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B Bricht der

Mehrheit der nationalräthlichen kommission , betreffend Errichtung einer forst- Und landwirtschaftlichen Schule am eidgenossischen Polytechnikum.

(Vom 22. Dezember 1869.)

Tit..

Jahrhunderte lauge wnrde das älteste und allgemeinste vaterländische Gewerbe, der Landbau und die Viehzucht, unbeachtet gelassen. Unbeachtet von den Jüngern derselben , unbeachtet von den Behorden , unbeachtet von der Wissenschaft.

Was der Vater that oder unterließ , das thaten oder unterlassen der Sohn und die Enkel . Sitten , Gebräuche, Gewohnheiten vererbten sieh ohne Schrift von Jahrhuudert zu Jahrhundert , als ob sie in Erz eingegraben wären. Etwelcher Einfiuss lässt sieh nachweisen, wenn etwa ein Familienglied als Reisläufer in die fremde geführt wurde und dort Besseres antraf als am heimischen Herde. Einzig von daher und dann in späterer Zeit durch die franzosische Emigration wurde hie und da eine Verbesserung oder eine nüzliche Neuerung eingesührt. So lässt stch aus Jahrhunderte zurück die Verbesserung und ein .Aufblühen des Obstbaues in verschiedenen Kantonen eonstatiren, welche von der Gegenwart noch an wenigen Orten erreicht ist.

Bis zu .Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts war der Betrieb von Viehzucht und der .Landbau derart , dass man wenig mehr als das Rothige für die Familie an Rahrnng und Kleidung hervorbrachte. Auch hier wieder wirkte nach und nach der Einfluss des Verkehrs mit der

^ Fremde. Fremde Nahrungsmittel und fremde Kleidungsstücke bürgerten sich nach und nach in der bäuerlichen F..milie ein , und eben so viel als sür diese ausgelegt werden mnsste , eben so viel mnsste von landwirtschaftlichen ^ Erzengnissen umgesezt werden. Zuerst war es der Handel mit Vieh, und namentlich Bserde und fette Ochsen, welche der ^Seh...eizer an's Ausland abgeben konnte. Dann folgte, freilieh noch in sehr bescheidenen Quantitäten, Käse und erst in jüngerer Zeit die Butter und die Milch.

Das landwirtschaftliche Gewerbe wurde nicht nur in der Schweiz, .sondern sast in allen Ländern empirisch betrieben und es lässt sich nach^ weisen, dass in sehr vielen Ländern durch irrationellen Betrieb der Laudund ^orstwirthschaft und dadurch herbeigeführte verschlimmerte klimatische Verhältnisse der Landbau gänzlich zerstört wurde. Wir erwähnen hier Rom, einen Theil von Eg^pten, Spanien u. s. w. Jm gegenwärtigen Jahrhundert erst wurden in den meisten Ländern Europas landwirthschaftliche Schulen gegründet, Versuchsanstalten angelegt uu^ für das Ganze eine gewerbsmässige und wissenschastliehe Grundlage begonnen.

England mit seinen ungeteilten Gütern und grossen Reichthümern gieng hierin voran. Die internationalen .Ausstellungen gaben den europäischen .Ländern den ersten Anlass, ihre Kräste und Leistungen messen zu können, und mit Erstannen mnsste die Schweiz auf der ersten Londoner Ausstellung gewahr werden, wie weit die englische Thierzueht in allen Gattungen ihr und allen europäischen Ländern vorangeeilt ist. Wohl mag die günstige Lage und die tausendfachen Verbinduugen zur See durch Ex^ leichterung der Einfuhr uüzlieher Hansthiere und künstlichen Düugers Vieles zu dem Aufschwung der englischen Viehzueht beigetragen haben .

allein die Art und Weise des Betriebs dars ^och nicht ansser Acht ge-

lassen werden. Aber auch Dentschland, Würtemberg, Brenssen, Hessen und die Niederlande waren in mancher Beziehung durch Gründung il.^rer landwirthschastliehen Schnlen vorangerükt und haben seither dnreh die Beobachtungen, welche die Weltausstellungen boten, angespornt, auch

ihre Anstrengungen verdoppelt. Jn Deutschland blüht die Landwirth^

schaft und Viehzucht in ersreulicher Weise. Die Beweise dafür gebe.i uns ^ie schweizerischen Viehmärkte, auf ^denen jährlich für hundert .^ansende von Franken Zuchtvieh aus der Hornviehraee angekauft wird. Es liegt darin wohl der Beweis, dass man in ...i^.sen Ländern die ...^ortheile rationeller Viehzucht erkennt und dass man den Au s w a n d n i c h t s c h e u t und die M i t t e l b e s i z t , dureh schones fremdes Vieh die eigene Zucht zn heben.

Wohl hat auch in der Schweiz ein Zweig der Landwirthschast sieh

mächtig gehoben. die Käseproduktion und der Käsehandel, sür welchen jährlich Millionen von Franken in's Land kommen.

275 Diese grossartige Anssnhr von Käse und Vieh gibt aber dem denkenden Laudwirth und Rationalokonomen Anlass ^u Betrachtungen der ernstesten und wichtigsten Art. An Fleisch und Käse gehen jährlich ungeheure Snmmen Bflauzennährstoff aus dem Laude und es sragt steh, ob und wie dieselben dem Grundkapital wieder ersezt werden^ Es ist wohl dem Laien begreiflich , dass wenn man alle Jahre --Jahrhunderte lang -- von einem Gegenstand Et.^as entnimmt, ohne ihn durch Etwas zu ersehen .

nach und nach eine Verminderung dieses Gegenstandes eintreten muss. Wir gehen lange nicht so weit wie

Liebig mit Ausstellung seiner Stikstosstl.eorie gegangen ist und gestehen

.^erne zu, dass die pflanzen durch die atmosphärische Lust und ihre R^derschläge einen ^rossen Theil ihrer Rährstosfe empsang.n ; aber damit die Lnft solche ^tosfe nur wieder abgeben kann . müssen sie erst daxin vorhanden sei.^. Wenn wir aber annehmen, dass an dem Voxrath von ^la..ze..stofse.., der die atmosphärische ^ust den Bflauzen bietet, eine M^.ge anderer pflanzen T^eil nehmen, welche uns in der Oekonomie keinen ......uzen bringen ; wenn wir in'.... Auge fassen , wie in grossen Städten mit den Kloakeuanswürfen versahren wird , wo dieses kostliche Nahrungsmittel für die Kulturpflanzen rath- und thatlos den Flüssen zugeführt und dem Lande entfremdet wird, so muss man doch den Lehren von Liebig, Stokard und andern wieder Gehör schenken und fragen: kann das aus Jahrhunderte so sortgehe.., ohne dass dem Lande ein allmähliger , unbemerkbar entstehender , aber desshalb ni.ht weniger ungeheurer Rachtheil erwächst^ Jn unseren Augen ^ ist eine solche Wirthschast uiehts anderes als ein System, b.ei welchem das Kapital allmählig

im Zins ausgeht.

Ein solcher Zustand kann nur fortdauern , wenn die Empirie bei dem grossteu Theil ^unsrer Schwerer Bauern fortdauert, wenn sie keine Eingeht und keine Kenntniss erlangt von den wichtigsten .Vorgängen in ^er Ral.ur.

Grnnd und Boden sind der grosste Reiehthum eines Landes, wenn sie rationell bewirthschaftet werden. Die Jndustrie schafft uns Produkte, auf welchen i^n .^andel grosse Summen Geldes verdient und dafür alle Bedürfnisse angeschafft werden konnen.

Aber wenn Jndustrie und Handel in's Stoken gerathen , so kann man die iudustri^llen Vrodukte weder verkaufen , noch sie als Rahrung verzehren.

Doch die nie erschopsliche Muttererde liesert uns, wenn wir ihr die gehorige Ehre erweisen, alles was wir brauchen, Nahrung, Kleiduug , ..Obdach, und macht uns damit vom Auslande unabhängig. So nothwendig aber dem Landbau der Verdienst der Judustrie ist und so vorzüglich diese aus das Gedeihen der Landwirthschast einwirkt, so sehr müssen wir für den Landban eine hervorragend wichtige Stellung in der Gesellschaft beanspruchen.

276 Bisher wurde der grosste Theil der Staatslasten vom Land und seinen Sohnen getragen. Der landwirthsehaftliche Stand liefert die grösste Zahl der gesundesten und kräftigsten Söhne zur Armee.

Wenn das nicht geläugnet werden kann, so ist es gewiss nicht unbescheiden , wenn die Landwirthschaft als das treueste und nüzlichste Glied des Staates zur Mutter Eidgenossenschast Zuflucht nimmt und von ihr nichts sur den Einzelnen, sondern Etwas verlangt, das so sehr zum Rnzen und Frommen der Gesammtheit gereichen soll - . wenn sie eine Stellung in der wissenschaftlichen Gesellschaft verlangt.

Unser Grund und Boden ist durch die unbedingte Theilbarkeit in

so viele kleine Theile gerissen und durch gebirgige Lage so ungünstig gestaltet , dass wir nicht , wie es in England der Fall ist , von. Grossbesiz genügend Vorbild und Anleitung erwarten dürfen. Unsere Theilnng in 22 souveraine Republiken ist ebenfalls ein Hinderniss. Kein Kanton vermag es bei den sonst hoch genng gespannten Anforderungen an seine ökonomischen Kräfte, eine hohere laudwirthschastliche Schnle zu .gründen.

Ein h o h e r e r l a n d w i r t s c h a f t l i c h e r L e h r s t . . h l ist aber .sür die Schweiz ein dringendes Bedürsniss geworden. Seit 15 Jahren haben die verschiedenen landwirthschastlichen Vereine der Schweiz ^ die im Uebrigen jeder seines Weges gegangen sind und keinerlei Gemeinsehast mit einander gepflogen haben, dieses Ziel als dringend erkannt und Gesuche ans Gesuehe au den Bundesrath und die Bundesversammlung gerichtet.

Diese Vereine umfassen in den verschiedenen Kantonen die Autoritäten der schweizerischen Landwirtschaft deutscher und französischer Znnge

und viele. Tausend Mitglieder, die alle den Fortschritt zum Endziel sieh gesezt haben.

Der Umstand, dass jährlich 16 --.24 Sehweizerjüngling^ ihren höhern land.virthsehaftlichen Unterricht im Auslande suchen mnsfen, ist ein schla..

gender Beweis sür die Rothwendigkeit einer schweizerischen , unseren gesellschastlichen sowohl als unseren Eulturverhältnisse^ angepaßten

Anstalt.

Die landwirthschastliche hohere Schule soll nieht nur das Kontingent wissenschaftlich gebildeter Landwirthe sür's praktische Leben liefern. Sie soll uns landwirthsehaftliche Lehrer heranbilden , welche in allen Gauen das Evangelium verkünden von den Geheimnissen der Ratur, von ihren wunderbaren Kräften und ihrer Anwendung.

Aus dem Mnnde dieser gebildeten Lehrer soll der Landwirth kennen lernen und die Fähigkeit erlangen , dass das Erdreich aus verschiedenen Gruudstosfen besteht , und das Verhältniss , in welchem die einzelnen : Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stikstoff, in der Erde und in den Bflauzen vorhanden sind , - an welchen Stoffen diese oder jene Erde

277 reich oder arm und aus welchen Grundstoffen die verschiedenen Eulturpflanzen zusammeugesezt sind. Die Ratur und die chemischen Eigen-

thümlichkeiten der künstlichen und natürlichen Dungmittel und die nothwendige und vortheilhaste Verwahrungs- und Verwendungsart in wissenschastl^cheu Lehrsäzen soll einst von diesen Lehrern dem landwirthschaftliehen Volke wie das Einmaleins eingeprägt werden.

Die wissenschaftliche Lehre soll sich nicht nur aus den Vflanzenban, sie soll sieh aus die Veredlung der landwirthschaftlichen Brodukte in ihrem Haus- und Handelszwek ausdehnen.

Die wissenschaftlichen Grundlagen für Butter- und Käse-Untersuchung ^.id Bereitung, die industrielle und kommerzielle Ver.ver.^hung derselben Bollen Unterrichtsgegenstand werden. Die Grnndsäze der Mechanik, so wie sie aus die landwirthschaftlichen Geräthe un^ Maschinen Bezug haben, landu..irthschastliches Bauwesen. auch das sind Fächer, deren .Lehre weiterer Verbreitung in unserem Volke bedars.

Die Erfahrungen mit Viehzucht , wie sie seit Jahrzehnten in den europäischen Staaten gemacht werden , sie bieten eine wichtige Wissen-

schaft (Hippologie).

Der Anstalt soll ein Versuchsseld zur Versügung steheu, um landwirthschastliche , chemische und ökonomische Versuche anzustellen und Akklimatisatiousversuche zu machen.

Endlich wird Volkswirthsehast.^lehre und Ruralreeht einen Unter-

riehtsgegeustand bilden.

Die Frage, wo diese Anstalt errichtet werdensoll, hat Jhre Eommission in reisliche Erwägung gezogen. Sie findet mit Bundesrath und

Ständerath, dass die laudwirthschastliche Schule am zwekmässigsten mit

der Forstschule in Verbinduug gebracht werde , wenn Kauton und Stadt Zürich analog jene ^pfer zu bringen bereit sind, wie sie bei Gründung des schweizerischen Polytechnikums sich verbindlich gemacht : a. die nöthigen Gebäulichkeiten, h. etwas Gartenland, .

c. ein Versuchsfeld.

Das Gebäude mit einer freien Lichtseite für chemische, mikroskopische und physiologische Untersuchungen.

^ Der Garten in der nächsten Rähe des Gebäudes.

Die ^Gründe für diesen ^iz der Anstalt findet die kommission übereinstimmend mit Bundesrath und Ständerath darin .

a.. dass die Anstalt der Forstschule als Schwesteranstal.t augefügt und die Lehrkräfte und Hülssmittel der einen auch der andern zu Gebote gestellt werden können,

278 h. dass beide Schulen einzelne Fächer gemeinschastlich zu lehren haben , c. weil dieselbe die höchst werthvollen Sammlungen des Bolr^technikums mitbenuzen kann .

d. weil die Ersahrungen, welche man in Deutschland durch Vereiniguug der landwirthschastlichen Schulen mit Hochschulen gemacht hat, den Beweis liefern, dass den Zoglingen der landwirtschaftlichen Schule die Berührung und das Znsammenleben mit den Zoglingen anderer Wissenschaften und die Bexüh.rnng mit wissenschaftlichen Autoritäten anderer Fächer von der hochsten Wichtigkeit und grossem Rnzen sind.

......

A l t e r und V o r b i l d u n g anbelangend, so geht die kommission aueh darin mit Bundesrath und ....Ständerath einig: a. dass das Alter von 17 Jahren erforderlich und

b. die Befähigung derjenigen sür die Ausnahme in^s Bol^techniknm gleich gestellt werde, mit dem weitern Verlangen c. einer durchgemachten praktischen Vorbildung.

Die Eintheilung der erforderlichen Gebäulichkeiten würde umfassen : 1 Souterrain mit Abwartsranm, 1chemischesLaboratorium,^

1 Raum für physiologische und

1 ,, ,, mikroskopische Untersuchungen, 2 ...^äle sür Sammlungen,

4 Horsäle,

2 Zimmer sür Vrosessoren, 2 ..

,, Gehülsen,

Gewächshaus.

Uebex den Kostenpunkt entnehmen .^ir der bundesräthliehen Botschast folgende Zissern : Für Besoldungen der anzustellenden Professoren, Hnlfslehrer, Abwart .e.

.

.

.

.

.

^r. 23,000 Laboratorium und Assistenten .

,, 5,500 Kulturen und Gewächshaus .

.

,, 3,000 Sammlung , Werkzeug und Abwart ,.

3,500 Summa jährlichen Bedürsnifses

^r. 35,000

Richt in Berechnung gezogen sin.^ die Kosten der ersten Einrichtung und Meublirung, sür welche ein Ex^trakredit im betreffenden Budget in Aussicht genommen wird.

279 Gestüzt aus die angebrachten Gründe stellen wir Jhnen einen den.

ständeräthlichen Befehluss etwas ergänzenden Antrag. ^

Bern, den 22. Dezember 1869.

Samens der Mehrheit der nationalräthlichen Eommission : B. Bonary, deutscher Berichterstatter.

^) Begleiche dass Bundesgesez vom 23. Dezember 1869, welchem im Wesentlichen mit dem Antrage der nationalräthlichen Immission übereinstimme. Ges. Slg..

Bd. X. S. 10.

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der

.Minderheit der kommission des Nationalraths, betreffend die Erstellung einer landwirthschaftlichen Schule am eidgenossischen Polytechnikum.

(Vom 22. Dezember 1869.)

Tit.

.

.^

Der Entwurf , welcher Jhnen vom Bundesrath vorgelegt worden ist und der zum Zweke hat, die Forstschule der eidgenossischen polytechnisehen Sehnle in eine landwirthschastliehe und Forst-Sehule umzuwandeln.

und in dieser Weise einen hohern wissenschaftlichen Unterricht für diesen so wichtigen Zweig der menschlichen .Kenntnisse einzuführen, verdient alle Aufmerksamkeit der eidgenofsischen Räthe. Er beruht aus einem weisen

Gedanken des Fortschritts und entspricht tiefgefühlten Bedürfnissen. Di...

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Bericht der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, betreffend Errichtung einer forst- und landwirtschaftlichen Schule am eidgenössischen Polytechnikum. (Vom 22.

Dezember 1869.)

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1870

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19.02.1870

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273-279

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