586

Note .OST f. f. österreichischen Gesandtschaft an den schweizerischen Bundesrath.

#ST#

(Vom 15. März 1853.)

Der unterzeichnete $. K. Geschäftsträger hat nicht verfehlt, die gefällige Note Seiner Excellenz des Herrn Bundes Präsidenten und des hohen schweizerischen Bunde...!

Rathes vom 22. v. Mts. seiner Allerhöchsten Regierung zu unterlegen, welche hieraus ersehen hat, wie der schweizerische Bundes Rath durch die Absendung eines eidgenös« fischen Kommissärs in den Canton Tessin, so wie durch die ihra ertheilten Instruktionen und Vollmachten die Einleitungen bereits getroffen zu haben versichert, um die in der diesseitigen ergebensten Note vom 18. v. Mts. bezeichnete« Maßregeln, in Ausführung zu bringen.

Mit dieser Versicherung verbindet der schweizerische -.Bundes Rath den Ausdruck seines entschiedenen Willens, feinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber einem befreundeten Nachbarstaate auf das loyalste nachzukommen.

Während der hohe Bundes Rath von der angeordneten Untexfuchung eine nähere Aufklärung des Sachverhalts erwartet, kann er jedoch einstweilen das Gefühl erlittener Unbill nicht unterdrücken. Er ist schmerzlich davon berührt worden, wie auf einige Anzeigen hin gegen ein Bundes Glied mit rücksichtsloser Strenge nnd selbst mit Nichtbeachtung bestehender Verträge verfahren worden ist, wie nicht nur die materiellen Interessen und die Ehre der schweizerischen Eidgenossenschaft auf das Empfindlichste ·oerletzt, sondern zugleich auch so manche Schuldlose durch die ergriffenen Maßregeln hart betreten worden sind.

587

Um dieser Auffassung gegenüber die Handlungsweife der faiferlichen Regierung in das rechte Licht zu fetzen, ist es notht'g, nicht altem die gegenwärtige Veranlassung in das Auge zu fassen, sondern auch einen flüchtigen Rückblick aus die Vergangenheit zu werfen.

Seit einer langen Reihe von Jahren ist das Benehmen des Cantons Tessin dem Kaiserstaate gegenüber das gerade Gegentheil eines frenndnachbarlichen gewesen.

Es ist Thatsache, daß dort flüchtige Hochverräther und erklärte Feinde der 'kais. Regierung stets willige Ausnahme gefunden, ja daß manche unter ihnen fogar das Bürgerrecht und gewichtigen Einfluß auf die Regierung erlangt haben. Aus den Pressen von Tefsin sind die meisten jener schändlichen Brandschriften hervorgegangen, welche von dort mittels des stets schwunghaft betriebenen Schmuggels in die Lombardie eingeschwärzt, mächtig beigetragen haben, daselbst den Geist des Auf-

ruhrs und des Umsturzes zu nähren. Als endlich im Jahr 1848 der so unermüdlich ausgestreute Samen zur blutigen Erndte reiste, da haben Tessiner Freischaaren, mit Waffen und Munition aus den Regierungs Zeughäusern reichlich versehen, in den Reihen der lombardischen Em.vörer nicht gefehlt. Die eidgenössische Fahne, die damals in den Straßen von Mailand wehte, lieferte den unwiderlegbarsten Beweis, wie die Partei des radikalen Um* sturzes, die im Canton Tessin mit zu Rathe saß, die Neutralität der Eidgenossenschaft zu achten verstand.

Es ist noch in frischem Gedächtniß, daß schweizerische Condottieri bis zur Uebergabe Venedigs den Aufruhr dieser Stadt mit bewaffneter Hand unterstützten. Kaum war im Jahr 1849 der Waffenstillstand in Mailand ausge* kündigt, aïe auch schon Tessiner Freischaaren, unter der Führung von Raimondi, Eamozzi und andern bekonnten

588 Coryphäen der Umsturz Parthey über die Schweizer Gränze hereinbrachen, um im Rücken des siegreich vordringenden österreichischen Heeres die Flamme der Empörung in die bis dahin friedlichen Städte Como, Bergamo, Brescia wnd in das Valtelin zu tragen.

Zwar hatte Oesterreich durch einen feierlichen Vertrag mit der Schweiz das Recht erworben, auf der Auslieferung feiner des Verbrechens des Hochverrathcs angeklagten Unterthanen zu bestehen; allein die Ausführung dieser Vertragsbestimmung wurde stets unter den nichtigsten Vorwänden geradezu verweigert.

Kann es bei dieser in gedrängten Zügen dargestellten

Sachlage, zu der die Blätter der Zeitgeschichte den reichlichsten Commentar zu liesern im Stande sind, der kaiser* lichen Regierung verargt werden, wenn ihr bei jedem Aufstands Versuch in der Lombardie der Canton Tessin von Sßornherein als der direkten Betheiligung oder wenigstens der moralischen Mitschuld verdächtig erscheint?

Zu dieser bei dem kais. Cabinet vorherrschenden Stimmung, die der Unterzeichnete durchaus nicht zu läugnen willens ist, haben sich aus Anlaß des Mailänder Banditenstreichs noch andere dringende Beweggründe gesellt; Es wird von keiner Seite in Abrede gestellt, daß mehrere Tage vor dem Anfstands Versuch des 6. Februar das Genicht.eines solchen im Canton Tessin allgemein verbreitet war ; ja Schweizer -.Blätter sühren sogar zum Belege der Nichtbetheiligung der politischen Flüchtlinge im Canton Tessin an, daß leztere in einer am 4. stattgefundenen Versammlung sich jeder Theilnahme zu enthalten beschlossen hätten. Wäre unter solchen Umständen von der tessinischen Regierung nicht zu erwarten gewesen, daß sie den Beprden der Lombardie einen Winf über die drohende Ge« fahr zukommen lasse? Und wäre man zu dieser Crwar*

589

lung nicht um so mehr berechtigt gewesen, als selbst der hohe Bundes Rath zugeben muß, daß Sassi, Petrucci und andere Flüchtlinge der gefährlichsten Art trotz aller entgegenstehenden Bundes Beschlüsse vor dem Mailänder Attentat und wahrend desselben im Canton Tessin sich aufhielten, von wo sie die Aufrufe zur Empörung, wovon der Unterzeichnete in seiner ergebensten Note vom 18. vorigen Monats dem hohen Bundes Rathe eine Abschrift mitziitheilen die Ehre hatte, in der Lombardie längs der Gränze des Cantons Tessin verbreiteten.

Wahrlich diese Anzeichen genügten vollkommen, auch ohne die Ergebnisse der in Mailand eingeleiteten Unterfuchung abzuwarten, um die kais. Regierung zu den schleunigsten Maßregeln der Sicherheit gegen Tefsin zu bestimmen. Oder hätten die österreichischen Behörden .vielleicht abwarten sollen, daß die Freischaaren nach dem Beispiel früherer bekannter Vorgänge förmlich crganisirt die Gränze überschritten hätten, versehen mit Munition aus dem Zeughause von Lugano, wohin sonderbarer Weise gerade am 6. und den darauf folgenden Tagen bedeutende Pulversendungen aus dem Jnnern der Schweiz mit großer Heimlichfi.it und Eilfertigkeit abgegangen waren ?

Abgesehen von diesen mit dem Mailänder Aufruhr...* Versuch zusammenhängenden Thatsachen wolle der hohe Bundes Rath nicht vergessen, daß die kaiserliche Regierung in der letzten Zeit gegen den Canton Tessin verschiedene bestimmte Klagen wegen offenbarer Rechts Verletzungen anhängiij gemacht bat, deren befriedigender Erledigung bieselbe noa) immer entgegensieht.

Der Unterzeichnete hat bereits mit ergebenster Note vom 19. August v. J. den hohen Bundes Rath um seine Intervention zu ersuchen die Ehre gehabt, damit der Erz-

590

.Mfchof von Mailand und der Bischof von Como in alle ihre rucksichtlich der zu ihren Kirchensprengeln gehörigen -Seminarien von Pollegio und Ascona zustehenden Rechte ..»jeder eingesetzt, jedenfalls aber ihnen der ordentliche 9îecht..-wea,, den ihnen die Tefsiner Regierung ausdrücklich verschlossen, eröffnet werde, damit sie ihre Ansprüche aus Sîestitunon oder im äußersten Falle doch auf vollständige ·Entschädigung geltend zu machen in der Lage seien.

Endlich hat die kais. Regierung durch das Organ des Unterzeichneten die kräftige Einwirkung des Bundes Rathes in Anspruch genommen, damit den ans dem Canton Tefsin gewaltsam vertriebenen Ordens Geistlichen lombardischen Ursprungs entweder die Wieder Aufnahme in ihre Klöster gewährt oder doch zum mindesten für ihre Çebenézeit ein angemessener Jahres Gehalt zugesichert werden moge.

Keinem dieser eben so begründeten als gesetzmäßigen SBerlangen ist entsprochen worden, und die kais. Regierung hat sich daher wenn gleich mit Widerstreben genöthigt gesehen, die für diesen Fall in der diesseitigen Note vom 21. Dezember v. J. ausdrücklich in Aussicht gestellte Maßreget zur Ausführung zu bringen, und in gerechter Abwehr die Angehörigen Tessins in der Lombardie eben so zu behandeln, wie kaiserliche Unterthanen des lombardisch venetianischen Königreichs in jenem schwei3er Canton behandelt worden sind.

Wenn daher der Vorwnrf der Härte, der dieser Maßregel gemacht werden will, jedenfalls auf diejenigen zurückfallen muß, die dazu die erste Veranlassung geboten haben,, fo sind überdies bei der Ausführung derselben Ausnahmen und Rücksichten eingetreten, die bei der Vertreibung der ..Ordens Geistlichen aus Tefsin durchaus vermißt worden sind.

591 Unter diesen Umständen ist es einleuchtend, daß die kaif. Regierung der Erwartung des hohen fchweizerifchen Bundes Rathes, es werbe der Verkehr mit dem Nachbar Canton sogleich auf dem frühern Fuße wieder hergestellt werden, in so lange zu entsprechen sich außer Stande sieht, als nicht die Ergebnisse der von dem hohen Bundes Rath im Canton Tefsin angeordneten Maßregeln vollständig vorliegen und nicht den übrigen gerechten Begehren der kaiserlichen Regierung Genüge geleistet worden ist.

Jndem der Unterzeichnete die Ehre hat, die gefällige Note Sr. Exeellenz des Herrn Bundes Präsidenten und des hohen fchweizerischen Bundes Rathes vom 22. v. M.

hiemit ergebenst zu beantworten, benützt er zugleich diesen Anlaß zum Ausdruck seiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

Gf. .Slarnirfi.

#ST#

Note

des schweiz. B u n d e s r a t h e s an die f. f. österreichische Gesandtschaft in Bern.

(Vom 21. März 1853.)

In der vorläufigen Erwiderung, welche der fchweizerifche Bundesrath am 22. des verflossenen Monats Sr.

Hochwohlgeboren hinsichtlich der gegen den Kanton Tefftn angeordneten Gränzsperre zu übergeben die Ehre hatte, konnte derselbe über die gegen den Kanton Tessin gerichteten Anschuldigungen sich nicht einläßlich ausfprechen, weil vorerst der Bericht des eidgenössischen Kommissärs abgewartet werden mußte. Nachdem nun der Bundes* rath in den Besiz dieses Berichtes gelangt ist, dörf er

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Note der f. f. österreichischen Gesandtschaft an den schweizerischen Bundesrath. (Vom 15.

März 1853.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1853

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

16

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

02.04.1853

Date Data Seite

586-591

Page Pagina Ref. No

10 001 113

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.