BBl 2021 www.bundesrecht.admin.ch Massgebend ist die signierte elektronische Fassung

21.063 Botschaft zur Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Krankenversicherungsgesetzes) vom 17. September 2021

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, als indirekten Gegenvorschlag eine Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. September 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2021-3119

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Übersicht Die Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» will, dass Bund und Kantone die Versicherten bei den Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung entlasten. Der Bundesrat beantragt, die Initiative abzulehnen und ­ als indirekten Gegenvorschlag ­ mit einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung die Kantone zu verpflichten, die Prämienverbilligung so zu regeln, dass diese jährlich einem Mindestanteil der Bruttokosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entspricht.

Inhalt der Initiative Die Prämien-Entlastungs-Initiative fordert, dass die Versicherten höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden müssen. Die Prämienverbilligung soll zu mindestens zwei Drittel durch den Bund und zum verbleibenden Betrag durch die Kantone finanziert werden.

Vorzüge und Mängel der Initiative Heute verpflichtet das Bundesgesetz über die Krankenversicherung die Kantone, die Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen zu verbilligen. Der Bund gewährt den Kantonen dazu einen Beitrag. Im Jahr 2020 haben der Bund die Prämien mit 2,9 Milliarden Franken und die Kantone mit 2,6 Milliarden Franken verbilligt.

Der Bundesrat kann das Anliegen der Initiative, die Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen zu entlasten, nachvollziehen. Er erachtet es als problematisch, dass mehrere Kantone ihren Anteil an der Finanzierung der Prämienverbilligung in den letzten Jahren gesenkt haben.

Der Bund müsste jedoch bedeutend mehr Mittel zur Verfügung stellen als bisher, da er mindestens zwei Drittel der Prämienverbilligung finanzieren müsste. Damit müsste er auch für Kosten aufkommen, die von den Kantonen beeinflusst werden können. Die Kantone beeinflussen über ihre Spitalplanung die Spitalkosten und über die Steuerung der Zulassung von Leistungserbringern die ambulanten Kosten. Weil die Prämien zudem stärker steigen als die Einkommen, führt die Initiative rasch zu hohen Mehrkosten für Bund und Kantone. Die Initiative konzentriert sich weiter ausschliesslich auf die Finanzierung. Die Kosten müssen jedoch auch gedämpft werden.

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt, die Prämien-Entlastungs-Initiative abzulehnen und einer Änderung des Bundesgesetzes
über die Krankenversicherung als indirektem Gegenvorschlag zuzustimmen. Die Kantone sollen verpflichtet werden, die Prämienverbilligung so zu regeln, dass sie einem Mindestanteil der Bruttokosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im betreffenden Kanton entspricht. Damit erhalten die Kantone einen Anreiz, ihre Bruttokosten zu dämpfen. Die Höhe des Anteils soll davon

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abhängen, wie stark die verbilligten Prämien die Versicherten mit den untersten Einkommen im betreffenden Kanton belasten. Die Kantone sollen weiterhin bestimmen können, wie sie die Prämienverbilligung ausgestalten.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2

1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

6 6 6 7

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Prämien 2.1.1 Geltendes Recht 2.1.2 Daten 2.1.3 Prämienausstände 2.2 Prämienverbilligung 2.2.1 Versicherte, deren Prämien die Kantone verbilligen 2.2.2 Bundesbeitrag für die Prämienverbilligung 2.2.3 Versicherte, deren Prämien nur vom Bund verbilligt werden 2.2.4 Datengrundlagen 2.3 Politisches Umfeld der Prämienverbilligung 2.3.1 Ausgangslage 2.3.2 Postulat 17.3880 Humbel «Überprüfung der Finanzierung der Prämienverbilligung» 2.3.3 Projekt Aufgabenteilung II

7 7 7 8 9 10 10 10

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes 3.3.1 Anspruch auf Prämienverbilligung 3.3.2 Finanzierung der Prämienverbilligung

15 15 15 16 16 16

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.2.1 Kostenschätzung 4.2.2 Auswirkungen auf den Bund 4.2.3 Auswirkungen auf die Kantone 4.2.4 Auswirkungen auf die Versicherten und die Gesellschaft 4.2.5 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

17 17 17 17 20 20 23 24 24 25

5

Schlussfolgerungen

26

6

Indirekter Gegenvorschlag

26

4 / 40

11 11 13 13 14 14

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6.1

6.2 6.3 6.4

6.5

Vorverfahren, insbes. Vernehmlassungsverfahren 6.1.1 Vernehmlassungsvorlage 6.1.2 Ergebnisse der Vernehmlassung Grundzüge der Vorlage Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen Auswirkungen 6.4.1 Auswirkungen auf den Bund 6.4.2 Auswirkungen auf die Kantone 6.4.3 Auswirkungen auf die Versicherten und die Gesellschaft 6.4.4 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft Rechtliche Aspekte 6.5.1 Verfassungsmässigkeit 6.5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.5.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 6.5.4 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 6.5.5 Einhaltung des Subventionsgesetzes 6.5.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

26 26 27 28 30 32 32 32 38 38 39 39 39 39 39 40 40

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» (Entwurf)

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Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) (Prämienverbilligung) (Entwurf)

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 117 Abs. 32 Versicherte haben Anspruch auf eine Verbilligung der Krankenversicherungsprämien. Die von den Versicherten zu übernehmenden Prämien betragen höchstens zehn Prozent des verfügbaren Einkommens. Die Prämienverbilligung wird zu mindestens zwei Dritteln durch den Bund und im verbleibenden Betrag durch die Kantone finanziert.

3

Art. 197 Ziff. 123 12. Übergangsbestimmung zu Art. 117 Abs. 3 (Verbilligung der Krankenversicherungsprämien) Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 117 Absatz 3 drei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Prämien-Entlastungs-Initiative wurde am 12. Februar 2019 von der Bundeskanzlei vorgeprüft4 und am 23. Januar 2020 eingereicht. Mit Verfügung vom 25. Februar 2020 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 101 780 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.5

1 2

3 4 5

SR 101 Die endgültige Nummerierung dieses Absatzes wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; dabei stimmt diese die Nummerierung ab auf die anderen geltenden Bestimmungen der Bundesverfassung und nimmt, wenn eine Anpassung der Nummerierung nötig ist, diese im ganzen Text der Initiative vor.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2019 1756 BBl 2020 1740

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Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20026 (ParlG) und unter Berücksichtigung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung vom 20. März 20207 über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren hat der Bundesrat bis zum 3. Oktober 2021 die Entwürfe für einen Bundesbeschluss und einen Erlass sowie eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung muss bis zum 3. Oktober 2022 über die Abstimmungsempfehlung beschliessen (Art. 100 ParlG). Sie kann die Behandlungsfrist um ein Jahr verlängern, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 105 ParlG erfüllt sind.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)8: a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Prämien

2.1.1

Geltendes Recht

Das Bundesgesetz vom 18. März 19949 über die Krankenversicherung (KVG) verpflichtet den Versicherer, von seinen Versicherten grundsätzlich die gleichen Prämien zu erheben. Er stuft sie gemäss den kantonalen Kostenunterschieden ab. Er kann sie regional abstufen. Für Kinder und für junge Erwachsene setzt er eine tiefere Prämie fest als für die übrigen Versicherten. Die Prämie für Kinder muss tiefer sein als diejenige für junge Erwachsene (Art. 61 Abs. 1­3 KVG).

6 7 8 9

SR 171.10 AS 2020 847 SR 101 SR 832.10

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2.1.2

Daten

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verwendete bis 2017 die Standardprämie als Kennzahl, um die Prämienentwicklung zu beurteilen. Es berechnet sie aus den Prämien für eine Versicherung mit Unfalldeckung, ohne besondere Versicherungsform nach Artikel 62 KVG (Versicherung mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers, Wahlfranchisen). Das heisst, für Erwachsene wird eine Franchise von 300 Franken angenommen (Art. 64 Abs. 3 KVG, Art. 103 Abs. 1 Verordnung vom 27. Juni 199510 über die Krankenversicherung, KVV). Für Kinder wird keine Franchise angenommen (Art. 64 Abs. 4 KVG). Um die Standardprämien zu berechnen, gewichtet das BAG die Prämien mit den regionalen Beständen je Versicherer des Vorvorjahres. Zum Beispiel gewichtet es die Prämien 2021 mit den regionalen Beständen 2019, da dies die letzten erhobenen Bestände bei der Berechnung der Standardprämie 2021 im Herbst 2020 sind.

Allerdings hat die Standardprämie in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren, denn sie wird nur noch von einer Minderheit der Versicherten bezahlt.

Tabelle 1 Entwicklung Auswahl der Versicherten ab 19 Jahren für das Standardmodell und alternative Modelle 2010

2020

Anteil Versicherte ohne besondere Versicherungsform, das heisst ohne eingeschränkte Wahl des Leistungserbringers und mit Franchise 300 Franken

27,5 %

14,8 %

Anteil Versicherte ohne eingeschränkte Wahl des Leistungserbringers mit Wahlfranchise

26,9 %

11,2 %

Anteil Versicherte mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers und Franchise 300 Franken

16,6 %

29,2 %

Anteil Versicherte mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers und Wahlfranchise

29 %

44,8 %

Quelle: BAG, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 7.08 und Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2010, Tabelle 11.0811.

Seit 2018 verwendet das BAG deshalb auch die mittlere Prämie als Kennzahl. Diese erfasst auch die Prämien der besonderen Versicherungsformen. Das BAG berechnet den Durchschnitt über alle Prämien. Dazu schätzt und gewichtet es die Verteilung der Versicherten auf die verschiedenen Prämien.

10 11

SR 832.102 Abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Zahlen und Statistiken > Krankenversicherung > Statistik der obligatorischen Krankenversicherung.

8 / 40

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Sowohl die Standardprämie wie die mittlere Prämie sind infolge der steigenden Kosten in den letzten Jahren gewachsen. Dieses Wachstum kann demjenigen der Nominallöhne gegenübergestellt werden: Tabelle 2 Entwicklung der Prämien von Erwachsenen und der Löhne in verschiedenen Zeitabschnitten 2015­2020

2010­2020

Standardprämie

3,2 %

3,2 %

Mittlere Prämie

3,0 %

2,9 %

Nominallöhne

0,7 %

0,7 %

Quellen: BAG, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung, Tabellen 8.01 & 8.08; Bundesamt für Statistik (BFS), Entwicklung der Nominallöhne, der Konsumentenpreise und der Reallöhne12.

Eine Auswertung, die das BAG im Jahr 2021 erstellen liess, hat ergeben, dass die Prämien der Kinder, jungen Erwachsenen und Erwachsenen bis 65 Jahre, deren Prämien verbilligt werden, deutlich näher bei der mittleren als bei der Standardprämie liegen. Die Auswertung zeigt weiter, dass sich die Prämien der Kinder, jungen Erwachsenen und Erwachsenen bis 65 Jahre mit tiefen Einkommen kaum von denjenigen mit hohen Einkommen unterscheiden. Ebenso unterscheiden sich deren Prämien kaum von den Prämien, die nicht verbilligt werden. Nur die Prämien der über 65-jährigen Versicherten liegen näher bei der Standardprämie.

2.1.3

Prämienausstände

Das KVG verpflichtet die Kantone, den Versicherern 85 Prozent der Verlustscheinforderungen zu vergüten (Art. 64a KVG).

Im Jahr 2020 haben die Versicherer rund 394 000 Versicherte für ausstehende Prämien und Kostenbeteiligungen betrieben. Zudem hatten die Kantone, die damals Listen säumiger Prämienzahlerinnen und -zahler führten, rund 29 000 Versicherte auf ihren Listen erfasst.13 Im Jahr 2020 haben die Kantone den Versicherern rund 377 Millionen Franken für Verlustscheinforderungen von rund 160 000 Versicherten bezahlt.14

12 13 14

Abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > 03 ­ Arbeit und Erwerb > Löhne, Erwerbseinkommen und Arbeitskosten.

Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 7.11.

Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 4.10.

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2.2

Prämienverbilligung

2.2.1

Versicherte, deren Prämien die Kantone verbilligen

Die Kantone unterstützen verschiedene Kategorien von Versicherten mit Prämienverbilligung. Zu unterscheiden sind: ­

Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen

Das KVG verpflichtet die Kantone, die Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen zu verbilligen. Für untere und mittlere Einkommen müssen sie die Prämien der Kinder um mindestens 80 Prozent und die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 50 Prozent verbilligen (Art. 65 Abs. 1 und 1bis KVG).

­

Versicherte, die Ergänzungsleistungen beziehen

Das Bundesgesetz vom 6. Oktober 200615 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) sieht vor, dass allen Bezügerinnen und Bezügern ein jährlicher Pauschalbetrag für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) als Ausgabe anerkannt wird. Dieser Pauschalbetrag entspricht der kantonalen beziehungsweise regionalen Durchschnittsprämie für die OKP, aber höchstens der tatsächlichen Prämie (Art. 10 Abs. 3 Bst. d ELG). Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) legt jährlich den Betrag der Durchschnittsprämie fest, zuletzt in der Verordnung vom 14. Juni 202116 über die Durchschnittsprämien 2021 der Krankenpflegeversicherung für die Berechnung der Ergänzungsleistungen (EL) und der Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose. Der Bund beteiligt sich im Rahmen der EL nicht an diesem Betrag (Art. 39 Abs. 4 Verordnung vom 15. Jan. 197117 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung).

­

Versicherte, die Sozialhilfe beziehen

Die Sozialhilfe richtet sich grundsätzlich nach kantonalem Recht. Da Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, haben sie Anspruch auf Prämienverbilligung. Die Sozialhilfe berücksichtigt in der Regel den Teil der Prämie, den die unterstützte Person selber bezahlen muss, in deren Unterstützungsbudget als Aufwand.18

2.2.2

Bundesbeitrag für die Prämienverbilligung

Der Bund gewährt den Kantonen jährlich einen Beitrag zur Prämienverbilligung. Dieser entspricht 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP. Der Bundesrat setzt die Anteile der einzelnen Kantone nach deren Wohnbevölkerung zuzüglich Grenzgängerinnen und Grenzgänger und deren Familienangehörige fest (Art. 66 KVG).

15 16 17 18

SR 831.30 SR 831.309.1 SR 831.301 Vgl. Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Version vom 1. Jan. 2021, Kapitel C.5. Die Richtlinien sind abrufbar unter https://rl.skos.ch.

10 / 40

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Er hat die Ermittlung des Bundesbeitrages und dessen Aufteilung auf die Kantone in der Verordnung vom 7. November 200719 über den Bundesbeitrag zur Prämienverbilligung in der Krankenversicherung (VPVK) geregelt. Diese Verordnung sieht vor, dass der Bundesbeitrag jeweils im Herbst für das kommende Jahr berechnet wird.

Dazu werden die Bruttokosten des folgenden Jahres geschätzt. Das EDI veröffentlicht im Oktober die Aufteilung des Bundesbeitrags auf die Kantone für das folgende Jahr.

Der Bundesbeitrag wird im jeweiligen Jahr in drei Raten ausbezahlt (Art. 3 Abs. 5 und Art. 4 VPVK).

2.2.3

Versicherte, deren Prämien nur vom Bund verbilligt werden

Der Bund hat im 2020 die Prämien von rund 630 Personen, die eine schweizerische Rente beziehen und in der Europäischen Union, in Island oder Norwegen wohnen, mit rund 0,9 Millionen Franken verbilligt (Art. 66a KVG).20 Diese Prämienverbilligung wird in den Daten und Schätzungen zu den finanziellen Auswirkungen der Initiative und des Gegenvorschlags nicht berücksichtigt, weil ihr Betrag vernachlässigbar ist.

2.2.4

Datengrundlagen

Beiträge von Bund und Kantonen Im Jahr 2020 haben Bund und Kantone die Prämien mit 5,5 Milliarden Franken verbilligt, wobei der Bund 2,9 Milliarden und die Kantone 2,6 Milliarden Franken beigetragen haben. Die Anteile der Kantone liegen zwischen 12,2 (AI) und 66,7 (GE) Prozent (Kantons- + Bundesbeitrag = 100 Prozent). Im Durchschnitt haben die Kantone 47,9 Prozent beigetragen. Im Jahr 2010 betrug der Anteil der Kantone rund 50 Prozent. Damals wurden die Prämien von knapp 30 Prozent der Versicherten verbilligt. Im Jahr 2020 ist dieser Wert auf 27,6 Prozent gesunken.21

19 20

21

SR 832.112.4 Anzahl Personen gemäss Meldung der Gemeinsamen Einrichtung KVG an das BAG, Betrag vgl. Geschäftsbericht 2020 der Gemeinsamen Einrichtung KVG. Der Geschäftsbericht ist abrufbar unter www.kvg.org > Über uns > Geschäftsbericht.

Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabellen 4.01 und 4.07.

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Tabelle 3 Entwicklung Bundes- und Kantonsbeiträge zwischen 2010 und 2020 in Millionen Franken und jährliches durchschnittliches Wachstum in Prozent 2010

2020

durchschnittliches jährliches Wachstum

Bund

Kanton

Bund

Kanton

Bund

Kanton

ZH

345,1

369,3

504,3

371,1

3,9 %

0,1 %

BE

249,1

287,8

343,2

278,2

3,3 %

­ 0,3 %

LU

93,7

72,2

132,4

56,1

3,5 %

­ 2,5 %

UR

8,9

4,3

12,0

3,6

3,0 %

­ 1,8 %

SZ

36,3

12,2

52,3

18,4

3,7 %

4,2 %

OW

8,7

9,0

12,3

5,1

3,5 %

­ 5,4 %

NW

10,2

7,2

14,3

2,2

3,4 %

­11,3 %

GL

9,8

5,1

13,4

6,0

3,2 %

1,6 %

ZG

28,2

14,4

41,7

18,8

4,0 %

2,7 %

FR

68,7

76,5

105,2

77,9

4,4 %

0,2 %

SO

64,1

60,5

90,5

68,6

3,5 %

1,3 %

BS

49,5

82,7

71,3

134,9

3,7 %

5%

BL

69,2

51,9

98,7

49,4

3,6 %

­ 0,5 %

SH

19,6

21,8

28,2

27,8

3,7 %

2,5 %

AR

13,4

10,5

18,3

11,5

3,2 %

0,9 %

AI

3,9

1,6

5,4

0,7

3,2 %

­ 7,4 %

SG

120,3

54,8

168,3

58,8

3,4 %

0,7 %

GR

49,3

30,3

65,7

52,3

2,9 %

5,6 %

AG

150,9

70,8

225,7

116,4

4,1 %

5,1 %

TG

61,8

57,6

92,5

50,7

4,1 %

­ 1,3 %

TI

84,8

165,1

117,4

192,1

3,3 %

1,5 %

VD

176,6

219,2

265,1

498,5

4,1 %

8,6 %

VS

76,9

94,7

113,9

76,1

4%

­ 2,2 %

NE

43,7

45,0

59,1

66,1

3,1 %

3,9 %

GE

115,3

158,2

173,9

348

4,2 %

8,2 %

JU

17,5

21,6

24,5

25,8

3,4 %

1,8 %

CH

1 975,5

2 004,3

2 849,4

2 615,2

3,7 %

2,7 %

Quelle: BAG, Portal Statistik der obligatorischen Krankenversicherung, Tabelle 4.19.

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Monitoring über die Wirksamkeit der Prämienverbilligung Das BAG veröffentlicht alle drei bis vier Jahre einen Bericht zur sozialpolitischen Wirksamkeit der Prämienverbilligung (Monitoring).22 Dabei wird für sieben Modellhaushalte die nach der Verbilligung verbleibende Prämienbelastung im Verhältnis zu einem bestimmten Einkommen je Kanton berechnet. Untersucht werden Modellhaushalte in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen ohne Anspruch auf EL und Sozialhilfe. Dabei wird die Standardprämie verwendet. Das letzte umfassende Monitoring stellt auf Daten des Jahres 2017 ab. Es kommt zum Schluss, dass die verbleibende Prämienbelastung angestiegen ist.

Im Jahr 2020 liess das BAG ein Monitoring auf den Daten des Jahres 2019 erstellen, um über aktuellere Daten zu verfügen. Dieses verwendet die gleichen Modellhaushalte wie die vorangehenden Monitorings, ist jedoch weniger umfassend. Die verbleibende Prämienbelastung über alle Modellhaushalte und Kantone blieb im Vergleich zum Monitoring 2017 unverändert.

Bundesgerichtsurteil zum Kanton Luzern Am 22. Januar 2019 entschied das Bundesgericht, dass die vom Kanton Luzern für die Verbilligung der Prämien von Kindern und jungen Erwachsenen in Ausbildung für 2017 festgelegte Einkommensgrenze Artikel 65 Absatz 1bis KVG widerspricht.23 Die Kantone müssen die Prämien dieser Versichertengruppen nicht nur bei unteren, sondern auch bei mittleren Einkommen verbilligen. Gestützt auf dieses Urteil beschlossen mehrere Kantone, die Prämien dieser Versichertengruppen stärker zu verbilligen.

Prämienverbilligung für Versicherte, die EL oder Sozialhilfe beziehen Im Jahr 2020 wurden von den 5,5 Milliarden Franken, welche zur Verbilligung der Prämien aufgewendet wurde, 3 Milliarden für die Prämienverbilligung von EL- und Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern verwendet.24 Somit blieben 2,5 Milliarden Franken, um die Prämien der übrigen Versicherten zu verbilligen. Dieser Betrag entsprach im Jahr 2020 46 Prozent der gesamten Prämienverbilligung. Im Jahr 2010 betrug dieser Anteil noch 56 Prozent.

2.3

Politisches Umfeld der Prämienverbilligung

2.3.1

Ausgangslage

Die eidgenössischen Räte gewährten den Kantonen bei der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA), die 2008 in Kraft getreten ist, bewusst einen grossen Handlungsspielraum, um zu entscheiden, wie stark und zugunsten welcher Versicherten sie die Prämien verbilligen. Damit 22

23 24

Die Monitoring-Berichte sind abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > In der Schweiz wohnhafte Versicherte > Prämienverbilligung > Monitoring Prämienverbilligung.

BGE 145 I 26 Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 4.06.

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wollten sie den Kantonen ermöglichen, Prämienverbilligungen, EL, Sozialhilfe und Steuern, für die weitgehend sie zuständig sind, optimal aufeinander abzustimmen.

Dies hat der Bundesrat in seinen Antworten auf mehrere Vorstösse dargelegt: In seiner Antwort vom 2. September 2015 auf die Interpellation Rechsteiner 15.3783 «Krankenkassenprämien. Verbesserungen bei den Prämienverbilligungen» erklärt der Bundesrat, dass er die Entwicklung der Prämienverbilligung beobachtet. Er hält eine über die Jahre grösser werdende Differenz zwischen seinem Anteil und dem Kantonsanteil, wie dies in den vorangehenden Jahren beobachtet werden konnte, für nicht wünschbar. Diese Aussage bestätigt er in seiner Antwort vom 15. Mai 2019 auf die Interpellation Sozialdemokratische Fraktion 19.3023 «Individuelle Prämienverbilligung. Bundesgerichtsurteil gibt den Weg vor».

In seinen Stellungnahmen vom 31. August 2016 auf die Motionen Maury Pasquier 16.3494 und Sozialdemokratische Fraktion 16.3498 «Prämien für die obligatorische Krankenversicherung. Höchstens 10 Prozent des Haushaltsbudgets!» geht der Bundesrat davon aus, dass die Kantone weiterhin einen angemessenen Beitrag an die Prämienverbilligung leisten.

In seiner Stellungnahme vom 21. August 2019 auf die Motion Arslan 19.3920 «Faire Prämienverbilligungsbeiträge der Kantone» hält der Bundesrat fest, dass beim NFA von einer etwa je hälftigen finanziellen Beteiligung von Bund und Kantonen ausgegangen wurde. Somit bewertet er die Abnahme der kantonalen Beiträge als problematisch.

2.3.2

Postulat 17.3880 Humbel «Überprüfung der Finanzierung der Prämienverbilligung»

Am 29. September 2017 reichte Nationalrätin Ruth Humbel das Postulat 17.3880 «Überprüfung der Finanzierung der Prämienverbilligung» ein. Der Nationalrat ist dem Antrag des Bundesrates gefolgt und hat es am 15. Dezember 2017 angenommen.

Damit wurde der Bundesrat beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Finanzierung der Prämienverbilligung durch Bund und Kantone effektiver und ausgewogener gestaltet werden kann. Dabei sollte auch ein Modell geprüft werden, das vorsieht, den Bundesanteil an den Finanzierungsbeitrag des Kantons zu knüpfen. Der Bundesrat hat den Bericht in Erfüllung dieses Postulates am 20. Mai 2020 verabschiedet.25

2.3.3

Projekt Aufgabenteilung II

Im Sommer 2019 haben Bund und Kantone ein Mandat für eine Überprüfung der Aufgabenteilung und Finanzierungsverantwortung Bund-Kantone («Aufgabenteilung II») verabschiedet. In diesem Projekt war eine Entflechtung der Prämienverbilligung zu prüfen. Im Vordergrund stand dabei eine Verschiebung der Prämienverbilligung zu den Kantonen.

25

Abrufbar unter: www.parlament.ch > 17.3880 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Die Covid-19-Krise hat dazu geführt, dass sich die politischen Prioritäten kurz nach Projektbeginn verschoben haben. Der Bundesrat und die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) haben daher beschlossen, das Projekt «Aufgabenteilung II» zu sistieren. Über eine Wiederaufnahme und eine allfällige Anpassung des Mandats soll bis Mitte 2023 entschieden werden.26

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Das Initiativkomitee hält auf seiner Website27 fest, dass es mit seiner Initiative die Prämienlast begrenzen will. Denn viele Versicherte könnten ihre Prämien nicht mehr bezahlen. Die Initiative lege gerechtere und sozialere Regeln fest. Gerechter, weil die Prämien in allen Kantonen gleich verbilligt werden. Sozialer, weil die Prämienverbilligungen mit Steuergeldern finanziert werden und die unsozialen Kopfprämien abfedern. Die heutigen Einheitsprämien werden als unsolidarisch und unsozial erachtet.

Das Initiativkomitee weist darauf hin, dass viele Versicherte hohe Franchisen wählen, um weniger Prämien zu bezahlen. Es geht davon aus, dass 10­20 Prozent der Versicherten sich aus finanziellen Gründen nicht ärztlich behandeln lassen. Indem die Initiative die Prämienbelastung begrenze, gewährleiste sie den Zugang zur Gesundheitsversorgung für diese Personen.

Das Initiativkomitee geht davon aus, dass mehr Mittel für die Prämienverbilligung zur Verfügung gestellt werden müssen. Bund und Kantone würden mit der Initiative stärker in die Verantwortung genommen und hätten mehr Anreiz, die Kosten zu dämpfen.

Den Kantonen würde verunmöglicht, ihre Mittel für die Prämienverbilligung übermässig abzubauen. Die Initiative verhindere, dass in Kantonen, in denen viele Personen EL oder Sozialhilfe beziehen, nur noch wenig Mittel bleiben, um die Prämien der übrigen Versicherten zu verbilligen.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die BV ermächtigt den Bund, Vorschriften über die Kranken- und die Unfallversicherung zu erlassen. Er kann die Kranken- und die Unfallversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären (Art. 117 Abs. 1 und 2 BV).

Die Initiative sieht einen zusätzlichen Absatz 3 vor, der festlegt, dass die Versicherten Anspruch auf eine Verbilligung der Krankenversicherungsprämie haben. Eine versicherte Person soll höchstens zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden. Die Initiative überlässt es dem Gesetzgeber zu umschreiben, was unter «zu übernehmenden Prämien» und unter «verfügbarem Einkommen» zu verstehen ist.

26 27

Medienmitteilung des Bundesrates vom 19. März 2021, abrufbar unter: www.admin.ch > Der Bundesrat > Dokumentation > Medienmitteilungen https://bezahlbare-praemien.ch (Stand am 12. Juli 2021)

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Weiter sieht die Initiative vor, dass die Prämienverbilligung zu mindestens zwei Dritteln durch den Bund und im verbleibenden Betrag durch die Kantone finanziert wird.

Sie überlässt es dem Gesetzgeber festzulegen, wie der Bundesbeitrag auf die Kantone verteilt wird.

Die Übergangsbestimmung ermächtigt den Bundesrat, die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg zu erlassen, wenn die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 117 Absatz 3 BV drei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten ist.

3.3

Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

3.3.1

Anspruch auf Prämienverbilligung

Versicherte sollen Anspruch auf eine Verbilligung der Krankenversicherungsprämien haben, wenn ihre Prämien 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens übersteigen. Die Prämien sollen in der ganzen Schweiz einheitlich verbilligt werden. Da die Kantone mitfinanzieren, ist davon auszugehen, dass sie die Prämienverbilligung weiterhin vollziehen. Ob der Bund das Verfahren vorschreibt oder den Kantonen überlässt, wird offengelassen.

Die Initiative äussert sich weder zu den Personen, die EL beziehen, noch zu den Versicherten, die in der EU leben. Somit kann angenommen werden, dass auch sie Anspruch auf Prämienverbilligung gemäss Initiative haben sollen.

3.3.2

Finanzierung der Prämienverbilligung

Der Bund soll mindestens zwei Drittel der Prämienverbilligung und die Kantone den Restbetrag übernehmen. Die Initiative lässt offen, wie und wann der Bundesbeitrag ermittelt und ausbezahlt wird. Denkbar ist, dass er wie heute im Herbst aufgrund einer Schätzung für das Folgejahr festgelegt wird. Allerdings wäre diese Schätzung schwieriger, weil sie nicht nur von den Bruttokosten abhängt. Auch die Einkommen der Versicherten müssten geschätzt werden.

Die Initiative lässt auch offen, wie der Bund seinen Beitrag auf die Kantone verteilt.

Denkbar ist, dass er ihn wie heute nach der Wohnbevölkerung verteilt. Damit würde er bei Kantonen mit tiefen Kosten je versicherte Person mehr als zwei Drittel der Kosten und bei Kantonen mit hohen Kosten je versicherte Person weniger als zwei Drittel der Kosten beitragen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Bund jedem Kanton zwei Drittel seiner (voraussichtlichen) Prämienverbilligungen vergütet.

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4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Der Monitoring-Bericht (vgl. Ziff. 2.2.4) zeigt, dass die Prämienbelastung der Modellhaushalte hoch ist. Die Belastung kann insbesondere für den Mittelstand hoch ausfallen, wenn ein Kanton dessen Prämien nicht oder nur sehr beschränkt verbilligt.

Der Bundesrat hat am 28. Juni 2017 den Bericht «Kostenbeteiligung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» in Erfüllung des Postulats 13.3250 SchmidFederer » verabschiedet.28 Darin wird ausgeführt, dass eine Studie des Beratungsbüros B,S,S29 und die Analyse der Erhebung «International Health Policy Survey (IHP)» der Stiftung Commonwealth Fund der IHP Survey ergeben haben, dass der Anteil der Personen, der aus Kostengründen auf medizinisch notwendige Leistungen verzichtet, im einstelligen Prozentbereich liegt. Generell auf medizinische Leistungen verzichten hingegen etwa 10­20 Prozent, wobei hohe Franchisen und tiefes Einkommen die Wahrscheinlichkeit auf medizinischen Leistungsverzicht erhöhen.30 In den letzten Jahren ist der Betrag je Betreibung, welche die Versicherer eingeleitet haben, gestiegen. Zahlreiche Versicherte sind zudem auf einer Liste säumiger Prämienzahlerinnen und Prämienzahler erfasst.31 Die Gründe für die beschriebene Entwicklung liegen nicht nur darin, dass die Kosten in den vergangenen Jahren stetig gestiegen sind. Vielmehr haben mehrere Kantone auch ihren Anteil an der Prämienverbilligung über die Jahre deutlich gesenkt. Das Anliegen der Initiative, die Prämienbelastung der Versicherten zu begrenzen, ist somit im Grundsatz berechtigt. Allerdings sollten die Finanzierungslasten nicht einfach von den Kantonen auf den Bund übertragen werden; dies stellt keine überzeugende Antwort auf den teilweisen Rückzug einiger Kantone aus der Finanzierung der Prämienverbilligung dar. Zur Dämpfung der Kostenentwicklung hat der Bund überdies ein umfassendes Kostendämpfungsprogramm erarbeitet.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Kostenschätzung

Die Auswirkungen der Initiative wurden für die Vernehmlassung zum Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag (vgl. Ziff. 6.1.1) mit Daten des BFS geschätzt.

In dieser Botschaft werden sie nun mit Einkommensdaten der Eidgenössischen 28

29

30 31

Bericht des Bundesrates vom 28. Juni 2017 «Kostenbeteiligung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung», abrufbar unter: www.parlament.ch > 13.3250 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung und Universität Bern (2017), Leistungsverzicht und Wechselverhalten der OKP-Versicherten im Zusammenhang mit der Wahlfranchise.

Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit, abrufbar unter: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > abgeschlossene Neuerungen und Revisionen > Kostenbeteiligung.

Siehe Fussnote 28, S. 2.

Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 7.11.

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Steuerverwaltung (ESTV) für die direkte Bundessteuer geschätzt. Diese Daten liegen für verschiedene Haushaltstypen vor und bilden damit eine besser strukturierte Datenbasis.

Das in der Initiative genannte verfügbare Einkommen soll aus den zur Verfügung stehenden steuerbaren Einkommen hergeleitet werden. Dafür müssen verschiedene Annahmen getroffen werden, beispielsweise hinsichtlich der in den Steuerdaten nicht ersichtlichen Abzügen von effektiven Kosten (Berufsauslagen, Liegenschaftsunterhalt usw.) oder Einkäufen in die Pensionskasse. Zudem wird angenommen, dass gewisse Haushalte ein bestimmtes Vermögen besitzen. Wegen diesen Unsicherheiten wird für die Schätzungen eine Bandbreite angegeben. Weiter wird für die Schätzung der Prämienverbilligungen zugunsten der EL- und Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger vereinfachend davon ausgegangen, dass diese prozentual gleich wie die Bruttokosten der OKP zunehmen.

Da die Versicherten bei einer Annahme der Initiative höchstens 10 Prozent ihres Einkommens für die Prämien aufwenden müssen, haben sie ­ je nach Umsetzung der Initiative ­ weniger Anreiz, besondere Versicherungsformen abzuschliessen. Deshalb werden die Auswirkungen der Initiative mit der Standardprämie geschätzt.

Gemäss einer solchen Kostenschätzung hätte die Initiative im Jahr 2020 zu Mehrkosten von 4,5 Milliarden Franken für Bund und Kantone geführt, dies innerhalb einer Bandbreite zwischen 3,5 und 5 Milliarden Franken. Die Mehrkosten liegen in der Grössenordnung der Schätzungen des Initiativkomitees. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat die Mehrkosten im Auftrag des Initiativkomitees, basierend auf der Standardprämie und den Zahlen des Jahres 2016, auf 3,2­4 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt.32 Initiativkomitee und SGB äussern sich nicht zur Kostenentwicklung im Verlaufe der Zeit.

Die Umsetzung der Initiative kann wohl frühestens auf den 1. Januar 2024 in Kraft treten. Für die Hochrechnung der Mehrkosten wird auf die Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen des Eidgenössischen Finanzdepartements abgestellt. Diese gehen davon aus, dass die OKP-Kosten 3,5 Prozent und das Bruttoinlandprodukt (BIP) 2,5 Prozent jährlich wachsen. Die Differenz zwischen beiden Wachstumsraten beträgt somit 1 Prozentpunkt. Diese Annahme wird im Hauptszenario für die Schätzung der Kosten der
Initiative übernommen (Szenario 1, schwarze Linie in der Abbildung 1).

In den letzten Jahren sind die OKP-Kosten indessen jährlich durchschnittlich um etwa 2 Prozentpunkte stärker als das BIP gewachsen. Deshalb wird ein zweites Szenario mit diesem Wert berechnet (Szenario 2, graue Linie).

Die der Schätzung zugrundeliegenden Faktoren für das Basisjahr 2020 sind unsicher.

Deshalb stellt die graue Fläche zusätzlich die mögliche Bandbreite der Mehrkosten dar. Dabei wird die untere Bandbreite, ausgehend von Mehrkosten von 3,5 Milliarden Franken im Jahr 2020, mit dem Wachstum der OKP-Kosten hochgerechnet, welches ein Prozent über dem BIP-Wachstum liegt. Die obere Bandbreite, ausgehend von 5 Milliarden Franken Mehrkosten im 2020, wird mit dem Wachstum der OKP-Kosten 32

Siehe dazu das Dossier 108 des SGB «Höhere Prämienverbilligungen gegen die Krankenkassen-Prämienlast» vom Januar 2015, abrufbar unter: www.sgb.ch > Publikationen > Dossier.

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hochgerechnet, welches zwei Prozent über dem BIP-Wachstum liegt. Mit diesen Bandbreiten sind somit das «günstigste» und das «teuerste» Szenario abgebildet.

Bei der Berechnung der Mehrkosten für die Kantone muss berücksichtigt werden, dass diese gemäss geltendem Recht über die Höhe ihrer Ausgaben für die Prämienverbilligung entscheiden. In den letzten Jahren haben einzelne Kantone ihre Prämienverbilligung erhöht, während andere sie gesenkt haben. Um die Berechnung der Mehrkosten zu vereinfachen, wird angenommen, dass jeder Kanton die von ihm im Jahr 2020 geleisteten Prämienverbilligungsbeiträge mit der Wachstumsrate der Kosten der OKP erhöhen wird.

Der Bundesbeitrag folgt dem Wachstum der Bruttokosten der OKP von Gesetzes wegen, da er 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP beträgt (Art. 66 KVG).

Indem sowohl die Kantons- als auch die Bundesbeiträge mit der Wachstumsrate der Kosten der OKP hochgerechnet werden, werden nur die durch die Initiative (und auch den Gegenvorschlag, vgl. Ziff. 6.4) bedingten Mehrkosten ausgewiesen. Das Wachstum der Kosten der OKP wird also berücksichtigt, ist jedoch in den Mehrkosten nicht enthalten.

Abbildung 1 Entwicklung der Mehrkosten der Initiative für Bund und Kantone in Milliarden Franken (bis 2023 nur illustrativ, da die Ausführungsbestimmungen der Initiative frühestens 2024 in Kraft treten würde)

Gemäss Szenario 1 werden für das Jahr 2030 Mehrkosten von 8,2 Milliarden Franken geschätzt.

Innerhalb der oben beschriebenen Bandbreiten für die Kostenentwicklung könnten die Mehrkosten im Jahr 2030 zwischen 7 und 11,7 Milliarden Franken betragen.

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4.2.2

Auswirkungen auf den Bund

Da der Bund gemäss der Initiative verpflichtet wäre, mindestens zwei Drittel der Prämienverbilligung zu finanzieren, müsste er den Grossteil der Mehrkosten übernehmen.

Abbildung 2 Entwicklung der Mehrkosten der Initiative für den Bund in Milliarden Franken (bis 2023 nur illustrativ, da die Ausführungsbestimmungen der Initiative frühestens 2024 in Kraft treten würde)

Gemäss Szenario 1 werden für das Jahr 2030 Mehrkosten von 6,5 Milliarden Franken geschätzt.

Innerhalb der beschriebenen Bandbreiten für die Kostenentwicklung könnten die Mehrkosten im Jahr 2030 zwischen 5,8 und 9 Milliarden Franken betragen.

Mehrkosten in dieser Grössenordnung können realistischer Weise nicht allein durch Minderausgaben finanziert werden. Je nach den Umständen bräuchte es auch Steuererhöhungen. Der Finanzierungsbedarf entspräche im Jahr 2024 gemäss Szenario 1 5,8 Prozent des gesamten Bundeshaushalts (80,8 Mrd. Fr. für 2024) oder 1,5 Mehrwertsteuerprozent-Äquivalenten (1 Mehrwertsteuerprozent entspricht rund 3,2 Mrd. Fr.).

4.2.3

Auswirkungen auf die Kantone

Die Initiative beauftragt den Bund, eine Ausführungsgesetzgebung zu erlassen. Dabei kann der Bundesgesetzgeber festlegen, welche Elemente einer einheitlichen Regelung bedürfen. Er kann den Kantonen mehr oder weniger Gestaltungsmöglichkeiten einräumen. Bei einer Annahme der Initiative könnten die Kantone die Prämienverbilligung weniger frei als heute ausgestalten und auf ihre anderen Sozialleistungen 20 / 40

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abstimmen. Sie müssten bis zu einem Drittel der Kosten tragen. Das BAG geht bei seinen Schätzungen davon aus, dass die Kantone ein Drittel der Kosten tragen.

Der Gestaltungsspielraum der Kantone würde gegenüber heute eingeschränkt. Zugleich würden sie stärker verpflichtet, mitzufinanzieren.

Es ist möglich, dass die Kantone bei der Sozialhilfe entlastet würden, weil der Bund zwei Drittel der Prämienverbilligung bezahlen muss. Dazu bestehen keine Schätzungen.

Abbildung 3 Entwicklung der Mehrkosten der Initiative für die Kantone in Milliarden Franken (bis 2023 nur illustrativ, da die Ausführungsbestimmungen der Initiative frühestens 2024 in Kraft treten würde)

Für das Jahr 2030 ergäben sich Mehrkosten für die Kantone von 1,7 Milliarden Franken. Innerhalb der Bandbreite lägen die Mehrkosten für das Jahr 2030 zwischen 1,2 und 2,7 Milliarden Franken.

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Tabelle 4 Mehrkosten der Initiative für die Kantone in Millionen Franken und pro Kopf der Bevölkerung in Franken bei einer Einführung im Jahr 2024 2024: Mehrkosten der Initiative für die Kantone Prämienverbilligung 2024 (Kantons-anteil 2020 hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

pro Kopf33

ZH

425,9

145,9

95

BE

319,2

214

LU

64,4

206

59,1

142

UR

4,1

4,9

133

SZ

21,1

23,3

144

OW

5,9

4,4

116

NW

2,5

6

138

GL

6,9

7,2

175

ZG

21,5

3,9

31

FR

89,4

45,8

141

SO

78,7

43,5

157

BS

154,8

2,4

13

BL

56,7

93,7

324

SH

31,9

1,3

AR

13,2

6

107

15

AI

0,9

2,3

139

SG

67,5

117,2

229

GR

60,1

24,1

119

AG

133,5

85,1

123

TG

58,2

38,1

135

TI

220,4

24,7

71

VD

572,1

0

VS

87,4

80,2

33

0 228

Durchschnittlicher Versichertenbestand im Jahr 2020 gemäss der Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 7.14.

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2024: Mehrkosten der Initiative für die Kantone Prämienverbilligung 2024 (Kantons-anteil 2020 hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

pro Kopf33

NE

75,9

49,3

280

GE

399,4

0

0

JU

29,6

18,7

254

CH

3001

1101,1

128

4.2.4

Auswirkungen auf die Versicherten und die Gesellschaft

Versicherte, deren Prämienbelastung 10 Prozent des verfügbaren Einkommens übersteigt, würden bei einer Annahme der Initiative entlastet. Sie würden um denselben Betrag stärker entlastet, als Bund und Kantone stärker belastet würden. Da mehr Mittel ausgerichtet würden, würden entweder die Prämien von mehr Versicherten verbilligt oder die bisherigen Bezügerinnen und Bezüger stärker entlastet. Für die Versicherten, deren Referenzprämie höher als 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens liegt, würden künftig sämtliche Prämienerhöhungen weitgehend durch die Prämienverbilligung aufgefangen. Solange die Ausgaben für die OKP rascher steigen als die Löhne, führt eine Annahme der Initiative dazu, dass ein immer grösserer Anteil der Bevölkerung ein Anrecht auf Prämienverbilligung erhält. Längerfristig ist davon auszugehen, dass die mit der Initiative verankerte maximale Prämienbelastung von 10 Prozent bei fast allen Versicherten ­ mit Ausnahme der Bezügerinnen und Bezüger von sehr hohen Einkommen ­ überschritten wird.

Eine Annahme der Initiative würde weniger eine zusätzliche Unterstützung für den einkommensschwächsten Teil der Bevölkerung als eine Entlastung für den Mittelstand bringen. Dessen Prämienbelastung ist heute hoch.

Es ist davon auszugehen, dass Bund und Kantone die Mehrkosten nicht ohne Steuererhöhungen würden finanzieren können. Je nach deren Ausgestaltung können unterschiedliche Versichertengruppen betroffen sein.

Die Initiative sieht vor, dass die von den Versicherten zu übernehmenden Prämien höchstens 10 Prozent des verfügbaren Einkommens betragen. Den Personen, die EL beziehen, wird ihre Prämie ­ wie unter Ziffer 2.2.1 beschrieben ­ als Ausgabe anerkannt. Damit haben die meisten von ihnen keine Prämie «zu übernehmen», sodass sich eine Annahme der Initiative nicht auf sie auswirken würde. Kleine EL-Beträge werden mindestens auf den Betrag der Prämienverbilligung aufgerundet, die der Kanton für Personen festgelegt hat, die weder EL noch Sozialhilfe beziehen (Art. 9 Abs. 1 Bst. a ELG). Welchen Einfluss eine Annahme der Initiative für diese Personen hat, hängt davon ab, wie sie umgesetzt wird.

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Die Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen, die in der Europäischen Union, in Island oder Norwegen wohnen, haben Anspruch auf Prämienverbilligung gemäss Initiative.

Bund und Kantone können die Initiative auf verschiedene Arten umsetzen. Deshalb ist offen, wie viele Versicherte entlastet würden.

Je nachdem wie Bund und Kantone die Prämien und das verfügbare Einkommen festlegen, kann die Annahme der Initiative Auswirkungen auf die Wahl der besonderen Versicherungsformen haben: Bund und Kantone können die Initiative so umsetzen, dass höchstens die Prämie einer preisgünstigen Versicherung mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers bei einem preisgünstigen Versicherer verbilligt wird.

Damit würden aber viele Versicherten den Anreiz verlieren, eine höhere Franchise zu wählen. Ein kostenbewusstes Verhalten mit der Wahl einer höheren Franchise würde sich für sie nicht mehr lohnen.

4.2.5

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Der Mittelstand würde mit einer Annahme der Initiative bei den Prämien entlastet.

Bund und Kantone könnten die erheblichen Mehrkosten für die Prämienverbilligung aber nicht finanzieren, ohne zusätzliche Steuern zu erheben oder auf Ausgaben zu verzichten. Je nach Ausgestaltung der Steuererhöhungen oder des Ausgabenverzichts wirkt die Initiative unterschiedlich auf die Volkswirtschaft.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Die Initiative verpflichtet Bund und Kantone, mehr Mittel für die Prämienverbilligung zur Verfügung zu stellen. Diese müssten die Differenz zwischen der Entwicklung der Einkommen und der Kosten auffangen, soweit die Prämienbelastung 10 Prozent des Einkommens übersteigt. Ihre Höhe ist nicht nur von den Kosten der OKP, sondern auch von der wirtschaftlichen Lage der Versicherten abhängig.

Die Initiative entlastet die Versicherten bei den Prämien massiv. Gleichzeitig wäre aber insbesondere für den Bund, der mindestens zwei Drittel der Kosten tragen soll, die Mehrbelastung hoch. Sie nimmt überdies rasch zu, solange die Kosten der OKP stärker als die Löhne steigen. Damit steigen die Ausgaben des Bundes für die Prämienverbilligung rascher als seine Einnahmen. Der Bund müsste darauf mit Steuererhöhungen oder Sparprogrammen reagieren. Er muss auch für Kosten aufkommen, die stark von den Kantonen beeinflusst werden. So beeinflussen die Kantone über ihre Spitalplanung die Spitalkosten und über die Zulassungssteuerung die ambulanten Kosten.

Die Initiative sieht grundsätzlich einen gesamtschweizerisch einheitlichen Anspruch auf Prämienverbilligung vor. Die Bundesversammlung kann den Kantonen dabei mehr oder weniger Handlungsmöglichkeiten einräumen. Die Initiative greift aber in die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen ein.

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Die Initiative nimmt sich zudem nur der Finanzierungsseite an und blendet die Kostenfrage aus. Die Kostenseite muss jedoch auch betrachtet werden. Es ist zu befürchten, dass viele Versicherten das Verständnis für die Notwendigkeit einer Dämpfung des Kostenwachstums im Gesundheitswesen etwas verlieren, wenn die Kostensteigerung für sie kaum mehr direkt spürbar ist.

Am 21. August 2019 hat der Bundesrat eine Botschaft zur Teilrevision des KVG betreffend eines ersten Paketes von Massnahmen zur Kostendämpfung verabschiedet.34 Am 19. August 2020 gab er ein zweites Paket von Massnahmen als Gegenvorschlag zur Volksinitiative der Mitte «Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» in eine Vernehmlassung.35

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative muss insbesondere mit dem Abkommen vom 21. Juni 199936 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) und dem Übereinkommen vom 4. Januar 196037 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (EFTA-Übereinkommen) vereinbar sein. Anhang II zum FZA und Anhang K Anlage 2 zum EFTA-Übereinkommen führen aus, dass in der Schweiz im Verhältnis zu den EU- oder EFTA-Staaten das europäische Koordinationsrecht der EU betreffend die Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar ist. Dazu gehören insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 883/200438 sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/200939. Dieses Recht bezweckt im Hinblick auf die Garantie der Personenfreizügigkeit keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit.

Die Mitgliedstaaten können über die konkrete Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation der Systeme der sozialen Sicherheit weitgehend frei bestimmen. Dabei müssen sie jedoch die Koordinationsgrundsätze wie zum Beispiel das Diskriminierungsverbot, die Anrechnung der Versicherungszeiten und die grenzüberschreitende Leistungserbringung beachten.

Das Diskriminierungsverbot verlangt, dass die Versicherten, die in der EU oder EFTA wohnen und in der Schweiz versichert sind (EU-Versicherte), gleich behandelt 34 35

36 37 38

39

BBl 2019 6071 Die Vernehmlassungsunterlagen und der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind abrufbar unter: www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > EDI > Vernehmlassung 2020/45.

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1. Eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1. Eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.11.

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werden wie diejenigen, die in der Schweiz wohnen. Somit müssen auch die Prämien der EU-Versicherten verbilligt werden, soweit sie 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens übersteigen.

Das gilt für die EU-Versicherten, bei denen die Kantone gestützt auf Artikel 65a KVG für die Gewährung von Prämienverbilligung zuständig sind. Ebenso gilt es für die EUVersicherten, die eine schweizerische Rente beziehen, und für ihre Familienangehörigen, für die der Bund gestützt auf Artikel 66a KVG zuständig ist. Der Bundesrat hat diese Bestimmung in der Verordnung vom 3. Juli 200140 über die Prämienverbilligung in der Krankenversicherung für Rentner und Rentnerinnen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Island oder Norwegen wohnen, umgesetzt. Er müsste diese Verordnung den neuen Vorgaben anpassen. Es widerspricht nicht dem Diskriminierungsverbot, wenn bei den EU-Versicherten das Einkommen, wie bis anhin, im Verhältnis des Kaufkraftunterschiedes zwischen der Schweiz und dem Wohnland auf die Kaufkraft im Wohnland umgerechnet wird.

Die Initiative ist mit dem europäischen Recht vereinbar, sofern sie auf eine mit dem FZA und dem EFTA-Übereinkommen vereinbare Art umgesetzt wird.

5

Schlussfolgerungen

Das Anliegen der Initiative, die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten, ist im Grundsatz nachvollziehbar. Die Initiative ist für Bund und Kantone jedoch ohne Steuererhöhungen oder Sparmassnahmen an anderer Stelle nicht finanzierbar. Zudem trägt sie nicht zur Eindämmung der Kosten bei, sondern könnte das Kostenbewusstsein der Bevölkerung und das Verständnis für die Notwendigkeit von Kostendämpfungsmassnahmen verringern. Die Initiative würde damit die Anstrengungen des Bundes und der Kantone zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen unterlaufen. Die Mängel der Initiative überwiegen gegenüber ihren Vorzügen deutlich. Die Schaffung dieser zusätzlichen Verpflichtung des Bundes ist aus finanzpolitischer Sicht nicht zu verantworten.

6

Indirekter Gegenvorschlag

6.1

Vorverfahren, insbes. Vernehmlassungsverfahren

6.1.1

Vernehmlassungsvorlage

Der Bundesrat unterstützt das Anliegen der Initiative, die Bevölkerung bei den Prämien zu entlasten.

Der offen gefasste Artikel 117 BV gibt dem Bund die Möglichkeit, die Prämienverbilligung sinnvoll zu regeln. Eine zusätzliche Regelung auf Verfassungsstufe ist somit entbehrlich. Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, dem Parlament eine Änderung des KVG als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative zu unterbreiten.

40

SR 832.112.5

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In den letzten Jahren ist die Prämienbelastung gestiegen. Dies ist nebst den steigenden Kosten darauf zurückzuführen, dass mehrere Kantone ihren Anteil an der Finanzierung der Prämienverbilligung in absoluten Zahlen weniger als der Bund erhöhten oder sogar zeitweise verminderten. Diese Entwicklung soll korrigiert werden. Der Anteil der Kantone soll nicht weiter sinken. Jeder Kanton soll einen bestimmten Mindestbetrag beitragen. Der Bundesbeitrag soll wie bisher berechnet und ausbezahlt werden.

Der Bundesrat hat deshalb einen Vorentwurf zur Änderung des KVG als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative in die Vernehmlassung geschickt. Im Bericht zum Postulat Humbel hatte der Bundesrat verschiedene Varianten geprüft, wie die Prämienverbilligung durch Bund und Kantone effektiver und ausgewogener finanziert werden kann (vgl. Ziff. 2.3.2). Der in der Vernehmlassung vorgeschlagene Vorentwurf entspricht Variante 2 des Berichtes. Jeder Kanton soll einen Mindestbetrag im Verhältnis zu den bei seinen Versicherten anfallenden Bruttokosten der OKP leisten. Diese Pflicht ähnelt der Regelung, die bereits heute für den Bund gilt. Dieser gewährt den Kantonen einen Beitrag, der 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP entspricht (Art. 66 Abs. 2 KVG).

Der Anteil der Bruttokosten soll nach der Belastung, welche die Prämien nach der Verbilligung für die Versicherten des betreffenden Kantons bedeuten, abgestuft werden.

6.1.2

Ergebnisse der Vernehmlassung

Am 21. Oktober 2020 lud der Bundesrat insbesondere die Kantone, Parteien und interessierten Verbände ein, sich bis zum 4. Februar 2021 zum Vorentwurf für einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative zu äussern.41 Die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), die Schweizerische Sozialdirektorenkonferenz (SODK), alle Kantone, sechs politische Parteien, drei Verbände der Wirtschaft und interessierte Verbände haben sich geäussert. Insgesamt gingen 57 Stellungnahmen ein.

Die Kantone Waadt und Tessin, die Grünen, die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, zwei Konsumentenverbände, Caritas und weitere Organisationen sprechen sich für eine Annahme der Initiative aus, der Kanton Tessin allerdings nur, wenn der Vorschlag der Conférence latine des affaires sanitaires et sociales (CLASS, bestehend aus BE, FR, GE, JU, NE, TI, VD, VS) nicht unterstützt wird (siehe unten).

Elf Kantone, nämlich Appenzell Ausserhoden, Basel-Landschaft, die Innerschweizer GDK (LU, NW, OW, SZ, UR, ZG), Glarus, St. Gallen und Zürich sowie die Schweizerische Volkspartei und der Schweizerische Gewerbeverband wollen die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen.

41

Die Vernehmlassungsunterlagen und der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind abrufbar unter: www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > EDI > Vernehmlassung 2020/60.

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Die FDP.Liberalen, die Mitte, die Evangelische Volkspartei (EVP) und die Versichererverbände begrüssen den Vorentwurf. Die meisten übrigen Teilnehmenden schlagen vor, den Vorentwurf zu überarbeiten. Die GDK, die CLASS und weitere Kantone sowie die EVP, der Gemeindeverband und die Mehrheit der Städte schlagen vor, dass der Bund seinen Beitrag an die Prämienverbilligung erhöht. Die CLASS und Basel-Stadt beantragen zudem, den Bundesbeitrag nach Bedarf auf die Kantone zu verteilen.

Die GDK und mehrere Kantone beantragen, alle Beträge, mit welchen die Kantone Prämien finanzieren, an den Mindestanteil anzurechnen, dies auch, wenn sie diese nicht über die Prämienverbilligung, sondern über die EL oder die Sozialhilfe finanzieren.

Der Kanton Zürich beantragt, einen periodenübergreifenden Ausgleichsmechanismus vorzusehen, um den Kantonen zu ermöglichen, die Aufwandvorgabe über einen längeren Zeitraum umzusetzen.

6.2

Grundzüge der Vorlage

Mit einer Änderung des KVG sollen die Kantone verpflichtet werden, die Prämienverbilligung so zu regeln, dass diese in einem Kalenderjahr mindestens einem bestimmten Anteil der Bruttokosten der OKP entspricht. Dieser Anteil hängt davon ab, wie stark die Prämien die Versicherten mit unteren Einkommen dieses Kantons nach der Verbilligung belasten. Maximal muss ein Kanton 7,5 Prozent der OKPBruttokosten der Versicherten, die ihren Wohnort im Kanton haben, für die Prämienverbilligung aufwenden. Damit lehnt sich die neue Regelung an den Bundesbeitrag für die Prämienverbilligung an, der ebenfalls bei 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP liegt.

Aufgrund der Stellungnahmen der Vernehmlassung wurde der Erlassentwurf wie folgt überarbeitet:

42

­

Neu soll ermittelt werden, wie stark die Prämien nach der Verbilligung in jedem Kanton die Versicherten mit den untersten 40 Prozent der Einkommen durchschnittlich belasten.

­

Neu soll auf das steuerbare Einkommen nach Bundesgesetz vom 14. Dezember 199042 über die direkte Bundessteuer (DBG) statt auf das verfügbare Einkommen abgestellt werden. Dieses ist für die ganze Schweiz einheitlich festgelegt.

­

Neu sollen nicht nur die Standardprämien, sondern auch die Prämien der besonderen Versicherungsformen berücksichtigt werden. Somit werden die Auswirkungen aufgrund der mittleren Prämie statt der Standardprämie geschätzt. Deshalb werden die Grenzwerte, um die Minimalanforderungen in Prozent der Bruttokosten zu bestimmen, geändert.

SR 642.11

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­

Neu sollen beim Bestimmen der Minimalanforderungen in Prozent der Bruttokosten die zwei sprunghaften Anstiege durch eine lineare Kurve vermieden werden. Im Vorentwurf waren drei Stufen vorgesehen: Je nach verbleibender Prämienbelastung sollte der Mindestanteil 4, 5 oder 7,5 Prozent der Bruttokosten betragen. Die Kantone bemängelten diese Stufen, weil sie ihre Planung erschwerten. Damit wären zudem unerwünschte Schwelleneffekte geschaffen worden, denn die Belastung eines Kantons hätte bei einem kleinen Kostenanstieg stark steigen können.

­

Neu soll der Bund anstelle der Kantone den Mindestanteil ermitteln.

Der Gegenvorschlag verpflichtet die Kantone nur, einen Mindestanteil der Bruttokosten der OKP der Versicherten, die ihren Wohnort im betreffenden Kanton haben, für die Prämienverbilligung zur Verfügung zu stellen. Zudem müssen sie die übrigen Vorgaben von Artikel 65 KVG beachten. In diesem Rahmen bestimmen sie aber weiterhin selbst, welchen Versicherten sie die Prämien wie stark verbilligen und wie sie das Verfahren gestalten. Damit können sie ihre Prämienverbilligung wie bisher auf ihre anderen Sozialleistungen und Steuern abstimmen.

Der Gegenvorschlag zielt auf eine ausgewogene, transparente und nach einheitlichen Kriterien festgelegten Finanzierung der Prämienverbilligung. Zusätzlich soll er die Kantone dazu bewegen, bereits geplante oder neue Kostendämpfungsmassnahmen schneller und umfassender voranzutreiben.

Damit besteht auch ein Zusammenhang mit einem allfälligen Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative und den übrigen Massnahmen des Bundesrates zur Kostendämpfung (vgl. Ziff. 4.3).

Wie in Ziffer 4.2.4 dargelegt, dürfte die Initiative die Bemühungen des Bundes und der Kantone für eine Dämpfung der Kostenunterlaufen. Denn die Mehrheit der Prämienzahlerinnen und Prämienzahler hätten weniger Anreiz, kostengünstige Versicherungsformen zu wählen, sobald sie fix 10 Prozent des Einkommens für Prämien aufwenden müssen. Es sei denn, der Bund oder die Kantone verbilligen nur die Prämien kostengünstiger Versicherungsformen.

Im Gegensatz dazu hat der Gegenvorschlag keinen Einfluss auf das Kostenbewusstsein der Versicherten. Er hat überdies den Vorteil, dass die Kantone einen Anreiz erhalten, ihre Möglichkeiten zur Dämpfung der Gesundheitskosten auszuschöpfen.

Diese kantonalen Möglichkeiten werden mit dem Inkrafttreten der KVG-Änderung vom 19. Juni 202043 über die Zulassung von Leistungserbringern künftig noch gestärkt werden. Somit wird mit dem Gegenvorschlag das Anliegen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen unterstützt. Finanzierung und Kostendämpfung werden gleichzeitig angegangen.

43

AS 2021 413

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6.3

Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen

Art. 65 Abs. 1ter Die Kantone werden verpflichtet, die Prämienverbilligung so zu regeln, dass sie je Kalenderjahr gesamthaft einem Mindestanteil der Bruttokosten der OKP der Versicherten, die ihren Wohnort im Kanton haben, entspricht. Diese Pflicht lehnt sich an die Pflicht des Bundes an, den Kantonen einen Bundesbeitrag zu gewähren, der 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP entspricht (Art. 66 KVG). Der Begriff der Prämienverbilligung umfasst dabei auch die Verbilligung der Prämien, die die Kantone über die EL oder die Sozialhilfe gewähren (vgl. Abs. 1sexies). Es wird auf den Wohnort abgestellt, da dieser für die Prämienerhebung massgebend ist (Art. 61 Abs. 2 KVG).

Art. 65 Abs. 1quater Der Mindestanteil des Kantons bemisst sich nach dem Anteil, den die Prämien, nachdem sie verbilligt wurden, am Einkommen der Versicherten, die ihren Wohnort im Kanton haben, im Durchschnitt ausmachen. Auch hier wird auf den Wohnort abgestellt, da dieser für die Prämienerhebung massgebend ist (Art. 61 Abs. 2 KVG).

Die Prämienbelastung soll in allen Kantonen für die 40 Prozent einkommensschwächsten Versicherten ermittelt werden. Das KVG verpflichtet die Kantone, die Prämien der Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen zu verbilligen. Zudem müssen sie für untere und mittlere Einkommen die Prämien der Kinder und jungen Erwachsenen in Ausbildung mindestens zu bestimmten Anteilen verbilligen (Art. 65 Abs. 1 und 1bis KVG). Jeder Kanton kann die Begriffe «bescheidene wirtschaftliche Verhältnisse» und «untere und mittlere Einkommen» selber umschreiben.

Demgegenüber soll die verbleibende Prämienbelastung in allen Kantonen einheitlich ermittelt werden. Deshalb muss hier ein anderer Begriff verwendet werden. Die 40 Prozent einkommensschwächsten Versicherten können der Menge der Versicherten in «bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen» oder der Menge der «unteren und mittleren Einkommen» mehr oder weniger entsprechen, je nachdem, wie ein Kanton diese beiden Begriffe festgelegt hat. Die Versicherten, die ihren Wohnort im Kanton haben, entsprechen 100 Prozent. Da die Einkommen in den Kantonen unterschiedlich hoch sind, werden die Einkommen, die einbezogen werden, je nach Kanton unterschiedlich hoch sein. Die einkommensschwächsten Versicherten umfassen auch Versicherte, die EL und Sozialhilfe beziehen.
Der Entwurf sieht mit zunehmender Prämienbelastung der Versicherten einen linearen Anstieg der Minimalvorgabe für die kantonalen Ausgaben für die Prämienverbilligung vor. Bei Prämienbelastungen bis zu 10 Prozent des Einkommens sollen die Kantone mindestens 5 Prozent der kantonalen OKP-Bruttokosten für die Prämienverbilligung aufwenden. Die Minimalvorgabe wird ab einer Prämienbelastung von 18,5 Prozent auf 7,5 Prozent der kantonalen OKP-Bruttokosten gedeckelt. Die Werte von 10 und 18,5 Prozent berücksichtigen, dass auf das steuerbare Einkommen abgestellt wird. Sie entsprächen tieferen Werten, wenn auf das verfügbare Einkommen abgestellt würde.

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Zwischen einer Prämienbelastung von 10 Prozent und eine Belastung von 18,5 Prozent steigt der minimale Satz der Prämienverbilligung in Prozent der Bruttokosten linear an (vgl. Abbildung 4, Ziff. 6.4.2).

Art. 65 Abs. 1quinquies Die wesentlichen Elemente zur Berechnung der Prämienbelastung sollen im Gesetz festgelegt werden: Die Berechnung des Mindestanteils soll sich auf das steuerbare Einkommen nach dem DBG stützen. Mit dem steuerbaren Einkommen erübrigen sich Annahmen, die für die Ermittlung des verfügbaren Einkommens nötig wären.

Als Prämien sollen die Prämien aller Versicherungsformen berücksichtigt werden.

Damit kann die mittlere Prämie verwendet werden.

Die Berechnung des Mindestanteils soll sich schliesslich auf die von den Versicherten tatsächlich bezahlten Prämien stützen. Dazu sollen alle Beträge von den Prämien abgezogen werden, die der Kanton über die Prämienverbilligung, die EL oder die Sozialhilfe bezahlt. Nicht berücksichtigt werden Forderungen, die er gestützt auf Artikel 64a Absatz 4 KVG übernommen hat (vgl. Erläuterung zu Abs. 1sexies).

Art. 65 Abs. 1sexies Die Kantone sollen auch Ausgaben für Prämien, die sie über die Sozialhilfe oder die EL finanzieren, an die Mindestausgaben für die Prämienverbilligung anrechnen können. Für die in Ziffer 6.4.2 dargelegten Schätzungen werden diese Beträge berücksichtigt.

Die Mittel, welche die Kantone aufwenden, um Verlustscheinforderungen nach Artikel 64a KVG zu übernehmen, sollen sie hingegen nicht anrechnen können. Diese sind nicht als Prämienverbilligungen zu betrachten. Sie werden für die Schätzungen in Ziffer 6.4.2 nicht berücksichtigt.

Art. 65 Abs. 1septies Der Bundesrat soll im Einzelnen festlegen, wie die Bruttokosten und der Mindestanteil berechnet werden. Damit soll sichergestellt werden, dass diese in allen Kantonen einheitlich berechnet werden. Da die Kantone davon stark betroffen sind, soll der Bundesrat sie zuvor anhören.

Der Bundesrat soll insbesondere regeln, wer die Bruttokosten wann ermittelt, auf welche Daten (Quelle und Jahr) abgestellt wird und wie Daten unterschiedlicher Jahre abgeglichen werden.

Dabei wird er auch das Anliegen des Kantons Zürich, einen periodenübergreifenden Ausgleichsmechanismus vorzusehen, prüfen können.

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Übergangsbestimmung Die Kantone sollen in den ersten zwei Kalenderjahren nach dem Inkrafttreten der Änderung nur mindestens 5 Prozent ihrer Bruttokosten für die Prämienverbilligung aufwenden müssen.

Damit erhalten die Kantone, deren Prämienverbilligungsausgaben den neuen Anforderungen nicht genügen, Zeit für die Anpassung der kantonalen Budgets. Die Übergangszeit von zwei Jahren erlaubt ihnen, für die Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben zu sorgen.

6.4

Auswirkungen

6.4.1

Auswirkungen auf den Bund

Der Gegenvorschlag hat keine Auswirkungen auf die durch den Bund geleistete Prämienverbilligung. Der Bundesbeitrag entspricht weiterhin 7,5 Prozent der Bruttokosten. Das BAG berechnet und zahlt ihn aus wie bisher.

Der Bund soll die Mindestbeträge der Kantone ermitteln. Die Ermittlung soll von den Kantonen nachvollzogen werden können. Der Bundesrat geht davon aus, dass er diese Ermittlungen mit den bestehenden Ressourcen durchführen kann.

6.4.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die Auswirkungen auf die Kantone werden wie folgt geschätzt: ­

Die Bruttokosten für jeden Kanton werden auf Kantonsebene ähnlich wie die Bruttokosten zur Berechnung des Bundesbeitrages auf Bundesebene ermittelt (Art. 2 VPVK).

­

Die Auswirkungen des Gegenvorschlages werden mit Einkommensdaten der ESTV geschätzt. Dabei wird auf Äquivalenzeinkommen abgestellt, um die Grösse und die Zusammensetzung der Haushalte zu berücksichtigen. Dazu wird die vom BFS verwendete Äquivalenzskala (aktuell entspricht diese der neuen OECD-Äquivalenzskala) unterstellt. Damit werden die steuerbaren Einkommen von 13 verschiedenen Haushaltstypen berücksichtigt. Die Haushaltstypen unterscheiden sich nach dem Status der Erwerbstätigkeit, der Grösse, dem Alter und der Anzahl Kinder. Es werden die Daten für das jeweils aktuellste abgeschlossene Steuerjahr verwendet.

­

Für die Ermittlung der verbleibenden Prämienbelastung wird auf die durchschnittliche mittlere Prämie abgestellt.

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Abbildung 4 Minimalanforderungen an die Kantone in Prozent der Bruttokosten für die Finanzierung der Prämienverbilligung [Basisjahr 2020]

Der Gegenvorschlag verpflichtet einige Kantone, 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP der Versicherten mit Wohnort im Kanton zu bezahlen. Andere müssen einen kleineren Anteil bezahlen. Damit hätte der Gegenvorschlag für Kantone mit hoher Prämienbelastung und niedrigen Prämienverbilligungsausgaben hohe finanzielle Auswirkungen, während er andere nicht zusätzlich belasten würde. Einige Kantone, bei denen die Prämien die Versicherten stark belasten, hätten keine Zusatzaufwendungen, weil ihre Ausgaben für die PV Prämienverbilligung bereits heute mehr als 7,5 Prozent der Bruttokosten betragen.

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Abbildung 5 Entwicklung der Mehrkosten des Gegenvorschlags für die Kantone in Milliarden Franken (bis 2023 nur illustrativ, da der Gegenvorschlag frühestens 2024 in Kraft treten würde)

Für das Jahr 2030 ergäben sich Mehrkosten zwischen 0,8 und 1 Milliarden Franken, je nachdem, ob die OKP-Kosten 1 oder 2 Prozent stärker als das BIP wachsen. Somit lägen die Mehrkosten für die Kantone beim Gegenvorschlag markant tiefer als bei der Initiative, bei der sich Mehrkosten zwischen 1,2 und 2,7 Milliarden für 2030 ergäben (vgl. Ziff. 4.2.3).

Tabelle 5 Mehrkosten des Gegenvorschlags für die Kantone in Millionen Franken und pro Kopf der Bevölkerung in Franken bei einer Einführung im Jahr 2024 2024: Mehrkosten Gegenvorschlag für die Kantone Prämienverbilligung 2024 (Kantons-anteil 2020 hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

pro Kopf44

51

ZH

425,9

78,5

BE

319,2

74,6

72

LU

64,4

50,8

122

44

Durchschnittlicher Versichertenbestand im Jahr 2020 gemäss der Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2020, Tabelle 7.14.

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2024: Mehrkosten Gegenvorschlag für die Kantone Prämienverbilligung 2024 (Kantons-anteil 2020 hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

pro Kopf44

UR

4,1

4,9

132

SZ

21,1

26,2

163

OW

5,9

4

106

NW

2,5

7,8

181

GL

6,9

6,2

150

ZG

21,5

6,8

53

FR

89,4

16,1

50

SO

78,7

23,6

85

BS

154,8

0

BL

56,7

64,8

SH

31,9

0

0

AR

13,2

3

54

0 224

AI

0,9

2,5

153

SG

67,5

95,9

187

GR

60,1

AG

133,5

69

100

TG

58,2

23

82

TI

220,4

0

0

VD

572,1

0

VS

87,4

37,6

NE

75,9

0

0

GE

399,4

0

0

JU CH

29,6 3001

7,4

37

0 107

0

0

602,8

70

Wie aufgezeigt, würden die Mehrkosten des Gegenvorschlags für die Kantone markant tiefer ausfallen als bei einer Annahme der Initiative.

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Abbildung 6 Kostenvergleich für die Kantone in Milliarden Franken: Mehrkosten der Initiative minus Mehrkosten des Gegenvorschlags (bis 2023 nur illustrativ, da der Gegenvorschlag und die Ausführungsbestimmungen der Initiative frühestens 2024 in Kraft treten würden)

Für das Jahr 2030 würden die Mehrkosten beim Gegenvorschlag für die Kantone um 0,9 Milliarden Franken weniger hoch ausfallen als bei Annahme der Initiative. Innerhalb der in Ziffer 4.2.1 beschriebenen Bandbreiten liegt dieser Kostenvorteil zwischen 0,4 und 1,7 Milliarden Franken. Der Gegenvorschlag wäre somit für Bund und Kantone und damit für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler viel weniger teuer als die Initiative. Diese Kostendifferenz würde im Verlauf der Zeit immer grösser.

Die Mehrkosten der Initiative im Vergleich zum Gegenvorschlag teilen sich wie folgt auf die einzelnen Kantone auf im Jahr 2024:

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Tabelle 6 Mehrkosten der Initiative im Vergleich zum Gegenvorschlag für die Kantone in Millionen Franken bei einer Umsetzung im Jahr 2024 2024: Mehrkosten der Initiative im Vergleich zum Gegenvorschlag für die Kantone (in Mio. Fr.)

Mehrkosten Initiative minus Mehrkosten Gegenvorschlag Prämienverbilligung 2024 (Bundesanteil und Kantonsanteil 2020, hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

ZH

425,9

67,4

BE

319,2

139,4

LU

64,4

8,3

UR

4,1

0

SZ

21,1

­3

OW

5,9

0,4

NW

2,5

­ 1,8

GL

6,9

1

ZG

21,5

­ 2,9

FR

89,4

29,7

SO

78,7

19,9

BS

154,8

2,4

BL

56,7

28,9

SH

31,9

1,3

AR

13,2

2,9

AI

0,9

­ 0,2

SG

67,5

21,3

GR

60,1

16,7

AG

133,5

16,1

TG

58,2

15,1

TI

220,4

24,7

VD

572,1

0

VS

87,4

42,6

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2024: Mehrkosten der Initiative im Vergleich zum Gegenvorschlag für die Kantone (in Mio. Fr.)

Mehrkosten Initiative minus Mehrkosten Gegenvorschlag Prämienverbilligung 2024 (Bundesanteil und Kantonsanteil 2020, hochgerechnet mit Kostenwachstum)

Szenario 1 Wachstum OKP-Kosten liegt 1 Prozentpunkt über Wachstum BIP

in Mio.

in Mio.

NE

75,9

49,3

GE

399,4

0

JU CH

6.4.3

29,6 3001

18,7 498,3

Auswirkungen auf die Versicherten und die Gesellschaft

Durch die zusätzlichen Prämienverbilligungen wird ein Teil des Kostenanstiegs aufgefangen. Die Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen werden durch den Gegenvorschlag aber weniger entlastet als bei einer Annahme der Initiative.

Zur Finanzierung der zusätzlichen Prämienverbilligung müssen die betroffenen Kantone Überschüsse verwenden, auf Ausgaben verzichten oder Steuern erhöhen.

Die Kantone können ihre Richtprämie für die Prämienverbilligung so festlegen, dass die Versicherten weiterhin einen Anreiz haben, eine Versicherung mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers bei einem preisgünstigen Versicherer abzuschliessen.

Wenn die Prämien stärker verbilligt werden, ist anzunehmen, dass weniger Versicherte für weniger Prämien gemahnt und betrieben werden müssen. Dadurch können Mahn- und Betreibungskosten vermieden werden. Zudem werden die mit offenen Rechnungen verbundenen Belastungen der öffentlichen Hand, der Versicherer sowie der Versicherten selber vermindert.

6.4.4

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Kantone können die Mehrkosten finanzieren, indem sie die Steuern erhöhen oder auf Ausgaben verzichten. Je nach Finanzierung wirkt der Gegenvorschlag unterschiedlich auf die Volkswirtschaft. Es ist auch davon auszugehen, dass der Gegenvorschlag dazu führt, dass die Kantone bereits eingeführte oder angestrebte Kostendämpfungsmassnahmen verstärken. Dies bremst den Kostenanstieg im Gesundheitswesen und mindert den Finanzierungsmehrbedarf für die Prämienverbilligung.

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6.5

Rechtliche Aspekte

6.5.1

Verfassungsmässigkeit

Die BV ermächtigt den Bund, Vorschriften über die Kranken- und die Unfallversicherung zu erlassen (Art. 117 Abs. 1 BV). Somit kann er die Kantone verpflichten, bestimmte Mittel für die Prämienverbilligung zur Verfügung zu stellen.

6.5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die internationalen Verpflichtungen der Schweiz wurden bereits in Ziff. 4.4 aufgeführt.

Wenn der Gegenvorschlag in Kraft tritt, werden voraussichtlich mehrere Kantone die Anspruchsvoraussetzungen für die Prämienverbilligung für alle Versicherten neu regeln. Das in Ziffer 4.4 erwähnte Diskriminierungsverbot verpflichtet sie, die EU-Versicherten gleich zu behandeln wie die Versicherten, die in der Schweiz wohnen, soweit deren Verhältnisse vergleichbar sind. Es gibt Bereiche, bei denen eine andere Behandlung der EU-Versicherten gerechtfertigt ist. So können die Kantone beim Einkommen die unterschiedliche Kaufkraft in der Schweiz und im Wohnland berücksichtigen. Wenn ein Kanton die Prämienverbilligung für die Versicherten, die in der Schweiz wohnen (Art. 65 KVG), neu regelt, muss er dies somit allenfalls auch für diejenigen EU-Versicherten, für die er gestützt auf Artikel 65a KVG zuständig ist, tun.

Der Gegenvorschlag gibt den Versicherten keinen individuellen Anspruch auf eine Prämienverbilligung. Er betrifft nur die Finanzierung dieser Prämienverbilligungen durch die Kantone. Die Auswirkungen des Gegenvorschlags werden deshalb je nach Kanton unterschiedlich sein. Die Änderungen, zu denen der Gegenvorschlag führt, können deshalb nicht auf die Berechnung der Prämienverbilligung für die Versicherten, für welche der Bund zuständig ist (Art. 66a KVG) und die als individueller Anspruch ausgestaltet ist, übertragen werden. Deshalb ist auch der Gegenvorschlag mit dem europäischen Recht vereinbar.

6.5.3

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen für den Bund beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

6.5.4

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten (Art. 5a BV).

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Die BV enthält Grundsätze für die Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben: Der Bund übernimmt nur die Aufgaben, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen. Das Gemeinwesen, in dem der Nutzen einer staatlichen Leistung anfällt, trägt deren Kosten. Das Gemeinwesen, das die Kosten einer staatlichen Leistung trägt, kann über diese Leistung bestimmen (Art. 43a Abs. 1­3 BV).

Die Vorlage greift in die Zuständigkeit der Kantone ein, indem sie ihnen eine Mindestausgabe für die Prämienverbilligung vorgibt. Die Kantone können aber weiterhin bestimmen, welchen Versicherten sie die Prämien wie stark verbilligen. Mit der Verpflichtung der Kantone, die Prämien mit einem Mindestanteil ihrer OKP-Bruttokosten zu verbilligen, können Unterschiede in der Wohlfahrtsverteilung abgebaut werden.

Da der Bund mindestens einen gleichen Anteil der Bruttokosten zur Prämienverbilligung beiträgt wie die Kantone gemäss Mindestvorgabe, ist der Eingriff in ihre Kompetenzen vertretbar.

6.5.5

Einhaltung des Subventionsgesetzes

Der Bundesbeitrag für die Prämienverbilligung soll unverändert bleiben. Die OKPKosten werden vom Bund und von den Kantonen beeinflusst. Deshalb ist es angemessen, die Kantone mit der Vorlage zu verpflichten, einen Beitrag an die Prämienverbilligung zu leisten, der maximal dem Anteil der Bruttokosten entspricht, den der Bund leistet.

Da der Bund die OKP-Kosten durch die KVG-Gesetzgebung, die Genehmigung gesamtschweizerischer Tarife und das Festlegen der Arzneimittelpreise wesentlich beeinflusst, ist es zudem angemessen, dass er seinen Beitrag unverändert weitergewährt.

Damit ist das Subventionsgesetz vom 5. Oktober 199045 eingehalten.

6.5.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Bundesrat soll ermächtigt werden, nach Anhören der Kantone im Einzelnen festzulegen, wie die Bruttokosten und der Mindestanteil zu berechnen sind (Art. 65 Abs. 1septies).

45

SR 616.1

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