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Note

des schweiz. B u n d e s r a t h e s an die k. k österreichische Gesandtschaft in Bern, b e t r e f f e n d die -Angelegenheit der Seminarien von Poleggio und Ascona.

(Vom 4. Mai 1853.)

Durch die in neuester Zeit erst eingegangenen Auffchlüsse über die Angelegenheit der Seminarien von Poleggio und Aseona fieht sich der fchweizerifche Bundesrath endlich in den Stand gesezt, auf die verehrliche Note Sr. Hochwohlgeboren des Herrn Grafen Karnickj vom 19. August v. J. zu antworten.

Wenn in dieser Note verlangt wird, daß dem rechtsund vertragswidrigen Vorgehen der Tesfiner Behörden schleunigst ein Ziel gesezt, der Erzbischof von Mailand und der Bischof von Eomo in alle ihnen rükfichtlich der Seminarien von Poleggio und Aseona zustehenden Rechte wieder eingesczt, jedenfalls aber ihnen der ordentliche Rechtsweg eröffnet werde, damit fie ihre Ansprüche auf Restitution oder im äußersten Falle doch aus vollkommene Entschädigung geltend zu machen in der Lage seien, so glaubt der Bundesrath mit Grund voraussezen zu dürfen, daß eine k. k. Regierung wol beabfichtigt, die gestellten Rechtsansprüche ihrer Angehörigen zu unterftüzen, daß aber Hochdieselbe selbst anerkennen muß, es könne ihr ein Interventionsrecht in Streitigkeiten über »rätendirte kirchliche Rechte in einem sremden Staate nicht zustehen.

Wenn der Erzbifchof von Mailand und der Bischof von Como in der Schweiz kirchliche Rechte ausüben, fo

geschieht dieses nur in ihrer Stellung als geistliche Wür* denträger, und ganz abgesehen von den Banden, die fie an

158 diese oder jene weltliche Macht binden. Der Umstand, daß die Bischöfe auf österVeichifchem Boden refidiren, begründet eben so wenig ein Interventionsrecht Oesterreichs, als seiner Zeit, da der Bischof von Chnr im Tyrol und Vorarlberg noch Güter und geistliche Jurisdiktion befaß, der Regierung des Kantons Graubünden ein Patronatsrecht zugestanden worden wäre, weil der Bifchof von Chur auf dem Gebiete Graubündens seinen Siz hatte.

Die Geschichte weist auch nach, daß sowol zu den Zeiten", in welchen die Kantone die Herrschaft über die verschiedenen Sandestheile ausübten, als in den neuern Jahren, feitdem der Kanton als felbstständiger weltlicher Staat besteht, die Streitigkeiten über kirchliche Kompetenzen jederzeit ohne irgend eine Einmischung weltlicher Behörden der Lombardie ausgetragen wurden.

Indem der fchweizerifche Bundesrath diese stets anerkannten Territorialrechte des Kantons ausdrüklich

wahrt, steht er gleichwol nicht an, die geschichtlichen Thatsachen und die Gründe, welche der Kanton Tesfin zur Rechtfertigung seines Verfahrens anführt, im Wefentlichen zur Kenntniß einer k. k. Regierung zu bringen und namentlich den Vorwurf zu beseitigen, daß über Zivilanfprüche, die von den Bischöfen vor den Gerichten geltend gemacht werden wollen, der Rechtsweg verschlossen worden sei.

Die verehrliche Note beginnt damit, die geschichtliche

Thatsache anzuführen, daß das Seminar zu Poleggio ursprünglich eine Probstei des lombardischen Ordens der .fwmiliatetf gewesen fei.

Die Regierung des Kantons Teffin bemerkt in dieser Beziehung, daß hieraus nicht gefolgert werden könne, daß das aufgehobene Kloster der Lombardie oder einer lombardifchen Behörde eigenthümlich angehöre, so wenig

153 als die Pfrundgüter ini Kanion" ..teffïn als Eigenthüm' der lombardischen Bisthümer angesehen werden könnenV Wenn in dem Art. VIII der Urkunde von 1622 vlon einer Inkorporation mit dem S1 ein ina rio . .O-? a g g i o r e von Mailand die Rede sei, so'kenne'man'diesem $üfc drnke nicht die Bedeutung einer Vermögensvereinigltnäf beilegen, denn in der gleichenUrkiinVe Art. IX sei" ja dem Erzbischof die Verpflichtung überbnttden, der Leôetttina, welche damals einen eigenett, Staat bildete, die Rechnungen abzulegen. Die Erzbis-ch'ofe ljaben kein" per-sonliches Eigenthumsrecht, sond'ern nur als Ver'trete-c ihrer Diözese, für welche folch'e Stiftungen gegrütfd'et wurden. Deßw'egen werte auch* demjenigen Theil di.r Diözese, der auf dem~ Gïh'iete des1 Kanton's Tesfin liege", kein Miteigenthumsrecht an dem Seminario Maggtofe in Mailand', das der gleichen .Diözese angehört, zuge* standen werden w'ollen. Diese Anfich't werde auch noch unterfiüzt durch den Art. VIII d'es1 Vertrages von' 1796, durch welchen dem Erzbischof von' der Obrigkeit von" Uri die Erlaubniß eingeräumt wurd'e,' einige Liegenschaften zu verkaufen, jedoch nur unter der Bedingung , daß der Werth der zu veräußernden (S..üter in 5 % Zinsobligationen in der Leventina zu verwandeln fei, welche Obligationen stets in der fogenannten Seminarkasse zit Poleggio aufzubewahren seien. Man sehe hieraus und aus dieser Urkunde deutlich, daß die ersten Stiftungsguter dem Laud'-j, in dem fie sich befanden, zugehörten' und in demselben verbleiben sollen. Es könne also hiernach in keiner Weife wed'er von einem" Eigenthume des Erzbischofs noch von einem folchen der Curie die Rede sein, sondern nur von einer iin Ein'verständniß zwischen dem Landesherrn und dem -.frzbischof gegründeten Stiftung, welche mit im Lande selbst befindlichen Gütern

160 ausgestattet und im Lande selbst durch Aufhebung des Spitals in Faido und durch Taren auf die Gotteshäufer erweitert wurde.

Von jeher haben die kirchlichen Oberbehörden das Recht in Anspruch genommen, über die Güter der Kirchen, Klöster und Stiftungen unbefchränkt zu verfügen. Mehr oder weniger fei dieß auch von den Regierungen geduldet worden. Allein in neuern Zeiten haben die Landesherren ihre Hoheitsrechte in weit ausgedehnterem Maße geltend gemacht, und namentlich in den österreichischen Staaten früher als anderswo. Sie wären dafür besorgt gewesen, die ihrem Lande von den Regierungen selbst oder von der Wohlthätigkeit gegebenen Institute zu dessen Vortheil zu verwalten, und nach Bedürfniß auch zu verändern.

In gleicher Weise hätten auch in andern Verhältnissen zwifchen Kirche und Staat Aenderungen stattgefunden, die zu den auffallendsten Konsequenzen führen würden, wenn ein weltlicher Staat gegenüber einem andem die Ansprüche der Kirche in Schuz nehmen wollte.

Die Regierung von Uri hat übrigens schon damals, als fie die Sandeshoheit über das Leventiner-Thal ausübte, ihre Stellung sehr wol gekannt und auch die Akte vom 16. April 1796 nur mit dem Vorbehalte genehmigt: Salvis caeteroquin supremae nostree potestatis jurihus.

Als Ausfluß der landesherrlichen Rechte habe der Kanton Tesfin namentlich im Erziehungswefen mehrere allgemeine Verordnungen erlassen, welchen, wenn auch nach einigem Sträuben, alle wissenschaftlichen Institute der Benediktiner, der Somasker und der Serviten und auch jenes von Aseona fich unterzogen hätten. Nur der Erzbifchof von Mailand habe fich hartnäkig jeder Einmischung der Landesregierung widerfezt, fo daß fich

161 diese verpflichtet gesehen habe, zum Vollzuge der Geseze zu schreiten. Dieselbe sei mit möglichster Schonung verfahren und habe ihm zuerst die Mittheilung des Gesezes, später Warnungen und Ermahnungen zugehen lassen, aber umsonst ; denn als der Erzbischof mit Schreiben vom 18. April 1846 ersucht worden fei, den Befehl zu ertheiUn, die für die Visitation von der Regierung Abgeordneten zu empfangen, habe derselbe am 1. Mai geantwortet: daß, da das Institut ihm sowol hinsichtlich der Administration als der Disziplin und der Schule, und zwar kraft öffentlichen Rechtes und besonderer Verträge mit den Landesregierungen ganz ausschließlich zugehöre, dasselbe außer von ihm oder seinen Beauftragten nicht vifitirt werden könne noch dürfe. Als hierauf die Regierung gleichwol ihre Inspektion vornehmen wollte, sei den Abgeordneten solcher Widerstand entgegengesezt worden, daß der Vizerektor als Fremder aus dem Kanton verwiesen und ein Lehret in feinem Amte fuspendirt werden mußte. Bei fpätern Verfuchen, dem Geseze Vollzug zu verschaffen, habe sich die Renitenz in der Weise erneuert, daß das Institut vom Erzbischof geschlossen und dessen Wiedereröffnung beharrlich verweigert wurde, so daß die Regierung selbst zur Wahl eines Rektors und der Professoren habe fchreiten müssen.

Nach diefen Vorgängen könne es kaum auffallen, wenn der Große Rath am 28. Mai 1852 fich veranlaßt gesehen habe, einen Beschluß zu erlassen, in Folge dessen alle wissenschaftlichen Institute der speziellen Aufficht und Verwaltung der Regierung unterstellt worden seien.

Wenn in frühern Zeiten das Humiliatenkloster zu Po# leggio geschlossen und in ein Erziehungsinstitut umgewandelt wurde; wenn man das Spital zu Faido aufgehoben und die Oratorien besteuert habe, um das Ver-

162 nVogen der neuen Anstalt zu vermehren, fo könne wol dem jezigen Landesherrn das Recht nicht bestritten wer-.d'en, ohne in der Wesenheit die Bestimmung des Institûtes zu ändern, bloß eine Reorganisation vorzunehmen und dem bisherigen Verwalter, der die Landesgeseze nicht anerkenne und der zeitgemäßen Erfüllung feines Zwekes hindernd entgegen trete, die Verwaltung zu entziehen. Durch diefe hoheitliche administrative Maßnahme sei daher das'Seminarium keineswegs aufgehoben und auch das Stiftungsgut feinem bisherigen Zweke nicht entfremdet worden. Denn jezt wie früher werden die Zöglinge ili den Gymnafialfächern unterrichtet, die sowol für die Studien des Priesterstandes als für diejenigen anderer höherer Berufsarten zur Vorbereitung dienen. Weitaus' der größere Theil der Zöglinge widme itch nicht dem Priesterstande und diejenigen, die sich demfelben widmen, treten erst später in die geistlichen Priesterseminarien, so daß das Institut nur als ein niederes Seminarium, als ein Gymnasium erscheine, über welche auch die k. k. österreichischen Staatsbehörd'en d"as: Recht der Aufsicht und der Organisation ausüben.

Wenn nun im Allgemeinen nachgewiesen wird, daß die Stiftungsgüter ans dem Vermögen anderer öffentlicher Institute des Sandes gebildet wurden, so wird dagegen nicht bestritten, daß zur Bestreitung der jähr-

lichen Ausgaben auch vom Erzbifchof Beiträge geleistet word'en seien, und zwar laut Art. VII der S.istungsUrkunde und nach Vorschrift des Art. VHI der Uebereinkunft »om 16. April 1796, fo lange ihm die Verwaltung belassen wurde.

Allem diese Beiträge' können keine Bestandtheile des vorhandenen Stiftungsfondes bilden und té versteht sich, daß mit Aufhebung feiner Verwaltung auch die

163 entsprechenden Verpflichtungen aufgehoben seien, indem alle diese Leistungen .nunmehr vom Staate getragen werden.

Weun nun gleichwol -der ,-Erzbischof .Eigenthumsanspräche machen zu können glaube, oder Sntfchädigungsforderungen zu flellen habe, deren .Entscheid in den Bereich .der ;,Zivilflerichte gehöre, 'so werde ihm der Rechtsweg nicht verschlossen »bleiben.

Es .beruhe auf -einem Irrthume, wenn man glaube, der Große Rath habe durch Beschluß voni ,12. Mai .dem Erzbischof von Mailand den Rechtsweg .»erschlossen.

Denn der Säkularisationsbeschluß -sei erst am 28. .Mai erfolgt und .am 18. Iuni und 1. Juli habe der Große Rath nur zwei .Dekrete erlassen, die das Rechtsverhältniß des Leventinerthales beschlagen. Diese Dekrete be# ruhren aber die rechtliche Stellung des Erzbischofs gegenüber dem Staate in keiner Weife. Es fei auch ...inleuchtend, daß der Rechtsstreit der .Levcntina nicht derjenige des Erzbifchofs sein könne, weil die Eigenthumsansprüche des Seventinerthales an dem Stiftungsgute neben denjenigen des Erzbischofs auf das gleiche Objekt nicht be-

stehen können; fie fchließen fich vielmehr gegenfeitig aus.

Es scheint wol, daß am 12. Dezember 1851 die Schriften des Instituts bei dem Tribunale der Leventina de.ponirt worden find, und daß dieses Depofitum später auf das Tribunal in Bellenz übertraa,eu worden ist; aber eine gerichtliche Klage fei vom Erzbifchof nie anhängig gemacht worden. Sollte derfelbe früher oder

später gegen den Staat eine gerichtliche, Klage über Ansprüche privatrechtlicher Natur anheben wollen, so werde ihm auch die Regierung gerichtlich zu Rede stehen.

Was in Bezug auf das Seminarium in Poleggio gesagt worden, gelte, auch für das Kollegium in Ascona,

164 welches von einem in Rom verstorbenen Asconer, Bartholomäus Papi, durch Vermächtniß feines Hauses und einer Summe von 25,000 Thalern gegründet wurde.

Hiezu sei ein anderes Vermächtniß von Lorenz Pancaldi von Aseona gekommen, bestehend in 2000 .-thlrn., und später auch das aus 22Î0 .-Ehlrn. bestehende Vermögen der im Iahre 1649 ausgestorbenen gamilie Papi. Es bestehe daher auch diese Stiftung aus Gütern von Bürgern von Aseona, die sie zu Gunsten ihrer Gemeinde hinterlassen haben. Im Testamente des Papi fei der Kardinal Orsini zum Patron bezeichnet worden. Später habe der Papst in Folge eines Rechtes , das er feiner Zeit hinsichtlich jeder frommen Stiftung geltend machte, San Carlo Bonomäo, nachher den Kardinal Friedrich ernannt, und fo haben auch ihre Nachfolger im Erzbisthum Mailand das Patronatrecht ausgeübt. Da aber das Vermögen im Jahr 1820 ziemlich in Abgang gekommen, fo habe ihm der Erzbifchof in Mailand entsagt, und der Große Rath des Kantons Tessi«, der das herabgekomrnene Jnstitnt wieder in Aufnahme bringen wollte, habe ihm für 6 Jahre einen jährlichen Beitrag von £. 4000 zugewiesen. Auf dieses hin sei von dem Papste Pius VII. das Patronat dem Bischof von Como verliehen worden, der gegenwärtig die in Rom angelegten Kapitalien, die sich auf S. 100,000 belaufen mögen, in Handen habe. Es unterliege nun wo! keinem Zweifel, daß der Bischof von Como von Seite der Testatoren fein Recht weder auf das Patronat, noch auf die Verwaltung, und eben fo wenig das Eigenthum der Stiftung erworben habe. Das Kollegium fei von jeher ein weltliches, ein v o n Tefsinern und für das Tessi'« gegründetes gewesen und fonne daher auch den Vorschrifiw der teffinifchen Geseze nicht entzogen werden.

165 Wenn auch der Kanton seine H oh ef tsrechte einige Zeit hindurch nicht ausgeübt habe, so seien sie dcßwegen als «nverjährbar und unveräußerlich nicht aufgehoben worden, und können jederzeit wieder geltend gemacht werden, was auch der Große Rath kompetenter Weife gethan habe.

Der Bischof von Como aber, der nach seinem Schreiben vom 2. April 1852 fich weigere, Rechnung über die

Stiftung abzulegen, begehe felbst ein Unrecht und könne

sich keineswegs über eine Rechtsverleznng beklagen. Er sei daher kaum im Falle, von der Regierung Rechen* schaft zu fordern, fondern vielmehr verpflichtet, Rechenschaft zu geben.

Unter diesen Verhältnissen sei zwar nicht wol einzusehen, daß auch der Bischos von Como Eigenthumsoder Entschädigungsansprüche an den Kanton Tesfin zu machen hätte. Sollte er sich gleichwol hiezu veranlaßt finden, so soll auch ihm der gerichtliche Weg nicht verschlössen werden.

Nach diesen Aufschlüssen wird eine k. k. Regierung sich leicht überzeugen können, daß in diesen beiden Angelegenheiten von Poleggio und Aseona ein genügender Grund zu weitern Zumuthungen an den Kanton Tesfin nicht vorhanden ist, und daß namentlich hinsichtlich der -Alternative der Crössnung des Rechtsweges dem gemachten Ansinnen auf befriedigende Weise entsprochen worden ist.

Bern, den 4. April 1853.

Jm Namen des schweizerischen Bundesrathes, (Folgen die Unterschriften.)

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Note des schweiz. Bundesrathes an die f. f. österreichische Gesandtschaft in Bern, betreffend die Angelegenheit der Seminarien von Poleggio und Ascona. (Vom 4. Mai 1853.)

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07.05.1853

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