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76.225 Parlamentarische Initiative über autofreie Sonntage

Stellungnahme des Bundesrates zum 2. Bericht der Kommission des Nationalrates vom 1. November 1977

vom 19. Juni 1978

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren,

Auftrag Am 31. Januar 1978 haben Sie Ihren 2. Bericht vom 1. November 1977 zur parlamentarischen Initiative über autofreie Sonntage dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet mit der Empfehlung, bei den Kantonen eine Vernehmlassung über die vorgeschlagene Änderung der SVG zur Einführung des autofreien Bettages durchzuführen.

Ergebnis der Vernehmlassung bei den Kantonen Die von der Kommission gewünschte Vernehmlassung hat ein eindeutiges Resultat erbracht. Lediglich 6 Kantone - Uri, Schwyz, Obwalden, Zug, Appenzell I. Rh. und Graubünden - befürworten den autofreien Bettag. Der Kanton Aargau hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die übrigen 18 Kantone lehnen die vorgeschlagene Einführung des autofreien Bettages ab.

Die befürwortenden Kantone schliessen sich im wesentlichen der Argumentation der Kommissionsmehrheit an. Der Bettag solle durch das Fahrverbot aufgewertet, zu einem Tag der Besinnung auf höhere Werte werden und Anstoss geben zum Umdenken über das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Auf diese Weise vermöge er ein Zeichen dafür zu setzen, dass, dem Recht auf Ruhe und Erholung in unserer modernen Gesellschaft eine erhöhte Bedeutung zukomme.

Härtefälle sollen, so die Auffassung der Mehrheit der befürwortenden Kantone, mittels Ausnahmebewilligungen vermieden werden. Bei der Ausarbeitung der Ausnahmeregelung durch den Bundesfat müsse berücksichtigt werden, dass am Bettag erfahrungsgemäss ein vermehrtes Bedürfnis zum Kirchenbesuch (Bewohner abgelegener Siedlungen und Weiler!), für Pilger- und Wallfahrten bestehe.

Eine Kantonsregierung ist der Meinung, dass Leuten, die ihren Lebensunterhalt 1978-458

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ausserhalb des Heimatkantons bestreiten müssen, der Besuch der Familienangehörigen bzw. die Rückfahrt zum Arbeits- oder Schulort ermöglicht werden soll.

Gegen die Einführung des autofreien Bettages sprechen sich mit besonderem Nachdruck die Grenzkantone sowie alle welschen Kantone aus. Zwar wird allgemein anerkannt, dass der Initiative begrüssenswerte, ideelle Motive zugrunde liegen und dass sie eine an sich lobenswerte Aufwertung des Bettages anstrebe. Selbstbesinnung und Einkehr müssten jedoch Ausdruck eines inneren Bedürfnisses des Menschen sein. Mit dem Mittel eines Verbotes und der Beschränkung der persönlichen Freiheit des Einzelnen lasse sich in unserer Gesellschaft ein Umdenken nicht herbeiführen oder gar erzwingen. Solange ein Bürger andere in ihren verfassungsmässig garantierten Rechten sowie in ihren ordentlichen Lebensgewohnheiten nicht beeinträchtige und nicht gegen die guten Sitten verstosse, sei es ihm selbst zu überlassen, wie er den Bettag verbringen wolle. Ein Motorfahrzeugverbot am Bettag sei als unzweckmässiger Eingriff in die persönliche Freiheit abzulehnen. Die Freiheit des Einzelnen dürfe vom Staate nicht mehr beschnitten werden, als dies im wohlverstandenen öffentlichen Interesse erforderlich sei.

Die mit dem autofreien Bettag anvisierten Ziele Hessen sich nach Ansicht mehrerer Kantone gar nicht erreichen. Das Bettagsfahrverbot würde zu vermehrten Verkehrsbewegungen in der Vor- und Nachphase führen und damit die echte Ruhezeit, nämlich die Nachtruhe, stören. Ferner wäre es unabwendbar, eine grosszügige Ausnahmeregelung zu schaffen, deren Vollzug den kantonalen Instanzen aller Stufen (Bewilligungsbehörde, Kontroll-, Rekurs- und Gerichtsinstanzen) einen ausserordentlich grossen Mehraufwand brächte. Dies dürfe den Kantonen nicht zugemutet werden, insbesondere nicht, wenn ein Verbot nicht ausreichend polizeilich motiviert sei.

Die Grenzkantone befürchten für den Verkehr in den Grenzregionen und über die Landesgrenzen Schwierigkeiten. Eine Lösung, mit der die Schweiz in Europa allein dastehe, könne im internationalen Verkehr in der Praxis nur schlecht durchgesetzt werden. U. a. könnten auch Ausnahmegesuche aus dem Ausland von der Polizei nur mangelhaft oder gar nicht überprüft werden.

Zu einer Ausnahmeregelung für den Besuch des Comptoir in Lausanne oder einer Verlegung des
Eidgenössischen Bettages auf ein anderes Datum nehmen die Kantone, die ein Fahrverbot befürworten, nicht Stellung. Die ablehnenden Kantone sprechen sich, soweit sie sich dazu äussern, auch gegen die von der Kommission angetönten Sonderlösungen aus. So bemerkt ein Kanton : «Müsse für innere Einkehr ist eine der traditionellen Voraussetzungen für die würdige Begehung des Eidgenössischen Bettages. Sonderbar mutet aber in diesem Zusammenhang an, dass die Kommissionsmehrheit anscheinend bereit wäre, für das Comptior Suisse in Lausanne nach einer Ausnahmeregelung zu suchen, weil der Bettag stets auf das mittlere Wochenende dieser Ausstellung fällt. Das Argument der Kommissionsmehrheit und der -minderheit, dass an diesem Tage viele Deutschschweizer nach Lausanne reisen und eine Beeinträchtigung eines solchen Tages schweizerischer Begegnung daher vermieden werden sollte, passt schlecht zur Absicht der Kommissionsmehrheit, dem Einzelnen die Stille und die Chance der Besinnlichkeit zu verschaffen. Reise und Besichtigung einer Ausstellung sind mit vielen äusserlichen Umtrieben und Ablenkungen verbunden. Daran ändert auch nicht viel,

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wenn die Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternommen wird. Bedenklich scheint uns:auch die Überlegung der Kommissionsmehrheit, den Eidgenössischen Bettag eventuell wegen des Comptoir auf einen andern Termin zu verlegen. Offen bleibt, ob alle Kantone bereit sind, aus Rücksicht auf nationale oder regionale Veranstaltungen auf ein solches Ansinnen einzugehen.» Sollte aber der autofreie Bettag eingeführt werden, wäre es nach Ansicht eines Kantons unerlässlich, auch den Verkehr mit Motorfahrrädern zu verbieten. Artikel 2 Absatz 2 SVG in der Fassung der nationalrätlichen Kommission vom I.November 1977 spricht nämlich nur von Motorfahrzeugen, zu denen die Motorfahrräder nach der Terminologie des Strassenverkehrsrechtes nicht gehören.

Stellungnahme des Bundesrates Der Gedanke, den Eidgenössischen Bettag durch ein allgemeines MotorfahrzeugFahrverbot besinnlicher zu gestalten, verdient ernsthaft geprüft zu werden. Das würdige Begehen dieses Feiertages ist vielen Mitbürgern ein Bedürfnis. Die meisten Kantone haben sich denn auch bemüht, die Voraussetzungen für einen Tag der Einkehr zu schaffen, indem sie die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen, Festen usw. untersagten.

Mit dem Aufkommen des Motorfahrzeugverkehrs ging die äussere Ruhe und Stille am Bettag mehr und mehr verloren. Mit einem Fahrverbot für Motorfahrzeuge könnte der Staat erneut Rahmenbedingungen schaffen, damit dieser eine Tag wieder in äusserer Ruhe und Stille begangen werden kann.

Insbesondere aus diesen Überlegungen bringt der Bundesrat der Idee eines autofreien Bettages grosse Sympathie entgegen, kann sich jedoch angesichts der negativen Haltung der überwiegenden Mehrheit der Kantone nicht zu einer Empfehlung dieser Massnahme entschliessen. Ein autofreier Bettag würde schwerwiegende Vollzugsprobleme aufwerfen; dies insbesondere bei den Westschweizer Kantonen, die den Eidgenössischen Bettag nicht als Tag der Besinnung begehen.

Die Bewohner dieser Kantone empfänden es als stossend und undemokratisch, wenn ihnen die Deutschschweizer durch Mehrheitsbeschluss ausgerechnet für das Wochenende, das sie bis anhin ausgeprägt für Ausflüge benützten, ein Fahrverbot auferlegen würden.

Von der Kommission wurde noch die Frage aufgeworfen, ob bilaterale Abkommen mit Nachbarstaaten die «Verkehrsfreiheit» in dem Sinne gewährleisten, dass daraus ein Anspruch auf jederzeitige Durchfahrt entstehe. In mehreren Abkommen wird tatsächlich bestimmten Personengruppen (z. B. Zoll- und Polizeiorganen, Beamten in offizieller Funktion) oder aber jedermann auf genau bezeichneten Strecken die freie Durchfahrt über schweizerisches Gebiet zugesichert (z. B.

für die Zufahrt zum Flughafen Cointrin oder für die Verbindungsstrecke Lörrach-Weil). Die Verträge sind aber .nicht von so grosser Bedeutung, dass sich, wegen eines Fahrverbotstages pro Jahr, die Frage ihrer Kündigung stellen würde.

Die Einhaltung der Verträge müsste vielmehr durch Ausnahmeregelungen sichergestellt werden. Beim praktischen Vollzug des Fahrverbotes dürften wegen dieser Ausnahmen keine unüberwindbaren Schwierigkeiten auftreten. Immerhin wäre

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noch näher abzuklären, wie die Zufahrten zu den Enklaven Büsingen und Campione ohne allzu grossen Einbruch in das schweizerische Fahrverbot sichergestellt werden könnten.

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ritschard Der Bundeskanzler: Huber

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25.07.1978

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