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Schweizerisches Bundesblatt.

47. Jahrgang. II.

Nr. 14.

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27. März 1895.

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über

seine Geschäftsführung im Jahre

1894.

E, Justiz- und Polizeidepartement, A. Justizwesen.

I. Gesetzgebung.

1. Unser Gesetzentwurf vom 18. Dezember 1893 (Bundesblatt 1893, V, 761), betreffend Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit im Gebiete der Eidgenossenschaft, ist von den gesetzgebenden Räten, formell und materiell teilweise verändert, unter dem Titel ,,Bundesgesetz betreffend E r g ä n z u n g des Bundesgesetzes ü b e r das B u n d e s s t r a f r e c h t der s c h w e i z e r i s c h e n Eidgenossenschaft vom 4. F e b r u a r 1853 am 12. April 1894 angenommen worden.

Dieses Gesetz wurde am 25. April 1894 im Bundesblatt (U, 349) veröffentlicht; ein Referendumsbegehren lief gegen dasselbe nicht ein; infolgedessen haben wir am 24. Juli dessen Aufnahme in die Amtliche Sammlung angeordnet und den Beginn seiner Wirksamkeit auf den 25. Juli 1894 festgesetzt (A. S. n. F.

XIV, 322).

Bundesblatt 47. Jahrg. Bd. II.

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102 2. Am 30. März brachte Herr Nationalrat Heinrich Häberlin die Motion ein, es solle der Bundesrat eingeladen werden, mit thunlichcr Beförderung ein Bundesgesetz über den Handel mit Vieh vorzulegen.

Der Nationalrat erklärte diese Motion am 13. April einstimmig erheblich. Wir haben darauf mit Botschaft vom 29. Mai (Bundesblatt II, 681) der Bundesversammlung den Entwurf /.u einem Bundesgesetze ü b e r den V i e h h a n d e l unterbreitet. Der Nationalrat, dem die Erstbehandlung zufiel, verschob die Beratung auf die Dezembersession, damit in der Zwischenzeit den Kantonsrogierungen Gelegenheit geboten werden könne, sich über die Vorlage aus/.usprechen. Nachdem die Mehrzahl der Kantone in einem der bundcsrätlichen Vorlage günstigen Sinne sich hatten vernehmen lassen, trat der Nationalrat arn 6. Dezember in die Beratung desselben ein, verschob dann aber am 19. Dezember die Weiterbehandlung auf die Frilhjahrssession 1895.

3. Wir können auch diesmal wieder von dem lebhaften Fortgange der Vorarbeiten für ein einheitliches Schweizerisches S t r a f g e s e t z b u c h berichten.

Zu Beginn des Jahres 1894 wandte sich unser Justiz- und Polizeidepartement in einem Kreisschreiben an sämtliche kantonale Polizeidirektionen, um nach Wunsch der von ihm ernannten Expertenkommission eine sachkundige Untersuchung über den Stand der Gefängnisse in der Schweiz vorzubereiten. Es wurde zu diesem Zwecke nach dem Bestände der kantonalen Gefängnisse gefragt und dabei unterschieden zwischen solchen, die ausschließlich dem Strafvollzug oder gleichzeitig dem Strafvollzug und der Untersuchungshaft oder nur der Untersuchungshaft dienen, und solchen, die für den Arbeitszwang gegen Vaganten, Bettler und andere Liederliche bestimmt sind.

Mit einem zweiten Kreisschreiben begleitete unser Departement den Polizeidirektionen der Kantone ein Fragenschema zur Übermittlung an die zuständigen Amtsstellen ein, dessen Ausfüllung durch Beantwortung einer Reihe detaillierter Fragen über die Verhältnisse der einzelnen Anstalten erbeten wurde.

In sehr verdankenswerter Weise haben sämtliche Polizeidirektionen die beiden Kreisschreiben des Departements beantwortet und die ihnen übersandten .Berichtformulare über die Gefängnisse ihres Kantons ausgefüllt an das Departement zurückgelangen lassen.

Es war nun nach Ansicht der Expertenkommission unentbehrlich, einen fachmännischen Bericht über die Zahl und die Einrich-

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tung der Gefängnisse zu veranlassen, wollte man sich ein gründliches und sicheres Urteil über die technische und finanzielle Tragweite des in dem Vorentwurf des Herrn Prof. Dr. Carl Stooß adoptierten Strafensystems mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Stand des Gefängniswesens in der Schweiz verschaffen.

Das Departement gewann in den Personen der Herren Clemens H a r t m a n n , StrafanstaJtsdirektor in St. Gallen, und Theodor G o h l , Adjunkt der eidgenössischen Baudirektion, für diese Arbeit zwei bewährte Sachkundige. Es versah dieselben mit Vollrnaclits- und Empfehlungsschreiben und zeigte sämtlichen kantonalen Polizeidirektionen deren Besuch mit der Bitte an, es möchte" ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgabe durch die kantonalen Organe eine wohlwollende Unterstützung zu teil werden. Es gereicht uns zu großer Befriedigung, mitteilen zu können, daß die Experten sich dei' Aufnahme, die sie landen, überall nur zu rühmen hatten. Sie haben der Expertenkommission in deren Sitzung vom 5. September einen vorläufigen, ersten Bericht über das Ergebnis der bis dahin vorgenommenen Inspektionen erstattet. Im Laufe des Jahres 1895 werden sie ihre Aufgabe vollenden.

Die strafreehtlicheExpertenkommission selbst trat am 27. August zur Fortsetzung ihrer Beratungen zusammen.

Der Redaktor des Vorentwurfs hat in den Monaten Juli und August nicht nur eine nach den Beschlüssen der Expertenkommission vom September und Oktober 1893 vorgenommene UmarbeitungO der allgemeinen Bestimmungen, sondern auch den O ganzen O O i zweiten oder speciellen Teil des I. Buches, welcher von den einzelnen Verbrechen und deren Bestrafung handelt, sowie die Bestimmungen des H. Buches, betreffend die sogenannten Übertretungen, samt den erläuternden Motiven eingereicht. Es gebührt ihm für die mit großem Geschick und ungewöhnlicher Energie an die Hand genommene und in kurzer Zeit ausgeführte schwierige Arbeit an dieser Stelle der Ausdruck wohlverdienter Anerkennung.

Herr Prof. Dr. A l f r e d G a u t i e r in Genf entsprach wiederum bereitwilligst dem Ersuchen des Departements, das Werk des Herrn Prof. Stooß ins Französische zu übersetzen. Es sei auch diesem Kriminalisten für seine ausgezeichnete Mitwirkung bei der bedeutsamen legislativen Vorarbeit der Dank der Bundesbehörde ausgesprochen.

Die Mitglieder der gesetzgebenden eidgenössischen Räte sind im Besitze des im Drucke erschienenen Vorentwurfes samt den Motiven.

104 Die Expertenkommission behandelte in Sitzungen vom 27. August bis 8. September die Verbrechen gegen Leib und Leben und gegen das Vermögen. Das Protokoll über ihre Verhandlungen ist gedruckt und den Mitgliedern der Bundesversammlung zugestellt worden.

Am 7. Januar 1895 hat sich die Kommission zu einer neuen vierzehntägigen Beratung zusammengefunden. Sie wird ihre Arbeiten im Laufe des Jahres 1895 beendigen.

4. Im Monat September hat Herr Prof. Dr. E u g e n H u b e r unserem Departemente den ,,Zweiten Teilentwurf" eines Schweizerischen. C i v i l g e s e t z b u c h e s , vorerst als Manuskript gedruckt, zur Kenntnisnahme zugestellt. Dieser Entwurf behandelt das Erbrecht. Im Einverständnis mit dem Departement zog der Redaktor, der seine Eingabe als eine vorläufige bezeichnete und sich noch Abänderungen vorbehielt, die Herren Dr. Oskar Honegger, Vizpräsident des Obergerichts in Zürich, und Prof. Dr. Virgile Rössel in Bern zu Beratungen bei. Unter Benützung des Ergebnisses derselben schloß er hierauf den Entwurf ab und reichte ihn am 31. Dezember dem Departemente ein. Herr Prof. Virgile Rössel hat die französische Übersetzung übernommen. In der Zwischenzeit wird der Verfasser auch zu diesem Teilentwurfe Erläuterungen ausarbeiten. Der Entwurf soll hierauf, samt den Erläuterungen, in kontidentielller Weise, vor jeder Veröffentlichung, der Begutachtung von Experten unterstellt werden, die unser Departement unter Berücksichtigung aller Teile der Schweiz wählen wird.

Wir können im weiteren hier erwähnen, daß acht Kantonsregierungen, der Einladung unseres Departementes vom 17. November 1893 Folge leistend, über das von Herrn Prof. Huber verfaßte Programm betreffend das Vorgehen bei der Ausarbeitung eines Schweizerischen Civilgesetzbuches in einer vom Redaktor als höchst wertvoll bezeichneten Weise gutachtlich sich haben ö vernehmen lassen; ebenso, in ausgezeichneter Erörterung, das schweizerische Bundesgericht. Diese Vernehmlassungen sind dein Redaktor in drei Beziehungen von besonderer Bedeutung: Erstens indem sie Aufschluß geben über die wirtschaftlichen Verhältnisse, Bodenverteilung, Nutzungsrechte, Bodenbelastung, Eigentumsbeschränkungen, erbrechtliehe Gebräuche bei Teilungen, güterrechtlich Abmachungen u. s. w. wie dies namentlich von den Berichten Tessins und St. Gallens zu sagen ist; zweitens
indem sie über die Erfahrungen, die für Beibehaltung einzelner kantonalrechtlicher Institute sprechen, Bericht erstatten, wie dies z. B. von seiten Appenzell A.-Rh. in betreff der amtlichen Inventarisation in allen Todes-

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fällen geschehen ist; drittens indem sie umgekehrt eine vom überlieferten kantonalen Recht abweichende Ordnung durch das eidgenossische Recht verlangen, wie dies in Bezug auf' den Solmesvorteil im Thurgau, auf das Rückfallsrecht in Schaffhausen u. a. m.

zu Tage tritt. Unser Departement hat nicht ermangelt, mit Rücksicht auf den vom Redaktor ausgesprochenen Wunsch, die Kantonsregierungen, welche sich noch nicht geäußert haben, dringend einzuladen, auch ihrerseits sich vernehmen zu lassen. Seither haben zwei weitere Kantonsregierungen einläßlich geantwortet; andere haben ihre Antwort in sichere Aussicht gestellt. Es wäre sehr zu bedauern, wenn Bedenken formellen Charakters die eine oder andere Behörde davon abhalten sollten.

Unser Vorgehen in der Frage der Vereinheitlichung des Rechte, deren Lösung nach allgemeiner Überzeugung gebieterisch sich auldi'ängt, ist von der gewissenhaften Erwägung diktiert, daß in dieser für das Wohl des Landes und die Interessen aller Volkskreise so hoch-wichtigen Sache nichts überstürzt, vielmehr alles genau geprüft werden solle, und daß formell bindende Schlußnahmen den Räten und dem Volke nicht zugemutet werden dürfen, bevor ein klares sachliches Urteil über die Zweckmäßigkeit und Vorteilhaftigkeit der Ersetzung des bisherigen Rechts durch das im Wurfe liegende neue sich hat bilden können. Wir geben uns der zuversichtlichen Erwartung hin, daß unser Vorgehen keiner Mißdeutung ausgesetzt sei.

Gerne heben wir bei diesemt''Anlasse noch hervor, "daß das vom Bund subventionierte, im Frühjahr 1893 vollendete Werk des Professors Eugen Huber, System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts, sich nicht nur bei den Vorarbeiten für ein einheitliches Civilrecht, sondern überhaupt bei allen schweizerisches Recht betreffenden Untersuchungen und Unternehmungen als eine zuverlässige, sichere Grundlage bewährt. Von der wissen schaftlichen Kritik ist das Werk außerordentlich günstig aufgenommen worden. Wir haben nicht unterlassen, den Verfasser zu seiner Leistung in einem besonderen Schreiben zu beglückwünschen.

II. Schuldbetreibung und Konkurs.

Die Bundesversammlung hat am 29. Juni 1894 anläßlich der Beratung des Geschäftsberichtes folgendes Postulat angenommen: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen, ob nicht die Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen dem Bundesgerichte statt dem Bundesrate übertragen werden sollte.1'

106 Das Postulat war von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vorgeschlagen worden. In der darüber im Nationalrat gepflogene Diskussion hatte der Departementsvorsteher erklärt, daß der Bundesrat sich dem Postulat um so weniger widersetze, als er selbst, von der Unhaltbarkeit der jetzigen Zustände überzeugt, sein Justiz- und Polizeidepartement bereits mit der Prüfung der Frage beauftragt habe.

Die Verwirklichung des Postulates erfordert eine Revision des Schuldbetreibungsgesetzes und des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege Die Ausarbeitung eines dahin zielenden Gesetzentwurfs wurde sofort an die Hand genommen; derselbe wird im Laufe dos Jahres 1895 den Räten vorgelegt werden Die Zahl der im Berichtsjahre eingegangenen Rekurse beträgt 230. Über deren Erledigung gieb die nachstehende Tabelle Auskunft.

Zahl Begründet Jahr, der Rekurse. Zurückgezogen. Abgewiesen, erklärt.

Pendent.

1892 188 29 110 49 -- 1893 225 16 147 62 -- 1894 230 19 143 50 18 Anfragen juristischen Inhalts von Behörden und Privaten waren zu beantworten: 1892: 610; 1893: 501; 1894: 399.

Der Betreibungsrat hat im Berichtsjahr 21 (1892: 35; 1893: 21) halbtägige Sitzungen gehalten.

Zur Vereinfachung der Betreibungsstatistik ist die detaillierte Statistik im Laufe des Jahrs 1894 abgeschafft worden (Kreisschreiben Nr. 19).

Die Kundgebungen der Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs beschränkten sich im übrigen auf die Weiterleitung eines Gesuchs des schweizerischen Buchhändlerverei betreffend Publikation der Konkurse schweizerischer Buchhändler in dem in Leipzig erscheinenden deutschen Buchhändlerblat (Kreisschreiben Nr. 18).

Der Entwurf einer Verordnung ,,Reglement über die Pfändungen bei Mietern und Pächtern und die Wahrung des Retentionsrechtes der Vermieter und Verpächter" wurde zurückgelegt, -weil aus einer darüber eingeholten Kritik des Bundesgerichts hervorging, daß die Materie nur durch eine Gesetzesnovelle in allumfassender Weise geregelt werden könne. Die wichtigsten Bestimmungen jenes Entwurfes sind inzwischen auf dem Wege der Rekurspraxis zur Geltung gebracht worden (vgl. Archiv für Schuldbetreibung III, Nr. 25, 45, 60; IV, 2).

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Von den Regierungen der Kantone Tessin und Graubünden ist eine Revision des Gebührentarifs angeregt worden. Die Verfolgung dieser Angelegenheit fällt in das Jahr 1895.

Öffentliche Bekanntmachungen wurden vom Amte kontrolliert und sind im schweizerischen Handelsamtsblatt erschienen: 1892: 2141; 1893: 2357; 1894: 2170.

An Formularen und Registerbogen sind aus dem Centraldepot abgegeben worden: 1892: 4,501,154; 1893: 3,156,110; 1894: 2,284,140 Stück.

Inspektionen von Ämtern haben auch in diesem Jahre keine vorgenommen werden können.

III. Internationales Privatrecht.

Im Jahre 1874 hat die Regierung des Königreichs der Niederlande und im Jahre 1881 die Regierung des Königreichs Italien einen vergeblichen Versuch gemacht, einen Kongreß der europäischen Staaten zu versammeln, um zu einer Vereinbarung zu gelangen, durch welche die internationalen Rechtskonflikte, namentlich im Gebiete des Personen-, Familien- und Erbrechts, sowie des Civilprozeßrechts, beseitigt würden.

Von glücklicherem Erfolge waren die Bemühungen der Regierungen der südamerikanischen Staaten, indem es ihnen gelang, 1889 auf einem nach Montevideo einberufenen Kongresse den Text einer Reihe von Vertragsentwürfen festzustellen, die bestimmt waren, internationales Privatrecht der hauptsäclüichen Staaten Südamerikas zu werden und es auch geworden sind.

Da ergriff im Jahre 1893 die königl. niederländische Regierung von neuem die Initiative zur Veranstaltung eines europäischen Staatenkongresses behufs Besprechung und Lösung von Fragen des internationalen Privatrechts, und diesmal gelang der Versuch. Vom 12. bis zum 27. September fanden im Haag von vierzehn Staaten beschickte Konferenzen statt. Es haben an denselben teilgenommen : Deutschland, Österreich und Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Rumänien, Rußland und die Schweiz. Unser Land war dabei durch zwei Delegierte, die Herren Prof. Dr. F r i e d r i c h Meili aus Zürich und Prof. Dr. Ernest Roguin aus Lausanne, vertreten, und wir konstatieren gerne, daß unsere Delegierten in hervorragender Weise an den Verhandlungen sich beteiligt haben. Die Konferenz einigte

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sich auf ein Schlußprotokoll, das am 27. September 1893 unterzeichnet wurde, und vier Entwürfe zu internationalen Vereinbarungen oder zu Staatsgesetzen über Materien des internationalen Privatrechts enthält, nämlich : 1. über die Voraussetzungen zur Eingehung der Ehe (Ehefähigkeit) ; 2. über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Aktenv stücke ; 3. über Gesuche um Vornahme prozeßrechtlicher Handlungen (Requisitorien, Rogatorien) ; 4. über das Erbrecht.

Wir haben nach Prüfung dieser Entwürfe gefunden, daß die drei erstgenannten geeignet sind, den Inhalt internationaler Vereinbarungen zu bilden, denen die Eidgenossenschaft beitreten könnte, während von dem vierten Entwurfe, der Bestimmungen über das Erbrecht enthält, dasselbe nicht gesagt werden kann.

Auf das Jahr 1894 war die Fortsetzung der Konferenzen in der holländischen Haupt- und Residenzstadt in Aussicht genommen.

Wir erneuerten das Mandat der Herren Meili und Roguin, das diese Herren im vorhergegangenen Jahre in einer die Schweiz ehrenden Weise erfüllt hatten, und ermächtigten sie, der am 25. Juni im Haag eröffneten zweiten Konferenz für internationales Privatrecht von unserer Geneigtheit, die genannten drei Entwürfe als Grundlage zu internationalen Vereinbarungen zu wählen, Kenntnis zu geben.

Die zweite Konferenz tagte vom 25. Juni bis zum 13. Juli 1894. Zu den vierzehn im Jahre 1893 vertretenen Staaten gesellten sieh noch Schweden und Norwegen. Das Arbeitsprogramm wies folgende Gegenstände auf: 1. Wirkungen der Ehe mit Bezug auf Personen und Güter der Ehegatten ; Auflösung und Nichtigkeit der Ehe ; Scheidung von Tisch und Bett; 2. Vormundschaft ; Bevogtung (Entmündigung) ; 3. Gleichstellung der Fremden mit den Landesangehörigen im Civilprozesse ; Cautio judicatum solvi (Sicherheitsleistung für die Erfüllung des Urteils) ; Armenrecht (Pro-Deo) ; 4. Konkurs ; 5. Erbfolge; Testamente.

109 Die Konferenz hat am 13. Juli in einem Schlußprotoll den Text von fünf Entwürfen (règlements) festgestellt, die sie der Prüfung der vertretenen Staatsregierungen unterbreitet. Diese Entwürfe beschlagen : I. Bestimmungen betreffend die Ehe. II. Bestimmungen betreffend die Vormundschaft. III. Bestimmungen betreffend das Verfahren in Civilrechtsstreitigkeiten. IV. Bestimmungen betreffend Konkurs (Faillite). V. Bestimmungen betreffend Erbfolge, Testamente und Schenkungen von Todes wegen.

Unsere Delegierten erachten namentlich die civilprozeßrechtlichen Festsetzungen für durchaus annehmbar. Wir werden im Berichte für das Jahr 1895 unter einläßlicher Erörterung der maßgebenden Gesichtspunkte unsere Entschließungen mitzuteilen im Falle sein.

IV. Gewährleistung von Kantonsverfassnngen.

Im Berichtsjahre haben die Bundesgarantie erhalten : 1. Ein Verfassungsgesetz des Kantons G e n f vom 17. Juni 1893 durch Bundesbeschluß vom 7. April 1894 (A. S. n. F. XIV, 231).

Dieses Gesetz führt die Volkswahl der Ständeräte des Kantons Genf auf eine dreijährige Amtsdauer, an Stelle der bisherigen Ernennung derselben auf einjährige Amtsdauer, ein. (Bundesblatt 1894, I, 189.)

2. Eine Partialre vision der Verfassung des Kantons Fr e i l ) u r g vom 7. Mai 1857, vom Großen Rate beschlossen am 20. November 1893, vom Volke angenommen am 20. Januar 1894. Der Bimdesgarantiebeschluß datiert vom 7. April 1894. (A. S. n. F.

XIV, 229.)

Durch diese Revision wurde die Verfassungsbestimmimg, wonach der Gemeindeammann nicht nur Vorsteher der Gemeinde, sondern gleichzeitig auch Agent der Regierung in der Gemeinde (_und als solcher von der Regierung zu wählen} war, beseitigt und außerdem festgesetzt, daß über die Frage der Vornahme einer Verfassungsrevision die Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Bürger, und nicht mehr, wie bisanhin, die Mehrheit der Aktivbürger entscheide (Bundesbl. 1894, I, 1028).

3. Die Verfassung des Kantons Zug vom 31. Januar 1894 durch Bimdesbeschluß vom 26. Juni 1894 (A. S. n. F. XIV, 280).

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Dieso Totalrevision der bisherigen Verfassungsbestimmungen, von 1873, 1876 und 1881, charakterisiert sich als Erweiterung der Volksrechte und Anpassung an die Bedürfnisse der Gegenwart, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete. -- Für die Kantonsbehörden obligatorisch, für die Gemeindebehörden fakultativ ist das Proportionalwahlsystem eingeführt (Bundesbl. 1894, II, 278).

4. Die am 6. Mai 1894 beschlossene Abänderung der Artikel 75 und 78 der G l a r n e r Verfassung von 1887, betreffend die Verwendung des Schulgutes und die Bestreitung außerordentlicher Ausgaben der Schulgemeinden, (Bundesbeschluss vorn 26. Juni 1894 ; s. Bundesbl. 1894, II, 933, und A. s', n. F. XIV, 278.)

5. Das Verfassungsgeseta des Kantons T c s s i n vom 18. Januar 1894, durch welches die Stadt Lugano als ständiger Amtssitz des Appellationsgerichts bezeichnet wird, während nach dem Verfassungsgesetze vom 10. Februar 1878 der oberste Gerichtshof seine Sitzungen teils in Locamo, teils in Lugano hielt. Der Bundesgarantiebschluss wurde am 18. Dezember 1894 gefaßt (Bundesblatt 1894, II, 972; A. S. n. F. XIV, 692).

6. Das Verfassungsgesetz des Kantons Z u r i ch vom 12. August 1894, welches die Repräsentation des Volkes im Kantonsräte nach der schweizerischen Wohnbevölkerung, statt wie bisher nach der Seelenzahl berechnet. Die Gewährleistung erfolgte durch Bundesbeschluß vom 18. Dezember 1894 (Bundesbl. 1894, III, 542; A. S. n. F. XIV, 694).

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V. Civilstand und Ehe.

1. Mit Beschluß vom \. Oktober 1894 haben wir gestützt auf Art. 60 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe ein D e k r e t des G r o ß e n R a t e s des K a n t o n s T essin v o m 25. A p r i l 1894 g e n e h m i g t , welches den Art. l des bezüglichen tessinischen Ausführungsgesetzes vom 4. Dezember 1875 dahin abändert, daß an Stelle des gesamten Gemeinderates einer Gemeinde der Sindaco, beziehungsweise dessen Stellvertreter, im Vereine mit dem Sekretär der Gemeinde mit den reglement vom 19.Oktoberr 1894 wurde von uns am 26. gleichen Monats genehmigt.

2. Von K r e i s s c h r e i b e n an die eidgenössischen Stände im Laufe des Berichtsjahres erwähnen wir die folgenden:

111 a. Der Vorsteher des chemischen Laboratoriums der Universität Bern erklärte sich in zuvorkommender Weise bereit, alle P a p i é r s o r t e n eingehend zu u n t e r s u c h e n , welche in den verschiedenen Kantonen für die C i v i l s t a n d s r e g i s t e r verwendet werden. Die Untersuchung sollte sich erstrecken auf dio Solidität, die Elasticität, die Zusammensetzung und die Unreinigkeiten des Papiers. -- Im Hinblicke darauf, daß gemäß Art. 2, Absatz 2, des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe die Anschaffimg der Civilstandsregister Sache der Kantone ist, mußte sich das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement darauf beschränken, den kantonalen Aufsichtsbehörden mit Kreisschreibon vom 12. Februar 1894 von der sich bietenden Gelegenheit Kenntnis '/M geben und dabei deren großen Wert, sowie die Wichtigkeit der Civilstandsregister ganz besonders hervorzuheben. Soviel wir in Erfahrung gebracht haben, hat ungefähr ein Dritteil sämtlicher Kantone die im Gebrauch stehenden Papiersorten untersuchen lassen. Es wäre sehr zu wünschen, daß dies allgemein geschehen und bei allt'ällig sich zeigenden Übelständen gehörige Remcdur geschaffen würde.

b. Mit Note vom 17. Februar 1894 hat die gr o ß b rit a n ni s e h e Gesandtschaft in Bern dem Bundesrate mitgeteilt, daß gemäß einer Weisung ihrer Regierung die Auszüge aus liier erfolgten Geburts- und Todesbeurkundungen großbritannischer Staatsangehöriger, die der Gesandtschaft bis jetzt durch die Bundeskanzloi zugekommen seien, künftighin zum Zwecke der Registrierung demjenigen Konsul Großbritanniens 7Aizuleiten seien, in dessen Bezirk der betreffende Civilstandsf'all sich ereignet habe.

Gleichzeitig hat die Gesandtschaft darauf aufmerksam gemacht, daß, einem neuen Gesetze Großbritanniens zufolge, alle Ehen, die zwischen großbritannischen Staatsbürgern und zwischen Brautleuten, deren einer Teil großbritannischer Unterthan ist, im Auslande nach der lex loci eingegangen werden, in Großbritannien wohl als gültig anerkannt, aber nicht registriert werden, sofern dieselben nicht in Gegenwart des großbritannischen Konsuls abgeschlossen worden sind.

Von diesen Mitteilungen sind die Regierungen der Kantone durch Kreisschreiben des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartomentes vom 26. Februar 1894 verständigt worden (Bundesbl. 1894, I, 627).

Wie übrigens aus einer späteren Note der großbritannischon Gesandtschaft an den Bundesrat hervorgeht, stellt dieselbe zum

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Zwecke der Verehelichung von Staatsangehörigen Großbritanniens in der Schweiz jeweilen wörtlich folgende Bescheinigung aus : ,,Le Soussigné, de Sa Majesté Britannique à Berne, certifie pur la présente qu'il n'est aucunement nécessaire que la publication du mariage d'un sujet anglais célébré hors du territoire anglais, en observant toutes les formes prescrites par les lois du pays où Je mariage a lieu, soit faite dans le lieu d'origine, et qu'un tel mariage est valable en Angleterre sans autre formalité, pourvu qu'il no soit pas contraire aux lois anglaises touchant les liens de consanguinité ou affinité, comme le serait par exemple le mariage avec, la soeur d'une épouse défunte.

Donnée à Berne, ce 18 . .

Dem Vorstehenden haben wir folgende zwei Bemerkungen anzufügen : Was zunächst die Übermittlung der Geburts- und Totenscheine betreffend Staatsangehörige Großbritanniens in der Schweiz an denjenigen britischen Konsul anbelangt, in dessen Bezirk der fragliche Civilstandsakt sich ereignet, so ist, solange zwischen der Schweiz und Großbritannien ein Vertrag über die gegenseitige amtliehe Zustellung der Civilstandsakte nicht besteht und solange die schweizerischen Aufsichtsbehörden nichts anderes verfügen, kein schweizerischer Civilstandsbeamt verpflichtet, die auf britische Staatsangehörige bezüglichen Civilstandsakten irgend einer britischen Amtsstelle amtlich mitzuteilen. Diese Mitteilung bleibt vielmehr, wie bisher, der freien Entschließung der Civilstandsbeamten, beziehungsweise ihrer Aufsichtsbehörden überlassen. Die einzige Änderung, welche das Kreisschreiben vom 26. Februar diesbezüg-lich hervorgerufen hat, besteht darin, daß die Bundeskanzlei seither die Übermittlung solcher Civilstandsakte an diegrossbritannischen Gesandtschaft ablehnt.

Was sodann die Gegenwart eines britischen Konsuls hei der Verehelichung von großbritannischen Staatsangehörigen in der Schweiz anbetrifft, so ist dieselbe dann notwendig, wenn die Brautleute wünschen, daß ihre Ehe auf dem Konsulate und damit auch in Großbritannien registriert werde. Das Verabsäumen dieser Registrierung macht eine solche Ehe, vorausgesetzt, daß dieselbe genau gemäß der lex loci und nicht in Übertretung der großbritannischen Gesetzesvorschriften zu stände gekommen ist, in Großbritannien nicht ungültig. Auch können Bescheinigungen über solche Trauungen direkt an das Generalregisteramt in London ge-

113 sandt werden, ohne daß deren Eintragung abgelehnt wird. Immerhin sollen solche Urkunden zu Mißverständnissen Anlaß bieten können.

Andererseits schützt die Anwesenheit des Konsuls eine Ehe keineswegs von vornherein gegen alle und jede Anfechtung.

c. Im Nachgange zu unserem Kreisschreiben vom 12. Juni 1884, sowie unter Bezugnahme auf dasjenige vom 21. Dezember 1889 und die einschlägigen Ausführungen im Geschäftsberichte für das Jahr 1890 (Bundesbl. 1884, III, 314 ff. ; 1889, IV, 1339, und 1891, II, 550) haben wir über die V er e h eli c h u n g von A n g e li ö r i g e n des G r o ß li e r z o g t u m s B a d e n i n d e r S c h w e i z auf Ansuchen des großherzoglich badischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten am 8. Dezember 1894 an sämtliche Kantonsregierungen ein eingehendes Kreisschreiben erlassen (Bundesblatt 1894, IV, 604). Es betrifft dasselbe namentlich das von den badischcn Landesbehörden auszustellende Unbedenklichkeitszeugnis, sowie den Verkehr mit diesen Behörden.

3. Welch' m e r k w ü r d i g e Z u s c h r i f t e n oft zu beantworten sind, mag der folgende Fall an Stelle vieler beweisen : Ein Droguist im Kanton Appenzell A.-Rh. stellte anläßlich der Verkündung seiner beabsichtigten Verehelichung die Eintrage, ob er nicht Anspruch auf den Titel Apotheker habe. Er begründete diesen Anspruch mit dem Hinweis darauf, daß er in Neuenburg ein pharmaceutisches Examen als commis pharmacien bestanden habe und in letzterer Eigenschaft eine Anzahl Jahre in Apotheken in Stellung gewesen sei, weshalb er kein bloßer Droguist mehr sei, sondern ein Apotheker.

Wir haben in unserer Antwort den Betreffenden darauf aufmerksam gemacht, daß nur derjenige ein Recht auf den Titel "Apotheker" habe, der nicht nur die pharmaceutische Gehülfen prüfung im Sinne der Art. 64--67 der Verordnung über die eidgenössischen Medizinalprüfungen vom 19. März 1888 mit Erfolg bestanden habe, sondern auch die pharmaceutische Fachprüfung (Art. 68--70 der genannten Verordnung) ; er habe also eventuell bloß Anspruch auf die Bezeichnung "Apothekergehülfe".

4. Das kantonale Civilstandsbureau Genf stellte die Einfrage, ob a u s F r a n k r e i c h s t a m m e n d e und zur Eintragung in das schweizerische Civilstandsregister bestimmte U r k u n d e n auch dann entgegenzunehmen seien, wenn dieselben in der Form von bloßen b u l l e t i n s sich präsentieren.

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Wir haben geantwortet, daß zu dem gedachten Zwecke solche bulletins nicht genügen, sondern vollständige Civilstandsurkunden erforderlich seien.

Die schweizerische Gesandtschaft in Paris haben wir eingeladen, bei nachgesuchten Legalisationen diese Weisung berücksichtigen zu wollen.

5. Eine kantonale Inspektionsbehörde glaubte darauf aufmerksam machen zu sollen, daß bei den G e b u r t s a n z e i g e n regelmäßig zwei, d r ei u n d vier V or u a me n a ng eg e b en werden, was zu Verwirrungen führe, da Zweifel obwalte, welcher dieser verschiedenen Personennamen im Leben gebraucht werde, und da es nicht selten vorkomme, daß mit dem Gebrauch dieser Namen nach Gutdünken abgewechselt werde. Die fragliche Behörde stellte deshalb das Gesuch, die Pfarrämter mittelst Kreisschreibens zu veranlassen, dahin zu wirken, daß anläßlich der Taufe dem Täufling regelmäßig nur ein, höchstens aber zwei Namen gegeben würden. -- Dem gegenüber haben wir folgendes bemerkt : Das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe hat über die Zahl der Vornamen keine Vorschrift aufgestellt. Immerhin soll der Civilstandsbeamte dahin wirken, daß einem Kinde nicht zu viele Vornamen beigelegt werden, und eventuell den Entscheid der Aufsichtsbehörde veranlassen. Sind aber einmal bei der Geburtsbeurkundung einem Kinde zwei oder mehr Vornamen beigelegt worden, so hat dasselbe eben Anrecht a u f j e d e n dieser Vornamen. Es kann also in dem wechselsweisen Gebrauch der mehreren Vornamen nicht gerade ein Mißbrauch erblickt werden. Ergeben sich aus einem solchen Gebrauch Verwirrungen, so ist eben der vom Civilstandsbeamten als richtig beglaubigte Auszug aus dem Geburtsregister entscheidend. In der Regel gilt der zuletzt eingetragene Personenname zugleich als Rufname.

Jedenfalls kann davon keine Rede sein, die Pfarrämter zu veranlassen, bei der Taufe auf möglichst wenige Personennamen abzustellen. Denn es sind in der Schweiz seit Inkrafttreten des eidgenössischen Civilstandsgesetzes einzig und allein die in dem Civilstandsregister eingetragenen Vornamen maßgebend. Die Taufe und die Namengebung bei der Taufe hat keinerlei bürgerliche Rechtswirkung. Die Geistlichen würden deshalb das ihnen zugemutete Vorgehen mit Recht ablehnen, dies um so mehr, als der Geistliche dem Kinde bei der Taufe gar nicht den Namen beizulegen, sondern nur den neugeborenen Weltbürger durch die Taufe in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen hat (zu vergleichen.

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ist der Geschäftsbericht pro 1891, Abteilung Civilstand und Ehe.

Ziff. 8, Bundesbl. 1892, II, 514).

6. Gemäß Art. 15 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes ist n ä c h s t dem e h e l i c h e n Vater die H e b a m m e oder der A r z t die erste Person, welche v e r p f l i c h t e t ist, die G e b u r t e i n e s K i n d e s dem C i v i l s t a n d s b e a m t e n a n z u z e i g e n .

Die Verordnung betreffend das Hebammenwesen im Kanton Luzern vom 5. April 1879 geht in ihrem § 10 noch weiter, indem sie von den Hebammen in allen Fällen Anzeige der Geburten an den betreffenden Civilstandsbeamten verlangt.

Nach Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements haben wir deshalb am 9. Februar 1894 beschlossen, es sei in Anwendung von Art. 34, letztes Alinea, des Posttaxengesetzes (A. S. n. F. VII, 584) im Sinne eines bezüglichen Gesuches dos Sanitätsrates des Kantons Luzern vom 25. Oktober 1893 vorläufig für den Kanton Luzern und gegebenenfalls für alle andern Kantone mit gleichen Verhältnissen für die von Ärzten und Hebammen ausgehenden brieflichen Geburtsanzeigen an die Civilstandsämter provisorisch Portofreiheit zu gewähren, jedoch unter dem Vorbehalt des Rückzuges dieser Bewilligung, sofern der Bundesrat dies aus irgend einem Grunde als zweckmäßig erachten sollte.

7. Ein in Chur heimatberechtigter A t t a c h é der s c h w e i zerisch en G e s a n d t s c h a f t in Rom w ü n s c h t e seine E he m i t e i n e r B u r g e r i n d e r S t a d t B e r n an l e t z t e r e m O r t e a b z u s c h l i e ß e n . Wir haben im Hinblick auf das Ausnahmsweise dieses Falles bezüglich des Wohnortes des Bräutigams der kantonalen Aufsichtsbehörde zu Händen des Civilstandsamtes Bern die folgende Instruktion erteilt : In seiner Stellung als Attaché der schweizerischen Gesandtschaft in Rom ist Petent bezüglich der Civilstandsfrag dasei bst exterritorial. Da von einer Delegation des schweizerischen Gesandten in Rom zur Eheschließung der Konsequenzen halber keine Rede sein kann, so ist als Wohnsitz des Betreffenden im Sinne des Art. 37 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe dessen Heimatort Chur zu betrachten. Mit Rücksicht auf die Bestimmungen der Art. 34--37 leg. cit. und in Befolgung der in Nr. 141 der Anleitung im ,,Handbuche für die schweizerischen Civilstandsbeamten" enthaltenen Ausführungen hat demgemäß das Civilstandsamt Chur die Verkündung der in Frage stehenden Ehe einzuleiten und durchzuführen. Um der formellen Vorschrift des Art. 29

HG

leg. cit. in jeder Hinsicht zu genügen und um allen Eventualitäten vorzubeugen, hat das Civilstandsam Chur auch an die Gesandtschaft in Rom einen Verkündschein zu senden. Letztere hat denselben in ihren Lokalitäten möglichst sichtbar anzuschlagen und nach abgelaufener Einspruchsfrist mit der Bescheinigung nach Chur zurückzusenden, daß keine Einsprache erfolgt sei. Selbstverständlich kann die Verkündigung auch von dem Civilstandsamte Born, als dem Heimat- und Wohnorte der Braut, durchgerührw\verden.

D o c h a t â t dasselbe nachher sämtlichVerkündaktenen dem Civilstandsamte Chur einzusenden. Nachdem die Verkündung erfolgt ist, ermächtigt das Civilstandsamt Chur dasjenige von Bern gemäß Art. 37, Abs. 3, des eidgenössischeCivilstandsgesetzeses zur Trauung.

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8. Ein b a d i s c h e s B r a u t p a a r , b e i w e l c h e m d i e B r a u t die M i t s c h u l d i g e i h r e s in D e u t s c h l a n d w e g e n E h e b r u c h e s g e s c h i e d e n e n B r ä u t i g a m s war, w o l l t e sich i m K a n t o n A a r g a u v e r e h e l i c h e n . Die vorgesehene Dispensation von dem nach dem deutschen Eherechte in solchen Fällen bestehenden Ehehindernisse wurde von der zuständigen Landesbehörde verweigert. Auf die Einfrag der kantonalen Aufsichtsbehörde, oh die Trauung im Hinblick auf das schweizerische Eherecht gleichwohl gestattet werden dürfe, haben wir folgendes geantwortet : Vorschriften des ausländischen Rechtes, welche die Befugnis zur Eheschließung im Verhältnis zur inländischen Gesetzgebung e r w e i t e r n , hat der Civilstandsbeamte insofern zu berücksichtigen, als ihre Anwendung im Inlande nicht gegen ein inländisches Verbotsgesetz verstößt.

Vorschriften des ausländischen Rechtes, welche die Befugnis zur Eheschließung im Verhältnis zur inländischen Gesetzgebung b e s c h r ä n k e n , hat der Civilstandsbeamte zu berücksichtigen, soweit sie durch die Verkündung durch allfällige Äußerung der ausländischen Behörden bei Erteilung der Eheerlaubnis, d u r c h D i s p e n s a t i o n s v e r h a n d l u n g oder sonstwie zu seiner Kenntnis kommen. Dieser Fall ist hier eingetreten.

Glaubt sich ein ausländisches Brautpaar, das in der Schweiz heiraten will, seitens eines schweizerischen Civilstandsbeamten oder einer andern inländischen Behörde ungerechtfertigterweise am Eheabschlusse gehindert, so steht demselben gestützt auf Art. 54 der Bundesverfassung und § 175 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege der Rekurs an das Bundesgericht offen.

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9. Am 26. Juni 1894 hat Herr Dr. R i t t e r , s c h w e i z e r i s c h e r V i z e k o n s u l in Y o k o h a m a , ein s c h w e i z e r i sches B r a u t p a a r an dessen W o h n o r t Osaka getraut.

Bei Zuleitung des Ehescheines bemerkte Herr Ritter, daß die ihm seiner Zeit vom Bundesrate erteilten Instruktionen allerdings vorschreiben, Trauungen nur auf der Kanzlei des schweizerischen Konsulates in Yokohama vorzunehmen, daß er aber anläßlich seiner Rückreise aus Korea den Bitten der Brautleute, ihnen die beträchtlichen Reisekosten von Osaka nach Yokohama zu ersparen, willfahren zu dürfen geglaubt und dieselben deshalb nach vorangegangener ordnungsmäßiger Verkündung auf der Kanzlei des belgischen Konsulates in Osaka getraut habe.

Wir haben gegen das geschilderte Vorgehen des Herrn Dr.

Ritter um so weniger etwas einzuwenden gehabt, als der frühere schweizerische Vertreter in Osaka bis zu der am 4. Juli 1890 erfolgten Aufhebung des fraglichen Postens ebenfalls zu civilstandsamtlichen Funktionen ermächtigt war (Bundesbl. 1890, III, 983).

10. Die Ein f r a g e der g r o ß b r i t a n n i s c h e n G e s a n d t schaft in Bern, ob eine auf der Gesandtschaft zwischen einem britischen und einem deutsch en Staatsangehörigen abgeschlossene Ehe nach schweizeris c h e m R e c h t e g ü l t i g sei, haben wir verneinend beantwortet und gleichzeitig daran erinnert, daß die in dieser Frage ausschlaggebenden rechtlichen Gesichtspunkte der Gesandtschaft bereits mit Note des Bundesrates vom 8. Juli 1887 bekannt gegeben worden seien (Bundesbl. 1888, II, 693 ff.; confer Bundesbl. 1891, II, 557, Z. 26, und 1893, II, 31, Z. 7).

11. U m g e h u n g e n der V o r s c h r i f t e n u n s e r e s Eher e c h t e s d u r c h E i n g e h u n g der Ehe im A u s l a n d sind im Berichtsjahre wiederum mehrere zu unserer Kenntnis gelangt.

Wir begnügen uns damit, als charakteristisch zwei Fälle hervorzuheben, in denen j e ein S t i e f v a t e r mit e i n e r S t i e f t o c h t e r behufs Umgehung des Verbotes in Art. 28, 2, ö, unseres Civilstandsgesetzes einen A b s t e c h e r n a c h N e w Y o r k gemacht hat und sofort nach dort erfolgter Trauung in die Schweiz zurückgekehrt ist.

Es handelte sich in diesen Fällen, wie in allen ähnlichen, darum, im Hinblick auf Art. 54 leg. cit. darüber Gewißheit zu beschaffen,
ob auch nach der Gesetzgebung des Landes, wo die Ehe abgeschlossen wurde, das Verhältnis von Stiefvater und Stiefkind einen Nichtigkeitsgrund bilde oder nicht. Durch Vermittlung Bundesblatt. 47. Jahrg. Bd. II.

9

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der schweizerischen Gesandtschaft in Washington erhielten wir eine vom 8. August 1894 datierte Ansichtsäußerung des Attorney General des Staates New York (ein Amt, das in der Schweiz demjenigen des Chefs des Justizdepartementes eines Kantons entspricht), aus welcher sich ergiebt, daß die fraglichen im Staate New York abgeschlossenen Ehen daselbst gültig seien, weil nach der Gesetzgebung dieses Staates das Verhältnis von Stiefvater und Stiefkind keinen Nichtigkeitsgrund für eine Ehe bilde.

Im Hinblick auf diese Erklärung konnte vom Standpunkte der administrativen Behörden aus der Eintrag fraglicher Ehen in das schweizerische Eheregister nicht abgelehnt werden. AllfälJigen Interessenten, die sich bei- der oben erwähnten Erklärung dos Attorney General des Staates New York nicht beruhigen wollen, bleibt es anheimgestellt, den endgültigen Entscheid des kompetenten Richters zu provozieren.

12. Am 15. Dezember 1893 ist von dem k a t h o l i s c h e n Pfarrer zu Lörrach auf erfolgte Delegation durch s e i n e n A m t s b r u d e r i n B r i s s a g o d i e E h e eines B ü r g e r s des l e t z t e r e n O r t e s g e t r a u t w o r d e n . Im September 1894 übermittelte die tessinische Staatskanzlei den fraglichen Ehoakt der Bundeskânzlei mit dem Gesuche, kompetenterseits diejenigen Legalisationen einzuholen, welche notig seien, damit derselbe in der Schweiz als rechtsgültig anerkannt und eingetragen werden könne.

Da jedoch die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes in Deutschland wie in der Schweiz Sache der bürgerlichen Behörden ist und auch in Deutschland die religiöse Feierlichkeit einer Eheschließung unter bedeutender Strafandrohung (Geldstrafe bis zu 300 Mark oder Gefängnis bis zu '3 Monaten) erst dann vorgenommen werden darf, wenn der Nachweis erbracht ist, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, widrigenfalls die Ehe ungültig ist, so haben wir die Weisung erteilt, daß von einer Eintragung fraglicher Ehe in das heimatliche Eheregister nur dann die Rede sein könne, wenn ein civilstandsamtlicher Eheschein beigebracht werde.

Einer Rückäußerung des kantonalen Civilstandsamtes haben wir übrigens entnommen, daß die Légalisation des betreffenden Trauscheines verlangt worden sei, weil eben darin die Garantie dafür erblickt werde, daß die Ehe gemäß dem am Orte ihres Absehlusses geltenden Rechte zu stände gekommen sei.

13. Einem Keriehte der Zeitung ,,Le Figaro" vom 19. Januar 1894 war zu entnehmen, daß am 11. August 1892 der

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F r a n z o s e F. mit der F r a n z ö s i n F. e n t g e g e n den Vors c h r i f t e n der Art. l und 40 des B u n d e s g e s e t z e s über C i v i l s t a n d u n d Elie d u r c h d e n P f a r r e r v o n G r l y ß B r i g in einer nicht sicher festgestellten, feierlichen Weise e i n g e s e g n e t worden sei.

Wir luden den Staatsrat des Kantons Wallis ein,^die thatsächlichen Verumständungen dieses Falles festzustellen und auch dem betreffenden Pfarrer Gelegenheit zu seiner allfälligen Entlastung zu geben. Aus den bezüglichen Erhebungen ergab sich, daß zwar eine Übertretung des Art. 40 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes nicht vorlag, daß aber vor dem fraglichen Pfarrer eine etwas eigentümliche Verlobung der betreffenden Personen mit nachheriger Einsegnung (simple bénédiction) in der Sakristei stattgefunden hatte.

Anläßlich seiner bezüglichen Berichterstattung hatte der Staatsrat des Kantons Wallis die Frage aufgeworfen, ob das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe vor der durch den bürgerlichen Traubeamten erfolgten Trauung neben der kirchlichen Trauung auch das kirchliche Verlöbnis verbiete. Nach der Ansicht des Staatsrates lag dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers.

Wir haben jedoch darauf aufmerksam r gemacht, daß gemäß Art. l und 5 des eidgenössischen Civilstandsgesetxes die Eheversprechen bei den Civilstandsbeamten zu machen sind und daß, falls dabei nicht beide Teile persönlich erscheinen, dem Civilstandsbeamten nach Art. 30 leg. cit. ein von ihnen unterzeichnetes und von der zuständigen Amtsstelle (Gemeindeammann, Notar etc.) beglaubigtes Eheversprechen vorzuweisen ist. Für diese Eheversprechen besteht laut Reglement für die Führung der Civilstandsregister vom 20. Herbstmonat 1881 ein amtliches Formular. Es ergiebt sich hieraus, daß das kirchliche Verlöbnis höchstens dann gegenüber den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe zur Geltung gelangen kann, wenn die über ein solches Verlöbnis ausgestellte Bescheinigung von der zuständigen (weltlichen) Amtsstelle beglaubigt ist (Art. 30, litt, c, legis). Das im vorliegenden Falle vorgekommene kirchliche Verlöbnis hatte demgemäß keinen gesetzlichen Halt.

Dem Pfarrer von G-lyß-Brig sprachen wir wegen seines Vorgehens unser Bedauern aus, namentlich auch deswegen, weil er sich hatte verleiten lassen, ,,auf die Hoffnung der künftigen ehelichen Vereinigung der fraglichen Personen seinen Segen zu spenden'1.

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14. In unserem Berichte für das Jahr 1891 haben wir in dem Abschnitte ,,Civilstand und Ehe" unter Nr. 23 (Bundesbl. 1892, II, 526 ff.) z w e i T r a u u n g e n erwähnt, dio a u f D e l e g a t i o n durch die Pfarrer an den österreichischen Wohnorten der B r a u t l e u t e in der W a l l f a h r t s k i r c h e zu E i n s i e d e l n v o r g e n o m m e n worden waren, o h n e d a ß , w i e A r t . 40 des e i d g e n ö s s i s c h e n C i v i l s t a n d s g e s c t z o s d i e s v o r s c h r e i b t , die Ci v i 11 r au u n g v o r a n g e g a n g e n war. Im einen Fall war der Bräutigam ein Berner, im andern ein Bürger des Kantons Glarus Die Anerkennung dieser Ehen wurde für so lange verweigert, bis eine gesetzmässige Trauung, sei es in der Schweiz; oder sei es am Wohnorte der Brautleute, stattgefunden haben würde. Während nun der parrochus loci des einen Brautpaares sofort und ohne irgend welches Zügern die verlangte Trauung vornahm, wurde die Trauung des anderen Brautpaares unter Hinweis ,,auf die im Delegationswege vom Pfarrer in Einsiedeln vorgenommene kirchliche Trauung, welche nach katholischem Ritus perfekt sei" abgelehnt. Erst nachdem aus der fraglichen Verbindung mehrere Kinder hervorgegangen waren, deren Anerkennung in der Heimat des Vaters selbstverständlich verweigert werden mußte, ließ sich (am 27. Juni 1894) auch der zweite in Betracht kommende österreichische Pfarrer herbei, das Beispiel seines Amtsbruders zu befolgen und so auch die Legitimation der erwähnten Kinder zu ermöglichen. Es ist also in beiden Fällen den Anforderungen der schweizerischen Ehegesetzgebungj nachträglich Genüge geleistet worden.

15. In dem Geschäftsberichte für das Jahr 1892, Abteilung Civilstand und Ehe, haben wir einen Fall erwähnt, in welchem am 23. August 1892 eine B e s c h w e r d e b e g r ü n d e t e r k l ä r t worden war, die ein Ehepaar erhoben hatte, w e i l das C i v i l s t a n d s a m t s e i n e s W o h n o r t e s infolge bezüglicher Weisungen der kantonalen Aufsichtsorgane die von b e i d e n G a t t e n gestützt auf den zwischen ihnen erfolgten Eheabschluß v e r l a n g t e B e u r k u n d u n g der L e g i t i m a t i o n eines v o r e h e l i c h e n K i n d e s der E h e f r a u mit dem Hinweis darauf v e r w e i g e r t hatte, der Ehemann sei nicht der Vater des fraglichen Kindes.
Wir haben damals beigefügt, daß dieser Legitimationsfall den in Frage stehenden Eheleuten eine Strafklage ,,wegen Beeinträchtigung der Familienrechtea zugezogen habe. (Bundesbl. 1893, II, Seite 32, Ziffer 8.)

Heute können wir über die Erledigung dieser Angelegenheit, die bedeutendes Aufsehen verursacht hat, folgendes mitteilen.

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Da die fragliche Legitimation den tatsächlichen Verumständungen widersprach (welche Möglichkeit in unserem oben erwähnten Entscheide ausdrücklich hervorgehoben ist), war in der That im Oktober 1892 die Einleitung des Strafverfahrens gegen die beiden Ehegatten erfolgt. Dieselben gaben im Laufe der Untersuchung die materielle Unrichtigkeit der in Rede stehenden Legitimation unumwunden zu, zumal nachgewiesen wurde, daß ihre gegenseitige Bekanntschaft erst aus dem Jahre 1887, d. h. fünf .Jahre nach der Geburt des legitimierten Kindes datierte. Trotzdem -- wohl hauptsächlich im Hinblick auf die einschlägigen harten Bestimmungen des Strafgesetzbuches -- wurden die Angeklagten durch Urteil des Geschwornengerichtes, beziehungsweise der betreffenden kantonalen Kriminalkammer, vom 30. Mai 1893 freigesprochen, obschon ein Rückzug des früheren Geständnisses weder während der Untersuchung noch in der Hauptverhandlung erfolgt war.

Auf unsere Weisung verlangte nunmehr das in Frage kommende kantonale Civilstandsinspektora gestützt auf Art. 9, . Abs. 2, des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe bei dem zuständigen Bezirksgericht Rektifikation der eingestandenermaßen falschen Legitimationsbeurkundung. Diese erfolgte durch Urteil vom 119. Februar 1894.

16. Ein B ü r g e r von G an sing en (A a r g a u) hatte, an 1 läss l i c h s e i n e r V e r e li e 1 i c h u n g m i t e i n e r b a d i s c h e n Staatsangehörigen vor dem heimatlichen Standesb e a m t e n derselben fälschlich einen von ihrfünff Jahre früher außerehelich geborenen Sohn legitim i e r t . Der Gemeinderat von Gansingen opponierte und bewirkte, daß das Bezirksgericht Laufenburg mit Urteil vom 24. Dezember 1891 die vor dem badischen Standesamte geschehene Legitimation und die Eintragung des fraglichen Knaben in dasBürgerregister vonn Gansingen annullierte.

Die badischen Behörden versagten jedoch diesem Urteil die Anerkennung und die in Rede stehenden Eheleute suchten, unterstützt von den kantonalen Behörden, unsere Vermittlung nach.

Wir haben aber die gewünschte Intervention, weil nutzlos, unterlassen und die Petenten darauf hingewiesen, daß das ganze Verfahren betreffend die Aufhebung der fälschlichen Legitimation von Anfang an in demjenigen Lande hätte eingeleitet und durchgeführt werden sollen, wo die unrichtige Standesbeurkundung veranlaßt worden und erfolgt sei, dies um so mehr, als zwischen der Schweiz

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und Deutschland ein Vertrag [über die gegenseitige Anerkennung der Civilurteil nicht bestehe und der deutsche Richter gemäß § 661, Ziff. 5, der deutschen Reichseivilprozessordnung das nachgesuchte Vollstreckungsurteil zu verweigern habe, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei (zu vergleichen isBundesbl.]. 1889, II, S. 735, Z. 11, und von Salis, Bundesrecht, I, Nr. 222).

Da sich der Durchführung einer Berichtigungsklage in Deutschland verschiedene Schwierigkeiten entgegenstellten, so stand der Gemeinderat von Gansingen von der Anhebung eines bezüglichen · Prozesses ab und der fragliche Knabe wurde als legitimiert und als Bürger von Gansingen anerkannt.

17. Mit Eingabe vom 25. September 1893 batte eine F r a u J e n n y - C o n s t a n c e B., g e s c h i e d e n e R, v o n V i 11 i e r s (Loir-et-Cher), wohnhaft in Coppet, den R e k u r s an den Bundesr a t ergriffen g e g e n e i n e n E n t s c h e i d d e s S t a a t s r a t e s d o s K a n t o n s W a a dt v o m 5. S e p t e m ber 1898, durchweichen ihr Gesuch, es möchte der von ihr am 31. März; 1892 zu Coppet geborene und von dem dortigen Civilstandsbeamten in das Geburtsregister als Kind der Eheleute R.-B. eingetragene Knabe LouisEdouard i n a d m i n i s t r a t i v e r B e r i c h t i g u n g d i e s e r B e u r k u n d u n g als u n e h e l i c h e s K i n d d e r R e k u r r e n t i n e i n g e s c h r i e b e n w e r d e n , abschlägig beschieden worden war.

Mit Vortrag vom 17. Oktober 1893 hatte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement nach Einholung der Vernehmlassung des Staatsrates des Kantons Waadt Abweisung dieses Rekurses beantragt.

Im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse des Falles und namentlich mit Rücksicht auf den Umstand, daß thatsächlich ein anderer als der geschiedene Ehemann R. sich als Vater des fraglichen Kindes erklärte, wiesen wir am 10. November 1.893 die Angelegenheit mit der Einladung an das Departement zurück, durch direkte Korrespondenz mit den Behörden des Kautons Waadt es zu erlangen zu suchen, daß der waadtländische Staatsrat auf seinen Beschluß vom 5. September 1893 zurückkomme.

Die letztgenannte Behörde beharrte jedoch auf ihrem Standpunkt, da ihr die besonderen Verumständungen des Falles nicht als hinreichend erschienen, um mit den einschlägigen bisherigen Rechtsgrundsätzen der administrativen Aufsichtsbehörde über das Civilstandswesen zu brechen.

Der Staatsrat machte dabei namentlich auf folgenden Umstand aufmerksam :

123 Das Urteil, welches die Scheidung der Ehegatten R.-B. ausgesprochen habe, sei in die Civilstandsregister erst nach der Geburt des in Rede stehenden Knaben eingeschrieben worden. Diese Eintragung habe nacli den bezüglichen Vorschriften des Code Napoleon erst stattfinden können, nachdem das Urteil selbst definitiv geworden sei 5 sie habe stattfinden müssen innerhalb zweier Monate nach diesem Zeitpunkte. Nun sei der Knabe Louis-Edouard am 31. März 1892 geboren. Die Eintragung des Urteils sei aber erst im November des gleichen Jahres erfolgt, dasselbe also erst nach der Geburt des Knaben definitiv geworden. Unter diesen Umständen und weil der Code Napoléon einem Scheidungsurteile rückwirkende Kraft bis auf den Tag der Arihebung der Klage nur hinsichtlich der Ehegatten unter sich vorbehalte, sei es klar, daß gegenüber Drittpersonen (und eine solche Drittperson sei der in Rede stehende Knabe) die Wirkungen des Urteils erst mit dem Tage beginnen können, an welchem dasselbe definitiv geworden sei. Im vorliegenden Falle sei nun aber in dem Momente, wo das Urteil definitiv geworden, der Knabe Louis-Edouard bereits geboren gewesen. Einzig eine Einspruchsklage konnte deshalb dazu führen, dessen Unehelichkeit festzustellen und dessen seitens des angeblichen Vaters beabsichtigte legitimatio per subsequens matrimonium zu ermöglichen.

Infolgedessen haben wir am 23. November 1894 den ursprünglichen Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes zum Beschluß erhoben und den Rekurs als unbegründet abgewiesen.

Erwägungen: a. Die Amtsführung der Civilstandsbeamten und damit auch die Eintragungen in die Civilstandsregister sind durch Art. 12 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe der Kontrolle der administrativen Aufsichtsbehörden unterstellt. Die Oberaufsicht über das ganze Civilstandswesen steht nach den Art. 2, 12 und 60 des genannten Gesetzes und gemäß Ziff. 2 in Art. 102 und Abs. 3 in Art. 113 der Bundesverfassung, sowie gemäß Ziff. 5 in Abs. l des Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege dem .Bundesrate zu. Der Bundesrat ist demgemäß im vorliegenden Fall, wo es um eine beanstandete Eintragung in das Civilstandsregister sich handelt, berufen, oberinstanzlich zu entscheiden.

b. Indem die Rekurrentin die Berichtigung der auf ihren Knaben Louis-Edouard bezüglichen Beurkundung im Geburtsregister

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des Civilstandskreises Coppet auf dem Verwaltungswege nachsucht,, geht sie von der Voraussetzung aus, es sei hei dieser Beurkundung ein offenbarer, von keiner Seite bestrittener, noch bestreitbarer Irrtum des Civilstandsbeamten im Sinne von Abs. 8 des Art. 9 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes vorgekommen. Dieser Auffassung stellt jedoch die Thatsache entgegen, daß es sich um den Givilstand des Kindes einer französischen Staatsangehörigen handelte, und daß demgemäß von dem Civilstandsbeamten das heimatliche, französische Recht anzuwenden war. Dies ist geschehen. Wenn man nämlich annimmt, der Knabe Louis-Edouard sei wirklich erst nach 300 Tagen nach Inkrafttreten des Scheidungsurteiles betreffend die Ehe R.-B. geboren worden, so war derselbe, wie der Staatsrat des Kantons Waadt richtig ausführt, im Hinblick auf den Art. 315 des französischen Civilgesetzbuches gleichwohl als Kind der gewesenen Eheleute R.-B. einzutragen. Der Mutter des Knaben und allfälligen anderen Interessenten bleibt dabei durch den nämlichen Artikel, der bestimmt, daß die Ehelichkeit solcher Kinder angefochten werden k a n n , die Möglichkeit gegeben, vor dem kompetenten Richter seine Unehelichkeit nachzuweisen, ein bezügliches Urteil auszuwirken und sodann gestützt auf dasselbe die entsprechende Berichtigung im Geburtsregister zu Coppet zu beantragen. Von einem offenbaren, auf dem Verwaltungswege zu berichtigenden Irrtum des Civilstandsbeamten anläßlich der Geburtsbeurkundung kann jedoch unter obwaltenden Umständen keine Rede sein.

c. Aus den gleichen Erwägungen fällt der Vorwurf, der Civilstandsbeamte von Coppet habe die ihm durch Art. 17 des eidgenössischen Civilstandsgesetzes vorgeschriebene Prüfung der von der Hebamme namens der Mutter B. bei der Geburtsanzeige abgegebenen Erklärungen unterlassen, als grundlos dabin.

18. Mit Zuschrift vom 27. November 1893 bat das C i v i l s t a n d s a m t Z ü r i c h , A b t e i l u n g S t e r b e f ä l l e , unter einläßlicher Begründung an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepar-tement das A n s u c h e n gestellt, es m ö c h t e in A u f h e b u n g eines e n t g e g e n s t e h enden E n t s c h e i d e s de r R e g i e r u n g d e s K a n t o n s Z ü r i c h v o m 19. O k t o b e r 1893 d e n V e r walter des Kantonsspitals Zürich anhalten, seinen T o d e s a n z e i g e
n j e w e i l e n eincivilstandsamtliches A t t e s t (Geburtsschein, Auszug) b e i z u l e g e n .

Nach einläßlicher Prüfung der Streitfrage und der bezüglichen Vernehmlassung der Regierung des Kantons Zürich waren wir im Falle, folgende Antwort zu erteilen :

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Gemäß Art. 20 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe bat die Anzeige von Todesfällen, die in öffentlichen Anstalten (Entbindungs-, Kranken-, Gefängnisanstalten etc.) stattfinden, durch amtliche Zuschrift des betreffenden Anstaltsvorstehers zu geschehen.

Diese schriftlichen Anzeigen müssen alle Angaben enthalten, die nach Art. 22 leg. cit. in das Totenregister einzutragen sind. Die Anstaltsvorsteher sind in dieser Beziehung den in Abs. 2 des Art. 20 zur Anzeige verpflichteten Privatpersonen durchaus gleichgestellt. Unvollständige Anzeigen hat der Civilstandsbeamte zurückzuweisen. Erscheinen ihm die gemachten Angaben n i c h t g l a u b w ü r d i g , so hat er gemäß Art. 17 des Gesetzes sich durch die nötigen Erhebungen von der Richtigkeit der Angaben zu überzeugen. B i n M eh r er es zu thun, d. h. von sich aus unvollständige Anzeigen zu vervollständigen, wie Nummer 76 der Anleitung im ,,Handbuche für die Civilstandsbeamten" irrtümlich vorschreibt, kann dem Civilstandsbeamten aus dem Bundesgesetze selbst nicht zugemutet werden. Derselbe hat vielmehr gegebenen Falls gestützt auf Art. 59, Ziff. l, des mehrgenannten Bundesgesetzes Strafklage zu erheben. Die Civilstandsbeamten sind also bezüglich ihrer amtlichen Obliegenheiten bei Entgegennahme solcher Todesanzeigen genügend geschützt.

Eine direkte Verfügung im Specialfalle erschien als überflüssig, dies um so mehr, als die Spitalverwaltung in Zürich sich bereit erklärte, auch künftighin bei jedem Todesfall vorschriftsgemäß das Nötige zu besorgen. Jedenfalls enthält das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe keine Bestimmung, gestützt auf welche die Anstaltsverwaltungen verpflichtet werden konnten, schon bei der Aufnahme von Patienten alle für die Anzeige des.

allfällig eintretenden Todes erforderlichen Angaben beizubringen 19. In unserem Berichte für das Jahr 1892 halten wir unter Ziffer 21 der Abteilung ,,Civilstand und Ehe" (Bundesbl. 1893, II, 46 ff'.) über den Fortgang der Erledigung des N a m e n s s t r e i t e s Corragion d'Orelli nähere Angaben gemacht und dabei der Erwartung Ausdruck gegeben, daß diese Angelegenheit die kantonalen und eidgenössischen Behörden nicht so bald wieder beschäftigen werde. Der in Sachen gefaßte Beschluß des Bundesrates vom 19. Mai 1890 (Bundesbl. 1891, II, 557 ff'.) hat aber doch noch sein Kachspiel gehabt.
Mit Eingabe vom 22. Februar 1893 stellte nämlich der Vater Emanuel Corragioni d'Orelli für sich und seine Söhne Emanuel und Karl bei dem Bezirksgericht Luzern das Begehren, ,,dasselbe

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wolle auf Grund von Art. 9, Alinea 3, eventuell 2, des eidgenössischen Gesetzes betreffend Civilstand und Ehe die in Frage stehenden Civilstandseintragung des Eingabestellers und seiner Söhne E manuel und Karl endgültig auf d'Orelli Corragioni festsetzen". Die frühere Rekursklägerin opponierte hiergegen. Nach längeren Zwischen Verhandlungen erkannte am 4. Mai 1894 das angerufene Gericht zu Recht, ,,es sei festgestellt, daß der richtige Familienname des Emanuel Corragioni d'Orelli und seiner Söhne Emanuel und Karl einzig und allein ,,Corragioni"· mit oder ohne nachgesetztem Beisatz ,,d'Orelli1'' ist".

Laut Bescheinigung der luzernischen Obergerichtskanzlei vom 9. Juli 1894 ist gegen dieses Urteil innert gesetzlicher Frist kein Rechtsmittel angemeldet worden, so daß diese langwierige Namensi'rage füglich definitiv als erledigt betrachtet werden kann.

20. Ein G e n f e r hatte i m "Jahre 1892 eine T o c h t e r , w e l c h e e i n e F r a n z ö s i n im J a h r e 1872 i n F r a n k r e i c h außerehelich geboren hatte, als von ihm erzeugt a n e r k a n n t . Auf die Eintrage der kantonalen Aufsichtsbehörde, ob die B u n d e s b e h ö r d e es zulasse, daß die A n e r k e n n u n g eines u n e h e l i c h e n K i n d e s d u r c h e i n e n Schweizer d i e s e m K i n d e i p s o f a c t o das sch w zerisch e B ü r g e r r e c h t v e r s c h a f f e , hat das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement geantwortet, daß die Möglichkeit und die Folgen der Anerkennung außerehelicher Kinder durch Schweizerbürger ausschließlich nach dem Rechte derjenigen Kantone sich richten, welchen diese Schweizerbürger angehören, und daß die Bundesbehörde als solche hierbei weder etwas zuzulassen, noch etwas zu verbieten hat. Genügende Auskunft in dieser Frage geben übrigens die Nummern 64--67 der Anleitung im ,,Handbuche für die schweizerischen Civilstandsbeamten". -- Die genferische Behörde gab sich bei diesem Bescheide nicht zufrieden, sondern unterbreitete den Fall noch der politischen Abteilung des eidgenössischen Departementes des Auswärtigen, indem sie ausführte, daß eine unter derartigen Verumständungen vor sich gehende Anerkennung in ihren Augen einfach eine versteckte Naturalisation sei, deren gesetzliche Förmlichkeiten von außerehelichen Kindern auf diese Weise mit Leichtigkeit umgangen werden könnten. Das
Departement des Auswärtigen erklärte jedoch in seiner Rückäußerung, daß es die oben skizzierte Ansicht des Justiz- und Polizeidepartementes voll und ganz teile.

127

21. Mit Schreiben vorn 10. Juli 1894 hat uns die R e g i e r u n g des K a n t o n s S o l o t h u r n die Verhältnisse einer in Brüssel wohnhaften W i t w e L è o n i e - M è l a n i e Sch. geb. D., von W.itterswil, ihrer Tochter Léonie-Marie und ihrer beiden Söhne H e r m a n - L é o n - J o s e p h und daß die angeführten Personen und der am 15. Januar 1880 zu Brüssel verstorbene und als HerrmannSch.,, geboren zu Lenzburg am 9. Januar 1842, in das Sterberegister eingetragene Ehemann der WitweSch.. bloß infolge eines Irrtums oder Betruges die Anerkennung und Eintragung als Bürger von Witterswil erlangt hätten, weshalb sie -- die Regierung -- sich genötigt sehe, die in den Civilstandsregistern von Witterswil auf die fraglichen Personen lautenden Eintragungen zu a n n u l l i e r e n und es den KindernSch.. zu ü b e r l a s s e n , ihre H e i m a t a n g e h ö r i g k e i t auf dem Ci v il pr o z eß w eg e feststellen zu lassen.

Eine eingehende Prüfung der Angelegenheit überzeugte uns jedoch, daß bei der damaligen Sachlage die von der Regierung des Kantons Solothurn beabsichtigte einfache Aufhebung der in Betracht fallenden Civilstandsbeurkundungen in Witterswil unmögli war, wovon wir die Regierung verständigt haben.

Unsere hauptsächlichen Gründe waren die folgenden : In erster Linie wäre dem geplanten Vorgehen auf administrativem Wege der Absatz 2 des Art. 9 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe entgegengestanden. Aber auch abgesehen hiervon kamen eine Anzahl von Thatsachen in Betracht, die nicht ohne weiteres beseitigt werden durften. So hatte der am 15. Januar 1880 zu Brüssel verstorbene Herrmann Sch. auf sein Verlangen am 17. Oktober 1870 durch den Gemeindeammann von Witterswil einen Heimatschein erhalten, der in gesetzlicher Form beglaubigt war vom Oberamtmann des Bezirkes Dorneck-Thierstein und von der solothurnischen Staatskanzlei. Dieser Heimatschein hatte seinen Träger zum Aufenthalt in Brüssel und zu der daselbst am 22. Juli 1876 erfolgten Verehelichung mit der Léonie-Mélanie D. legitimiert. -- Sodann hatte die solothurnische Regierung am 7. Januar 1881 dem Bundesrate für die Witwe und die Kinder Sch. einen auf die Gemeinde Witterswil lautenden Heimatschein und entsprechende Civilstandsurkunden übersandt. Diese Ausweis papiere ermöglichten den fraglichen Personen bisanhin ihren Aufenthalt im Auslande beziehungsweise in Brüssel. Schließlich war auch ein erstes, am 18. August 1889 zu Brüssel geborenes un-

128 eheliches Kind der Léonie-Marie Sch. auf Veranlassung der solothurnischen Staatskanzlei in Witterswil eingetragen und damit als dortige Bürgerin anerkannt worden. Ob und was für Fehler und Unterlassungen b e i Verabfolgung d e s Heimatscheines a n beurteilt werden. D a g e g e n mußte aber Einspruch erhoben werden,dassß damalige und spätere Fehler und Unterlassungen der Witwe und den KindernSch.. zugeschoben werden wollten, du hierdurch diesen Leuten die Rolle der Klägerschaft aufgebürdet worden wäre, während sie ihren Anspruch auf das Bürgerrecht von Witterswil mit rechtsgültigenAusweisschriftenn belegten. -- Wollen die Gemeinde Witterswil und der Kanton Solothurn die Zugehörigkeit der fraglichen Personen bestreiten, so haben eben sie vor dem kompetenten Gerichte die erforderlichen Nachweise zu erbringen. -- 22. Am Schlüsse dieses Abschnittes sei uns noch eine Born e r k u n g über das H e i m a 11 o s e n w e s e n erlaubt.

Die Geschäftsprüfungskommission dos Nationalrates für das Jahr 1893 hat in ihrem Berichte der Erwartung Ausdruck gegeben, daß einer möglichst raschen Erledigung der noch pendenten Fälle besondere Sorge gewidmet werde und daß das Heimatlosenwesen bald gänzlich aus Abschied und Traktanden vorschwinde.

Soweit die Umstände es gestatteten, ist dem ersten dieser beiden Wünsche Rechnung getragen worden. Verhältnismäßig zahlreiche Pendenzen sind erledigt und der Abschluß der Untersuchung in den übrigen Fällen ist möglichst gefördert worden. Was den zweiten Wunsch anbelangt, so ist dessen Verwirklichung so lange unmöglich, als immer noch neue Heimatlosenfälle sich zeigen. Im Berichtsjahr einzig waren es deren sechs, von welchen allerdings fünf bereits erledigt werden konnten. --

VI. Handelsregister.

A. Allgemeines und Statistik.

1. E i n t r a g u n g e n . In der Zahl der Eintragungen ist gegenüber dem Jahre 1893 wieder eine kleine Erhöhung eingetreten ; es wurden 8659 Eintragungen vorgenommen ; im Vorjahre waren es deren 8339.

129 Es wurden eingetragen:

a. Im H a u p t r e g i s t e r (A) : Einzelfirmen (1893: 1966); Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1893: 695); Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1893: 336); Vereine (1893: 102); Zweigniederlassungen (1893: 87) ; Bevollmächtigungen (1893: 1037).

2284 705 299 88 77 790

b. Im b e s o n d e r n R e g i s t e r (B): 31 Personen (1893: 12).

Gelöscht wurden:

1986 565 62 16 56 624

a. Im H a u p t r e g i s t e r : Einzelfirmen (1893: 1873), wovon 282 wegen Konkurses (1893: 288); Kollektiv-und Kommanditgesellschaften (1893: 539), wovon 26 wegen Konkurses (1893: 29); Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesollschaften und Genossenschaften (1893: 57), wovon 8 wegen Konkurses (1893: 9); Vereine (1893: 10); Zweigniederlassungen (1893:. 65), wovon l wegen Konkurses (1893: 1); Bevollmächtigungen (1893: 692).

b. Im b e s o n d e r n R e g i s t e r : 35 Personen (1893: 34).

Veränderungen gelangten sur Eintragung :

288 betreffend Einzelfirmen (1893: 307); 201 betreffend Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1893: 202); 195 betreffend Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1893: 197); 139 betreffend Vereine (1893: 86); 204 betreffend das Personal der Vorstände von Genossenschaften (1893: 186); 14 betreffend Zweigniederlassungen (1893: 28).

130 Auf 31. Dezember 1894 blieben im Handelsregister

eingetragen:

a. Im H a u p t r e g i s t e r : 31,876 Einzelfirmen (gegen 31,578 im gleichen Zeitpunkte des Vorjahres und 24,023 auf 31. Dezember 1883) ; 4,968 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften (1893 : 4828 ; 1883: 3666); 4,062 Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften (1893: 3825; 1883: 1417); 946 Vereine (1893: 874; 1883: 134); 654 Zweigniederlassungen (1893: 633; 1883: 368).

b. Im b e s o n d e r n R e g i s t e r : 978 Personen (1893: 982; 1883: 2052).

Die Gesamtsumme der für die Eintragungen bezogenen Gebühren beträgt Fr. 44,469, woran der Bund mit Fr. 8893. 80 partizipiert: Über die Verteilung obiger Ziffern auf die einzelnen Kantone geben die beigefügten zwei Tabellen Aufschluß.

2. In der O r g a n i s a t i o n des Handelsregisters sind keine Änderungen vorgekommen. -- Von den bestehenden 99 Bureaux wurden wieder nicht alle in Anspruch genommen : dasjenige finden bernischen Amtsbezirk Saanen hatte keinerlei Eintragung vorzunehmen.

3. I n s p e k t i o n e n konnten nur bei 7 Handelsregister-Bureaux stattfinden, wegen Häufung der Arbeiten der Centralstolle. Das Resultat der Untersuchungen giebt zu keinen besonderen Bemerkungen Anlaß.

4. Vom Vororte des schweizerischen Handels- und Industrievereins war der Wunsch geäußert worden, es möchte alljährlich ein offizielles ,, S c h w e i z e r i s c h e s R a g i o n e n b u c h a herausgegeben werden. Das Artistische Institut Orell Füßli in Zürich hatte schon 1893 eine derartige Publikation unternommen. Dieses Verlagsinstitut stellte daher beim Departement des Auswärtigen das Gesuch, es möchte von der selbständigen Herausgabe eines Ragionenbuches abgesehen, dagegen ihm ermöglicht werden, 'sein mit bedeutenden pekuniären Opfern begonnenes Werk fortzusetzen.

Diesem Ansuchen wurde entsprochen. Um aber dem Werke den vom Vororte gewünschten offiziellen Charakter zu verleihen, war es nötig, die Handelsregisterführer zu verpflichten, die Publikation

Handelsregister-Eintragungen im Jahre 1894.

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28

Personaländerungen in Genossenschaftsvorständen. 1

Kantone.

Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften.

Kollektiv- und KommanditGesellschaften.

Einzelfirmen.

Zu Seite 130.

29

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50 ' 70

Zu Seite 130.

Bestand der

im Handelsregister eingetragenen Einzelfirmen, Handelsgesellschaften, Vereine und nicht handeltreibenden Personen auf 31. Dezember 1893 und 1894.

Einzelfirmen.

Kantone.

Zürich Bern Luzern Uri Schwyz Nidwaiden . .

Obwalden Glarus . . .

, . .

Zug Freiburg Solothurn Baselstadt Baselland Schaffhausen Appenzell A.-Rh Appeozell I.-Rh S t . Gallen . .

Graubünden .

Aargau Thurgau Tessin . . .

Waadt . . .

Wallis Neuenburg Genf

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Total am 31. Dezember Total am 31. Dezember 1883

1893.

1894.

3,519 3,861 1,321 76 436 122 134 596 195 1,157 552 965 231 557 610 61 1,928 1,080 1,137 836 1,592 5,153 344 1,820

3,617 4,017 1,340 75 425 127 137 584 196 1,238 628 964 222 544 618 61 1,926 1,069 1,154 845 1,598 5,112 350 1,793

3,295 31,578

Kollektiv und KommandiiGesel (schatten.

1893.

1894.

Aktiengesellschaften, Kommandit-Aktiengesellschaften und Genossenschaften.

1893.

1894.

Zweigniederlassungen.

Vereine.

1893.

1894.

1894.

4,882 5,997

5,063 6,259

1,893 103 520 · 165 170 714 259 1,700 974 1,423 312 646 750 73

43,484

2 2

2 1

2 45 100

2 38 102

1

1

4

4

33 17 38 4 8 218 6 71 157

4 2 77 35 16 43 27 59 6 42 56

12 4 3

12 4 3

48 18 13 32 7

40 18 13 33 8

1,868 95 530 161 166 725 252 1,599 888 1,410 315 655 742 72 2,519 1,388 1,583 1,052 1,905 6,816 467 2,471 4,162

946

633

654

982

978

42,729

38 152 34 1 2

42 175 34 1

1 4 6 57 18 20 11 7 3

1 5 8 60 18 27 11 7 3

3,236

478 942 124 & 4 23 8 8 25 22 253 116 95 34 40 48 6 163 59 153 58 39 891 38 184 251

30 16 32 4 8 203 5 74 148

31,876

4828

4968

3825

4062

874 134

1893.

122 371 204

445 899 113 3 22 8 7 26 20 234 106 90 31 39 47 6 147 51 141 55 38 853 28 178 238

14t!7

1894.

126 357 206

716 663 167 20 66 26 21 97 29 94 99 303 40 54 73 4 325 208 257 121 202 547 73 336 427

36 66

1893.

Total.

88 91 24 3 4 2 2 3 2 17 11 34 4 1 4 2 74 36 16 40 26 61 5 46 58

679 639 169 14 67 27 20 96 27 87 102 304 37 52 74 3 325 202 254 114 192 530 71 325 418

24, 023

1894.

1893.

Besondere* Register.

2

75 89 25 1 3 2 2 3 2 19 10 31 4

3 58

20 52

2,533

1,393 1,621 1,068 1,913 6,847

485 2,463

4,137

31, 740

131

des Artistischen Institutes Orell Flißli an Hand der Originalhandelsregister zu kontrollieren und vor dem Drucke richtig zu stellen.

Da dem Departemente die Kompetenz fehlt, hierüber den kantonalen Registerführern Weisungen zu erteilen, so wandte es sich an die kantonalen Aufsichtsbehörden. Letztere kamen dem ausgesprochenen Wunsche ausnahmslos bereitwilligst entgegen und verpflichteten die Registerführer zur Kontrollierung und Korrektur des Ragionenbuches. Dieses .Buch ist nun erschienen.

5. Art. 13 der bundesrätlichen Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt, vom 6. Mai 1890, normiert bekanntlich die P f l i c h t z u r E i n t r a g u n g in das H a n d e l s r e g i s t e r und zählt eine Reihe von Gewerben auf, deren Betrieb gemäß Art. 865, Absatz 4, 0. R. diese Pflicht begründet. Für einen Teil dieser Gewerbe werden dabei bestimmte Requisite aulgestellt, von deren Erfüllung die Eintragspflicht abhängig gemacht ist. Der letzte Alisatz des Art. 13 bestimmt nämlich: .,,Nicht eintragspflichtig sind die unter Ziff. l, litt, a, Ziff. 2 und 3 genannten Gewerbe, wenn ihr Warenlager nicht durchschnittlich einen Wert von mindestens Fr. 2000 hat oder wenn ihr Jahresumsatz (die jährliche Roheinnahme) oder der Wert ihrer jährlichen Produktion unter der Summe von Fr. 10,000 bleibt.0'In Ziff. 3 seines Kreisschreibens an sämtliche eidgenössische Stände, betreffend die oben citierte Verordnung, vom 11. Juli 1890, spricht sich der Bundesrat hierüber im weiteren folgendermaßen aus: ,rüie Gewerbe, welche Kauf und Verkauf vermitteln, Geld-, Wechsel-, Effekten- oder Börsengeschäfte betreiben oder vermitteln, die Beförderung von Personen, Sachen etc. übernehmen, Stellenvermittlungsbureaux, Pfandleihanstalten u. dgl. führen, oder das Versicherungsgeschäft betreiben (Art. 13, Ziff. l, litt, b, c, d, e, f) unterliegen ihrer Natur nach der Eintragungspflicht; für sie war es daher nicht nötig, diesfalls ein besonderes Merkmal aufzustellen.

Dagegen besteht ein solches Bedürfnis mit Bezug auf die übrigen in Art. 13 aufgeführten Gewerbe. Wir haben nun für dieselben eine gewisse Grenzlinie gezogen, indem wir als eintragspflichtig erklären : 1. Die Handelsgewerbe, die sich mit dem Ein- und Verkauf von Gegenständen befassen (Verordnung Art. 13, Ziff. l, litt. «), wenn der durchschnittliche Wert ihres Warenlagers mindestens Fr. 2000 und ihr Jahresumsatz (die jährliche Roheinnahme) mindestens Fr. 10,000 beträgt.

132

2. Die Fabrikations- und anderen nach kaufmännischer Art betriebenen Gewerbe (Art. 13, Ziff. 2 und 3, litt, a bis d), die kein Warenlager halten, wenn ihr Jahresumsatz oder der Wert ihrer jährlichen Produktion Fr. 10,000 erreicht.a Unter der Mehrheit der leitenden Persönlichkeiten der Handelsund Industriekreise herrscht nun die Ansicht, daß diese Bestimmungen zu wenig weitgehend seien und dem Handelsregister eine Reihe von Geschäftsleuten entziehen, die dem Sinne des Art. 865, Absatz 4 O.-R. nach in demselben sollten eingetragen sein.

Nachdem schon der Centralvorstand des Vereins schweizerischer Geschäftsreisender wiederholt deren Revision im Sinne einer Erweiterung der Eintragspflicht verlangt hatte, stellte nunmehr der Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins im Namen dieses letztern das Gesuch: ,,Es m ö c h t e die V o r s c h r i f t der h u n d e s r ä t 1 i c h e n .V e r o r d n u n g v o m 6. M a i 1 8 9 0 ( A r t . 13, l e t z t e r Absatz) ü b e r die zur E i n t r a g u n g ins H a n d e l s r e g i s t e r v e r p f l i c h t e n d e L a g e r g r en z e v o n Fr. 2 0 0 0 u n d U m s a t z g r e n z e v o n Fr. 1 0 , 0 0 0 in der Weise m o d i f i z i e r t werden, daß das Vorhandensein schon eines dieser Kriterien die E i n t r a g s p f i c h t b e g r u n d e.a Das Departement wollte dem Bundesrate in dieser Angelegenheit keinerlei Anträge unterbreiten, bevor es die Ansichtsäußerungen der kantonalen Behörden eingeholt haben würde.

Dadurch wurde aber die Erledigung des Gegenstandes im Berichtsjahre unmöglich, da bis Schluß desselben noch die Berichte von 10 Regierungen ausstehend waren. Von den 15 Regierungen, welche sich bis dahin geäußert hatten, will eine dein Begehren des Vorortes entsprochen wissen; zwei Antworten unterstützen dasselbe teilweise; die übrigen 12 aber vorwerfen es unbedingt.

B. Specielles.

I. Die Zahl der R e k u r s e ist von 20 im Jahre 1893 auf 12 zurückgegangen. Davon wurden 2 wieder zurückgezogen. Auf einen Rekurs wurde wegen Inkompetenz und auf einen weiteren wegen Verspätung nicht eingetreten. Die übrigen mußten als unbegründet abgewiesen werden.

133 Auf die Kantone verteilen sich die eingereichten Rekurse folgendermaßen: Zürich 4, Neuenburg 3, Bern 2, Basel-Landschaft, St. Gallen und Uri je 1.

JO Rekurse betrafen die Eintragspflicht; bei zweien derselben kam aber die Frage, ob diese Pflicht thatsächlich bestehe, nicht zur Behandlung, da die Rekurse aus formellen Gründen abgewiesen werden mußten. Ein Rekurs betraf den Einspruch eines Dritten gegen eine bereits vollzogene Eintragung, und einem weiteren lag die Frage der Berechtigung zu einer Eintragung -AU Grunde.

II. Folgende Fälle verdienen specielle Erwähnung: 1. Die E i n t r a g s p f l i c h t betreffend: a. W i l h e l m Bastian in St. Gallen hält ein ständiges Magazin, wo er Velos, Nähmaschinen und Kinderwagen verkauft.

Einen Teil seiner Waren hat er von den Lieferanten auf eigene feste Rechnung bezogen; den andern hat er in Konsignation und vermittelt dessen k o m m i s s i o n s w e i s e n Verkauf.

Ähnlich verhält es sich mit M a r k u s Äbly in Zürich. Derselbe hält ein ständiges Bureau und betreiht folgende Geschäfte: K. die Vertretung verschiedener Häuser, für welche er Aufträge annimmt, die direkt, ohne sein weiteres Zuthun, ausgeführt werden ; ß. den Vertrieb von Waren auf eigene Rechnung; Y- den Verkauf von ,,Waren die nicht ihm gehören", also den Kommissionsverkauf von solchen.

Die beiden Genannten wurden von den betreffenden kantonalen Aufsichtsbehörden über das Handelsregister als zur Eintragung verpflichtet erklärt.

Der eine begründete seinen hiergegen an den Bundesrat gerichteten Rekurs mit der .Behauptung, daß sein Warenlager keinen Durchschnittswert von Fr. 2000 aufweise; der andere schützte vor, daß seine jährliche Roheinnahme unter dem Betrage von Fr. 10,000 bleibe (Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt, vom (i. Mai 1.890, Art. 13, letzter Absatz).

Der Bundesrat wies beide Rekurrenten aus folgenden Gründen ab : Der Wert des Warenlagers und die Hohe des Jahresumsatzes fallen mit Rucksicht auf die in Frage kommende Geschäftsart außer Betracht. Beide Rekurrenten betreiben den kommissionsweise!)

Verkauf von Waren. Der eine hält ein ständiges Bureau, der Bundesblatt 47. Jahrg. Bd. II.

10

134

andere ein Verkaufsmagazin, wo stets jemand zur Entgegennahme von Aufträgen und zum Abschluß von Verkäufen anzutreffen ist; dies ist der Haltung eines ständigen Bureau gleichmachten.

Nun bestimmt aber Art. 13, Ziffer l, litt, b der Verordnung vom 6. Mai 1890: ^Gewerbe, deren Betrieb gemäß 0. 865, Absatz 4, die Eintragspflicht begründet, sind insbesondere: ,,Die gewerbsmäßige Vermittlung von Kauf und Verkauf irgend welcher Art mit dem Zwecke, durch dieselbe einen Gewinn (Provision, Courtage, Kommission u. s. w.) zu erzielen, und unter Haltung eines ständigen Bureau (Agenten, Mäkler, Courtiers, Kommissionäre u. s. w.).a Der Schlußsatz von Art. 13, welcher für gewisse Kategorien von Geschäften hinsichtlich der Eintragspflicht bestimmte Minimalgrenzen für Warenlager und Jahresumsatz festsetzt (für die unter Art. 13 in Ziffer l sub litt, a, und die unter Ziffer 2 und 3 genannten Gewerbe), hat auf genanntes Lemma b keinen Bezug.

(Entscheid vom "20. November 1894 in Sachen Bastian, und vom 13. Dezember 1894 in Sachen Äbly).

b. Ein Begehren des Johann Albert Schaub, alt Präsident, in Maisprach, die ,,Käsereigesellsehaft Maisprach" sei als verpflichtet zu erklären, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen, wurde aus folgenden Gründen abgewiesen: ,,Die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister wird festgestellt durch Art. 865, Abs. 4, O.-R., welcher bestimmt: ,,Wer ein Handels-, Pabrikations-, oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt, ist verpflichtet, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen.a Die Pflicht zur Eintragung wird also hergeleitet aus der Thatsache des Betriebes eines bestimmten Gewerbes. Die Konstituierung einer Gesellschaft kann an sich die Eintragspflicht nicht begründen. Behufs Entscheidung der Frage, ob die ,,Käsereigesellschaft Maispracha zur Eintragung verpflichtet sei, ist vielmehr zu untersuchen, ob sie ein Gewerbe im Sinne des Art. 865, Abs. 4, O.-R. betreibe. Das ist aber nicht der Fall.

Die Gesellschaft als solche betreibt weder einen Milchhandel noch die Käsefabrikation oder den Käsehandel, noch irgend ein anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe. Die Mitglieder derselben geben vielmehr lediglich die verfügbare Milch

135 ihrer Kühe zu einem von der Gesellschaft bestimmten Preise einem Milchhändler ab, welcher seinerseits mit dieser Milch Handel treibt.

Die "Berufung des Rekurrenten auf einen Beschluß des Bundesrates vom 1. Mai 1885, wodurch die Käsereigenossenschaft Thayngen als eintragspflichtig erklärt wurde, ist unzutreffend. Fragliche Gesellschaft verarbeitete die Milch der Kühe ihrer Mitglieder selbst und auf eigene Rechnung zu Käse; ihr Käser war lediglich ihr Angestellter. Die Gesellschaft wurde dadurch zum Fabrikanten und als solcher eintragspflichtig. (Entscheid vom 27. November 1894).

2. Betreffend die B e r e c h t i g u n g zur E i n t r a g u n g : Durch Testament vom 15. Juni 1889 hatte Witwe Fanny, geb. Bertezène, Witwe aus erster Ehe des Herrn Samuel-August de Petitpierre, und aus zweiter Ehe des Herrn Julien-Henri FEplattenier, in Neuenburg,, eine Summe von Fr. 100,000 ausgeworfen zum Zwecke der Errichtung eines Asyles für männliche Rekonvalescenten aus Neuenburg. Zur Verwaltung dieser Stiftung, welche den Namen ,,Fonds Samuel de Petitpierre a führen sollte, bestellte sie ein fünfgliedriges Komitee. Dieses letztere, um verschiedenen Bestimmungen des neuenburgischen Gesetzes Über die Stiftungen vom 16. Februar 1876 auszuweichen, gab sich am 29. Dezember 1893 Statuten, Jaut welchen es sich als Verein im Sinne des Titels 28 O.-R. konstituierte, und verlangte die Eintragung in das Handelsregister unter dem Namen ,,Société du Fonds Samuel de Petitpierre pour convalescents1'. Durch Entscheid des Justizdepartementes des Kantons Neuenburg vom 13. Februar 1894 wurde die Eintragung als nnzuläßig erklärt. Am 13. April 1894 wurden sodann neue Statuten aufgestellt, in welchen der Name umgeändert wurde in ^Société S a m u e l de .Petitpierre p o u r convalescents" und in deren Texte alles weggelassen wurde, was auf das Legat und den letzten Willen der Witwe LTEplattenier in den früheren Statuten Bezug hatte. Auf Grund dieser neuen Statuten wurde wiederum die Eintragung in das Handelsregister verlangt, welche aber durch Entscheid des Justizdeparternentes des Kantons Neuenburg vom 30. April 1894 abgelehnt wurde.

Der gegen diesen Entscheid dem Bundesrat eingereichte Rekurs wurde aus folgenden Gründen abgewiesen: Die letztwillige Verfügung .der Witwe Fanny L'Eplattenier, geb. Bertezène, wodurch diese den Rekurrenten ein Legat von Fr. 100,000 unter der Bedingung auswarf, daß sie dafür unter dem Namen ,,Fondation Samuel de Petitpierrea ein Etablissement

136

zu Gunsten neuenburgischer Rekonvalescenten errichten, qualifiziert sich ganz zweifellos als eine "Stiftung" im engeren Sinn des Wortes.

Daß die sogenannte ,,Société Samuel de Petitpierre pour convalescents", um deren Eintragung es sich handelt, thatsächlich nichts anderes ist, als eben diese Stiftung, und auch nichts anderes als die Société du Fonds Samuel de Petitpierre pour convalescents", deren Eintragung durch Entscheid vom 13. Februar 1894 als unzuläßig erklärt worden ist, ergiebt sich: a. aus der Identität der Mitglieder dieses sogenannten Vereins mit den zum Zwecke der Errichtung eines RekonvalescentenAsyles berufenen Legataren der Witwe L'Eplattenior; b. ans der Identität des Zweckes desselben mit demjenigen, welchen Witwe L' Eplattenier durch ihr Legal erreichen wollte; · · c. aus der Übereinstimmung der wesentlichen Bestimmungen der neuen Statuten mit denjenigen vom 29. Dezember 1893 Nun bestimmt Art. 719, O.-R.: ,,Das kantonale Recht ordnet die Entstellung und die Verhältnisse der Körperschaften des öffentlichen Rechtes, der Stiftungen und anderer juristischer Personen (All mendgenossenschaften u. s. f.)".

Dem kantonalen Recht ist es also vorbehalten, den Begriff der Stiftungen sowie die Bedingungen ihrer Entstehung festzustellen und hinsichtlich ihrer inneren Verhältnisse Vorschriften zu erlassen.

Wo es mangels kantonaler gesetzlicher Bestimmungen einem, l'ersonenverbande, der nicht zu den in Art. 716, O.-R., aufgezählten Gesellschaftsarten gehört, nicht möglich ist, auf Grund kantonalen Rechtes das Recht dei- Persönlichkeit z n erwerben, kann er sich dasselbe durch Eintragung in das Handelsregister verschaffen.

Allein eine Schöpfung, die durch das kantonale Recht «,1s Stiftung erklärt wird, und deren Verhältnisse durch kantonale Gesetzesvorschriften geregelt werden, kann keineswegs den Anspruch auf Eintragung in das Handelsregister erheben. Art. 716, O.-R., wollte, wie sieb aus dem nachfolgenden Art. 719 ergiebt, dein kantonalen Rechte es überlassen, die Bedingungen für die Entstehung derartiger Anstalten festzusetzen.

Das Neuenburgische Gesetz über Stiftungen (Loi sur les fondations), vom 3. März 1876, hält nun die unter das eidgenössische Recht fallenden Personenverbände und die als ,,Fondations" (Stil-

137

tungen) zu betrachtenden Institute oder Gesellschaften scharf auseinander. Es bespricht demgemäß in seinem Titel II die ,,Associations qui ne sont pas réputées fondations", und sagt über dieselben in Artikel 8: "Les associations libres de personnes se réunissant pour s'occuper en- commun d'objets religieux, politiques ou philosophiques, scientifiques, littéraires ou artistiques, ne sont point assimilées aux fondations. Il en est de même des sociétés de tir, de musique, do chant, de gymnastique et des autres sociétés de même nature, ainsi que des cercles."

Über den Begriff der ,,Fondations proprement dites" dagegen spricht er sich in Art. l aus wie folgt: "Sont considérées comme fondations toutes les institutions et associations qui ne poursuivent pas un bénéfice pécuniaire, à l'égal des sociétés civiles et commerciales, ou qui, dépassant par leur objet la durée d'existence normale de celles-ci, ont un caractère p e r m a n e n t d ' u t i l i t é p u b l i q u e , sans que leur administration particulière se compose d'un des corps administratifs reconnus par la constitution ou établis par la loi."

Nach diesen Bestimmungen muß die sogenannte ,,Société Samuel de Petitpierre pour convalescents" als S t i f t u n g betrachtet werden, trotzdem ihre Statuten vom 13. April 1894 sorgfältig alles eliminiert haben, was auf einen äußeren Zusammenhang mit dem Legate der Witwe L'Eplattenier hindeuten könnte. Sie müßte selbst dann noch als Stiftung im Sinne des Neuenburgischen Gesetzes den Bestimmungen dieses letzteren unterstellt werden, wenn das Legat L'Eplattenier überhaupt nicht existieren würde. Denn durch ihren statutarischen Zweck (Errichtung eines Asyls, in weichein Rekonvalescenten ihre völlige Genesung abwarten können) und ihre Organisation qualifiziert sie sich als ein gemeinnütziges Institut bleibenden Charakters; indem sie vermöge ihres Zweckes die normale Dauer der Sociétés civiles und der Handelsgesellschaften überschreitet, erlangt sie den im Gesetze gedachten ,,caractère permanent d'utilité publique".

Sie kann sich daher nicht durch Eintragung in das Handelsregister der Pflicht entziehen, sich nach Vorschrift des für solche Institute geschaffenen neuenburgischen Gesetzes, zu konstituieren und zu organisieren. (Entscheid vom 18. Juni 1894.)

3. In folgenden 2 Fällen mußten die Rekurrenten aus f o r mell G r ü n d e n abgewiesen werden :

138 1. J a c q u e s G e i g e r in Zürich war vom Handelsregisterbureau Zürich am 22. November 1894, in Gemäßheit des Art. 2R, Abs. l, der Verordnung vom 6. Mai 1890, schriftlich aufgefordert worden, sich bis längstens den 28. November 1894 ins Handelsregister eintragen zu lassen oder bis zum gleichen Zeitpunkt seine eventuellen Weigerungsgründe schriftlich anzugeben, unter der Androhung, daß im Unterlassungsfälle die Eintragung von Amtes wegen erfolgen und er in eine Ordnungsbuße verfällt würde. Da O O O Geiger innert der anberaumten Frist keinerlei Erklärung abgab, so wurde er am 30. November von Amtes wegen in das Handelsregister eingetragen und von der Aufsichtsbehörde in eine Ordnungsbuße verfallt.

In seinem hiergegen an den Bundesrat gerichteten Rekurs machte Geiger geltend: aa. daß er (nach seinem Dafürhalten) überhaupt nicht zur Eintragung verpflichtet sei, und bb. daß er die Aufforderung vom 22. November nicht erhalten habe, da er zur Zeit in Nizza abwesend war und nur Auftrag zur Nachsendimg von chargierten Briefen erteilt habe.

Der Rekurs wurde aus folgenden Gründen abgewiesen: «. Die Frage, ob der Rekurrent wirklich zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet sei oder nicht, kann im gegenwärtigen Rekursfalle nicht in Betracht kommen. Wenn der Registertührer beim Erlaß der Aufforderung von einer irrigen Auffassung ausgegangen wäre, so könnte das dem Rekurrenten nur das Recht geben,t auf dem gewöhnlichen Wege und im besonderen Verfahren,i O O O nicht aber bei Anlaß dieses Rekurses seine Löschung im Handelsregister zu bewirken, d. h. er könnte die Löschung der eingetragenen Firma auf dem durch Art. 7, Abs. 2, und Art. 29 der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt vom 6. Mai 1890 vorgezeichneten Wege erlangen. Dann könnte materiell entschieden werden, ob er zur Eintragung verpflichtet sei oder nicht. Ein eventueller Instanzenzug wäre hierbei selbstverständlich vorbehalten.

Für jetzt dagegen ist nur zu untersuchen, ob die züreherischen Behörden f o r m e l l richtig gehandelt haben.

ß. Was nun die formelle Seite der Angelegenheit anbetrifft, so schreiben Art. 864, Abs. l, O.-R. und Art. 26 der citierten Verordnung vom 6. Mai 1890 folgendes vor: " : a. Art. 864, Abs. l, O.-R.: ,,Wo das Gesetz die Beteiligten zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet, hat die Register-

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behördc von Amtes wegen gegen die Fehlbaren mit Orduuugsbußoii im Betrage von Fr. 10 bis 500 einzuschreiten-," b. Art. 26, Abs. l und 2, der Verordnung: ,,Wenn eine Person oder eine Gesellschaft, welche gemäß Art. 865, Abs. 4, O.-R. zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet ist, dieser Verpflichtung nicht nachkommt, oder wenn ein dritter unter Angabe der Gründe die Eintragung einer Person oder Gesellschaft verlangt, so hat der Registerführer unter Hinweis auf Art. 864 O.-R. den oder die Eintragspflichtigen schriftlieh aufzufordern, sich binnen fünf Tagen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden oder die Gründe der Weigerung schriftlich anzugeben.

Erfolgt innerhalb dieser Frist die Eintragung nicht und werden auch keine Weigerungsgründe angegeben, so nimmt der Registerführer die Eintragung von Amtes wegen vor. Gleichzeitig macht er der kantonalen Aufsichtsbehörde Anzeige. Die Aufsichtsbehörde hat gegen den oder die Fehlbaren eine Ordnungsbuße auszufällen."· Wie sich aus den Akten ergiebt, haben sich die Zürcher Behörden genau au diese Vorschriften gehalten und nicht anders gehandelt, als sie nach denselben handeln mußten. Auch bei Zumessung der Ordnungsbuße wurde nicht über das zulässige Minimum hinausgegangen.

Es kann sich daher nur noch fragen, ob die Einwendung des Rekurrenten zu hören sei, er sei nicht in Besitz der Aufforderung vom 22. November gelangt.

Auch diese Frage ist zu verneinen. Rekurrent scheint die Aufforderung allerdings thatsächlich nicht erhalten zu haben, da er damals von Zürich abwesend war. Allein das Handelsregisterbureati hat die Aufforderung vom 22. November 1894 richtig adressiert.

Daß der Rokurrent sie nicht erhalten, dafür trifft die Schuld ihn gelbst, somit fallen auch die Folgen auf ihn. Wie er selbst erklärt, hatte er Auftrag erteilt, ihm chargierte Briefe nachzusenden.

Mit anderen Worten: er hatte einen Bevollmächtigten bestellt, aber demselben ungenügende Instruktionen erteilt. Rekurrent befindet sich .diesfalls ganz in derselben Lage, wie J. Schär, der auch seiner Zeit nicht in Besitz der an ihn erlassenen Aufforderung gelangt war. Schär wurde mit seinem Rekurs durch Entscheid des Bundesrates vom 13. Juni 1893 abgewiesen. (Entscheid vom 8. Januar 1895.)

2. Durch Schlußnahme vom 1. September 1894 entschied der Regierungsrat des Kantons Bern:

140

.,-Rudolf M oser, Liegenschafts- und Geschäftsagent iu Laupen, ist gemäß Art. 865, Abs. 4, 0.-R. und Art. 13, Ziffer l, litt. &, der Verordnung vom 6. Mai 1890 unter der Rubrik .^Liegenschaftsagenturen a in das Handelsregister einzutragen/1 Diese Schlußnahme wurde dem Rudolf Moser am 6. September 1894 durch das Regierungsstatthalteramt Laupen eröffnet.

Nach Art. 26, Abs. 5, der citierten Verordnung lief die Frist zur Einreichung eines Rekurses an den Bundesrat gegen den Entscheid des bernischen Regierungsrates am 11. September 1894 ab.

Da bis /.um 13. September ein Rekurs beim Bundesrate nicht eingereicht war, so ordnete das schweizerische HandelsregisterBureau die Eintragung des R. Moser in das Handelsregister von Laupen an. Die Eintragung wurde am 14. September vollzogen.

(S. H. A. B. Nr. 207 vom 18. September 1894, pag. 847.)

Am 17. September langte beim Bundesrate ein Rekurs gegen den Entscheid des bernischen Regierungsrates ein. Er wurde eingesandt durch die Justizdirektion des Kantons Bern und war am 11. September dem Regierungsstatthalteramt Laupen eingereicht worden.

Der Bundesrat ist auf den Rekurs wegen Verspätung nicht eingetreten aus folgenden Gründen: Art. 26, Abs. 5 und 6, der Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatt, vom 6. Mai 1890, schreibt vor: ,,Gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde können die Parteien binnen 5 Tagen seit dessen Mitteilung an den B u n d e s rat rekurrieren. Wird der Rekurs an den 'Bundesrat nicht ergriffen oder von diesem der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde bestätigt, so ist die Eintragung von Amtes wegen vorzunehmen."

üa die Verordnung ausdrücklich den Rekurs ,,an den Bundesrat" vorsieht und nicht eine kantonale Amtsstelle bezeichnet, welche denselben entgegen zu nehmen habe, so kann die Einreichung eines Rekurses bei einer anderen Amtsstelle als dem Bundesrate nicht die" Wirkung rechtsgültiger Ausübung des Rekursrechtes haben.

Wenn daher ein bei einer anderen Amtsstelle eingereichter Rekurs nicht innerhalb der nützlichen Frist von fünf Tagen an den Bundesrat gelangt, so ist derselbe als verspätet anzusehen. In concreto wurde der Rekurs dem Bundesrate erst 6 Tage nach Ablauf der Rekursfrist zugestellt.

141

VII. Staatsrechtliche Rekurspraxis.

1. Statistik.

Im Jahre 1894 waren mit Einrechnung der aus dem Vorjahre anhängig gebliebenen Fälle 139 Rekurse (1893: 112; 1892: 172) zu behandeln, von welchen 131 ihre Erledigung fanden und 8 als unerledigt auf das Jahr 1895 übertragen wurden. In 4 Fällen wurde von don Kantonsbehörden entsprochen und 4 Rekurse wurden zurückgezogen.

In 91 Rekurse (1893: 72; 1892: 126) traten wir materiell nicht ein, teils weil ausschließlich die kantonalen Behörden odor das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, teils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, die kantonalen Instanzen noch nicht erschöpft waren.

Die übrigen 32 Rekurse (1893: 30; 1892: 36) betrafen dein Gegenstände nach : 16 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 14 Verweigerung oder Entzug der Niederlassung gegenüber Ausländern ; 2 Stimmrecht und Wahlen.

Zwei Rekurse wurden begründet erklärt und neunundzwanzig abgewiesen. Ein Stimmrechts- und Wahlrekurs wurde teilweise begründet erklärt und teilweise abgewiesen.

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1894 mit (i .Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreise des Justiz- und Polizeidepartements zu befassen (1893: 7; 1892: 12). In vier Fällen hat sie unsern Entscheid bestätigt. Ein Rekurs wurde zurückgezogen und ein anderer war am Ende des Jahres noch pendent.

Außerdem hatte sich unser Justiz- und Polizeidepartement mit drei direkt an die Bundesversammlung gerichteten Petitionen zu befassen.

142

2. Rekursgegenstände.

a. Handels- und Gewerbefreiheit.

aa. Statistik.

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11 Wirtschaftswesen Hausiervvesen . . . .

Verkauf von Anlcihenslosen Versicherungswesen (Verstaatlichung der Mobiliarversicherung ) Kutschergewerbe .

Friedhofgärtnerei .

Sclüießung der Verkaufsläden an Sonn- und Feiertagen . . . .

Metzgergewerbe (Erhebung von Gebühren auf eingeführtem Fleisch) Steinbruch - Ausbeutung bei Gefährdung nachbarlichen Eigentums .

Petroleumverkauf mittelst Zuführens der Ware ins Haus Betrieb einer fahrbaren Holzzerkleinerungsmaschine mit Petroleummotor auf offenerStraße

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143 bb. Einzelne Rekursfälle 1. Wirtschaftswesen.

1. Es kann nicht auffallen, daß seit der am 22. Dezember 1885 in Kraft getretenen Revision des Art. 31, litt, c, der Bundcsverfassung, die den Kantonen die Befugnis erteilt hat, im Wege der Gesetzgebung die Bewilligung von Wirtschaftspatentgesuchen von der Bedürfnisfrage abhängig zu machen, die Abweisung solcher Gesuche zur Regel, die Bewilligung zur Ausnahme geworden ist.

Wie wir schon im letztjährigen Geschäftsbericht hervorzuheben Anlaß nahmen, haben auch Weiterziehungen von Wirtschaftssaschen an die Bundesbehörde nur ausnahmsweise noch Aussicht auf Bugründeterklärung; die Kantonsbehörden können in ihrem Bestreben, die Zahl der Wirtschaften zu vermindern, auf unsere Unterstützung zählen, soweit sich dasselbe in bundesrechtlich unanfechtbarer Weise äußert.

In diesem Sinne sind unsere Entscheidungen gefaßt in Sachen : a. des Rupert J u n g w i r t h in St. Gallen gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons St. G a l l e n vom 31. Juli und 22. August 1893 (Bundesratsbeschlussvom 5. Januar 1894) ; b. des Jakob H u n z i k e r in Oberkulm gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Aargau vom 13. Oktober 1893 (Bundesratsbeschluß vom 19. Januar 1894); c. des Albert W ä c k e r l i n in Schaffhausen gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Schaffhausen vom 20. Dezember 1893 (Bundesratsbeschluß vorn 27. März 1894); d. des Karl Egger in Frauenfeld gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons T h u r g a u vom 2. März 1894 (Bundesratsbeschluß vom 27. April 1894); e. des Thomas S ti e rli n in Zürich gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Zürich vom 3. März 1894 (Bundesratsbeschluß vom 4. Mai 1894) ; /'. des Johann Melchior Wintel in Winterthur gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Z ü r i c h vom 7. April 1894 CBundesratsbeschluß vom 25. Mai 1894); g. des Giovanni Negri von Teglio (Italien) in Wassen gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Uri vom 3.17. März 1894 (Bundesratsbeschluß vom 6. Juni 1894);

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li. des Jakob Toggweil in Zurich gegen die Patentverweigeru der Regierung des Kantons Z ü r i c h vom 15. August 1894 (Bundesratsbeschluss vom 3. November 1894); i. der Frau Anna Hellbock geb. G r a f , von Egg (Vorarlberg) in Zürich gegen die Patentverweigerung der Regierung des Kantons Z ü r i c h vom 6. September '1894 (Bundesratsbeschluss vom 3. November 1894).

2. Einen von der Auffassung der Gemeinde- und Kantonsbehörden abweichenden Standpunkt glaubten wir einnehmen zu sollen in betreff des durch Schlussnahmen der Regierung des Kantons L u z e r n vom 18. Mai und 20. Juli 1894 abschlägig beschiedenenWirtschaftspatentgesuchess des J. FranzKragl von Neudock (Böhmen), Inhaber des Wiener Cafe an der Bahnhofstrassee in Zürich. Durch unsere Entscheidung ist festgestellt, daß in der Vergangenheit liegende Verhältnisse nicht immer die Berechtigung an die Hand geben, einem Patentbegehren den persönlichen Ruf des Bewerbers entgegenzuhalten ; daß vielmehr ein solcher Vorhalt nur dann gerechtfertigt sei, wenn er auf Verhältnisse sich stützen kann, die in der Gegenwart noch bestehen oder doch in ihren Folgen und Wirkungen naturgemäß sich noch fühlbar machen.

Die Erwägungen zu unserm am 8. Januar 1895 gefaßten Beschlüsse sind veröffentlicht worden im Bundesblatte 1895, l, 60 u. ff. .

2. Jaucheausfuhrverbot 3. Eine polizeiliche Bestimmung, zufolge welcher die Jaucheausfuhr zu gewissen Stunden dès Tages und an den Vorabenden von Sonn- und Feiertagen untersagt ist, rechtfertigt sich insbesondere für eine Ortschaft wie Einsiedeln, die von Fremden zahlreich besucht ist, und verstößt nicht gegen Art. 31 der Bundesverfassung.

Wir haben dies in unserm Beschlüsse vom 13. Oktober 1893 über den Rekurs des Mathias Schädler gegen ein Urteil des Kantonsgerichtes von S c h w y z ausgesprochen (Bundesbl. 1894, I, l u. ff.), und Sie haben am 10. und 13. April 1894 durch Abweisung des Rekurses uns beigestimmt.

3. Unterstellung des Anleihensloshandel unter das Lotterieverbot.

4. Durch Urteil der Rekurskommission des t h u r g a u i s c h e n Obergerichtes wurde erklärt, daß in der Geschäftsgebarung des

145 Ferdinand S t r ö t / . e l , Banquier, in Konstanz, beim Verkauf von Anleihenslosen das der Lotterie eigentümliche Element des Glücksspiels derart im Vordergrunde stehe, daß gesagt werden dürfe, es handle sich in dei- weitaus grüßten Zahl der Fälle um eine Lotterie der gefährlichsten Art, in welches Unternehmen Leute hineingezogen werden, hei denen die Verabfolgung eines Darlehens an den Verkäufer der Lose von vorneherein ausgeschlossen erscheint.

Strötzel wurde, weil er im Kanton Thurgau, vom Postbureau Kreuzungen aus, den Handel mit Anleihenslosen in der beschriehenen Weise hotriehen hatte, bezirksgerichtlich am 12. Mai 1893 der Übertretung des Gesetzes vom 18. Dezember 1832, betreffend das Verbot der Lotterien, schuldig erklärt und zu einer Geldbuße von Fr. 100 verurteilt. Die Rekurskommission des Obergerichtes bestätigte das Urteil tun 8. Juli 1893.

Wir haben in unserer Entscheidung vom 2. März 1894 über den staatsrechtlichen Rekurs des Strötzel gefunden, daß das thurgauische Gerichtsurteil unter den Begriff kantonalbehördlicher Maßnahmen zum Schutze des Publikums vor Prellerei falle und daher gegen dasselbe vom Standpunkte des Art. 31 der Bundesverfassung aus nichts eingewendet werden könne. Unsere Erwägungen linden sich im Bundesblatt 1894, I, 617 u. ff.

·i. Polizeiliche Fuhrwerkordnung u . A u f ö f f e n t l i c h e m Platze.

5. In einer Rekurssache von A. D a n i o t h zum "Grand Hotel" in Andermatt, und sieben Streitgenossen (Omnibushalter des Urserenthales gegen eine Schlußnahme der Regierung des Kantons Uri vom 1. März, 1893, betreffend das Polizeireglemnt für die Aufstellung der Gasthof-Omnibus-Wagen und der Kutschen auf dein Eisenbahnstationsplatze Göschenen, haben wir durch Entscheidung vom 28. Juli 1893 neuerdings, wie schon durch Beschluß vom 29. J u n i 1888 in Sachen der Walliser Kutscher gegen Uri (Bundesbl. 1888, III, 766 u. ff.), festgestellt, daß polizeiliche Verordnungen über die.

Ausübung des Fuhrwerkdienstes auf öffentlichen Plätzen, namentlich in betreff der Aufstellung der Fuhrwerke, mit Art. 31 der Bundesverfassung wohl vereinbar seien, solange nicht die Konkurrenzfähigkeit der einen Fuhrwerkhalter zum Vorteile der anderen in einer durch keine zwingenden polizeilichen Rücksichten gerechtfertigten Weise beschränkt wird. Nun war durch polizeilich» Verordnung den Omnibuswagen der Hotels zu Göschenen eine dem

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Ausgange des Stationsgebäudes näher liegende und daher günstigere Aufstellung angewiesen worden, als den Wagen der Hoteliers von Andermatt und Hospenthal. Darüber beschwerten sich diese. In Würdigung des eigenartigen Konkurrenzverhältnisses zwischen den Wagen von Göschenen und denjenigen des Urserenthal, indem die ersteren nicht bloß den Lokaldienst versehen, sondern auch Reisende zur Weiterbeförderung nach dem Urserenthal und darüber hinaus aufnehmen, die letzteren aber ganz eigentlich die Bestimmung haben, die Reisenden von Göschenen wegzuführen, den .Fremdenverkehr diesem Platze zu entziehen und dem Urserenthal zuzuwenden, konnten wir weder deren völlige Gleichbehandlung (einfache Kehrordnung) noch die Voranstellung der Göschener Wagen luv richtig erachten. Wir haben vielmehr gefunden, es entspreche dem ungleichartigen Charakter des Fahrdienstes der beidseitigen Wagen, wenn ihnen verschiedene, sofort von jedem aus dem Bahnhof tretenden Reisendon erkennbare Standorte angewiesen werden.

Bei dieser Ordnung kann eine erlaubte, loyale Konkurrenz sich geltend machen.

Da die Polizeidirektion des Kantons Uri ani 24. August 1893 sehrieb, die Ausführung unseres Beschlusses stoße auf so starken Widerstand seitens der auf dem Stationsplatz Göschenen auffahrenden Privatkutscher (die nicht Hotels bedienen), daß ohne Aufbietung militärischer Gewalt die von uns verfügte Aufstellung der Omnibuswagen nicht durchgeführt werden könne, erklärten wir uns mit dein Vorsehlag dei- Urner Regierung einverstanden, für die Saison 1893 die Göschener ,,Omnibus" abwechselnd auf dem linken und rechten Flügel der Omnibusreihe aufzustellen und eine dem Bundesratsbeschlusse genauer entsprechende Aufstellung erst für das Jahr 1894 anzuordnen. Wir haben uns hierzu um so eher entschlossen, als der Widerstand der Privatkutscher als Festhaltung des ihnen behördlicherseits für die Saison 1893 zugesicherten Status sich wohl erklären ließ.

Im Berichtsjahre ist der Gegenstand im Sinne unserer Verfügung vom 28. Juli 1893 erledigt worden.

Dank dem Entgegenkommen der Direktion der G o t t h a r d b a h n wurde auf Anregung unseres Departements, einem von der Urner Behörde geäußerten Wunsche entsprechend, der ostseitige Stationsvorplatz in Göschenen auf Kosten der Bahngesellschaft in der Breite um 31/2 m. erweitert. Das Departement hat sodann im Einverständnis mit der h. Regierung des Kantons Uri auf Mittwoch den 30. Mai 1894, eine Augenscheinsverhandlung an Ort

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und Stelle angesetzt und dazu das schweizerische Post- und Eisenbahndepartement, die Polizeidirektion des Kantons Uri und die Gotthardbahndirektion eingeladen.

Zu unserer Genugthuung haben der Augenschein und die demselben folgende Diskussion die allgemeine Überzeugung herbeigeführt, daß die allen berechtigten Interessen und Ansprüchen am besten entsprechende Lösung in der Ausführung unseres Beschlusses vom 28. Juli 1893 zu finden sei.

Demgemäß erklärte sich die Regierung des Kantons Uri ohne weiteren Vorbehalt bereit, für die Saison 1894 die Fuhrwerk Ordnung unserer Schlußnahrne gemäß durchzuführen.

Wir haben nicht ermangelt, der Direktion der Gotthardbahn noch speciell unsere Anerkennung dafür auszusprechen, daß durch Erweiterung des Göschener Stationsplatzes in östlicher Richtung der eidgenössischen Post eine bequemere Zu- und Abfahrt auf diesem Platze verschafft worden ist.

b. Auf privatem G r u n d und Boden.

6. Die Ortspolizeibehörde von S p i e n , Kanton Bern, erließ am 5. Mai 1894 ein Reglement betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffsstation Spiez, wodurch u. a. sämtlichen Kutschern ein öffentlicher Aufstellplatz angewiesen und das Aulsteilen von Fuhrwerken, die nicht zum voraus bestellt sind, auf Privateigentum zum Zwecke der gewerbsmäßigen Kutscherei untersagt wurde. Das Reglement erhielt, einschließlich des eben erwähnten Verbotes, am 12. Mai 1894 die Genehmigung des bernischen Regierungsrates. Dagegen ergriff Herr F r i t z B a ß l e r , Wirt zum Spiezerhof in Spiez, den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat, mit der Behauptung : für ein solches Verbot bestehen keinerlei polizeiliche Gründe, dasselbe enthalte nicht bloß einen unerlaubten Eingriff in Privatrechte, sondern stelle sich vor allem als eine verfassungswidrige Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit dar.

Wir haben den Rekurs durch Beschluß vom 31. Juli 1894 für begründet erklärt, indem wir in unseren Erwägungen sagten: ,,Der Staat hat allerdings auf Grund von Art. 31, litt.
148 des Privateigentümer übergreifen, wenn er diesem letzteren verwehren wollte, alle Vorteile, dio ihm sein Privatbesitz an die Hand giebt auszunützen, um anderen Gewerbetreibenden in der wirtschaftlichen Konkurrenz die Spitze zu bieten Wir fügten bei, daß im Rekursfälle keinerlei zwingende polizeiliche Rücksichten bestehen, die ein Abgeben von diesem Rechtssatze rechtfertigen wurden.

Unsere Entscheidung ist in extenso im Bundesblatt 1894, III, 225 u. ff., erschienen.

5. Unzulässigkeit

eines Gewerbebetriebes wegen nachbarlichen Eigentums

Gefährdung

7. Der Staatsrat des Kantons Ne u en bin-g untersagte die Ausbeutung eines Steinbruches für so lange, als durch dieselbe nachbarliches Eigentum irgendwie gefährdet sei. Wir haben den dagegen vom Steinbruchbesiteer A d o l f W a s s e r f a l l e n erhobenen Rekurs am 19. Dezember 1894 aus folgenden Motiven abgewiesen: 1. Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit ist durch die Bundesbehörden von jeher nur mit der Einschränkung anerkannt und angewendet worden, daß die Ausübung der kommerziell oder industriellen Thätigkeit nicht im allgemeinen oder einzelnen die Sicherheit des Lebens oder Eigentums oder die Gesundheit anderer gefährden dürfe. (Vergl. insbesondere Salis, Hundesrecht U, Nr. 554, 555, 556, 557, 558, 560.)

2. Nach dem für die Bundesbehörde maßgebenden Berichte des eidgenössischen Oberbauinspektorats muß die Ausbeutung eines Steinbruchs, der sieb in so unmittelbarer Nähe von bewohnten Gebäuden befindet, wie derjenige des Rekurrenten als eine Gefahr für die Nachbarschaft bezeichnet werden. Es wäre allerdings nach Ansieht dos Oberbauinspektorat möglich, die Gefährdung des nachbarlichen Besitztums durch gewisse Vorrichtungen zu verringern, O O O i auf ein Minimum zu reduzieren ; eine absolute Sicherstellung der Nachbarschaft aber könnte nur durch eine Betriebsweise erreicht werden, die der Kosten wegen gleichbedeutend mit Einstellung des Betriebes wäre.

3. Es kann der Kantonsbehörde von Bundes wegen das Recht nicht bestritten werden, einen Gewerbebetrieb nur unter Bedigungen zu gestatten, welche jede Gefährdung des benachbarten Eigentums ausschließen.

Die Regierung von Neuenburg hat gegenüber dein Reklirrenten von dieser .Befugnis Gebrauch gemacht.

149 6. Friedhofgärtnerei.

8. Eine Friedhofordnung kann bestimmen, daß die gärtnerische Herstellung, Ausschmückung und Unterhaltung der Gräber einem Friedhofgärtner ausschließlich übertragen werde. Eine solche Bestimmung hat einen polizeilichen Charakter; sie stellt sich als eine im Interesse guter Ordnung auf dem Friedhof erlassene Verfügung dar. Der Friedhofgärtner erscheint danach als ein Angestellter der Gemeinde ; sein Dienst ist ein öffentlicher, der Friedhof das ihm polizeiamtlich angewiesene Arbeitsgebiet. Dagegen kann der Grundsatz der Gewerbefreiheit nicht angerufen werden.

Wir haben aus diesen Erwägungen eine Schlußnahme der Regierung des Kantons G l a r u s vom 16. August 1894 gegenüber dem Rekurs des Gärtners Konrad B e g l i n g e r in M o l l i s geschützt.

b. Niederlassungsrecht.

1. Kantonale G-esetze.

9. Nach Vorschrift des Art. 43, Absatz 6, der Bundesverfassung wurden folgende kantonale Gesetze, welche über die Niederlassung und das Stimmrecht der Niedergelassenen Bestimmungen enthalten, dem Bundesrate vorgelegt und erhielten die am angeführten Orte vorgesehene bundesrätliche Genehmigung : a. das Gesetz des Kantons St. G a l l e n vom 16. Mai 1893 betreffend die Volkswahlen und Volksabstimmungen; b. das Gesetz des Kantons L u z e r n vom 30. Mai 1894 betreffend das Niederlassungswesen ; c. das Gesetz des Kantons F r e i b u r g vom 19. Mai 1894 betreffend die Gemeinden und Pfarreien.

2. Freizügiglceü und Niederlassung von Angehörigen fremder Staaten.

10. Nach Maßgabe des Art. 189, letzter Absatz, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sind vom Bundesrate oder der Bundesversammlung die aus den Bestimmungen der Staatsverträge mit dem Ausland betreffend Freizügigkeit und Niederlassung herrührenden Anstände zu behandeln, während dagegen Beschwerden wegen Verletzung des den Schweizerbürgern durch die Bundesverfassung gewährleisteten Niederlassungsrechtes nach Art. 175, Ziffer 3, des genannten Gesetzes vom Bundesgerichte beurteilt werden.

Bundesblatt. 47. Jahrg.

Bd. II.

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150 Die Fälle, in denen wir über Beschwerden von Ausländern wegen Ausweisung aus dem Gebiete eines Kantons zu urteilen hatten, sind zahlreich ; allein sie bieten wenig oder kein staatsrechtliches Interesse, und wir enthalten uns daher, auf dieselben näher einzutreten.

Beinahe ausnahmslos war die Ausweisung wegen sittenpolizeiwidrigen Verhaltens des Individuums erfolgt und also vertragsrechtlich durchaus begründet.

11. Mit Note vom 5. April 1894 richtete die K. und K. Österreichisch-Ungarische Gesandtschaft an unser Justiz- und Polizeidepartement die Anfrage, ob ein k a n t o n a l e s G e r i c h t befugt sei, auf Ausweisung eines fremden Staatsangehörigen aus d e m G e b i e t e der E i d g e n o s s e n s c h a f t , nicht nur aus dem Kanton, zu erkennen. (Ein armer Österreicher, Schreiner, Vater von sieben Kindern, war wegen Entwendung von Abfallholz mit sechs Wochen Gefängnis und nachheriger fünfjähriger Landesverweisung aus der Eidgenossenschaft bestraft worden.)

Das Departement konnte der Gesandtschaft nur in bejahendem Sinne antworten und mußte sich jeder materiellen Kritik des ergangenen Strafurteils enthalten. Wir teilen aus der Antwort die folgenden Stellen mit: .,,Nach dem gegenwärtigen Stande der Strafrechtsgesetzgebung in der Schweiz sind die Kantone allerdings befugt, in ihr Strafensystem die Landesverweisung aufzunehmen, und steht es ihnen dabei frei, die Verweisung auf das Kantonsgebiet zu beschränken oder auf das Gebiet der Eidgenossenschaft zu erstrecken.

,,Thatsächlich besteht diesfalls eine sehr große Verschiedenheit der kantonalen Strafgesetze.

,,Wir stehen nicht an, diesen Zustand als einen wenig rationellen zu bezeichnen, und stimmen vollkommen dem Justizkollegium von Baselstadt bei, das den Wegfall der Verweisungsstrafe aus dem dortigen Strafgesetzbuche damit begründete, daß bei den immer enger sich gestaltenden internationalen Beziehungen ein solcher Unterschied in der Bestrafung von Schweizern und Nichtschweizern nicht beibehalten, sondern die Frage der Wogweisung von Nichtschweizern zu einer administrativen gemacht werden sollte, wie sie es jetzt schon bei Schweizern ist.a 12. In dem oben (S. 144/145) erwähnten Rekursfalle des Ferdinand S t r ö t z e l , Banquier in Konstanz, war, der materiellen Sachprüfung vorgehend, die Frage der Aktivlegitimation des Rekurrenten zu untersuchen.

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Der Rekurrent ist nämlich nicht nur deutscher Staatsangehöriger, sondern er hat auch seinen persönlichen Wohnsitz und seine Geschäftsniederlassung außer der Schweiz, in Konstanz.

Angesichts der gerichtlichen Feststellung, daß derselbe das thurgauische Lotterieverbot auf dem Gebiete dieses Kantons übertreten habe, konnten wir dem Rekurrenten das rechtliche Gehör nicht versagen, wenn er behauptete, daß ihm gegenüber Grundsätze, welche die schweizerische Bundesverfassung zu gunsten aller im Gebiete unseres Landes sich aufhaltenden Individuen aufstellt, verletzt worden seien. Denn Art. l des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland vom 31. Mai 1890 sichert den Deutschen den Rechtsanspruch zu, in jedem Kanton auf die nämliche Weise behandelt zu werden, wie die Angehörigen anderer Kantone, in d e r S c h w e i z ab- u n d z u g e h e n und sich d a s e l b s t d a u e r n d o d e r z e i t w e i l i g a u f h a l t e n zu können.

Ein in der Schweiz wegen einer in unserm Staatsgebiete begangenen Handlung (Gesetzesübertretung) verurteilter Deutscher erscheint daher zur Beschwerdeführung, speciell wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung, als legitimiert, auch wenn er nicht in der Schweiz niedergelassen ist.

c. Konfessionelles: 13. Mit Eingabe vom 24. März 1894 erhob Herr Th. SarasinBischof'f in Basel, als Präsident und im Auftrage des Komitees für E v a n g e l i s a t i o n im K a n t o n T e s s i n , Beschwerde beim Bundesrate wegen Störung des evangelischen Gottesdienstes in Lumino.

Wir haben im Hinblick auf die Artikel 175 und 189 des Organisationsgesetees über die Bundesreehtspflege die Akten dem Bundesgerichte übermittelt, mit dem Beifügen, der Bundesrat erachte es als erforderlich, daß durch das Bimdesgericbi die Frage der Rechtsverletzung erledigt werde, worauf die Sorge für die Vollziehung des bundesgerichtlichen Spruches Sache des Bundesrates sein werde.

Das Bundesgericht hat sodann die Beschwerde behandelt. Es ist bei uns keine Klage gegen die Tessinör Behörden wegen Nichtvollziehung oder mangelhafter Vollziehung der Entscheidung des Gerichts eingelaufen.

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d. Wahlen und Abstimmungen.

14. Bei unserer Entscheidung vom 29. Mai 1894 über den Rekurs des J o s e p h Schibli Lehrer in Mosen, und des Gcmeinderates von M o s e n , Kanton Ludern, gegen den Kassationsbeschluß der Regierung des Kantons L u z e r n vom 3. November 1893, betreffend die Lehrerwahlen in der neugeschaffenen Schulgemeinde Äsch-Mosen vom 8. Oktober 1893, hatten wir gegenüber einer Einrede der Luzerner Regierung neuerdings festzustellen, daß unter dem Ausdruck 17 k a n t o n a l e W a h l e n u n d A b s t i m m u n g e n " ' in Art. 189, vorletzter Absatz, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege auch Bezirks- und Gemeindewahlen zu verstehen sind (vrgl. Bundesbl. 1892, n, 564 u. ff. ; III, 1161 und 1162) ; ferner : daß die politischen Bundesbehörden auch Beschwerden betreffend Lehrerwahlen oder betreffend Abstimmungen über Schulfragen, wie überhaupt alle Wahl- und Abstimmungsbeschwerden zu beurteilen haben, bei denen eine Verletzung des den Bürgern durch die kantonale und die eidgenössische Verfassung gewährleisteten Stimmrechts behauptet wird und in Frage kommt (vrgl. Bundesbl. 1882, I, 33; II, 708).

In der Sache selbst haben wir das Rekursbegehren abgewiesen.

Der gegen unsern Entscheid eingelegte Rekurs an die Bundesversammlung wurde in der Folge zurückgezogen, nachdem der Anwalt des Rekurrenten "sich versichert hatte, daß unter annehmbaren Bedingungen die Schule in Mosen wiederhergestellt wird".

Unser Entscheid ist in extenso gedruckt erschienen im Bundesblatt 1894, II, 1049 u. ff.

15. In dem von uns am 18. September 1894 erledigten Rekursfalle von C. F i s c h e r , Gerichtsschreiber in Triengen, und fünf Mitunterzeichnern gegen Schlußnahmen der Regierung des Kantons L u z e r n , betreffend die Stimmberechtigung von Bürgern bei der Friedensrichterwahl im Kreise Triengen-Wilihof vom 2. Juli 1893, hatten wir Wohnsitzfragen zu beurteilen. Unsere Entscheidungsgründe finden sich gedruckt im Bundesblatt 1894, III, 417 u. ff.

153 B. Polizeiwesen.

I. Terträge und Konventionen.

1. Die in den 80er Jahren mit R u m ä n i e n gepflogenen Unterhandlungen zum Zwecke des Abschlusses eines A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s (vergi. Geschäftsberichte pro 1880 und 1887, Bundesbl. 1881, II, 655, Ziffer 5, und 1888, n, 763, Ziffer 61 hatten wegen des häufigen Ministerwechsels in Rumänien und schließlich wegen des eingetretenen Todes des mit der Angelegenheit betrauten Gesandten dieses Landes in Wien nicht zu dem gewünschten Erfolge geführt. Da wir indessen in den letzton O O ö Jahren öfters Veranlassung hatten, in Auslieferungssachen mit Rumänion zu verkehren, erklärte sich die rumänische Regierung unserm Generalkonsul in Bukarest gegenüber zu neuen Verhandlungen betreffend den Abschluß eines Ausliefern ngsVertrages bereit und wünschte die Vorlage eines bezüglichen Entwurfes von Seiten der Schweiz.

Wir arbeiteten einen solchen aus und ließen das Projekt durch das genannte Generalkonsulat dem rumänischen Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zur Prüfung unterbreiten. Wir sehen nun den Gegenbemerkungen entgegen, zu denen sich die rumänische Regierung -veranlaßt sieht.

2. Der Regierung der N i e d e r l a n d e ließen wir durch ihre hierseitige Gesandtschaft unsere Vorschläge zugehen, die wir in Abänderung des von ihr schon vor einiger Zeit vorgelegten Entwurfes zu einem neuen A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e zu machen hatten, nachdem wir denselben einer sorgfältigen vergleichenden Prüfung an der Hand der Bestimmungen, welche nunmehr nach dem Bundesgesetze über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 finden Abschluß von Auslieferungsverträgen der Schweiz mit dem Auslande maßgebend sind. Eine Rückäusserung der niederländischen Regierung ist uns noch nicht zugekommen.

3. Ebenso gewärtigen wir noch immer eine Mitteilung von Seiten der,k. und k. ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h en Reg i e r u n g , ob sie sich mit unserm Antrage, den wir mit Bezug auf den Entwurf zu dem neuen A u s l i e f e r n n g s v er t r a g zu stellen im Falle waren, einverstanden erklärt (siehe den letztjährigen Geschäftsbericht, Bundesbl. 1894, II, 45, Ziffer 1}. Daher waren wir leider noch nicht in der Lage, wie wir gehofft, Ihnen den Vertrag zur Ratifikation zu unterbreiten.

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4. Von dem f r a n z ö s i s c h e n Senate und der Kammer wurde im Juli 1893 ein Gesetz angenommen, das die u n e n t g e l t l i c h e V e r p f l e g u n g a r m e r E r k r a n k t e r zum Gegenstand hat und den Titel ,,loi sur l'assistance médicale gratuite" trägt. Es wird dasselbe am 1. Januar 1895 in Kraft treten. Danach soll jeder dürftige Franzose, welcher erkrankt, entweder zu Hause oder in einem Spital auf Kosten der Gemeinde, des Departements oder des Staates die nötige Pflege erhalten. Den Einheimischen gleich sollen diejenigen Fremden in Frankreich behandelt werden, deren Heimatstaat mit Frankreich einen speciellen bezüglichen Vertrag abgeschlossen hat.

Wir beauftragten demzufolge unsere Gesandtschaft in Paris, mit der französischen Regierung Unterhandlungen Über den Abschluß einer solchen Übereinkunft anzuknüpfen. Durch diese wäre zu bestimmen, daß diejenigen Schweizer in Frankreich, welche arm sind und vorübergehend erkranken, den Vorteil des französischen Gesetzes vom 15. Juli 1893 genießen sollen, wie die französischen Staatsangehörigen selbst. Anderseits soll den dürftigen kranken Franzosen in der Schweiz die Wohlthat des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1875 über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener Armer (A. S. n. F. I, 743) zu teil werden, so daß sie also wie die in der gleichen Lage befindlichen Angehörigen anderer Kantone zu behandeln wären.

Ein bezügliches definitives Vertragsprojekt ist uns bis jetzt nicht zugekommen.

5. Nachdem von den eidgenössischen Räten im April und Juni 1894 der mit N o r w e g e n am 22. März gleichen Jahres abgeschlossene H a n d e l s - und N i e d e r lassu n g s v e r t r a g genehmigt worden war, wurden am 16. Juli die Ratifikationsurkunden in Bern ausgewechselt. Der Vertrag ist daraufhin am 1. August 1894 in Kraft getreten (A. S. n. F XIV, 326).

II. Auslieferungen und Strafverfolgungen.

6. Die Gesamtzahl der A u s l i e t e r u n. g s a n g e l e g c n h o i t e n , mit denen sich derBundesratht im Berichtsjahre zu beschäftigen hatte, beträgt 336 (1893: 288, 1892: 319). Davon sind 98 von der Schweiz im Ausland (1893: 99, 1892: 107) und 238 von auswärtigen Staaten bei der Schweiz (1893: 189, 1892: 212) anhängig gemacht worden.

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Im weitern gingen 11 Gesuche um D u r c h t r a n s p o r t ein, die sämtlich nach Maßgabe von Art. 32 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 gestattet worden sind.

Die Auslieferungsbegehren des A u s l a n d e s bei der Schwei?, verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Staaten : Deutschland 147 Frankreich 45 Italien 39 Österreich-Ungarn . . . . . . . .

6 Luxemburg l Von diesen Begehren sind 199 bewilligt worden; in 23 Fällen blieben die Nachforschungen nach den Verfolgten resultatlos ; in 5 Fällen wurde die Auslieferung verweigert; 8 Begehren wurden zurückgezogen und 3 Fällwarenen am Jahresschluß noch pendent.

Auf ein Begehren der r u m ä n i s c h e n Regierung um Auslieferung des vom Gerichte zu Botosani verurteilten rumänischen Staatsangehörigen D. Gr., der sich in der Schweiz aufhielt, wurde u n s e r e r s e i t s n i c h t e i n g e t r e t e n (Art. 16 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892), da es sich aus den eingesandten Akten ergab, daß sich G. der Verletzung des Zollgesetzes von Rumänien schuldig gemacht hat. Wegen Übertretung fiskalischer Gesetze kann aber gemäß Art. 11 dos Auslieferungs gesetzes nie eine Auslieferung bewilligt werden.

Auf Grund von Art. 23 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 hatten wir 8 der obigen Begehren an das B u n d e s g e r i c h t zu verweisen. In 6 Fällen wurde von diesem die Auslieferung bewilligt, in 2 verweigert. Es geschah dies mit Bezug auf einen gewissen Giov. P e l l e g r i n i , indem das Delikt, wegen dessen er von den italienischen Behörden verfolgt war, sich nicht, wie es die italienische Regierung gethan hatte, auf Art. l, Ziff. 11 (betrügerischer Bankerott), des Auslieferungsvertrages mit Italien stützen ließ, sondern sich als ein Delikt sui generis darstellte, das im Auslieferungsvertrage nicht vorgesehen ist. Im Falle H r y n i e w s k y wurde sodann die Auslieferung an die großh. badischen Behörden verweigert, da die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen nach dem luzernischen Strafrechte, das in Frage kam, sich nicht als strafbarer Betrug (Art. l, Ziff. 13, des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages) qualifizierten.

Bei 4 Individuen, die wegen gemeiner Verbrechen und daneben auch wegen F a h n e n f l u c h t verfolgt waren, bewilligten wir die Auslieferung nur unter dem in Art. 11, Absatz 2, des Auslieferungsgesetzes vorgesehenen Vorbehalt.

156 Von den Auslieferungsbegehren, welche dio S c h w e i z bei a u s w ä r t i g e n S t a a t e n gestellt hat, gingen au : Frankreich 49 Deutschland 37 Italien 4 Österreich-Ungarn 4 Luxemburg l Außerdem wurde gegen ein Individuum in Frankreich und Italien, gegen ein anderes in Frankreich, Italien und Belgien und gegen ein drittes in sämtlichen Nachbarstaaten, sowie in Belgien, Luxemburg und Großbritannien gleichzeitig gefahndet.

Von den seitens der Schweiz gestellten Begehren hatten 64 die Bewilligung der Auslieferung zur Folge ; in 11 Fällen blieben die Verfolgten unentdeckt; 17 Begehren wurden zurückgezogen und 6 Fälle sind noch nicht erledigt.

Wie wir Ihnen bereits durch ein besonderes Schreiben gemäß Art. l, Alinea 5, des Auslieferungsgesetzes mitgeteilt haben, fand in zwei Fällen die Auslieferung an D e u t s c h l a n d unter Vorbehalt des Ge g eu r e c h t s statt, indem die den Verfolgten zur Last gelegten Delikte der Blutschande und der gewerbsmäßigen Kuppelei im schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrage nicht vorgesehen sind. Von I t a l i e n wurde unserem unter Zusicherung des Gegenrechts gestellten Begehren um Auslieferung eines Individuums wegen gewaltsamen Angriffs auf die Schamhaftigkeit Minderjähriger entsprochen.

Die im Jahr 1892 mit D e u t s c h l a n d ausgewechselte Geg e n s e i t i g k e i t s e r k l ä r u n g betreffend die Auslieferung wegen Körperverletzung, die eine mehr als 20tägige Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, wurde genauer dahin präcisiert, daß sich dieselbe nur auf solche Fälle beziehe, in denen es sich um eine v o r s ä t z l i c h e Körperverletzung handelt. Auf fahrlässige Körperverletzungen findet jene Erklärung keine Anwendung.

Außer den obigen vom Bundesrat und dem Bundesgerichte bewilligten Auslieferungen ans Ausland sind gemäß den uns nach Vorschrift von Art. 29 des Auslieferungsgesetzes zugekommenen Anzeigen 45 A u s l i e f e r u n g e n k u r z e r H a n d von den Kantonen (1893: 84) vollzogen worden. Diese Auslieferungen haben sich im Laufe des Jahres in geordneter Weise abgewickelt, indem uns regelmäßig vor dem Vollzug derselben von den Kantonen die Akten zur Einsicht vorgelegt wurden.

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7. Nach Maßgabe von Art. 31 des Bundesgesetzes betreffend die Auslieferung vom 22. Januar 1892 haben wir im Jahre 1894 den Kantonen Bern, Schwyz, Baselstadt, St. Gallen, Graubünden,, Aargau, Thurgau. Tessin, Waadt und Neuenburg an K o s t e n f ü r A u s l i e f e r u n g e n an auswärtige Staaten im ganzen Fr. 2026. 85 (1893 nur Fr. 1414. 50) vergütet.

Das Ansuchen einer kantonalen Behörde um Vergütung der ihr durch eine Auslieferung kurzerhand entstandenen Kosten mußten wir ablehnen, da hierbei die definitive Entscheidung über die Vollziehungg von der kantonalen Regierung oder Polizeidirektion O O ausgeht, während gemäß Art. 31 des Auslieferungsgesetzes die Kosten nur dann dem Bunde zur Last fallen, wenn von einer Bundesbehörde die Auslieferung an den auswärtigen Staat angeordnet worden ist.

8. Die f r a n z ö s i s c h e Regierung hat die Anordnung getroffen, daß die seitens fremder Staaten an Frankreich ausgelieferten Individuen mittelst Zellenwagen direkt an den Ort, wo ihre Strafverfolgung stattfinden soll, gebracht werden. Daher hat sie durch ihre hierseitige Botschaft den Wunsch geäußert, es möchte jeweilen einige Tage zum voraus die Zeit und der Ort angegeben werden, an welchen der Auszuliefernde den französischen Behörden übergeben werden wolle. Demzufolge wird nun mit der Anzeige an die Kantone, daß die Auslieferung eines von Frankreich requirierten Individuums bewilligt sei, auch mitgeteilt, an welchem schweizerischfranzösischen Grenzorte und an welchem Tage (4--6 Tage vom Datum der Bewilligung hinweg) dieselbe vollzogen worden soll.

(Kreisschreiben an die Kantonsregierungen vom 4. Oktober 1894.)

9. Auf unser Ansuchen hin wurde von der italienischen Regierung die Auslieferung des französischen Staatsangehörigen A u g u s t D a u b i é , welcher von den Behörden des Kantons Wallis der Entführung und eines Sittlichkeitsvergehens beschuldigt war und sich nach Italien geflüchtet hatte, zuerst nur unter der Bedingung bewilligt, daß die Schweiz verpflichtet sei, den Daubié nach Verbüßung seiner Strafe im Kanton Wallis ohne weiteres an Frankreich, wo er auch verfolgt sei, auszuliefern. "Wir konnten jedoch einen solchen Vorbehalt nicht annehmen, indem sich das Auslieferungsverfahren zwischen der Schweiz und Frankreich allein nach dem zwischen diesen beiden Ländern bestehenden Staatsvertrage
vom 9. Juli 1869 richtet. Wenn daher in der Folge Frankreich die Auslieferung des Genannten von der Schweiz erlangen will, so hat die französische Regierung ein bezügliches diplomatisches.

Gesuch bei dem Bundesrate zu stellen und die im erwähnten Vertrage aufgestellten Bedingungen zu erfüllen.

158 10. Nachdem die Auslieferung des thurgauischen Angehörigen C. B. wegen B r a n d s t i f t u n g an die Zürcherischen Behörden von Frankreich, wo sich der Verfolgte aufgehalten hat, bewilligt und vollzogen worden war, ergab sich, daß derselbe von seinem Heimatkanton zur Erstehung einer wegen L i e d e r l i c h k e i t auferlegten Strafe von zwei Jahren Zwangsarbeit ausgeschrieben ist.

Es fragte sieh n u n , ob der Betreffende ohne weiteres den thurgauischen Behörden zur Verfügung gestellt werden kann, oder ob zuerst die Zustimmung des Staates, welcher dessen Auslieferung an die Schweiz bewilligt hat, eingeholt werden muß.

Unser Justiz- und Polizeidepartement erwiderte, B. könne nicht ohne weiteres nach dem Kanton Thurgau zur Abbüßung der fraglichen Strafe gebracht werden, da er gemäß Art. 8 des Ablieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. Juli "1869 nur für dasjenige Vergehen verfolgt und bestraft werden dürfe, wegen dessen seine Auslieferung bewilligt worden sei. Die fragliche polizeiliche Zufuhrung wäre nur statthaft, wenn H, freiwilligO zu derselben seine ZustimmungO Ogeben würde. Es könne auch für dieselbe nicht die nachträgliche Bewilligung der französischen Regierung eingeholt werden, da kein Auslieferungsdelikt vorliege.

11. Durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Paris hat die t ü r k i s c h e Botschaft daselbst im Auftrage ihrer Regierung die Verhaftung und Auslieferung eines gewissen, in Genf sich aufhaltenden E m r o u 11 a h E f f e n d i , gewesenen Schuldirektors in Smyrna, wegen Diebstahls, beziehungsweise Unterschlagung nachgesucht.

Bei der Einvernahme des Genannten bestritt dieser, irgend eine Deliktshandlung begangenzuu haben, und behauptete, daß seine Auslieferung von der türkischen Regierung nur aus politischen Gründen verlangt werde, indem diese damitverunmöglichenn wolle, daß er eine liberale, der Regierungspartei oppositionelle Zeitung herausgebe ; er widersetze sich daher seiner Auslieferung an die Türkei.

Wir beschlossen jedoch i n E r w ä g u n g : daß das Auslieferungsbegehren gegen Einroullah Effendi in ordnungsgemäßer Weise eingegangen ist und sich auf Belege stützt, welche gemäß Art. 15 des Bundesgesetzes über die Auslieferung vom 22. Januar 1892 als genügend zu betrachten sind ; daß es sich um Verbrechen handelt, die in dem Auslieferungs,gesetze vorgesehen sind ;

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daß es nicht Sache der schweizerischen Behörden ist, die Frage der angeblichen Unschuld des Angeklagten zu prüfen, sonder der zuständige türkische Beamte dieselbe zu untersuchen hat ; daß die weitere Einrede des Angeklagten, seine Auslieferung werde nur aus politischen Gründen verlangt, nicht als bewiesen erscheint, im Gegenteil eine Zusicherung der ottomanischen Regierung vorliegt, daß derselbe nur wegen der in den Übermächten Akten erwähnten Strafthaten verfolgt werde ; daß somit keine Bedenken gegen die nachgesuchte Auslieferung vorhanden zu sein scheinen und die Vorschriften des schweizerischem Auslieferungsgesetzes als erfüllt zu betrachten sind, es sei die Auslieferung des Emroullah Effendi wegen der ihm zur Last gelegten Unterschlagungen öffentlicher Gelder zu bewilligen, unter der Bedingung, daß er für keine andern Handlungen, als diejenigen, welche den Gegenstand des Auslieferungsbegehrens bilden, in Untersuchung gezogen und eventuell bestraft werde.

Emroullah war den französischen Behörden zum Weitertransportes zuzuführen.

12. Von einem am 30. November 1883 im Kanton Luzern in contumaciam wegen Körperverletzung verurteilten Schweizerbürger war bekannt geworden, daß er sich in Deutschland aufhalte. Die luzernische Regierung beantragte daher, es möchte seine Auslieferung nachgesucht werden.

Wir konnten jedoch auf dieses Begehren nicht eintreten, da in dem betreffenden Falle nach deutschem Rechte, allerdings erst seit kurzer Zeit, die Verjährung eingetreten war und deshalb von Seiten der deutschen Behörden einem eventuellen Auslieferungsbegehren nicht entsprochen werden könnte. Dieselben würden nämlich das ergangene Kontumazurteil nicht als ein rechtskräftiges .anerkennen und wären demzufolge nicht die in § 70 des deutschon Strafgesetzbuches festgesetzten Verjährungsfristen maßgebend, sondern diejenigen des § 67, wonach die Verjährung der Strafverfolgung eines der Körperverletzung Angeklagten (§ 223 des Strafgesetzes) in 10 Jahren eintritt. Eine Unterbrechung der Verjährung durch einen gerichtlichen Akt hatte im vorliegenden Falle nicht stattgefunden. (Vergl. hierzu Bundesbl. 1894, II, 51, Ziffer 10.)

13. Der deutsche Staatsangehörige B e r n h a r d Gutnuecht hatte als Bevollmächtigter einer Weinhandlung in St. Ludwig (Elsaß) über verschiedene Forderungen seines Auftraggebers verfügt und die eingezogenen Gelder sich rechtswidrig zugeeignet. Dadurch machte er sich nach dem deutschen Strafgesetz gleichzeitig der

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Vergehen der U n t e r s c h l a g u n g und der U n t r e u e (§§ 246 und 266, Ziffer 2) schuldig. Gutknecht konnte in Basel verhaltet werden und es wurde daher seine Auslieferung von Deutschland uachgesucht. Die kaiserliche Regierung nahm dabei an, daß der Thatbestand der ,,Untreue" des deutschen Rechts, welche in Art. l des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages nicht aufgeführt ist, im schweizerischen Rechte sich im allgemeinen als -eine der Unterschlagung gleich y.u achtende Strafthat darthue, und beantragte, es wolle die Schweiz den in Ziffer 12 von Art. l des deutschschweizerischen Auslieferungsvertrages gehrauchten Ausdruck ,,Unterschlagung" in dem weiteren Sinne verstehen, daß darunter auch der Thatbestand fällt, den das deutsche Gesetz als Untreue bestraft.

Auf eine solche allgemeine Ausdehnung der fraglichen Ziffer des Auslieferungsvertrages konnten wir indessen in Anbetracht der Verschiedenheit der schweizerischen Strafgesetze nicht eintreten.

Dagegen standen wir im vorliegenden Falle nicht an, die Auslieferung des Gutknecht ohne Vorbehalt zu bewilligen, da das .Delikt der Untreue, wie es dem Verfolgten zur Last fiel, sich nach dem Strafgesetee des Kantons Baselstadt (§ 140) als Unterschlagung qualifiziert, die nach dem schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrage ein Auslieferungsvergehen bildet. Es wurde bei der Bewilligung ausdrücklich bemerkt, daß diese Entscheidung nur für den vorliegenden Fall gelte ; für die Zukunft werde in jedem einzelnen ähnlichen Falle unter Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse eine Entschließung vorbehalten.

14. Die italienische Gesandtschaft in Bern stellte das Gesuch um Verhaftung und Auslieferung eines gewissen T u l l i o F a r i n a von Lugo (Italien), zur Zeit in Vevey. Ihr Begehren stützte sieh auf ein Kontumazurteil des Gerichtes zu Venedig. Danach hatte ein Francois Dordona in Morges im Dezember 1891 aus Chioggia (Italien) Wildbret bezogen, wogegen er dem Versender einen Eigenwechsel zur Ausgleichung der Rechnung übermachte. Dieser Wechsel wurde jedoch von Dordona bei Verfall nicht eingelöst.

Als daraufhin der Absender des Wildbrets bei dem italienischen Konsulate in Genf Erkundigung über F. Dordona einzog, erhielt er den Bescheid, der wahre Name desselben sei Tullio Farina und dieser wohne in Vevey. Hierauf gestützt wurde der letztere
von dem Gerichte zu Venedig in contumaciam wegen Betrugs und Wechselfälschung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach erfolgter Verhaftung des Tullio Farina erhob dieser sofort Protest gegen seine Auslieferung an Italien und erklärte, daß er nicht identisch sei mit der Person, welche die in dem italieni-

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sehen Urteile erwähnten Delikte begangen habe; auch heiße er nicht Tullio, sondern Tulio Farina und sei niemals in Morges gewesen. Hierdurch wurden wir veranlaßt, nähere Erhebungen zu machen und den Verhafteten nach Morges verbringen zu lassen, um ihn mit solchen Personen zu konfrontieren, welche den angeblichen F. Dordona gekannt haben. Alle diesfalls einvernommenen Personen konstatierten n u n , daß der ihnen vorgestellte Tulio Farina nicht identisch sei mit dem Individuum, welches sich im Dezember 1891 unter dem Namen Francois Dordona in Morges aufgehalten habe.

Wir ließen daher den Verhafteten auf freien Fuß setzen und gaben der italienischen Gesandtschaft zu Händen ihrer Regierung von den Erhebungen Mitteilung, damit sie sich darüber aussprecho, ob sie in Anbetracht derselben auf dem Auslieferungsbegehren beharren wolle.

Sie zog dieses nicht zurück, sondern übermachte den von F.

Dordona in Morges ausgestellten Wechsel und einen Brief desselben zur Schriftvergleichung. Der von uns beauftragte Experte kam durch verschiedene Schriftproben zu der festen Überzeugung, daß Tulio Farina in Vevey den fraglichen Wechsel und Brief nicht geschrieben habe. Infolgedessen und in Anbetracht dei' früheren Erhebungen in Morges beschlossen wir, die nachgesuchte Auslieferung nicht zu bewilligen.

15. Gesuche um s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g von Schweiz e r n , die auf fremdem Gebiete delinquiert und sich in die Schweiz geflüchtet hatten, sind uns im Berichtsjahre 14 zugegangen, nämlich 6 von Deutschland, 5 von Frankreich und je l von Belgien, Liechtenstein und Österreich-Ungarn. Von denselben haben 8 durch Verurteilung der Verfolgten ihre Erledigung gefunden ; in einem Falle blieb der Angeklagte unentdeckt, und auf ein Begehren wurde nicht eingetreten. 4 Fälle sind noch pendent.

Wir unsererseits haben bei Frankreich in 9, bei Italien in 8, bei Deutschland in 4 und bei Holland in einem Falle die strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen dieser Staaten verlangt, die nach Begehung strafbarer Handlungen in der Schweiz nach ihrer Heimat geflohen waren. In 6 Fällen sind die Angeklagten verurteilt und in 5 freigesprochen worden. In einem Falle blieb der Verfolgte unentdeckt. Die übrigen Fälle sind nocho unerledigt.

16. Der gegenwärtig in der Schweiz sich aufhaltende J. A., Bürger des Kantons
Appenzell A.-Rh., hatte sich in Österreich des betrügerischen Bankerotts schuldig gemacht und beantragte die österreichische Regierung seine Strafverfolgung durch die Heimat-

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behörden. Von Österreich konnte indessen in Anbetracht der Bestimmung in § 27 seines Strafgesetzes nicht die Zusicherung erteilt werden, daß A. nach seiner in der Schweiz geschehenen Aburteilung wegen des. fraglichen Deliktes nicht auch in Österreich werde verfolgt werden ; es war nur möglich, die Erklärung zu erhalten, daß eine in der Schweiz an dem Beschuldigten etwa vollzogene Strafe in die eventuell später wegen des gleichen Verbrechens gegen ihn in Österreich zur Verhängung gelangende Strafe eingerechnet würde. Die Regierung von Appenzelle A.-Rh. erblickte in dem von Österreich in Vorschlag gebrachten Antrag für den Angeschuldigten eine ganz besondere Härte und beschloß daher, es könne auf eine Verfolgung desselben durch die kantonalen Behörden nicht eingetreten werden.

III. Rogatorien.

17. Unser Justiz- und Polizeidepartement hatte während des Berichtsjahres in 131 Fällen (1893: 155, 1892: 137) bei der Vermittlung von R e q u i s i t o r i a l i e n ausländischer Behörden an schweizerische Gerichte und umgekehrt mitzuwirken. 67 derselben bezogen sich auf Civilangelegenheiten, 64 auf Strafsachen.

Von den s c h w e i z e r i s c h e n Rogatorien waren 14 an Frankreich, je 11 an Belgien und Großbritannien, 8 an die Vereinigten Staaten von Amerika, 4 an Spanien, je zwei an Holland und die Türkei gerichtet, und je l war für Bulgarien, Italien, Monaco, Norwegen und Rußland bestimmt.

Von den a u s l ä n d i s c h e n R o g a t o r i e n anderseits sind 39 aus Frankreich, 10 aus Spanien, je 5 aus Belgien und Italien, je 3 aus Deutschland und Rumänien, je 2 aus Ägypten, Columbia, Österreich-Ungarn, und je l aus Bulgarien, Indien und Rußland eingelangt.

5 der an ausländische Behörden gerichteten und 4 der aus dem Ausland eingegangenen Rogatorien hatten am Schlüsse des Jahres ihre Erledigung noch nicht gefunden.

IT. Heimschaffungen.

18. Die Zahl der Fälle von H e i m s c h a f f u n g e n v e r lassener K i n d e r , Geisteskranker und solcher Personen, welche der ö f f e n t l i c h e n W o h l t h ä t i g k e i t anh e i m g e f a l l e n s i n d , belief sich im Berichtsjahre auf 133 (1893 : 132, 1892: 120) und betraf 197 Personen.

16» Die Schweiz wurde seitens des A u s l a n d e s um die Heinischaffung von 57 Personen (46 Gesuche umfassend) angegangen, nämlich von 28 verlassenen Kindern, 24 Geisteskranken und 5 Hilfsbedürftigen. Aus Frankreich liefen 38 Gesuche ein, aus Italien und Österreich je 8 und je l aus Deutschland und Spanien. Von.

den 57 Personen wurden 4 nicht anerkannt, 52 dagegen als schweizerisch Angehörige ermittelt und übernommen; ein Fall ist pendent geblieben.

Die S c h w e i z stellte an das Ausland auf diplomatischem Wege 87 Heimschaffungsbegehren, und zwar 44 an Frankreich, 33 an Italien, 4 an Deutschland, 3 an Österreich-Ungarn, 2 an Belgien und l an Dänemark. Dieselben betrafen 74 verwaiste und verlassene Kinder, 35 Geisteskranke und 31 der öffentlichen Wohlthätigkeit Anheimgefallene, zusammen 140 Personen. Davon wurden 86 vom Ausland als Angehörige anerkannt und heimgeschafft, während bezüglich 3 Personen die Heimnahme abgelehnt worden ist ; betreffend 37 Individuen standen die Erklärungen der fremden Regierungen am Ende des Jahres noch aus. 14 Begehren (ebenso viele Personen betreffend) wurden von den Kantonsregierungen vor Abschluß der Verhandlungen zurückgezogen.

Außerdem sind von deutscher Seite 14 Gesuche um Bewilligung des D u r c h t r a n s p o r t e s von geisteskranken oder der öffentlichen Wohlthätigkeit in Deutschland anheimgefallenen Italienern, welche auf Kosten des requirierenden Staates über schweizerisches Gebiet nach ihrer Heimat verbracht werden sollten, eingegangen und unsererseits ohne Ausnahme genehmigt worden.

19. Durch Bekanntmachung im Bundesblatte (1894, II, 697, 904) wurde den Kantonen zur Kenntnis gebracht, daß in S a r a j e v o ein ö f f e n t l i c h e s L a n d e s s p i t a l für Bosnien und die Herzegowina eingerichtet worden ist, in welchem spitalbedürftige Kranke ohne Unterschied der Zuständigkeit, des Standes und der Konfession aufgenommen werden.

20. Die Kantone Tessin, Uri, Schwyz, Zug, Zürich und Schaff hausen haben in der Zeit von Anfang Juli 1893 bis Ende Juni 1894 bei dem T r a n s i t von 260 d e u t s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n , welche aus I t a l i e n a u s g e w i e s e n worden sind und durch die Schweiz an ihre Heimat zu schaffen waren, mitgewirkt. Die dadurch entstandenen Kosten beliefen sich auf Fr. 7069. 50, welche gemäß der
Übereinkunft vom 16. Februar 1881 betreffend den Polizeidienst in den internationalen Stationen der Gotthardbahn und der Erklärung vom 11. November 1884/12. Januar 1885 von der italienischen Regierung vergütet worden sind.

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Unsere Vorstellungen bei Italien, daß die Bekleidung dieser von Italien ausgewiesenen Deutschen oftmals eine so dürftige sei, daß dadurch der Anstand verletzt werde und die Leute, besonders wir Winterszeit, nicht ohne Schaden für ihre Gesundheit heimgeschafft werden können, waren von Erfolg begleitet. Das italienische Ministerium des Innern ließ den Präi'ektureu des Königreichs die Weisung zugehen, es möchte in Zukunft darauf geachtet werden, daß die fraglichen Ausgewiesenen mit solchen Kleidern und Schuhen versehen seien, daß sie entsprechend der Saison die lange Reise in ordentlicher Weise ausführen können. Wir unsererseits haben die Weisung gegeben, daß von der tessinischen Polizei an der Grenze in Zukunft sehr dürftig gekleidete Personen nicht mete zum Transporte übernommen, sondern zurückgewiesen werden.

21. Durch die k. italienische Gesandtschaft wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß von den schweizerischen Behörden d i e a u s g e w i e s e n e n i t a l i e n i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n an die verschiedensten Grenzorte von Italien gebracht werden, so daß eine polizeiliche Überwachung der betreffenden Personen bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland kaum möglich sei ; es würde von der italienischen Regierung gerne gesehen, wenn solche Ausweisungen nur an bestimmten Grenzorten stattfanden.

Nachdem hierüber zunächst die Ansicht der Polizeidirektion der Kantone Wallis, Tessin und Graubüuden eingeholt worden war, antwortete unser Justiz- und Polizeidepartement der italienischen Gesandtschaft, daß wir bereit seien, Anordnungen zu treffen, daß in Zukunft alle durch den Bund aus der Schweiz ausgewiesenen Italiener in der Regel nach Chiasso gebracht werden ; nur die im Kanton Wallis befindlichen Italiener sollen im Sommer über den Simplon und die im Kanton Graubünden sich aufhaltenden über Campocologno, Castasegna oder den Splügen nach Italien abgeschoben -werden. Auch dürfte gemäß der Übereinkunft zwischen der Schweiz und Italien über den Polizeidienst in den internationalen Stationen der G-otthardbahn vom 16. Februar 1881 die Station Luino noch als Übergabeort in Betracht kommen^ Das italienische Ministerium des Innern war mit dem hierseitigen Vorschlage einverstanden und ließ den Präfekturen zu Como, Novara und Sondrio die Instruktion zugehen, daß die Ausweisungen von
Schweizerbürgern aus Italien in entsprechendem Sinne stattfinden sollen.

Die kantonalen Regierungen, welchen von dieser Verhandlung mit Italien Kenntnis gegeben worden, trafen ohne Ausnahme die Anordnung, daß im Falle von Ausweisungen von Italienern seitens

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der kantonalen Behörden in der cben angegebenen Weise verfahren werde.

22. Auf ein seitens der ottomanischen Botschaft in Paris im Auftrage ihrer Regierung gestelltes Gesuch, die H e i m k e h r einer mit ihrem Kinde nach Genf geflohenen t ü r k i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n zu veranlassen, konnten wir nicht eintreten, da wir die Bundesbehörden nicht für kompetent erachten, in einer solchen Angelegenheit durch Erteilung von Weisungen und durch Erlaß von Anordnungen einzuschreiten. Es ist eventuell nur den kantonalen Behörden möglich, ihre Unterstützung dem Ehemann der Entflohenen angedeihen zu lassen. Dieser sollte zu dem Behufe eine geeignete Persönlichkeit in Genf mit der Angelegenheit betrauen, durch welche alsdann einerseits zunächst eine provisorische Entschließung zum Schutze des Kindes und andererseits das Exequatur des Erkenntnisses der türkischen Behörde oder ein neuer Beschluß -/M veranlassen wäre.

V. Heimatrecht.

23. Außer den Heimschaöungen, bei deren Behandlung jeweilen vor allem aus die Staatsangehörigkeit zu prüfen ist, hat unser Justiz- und Polizeidepartement noch in 15 Fällen specielle U n t e r s u c h u n g e n ü b e r das H e i m a t r e c h t von 35 Personen führen müssen, deren bürgerliche Angehörigkeit in der Schweiz oder im Ausland zweifelhaft geworden und daher festzustellen war.

3 Fälle sind durch ausländische Behörden bei uns anhängig gemacht worden und durch Anerkennung der betreffenden 4 Personen erledigt worden.

Von uns wurde in 12 Fällen, die 31 Personen betrafen, die Anerkennung im Auslande zu erwirken gesucht. Es gelang dies in 9 Fällen (21 Personen), 3 Fälle sind noch pendent.

24. Der in Sagno (Tessin) heimatberechtigte und sich aufhaltende E m e s t o C h i e s a , geb. 1873 in M a i l a n d , stellte das Gesuch, es möchten Schritte bei Italien gethan werden, damit das vom Syndik in Mailand an ihn ergangene Aufgebot zur Stellung für die militärische Untersuchung und die allfällige Einreihung in die italienische Armee zurückgezogen und er aus den bürgerlichen wie militärischen Listen Italiens gestrichen werde.

Die gemachten Erhebungen ergaben nun, daß der Vater des Genannten dadurch, daß die Lombardei dem Königreiche Italien einverleibt wurde, unter Beibehaltung seines tessinischen Bürgerßundesblatt 47. Jahrg. Bd. K.

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166 rechtes die italienische Staatsangehörigkeit erworben hatte. Im Jahre 1874 hat er zwar alsdann in formeller Weise auf die italienische Nationalität verachtet, dagegen nicht, wie im Art. 11 des italienischen Civilgesetzbuches vorgeschrieben ist, das Königreich Italien verlassen, sondern ist mit seiner Familie in Mailand wohnhaft geblieben.- Dadurch wurde seine Verachtserklärung für ihn und seine Familie nichtig (Art. 15 des citierten Gesetzes). Infolgedessen muß auch Ernesto Chiesa als Italiener und daneben als Schweizerbürger angesehen werden, und er hat sich, wenn er sich in Italien aufhält, den italienischen Gesetzen zu unterwerfen.

Übrigens wäre er, selbst wenn er auf Grund von Art. 11 des italienischen Civilgesetzes die italienische Nationalität verloren hätte, gemäß Art. 12 des gleichen Gesetzes damit noch nicht der Verpflichtung, Militärdienste in der italienischen Armee zu leisten, enthoben. Aus diesen Gründen konnten wir für ihn keine Schritte im Sinne seines Ansuchens hei der italienischen Regierung thun.

25. Während in der Regel die d e u t s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n , welche durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande ihre Nationalität verloren haben, diese nur wieder durch Wohnsitznahme in Deutschland erwerben können, wurde auf unsern Antrag hin von der Erfüllung jener Bedingung mit Bezug auf den elsässischen Angehörigen P h i l i p p V i d a l , der mit seiner Familie schon seit vielen Jahren im Kanton Solothurn sich aufhielt, ohne im Besitze einer rechtsgültigen Ausweisschrift zu sein, abgesehen, und wurde ihm die verlorene Staatsangehörigkeit ohne weiteres wieder verliehen, sowie ein Heimatschein für ihn und seine Familie ausgestellt.

Es wurde dabei in Betracht gezogen, daß die Familie Vidal, wenn sie aus ihren gegenwärtigen Verhältnissen durch eine all fäll ige Ausweisung herausgerissen werden müßte, arg geschädigt würde, während sie sich bisher gut durchs Leben gebracht und zu keinen Klagen in der Schweiz Anlaß gegeben hat. Die in dur Sache gefaßte Entschließung der deutschen Reichsregierung stützte sich auf § 21, Absatz IV, des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, welcher lautet : "Deutschen, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren und keine andere
Staatsangehörigkeit erworben haben, kann die Staatsangehörigkeit in dein früheren Heimatstaate wieder verliehen werden, auch olmo daß sie sich dort niederlassen. "· 26. Dagegen konnten wir uns nicht für einen in der Schweiz sich aufhaltenden Württemberger, der auf seine deutsche Staatsangehörigkeit förmlich verzichtet hatte und nach Maßgabe des Ge-

167 setees über Erwerb und Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 aus dem deutschen Staatsverbande entlassen worden war, zum Zwecke der Wiedererwerbung des ursprünglichen Indigenats verwenden. Zu diesem Belaufe hat der Betreffende wieder Wohnsitz in Deutschland xu nehmen und persönlich vor der zuständigen Behörde bestimmte Erklärungen abzugeben und Nachweise über sein Domizil und seine Erwerbsfähigkeit /.u leisten.

27. Der in Argentinien niedergelassene Schweizerbürger A n ton K l e i b e r wollte auf sein Kantons- und Gemeindebürgcrrceht verzichten und legte zu dem Behuf'e seiner heimatlichen Regierung eine Urkunde über den Erwerb der argentinischen Staatsaugehörigkeit vor. Die betreffende Regierung stellte daraufhin die Anfrage an uns, ob Kleiber durch seine Naturalisation sowohl für sieh, als auch für seine Frau und Kinder die argentinische Nationalität erworben habe. Es konnte ihr darauf geantwortet werden, daß das argentinische Gesetz - betreffend die Staatsangehörigkeit keine Bestimmungen bezüglich der Frau eines Ausländers, der sieli naturalisiert, enthält. Hinsichtlich der Kinder, welche vor dei' Naturalisation geboren sind, normiert es dagegen, daß sie durch die Naturalisation ihres Vaters noch nicht die argentinische Staatsangehörigkeit erlangen, daß sie jedoch das Recht haben sollen, nach Erreichung ihrer Volljährigkeit (22 Jahre) für dieselbe xu optieren. Ist das Kind indessen in Argentinien geboren, so hat es schon durch seine Geburt die. argentinische Nationalität erworben.

VI. Polizei Allgemeines.

28. In Art. 10 des N i e d e r l a s s u n g s v e r t r a g e s /.wischen der S c h w e i z ; und R u ß l a n d vom 26. Dezember 1872 ist vereinbart: ,,Die russischen Konsularbeamten in der Schweiz und die schweizerischen in Rußland genießen, unter Vorbehalt der Reciprocità!, alle Vorrechte, Befugnisse, Freiheiten und Immunitäten, welche den Konsularbeamten des nämlichen Grades der meistbegünstigten Nation gewährt sind oder in Zukunft gewährt werden könnten. "· Diese Bestimmung veranlagte uns auf Anregung eines schweizerischen Konsulates in Rußland, bei den Kautonen uns darüber zu erkundigen, ob und eventuell unter welchen Bedingungen es den f r e m d e n K o n s u l n in der S c h w e i z nach den kantonalen Prozeßordnungen zusteht, ihre Landsleute vor den Gerichten der Kantone in Civil- und Strafprozessen zu vertreten und an dieselben namens der Angehörigen des Landes, dessen Repräsentant sie sind, Eingaben MI richten, denen von den Gerichten Folge gegeben wird.

168 Das Resultat der Erhebungen war, daß in den Kantonen Uri, Schwyz, Ob- und Nidwaiden, Glarus, Zug, Baselstadt, Baselland, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh. und I.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Wallis solche Konsuln ihre Landesangehörigen vor den Gerichten vertreten und damit auch Petitionen an die letztern richten können, während ihnen dies in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf nicht gestattet ist, indem in diesen bloß den Aktivbürgern oder patentierten Anwälten die fragliche Befugnis eingeräumt ist.

Es hat dies zur Folge, daß sich unsere Konsuln in Rußland auf Art. 10, AI. l, des schweizerisch-russischen Niederlassungsvertrages bloß dann stützen können, wenn Schweizerbürger in Betracht kommen, die der ersteren Kategorie von Kantonen angehören ; denn nur deren Gesetzgebung läßt eine Reciprocitätszusichcrung zu, wie sie die erwähnte Vertragsbestimmung vorsieht.

In Anbetracht der oben angeführten Vertragsbestimmung wurde auch die weitere Frage aufgeworfen, ob es den russischen Konsuln in der Schweiz zustehe, die Aushändigung von V e r l a s s e n s c h a f t e n russischer Staatsangehöriger, die in unser m Lande sterben, zur Verwaltung und Liquidation zu verlangen. Unser Justiz- und Polizeidepartement verneinte dies mit dem Hinweis darauf, daß für die Regelung der Verlassenschaften der beiderseitigen Angehörigen die Bestimmungen von Art. 4 des schweizerisch-russischen Niederlassungsvertrages gelten. Es könnte ein anderes Verfahren nur Platz greifen, nachdem zuvor jene Vertragsbestimmung ausdrücklich aufgehoben oder abgeändert worden ist.

29. Durch Kreisschreiben des Bundesrates vom 24. April 1894 (Bundesbl. 1894, n, 360) wurden die Kantone darauf aufmerksam gemacht, daß es mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, mit welchen der Eintritt der Israeliten in das russische Reich verbunden ist (vergi. Bundesbl. 1886, I, 310), sich empfiehlt, in P ä s s e n , welche für die Reise nach R u ß l a n d bestimmt sind, die Konfession des Paßinhabers anzugeben.

Es wurden auch die schweizerischen Konsuln in Rußland angewiesen, in den von ihnen ausgestellten Pässen zum Behufe der Erleichterung der Rückkehr der Paßinhaber nach Rußland deren Konfession z,u bezeichnen.

Die russische Gesandtschaft in der Schweiz visiert nunmehr die Pässe der schweizerischen Israeliten, wenn diese in H a n d e l s geschäften nach Rußland reisen und der Paß einen entsprechenden Vormerk enthält (Bundesbl. 1895, I, 227).

169 30. Im Laufe des Jahres waren öfters von r u s s i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n zum Zwecke ihres Aufenthaltes oder ihrer Niederlassung in der Schweiz Pässe vorgelegt worden, welche von dem f r a n z ö s i s c h e n Generalkonsulat in Genf ausgestellt waren.

Wir machten die französische Botschaft hierauf aufmerksam und fragten an, ob das genannte Generalkonsulat zur Ausstellung derartiger Pässe für Angehörige einer fremden Nation befugt sei.

Wir bemerkten dabei, daß auf Grund eines solchen Papiers einem Russen der Aufenthalt in der Sshweiz nicht gewährt werden könne, da bekanntlich für die außerhalb ihres Landes wohnenden Russen nur die von den zuständigen russischen Behörden ausgefertigten Auslandspässe als genügende Legitimationspapiere gelten.

Die französische Botschaft antwortete, es stehe den französischen Vertretern im Auslande in der That zu, Angehörigen eines andern Staates Pässe auszuhändigen, und habe insoweit das Generalkonsulat in Genf seine Kompetenz nicht überschritten. Indessen hat die Botschaft doch gefunden, daß die in den Pässen enthaltenen Worte .,,le passeport est valable pour séjourner en France et en Suisse1' zu Inkonvenienzen und Mißverständnissen führen können, und hat die Weisung gegeben, es seien dieselben in den Pässen für Nichtfranzosen in Zukunft wegzulassen.

31. Gestützt auf einen von dem Waldhüter in Courcelle, Bezirk Belfort, .gefertigten Verbalprozeß beantragte die französische Botschaft nach Maßgabe von Art. 8 u. ff. der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Frankreich vom 23. Februar 1882, betreffend die grenznachbarlichen Verhältnisse und die Beaufsichtigung der Grenzwaldungen (A. S. n. F. VI, 468 ff.), die Bestrafung des F r a n ç o i s R é r a t in Boncourt wegen H o l z fr e v eis, begangen auf dem Gebiete der französischen Gemeinde Florimont. Durch den Polizeirichter von Pruntrut wurde der Genannte zu einer Buße von Fr. 48, einer Entschädigung von Fr. 52 an die Gemeinde Florimont und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt.

32. Die Anfrage der Polizeidirektion des Kantons Tessin, ob von den i t a l i e n i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n , welche als Eisenbahn-, Zoll- und Postangestellte auf der i n t e r n a t i o n a l e n S t a t i o n C h i a s s o sich befinden, Legitimationspapiere verlangt werden dürfen, konnten wir
dahin beantworten, daß sich der Bundesrat hierüber schon im Jahre 1884 ausgesprochen habe, als sich die italienische Regierung beschwert hatte, daß von den erwähnten Angestellten in Chiasso die Bezahlung von Aufenthaltsgebühren und lokalen Steuern verlangt werde. Damals erklärte der Bundesrat, er anerkenne den Grundsatz, daß die italienischen

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Beamten, Bediensteten und Arbeiter, welche behufs Erfüllung ihrer Dienstpflicht genötigt seien, in Chiasso zu wohnen, zwar keine förmliche Aufenthaltsbewilligung nötig und daher auch keine Gebühren dafür zu bezahlen haben, daß sie aber einerseits /um Ausweise ihrer Eigenschaft als zur internationalen Station gehörend und andererseits zum Nachweise ihrer Nationalität angehalten werden können und daher bei der Lokalbehörde sich und ihre Familienglieder einschreiben '/M lassen und zu diesem Ende ein Zeugnis über ihre Anstellung und die Identität ihrer Person abzugeben haben. (Bundesbl. 1888, II, 768, Ziffer 20.)

Diese Auslegung der Verträge mit Italien von 1873 und 1881 betreffend die internationalen Bahnhöfc Chiasso und Luino wurde von Italien nie beanstandet und kann daher als gegenseitig anerkannt betrachtet werden.

33. Eine W a a d t l ä n d c r i n , welche während ihres ganzen Lebens in I t a l i e n sich aufgehalten hatte, mußte einige Jahre vor ihrem Tode wegen Geistesschwäche unter Vormundschaft gestellt worden. Es wurde daher für sie von den heimatlichen Behörden ein Vormund im Kanton Waadt bestellt, wo auch das Vermögen der betreffenden Person sich bei'and.

Mit Bezug auf die B e h a n d l u n g des N a c h l a s s e s der Verstorbenen entstand nun die Frage, ob Italien in dem betreffenden Falle eine Erbschaftssteuer bezieht oder nicht.

Die bezüglichen Erhebungen in Rom ergaben, daß der italienische Fiskus nur von demjenigen Vermögen eine Erbschaftssteuer fordert, das sich in Italien befindet, wobei nicht in Betracht fällt, ob der Verstorbene in Italien niedergelassen war oder nicht.

Wenn daher kein in Italien liegendes Immobiliarvermögen oder keine dort zahlbaren Guthaben der verstorbenen Person vorhanden sind, so steht dem italienischen Fiskus kein Recht zur Erhebung einer Nachlaßsteuer zu.

34. Auf die Anfrage einer kantonalen Poli/eidirektion, in welcher Weise gegen die a u s g e w i e s e n e n , i t a l i e n i s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n , die ihre M i l i t ä r d i e n s t p f l i c h t in ihrem Heimatlande nicht erfüllt haben, verfahren worden soll, antwortete unser Justiz- und Polizeidepartement, daß diesi'alls die im Kreissehreiben des Bundesrates an die kantonalen Regierungen vom 23. Juli 1878 (Bundesbl. IH, 418) niedergelegten Grundsätze als maßgebend zu
betrachten seien und als Wegweiser dienen können.

Der Standpunkt, den wir bezüglich der R e frale t a r e u n d Des e r t e u r o ' a n d e r e r L ä n d e r einnehmen, gipfelt darin, daß solche

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Fremde, welche sich der Erfüllung des Militärdienstes entziehen wollen, nicht erwarten dürfen, daß sie in der Schweiz in ihrem Vorhaben, die Gesetze ihres Heimatstaates zu umgehen, Unterstützung finden. Solche Leute können auch nicht als politische Flüchtlinge anerkannt werden und es wird in der Regel am richtigsten verfahren, wenn sie ari die Grenze ihres Landes zurückgewiesen werden. Ihre Zuschiebung an andere Kantone ist nicht statthaft. Auch liât nicht eine Übergabe der Ausgewiesenen an der Grenze an die Behörden dos andern Staates stattzufinden ; denn eine solche wäre nichts anderes als eine Auslieferung, vollzogen im Widerspruche mit den gesetzlichen Bestimmungen, sondern es muß ihnen, nachdem sie die Grenze überschritten haben, überlassen bleiben, zu handeln, wie ihnen beliebt.

Wenn für einen Deserteur wegen seiner Ausweisung und Abschiebung unliebsame Folgen in Aussicht stehen, so können dadurch die eidgenössischen und kantonalen Behörden in ihrem freien Verfügungsrecht nicht beeinträchtigt werden. Die betreffende Person hat durch ihr eigenes Verschulden ihre Lage geschaffen und hat daher auch deren Folgen selbst zu tragen.

35. Durch die g e n f e r i s c h en Gerichte wurde der 15jährige J e a n Joß von O b e r b ü r g , Kanton B e r n , wegen eines in Genf begangenen Diebstahls verurteilt. Der Staatsrat des Kantons Genf verlangte nun von der bernischen Regierung, es möchte dieser Knabe, da der Kanton Genf keine Besserungsanstalt besitze, von dem Heimatkanton zum Zwecke der Abbüßimg seiner Strafe in einer solchen Anstalt übernommen werden. Die bernische Regierung lehnte jedoch dieses Begehren ab und .erklärte, es müsse den Genfer Behörden die Vollziehung des von ihnen ergangenen Urteils überlassen bleiben.

Der Staatsrat von Genf wendete sich hierauf an uns und wünschte, daß wir die Frage der Versorgung des Knaben Joß entscheiden. Wir mußten jedoch erwidern, wir seien nicht in der Lage, in einem solchen Falle, welcher die Vollziehung eines kantonalen Strafurteils betreffe, einen wirksamen Entscheid zu fassen, es ermangle uns nach der Bundesverfassung jegliche Kompetenz hierzu. Wir möchten jedoch dem Staatsrate empfehlen, auf das Anerbieten der bernischen Armendirektion, daß sie für die Intornierung des Knaben in einer der Eettungsanstaltcn dos Kantons Bern sorge, wenn er ihr zugeführt
werde, einzutreten. Es setze dies nicht eine Ausweisung des Knaben aus dem Kanton Genf voraus, sondern nur eine Heimschaffung zum Zwecke der Stellung desselben unter die Aufsicht der Behörden seines Heimatkantons.

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Der Staatsrat von Genf ließ den Knaben für kurze Zeit nach der Zwangserziehungsanstalt Aarburg verbringen und hierauf den bernischen Behörden zuführen.

36. Ein B e a m t e r der s c h w e i z e r i s c h e n Z o l l v e r w a l t u n g weigerte sich auf Grund der Bestimmung in Art. 6 des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zu Gunsten der Eidgenossenschaft vom 23. Dezember 1851 (A. S.

III, 33), ,,die eidgenössischen Centralbeamten bedürfen als solche an dem Orte ihrer Amtsverrichtung keinerNiederlassungsbewilligunga, die von den Behörden der Stadt St. Gallen geforderte Niederlassungsgebühr zu entrichten. Wir erklärten jedoch, daß einzig die Beamten der Centralverwaltung Anspruch auf die Wohlthat jener Gesetzesbestimmung haben. In dem Entwurfe des Bundesrates vom 24. November 1851 war allerdings von ,,allen eidgenössischen Beamten und Angestellten"1 die Rede, die Kommission des Ständerates pflichtete aber diesem Vorschlage nicht bei und beschränkte das fragliche Vorrecht auf die eidgenössischen Centralbeamten.

Unter diesen können nur die Beamten der bundesrätlichen Departemente und der Departementaldirektionen verstanden werden, nicht aber diejenigen der Kreisverwaltungen und die Beamten in den Post- und Zollkreisen.

37. Im Berichtsjahre sind in vermehrter Anzahl von den bekannten B r i e f e n a u s S p a n i e n , mittelst welchen angebliche Militärgefangene oder Priester u. s. w. die Leute um ihr Geld -/AI beschwindeln suchen, in die Schweiz gelangt. Einige der betreuenden Individuen sind, wie unser Generalkonsulat in Madrid berichtet, in Spanien verhaftet worden, allein' es ist leider deshalb noch nicht zu hoffen, daß jene Korrespondenz aufhören wird, weil die fragliehe Industrie von den Strafanstalten aus selbst betrieben wird.

Es kann daher nur immer wieder das Publikum vor jenen Schwindlern gewarnt werden. Wir erließen bezügliche Bekanntmachungen im Bundesblatte 1894, II, 1019, 1081, IV, 810.

38. Seit mehr als 10 Jahren wird in Frankreich ein von Dr. Alphons Bertillon ins Leben gerufenes Verfahren gehandhabt, durch welches rückfällige Verbrecher in leichter Weise identifiziert werden können. Es geschieht dies durch das sogenannte a n t h r o p o m e t r i s c h e S i g n a l e m e n t . Das Verfahren beruht, abgesehen von den allgemeinen deskriptiven Notierungen,
auf Messungen solcher Teile des menschlichen Körpers, welche bei Erwachsenen geringen oder gar keinen Veränderungen unterworfen sind, und bietet ein derartiges Signalement absolute Sicherheit. Die anthro-

173 pometrische Meßmethode hat seit ihrer Einführung in Frankreich durchschlagende Erfolge erzielt und die Erwartungen gerechtfertigt, welche die Theorie von derselben in Aussicht stellte. Das System hat auch bereits in anderen Ländern Eingang gefunden, so in Belgien, Rußland, Algier und Tunis, in verschiedenen Staaten von Nord- und Südamerika, sowie in Japan. Je weiter das Gebiet reicht, in welchem das Signalement nach Bertillon aufgenommen wird, und je regelmäßiger der Austausch solcher Signalemente stattfindet, desto sicherer wird man den Gewohnheitsverbrecher überall erkennen. Es ist daher von Interesse für die Schweiz, daß jene Messungen allenthalben in unserm Lande eingeführt werden.

Bisher besitzen nur die Kantone Genf und Bern bezügliche Einrichtungen und der Kanton Waadt ist mit deren Einführung beschäftigt. Damit auch die deutschen Kantone das Verfahren leichter kennen lernen, haben wir durch Übernahme' einer größeren Anzahl von Exemplaren ermöglicht, daß eine deutsche Übersetzung des von Alphons Bertillon in Paris verfaßten Werkes, in welchem er sein System und dessen Anwendung ausführlich darlegt, herausgegeben werden kann. Sobald die Arbeit vollendet im Druck erschienen sein wird, werden wir das Werk zum Selbstkostenpreise an die dasselbe verlangenden Kantone abgeben.

C. Bundesanwaltschaft.

I. Bundesstrafrecht.

1. In unserem letzten Bericht haben wir mitgeteilt, daß der gewesene Stationsvorstand von Münehenbuchsee, J. Gribi, von der Polizeikammer des Kantons Bern in Bezug auf das E i s e n b a h n u n g l ü c k von Z o l l i k o f e n wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung zu einer Gefängnisstrafe von 60 Tagen und einer Geldbuße von Fr. 100, sowie zur Tragung eines Teiles der Kosten verurteilt worden ist. Gegen dieses Urteil hat Gribi ein B e g n a d i g u n g s g e s u c h bei der Bundesversammlung eingereicht, welchem diese in seinem ganzen Umfang entsprochen hat.

2. Im Berichtsjahr sind uns 136 Fälle von G e f ä h r d u n g e n des E i s e n b a h n b e t r i e b e s zur Behandlung vorgelegt worden, wovon sich 5 auf den Tramwayverkehr bezogen.

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Von diesen 136 Fällen erwiesen sich '2 als Widerhandlungen gegen das B a h n p o l i z e i g eset z. Sie wurden zur Behandlung nach diesem an die kantonalen Behörden zurückgesandt.

In 42 Fällen wurde der Angelegenheit in bundesstrafrechtlicher Beziehung keine Folge gegeben, weil entweder ein strafrechtliches Verschulden niemandem zur Last gelegt werden konnte (13 Fälle), oder weil eine erhebliche Gefährdung des Eisenbahnbetriebes im Sinne des Bundesstrafrechtes nicht vorlag (29 Fälle).

In einem Falle konnte eine strafrechtliche Verfolgung nicht Platz greifen, weil der Schuldige bei dem durch seine Fahrlässigkeit herbeigeführten Unfall getötet worden war.

Die übrigen 91 Fälle wurden von uns alle wir Behandlung nach den Bestimmungen des Bundesstrafrechts an die kantonalen Gerichte überwiesen.

Verurteilungen des oder der Angeschuldigten erfolgten in 28 Fällen, 24 Fälle fanden ihre Erledigung durch ein freisprechendes Urteil, in 23 Fällen wurde das Verfahren sistiert, zumeist, weil die Thäterschaft nicht ausgemittelt werden konnte, -- unerledigt sind Kur Zeit noch 16 Fälle.

3. In 57 Fällen handelte es sich um fahrlässige Eisenbahngefährdungen, welche zum größten Teil Eisenbahnangestellten zur Last fielen ; absichtliche Gefährdungen des Bahnbetriebes hatten wir 33 zu behandeln.

Hiervon mußte in 21 Fällen das Verfahren sistiert worden, weil die Thäterschaft nicht ausgemittelt werden konnte, in 9 Fällen wurde der oder die Schuldigen verurteilt, 3 Fälle sind noch unerledigt.

Die absichtlichen Eisenbahngefährdungen bestanden in ihrer Grosszahl im Legen von Steinen, Holzstücken oder anderen Gegenständen auf die Geleise und in dem Bewerfen fahrender Züge tnit Steinen u. s. w.

In 5 Fällen ist die Gefährdung durch doloscs Umstellen oder Verkeilen der Weichenanlagen auf Bahnstationen erfolgt und in 2 Fällen versuchten Reisende, Eisenbahnangestellte von einem fahrenden Zuge zu werfen.

4. Von den absichtlichen Eisenbahngefährdungen heben wir folgende Fälle hervor : Die Bewohner von Herrliberg waren unzufrieden darüber, daß ihren Wünschen hinsichtlich der Stationsanlage bei dem Bau der rechtsufrigen Zürichseebahn nicht Rechnung getragen worden war.

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Anläßlich der am 14. März 1894 stattgefundenen Einweihung der Bahn wurden von einigen Bewohnern dieser Gemeinde schwarze Flaggen ausgehängt und hart an der Linie zwei sogenannte ,,Böggen" aufgestellt, welche durch Herausstrecken der Zungen dem vorüberfahrenden Festzuge das Mißfallen der Bevölkerung versinnbildlichen sollten.

Als der von Zürich nach Rapperswyl fahrende Festzug die betreffende Stelle passierte, sollen einige Insassen desselben den bei den ,,Böggen" stehenden Personen ebenfalls die Zungen herausgestreckt und die ,,lange Nase" gedreht haben.

Bei eintretender Dunkelheit wurden die ,,Böggen" beleuchtet.

Beim Passieren des von Rapperswyl nach Zürich zurückfahrenden Festzuges ließen sich die Demonstranten leider zu Thätlichkeit hinreißen ; von den beiden ,,Böggen" aus wurden brennende Torfstücke und Steine gegen den Zug geworfen, wobei verschiedene Fensterscheiben desselben zertrümmert wurden.

Etwas untenher der betreffenden Stelle wurde die Vorspannmaschine mit Steinen beworfen, ebenso waren Steine auf das Geleise gelegt worden.

Verletzt wurde niemand, auch ist ein größerer Schaden nicht entstanden. Die Angeschuldigten sind zu je zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden.

5. Am gleichen Tage wälzte der Arbeiter F. A. M., der bei dem Bau der rechtsufrigen Zürichseebahn beschäftigt gewesen, «wischen den Stationen Meilen und Dietikon große Steine auf das Geleise, wodurch der von Zürich nach Rapperswyl fahrende Fcstzug einer erheblichen Gefahr ausgesetzt worden ist. M., der die That in der Trunkenheit und aus Ärger darüber begangen haben will, daß zu dem von der Bauunternehmung den Arbeitern anläßlich der Einweihungsfeierlichkeiten gespendeten Freibier nicht auch Würste gegeben worden, wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

6. In der Nacht vom 3. auf den 4. April 1894 wurde auf der Station Döttingen eine Einfahrtsweiche mit Steinen verkeilt.

Der Thäter wurde in der Person des J. Sch. ausgemittelt Er wurde von den Gerichten des Kantons Aargau wegen absichtlicher Eisenbahngefährdung zu drei Jahren Gefängnis und vier Jahren Ehrenverlust über die Strafzeit hinaus verurteilt.

7. Im Berichtsjahr wurden uns zwei Fälle betreffend Gef ä h r d u n g v o n D a m p f s c h i f f e n vorgelegt.

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Den einen wiesen wir zur Behandlung nach den Bestimmungen des kantonalen Strafrechts an die Behörden des betreffenden Kantons zurück.

Der andere Fall betraf den J. E., Maschinisten bei der Zürcher Dampf bootgesellschaft.

E. hatte am 9. Dezember 1893 auf dem Dampfboot ,,Bendlikon a Dienst. Nachdem er sich bereits durch sein grobes und störrisches Benehmen gegenüber dem Schifführer und den Passagieren bemerkbar gemacht hatte, fuhr er bei der Station K ü s n a c h t auf das Kommando ,,Zurück"1 vorwärts, so daß das Boot mit voller Kraft gegen das Schutzholz, fuhr, dieses zerschnitt und gegen die steinerne Treppe des Landungssteges prallte. Infolgedessen wurde der Bug des Schiffes umgebogen und stark beschädigt, und konnte das Schiff zur Weiterfahrt nicht mehr benutzt werden.

E. wurde mit drei Monaten Gefängnis bestraft.

8. Betreffend Störung des T e l e g r a p h e n - und T e l e p h o n v e r k e h r s wurden uns 14 Fälle unterbreitet.

Dieselben beziehen sich auf das Zerschlagen von Isolatoren, Herunterreißen von Telegraphen- und Telephondrähten, Beschädigen oder Umwerfen von Telegraphenstangen.

In einem Falle hatte der Schuldige im Momente der Begehung der eingeklagten Handlung das 12. Altersjahr noch nicht erreicht, in einem andern lag ein strafbares Verschulden nicht vor.

Diesen beiden Fällen wurde keine gerichtliche Folge gegeben.

Ein fernerer Fall wurde behufs Behandlung nach den Bestimmungen des kantonalen Strafrechts (Sachbeschädigung) an die kantonalen Behörden zurückgewiesen und in einem weiteren Fall wurde das Verjähren sistiert.

9 Fälle fanden ihre Erledigung durch gerichtliches Urteil (5 Verurteilungen, 4 Freisprechungen).

9. Ein kantonales Gericht hatte das Zerschlagen von Isolatoren als gewöhnliche Sachbeschädigung und nicht als Störung des Telegraphenbetriebs beurteilt. Nach Kenntnisnahme des Falles haben wir die betreffende Regierung darauf aufmerksam gemacht, daß das Zerschlagen der Isolatoren den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend grundsätzlich als eine den Telegraphenbetrieb beeinträchtigende , ja unter Umständen denselben verunmöglichende Handlung zu betrachten und nach Art. 66 des Bundesstrafrechts zu bestrafen sei.

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10. An F ä l s c h u n g e n von B u n d e s a k t e n kamen 5 Fälle vor.

4 von denselben betreffen Fälschungen in Militärdienstbüchlein (Ausradieren oder Abändern der pädagogischen Noten oder anderer Eintragungen).

Ein Fall bezog sich auf die Fälschung einer Zollquittung.

Zwei von diesen Fällen haben ihre Erledigung durch Verurteilung der Angeschuldigten gefundenem einem Falle wurde das Verfahren sistiert; zwei Fälle sind noch unerledigt.

11. Von A m t s d e l i k t e n durch P o s t a n g e s t e l l t e (Verletzung des Briefgeheimnisses, falsche Eintragungen in Postbücher, Unterschlagung von Briefen und Briefpaketen) kamen 12 Fälle zur Behandlung.

In einem Fall ergab es sich, daß der objektive Thatbestand des eingeklagten Deliktes nicht vorlag; wir gaben daher dieser Angelegenheit keine Folge, Die übrigen 11 Fälle haben wir zur Erledigung nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundesstrafrechts an die kantonalen Gerichte überwiesen. In 7 Fällen wurden die Angeschuldigten verurteilt,, l Fall fand durch' freisprechendes Urteil seine Erledigung.

3 Fälle sind noch unerledigt.

12. Gegen einen Bürger wurde Klage erhoben, weil er sich unbefugterweise auf den von Biel nach Täufielen fahrenden Postwagen gesetzt hatte und trotz der Abmahnungen des Postillons den von ihm eingenommenen Platz nicht verlassen wollte.

Wir bemerkten hierzu, es sei uns keine bundesgesetzliche Vorschrift bekannt, gestützt auf welche die eingeklagte Handlung geahndet werden könnte, die Akten seien daher an die Regierung des Kantons Bern zu senden, mit dem Gesuch, den Schuldigen nach Maßgabe des kantonalen Rechtes polizeilich bestrafen zu lassen.

13. Wegen unbefugter Teilnahme an e i d g e n ö s s i s c h e n W a h l e n und A b s t i m m u n g e n wurde in 3 Fällen Klage erhoben.

Wir wiesen dieselben behufs Erledigung nach den Bestimmungen des Bundesstrafrechtes an die kantonalen Gerichte. Zwei Fälle haben durch Verurteilung der Angeschuldigten ihre Erledigung gefunden; ein Fall ist noch unerledigt.

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II. Widerhandlungen gegen eidgenössische Fiskalgesetze.

14. Im Berichtsjahr wurden der Bundesanwaltschaft 32 Fälle von Übertretungen des Z o l l g e s e t z e s behufs Einleitung der Klage und Durchführung der Strafprozesse unterbreitet. Von diesen entfallen 19 auf den Kanton Genf.

In 29 Fällen wurde die Klage vor dem zuständigen kantonalen Gerichte anhängig gemacht.

In 26 Fällen wurden der oder die Angeschuldigten in erster und, wo appelliert wurde, auch in zweiter Instanz zur Bezahlung der umgangenen Zollgebühr, sowie der von der Administration ausgesprochenen oder zu einer von dem Gerichte festgestellten Buße verurteilt; drei Fälle sind noch unerledigt.

Drei Fälle haben wir direkt bei dem Buudesgerichte anhängig gemacht.

15. Bei der Beurteilung eines Falles hat sich das Bundesstraf'gericht grundsätzlich dahin. ausgesprochen, daß die für Zolliibertretungen vorgesehenen Strafen, wie die Strafen im allgemeinen, nur physische Personen und nicht juristische treffen können. Die Administrativbehörden hatten bisher eine andere Praxis befolgt.

16. Die gegen ein Urteil des Bundesstrafgerichtes betreffend Zolliibertretnng erhobene Kassationsbeschwerde wurde vom eidgenössischen Kassationshof als unbegründet abgewiesen.

17. Gegen drei Zeugen, welche verdächtig waren, vor dem Bundesstrafgericht wissentlich falsche Angaben gemacht zu haben, wurde Strafuntersuchung eingeleitet, der Angelegenheit aber nachher mit Zustimmung des Untersuchungsrichters und des Bundesanwaltes keine weitere Folge gegeben.

18. Zwei Fälle von Widerhandlungen gegen das A l k o h o l g e s e t z wurden von uns zur Behandlung an die kantonalen Gerichte gewiesen. Einer derselben hat durch Verurteilung des Angeschuldigten seine Erledigung gefunden, in dem andern steht das Urteil noch aus.

19. Bei der Behandlung eines Begnadigungsgesuches hat die Bundesversammlung entgegen der Auffassung des Bundesrates grundsätzlich festgestellt, daß ihr auch in Fiskalstraffällen das Begnadigungsrecht zustehe (Bundesbl. 1893, HI, 631).

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III. Politische Polizei.

Im Berichtsjahre waren wir wiederholt genötigt, in Anwendung von Art. 70 der Bundesverfassung Wegweisungeu von Fremden aus dem schweizerischen Gebiete zu verfügen.

20. Wir haben irn Geschäftsbericht pro 1893 erwähnt, daß gegen die sogenannten Unabhängigen in Zürich, welche durch ihr Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich lenkten, eine Untersuchung eingeleitet wurde. Man nahm damals von weitem Maßregeln Umgang, ließ dagegen dem Ausschuß des Vereines eine polizeiliche.

Verwarnung zukommen.

Sonntag den 28. Januar 1894 wurde auf Veranlassung italienischer Arbeiter in Verbindung mit den erwähnten deutschen Unabhängigen in der ,,Sonne"1 in Außersihl eine Volksversammlung abgehalten zur Besprechung der revolutionären Bewegungen in Italien. Nach verschiedenen heftigen und aufreizenden Reden, durch welche man die Revolution und Gewalt verherrlichte, wurde beschlossen, einen Demonstrationszug durch die Stadt Zürich zu veranstalten. Der Zug bewegte sich unter Absingen der Arbeitermarseillaise und unter Vorantragen einer roten Fahne, mit Crêpe verhüllt, sowie einer Tafel mit der Inschrift: ,,Lutto pei fratelli Siciliani1'- durch die Straßen vor das Gebäude, in welchem das italienische Konsulat sich befindet; dort wurde unter dem Rufe ,,abbasso il Consulatoa hinter dem Wappenschilde die rote Fahne und die Tafel mit Inschrift aufgepflanzt, worauf die Polizei einschritt und dem Skandal ein Ende machte.

Durch die sofort eingeleitete Untersuchung wurden die Urheber dieses Vorganges festgestellt und die Hauptbeteiligteu, 13 an der Zahl, durch Beschluß vom 10. Februar 1894 aus der Schweiz weggewiesen (vide Bundesbl. 1894, I, 192).

21. In den Jahren 1893 und 94 wurden im Auslande verschiedene Attentate verübt, so namentlich im Liceo-Theater VA\ Barcelona (7. November 1893), in der französischen Kammer im Palais Bourbon in Paris (9. Dezember 1893), und in Lyon die Ermordung des Präsidenten Carnot durch Caserio (24. Juni 1894).

Diese Attentate veranlaßten die auswärtigen Regierungen, strenge Maßregeln gegen die Anarchisten zu ergreifen. Infolgedessen flüchtete sich eine nicht unerhebliche Anzahl von Ausgewiesenen oder solchen, die sich nicht mehr sicher fühlten, auf das schweizerische Gebiet.

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Diesen Personen wurde, auch wenn sie von der Polizei als Anarchisten signalisiert waren, unbeanstandet das Asyl gewährt, solange sie sich ruhig verhielten und nicht selbst durch ihr Verhalten Anlaß zum Einschreiten gaben. Dagegen konnten wir nicht dulden, daß Fremde auch auf unserem Gebiete ihre anarchistischen Umtriebe fortzusetzen oder die internationalen Beziehungen zu gefährden versuchten.

Wir sind deshalb jeweilen eingeschritten, wenn Fremde ihren Aufenthalt bei uns zu agitatorischer Thätigkeit benutzten, und haben die Ausweisung der Betreffenden verfügt. (Vide Bundesbl. 1894, II, 439; H, 1074; in, 177; ffl, 193; IH, 19S; IH, 197; IH, 213; HI, 319; IH, 357; IH, 546.)

22. Schon seit längerer Zeit hielten sich im Kanton Tessin, namentlich in Lugano, italienische Flüchtlinge auf, welche infolge der von der italienischen Regierung getroffenen Maßregeln sich gezwungen sahen, ihr Heimatland zu verlassen.

Ein Teil dieser Leute bildete eine Vereinigung unter Führung des Advokaten Gori und eines Edoardo Milano, beide als eifrige Anarchisten bekannt. Aus den uns zugestellten Polizeirapporten ging hervor, daß die Mehrzahl der Mitglieder dieser Vereinigung keiner regelmäßigen Beschäftigung oblag, überhaupt nicht arbeitete, und daß man nicht wußte, woher diese Leute ihre Subsistenzmittel hernahmen.

Am Tage hielten sie sich in den Cafés auf oder machten sich gegenseitig in ihren Wohnungen Besuche, Nachts hatten sie geheime Versammlungen und machten anarchistische Propaganda. Sie waren offenbar in fortwährender Verbindung mit ihren Gesinnungsgenossen in Italien.

Es wurde ein stetes Kommen und Gehen, ein Erscheinen und Verschwinden neuer Gestalten konstatiert, und der Verdacht lag sehr nahe, daß diese Flüchtlinge ihren Aufenthalt zu agitatorischer Thätigkeit gegen die Regierung ihres Heimatlandes benutzten.

Polizeiliche Verwarnung gegenüber Gori und Andern blieb ohne Erfolg.

Zuerst wurde durch Beschluß vom 11. Dezember 1894 der Anarchist Giuseppe Locatelli ausgewiesen. Er rühmte sich öffentlich, einer der entschlossensten Anarchisten zu sein, und sprach den Wunsch aus, sich durch eine besondere That, ähnlich der Caserios, hervorthun zu können (Bundesbl. 1894, IV, 718).

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Die Annahme, daß diese Ausweisung von Einfluß auf das Benehmen der andern italienischen Flüchtlinge sein dürfte, war unbegründet; sie wollten diesen Wink nicht verstehen und ihr Verhalten blieb nach den eingegangenen Polizeirapporten gleich wie vorher.

Schließlich wurde festgestellt, daß von Lugano aus anarchistische Schriften nach Italien eingeschmuggelt wurden und namentlich auch ein auf rotem Papier gedrucktes Manifest in italienischer Sprache, worin das Volk von Italien zum bewaffneten Aufstand aufgefordert wurde.

Es geht dies aus folgenden Stellen hervor: ,.,0 Volk ! das du von unwissenden, rohen Polizisten mit Füßen getreten wirst, erhebe dich gegen die Blenden, die dir den Fuß auf den Nacken setzen ,,0 Volk ! das du niedergedrückt wirst durch tausend Ungerechtigkeiten, bäume dich auf und ergreife die Wafien gegen deine Tyrannen ,,Erhebe dich ! Erhebe dich !

,,Nimm mutig den Kampf auf gegen die Heere des räuberischen Kapitalismus, des heuchlerischen Konstitualismus, des korrumpierten und schmutzigen Parlamentarismus. Dein 89 ist gekommen ,,Handle du selbst und für dich allein !

,,Kämpfe und eile der Freiheit zu, indem du die Regierung, welche dich erdrückt, vernichtest.

,,Kämpfe und eile der Gleichheit zu, indem du die gestohlenen Reichtümer ergreifst, welche du durch deine Arbeit hervorgebracht hast ,,Volk von Italien !

,,Wir, dem Tode geweiht, für dein Wohl und das unsere, für deine Freiheit und die unserige, wir beschwören dich, wenn du nicht feig bist, uns nicht allein zu lassen in dieser heiligen Stunde des Kampfes ,,Möge unser Ruf zum bewaffneten Aufstand dich auf den Kampfplatz führen und dich führen zum Siege, trotz des Druckes äußersten Elendes.

,,Die Stunde der Gerechtigkeit hat geschlagen !

Bnndesblatt. 47. Jahrg. Bd. U.

13

182 ,,Schreibe, o Volk, schreibe mit Blut das hervorragendste Blatt deiner Geschichte, indem du die Tyrannen und Ausbeuter Italiens vernichtest.

,,Auf zu den Waffen, Volk von Italien !

,,Es lebe die sociale Revolution !a Unterzeichnet: I socialisti-anarchici.

Es bestand kein Zweifel, daß dieses Manifest von der erwähnten Vereinigung ausging, deren Mitglieder der Polizei hinlänglich bekannt waren, und es war auch klar, daß die internationale Pflicht gebot, einem solchen Treiben entschieden Einhalt zu thun.

Die Ausweisung der Betreffenden aus dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft wurde verfügt durch unsere Schlußnahmen vom 29. Januar und 15. Februar 1895.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1894.

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1895

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2

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14

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

27.03.1895

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101-182

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