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Sd)weizeri|d)es

Buudesblatt.

Jahrgang V. Band III.

Nro.

35.

Dienstag,- den 2. August 1853.

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Bericht der

Kommission des Nationalrathes über den Konflikt

mit Oesterreich.

(Vom 26. Juli 1853.)

Tit.

Der Bundesrath hat sich veranlaßt gesehen, Ihnen unterm 8. dieses Monats einen Bericht über den KonPikt mit Oesterreich zu erstatten und Sie ferner vermittelft Botschaft vom 6. Juli im Hinblike auf die gegenwärtigen politifchen Konstellationen um Bewilligung eine..!

Kredites von Fr. 211,763 zu militärische« Zweien anzugehen.

Sie, Tit., haben sodann diese beiden .-Sorlagen an die unterzeichnete Kommission zur Begutachtung überwiesen.

Jndem die Kommission zur Lösung der ihr gestellten Aufgabe zu schreiten die Ehre hat, tvill sie nicht untersuchen, ob der Bundesrath wohl daran gethan habe, der Bundesblatt. Jahrg. v. Bd. m.

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198 Bundesversammlung, wenn ihr doch keine Anträge vor* gelegt werden wollten, einen Bericht über den Konflikt mit Oesterreich zu erstatten, und ob es nicht angemessener gewesen wäre, wenn er sachbezügliche Interpellationen aus dem Schöße der Bundesversammlung und die Schluß« nahmen der leztern über solche Jnterpellationen gewärtigt hätte. Der Bericht des Bundesrathes liegt nun einmal vor und muß also von der Bundesversammlung in Berathung genommen werden.

Geht die Kommission nun zur Würdigung des Jnhaltes des in Rede stehenden Berichtes über, so kann sie nicht verhehlen, daß sie in demselben wenig mehr als einen Auszug aus der schon vor einiger Zeit veröffent« lichten Sammlung der in dem Konflikte mit Oesterreich gewechselten Noten zu erblifen vermochte und daß sie sich darum nach Durchlesung des Berichtes ungesähr aus demselben Punkte befand, aus welchem sie vorher gewefen.

Die Kommission glaubte daher, den Herrn Bundespräsidenten in ihre Mitte berufen und ihn einladen zu follen, ihr noch weitere und erschöpfende Auskunft über den ge
Fällt nun die Frage in Erörterung, welche Beschlüsse die Bundesversammlung in Folge des ihr erstatteten Be-

199 richtes des Bundesrathes fassen solle, so hält die Kommission dafür, es wäre nicht angemessen, wenn die Bun« desverfammlung die vorwürfige Angelegenheit in dem Stadium, in welchem sie sich gegenwärtig befindet, selbst: an Hand nehmen würde. Die Kommission beehrt sich, die Gründe, welche sie zu dieser Anschauungsweise veranlassen. Ihrer Würdigung zu unterstellen. Einen ersten und entscheidenden Grund, einen Grund, der allein schon zur Rechtfertigung unserer Ansicht hinreichen dürfte, finden wir darin, daß, wie bereits berührt, nicht alles, was die gegenwärtige Sachlage des Konfliktes mit Oesterreich ins Licht zu fezeK geeignet ist, der Bnndesverammlung mitgetheilt werden kann und daß somit diese Behörde, wenn sie dessen ungeachtet die Lösung des Konfliktes selbst an Hand nehmen wollte, in den Fall kommen müßte, Beschlüsse zu fassen, ohne eine vollständige Kenntniß von allen dabei in Betracht zu ziehenden Verhältnissen zu besizen.

Einen z w e i t e n Grund für ihre Anschauungsweise erlaubt sich die Kommission dadurch geltend zu machen, daß sie die Ueberzeugung auefpricht, es sei die Bundesversammlung nicht die geeignete Behörde, um diplomatische UnterHandlungen mit dem Auslande zu pflegen. Vielleicht will hier eingewendet werden, es handle sich nicht mehr um solche Unterhandlungen und es dürfe sich nicht mehr um dieselben handeln. Die Kommission glaubt aber nicht dem Gedanken Raum geben zu sollen, daß es bereits s.» weit gekommen und daß jede Möglichkeit einer ehrenhaften Verständigung abgeschnitten sei. Jst dem aber so, so wird es nicht schwer sein, nachzuweisen, daß die Bundesversammlung nicht die geeignete Behörde ist, um unter den obwaltenden Umständen die Leitung der vorwürfigen Angelegenheit an die Hand zu nehmen. Man vergegenwärtige sich, wie Verständigungen zwischen Staaten gewohn-

200 lich eingeleitet werden. Zuerst erfolgen vertrauliche Er.Öffnungen, anfangs bloß mündlich, dann schriftlich. Hierauf kömmt es zu Vorschlägen, die, wenn auch bereits in eine bestimmte Fassung gebracht, doch immer noch als bloß vorläufig und unmaßgeblich gelten sollen; und erst zulezt, vielleicht nach Ueberwindung vieler und großer (Schwierigkeiten, wird dann etwa eine abschließliche 23erBändigung zu Stande gebracht. Wer sollte nicht zugeben, daß derartige Verhandlungen nicht von der Bundesversammlung, sondern nur von Beauftragten des Bundesrathes, beziehungsweise von dieser leztern Behörde selbst gepflogen werden können? Es verdient aber auch noch ein anderer Gesichtspunkt nachdrüklich hervorgehoben zu werden. Jn der in Frage stehenden Angelegenheit kann sich die Sachlage von heute auf morgen verändern. Sie ïann sich verändern, weil die Regierung desjenigen Staates, mit welchem sich die Schweiz im Konflikte befindet, gerechtere und mäßigere Gesinnungen annimmt; sie kann sich verändern in Folge der Einwirkung unbetheiligter Staaten, welche einen befondern Wertl) auf die Aufrechthaltung des Weltfriedens und daher auf die Beilegung des zwischen der Schweiz und Oesterreich obwaltenden Zwistes sezen; sie kann sich verändern in Folge anderweitiger politischer Ereignisse und Verhältnisse, welche die Zwischen der Schweiz und Oesterreich begehende Ungleich"j.eit in Betreff der ihnen zu Gebote stehenden militärischen Streitkräfte in hohem Grade auszugleichen geeignet sein können. Der Bundesrath kann allen diesen Schwankungen folgen und sie jeweilen im Interesse einer glüklichen Lösung des obwaltenden Konfliktes benuzen. Der BundesVersammlung, einem sehr zahlreichen, ans zwei getrennt verhandelnden Räthen bestehenden gesezgebenden Körper, ·ware diffj; «ntnöglich. Wie wenig die Bundesversamrn-

201 lung, indem sie die Entwirrung des in Folge des Konfliftes mit Oesterreich geschürzten Knotens selbst an Hand nähme, dazu geeignet wäre, die Unterhandlungen, welche zu diesem Ende hin allfällig stattfinden möchten, von sich aus zu pflegen, stellt sich endlich auf das unzweideutigste dann heraus, wenn die Gegenstände ins Auge gefaßt werden, die bei derartigen Unterhaullungen neben den Punkten, welche als die unmittelbare Veranlassung des obwaltenden Konfliktes anzufehen sind, zur Sprache zit bringen fein dürften. Die Kommission erwähnt hier vor Allem der Lostrennnng des Tessins, des Pnschlavs und Brusios von dem Erzbiethume Mailand und dem Bisthume Como und der Einverleibung jener schweizerischen Gebietstheile in ein schweizerisches Bisthum. Wem sollten nicht die mannigfachen Verwikelungen und Gefahren anf den ersten Blik einleuchten, welche daraus hervorgehen müssen, daß ein wesentlich österreichisches Erzbisthnm und Bislhum auch einzelne Theile der Schweiz und zwar gerade solche umfaßt, welche, wie nun einmal die Ersah» rung zeigt, sonst schon vielfach mit Oesterreich in Reibnngen und Zerwürfnisse gerathen? Wir erwähnen ferner der Reklamationen, welche die Eidgenossenfchaft an Oesterreich in Betreff der fchweizerifchen Freipläze im Kollegium Barromäum zu machen hat. Wir glauben auch der Fortführung der Eisenbahn von Kamerlata nach Chiasso gedenken zu sollen. Jn Betreff mehrerer der hier namhaft gemachten Punkte ist bis zur Stunde noch nicht einmal das Stadium von ersten Unterhandlungen durchlaufen.

Dessen ungeachtet sollte die Bundesversammlung es nicht dem Bundesrathe überlassen wollen, sie anläßlich des obwaltenden Konfliktes zu passender Zeit und in geeigneter Weise zur Verhandlung und zu angemessener Erledigung zu bringen %. Die Bundesversammlung sollte dafür halten,

202 der rechte Augenblik sei bereits gekommen, um alle diese Gegenstände in den Bereich ihrer Verhandlungen und entscheidenden Schlußnahmen zu ziehen ? Wir können es nicht glauben. Die Kommission erblikt endlich einen d r i t t e n Grund für ihre Ansicht, daß die Bundesversammlung die vorwürfige Angelegenheit zur Zeit nicht selbst an Hand nehmen soll, darin, daß die Behandlung diefer Angelegenheit in dem Stadium, in dem sie sich Ö egenwärtig hefindet, nicht mehr in dem Umfange der freien Entschließung anheim gegeben ist, wie dieß zu der Zeit der Fall war, da die Verwiklung entstanden ist. Wenn der Bundesrath damals von sich aus zwischen zwei Wegen, die eingeschlagen werden konnten, gewählt hat und wenn er auf der Bahn, für welche er sich entfchieden, nunmehr während einer geraumen Zeit fortgewandelt ist, so kann zwar die Bundesversammlung jeden Augenblik einen andern Pfad betreten -- niemand wird daran denken, ihr das Recht und unter Umständen auch die Pflicht hiezu zu bestreiten -- sie wird aber immerhin der bis anhin beobachteten Politik schon darum, weil sie eben bisher befolgt worden ist, ein bedeutendes Gewicht beimessen zu sollen glauben ; sie wird sich durch die einmal eingeschlagene Politik zwar nicht etwa unbebingt gebunden erachten, aber sie doch hinwie* der nur nm sehr überwiegender Gründe willen, welche nach der Ansicht der Kommission zur Zeit nicht vorliegen, zu verlassen sich entschließen können. Wir glauben, die Bundesversammlung werde in Würdigung dieser nicht völlig freien Stellung, in der sie sich befindet, dem aus andern bereits entwikelten Gründen sich empfehlenden Antrage, den Bundesrath in dem Stadium, in welchem sich die vorwürsige Angelegenheit gegenwärtig befindet, gewähren zu lassen, nur um fo lieber beipflichten. -- Wenn die Kommission, gestüzt auf diese Ausführung, Jhnen den

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Antrag stellt. Sie wollen beschließen, es sei unter den obwaltenden Umständen keine Veranlassung zu Weifungen an den Bundesrath betreffend die weitere Behandlung der vorwürfigen Angelegenheit vorhanden, und wenn sie deßhalb folgerichtig von einer einläßlichen Würdigung des obwaltenden Konfliktes im Allgemeinen und des sachbezüglichen Verhaltens des Bundesrathes im Befondern Umgang nimmt, so glaubt sie doch den Gefammteindruî, den sie bei einer gewissenhaften Prüfung des dem Konflikte zu Grunde liegenden Thatbestandes in allen seinen Einzelnheiten empsangen hat, in einigen Grundzügen in ihren Bericht niederlegen zu sollen. Die Kommission hält dafür, es sei von Seiten der Schweiz alles in vollem Maße gethan worden, was auch bei der strengsten Ansfassung der ..inem Staate durch das Völkerrecht auferlegten Verpflichtungen von ihr gefordert werden kann.

Die Kommifsion spricht serner die Ueberzeugung aus, daß

die Schweiz, ohne ihrer Würde und Selbstständigkeit zu vergeben, auf weiter gehende Forderungen Oesterreichs nicht eingehen könnte. Die Kommission ist endlich der

Ansicht, daß Oesterreich der Schweiz durch die Verhängung der Gränzsperre gegen Tessin und durch die Wegweifung der Tessiner aus der Lombardei eine Beleidigung zugefügt hat, für welche sich die Eibgenossenschaft bei passender Gelegenheit früher oder später Genugtuung verschossen foll.

Wenn wir Jhnen übrigens vorschlagen, die vorwürfige Angelegenheit unter den obwaltenden Umständen nicht selbst an die Hand zu nehmen, fondern der Obsorge des Bundesrathes anvertraut zu lassen, fo verbinden wir damit hinwieder den Antrag, Sie wollen, indem Sie dieß befchließen, die Erwartung gegen den Bundesrath aussprechen, daß er nichts verabsäumen werde, was die

204 Wahrung der Rechte und Unabhängigkeit der Schweiz erheischt. Die Kommission ist keinen Angenblik im Zweifel über die Haltung, welche unfer Volk gegenüber dem Auslande beobachtet wissen will. Es widerstrebt dem fchweizerifchen Volke, eine herausfordernde Stellung .gegenüber dem Anslande einzunehmen. Es ist aber entschlossen und hält sich für f v ollkommen stark genug, feine Rechte und seine Unabhängigkeit gegen alle Angriffe, woher sie auch immer kommen mögen, zu vertheidigen. Das fchweizerische Volk wird auch nicht vergessen, daß eine Nation, je kleiner sie ist, um fo mehr Veranlassung hat, mit der

größten Aengstlichkeit über die Aufrechthaltung ihrer Unabhängigkeit und die Wahrung ihrer Rechte zu wachen.

Das fchweizerische Volk hat endlich zu viel gesunde Urtheilskraft, um nicht einzufehen, daß eine Nation, welche auch nur ein ihr zustehendes Recht sorglos Preis gibt, an den Ansang eines Abhanges geräth, welcher einem Abgrunde, der das Grab ihrer Unabhängigkeit in sich birgt, unaushaltsam zuführt. Darum sei der Bundesrath wachsam und rüstig aus der Warte. Er weife Eingriffe in unfere Rechte, von wem sie auch versucht werden mögen, mit Entschlossenheit zurük. Das schweizerische Volk ttnrd zu einer solchen sesten und würdigen Politik des Bundesrathes freudig und entschieden stehen. Es wird mit um so viel mehr Hingebung Gut und Blut fiir dieselbe einfezen, als es aus dem bisherigen Verhalten des-Bundesrathes die Ueberzeugung schöpfen konnte, daß er weit davon entfernt ist, die Schweiz ohne die dringendste Veranlassung in einen Krieg mit dem Auslande zu verwikeln.

Damit aber die Schweiz in den Stand gesezt werde, erforderlichen Falls eine solche entschlossene Stellung zur Wahrung ihrer Rechte und ihrer Unabhängigkeit einnehrnen und allen dabei sich ergebenden Wechselfällen mit

205 Aussicht auf Erfolg die Stirne bieten zu können, müssen die hiezu nöthigen Vorbereitungen rechtzeitig getroffen werden. Von dieser Anschauungsweise ausgehend, beantragt Jhne« die Kommission, dem Bundesrathe nicht nur den von ihm zu militärischen Zweken verlangten Nachtragskredit von Fr. 211,763 zu bewilligen, fondern ihm überdifjj einen unbestimmten Kredit zur Vervollständigung der Vertheidigungsmittel der Eidgenossenschaft, fo weit sie dem Bundesrathe nothwendig fcheint, zu eröffnen.

Die Kommission glaubt nun aber noch Jhre besondere Aufmerksamkeit auf die schwierige Lage richten zu sollen, in welcher sich unser Mitstand, der Kanton Tefsin, so lange die von Oesterreich gegen denselben ergriffenen Maßregeln fortdauern, befindet. Wir beehren uns, Jhnen in diefer Beziehung vorerst einige theilweise durch statistische Angaben belegte Thatfachen vorzulegen, welche dazu dienen dürften, Jhnen ein deutlicheres Bild von den im Kanton Tessin in Folge der Schritte Oesterreichs bestehenden Zustände zu gewähren. Was vorerst die aus der Lombardei ausgewiefenen Tessiner anbetrifft, so beläust sich ihre Zahl auf 6212. Die meisten derselben befinden sich noch gegenwärtig im Kanton Tefsin. Es kehrten freilich einzelne derselben nach der Lombardei zurük, jedoch in sehr geringer Zahl, da es nur um den Preis der Verzichtleistung auf das tessinische Bürgerrecht geschehen durfte, und diejenigen Tessiner, welchen Arbeit in der Schweiz und in Sardinien verschafft werden konnte, sind meistens nicht solche, welche aus der Lombardei weggewiesen worden, sondern solche, welche alljährlich im Ansang des Sommers sich in das Ausland, größtenthcils in die Lombardei zu begeben pflegten, um dort durch Ausübung verschiedener Berussarten ihrem Broderwerbe nachzugehen. Die von Oesterreich verhängte Gränzsperre sodann anlangend, weist die Kommission vor

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Allem auf die eben erwähnten Tessiner hin, welche jeweilen den Sommer als Maurer, Steinhauer, Ziegler n. s. w.

in der Lombardei zubringen. Jhre Zahl belauft sich auf

3000 bis 4000. Es ist nun zwar freilich das möglichste geschehen, um diesen Tefsinern Beschäftigung in der Schweiz und in Sardinien zu verfchaffen; es darf aber dabei nicht außer Acht gelassen werden, daß ihnen diese beiden Länder früher schon neben der Lombardei offen gestanden und daß, wenn sie sich dessen ungeachtet in ihrer überwiegenden Mehrzahl nach der Lombardei begaben, darauf wohl gefolgert werden muß, daß sie in diesem Lande ihr Auskommen am besten fanden. Die Lombardei ist ihnen nun aber gänzlich verschlossen. Die Kommission gedenkt ferner der vielen Bewohner der Bezirke Mendrisio und Lugano, welche als Taglöhner ihr Auskommen in der Lombardei gefunden haben und denen nunmehr der Eintritt in dieses Land ebenfalls unterfagt ist. Sie erwähnt im Weitern der sehr zahlreichen tefsinifchen Seidenfpinnerinnen, welche von der Lombardei aus Beschäftigung erhielten, nunmehr aber durch die Sperre von ihren Arbeitgebern abgeschnitten sind.

Obgleich die tefsinische Regierung, unterstüzt von dem eidgen. Kommissar, eine Seidenspinnerei auf dem Gebiete des Kantons Teffin errichtet hat, fo befinden sich dennoch zur Stunde noch ungefähr 400 unbeschästigte Seidenfpinnerinnen in dem einzigen Bezirke Mendrisio. Die Kommission hebt endlich alle die vielen Plakereien, Hemmungen und Uebelstände der verschiedensten Art hervor, welche eine Gränzsperre mit Notwendigkeit für diejenigen Landesgegenden nach sich zieht, welche von derfelben unmittelbar betroffen werden. Gewiß, die Lage des Kantons Tefsin ist eine sehr schwierige und dazu geeignet, die volle bundesbrüderliche Theilnahme der obersten Behörde der Eidgenosscnfchaft in Anspruch zu nehmen. Bevor jedoch die

207 Kommission sich dießfalls des nähern ausfpricht, glaubt sie Ihnen noch einige übersichtliche Mittheilungen über das, was bis anhin zur Milderung des Nothzustandes im Kanton Tefsin geschehen ist, machen zn sollen. Die Unterstüzungen, welche bis .Ende Juni den durch die Maßregeln Oesterreichs am härtesten Betrossenen verabreicht worden sind, belaufen sich auf die Gefammtsumme von Fr. 128,816.

Von dieser Summe wurden Fr. 4000, um dem ersten dringendsten Bedurfnisse zu genügen, und Fr. 21,306, als Reisegeld für folche, welche in der Schweiz und in Sardinien Arbeit suchen wollten, verausgabt. Der Rest der Summe wurde zu den ordentlichen monatlichen Unterstüzungen verwendet, welche im April Fr. 35,831, im Mai Fr. 38,205 und im Juni Fr. 29,474 betrugen. Dabei muß hervorgehoben werden, daß diese Unterstüzungen nur in sehr beschränkter, man dürfte fast sagen kümmerlicher Weise verabreicht wurden. Es ward nämlich als Regel bestimmt, daß die monatliche Unterstüzung für eine Perfon nicht Fx. 10, für eine Familie nicht Fr. 40 übersteigen dürfe. Die Gefammtfnmme der freiwilligen, zur Linderung des Nothzustandes in Tejsin geflossenen Gaben beläuft sich auf Fr. 260,000. Wird hievon vorerst die bis Ende Juni verausgabte Unterstüzungssumme mit Fr. 129,000 in rnnder Zahl und sodann ein Betrag von Fr. 30,000 als monatliche Unterstüzung für den Jnli in Abzug gebracht, fo restirt von den freiwilligen'Gaben mit 31. Juli noch eine Summe von ungefähr Fr. 100,000. Angesichts diefes Sachverhaltes könnte nun etwa die Ansicht auftauchen, es fei von Kantonen und Privaten fchon so viel für den Kanton Tessin gethan worden, daß die Bnndesversammlnng es siiglich bei dem Beitrage von Fr. 20,000, der bereits von Bundes wegen geleistet worden, bewenden lassen

und sich jeglicher weitern Betheiligung enthalten könne.

208 Wir vermöchten einer solchen Anschauungsweise nicht beizutreten. Wir können uns nämlich nur zwei Motive für dieselbe denken, die wir beide für gleich unstichhaltig erklären müssen. Ein erstes Motiv möchte in der Behauptung gefucht werden wollen, daß eine ökonomische Handbietung zur Erleichterung der Lage des Tefsins zwar wohl in der Stellung derjenigen, welche sie bereits in fo bedeutendem Maße haben eintreten lassen, liegen möge, nicht aber in derjenigen der Eidgenossenschaft. Die Kommission glaubt nun aber im Gegentheile gerade in den vielen und großen freiwilligen Gaben, welche von Kantonen und Privaten für den Kanton Tessin zusammengelegt worden, den Willen des schweizerischen Volkes zu erkennen, daß auch die Bundesversammlung, als das offizielle Organ der gerammten Eidgenossenschaft, nicht minder hochherzig dem leidenden

Bundesgliede thatkräftige Handbietung angedeihen lasse.

Jene Anschauungsweise könnte aber anch auf das andere Motiv gestüzt werden wollen, daß gar kein Bedürfniß zu weitern ökonomischen Leistungen für den Kanton Tessin vorhanden sei, und dieß gewährt nun der Kommission die erwünschte Gelegenheit, sich hierüber etwas genauer zu erklären. Wir glauben, die Eidgenossenschaft könne dem Kanton Tessin eine ökonomische Handbietung in doppelter Weise zu Theil werden lassen. Sie kann vorerst ihre Mitwirkung in der Richtung, in der dem Kanton Tessin bis anhin hülfreiche Hand geboten worden ist, auch weiter eintreten lassen; sie kann sich also bei der Unterstüzung derjenigen Schweizerbürger, welche durch die Maßregeln Oestcrreichs gegen Tessin in förmlichen Nothstand verfezt worden sind, auch ferner betheiligen und sie wird, indem sie dieses thut,

vielleicht dazu beitragen, daß die Unterstüzung/ die bis anhin nur in fehr beschränkter Weise stattgefunden hat, in Zukunft in etwas ausgedehnterm Umfange dürfte ver-

209 abreicht werden können. Die Eidgenossenschaft kann aber auch denjenigen, welche durch die plözliche Wegweifung aus der Lombardei zwar in empfindlichen Schaden, aber nicht gerade in förmlichen Nothstand versezt worden sind, einigermaßen unter die Arme greifen. Ob wir uns nun eine Handbietung der Eidgenossenfchaft in der einen oder in der andern, oder in beiden Richtungen zugleich denk en, so könnten wir uns nie zu einer Ansicht bekennen, welche das Bedürfniß dazu von vorn herein und unter allen Umständen in Abrede stellen wollte. Hinwieder geben wir aber unbedenklich zu, daß zur Zeit unmöglich genau bestimmt werden kann, in welcher Weife und in welchem Maße eine folche Handbietung im Verfolge einzutreten habe. Bei diefer Lage der Dinge erbliken wir das einzig richtige Verfahren darin, daß dem Bundesrathe ein unbestimmter Kredit eröffnet werde, damit er, je nach der Gestaltung der Verhältnisse, in dem Umfange, in welchem es ihm notwendig fcheint, zur Erleichterung der Lage der durch die Maßregeln Oesterreichs gegen Tessin gefchädigten Schweizerbürger weiter beitragen könne. Jndem wir Jhnen alfo den Antrag zur Eröffnung eines Kredites in der angedeuteten Weise stellen, brauchen wir wohl nicht nicht noch besonders hervorzuheben, daß, wenn Sie den Antrag zum Beschlüsse erheben, dadurch etwaigen Bestimmunge» über die Vergütung des durch die Maßregeln Oesterreichs gegen Tessin verursachten Schadens, welche anläßlich von allsälligen Unterhandlungen vereinbart werden möchten, in keiner Weise vorgegriffen würde. -- Die Kommission würde die Begründung dieses ihres lezten Antrages nicht erschöpft zu haben glauben, wenn sie nicht noch eine politische Betrachtung, der sie eine große Bedeutung beimessen zu sollen glaubt, schließlich in ihren Bericht niederlegen wurde. Der Kanton Tessin hat in

210 Folge seiner geographischen Lage und in Folge der Sprache seiner Bewohner eine Stellung in der Eidgenossenschaft, welche oft wenigstens den Schein hervorzurufen geeignet ist, als wären die Bande, durch die er mit dem Gefammte vaterlande verbunden ist, lokerer als diejenigen, welche die andern Kantone an die Eidgenossenschaft knüpfen. Je fester diese Thatsache steht, ein desto größeres politisches Interesse hat die Eidgcnossenfchaft, den Kanton Tessin immer enger an sich zu ketten. Dieser schöne Zwek wird aber nicht wirffamer angestrebt werden können, als wenn die Eidgenossenschaft dem Kanton Tefsin gerade in trüben Tagen durch die That den Beweis leistet, daß er ihr ebenso nahe steht, als irgend ein anderes Glied der schweizerischen Staatsfamilie. Ein derartiges Verhalten der Eidgenossenschaft gegen Tessin empfiehlt sich aber auch noch von einem andern Standpunkte aus. Die politische Haltung des Kantons Tessin ist mehr und mehr dazu geeignet, ihm gegründete Ansprüche auf die Anerkennung der Eidgenossenschaft zu verfchaffcn. Der Kanton Tefsin schließt sich immer enger, immer freudiger und immer wärmer an das schweizerische Gtsammtvaterland an. Der Kanton ...tessi« anerkennt in seinem Sßerhaltfn gegenüber dem Auslande immer rükhaltloser die Pflichten, welche ihm nicht bloß das Völkerrecht, sondern auch seine Stellung als Glied des schweizerischen Bundeéstaates auferlegt. Der Kanton Tessili ist endlich der neuen Bundesversassung mit aufrichtiger Entschiedenheit zugethan, und es wirkt in ihm derjenige politische Gi'ist ««geschwächt fort, ohne welchen unfere neuen Bundeseinrichtungen nie entstanden waren und ohne den sie uns auch nimmer erhalten bleiben werden. Bei dieser Sachlage hat die Eidgenossenfchaft ein großes politisches Jntmsse daran, daß der Kanton Tessin auf der Bahn, die er immer entschie-

211 dener einhalten zu wollen fcheint, stetsfort sicherern Trittes fortwandle. Die Eidgenossenschaft wird aber auf keinem Wege erfolgreicher dazu mitwirken können, -als wenn sie dem Kanton Tefsin in der schwierigen Lage, in der er

sich gegenwärtig befindet, kräftig und treu zur Seite steht.

Gestüzt auf alle diefe Ausführungen beehrt sich die Kommission, Jhnen, Tit., nachfolgenden Beschlußentwurf zur Annahme vorzuschlagen:

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrathes vom 8. Juli 1853 über den Konflikt mit Oesterreich, fo wie einer Botfchaft derselben Behörde vom 6. Juli 1853, betreffend einen zu militärischen Zweken zu eröffnenden Nachtragslredit,

beschließt: 1) Die Bundesversammlung sieht sich unter den obwal.» tenden Umständen und in der Erwartung, daß der Bundesrath nichts verabsäumen wird, was die Wahrnng der Rechte und der Unabhängigkeit der Schweiz erheischt, zu Weifungen an den Bundesrath betreffend die weitere Behandlung der vorwürsigen Angelegenheit nicht veranlaßt.

2) Der von dem -..Bundesrathe vermittelst Botfchaft vorn 6. Juli zu militärischen Zweken verlangte Nachtragskredit von Fr. 211,763 wird bewilligt.

3) Dem Bundesrathe wird ein unbestimmter Kredit eröffnet, um, so weit es ihm nothwendig scheint, theils die Vertheidignngsmittel der Eidgenossenschaft zu ver-

vollständigen, theils zur Erleichterung der Lage der

durch die Maßregeln Oesterreichs gegen Tessin geschädigten Schweizerbürger weiter beizutragen.

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...Oie Kommission schlägt Jhnen diesen Beschlußent« wnrf e i n m ü t h i g vor und sie kann nicht umhin, ihre Freude darüber auszusprechen, daß sie sich in dieser wichligen Angelegenheit hat einigen können. ..Die Kommission ist weit entfernt, sich der eiteln Hoffnung hinzugeben, als wäre deßhalb nun auch eine einmüthige Schlußnahme des Nationalrathes zu gewärtigen; sie glaubt aber dennoch, es werde dieser Vorgang nicht ohne allen Einfluß auf den Gang Jhrer Berathungen bleiben.

Es erübrigt nun der Kommission nur noch, eine angenehme Pflicht zu erfüllen, indem sie sich die Ehre gibt.

Sie, Tit., Jhrer ausgezeichneten Hochachtung und Ergebenheit zu versichern, Bern, den 26. Juli 1853.

Die Mitglieder der Kommission : Dr. A. Escher, Berichterstatter.

·stampili.

3»ioda.

........ Blanchenao.

®tehlin.

Dr. Äcrn.

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Bericht der Kommission des Nationalrathes über den Konflikt mit Oesterreich. (Vom 26.

Juli 1853.)

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02.08.1853

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