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Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates betreffend die Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze Stellungnahme des Bundesrates vom 17. September 2021

Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 22. Juni 20211 betreffend die Umsetzung der Covid-19-Massnahmen an der Grenze nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. September 2021

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Guy Parmelin Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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2021-3112

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 18. Mai 2020 haben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) beschlossen, eine Inspektion der vom Bundesrat und von der Bundesverwaltung getroffenen Massnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie einzuleiten. Die für die einzelnen Departemente zuständigen Subkommissionen haben einzelne Themen im Rahmen verschiedener Untersuchungen vertieft. In diesem Zusammenhang wurde die Subkommission EFD/WBF der GPK-S von dieser beauftragt, die Umsetzung der Covid-19Massnahmen an der Grenze zu untersuchen, insbesondere den Entscheid der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), den Einkaufstourismus zu verbieten.

Nachdem Beschwerden von Einzelpersonen bei der GPK eingegangen und Artikel in den Medien erschienen waren, beschloss die Subkommission EFD/WBF, sich der Untersuchung dieser Angelegenheit anzunehmen und die EZV am 29. Juni 2020 erstmals dazu anzuhören. Sie stellte daraufhin der EZV am 8. Juli 2020 einen schriftlichen Fragenkatalog zu und forderte schliesslich am 27. August 2020 einen vollständigen Bericht über das Einkaufstourismusverbot ein. Die EZV reichte diesen Bericht am 2. Oktober 2020 ein, bevor sie am 12. Oktober 2020 sowie am 10. Dezember 2020 erneut angehört wurde.

Auch das Bundesamt für Justiz (BJ) wurde von der Subkommission EFD/WBF angehört; es verfasste in diesem Zusammenhang ein Rechtsgutachten über die Rechtmässigkeit und die Verhältnismässigkeit des Entscheids zum Verbot des Einkaufstourismus; dieses Gutachten hat die Subkommission zur Kenntnis genommen.

Auf Grundlage der gesammelten Informationen hat die GPK-S am 22. Juni 2021 einen Bericht verabschiedet. Mit ihrem Schreiben vom 23. Juni 2021 hat die Präsidentin der GPK-S den Bundesrat ersucht, bis zum 24. September 2021 zu den Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Kommission Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ist Gegenstand der vorliegenden Ausführungen.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeines

Der Bericht der GPK-S schildert zunächst die Situation im Frühjahr 2020, um den Hintergrund darzustellen, vor dem die EZV den Beschluss zum Verbot des Einkaufstourismus traf. Anschliessend werden der Entscheid und die verschiedenen Phasen seiner Umsetzung beschrieben. Die GPK-S nimmt eine Einschätzung unter dem Blickwinkel der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit dieser Massnahme vor. Zwar werden auch andere Massnahmen kurz analysiert, doch befasst sich der Bericht vorwiegend mit dem Einkaufstourismusverbot.

Der Bundesrat begrüsst die Struktur des Berichts der GPK-S, insbesondere weil sie es erlaubt, die Frage unter verschiedenen Blickwinkeln sachdienlich zu analysieren, aber auch weil sich die GPK-S die Zeit genommen hat, sich umfassend zu informieren, 2/8

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bevor sie ihre eigenen Schlüsse zog. Der Bundesrat schätzt auch, dass das Einkaufstourismusverbot im Kontext der im Bericht einleitend geschilderten Lage im Frühjahr 2020 betrachtet wird. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die damalige ausserordentliche Lage rasche Entscheidungen erforderte, und dass diese oft getroffen werden mussten, ohne sich dabei auf bisherige Erfahrungen stützen zu können und auf der Grundlage unvollständiger und sich laufend ändernder Informationen. Deshalb ist es aus Sicht des Bundesrates wichtig, das Einkaufstourismusverbot in diesen unbeständigen Kontext zu setzen. Zudem ermöglicht eine solche nachträgliche Untersuchung, wie die GPK-S selbst betont, einen gewissen Abstand und eine tiefere Einsicht, als dies in der Krisenzeit möglich gewesen wäre. Wie die GPK-S in ihrem Bericht ebenfalls erwähnt, stellen die rund 8848 von der EZV verhängten Bussen, von denen etwa 1150 in den Zeitraum fallen, in dem die GPK-S Artikel 127 Absatz 2 des Zollgesetzes vom 18. März 20052 (ZG) als unzureichende Rechtsgrundlage für die Sanktionierung des Einkaufstourismus erachtet, im Verhältnis zu den Hunderttausenden von durchgeführten Kontrollen nur einen Bruchteil dar. Tatsache bleibt dennoch, dass jede Kontrolle ein Gefühl der Verletzung der individuellen Rechte einer Person auslösen kann. Der Bundesrat ist von der Wichtigkeit überzeugt, diesen Entscheid unter dem Gesichtspunkt seiner Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit zu prüfen. Er begrüsst deshalb die von der Subkommission EFD/WBF durchgeführte Untersuchung.

2.2

Rechtmässigkeit des Einkaufstourismusverbots

In ihrem Bericht zeigt sich die GPK-S skeptisch in Bezug auf die Rechtmässigkeit der Bussen, welche die EZV im Zeitraum vom 30. März bis zum 16. April 2020 gestützt auf Artikel 127 Absatz 2 ZG gegen den Einkaufstourismus ausgesprochen hat. Die rechtlichen Einschätzungen innerhalb der Bundesverwaltung für diesen Zeitraum gehen auseinander. Die GPK-S ist jedoch der Ansicht, dass während dieses Zeitraums von rund zwei Wochen (zwischen Ende März und Mitte April) Artikel 127 Absatz 2 ZG keine ausreichende Rechtsgrundlage für das Aussprechen von Bussen bildete. Die Kommission verweist auch darauf, dass diese Frage innerhalb der Bundesverwaltung im Frühjahr 2020 sowie anlässlich der Anhörungen, die zum Bericht führten, sehr umstritten war. Ab dem 17. April 2020 stellte sich die Frage nach der Rechtmässigkeit nicht mehr, da das Verbot nach dem Bundesratsentscheid vom 16. April 2020 in der Covid-19-Verordnung 2 verankert wurde.

Der Bundesrat wie auch die GPK-S nehmen diese Feststellung sowie die Erklärung der EZV zur Kenntnis, angesichts der kontroversen Auslegung der Anwendungsmöglichkeiten die Sanktionierung der Nichteinhaltung eines solchen Verbots künftig nicht mehr auf das Zollgesetz abzustützen.

Zu den folgenden Empfehlungen der GPK-S nimmt der Bundesrat wie folgt Stellung:

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SR 631.0

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Empfehlung 1

Konsultation des Bundesamtes für Justiz (BJ) bei Entscheiden von bedeutender Tragweite betreffend die Anwendung von grundrechtsbeschränkendem Recht

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass die zuständigen Verwaltungseinheiten bei Entscheiden betreffend die Anwendung von grundrechtsbeschränkendem Recht oder bei Fragen zu Grundrechtsbeschränkungen von bedeutender Tragweite frühzeitig die juristischen Kompetenzen des BJ nutzen. Der Bundesrat bzw. die zuständigen Verwaltungseinheiten haben alle Abklärungen vorzunehmen, die nötig sind, um die Rechtmässigkeit der ergriffenen Massnahmen sicherzustellen, insbesondere dann, wenn es sich um Grundrechtsbeschränkungen handelt.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass diese Empfehlung im Rahmen des ordentlichen Betriebs der Bundesverwaltung und der Zusammenarbeit zwischen den Ämtern bereits umgesetzt wird. Er erwartet von der Bundesverwaltung, dass sie in jedem Fall von den rechtlichen Einschätzungen des BJ im Rahmen von dessen Kompetenzen Gebrauch macht.

Der Bundesrat geht ausserdem davon aus, und dies bestätigt auch die EZV, dass sich eine solche Situation in Zukunft nicht wiederholen wird.

Der Bundesrat nimmt daher diese Empfehlung an, wobei seiner Ansicht nach keine Massnahmen zu ihrer Umsetzung getroffen werden müssen.

Empfehlung 2

Klärung des Anwendungsbereichs von Artikel 127 Absatz 2 des Zollgesetzes (ZG)

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, den Anwendungsbereich von Artikel 127 Absatz 2 ZG zu klären.

Die laufende Totalrevision des Zollgesetzes, die gegenwärtig nach erfolgtem Vernehmlassungsverfahren konsolidiert wird, bietet dem Bundesrat Gelegenheit, diese Empfehlung umzusetzen und den Anwendungsbereich von Artikel 127 Absatz 2 ZG zu klären.

Der Bundesrat nimmt daher diese Empfehlung an und wird sich in der entsprechenden Botschaft an das Parlament im Laufe des Jahres 2022 dazu äussern.

2.3

Zweckmässigkeit der Massnahmen

Die Feststellungen der GPK-S zur Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungseinheiten der Bundesverwaltung nimmt der Bundesrat zustimmend zur Kenntnis; die Zusammenarbeit hätte von Anfang an, als die EZV aufgrund des Einkaufstourismus Schwierigkeiten bei der Grenzkontrolle feststellte, intensiver sein sollen. Der Bundesrat räumt auch ein, dass das Thema an einer seiner Sitzungen ausführlicher hätte diskutiert werden können.

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Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass die Situation in der ersten Aprilhälfte 2020 für die betroffenen Departemente eine enorme Arbeitsbelastung darstellte, insbesondere natürlich für das Eidgenössische Departement des Innern aufgrund seiner Hauptverantwortung für die Krisenbewältigung, für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement aufgrund der Wiedereinführung der Grenzkontrollen, der Reisebeschränkungen (Staatssekretariat für Migration) und der zahlreichen zu erlassenden, anzupassenden und zu prüfenden Gesetzesgrundlagen (BJ), aber auch das Eidgenössische Finanzdepartement aufgrund der gesamten operativen Umsetzung der Grenzmassnahmen durch die EZV und der grossen politischen Bedeutung der Frage der Finanzhilfen und wirtschaftlichen Unterstützung.

Aus Sicht des Bundesrates ist es deshalb verständlich, dass durch die Vielzahl der Themen, die in dieser ersten Phase in den Departementen, in den Ämtern und während der Bundesratssitzungen zu behandeln waren, die notwendigen Abklärungen und die Zusammenarbeit, die bei der Frage des Einkaufstourismus nötig gewesen wären, in den Hintergrund gerückt sind. Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass die Lehren daraus gezogen werden und eine verstärkte Zusammenarbeit angestrebt werden wird, sollte eine erneute ausserordentliche Lage dies erfordern. Im Übrigen hat die EZV, die im Zentrum des Berichts der GPK-S steht, in ihrer eigenen «After Action Review» festgehalten, dass eine Verbesserung der Zusammenarbeit bis auf die Ebene der Amtsleitungen eine der wichtigsten Lehren ist, die aus der ersten Pandemiewelle gezogen werden muss. Nach Angaben der EZV war bereits in den folgenden Pandemiewellen im Herbst/Winter 2020/2021 eine verbesserte Zusammenarbeit spürbar.

Empfehlung 3

Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen an der Schweizer Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Erfahrungen der Eidgenössischen Zollverwaltung an der Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien (allfällige Gesetzesrevision, Anpassung des Pandemieplans, usw.) zu berücksichtigen.

Der Bundesrat wird die Erfahrungen der EZV an der Schweizer Grenze bei der Planung zur Bewältigung von Pandemien selbstverständlich berücksichtigen und nimmt diese Empfehlung an. Er misst den Lehren, die aus der aktuellen Coronapandemie zu ziehen sind, grosse Bedeutung bei und wird sie sorgfältig auswerten. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen kann die Planung zur Bewältigung von Krisen in Zukunft verbessert werden. Der Bundesrat anerkennt die Notwendigkeit, die Krisenbewältigung zu optimieren. Die Bundeskanzlei und die zuständigen Departemente prüfen derzeit, ob die bestehenden Verordnungen, Weisungen, Strategiepläne und Konzepte im Hinblick auf eine länger andauernde und komplexe Krise überarbeitet werden müssen. Sie werden dem Bundesrat bis Ende 2021 Bericht erstatten.

In Bezug auf den im Bericht der GPK-S und in der vorliegenden Empfehlung ausdrücklich erwähnten Pandemieplan Schweiz möchte der Bundesrat betonen, dass es sich dabei um ein gemeinsames Strategiedokument von Bund und Kantonen handelt, das als Grundlage für die kantonalen Planungen dient, die dann je nach regionalen 5/8

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Besonderheiten angepasst werden. Der Pandemieplan enthält lediglich die Grundzüge möglicher Massnahmen, die zu ergreifen sind. Er sieht in der Fassung von 2018 grundsätzlich ­ nicht nur in Bezug auf Verstösse gegen Grenzmassnahmen ­ keine Sanktionen vor, worüber sich die GPK-S in ihrem Bericht überrascht zeigt. Die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung ist in erster Linie für die Vorbereitung auf eine Pandemie und somit für die Ausarbeitung und Aktualisierung des Pandemieplans zuständig. Sie wird zu gegebener Zeit die Überarbeitung des Pandemieplans unter Einbezug der gewonnenen Erkenntnisse in Zusammenarbeit mit Bund und Kantonen in Angriff nehmen.

Empfehlung 4

Zusammenarbeit mit den Grenzkantonen

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, gemeinsam mit den Grenzkantonen Bilanz zu ziehen über die Zusammenarbeit bei den Massnahmen an der Grenze und über den Informationsaustausch in diesem Bereich.

Die Bilanz der Zusammenarbeit mit den Kantonen bei der Bewältigung der Krise wird von den Departementen in engem Kontakt mit Letzteren gezogen. Im Falle der Grenzmassnahmen ist diese Auswertung bei den Grenzkantonen umso wichtiger, da diese nicht nur besonders betroffen, sondern auch an der Durchführung und Umsetzung der Massnahmen an der Grenze beteiligt waren. Der Bundesrat nimmt daher diese Empfehlung an und wird das EFD beauftragen, die Bilanz über diese Zusammenarbeit im Rahmen der regelmässigen Kontakte der EZV mit den Grenzkantonen zu ziehen.

2.4 Empfehlung 5

Wirksamkeit der Massnahmen Verbesserung der internen und externen Kommunikation sowie des Informationsflusses zwischen Verwaltungseinheiten

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die interne und externe Kommunikation sowie den Informationsfluss zwischen Verwaltungseinheiten bei Beschlüssen und Massnahmen zu verbessern, wenn diese grosse Auswirkungen auf die Bevölkerung haben. Dazu gehören insbesondere auch Massnahmen zur besseren Koordination der beschlussfassenden und der vollziehenden Organe.

Im Gegensatz dazu, was die GPK-S in ihrem Bericht feststellt, und dies ausschliesslich betreffend die Kommunikation zum Einkaufstourismusverbot, ist der Bundesrat der Ansicht, dass die interne Kommunikation insgesamt gut funktioniert hat und dass die externe Kommunikation sehr positiv beurteilt wurde. Dies wurde, wie die GPK-S feststellt, auch durch den Bericht der Bundeskanzlei über die Auswertung des Krisenmanagements während der Covid-19-Pandemie bestätigt. Der Bundesrat hält es deshalb nicht für richtig, die Feststellungen auf die gesamte Kommunikation während der Pandemie zu verallgemeinern. Er nimmt dennoch zur Kenntnis, dass die Kommunikation im vorliegenden Fall teilweise unzureichend war, wie dies auch die EZV selbst 6/8

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eingeräumt hat. Was den Informationsfluss zwischen den Verwaltungseinheiten betrifft, ist der Bundesrat der Ansicht, dass dieser in deren Zuständigkeit fällt, und er plant deshalb keine besonderen Massnahmen zu ergreifen. Er wird jedoch die Empfehlung der GPK-S bezüglich der Koordination zwischen den beschlussfassenden und den vollziehenden Organen umsetzen und in seinen Beschlussdispositiven sorgfältig auf klar erteilte Aufträge an die Departemente achten. Er wird die Empfehlungen somit kontinuierlich und nicht durch spezifische Massnahmen umsetzen.

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