige Entschädigung durch die .Bundesgesetzgebung zu regeln sei. Mit der Übertragung der Militärverwaltung an den Bund entsteht für die Kantone ein Interesse, ihre Waffenplätze, Kasernen und Zeughäuser an den Bund abzutreten. Daß der Bund sie hierfür angemessen /u entschädigen hat, liegt auf der Hand.

Die allerdings nicht unbeträchtlichen finanziellen Konsequenzen dieser Bestimmung gedenken wir in dem nun folgenden Kapitel über die finanzielle Seite unserer Revisionsvorschläge zu besprechen.

Als eine einfache Beilage unseres Berichtes betrachten wir den schon mehrfach erwähnten Vorentwurf einer neueo, auf unsere Vorschläge basierten Militärorganisation. Unser Militärdepartement hat die Ausarbeitung dieses Vorentwurfs auf den Wunsch einer Anzahl Mitglieder Ihrer hohen Behörde unternommen. Wir haben diesen Entwurf, dem einstweilen noch die konstitutionelle Grundlage fehlt, indessen selbstverständlich einer artikelweisen Beratung nicht unterziehen können.

Die finanziellen Folgen der Yerfassungsrevision.

Die Revisionspunkte, die für die Finanzen des Bundes in Betracht fallen, sind: 1. Die Übertragung der Verwaltung auf den Bund.

2. Die Unterstützung notleidender Familien von dienstthuenden Wehrpflichtigen.

3. Die Übernahme der Waffenplätze und Zeughäuser durch den Bund.

D i e Ü b e r t r a g u n g d e r V e r w a l t u n g a n d e n B u n d wird nicht nach allen Richtungen Mehrausgaben für den Bund zur Folge haben. Mehrausgaben werden selbstverständlich verursachen die Errichtung der acht Kreisverwaltungen und sodann die Übernahme der Verwaltung derjenigen Zeughäuser, welche bisher von den Kantonen administriert wurden. Dagegen wird die Beschaffung der

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Bekleidung und Ausrüstung durch den Bund nicht nur keine weitere Belastung der Bundesfinanzen mit sich führen, sondern zweifelsohne eine Quelle von nicht unwesentlichen jährlichen Ersparnissen werden.

Für die Kreisverwaltungen nehmen wir folgendes Personal in Aussicht, wobei wir für den einzelnen Beamten eine Durchschnittsbesoldung nach Maßgabe des neuen Besoldungsgesetzes für die Militärbeamten berechnen : Personal eines Divisionskreises.

Ein Militärkreisdirektor (Maximum Fr. 7500) Fr. 7,000 Ein Sekretär ,, 4,500 Drei Kanzlisten à Fr. 2800 ,, 8,400 Ein Kreiskriegskommissär ,, 5,000 Ein Buchhalter ,, 4,000 Ein Kanzlist . . J ,, 2,800 Ein Kreiszeughausverwalter ,, 5,000 Ein Kanzlist ,, 2,800 Der Kreisstabsarzt (nicht ständiger Beamter) ,, 2,000 Buralkosten, Drucksachen, Reiseentschädigungen ,, 3,000 Fr. 44,500 Fr. 44,500 X 8 = Fr. 356,000 Nach Art. 22 des Vorentwurfs des Militärdepartements ist für jeden Infanterie-Regiments-Rekrutierungsbezirk ein Bezirkskommandant in Aussicht genommen, wobei ausnahmsweise, namentlich in Gebirgsgegenden, auch innerhalb der Regimentskreise Bataillonsbezirkskommandanten ernannt werden können. Wir berechnen rund 40 Bezirkskommandanten mit einer durchschnittlichen Jahresbesoldung von Fr. 4000 = Fr. 160,000 hierzu ein Kanzlist per Bezirkskommandant à Fr. 2500 = ,, 100,000 die Zahl der Sektionschet's per Divisionskreis zu 200 berechnet, also im ganzen 1600 Sektionskommandanten, mit einer durchschnittlichen Jahresbesoldung von Fr. 200 = ...

,, 320,000 ,, 580,000 Fr. 936,000 Was die Kosten derjenigen Montierungs- und Zeughausverwaltungen anbetrifft, welche bisher von den Kantonen administriert wurden, so stützen sich unsere Berechnungen auf die Angaben der

879 kantonalen Staatsrechnungen des Jahres 1893, wobei indessen die Kantone Nidwaiden, Zug, Schaffhausen und Tessin fehlen. Für den Zeughausdienst verzeigen die kantonalen Staatsrechnungen eine Ausgabe von total Fr. 795,804 und eine Einnahme von ,, 379,760 also eine Mehrausgabe von Beim Montierungswesen dagegen verzeigen diese Rechnungen eine Mehreinnahme VOD so daß die Mehrausgabe für beide Verwaltungen zusammen sich reduziert auf

Fr. 416,044 ,,

224,529

Fr. 191,515

Dieser Betrag wird indessen schon aus dem Grunde kaum ausreichen, weil der Bund die Besoldungen der zum Teil sehr kümmerlich salarierten kantonalen Zeughausbeamten und -angestellten in angemessener Weise wird erhöhen müssen. Wir berechnen daher den Posten Montierungs- und Zeughausverwaltung in den Kreisen, abzüglich der bisherigen Auslagen des Bundes, auf Fr. 250,000.

Die Zusammenstellung der auf vorstehenden Berechnungen beruhenden künftigen Mehrausgaben des Bundes infolge der Einrichtung der Kreisverwaltungen, Montierungs- und Zeughauaverwaltuogen inbegriffen, ergiebt daher folgende Resultate: Personal, der Divisionskreise Fr. 936,000 Montierungs- und Zeughausverwaltung in den Kreisen ,, 250,000 Fr. 1,186,000 Die Unterstützung notleidender Familien von d i e n s t t h u e n d e n Weh r p f l i c h t i g e n kann in ihren finanziellen Folgen natürlich nicht mit irgend welchem Anspruch auf mathematische Sicherheit berechnet werden. Doch waren wir bestrebt, auch in dieser Richtung das Mögliche zu thun. Auf den Wunsch unseres Militärdepartements hat sich dieser Aufgabe ebenfalls das eidgenössische statistische Bureau unterzogen, indem dasselbe sich durch das Mittel der Kreiskornmandanten mit den Sektionschefs der L, III. und VII. Division in Beziehung setzte. Die Sektionschefs sind in der That wohl in der Lage, über die ökonomischen Folgen des Militärdienstes auf selten der Familien der Webrmänner Auskunft za geben, und dieselben haben sich auch bestrebt, die Fragen des statistischen Bureaus nach Möglichkeit zu beantworten. Nur der Kommandant eines Walliser Kreises hat sich trotz Recharge nicht veranlaßt gesehen, der an ihn ergangenen Aufforderung zu entsprechen, und da unserem Militärdepartement unter der heutigen

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Ordnung der Dinge eine Strafkompetenz gegenüber den kantonalen Kreiskommandanten nicht zusteht, hat auf weitere Schritte verzichtet werden müssen.

Unsere Berechnung stützt sich auf die Verhältnisse der Wehrpflichtigen des Auszugs, und da keine Gründe zur Annahme vorliegen, daß der Prozentsatz der Bedürftigen in der Landwehr ein größerer -oder geringerer sei, als im Auszug, so übertragen wir das gewonnene Resultat auch auf die Landwehr. Dieses Resultat ist folgendes: Von den 47,590 Wehrpflichtigen der erwähnten drei Divisionen, über welche uns die Sektionschefs die gewünschten Angaben haben zukommen lassen, werden 4082 Mann als der Unterstützung im Militärdienst bedürftig bezeichnet, somit 8,e °/o. Rechnen wir nun für diese Fälle eine durchschnittliche tägliche Unterstützung von Fr. l--l Va von seiten des Bundes und nehmen wir im Jahre eine Durchschnittszahl von 3 Millionen Diensttagen an, so resultiert hieraus für Auszug und Landwehr eine jährliche Ausgabe von rund Fr. 250,000--375,000.

Die Ü b e r n a h m e der Kasernen, Waffenplätze und Z e u g h ä u s e r durch den Bund kann in der Weise geschehen, daß der Bund diese Liegenschaften gegen einen durch Expertenkommissionen ermittelten Kaufpreis käuflich an sich zieht. Dies würde indessen eine nach vielen Millionen zu beziffernde Kapitalauslage zur Folge haben, abgesehen von den Schwierigkeiten, welche mit der Ermittlung eines für beide Teile gleich annehmbaren Kaufpreises verknüpft wären. Oder es entschließt sich der Bund zur Ausgabe von Reatentiteln an die Kantone, deren Betrag wiederum durch Expertenkommissionen festzusetzen wäre, und zwar auf Grundlage einer Kombination des Grundwertes der Liegenschaften und ihres bisherigen Durchschnittsertrages. Dieses letztere System erscheint uns als das richtigere.

Was die Kasernen und Waffenplätze anbetrifft, so steht uns ein zuverlässiges Material tur die Schätzung ihres Kaufwertes nicht zur Verfügung. Dagegen haben wir durch das eidgenössische Oberkriegskommissariat eine Zusammenstellung der Entschädigungen anfertigen lassen, welche der Bund in den Jahren 1890 bis und mit 1894 den Kantonen für die Benutzung dieser Liegenschaften bezahlt hat. Diese Zusammenstellung ergiebt eine jährliche Durchschnittsentschädigung im Betrage von rund Fr. 310,000. Hierbei wären sodann noch in Berechnung zu ziehen die
Einnahmen der Kantone aus den Mietzinsen für die Kantinen und andere Lokalitäten, sowie aus dem Grasuutzen ab den Exerzierplätzen, welche Einnahmen wir insgesamt auf cirka Fr. 60,000 per Jahr berechnen, wodurch sich der heutige Bruttoertrag aus den Kasernen und Waffenplätzen der Kantone auf cirka Fr. 370,000 per Jahr berechnen läßt.

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Nach den übrigens nur approximativen Schätzungen der administrativen Abteilung der Kriegsmaterialverwaltung beläuft sich der Kaufwert der Zeughäuser und Munitionsmagazine der Kantone auf rund Fr. 6,500,000. Der durchschnittliehe Mietzins, welchen der Bund den Kantonen im Laufe der letzten Jahre für die teilweise Benützung dieser Lokalitäten bezahlte, beläuft sich auf rund Fr. 50,000, welcher Betrag jedoch nicht wesentlich in Betracht fällt, da der Bund in Zukunft nicht nur einen Teil, sondern die sämtlichen Zeughäuser und Munitionsmagazine der Kantone wird benützen, beziehungsweise übernehmen müssen.

Im übrigen erscheint uns eine bestimmte Antragstellung im Sinne der Feststellung der Normen für die den Kantonen zu leistende Entschädigung im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit schon darum, nicht opportun, weil unser Revisionsentwurf in Übereinstimmung mit der jetzigen Verfassung diese Normierung ausdrücklich der ßundesgesetzgebung überläßt.

So viel über die Mehrkosten, welche die Revision der Militärartikel der Bundesverfassung voraussichtlich nach sich ziehen wird.

Inwieweit eine darauf folgende Urngestaltung der Militärorganisation eine fernere Vermehrung unserer heutigen Ausgaben für das Heerwesen zur Folge haben wird, wird davon abhängen, in welcher Weise vornehmlich die Unterrichtsfrage und die Frage der Revision der Truppenordnung von den eidgenössischen Räten dannx.umal gelöst werden wollen.

Wir schließen unsern Bericht, indem wir Ihnen die Annahme des beiliegenden Entwurfes eines Bundesbeschlusses betreffend die Revision der Militärartikel der Bundesverfassung empfehlen.

Genehmigen Sie, Tit., auch bei diesem Anlaß die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 2. Mai 1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Verfassung von 1874.

Art. 13.

Der Bund ist nicht berechtigt, stehende Truppen zu halten.

Ohne Bewilligung der Bundesbehörde darf kein Kanton oder in geteilten Kantonen kein Landesteil mehr als 300 Mann stehende Truppen halten, die Landjägereorps nicht inbegriffen.

' Art. 17.

In den durch die Artikel 15 und 16 bezeichneten · Fällen ist jeder Kanton verpflichtet, den Truppen freien Durchzug zu gestatten. Diese sind sofort unter eidgenössische Leitung zu stellen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Revision der Militärartikel der Bundesverfassung. (Vom 2. Mai 1895.)

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1895

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08.05.1895

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