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Schweizerisches

u u d e s bl a t t.

Jahrgang V. Band III.

Nro 39.

Sam;stag, den 27. August 1853.

Man abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Postamt. Preis für das Jahr 1853 Im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i grfn. 4. 40 Centimen. Inferate sind f r a n k i r t an die Expedition einzusenden. Gebühr 15 (Centimen per Zeile oder deren Raum.

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des

schweiz. Bundesgerichtes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung vom

Juli 1851 bis zum Juli 3853.

(Vom 20. Juli 1853.)

Tit.

©emäß Art. 73 des Bundesgefezcs über die Organifation der Bundesrechtspflege hat das Bundesgericht der hohen Bundesversammlung jedes .Iahr einen Bericht über die verschiedenen Zweige der eidg. Rechtspflege zu erstatten.

Den ersten Bericht erstattete das ...Bundesgericht, das fich im Iahr 1849 konstituirte, im Iu[i 1851, welcher Bericht fich bis auf diesen Zeitpunkt erstrekte und nicht auf das Iahr 1850, in welchem das Gericht seine erste

Gefchäftsfizung hielt, beschränkt war.

Buntesblatt. Iahrg.Y. Bd. HI.

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Vor einem Jahre erfolgte laut Anzeige des Präfidenten des Bundesgerichtes vom 7. Juli 1852 aus dieser

Ursache kein Bericht.

Wir find daher im Falle, an den im Juli 1851 ge«1 gebenen Bericht anzuknüpfen und führen ihn fort bis auf den gegenwärtigen Zeitpunkt.

Da einerseits nicht der Fall ist, der hohen Bunde.!versammlnng den nähern Inhalt der gcwaltcten Prozesse darzulegen i da andercrfeits dûs Bundesgericht, gleich jeglichem andern Gerichte, seine materiellen Entscheidun-' gen nicht zu rechtfertigen hat, und da endlich die ©ränzen der Wirksamkeit des Bundesgerichts fehr enge gezogen find, so muß unsere Berichterstattung nöthwendig kurz ausfallen.

Gemäß Verfassung und Gesez hat das Bundesgericht in pieno als Z i v i l g e r i c h t zu entscheiden, erstlich die Streitigkeiten zwischen Kantonen unter sich und zwifchen dem Bunde und einem Kantone.

Zwischen dem Bund und einem Kanton (ausgenom« men die Prozesse über die Einbürgerung heimathlofer Personen, welche Prozesse einer besondern Rubrik-angehoren), waltete kein Rechtsstreit.

Zwischen Kantonen unter fich ergaben sich hingegen folgende Prozesse : 1) zwifchen Aargau und Uri, in Betreff des Heimathrechts eines Kindes, Namens Iohanna Walker.

Dasfelbe wurde dem Kanton Uri zugesprochen; 2) zwischen Wallis und greiburg, in Betreff einer Foiderung von Fr. 26,054 a. W., welche der Stand greiburg als Rechtsnachfolger des Klosters der Urfulincrinnen im Kanton Freiburg an den Stand

Wallis machte.

305 Es handelte fich hier um Revifion eines früher, im Iahr 1851 von dem Bundesgerichte erlassenen Urtheils. Wallis wurde mit seinem Revifionsbegehren abgewiesen ; 3) zwischen Bern und Aargau, in Betreff des Bürger-

rechts eines Kindes des Iakob .Plüß und der Elisabeth Anliker, Namens Iakob. Dasselbe wurde dem Kanton Bern zugesprochen.

Das Bundesgericht als Zivilgericht hat zweitens zu entfèeiden die Streitigkeiten zwischen dem Bund einerseits und Korporationen und Privaten andererseits, wenn diese Korporationen oder Privaten Kläger find und der Streitgegenstand einen Werth von wenigstens gr. 3000 a. W. hat. Ein solcher Prozeß wurde ent* schieden zwischen Albert Edmund Grenus von Genf und dem Bund, Namens der Grenusschen Invalidenkasse, betreffend eine Forderung von Fr. 22,400 a. W. Der Bund wurde zur Bezahlung verfällt.

Das .Bundesgericht als Z i v i l g e r i c h t hat drittens zu entscheiden Streitigkeiten in Bezug auf Heimathlofigkeit. Ueber diefe Materie erließ die hohe Bundesversammlung unterm 3. Dezember 1850 ein eigenes Gesez, gemäß welchem den Heimathlofen durch die Bundesbehörden ein Kantonsbürgerrecht und durch die betreffenden Kantone ein Gemeindsbürgerrecht ausgemittelt werden muß. Der Bundesrath hat die dießfallfigen Unterfuchungen anzustellen, und kann er fich mit dem betreffenden Kantone nicht verständigen, fo hat er als Kläger vor dem Bundesgericht gegen denfelben aufzutreten.

Solcher gälle find feit Erlaß des Gesezes bis jezt zwei vorgekommen: 1) gegenüber dem Kanton Solothurn, in Betreff der

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heimathlofen Familie Scherr. Solothurn wurde zur Einbürgerung verfällt; 2) gegenüber dem Kanton L u z e r n , in Betreff der Kinder einer Verena Wespi. Luzern wurde zur Uebernahme derfelben angehalten.

Mehrere folche....-.--9eimathlosenprozesse find rechtshängig, und eine Menge anderer stehen in Ausficht es zu werden.

Das Bundesgericht hat viertens laut Verfassung und Gefez die Streitigkeiten zwischen fchweizerifchen PrivatPersonen zu beurtheilen, wenn beide Parteien dasselbe als Richter anrufen und der Streitgegenstand wenigstens Fr. 3000 a. W. beträgt. Solcher Fälle wurde einer beurtheilt, zwischen der politischen Gemeinde Uznach, Kantons. St. Gallen, und der Korporationsverrnaltung der Ober- und Unterallmend in Schwyz, als Bcfizcrin des Schlosses Grynau, betreffend den Van und die Unterhaltung einer Brüke und einer Straßenstrcke oder vielmehr die Bezahlung einer Ablösungssumme für diese

Verpflichtung.

Gemäp der Bundesverfassung ist endlich fünftens das Vnndcsgcricht berufen, Klagen über Verlejung der durch die ...Sundeoverfassung garantirten Rechte, wenn solche Klagen von der Bundesversammlung an dasselbe gewiesen werden, zu beurtheilen. Die Klage einer Madame Dupré, geb. Michaud, inBülle, Kantons greiburg, über ein Dekret der dortigen Regierung wurde dergestalt dem Bundesgerichte zugewiesen und lezteres war im Falle, in Anerkennung der Begründtheit der Beschwerde, das fragliche Dekret, so weit es die Person der Klägerin beschlug, aufzuheben.

So viel, was die Verrichtungen des Bundesgerichts in pleno betrifft.

307 Anlangend die Abtheilungen desselben, so ist das K a s s a t i o n s g e r i c h t bestimmt, die Gesuche um Aufhebung der von den eidg. Affisen ausgefällten Urtheile, so wie die Kassationsgesuche gegen Urtheile, welche in gällen der Uebertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze erlassen worden, zu behandeln. Urtheile, von den eidg. Asstsen ausgefällt, wurden keine an das Kassationsgericht gezogen, hingegen wurden ihm sechs in Fällen der Ueberlretung fiskalischer und polizeilicher Bundelgeseze von kantonalen Gerichten erlassene Urtheile zur Kassation vorgelegt. Sie betrafen sämmtlich Umgehungen des eidgenössischen Zollgesezes. In fünf von den fechs Fällen war das eidg. Handels- und Zollteparlement Kassationskläger. In vier von den fechs Fällen wurde die Kassation ausgesprochen.

Die A n k l a g e k a m m e r .des Bundesgerichtes verfammelte fich viermal. Sie überwies fünf Straffälle

an die eidg. Affifen. In drei Fällen befchlng die An-

klage eidgenössische Postbeamte, in einem galle einen eidgenössischen Zollbeamten und in einem Falle drei Privaten, wovon zwei Ausländer, beklagt des Versuchs der völkerrechtswidrigen Unterstüzung eines Aufstandes in der Lombardie.

Es waren die Affifen des II. und IV. Bezirks, welche sich mit den fünf Straffällen zu befassen hatten. Es erfolgten drei Verurteilungen, eine Freisprechung und der lezte Fall ist noch nicht erledigt. Laut den Berichten des eidgenössischen ©encralanwalts und der Untersuchungsrichter wurde von ihnen in sieben angehobenen Strafuntersuchungen die gerichtliche Versolgung wieder aufgegeben. Die Anklagekammer hatte fich mit der Entschädigungsreklamation eines folchen, gegen welchen die Verfolgung aufgegeben wurde, zu befassen.

308 Von den aufgestellten f ü n f K r i m i n a l k a m m e r n des Bundesgerichts traten in den vorgedachten Straffällen zwei, jedoch beide wiederholt, in Funktion.

Nach dem eidgenössischen Erpropriationsgeseze hat das Bundcsgericht, beziehungsweise der Präsident desselben, das erste Mitglied und zwei Ersazmänner dieses Mitgliedes in Abschäzungskommissionen zu ernennen. In Hinficht auf die Eifenbahnunternehmungen finden sich allerorts, »o Konzessionen ertheilt wurden, die Schä«zungskommiffionen aufgestellt.

Dieses find, Tit., die Geschäfte, welche das Bun* desgericht und seine verschiedenen Abtheilungen seit der lezten Berichterstattung zu behandeln halten.

In Beziehung auf die Bundesrechtspflege im Allge-

meinen finden wir uns zu nachstehenden Bemerkungen veranlaßt: Es sind besonders drei eidgenösitsche Geseze, durch welche das gerichtliche Verfahren sich geregelt findet, nämlich: a. das provisorische Bundesgesez über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom November 185O-.

b. das Gesez über die Bundesstrafrechtspflege vom August 1851; c. das ©esez über das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer und polizeilicher Bnndesgeseze vom Iuni 1849.

Das erste diefer Geseze, enthaltend das Verfahren in Zivilprozessen, welches anfänglich auf zwei Iahre angenommen, dann voriges Iahr auf weitere drei Iahre als krafthabend erklärt wurde, bewährt fich im Ganzen als gut und zwekmäßig. Einzelne Bestimmungen mögen bei dem Anlasse, wo es fich um definitive Annahme des Gesezes handeln wird, verbessert werden.

309 Das zweite Gesez, enthaltend das Verfahren in Strafsachen, die an die eidgenössischen Asfifen gebracht zu werden bestimmt find, hat noch zu wenige Anwendung gefunden, als daß wir ein aus der Erfahrung geschöpftes Urtheil darüber abgeben könnten.

Das dritte Gesez hingeßen, enthaltend das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze bedarf unsers Erachtens nothwendig einer Revifion und Verbesserung. Die Vorschriften in demselben über die Art und Weise der Behandlung solcher FiskalProzesse vor den Gerichten find allzu unbestimmt und lükenhaft, fo daß beinahe in jedem vorkommenden Fall deßwegen fich Anstände erheben und die ungleichmäßigste Behandlung zum Vorschein tritt. Wir empfehlen daher eine Revision dieses Gesezes.

Wir wiederholen sodann die in unsern lezten Bericht bereits aufgenommene Andeutung, daß die Aufstellung eines Sportelntarifs für die eidgenösfifchen gerichtlichen Behörden erfolgen sollte. Mit Ausnahme einiger Bestimmungen in dem Geseze über die Bundesstrafrechts* pflege bestehen keine Vorfchriften.

Wir machen nochmals aufmerksam, daß dieser unser kurze Bericht nicht nur das Iahr 1852 umfaßt, sondern bis auf den gegenwärtigen Moment geht.

Genehmigen Sie fchließlich die Versicherung unferer vollkommensten Hochachtung und Ergebenheit.

Bern, den 20. Juli 1853.

Im Namen des schweiz. Bundesgerichts, Der Präsident: Kasimir Puffer D. J. U.

Der Bundesgerichtsschreiber: fy. @. Safchardt.

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Bericht des schweiz. Bundesgerichtes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung vom Juli 1851 bis zum Juli 1853. (Vom 20. Juli 1853.)

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27.08.1853

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