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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Übertragung der Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn von Ponts nach Chaux-de-Fonds.

(Vom 4. Juni 1895.)

Tit.

Mit Botschaft vom 8. Dezember 1893 (Bundesbl. 1893, V, 543 ff.) hatten wir Ihnen, auf ein bezügliches Gesuch des Staatsrates von Neuen bürg, vom 15. September 1893, unter gewissen Vorbehalten die Übertragung der Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn von P o n t s nach C h a u x - d e - F o n d s , vom 9. April 1883 (E. A. S. VII, 120 ff.), auf den Kanton Neuenburg beantragt, welcher das genannte Unternehmen durch Vertrag vom 7. Juli 1893 käuflich an sich gebracht hatte.

Der unter Ziff. l, litt, b, des Beschlußentwurfes vorgeschlagene Vorbehalt, dahingehend, es habe Art. 2 des Eisenbahnrechnungsgesetzes auch gegenüber dem Kanton Neuenburg Anwendung zu finden, und es sei die Baurechnung des letztern für die Linie Ponts-Chaux-de-Ponds dem Bundesrate zur Genehmigung vorzulegen, wurde vom Neuenburger Staatsrat, dem wir auf Veranlassung der ständerätlichen Eiseubahnkommission Gelegenheit gegeben hatten, sich über den hierseits beantragten Beschlußentwurf zu äußern, auf das nachdrucklichste beanstandet. Der Staatsrat stellte in seinem Antwortschreiben vom 2. Februar 1894 das Gesuch, es möchte auf diese Bedingung verzichtet werden, weil sie die Interessen verletze, deren energische Wahrung Pflicht des

175 , Staatsrates sei, und weil sie diesen verhindere, das vom Großen Rate und ihm der Bahngesellschaft freiwillig gegebene Wort einzulösen. Wenn man wider Erwarten dem Gesuche von Seiten des Bundes nicht glaube entsprechen zu können, so würde der Staatsrat sein Gesuch vom 15. September 1893 zurückziehen, um den Aktionären neue Kaufsvorschläge zu unterbreiten.

· In unserm Berichte an die ständerätliche Eisenbahnkommission, vom 10. April 1894, hielten wir zwar an dem in der Botschaft eingenommenen Standpunkt grundsätzlich fest, beantragten aber, um dem Begehren des Staatsrates, soweit dasselbe uns begründet erschien, in billiger Weise gerecht zu werden, einen Zusatz zu der beanstandeten Ziff. l, litt, b, folgenden Inhalts : ,,im Falle der Bund auf Grund des vom Kanton Neuenburg bezahlten Kaufpreises, unter Zuschlag der spätem Verwendungen für Neuanlagen und Vermehrung des Betriebsmaterials, den Rückkauf durchführen sollte, hat er gegenüber den Gemeinden und den Aktionären der Gesellschaft die nämliche Verpflichtung einzugehen, wie sie der Kanton Neuenburg in Art. 10, Ziff. 2, des notariellen Kaufvertrages vom 7. Juli 1893 übernommen hat."

Diese Modifikation unseres ursprünglichen Antrages, von dem im übrigen auch gegenüber mündlichen Vorstellungen unser Eisenbahndepartement nicht abgehen EU können erklärte, befriedigte indessen den Staatsrat von Neuenburg nicht, vielmehr zog derselbe mit Schreiben vom 29./31. Mai 1894 das unterm 15. September 1893 gestellte Gesuch um Übertragung der Konzession einstweilen zurück, um den beteiligten Gemeinden und frühern Aktionären der Gesellschaft von den hierseits beantragten Vorbehalten Kenntnis zu geben und mit jenen Beteiligten neue Abmachungen zu treffen.

Seither fanden über den Gegenstand zwischen dem Staatsrat und unserem Eisenbahndepartement weitere Verhandlungen statt,die zu einer ' Einigung in dem Sinne führten, daß das Departement zunächst erklärte, gegen die vom Staatsrate gewünschte Festsetzung des Bilanzwertes der Bahn auf den Betrag von Fr. 589,000 (der sich aus dem eigentlichen Kaufpreis von Fr. 189,000 und der kantonalen Subvention von Fr. 400,000 zusammensetzt, also die vom Kanton effektiv ausgelegte Summe darstellt, deren Rückerstattung im Falle des Rückkaufs daher nach Ansicht des Staatsrates nur billig erscheine), so viel an ihm, keine
Einwendungen zu erheben, jedoch unier der Voraussetzung, daß an die Gutheißung dieser Belastung der Baurechnung die Bedingung geknüpft werde, daß mit Bezug auf spätere Auftragungen Art. 3 des Rechnungsgesetzes Regel machen, d. h. solche nur unter den dort angegebenen Voraussetzungen zulässig sein sollen. Ferner erklärte sich das Departe-

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ment einverstanden mit der Ruckvergütung gewisser Ertragsüberschüsse nach Mitgabe des Art. 10, Ziff. 2, des Kaufvertrages, im Sinne des vom Bundesrate im Berichte an die ständerätliche Kommission beantragten, hiervor wiedergegebenen Zusatzes, d. h. also der eventuellen Rückerstattung aus allfälligen Ertragstiberschüssen der von den Gemeinden zur Deckung der Betriebsdeflzite an die Gesellschaft geleisteten Summen und der Aktien Serie A (nicht aber auch der Gemeindesubventionen).

Infolge dieser Zusagen des Departements, mit denen wir unserseits einiggehen, stellte der Staatsrat unterm 12. März 1895 neuerdings das Gesuch um Übertragung der Konzession.

Er setzt dabei voraus, daß der Baukonto auf die Summe von Fr. 589,000 (Kaufspreis Fr. 189,000 und Subvention des Kantons Fr. 400,0003 werde festgesetzt werden und im Falle des Rückkaufes durch den Bund die unter litt, a, c, d und e des Art. 10 des Kaufvertrages angegebenen Summen gemäß den Bestimmungen in Ziff. 2 des genannten Artikels, d. h. wenn die Erträgnisse es erlauben, zurückerstattet würden. Er hält dafür, es sollte demgemäß folgende Bestimmung in den Übertragungsbeschluß aufgenommen werden : ,,Wenn der Bund die Bahn auf Grundlage der erwähnten vom Kanton Neuenburg effektiv bezahlten Summe von Fr. 589,000, unter Zuschlag allfälliger späterer Verwendungen auf Neubauten und Vermehrung des Rollmaterials, zurückkaufen sollte, so wird er gegenüber den Gemeinden und Aktionären die gleichen Verpflichtungen eingehen, wie sie der Kanton Neuenburg in Art. 10 des notarialischen Kaufvertrages übernommen hat.1* Wir halten es in der That für ein Gebot- der Billigkeit, daß dem Kanton gestattet werde, alle diejenigen Summen, welche er zuerst als Subvenient, dann als Käufer und endlich als künftiger Konzessionär effektiv auf die Erstellung, den Erwerb oder allfälligen Ausbau der Linie wirklich aufgewendet hat, auf Baukonto zu bringen, und daß diese ihm bei einem allfälligeu Rückkauf auf Grundlage der Anlagekosten vom Bund vergütet werden ; nur bemerken wir bezüglich der nachträglichen Auftragungen auf Baukonto, daß solche nicht schlechtweg dem Kanton anheimgegeben werden können, sondern diesfalls die analoge Anwendung des Art. 3, AI. l, des Rechnungsgesetzes vorbehalten werden sollte, damit die Kosten für Ergänzungs- und Neuanlagen oder für Anschaffung von
Betriebsmaterial nur dann den Aktiven der Bilanz beigefügt werden, wenn dadurch eine Vermehrung oder wesentliche Verbesserung der bestehenden Anlagen im Interesse des Betriebs erzielt wird.

177 Es erscheint im fernem auch angemessen, daß der Bund gegenüber den Gemeinden und den Privataktionären der frühem Gesellschaft (Aktienserie A} die nämliche Verpflichtung übernimmt, wie dies seitens des Kantons in Art. 10, Ziff. 2, des Kaufvertrages geschieht, nämlich : wenn und soweit allfällige Ertragsüberschüsse es erlauben, d. h. nach Bezahlung aller Betriebskosten und Anleihenszinse, Speisung des Reservefonds, Deckung der Amortisationsquoten und Zinsen nicht nur des Kaufpreises, sondern auch der allfälligen Kosten für spätere Vollendungsbauten etc., jene Überschüsse zur Rückerstattung der von den Gemeinden zur Deckung von Betriebsdefiziten an die Gesellschaft gemachten Vorschüsse, sowie zur Heimzahlung der Aktien der Serie A (Fr. 57,000) zu verwenden.

In dieser Beziehung und bezüglich der Festsetzung des Baukonto gehen wir mit dem Staatsrate von Neuenburg einig. Eine Differenz besteht bloß noch in folgendem Punkt.

Der Staatsrat verlangt nämlich, daß der Bund die weitere Verpflichtung übernehme, aus allfälligen Ertrngsüberschüssen auch noch die S u b v e n t i o n e n der Gemeinden Ponts de Martel, Chaux deFonds und Sagne, mit zusammen Fr. 203,000, zurückzuzahlen.

Wir bemerken dem gegenüber vor allem, daß der Eanton selbst zu dieser weitergehenden Verpflichtung im Kaufvertrage sich nur in der Weise herbeigelassen hat, daß er bei V e r k a u f der L i n i e an D r i t t e o d e r an den B u n d einen allfälligen Aktivüberschuß verhältnismäßig den Subventionen der Gemeinden zu gute kommen zu lassen versprach, diese Verpflichtung also keineswegs zu eigenen Lasten, sondern auf Kosten eines allfälligen dritten Käufers, speciell des Bundes übernommen hat. Es ist nun nicht einzusehen, aus welchem Grunde der Bund, gegen sein Interesse, eine weitergehende Last als der Kanton auf sich-nehmen, zu Gunsten der Subventionsgemeinden mehr leisten sollte, als der Kanton glaubte leisten zu sollen. Ein solches ausnahmsweises Entgegenkommen gegenüber den eine Bahn subventionierenden Gemeinden könnte in der Folge speciell beim Rückkauf sehr unliebsame und finanziell weittragende Konsequenzen für den Bund haben. Wir beantragen Ihnen daher, eine Verpflichtung in diesem Umfange nicht einzugehen, sondern sie auf den Fall des Art. 10, Ziff. 2, des Kaufvertrages, in gleicher Weise wie der Kanton seiaerseits es zu
thun für gut fand, zu beschränken.

Wir wollen indessen nicht unerwähnt lassen, daß, abgesehen davon, daß der Rückkauf dieser Linie durch den Bund wenig wahrscheinlich ist, auch dann der Fall kaum je eintreten dürfte, daß Überschüsse in einem Maß sich beim Betrieb ergeben könnten, die eine Leistung im gewünschten Sinne erlaubten. Aus diesem Grunde

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liefe der Bund faktisch kein großes Risiko, auch wenn er dem Begehren des Staatsrates entsprechen würde. Überdies würde es sich ja auch nur um Verzicht auf eigene Fruktifizierung eines allfälligen Ertrags Ü b e r s c h u s s e s nach Deckung aller Betriebskosten und Verzinsung des Anlagekapitals handeln.

Aus prinzipiellen Gründen möchten wir aber die Ablehnung der Zumutung befürworten.

Indem wir Ihnen, Tit., den nachstehenden Beschlussesentwurf zur Genehmigung empfehlen, benutzen wir auch diesen Anlaß zur wiederholten Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 4. Juni 1895.

f Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

179 (Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

Übertragung der Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn von Ponts nach Chaux-de-Fonds.

a

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. einer Eingabe des Staatsrates des Kantons Neuenburg vom 12. März 1895; 2. einer Botschaft des Bundesrates vom 4. Juni 1895, beschließt:

1. Die einem Gründungskomitee erteilte und später auf eine Aktiengesellschaft übergegangene Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn von Ponts nach Chaux-de-Fonds, vom 9. April 1883 (E. A. S. VII, 120 ff.), wird unter nachstehenden Vorbehalten auf den Kanton Neuenburg übertragen : a. der von der Gesellschaft geäuffnete, vom Kanton übernommene Reservefonds ist aufrecht zu erhalten und durch regelmäßige jährliche Einlagen in der durch Art. 12 der Statuten der Aktiengesellschaft festgesetzten Höhe weiter zu speisen ; b. Art. 2 des Eisenbahnrechnungsgesetzes findet gegenüber dem Kanton Neuenburg Anwendung in dem Sinne, daß in die neue vom Kanton aufzustellende und dem Bundesrate zur Genehmigung vorzulegende Baurechnung für die Linie nur die effektiv vom Kanton auf den Erwerb und die Erstellung derselben verwendeten Summen, nämlich der Kaufpreis mit Fr. 189,000 und die von ihm geleistete Subvention von Fr. 400,000, zusammen Fr. 589,000, eingestellt werden dürfen,

180 und für künftige Belastungen dieser Baurechnung sollen die Vorschriften des Art. 3 des Rechnungsgesetzes analoge Anwendung finden. Wenn in der Folge der Bund auf Grund der ,,Anlagekosten", d. h. der in der angegebenen Weise festgestellten Baurechnung, den Rückkauf durchführen sollte, so hat er gegenüber den Gemeinden und den Aktionären der Gesellschaft die nämliche Verpflichtung einzugehen, wie sie der Kanton Neuenburg in Art. 10, Ziff. 2, des notariellen Kaufvertrages vom 7. Juli 1893 übernommen hat; c. betreffend Inbetriebgabe der Linie an die Betriebsgesellschaft des Jura-Neuchâtelois bleibt die Genehmigung der Bundesversammlung vorbehalten.

2. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Korrespondenz zwischen

dem Bundesgerichte und dem Bundesrate, betreffend Kompetenzfragen, in Anwendung des Artikels 194 des Organisationsgesetzes Über die Bundesrechtspflege vom 22. März 1893.

Über die Kompetenz zur Erledigung von Beschwerden fremder Staatsangehöriger, die auf Grund eines von der Schweiz mit ihrem Heimatstaate abgeschlossenen Niederlassungsvertrages die Gleichbehandlung mit den Schweizerbürgern beanspruchen (Art. 175, Ziffer 3, und Art. 189, letzter Absatz, des Organisationsgesetzes).

1.

Schreiben des Bu.nd.esgerich.ts.

Le Tribunal fédéral suisse (IIme section) au haut Conseil fédéral suisse à Berne.

Monsieur le Président, Messieurs les Conseillers, La seconde section du Tribunal fédéral se trouve nantie d'un recours de droit public, au sujet duquel des doutes ont été émis sur sa compétence pour en connaître, et elle s'est décidée à suivre le procédé que lui trace l'article 194 de la loi d'organisation judiciaire, prévoyant en pareille circonstance un échange de vues entre votre haute autorité et la nôtre. Voici ce dont il s'agit:

182 Le gouvernement de Lucerne, confirmant une décision de la commission d'impôt de la commune de Littau, a appliqué à la succursale existant à Rothen de la Société anonyme de filature de Schappe dont le siège est à Lyon une disposition de la loi lucernoise soumettant les filiales de maisons de commerce non domiciliées dans le canton à un traitement exceptionnel.

La Société lyonnaise a recouru au Tribunal fédéral de cette décision qu'elle estimait être intervenue en violation de l'art. 1er du traité d'établissement existant entre la Suisse et la France.

Appelé dans sa séance du 3 courant à connaître de ce recours et examinant d'office sa compétence, le Tribunal s'est divisé sur ce dernier point. D'une part, on a fait observer que, la partie recourante se réclamant du traité du 23 février 1882, l'art. 189 de la loi d'organisation judiciaire était applicable et que dès lors il appartenait au Conseil fédéral seul de statuer. D'autre part, on a estimé que la question à trancher comportait uniquement l'interprétation et l'application des art. 43 et 45 de la constitution fédérale invoqués expressément dans le recours; qu'en d'autres termes 1 e gouvernement de Lucerne ne méconnaissant point que la société recourante était au bénéfice du traité de 1882, il s'agissait seulement de rechercher si une maison suisse, se trouvant dans la situation que créait à la société de filature la décision lucernoise, eût été fondée oui ou non à recourir; une question qui rentrait évidemment dans la compétence du Tribunal fédéral, ainsi que le reconnaissaient du reste les deux parties intéressées. Et, à l'appui de cette manière de voir, on a insisté sur l'inconvénient qu'il y aurait à appeler deux autorités différentes à connaître de recours en définitive identiques, et en faisant dépendre leur compétence de la nationalité des parties.

Veuillez agréer, Monsieur le président et Messieurs les conseillers, l'assurance de notre haute considération.

Au nom de la nme section du Tribunal fédéral suisse: Le Président, J. Broyé.

Le

Greffier,

D' E. de Weiss.

183 2.

Antwort des Bunclesrates.

An das Schweizerische Bundesgericht (II. Abteilung) in Lausanne.

Herr Präsident !

Herren Bundesrichter!

In Beantwortung Ihrer Zuschrift (ohne Datum), die unserer Kanzlei am 14. April d. J. zugekommen ist, beehren wir uns, nachstehende Bemerkungen Ihrer Würdigung zu unterstellen.

18 Die Kompetenz des Bundesrates kann in einem Falle, wo eine Partei zur Rechtfertigung ihrer Besehwerde auf einen von der Schweiz abgeschlossenen internationalen Staatsvertrag sich beruft, nur durch die im letzten Absatz des Art. 189 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege enthaltenen Bestimmung begründet sein. Denn Art. 175 desselben Gesetzes stellt die Regel auf, daß das Bundesgericht als Staatsgerichtshof Beschwerden von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und S t a a t s v e r t r ä g e n zu beurteilen habe. ° Die Bestimmung des Art. 189, letzter Absatz, erscheint demnach als eine Ausnahme von der Regel. Als solche läßt sie auch der Wortlaut auf den ersten Blick erkennen : ,,Endlich sind vom Bundesrate oder von der Bundesversammlung zu behandeln, ,, d i e j e n i g e n B e s t i m m u n g e n der Staatsverträge mit dem Ausland, welche sieh"1 u. s. w. (,,Le Conseil fédéral et l'assemblèe fédérale connaissent enfin des contestations r e l a t i v e s aux d i s p o s i t i o n s des traités avec l'étranger concernant,11 etc.!

Die Bestimmung war mit dem gleichen Wortlaut schon enthalten in Art. 59, Ziff. 10, des Organisationsgesetzes vom 27. Juni 1874 und sie hatte dort denselben Charakter einer Ausnahmebestimmung.

Daß das Gesetz von 1893 in diesem Punkte an dem Kompetenzverhältnisse, wie es durch das 1874er Gesetz geschaffen worden, nichts ändern wollte, ergiebt sich nicht nur aus der Vergleichung des Inhaltes der Artikel 175 und 189 des neuen Gesetzes mit; demjenigen des alten Gesetzes in Art. 59, litt, b und Ziff. 10, sondern auch daraus, daß die Botschaft zum bundesrätliehen Gesetzentwurfe betreffend die Bundesrechtspflege vom 5. April 1892 (Art. 179, Ziff. 7), der in diesem Punkte unverändert in das Gesetz vom 22. März 1893 übergegangen ist, sich damit begnügt, die bezüg-

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liehe Stelle der Botschaft vom 23. Mai 1874 wörtlich anzuführen, unter Beifügung des Satzes : ,,Dieser Gesichtspunkt scheint uns jetzt noch zuzutreffen und die früher vorgenommene Kompetenzausscheidung in allen Punkten, auch bezüglich der Niederlassung, zu rechtfertigen." (_Vergi. Botschaft vom 5. April 1892 in Separatausgabe S. 118 [unten] und 119; Bundesbl. 1892, II, 390/91.)

Im Jahre 1874 wurden Beschwerden betreffend die Rechte der Niedergelassenen (Art. 43, 45 und 47 der Bundesverfassung) der Kompetenz der politischen Bundesbehörden unterstellt. Allein man war so sehr davon überzeugt, daß ohne einen besondern Vorbehalt das Bundesgericht als Staatsgerichtshof für Beschwerden wegen Verletzung von Staatsverträgen auch Anstände betreffend die N i e d e r l a s s u n g von Ausländern zu beurteilen haben würde, daß dem Bundesrate die Kognition hierüber expressis verbis in Ziff. 10 des Art. 59 des 1874er Gesetzes zugewiesen wurde.

Im Jahre 1893 hielt man diese Ausnahme fest, obgleich es nahe gelegen hätte, dem Bundesgericht das ganze Gebiet des Niederlassungsrechtes, beziehe sich dieses auf Inländer oder Ausländer, zu überweisen.

Eine Bestimmung, die so augenfällig den Charakter einer Ausnahme von der Regel, eines Vorbehaltes, trägt, muß notwendig strikte ausgelegt, darf nicht über ihren'Wortlaut ausgedehnt werden.

Dieser Wortlaut aber läßt keine verschiedene Deutung zu: Das Recht der ,, N i e d e r l a s s u n g t t , der ,, F r e i z ü g i g k e i t " , w e n n e s d u r c h e i n e n S t a a t s v e r t r a g b e g r ü n d e t ist, steht unter dem Schutze des Bundesrates, beziehungsweise der Bundesversammlung, gerade so wie die Rechtsstellung der Angehörigen ausländischer Vertragsstaaten in Hinsicht auf die vertraglich festgesetzten Handels- und Zollverhältnisse, Patentgebühren, Militärsteuerleistungen.

Es ist wohl zu bemerken, daß mit Ausnahme der Freizügigkeit und Niederlassung alle die Punkte, in denen der Ausländer seinen Rechtsschutz bei den administrativen (politischen) Bundesbehörden zu suchen hat, auf dem Gebiete der V e r w a l t u n g im engern Sinne liegen, welches in Bezug auf die Inländer den nämlichen Behörden unterstellt ist. Bis 1893 waren dies auch Freizügigkeit und Niederlassung, und darum mußte sich der Gesetzgeber fragen, ob er trotz der Kompetenzveränderung in Ansehung
einschlägiger Beschwerden von Inländern, die Kognition des Bundesrates und der Bundesversammlung aufrechterhalten wolle, wenn es sich um Rechtsansprüche von Ausländern handelt. Er hat es gethan, und weil sich dies unter der neuen Organisation noch weniger als vorher von selbst verstand, in der erläuternden

185 Botschaft hervorgehoben, daß auch bezüglich der N i e d e r l a s s u n g (unter welchen Begriff auch die Freizügigkeit fällt) der alte Rechtszustand fortdauern solle.

Wenn der Gesetzgeber nicht bloß die Niederlassung (Freizügigkeit) als solche, sondern alle Rechtsansprüche im Auge gehabt hätte, die i n f o l g e der Niederlassung im schweizerischen Gebiete dem Bürger eines Vertragsstaates, dessen Angehörige gleich wie die Inländer behandelt werden sollen, zustehen können, so würde er sich der Aufzählung enthalten haben, die in Art. 189, letzter Absatz, sich findet. Denn es würde dann vollkommen genügt haben zu sagen: Vom Bundesrate oder der Bundesversammlung sind zu behandeln : Beschwerden von Angehörigen ausländischer Vertragsstaaten wegen Verletzung der ihnen zugesicherten Gleichbehandlung mit den Inländern.

Wie bereits im Schöße Ihrer h. Behörde angedeutet wurde, wäre die Folge hiervon ein Dualismus der Jurisdiktion, der zu den bedenklichsten Resultaten führen könnte. Über die gleiche Materie (z. B. Doppelbesteuerung) hätte das Bundesgericht zu urteilen, wenn die Sache einen Schweizer angeht, dagegen der Bundesrat, wenn ein Ausländer sich beschwert. Und doch sollen und müssen -- gerade der Rechtsgleichheit wegen -- die anzuwendenden Grundsätze in beiden Fällen die gleichen sein ! Einheit der Jurisdiktion ist hier absolut erforderlich.

Bei der N i e d e r l a s s u n g verhält sich dies anders, indem die Staatsverträge die Bedingungen des Erwerbs, der Verweigerung und des Entzuges dieses Rechts anders festsetzen, als wie sie durch die inländische Gesetzgebung (bei uns durch die Bundesverfassung Art. 45) für die Inländer geordnet sind.

Damit ist unsere Anschauungsweise im vorliegenden Rekursfalle dargelegt.

Die Lyoner Gesellschaft beklagt sich keineswegs über Verweigerung oder Entzug der Niederlassung im Gebiete des Kantons Luzern, sondern darüber, daß sie in Steuersachen einer exceptionellen Behandlung unterworfen werde, einer Behandlung, die der Filiale eines schweizerischen Handels- und Fabrikgeschäftes an ihrem Niederlassungsorte nicht widerfahren würde, und sie erblickt' in dieser von ihr behaupteten Ungleichheit der Behandlung eine Verletzung der zwischen Frankreich und der Schweiz vereinbarten Gleichbehandlung der beidseitigen Staatsangehörigen.

Diese Streitfrage berührt
offensichtlich nicht die Niederlassung, sondern die Rechtsgleichheit, die Gleichheit der Bürger beider Staaten vor dem Gesetze, welche die Staaten sich durch vertragliche Vereinbarung zugesichert haben.

Bundesblatt. 47. Jahrg. Bd. III.

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186 Wir kommen also zum Schlüsse, daß in dem uns vorgelegten Falle die Urteilskompetenz des h. Bundesgerichtes außer allem Zweifel steht.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, Herren Bundesrichter, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 28. Mai 1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

II.

Über das durch Art. 189, zweiter Absatz, in "Verbindung mit Art. 175, Ziffer 3, des Organisationsgesetzes begründete Kompetenzverhältnis zwischen Bundesrat und Bundesgericht in Ansehung von Beschwerden betreffend die Anwendung von Bundesgesetzen.

l.

Schreiben des Bundegerichts.

Lausanne, le 8 mai 1895.

Le Tribunal fédéral suisse (IIme section) au haut Conseil fédéral suisse à Berne.

Monsieur le Président, Messieurs les Conseillers, Nous nous trouvons à nouveau dans le cas de vous entretenir d'une question de compétence qu'a fait surgir un recours de droit

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public basé sur la violation prétendue de la loi fédérale sur la capacité civile. Sous l'empire de l'ancienne organisation, notre compétence en pareille matière ne faisait pas le moindre doute et nombreux ont été les cas dans lesquels il nous a été donné d'en faire usage. La loi 'de l'893 a toutefois apporté une modification importante à Part. 59 de l'ancienne Joi, lequel déterminait d'une manière générale les attributions du tribunal en matière de recours de droit public. Son art. 175 ne parle plus que des droits garantis par la législation fédérale et l'art. 189 renvoyant à l'art. 182 dit en propres termes: ,,Le Conseil fédéral ou l'Assemblée fédérale statueront, en outre, sur les recours concernant l'application des lois constitutionnelles fédérales, pour autant que ces lois elles-mêmes ou la présente loi n'en disposent pas autrement.14 Il semblerait résulter de ces textes que la volonté du législateur a été de restreindre la compétence du Tribunal fédéral et de lui interdire entre autres de connaître de l'application par les pouvoirs cantonaux des dispositions de la loi sur la capacité civile. Nous nous demandons toutefois si telle a bien été l'intention de l'Assemblée fédérale. La loi sur la capacité civile a une importance telle, elle touche à de si graves intérêts qu'il ne nous paraît pas possible que l'on se soit décidé à soustraire son application au contrôle de F autorité' fédérale, et si ce contrôle subsiste, nous ne voyons pas de motifs pour l'attribuer à Fautorité administrative de préférence à l'autorité judiciaire. Et qu'en réalité il n'en a point été ainsi, c'est ce qui nous paraît résulter de l'art. 233 de la loi de 1893, lequel vise les recours dont la connaissance est retirée au Conseil fédéral pour être attribuée au Tribunal fédéral, mais ne prévoit nullement le cas inverse, soit celui où un recours rentrant jusqu'alors dans notre compétence, se trouverait, de par la nouvelle loi, dévolue à votre haute autorité. Peut-être y a-t-il là une lacune dans la loi. Peutêtre aussi TaTt. l'89, 2e alinéa, ne concerne-t-il que les lois fédérales qui viendraient à être promulguées par la suite.

En vous priant de nous donner votre opinion sur les points ci-dessus, nous nous permettons de vous rappeler notre office du 10 avril 1695, et vous renouvelons, etc.

Au nom d« la Hme section du Tribunal fédéral suisse: Le Président,

J. Broyé.

Le Greffier, D' E. de Weiss.

188 2.

Antwort des Bundesrates.

An das Schweizerische Bundesgericht (II. Abteilung) in Lausanne, j Herr Präsident !

Herren Bundesrichter!

Mit Zuschrift vom 8. Mai 1895 legen Sie uns die Frage vor, ob nach unserer Auffassung das Bundesgericht auf Grund der Bestimmungen des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893 wie unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes vom 27. Juni 1874 zur Behandlung von Beschwerden betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über die persönliche Handlungsfähigkeit vom 22. Juoi 1881 als zuständig gelten könne.

Sie bemerken, daß nach Maßgabe des alten Organisationsgesetzes die bundesgerichtliche Kompetenz in dieser Richtung nicht dem mindesten Zweifel ausgesetzt gewesen und sehr häufig zur Anwendung gebracht worden sei, während nunmehr, infolge einer Veränderung des Inhaltes von Artikel 59 des alten Gesetzes (Art. 175 des Gesetzes von 1893) und im Hinblick auf Artikel 189, Absatz 2, des neuen Gesetzes, die Meinung als begründet erscheinen könne, daß Bundesrat und Bundesversammlung a l l e Beschwerden betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze zu erledigen haben, soweit nicht diese Gesetze seibat etwas anderes bestimmen oder sofern es sich nicht um eine eidgenössisches Privatrecht oder Strafrecht betreffende Entscheidung einer Kantonsbehörde handelt, in welch letzterem Falle, zufolge Art. 182 des Organisationsgesetzes, die staatsrechtliche Beschwerde ausgeschlossen und durch Anweisung anderer Rechtsmittel entbehrlich gemacht ist.

Sie drücken indessen gleichzeitig Ihre sehr ernsten Zweifel darüber aus, ob die Bundesversammlung willens gewesen sei, die Handhabung von Gesetzen, die so gewichtige Interessen berühren, wie das Gesetz über die persönliche Handlungsfähigkeit, der bundesbehördlichen und speciell der bundesgerichtlichen Kontrolle zu entziehen, und Sie erblicken in Art. 233 des Organisationsgesetzes von 1893, der nur neue Kompetenzfälle des Bundesgerichtes, aber keine vom Bundesgerichte an den Bundesrat übergehende Kompetenzen vorsieht, den Beweis dafür, daß der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, das Bundesgericht einer ihm bisher verliehenen Kompetenz zu berauben.

189 Vielleicht, fügen Sie bei, besteht im Gesetze eine Lücke; vielleicht auch beschlägt der zweite Absatz von Art. 189 nur die in der Folge zu erlassenden Bundesgesetze.

Der gegenwärtige Anlaß, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, ist uns sehr willkommen, um die von Ihnen aufgeworfene Frage in einläßliche Erörterung zu ziehen; denn es ist uns nicht unbekannt, daß das Organisationsgesetz von 1893 in diesem Punkte einer verschiedenen Auslegung unterworfen wird.

Zur Verdeutlichung unserer Anschauungsweise, die unseres Erachtens mit der Absicht des Gesetzgebers zusammentrifft, müssen wir uns gestatten, auf die Entstehung von Art. 59 des Organisationsgesetzes von 1874 und die Anwendung, welche derselbe in der bundesgerichtlichen Praxis gefunden hat, zurückzugehen.

Wir sind nämlich mit der Auffassung nicht einverstanden, die in einer Reihe von bundesgerichtlichen Judikaten niedergelegt und ex professo in dem Urteile vom 26. Oktober 1883 in Sachen Schärer & Cie. ausgesprochen ist, und die dahin geht, der allegierte Artikel des alten Organisationsgesetzes habe die Kompetenz des Bundesgerichtes als Staatsgerichtshof, nicht nur für die Fälle begründet, wo eigentliche, verfassungsmäßig gewährleistete, Individualrechte in Frage stehen, sondern überall da, wo ein kantonalverfasaungsrechtlieher oder bundesrechtlicher, speciell bundesgesetzlicher, Grundsatz zum rechtliehen Nachteile eines Bürgers verletzt worden ist, mit Ausnahme der im Organisationsgessetze den politischen Bundesbehörden expressis verbis zugewiesenen Administrativsachen und derjenigen Fälle, wo durch das Bundesrecht selbst die staatsrechtliche Beschwerde ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen ist.

Wir glauben nicht, daß durch Art. 59, litt, a, des alten Gesetzes dem Bundesgerichte eine so weitsehende Kompetenz übertragen werden wollte, stellt sich doch dieser Artikel als die Ausführung von Art. 113, Ziff. 3, der Bundesverfassung dar, welche Bestimmung dem Bundesgerichte die Urteilskompetenz betreffend Beschwerden wegen Verletzung der v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n Rechte der Bürger zuteilt. Es geht deshalb nicht an, bei Auslegung des Art. 59, litt, a leg. cit., sich auf den Art. 114 der Bundesverfassung zu berufen, der die Bundesgesetzgebung ermächtigt, ,,noch a n d e r e Fällea, als die in Art. 113 vorgesehenen, in die Kompetenz
des Bundesgerichts zu legen, vielmehr muß für die Bestimmung des staatsrechtlichen Kompetenzgebietes des Buadesgerichtes Art. 102, Ziff. 2, der Bundesverfassung als maßgebend erscheinen, welcher dem Bundosrate die Aufgabe zuteilt, ,,zur Handhabung der Verfassung, der Gesetze und Beschlüsse des Bundes, sowie der eidgenössischen Konkordate von sich aus oder auf eingegangene Beschwerde, so-

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weit die B e u r t e i l u n g s o l c h e r R e k u r s e nicht nach Art. US dem B u n d e s g e r i c h t e ü b e r t r a g e n i s t , die erforderlichen Verfügungen zu treffen".

Mit Unrecht scheint uns ferner das Bundesgericht in dem citierten Urteile auf die bundesrätliche Botschaft zum Organisationsgesetze von 1874 sich berufen zu haben. Die fragliche Botschaft (Bundesbl. 1874, I, S. 1075) sagt ja gegenteils, daß Art. 53 (des bundesrätlichen Entwurfes gleich Art. 59 des Gesetzes) eine nähere Umschreibung von Ziffer 3 des Art. 113 der Bundesverfassung enthalte, und sie beantwortet die Frage, ob auch die in den Ausführungsgesetzen zu der Bundesverfassung festgestellten Rechte der Bürger zu den ,,verfassungsmäßigen" gehören, ,, m i t R ü c k s i c h t auf die vielen B e s t i m m u n g e n der neuen B u n d e s v e r f a s s u n g , w e l c h e e i n e m G e s e t z e rufen", mit Ja. Und weiterhin bemerkt sie: ,,Es scheint uns, die Ausscheidung der Kompetenzen; zwischen Bundesrat und Bundesgericht sollte sich nach den M a t e r i e n bestimmen und nicht nach dem sehr zufälligen Umstände, ob ein Artikel der Bundesverfassung bereits eine bestimmte Vorschrift enthält oder letztere sich erst in dem durch ihn geforderten Bundesgesetze findet."

Freilich leistet die Botschaft selbst im Verlaufe ihrer Darstellung der Meinung Vorschub, als ob das Organisationsgesetz nun sämtliche Kompetenzen des Bundesrates und der Bundesversammlung in Bezug auf die Handhabung der Bundesverfassung und der Bundesgesetze e r s c h ö p f e n d aufzähle und das ganze übrige Gebiet des Bundesrechtes der Aufsicht und Kontrolle des Bundesgerichtes unterstelle; indessen spricht sie andererseits doch stets wieder von den dem Bundesgerichte anheimfallenden ,,Beschwerden über Verletzung v e r f a s s u n g s m ä ß i g e r Rechte" (man vergi. Botschaft a. a. 0.

Seite 10773.

Es dürfte ohne weitläufige Erörterung klar sein, daß mit der vom Bundesgericht 1883 aufgestellten Theorie dem bundesgerichtlichen Kompetenzgebiete Materien zugeschieden würden, die mit ,,.verfassungsmäßigen" Rechten der Bürger überall nichts zu thun, vielmehr einen rein verwaltungsrechtlichen Charakter haben, bei deren Handhabung in der Praxis aber gleichwohl dem Bürger ein Unrecht zugefügt, "in seine Rechtssphäre eingegriffen" werden kann.

Selbstverständlich
haben wir nicht Fälle im Auge, wo durch die rechtswidrige Behandlung eines Bürgers seitens der Behörden ein civilrechtlicher Anspruch desselben erzeugt wird. Solche Fälle können unter den gesetzlichen Voraussetzungen an das Bundesgericht als Civilgerichtshof gezogen werden.

191 Hier haben wir es nur mit dem Gebiete des öffentlichen Rechtes zu thun, und da sagen, wir: Die Praxis hat bewiesen, daß die Kompetenzverhältnisse zwischea den beiden Bundesbehörden weder überall zutreffend noch ausreichend geordnet sind, wenn dem Art. 59 des Organisationsgesetzes von 1874 die vom Bundesgerichte im Jahre 1883 genehmigte Auslegung gegeben wird.

Greifen wir zur Erhärtung unserer Behauptung nur einen Artikel der Bundesverfassung heraus, Art. 38. Derselbe ist in Art. 59 des alten Organisationsgesetzes nicht unter den Bestimmungen der Bundesverfassung genannt, welche Gegenstand von ,,Administrativstreitigkeiten1' werden können ; er sieht zu seiner Ausführung ein Bundesgesetz nicht vor.

Art. 38 (in der Verfassung von 1848 war es Art. 36) verleiht dem Bunde die Münzhoheit und weist ihn an, sämtliche im Münzregale begriffenen Rechte auszuüben. In Ausführung dieses Artikels wurde das Bundesgesetz vom 7. Mai 1850 über das eidgenössische Münzweseu erlassen, das in seinem Artikel 8 u. a. verbietet, Löhnungen in anderen als dea gesetzlichen Münzsorten auszubezahlen.

Wir sind überzeugt, daß, wenn Art. 38 einem Ausführungsgesetze rufen, würde, der Bundesgesetzgeber von 1874 die Beschwerden, welche sich auf die Anwendung desselben beziehen, in Ziff. 8 des Art. 59 des Organisationsgesetzes mit den dort genannten den politischen Bundesbehörden zugewiesen hätte. Denn es ist uns unerfindlich, was für ein Individualrecht des Bürgers hier gewährleistet sein soll.

Nach der Theorie indessen, zufolge welcher die Kompetenzsphäre des Bundesrates und der Bundesversammlung im Organisationsgesetze von 1874 definitiv und abschließend bestimmt ist, wäre anzunehmen, daß auch hier die Jurisdiktion des Bundesgerichtes begründet sei.

Und in der That hat sich das Bundesgericht dieselbe zuerkannt.

(Vgl. Bundesgerichtliche Entscheidungen XIX, 55.)

Am 4. Februar 1893 hat das Bundesgericht in einem Rekursfalle gegenüber einem kantonalgerichtlichen Urteile den Art. 8 des angeführten Bundesgesetzes in seiner erwähnten Bestimmung ausgelegt und das kantonale Urteil aufgehoben. Über die g l e i c h e Frage -- mit anderer thatsächlicher Unterlage -- richtete zu der nämlichen Zeit die Regierung des Kantons Baselstadt das Ersuchen um Wegleitung an den Bundesrat, und der Bandesrat nahm keinen Anstand, dem Ersuchen der
Kantonsregierung zu entsprechen. Allerdings hat er in dem angezogenen Rekursfalle (Bundesgerichtliche Entscheidungen, XIX, 55) dem Bundesgerichte auf Befragen erwidert, er nehme in diesem Falle die Kompetenz der politischen Bundes-

192 behörden a u f G r u n d v o n A r t . 3 1 d e r B u n d e s v e r f a s s u n g nicht in Anspruch, gleichzeitig aber hat er ausdrucklich bemerkt, daß er sich enthalten wolle, die Frage zu erörtern, ob und inwiefern das Bundesgericht zur Behandlung der Sache überhaupt zuständig sei.

Die vom Bundesgericht in Auslegung des alten Gesetzes vorgenommene Feststellung der Kompetenzen muß nach dem Gesagten als nicht durchweg zutreffend erscheinen; sie ist aber auch unzureichend ; namentlich gilt dies in Bezug auf die Ziffer 8 von Avt. 59 leg. cit., die von den Beschwerden über die Anwendung von Bundesgesetzen handelt. Es war ein Irrtum, zu glauben, durch die Aufzählung einiger Verfassungsartikel haben die Materien genau und erschöpfend bezeichnet werden können, über welche Bundesgesetze verwaltungs-, insbesondere polizeirechtlichen Charakters erlassen werden können, deren Handhabung der Kontrolle der politischen Bundesbehörden zu unterstellen ist. Seit 1874 sind mehrere Bundesgesetze erlassen worden, die sich nicht auf einen der in Ziffer 8 des allegierten Art. 59 genannten Artikel der Bundesverfassung beziehen, für deren Beobachtung aber doch der Natur der Sache nach die eidgenössische Verwaltungsbehörde zu wachen hat, eine Aufsicht, die bis jetzt auch thatsächlich durch sie ausgeübt wurde. Wir nennen beispielsweise das Gesetz betreffend Kontrollierung und Garantie des Feingehaltes der Gold- und Silberwaren vom 23. Dezember 1880 "und das Gesetz betreffend den Handel mit Gold- und Sii ber-Abfällen vom 17. Juni 1886. Dies hat die Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines neuen Organisationsgesetzes ausdrücklich hervorgehoben (Bundesbl. 1892, II, 385 [unten] und 386; Separatausgabe S. 113 [unten] und 114) und damit die Fassung des Entwurfes (Art. 179, Ziffer 5 und folgender Absatz) motiviert, wonach die Bezugnahme auf gewisse Verfassungsartikel nicht mehr im Sinne der Beschränkung der Urteilskompetenz des Bundesrates auf jene Bundesgesetze angesehen werden konnte, denen die genannten Artikel zu Grunde liegen. Durch Beschluß des Nationalrates vom 14. Dezember 1892 ist dann an die Stelle von Ziffer 5 des Entwurfes ohne Bezifferung die allgemeine Fassung gesetzt worden, die sich nun in dem zweiten Absätze von Art. 189 des Gesetzes findet.

Von dem Gedanken geleitet, daß die Kompetenzausscheidung zwischen
der richterlichen und den politischen Bundesbehörden auf dem staatsrechtlichen Gebiete ü b e r h a u p t nach Materien zu erfolgen habe und dabei die in den Artikeln 102, Ziffer 2, und 113 der Bundesverfassung festgestellte Grundlage das einzige sichere Kriterium bilden könne, hat der Bundesrat bei der den gesetzgebenden Räten am 20. März 1893 vorgelegten Schlußredaktion des Organisationsgesetzes in Art. 178 sich genau an Art. 175, Ziffer 3

193 (und damit an Art. 113, Ziffer 3, der Bundesverfassung) angeschlossen und die Worte, die sich im Eingang von Art. 175 des bundesrätlichen (Art. 114 des Hafnerschen) Entwurfes fanden: ,, u n d die in A u s f ü h r u n g derselben erlassenen Bundesgesetze weggelassen.

Dadurch hat unseres Erachtens .das Kompetenzgebiet des Bundesgerichtes in Ansehung der Beschwerden von Privaten nicht verkleinert, sondern lediglich unzweideutiger, als es bisher der Fall war, auf diejenigen Besehwerden beschränkt werden wollen, welche ,,verfassungsmäßige" Rechte zur Voraussetzung haben.

Die Artikel 175, Ziffer 3, 178 und 189, Absatz 2, des Gesetzes stehen unter sich in genauer Übereinstimmung und die gegenwärtige Fassung derselben ist vom Bundesrate und den gesetzgebenden Räten mit dem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite beantragt, beziehungsweise angenommen worden. Wo ein v e r f a s s u n g s m ä ß i g e s R e c h t des Bürgers in Frage kommt, da soll mit Ausnahme der in Art. 189, Ziffer l--6, angegebenen Materien und mit Ausnahme des politischen Stimmrechts die K o m p e t e n z des B u n d e s g e r i c h t e s b e g r ü n d e t sein, und zwar auch dann, wenn das Individualrecht nicht in der B u n d e s v e r f a s s u n g selbst, s o n d e r n i n einem B u n d e s g e s e t z e f e s t g e s t e l l t u n d e n t w i c k e l t ist.

Überdies sind a l l e Gerichtsstandsfragen, die sich anläßlich staatsrechtlicher Beschwerden darbieten können, vom Bundesgerichte zu erledigen.

Dagegen soll die Anwendung p r i v a t r e c h t l i c h e r oder s t r a f r e c h t l i c h e r Normen des eidgenössischen Rechtes durch die Kantonsbehörden, namentlich durch die Gerichte, nicht mehr wie bisher (man denke z. B. an Strafurteile in Anwendung des Fabrikgesetzes !) den Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde bilden können, sondern hierfür einzig der Weg der civil- oder strafprozessualischen Weiterziehung angewiesen sein.

Es besteht also nach unserer Anschauungsweise weder eine Lücke im'Gesetze, noch ist der zweite Absatz von Art. 189 nur auf künftige Bundesgesetze zu beziehen; vielmehr muß in jedem konkreten Falle, sofern das Gesetz selbst nicht eine formelle Weisung enthält, wie z. B. das Bundesgesetz betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, untersucht werden, ob die
Verletzung eines verfassungsmäßigen Rechtes des Bürgers den Gegenstand der Beschwerde bilde oder nicht ; bejahenden Falles wird die Sache vom Bundesgerichte zu beurteilen sein, falls nicht eine der oben erwähnten Ausnahmen zutrifft.

194 Wie verhält es sich nun hiernach in Bezug auf die Beurteilung von Beschwerden betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über die persönliche Handlungsfähigkeit?

Wir betrachten die persönliche Handlungsfähigkeit und die politische Stimmberechtigung als die beiden Elemente, welche die Selbständigkeit des Bürgers ausmachen. Ohne sie gäbe es im Staate wohl menschliche Einzelwesen, aber keine das private und öffentliche Leben ordnende und beherrschende Rechtssubjekte. Die persönliche Handlungsfähigkeit ist wie das Stimmrecht ein Individualrecht ersten Ranges, seine Anerkennung durch den Staat eine absolute Notwendigkeit, ja sie bedürfte nicht einmal der ausdrücklichen Erwähnung in der Verfassung des Landes.

Dieses Recht hat bei uns auf Grund von Art 64 der Bundesverfassung seine nähere Feststellung im Bundesgesetze vom 22. Juni 1881 erfahren. Alle Bestimmungen dieses Gesetzes berühren das Recht als solches, anerkennen oder versagen es oder lassen unter gewissen Voraussetzungen den Entzug desselben zu. Jede Anwendung des Gesetzes ist daher einer die persönliche Handlungsfähigkeit des Bürgers direkt betreffenden Verfügung gleichzuachten.

Daraus folgt, daß Beschwerden über die Handhabung dieses Gesetzes sich auf ein verfassungsmäßiges Recht des Bürgers beziehen.

Während nun aber die politische Stimmberechtigung im Organisationsgesetze dem Schutze der politischen Bundesbehörden ausdrücklich unterstellt wurde, ist dies nicht der Fall hinsichtlich der persönlichen Handlungsfähigkeit; es findet daher auf sie die allgemeine Bestimmung Anwendung, wonach die verfassungsmäßigen Individuali-edite der Bürger durch das Bundesgericht zu schützen sind.

Indem wir hoffen, Sie durch unsere Ausführungen von der Richtigkeit unseres Standpunktes überzeugt zu haben, benutzen wir gerne diesen Anlaß, um Ihnen, Herr Präsident, Herren Bundesrichter, neuerdings die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung zu entbieten.

B e r n , den 4. Juni

1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

»-se«

195

Regulativ über

den Sanitätsdienst bei den Sicherheitswachen der Befestigungen am St. Gotthard und hei St. Maurice.

(Vom Bnndesrate genehmigt unterm 28. Mai 1895.)

Art. 1.

Der Sanitätsdienst bei dem Personal der Sicherheitswachen ist den Platzärzten von Airolo, Andermatt und St. Maurice als Civilärzten nach Maßgabe von § 12 der Instruktion über den Platzarztdienst vom 1. März 1889 übertragen, mit folgenden Abänderungen: 1. Alle Bewerber für den Eintritt in die Sicherheitswache sind vor ihrer Annahme nicht nur einer einfachen sanitarischen Eintrittsmusterung, sondera einer genauen ärztlichen Untersuchung auf die körperliche Eignung zu diesem Dienst zu unterwerfen, specïell mit Rücksicht auf Lungen-, Herz-, Verdauungs- oder Nierenleiden, Hernien und Gebrechen der Glieder.

2. Kann diese Untersuchung nicht durch den Platzarzt des betreffenden Festungsrayons vorgenommen werden, so ist sie dem Bezirksarzt des Wohnortes des Bewerbers oder dem Platzarzt des Hauptortes oder eines Waffenplatzes des betreffenden Kantons zu übertragen auf Kosten des Kredites für Krankenpflege der Wachmannschaft.

196 3. Mannschaften, welche an schweren oder langwierigen Krankheiten und Verletzungsfolgen leiden, sind baldmöglichst mit Krankenpaß in das angewiesene Spital zu bringen; für leichtere Fälle kann die Behandlungsfrist von 4 Tagen nach § 154 des Dienstreglements überschritten werden, aber ohne Ermächtigung des Oberfeldarztes nicht über eine Woche hinaus.

4. Statt erst am Ende des Dienstes hat der Arzt auf den 1. jedes Monats dem Oberfeldarzt das Krankenverzeichnis (Form. S. 3) des abgelaufenen Monats (von früher Verbliebenen und Zuwachs) gehörig bereinigt in Abschrift einzusenden nebst seiner Rechnung (wenn er nicht flx besoldet ist) und der Arzneirechnung (Platzarztinstruktion § 12, 6 a--c).

5. Über Evakuierte oder schwere Fälle, deren Evakuierung nicht möglich war, hat der Arzt dem Oberfeldarzt sofort einen Specialbericht (Form. S. 11) einzusenden.

Art. 2.

1. Während der Krankheitsdauer bezieht die Sicherheitsmannschaft die im Regulativ betreffend Anstellung, Entlassung etc. vom 12. Oktober 1894 vorgesehene Minimalbesoldung, dem Grad und Dienstrang jedes Einzelnen entsprechend; bei Spitalverpflegung abzüglich der Verpflegungsentschädigung von Fr. l (Regulativ vom 12. Oktober 1894 Z. 12), welcher Abzug auch für das Furkapersonal gilt.

Der Bund trägt überdies die Kosten der Reise ins Spital.

2. Die Besoldung wird auch an die Spitalgänger durch die Festungsverwaltung auf Kredit Bewachung, Rubrik ,,Spitalpflege", auf Grund der Krankenpässe ausgerichtet.

3. Die Krankenpässe der zurückgekehrten Spitalgänger gehen nach der Soldzahlung an den Arzt und von diesem an den Oberfeldarzt als Beilagen zum nächsten Krankenverzeichnis.

197

4. Die Spitalrechnungen werden vom Oberfeldarzt auf Rechnung des Kredites für Bewachung, Rubrik ,,Spitalpflegett, zur Bezahlung visiert.

Art. 3.

Das Sicherheitspersonal nimmt an der Unfallentschädigung teil nach Maßgabe der Vorschriften vom 24. Januar 1895, Art. 3, Ziffer l und 2, nicht aber von Ziffer 3.

Art. 4.

Ein Fortwächter, welcher während seines Spitalaufenthaltes aus der Fortwache entlassen wird, behält die Berechtigung auf freie Spitalverpflegung und Besoldung nach Maßgabe des Art. 2 bis zu dem Zeitpunkt, da er als arbeitsfähig oder als entschädigungaberechtigter Invalide aus dem Spital entlassen wird.

B e r n , den 15./28. Mai 1895.

Schweiz. Militärdepartement.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Übertragung der Konzession einer schmalspurigen Eisenbahn von Ponts nach Chaux-de-Fonds. (Vom 4.

Juni 1895.)

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Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1895

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

24

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.06.1895

Date Data Seite

174-197

Page Pagina Ref. No

10 017 068

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