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Schweizerisches Bundesblatt

XXII. Saljtgang. KI.

Nt. 50.

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26. Noüemkr 1870.

SB erich t der

schweizerischen Gesandtschaft in Paris an ben Bundesrath, betreffend die dortigen Verhältnisse und die heimbeförderung der Schweizer mit Rüksicht auf ben Kriegszustand.

(Vom

6. Oktober 1870.)

Tit. ! · -Hm 25. August abhin liefe ©eneral ..Etoehu, ©ouverneur .00« Baris, einen Beschluss anschlagen, des JnhaUS: ,,Jedes von Eïistenjmitteln entblösste Jndividuum, dessen Anwesenheit in Baris gefahrdrohend sût bie öffentliche .Ordnung ober die (Sicherheit der Bersonen und des eigenthums ist, ober das sich solchen Manövern hingibt, welche geeignet sind, die für die ..Bertheidigung und die allgemeine «Sicherheit ·5« tressenben Massnahmen zu hemmen oder abäufchwachen, -- sott aus der Hauptstadt ausgewiesen werden." -- (Journal officiel vom 26. August Rr. 234.)

.Diese ©chlussnahme der 'Militärbehörde fand .Anwendung aus jede von @£tsienjmitteln enttlösste Berson ohne Unterschieb der Nationalität, und traf bie Franjofen etenjo wie die°@,.hweiäex und bie andern Auslänber.

©ie schweijerischen ©esellsi-hasten in Baris waren bereits seit mehrern Wochen in sehr ausgedehntem Masse in Anspruch genommen, und sahen ihre fassen beinahe leer. Von der .Schweijerkolonie war eine gxo'ße Au5ahì von Bersonen abwesend, was mich verhinberte, an ihre milbthätige Mitwirkung 511 appell.ren. ®a ein sormlieher Ausweisungsieschfuss gegen'die mittellosen Berjonen erlassen war, so schien mir eine Bunbegblatt. Sahrg XXII. SBd.UI.

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570 Dazwischenkunst des Staates unausweichlich, für die Schweiz wie f....^ andere Länder , und so glaubte ich denn , gleich nach dem Erseheinen der Proklamation des Generals Troehn an Sie das Begehren um .ein.en .Kredit von^ 2000 Franken .stellen zu sollen. Folgenden Tags zeigte sich aber die Anzahl der dürstigen Schweizer aus meiner Kanzlei so. beträchtlich, dass ich mich genöthigt sah, einen zweiten Kredit von mindestens 4000 Franken von Jhnen zu verlangen.

...^ie waren dann so gefall^ , mir einen unbeschränkten Kredit beim C.redit Lyonnais in Baris zu erossnen.

Das Dekret des Generals Trochn konnte zu keiner Reklamation von meiner Seite Veranlassung geben , da es auch Anwendung fand auf die Franzosen und die übrigen Ausländer, und überhaupt den gegenwärtigen formen des internationalen Rechts nicht zuwiderlies.

Es kann daher der gegenwärtig^ Berieht nur Bezug haben aus die .

Ausführung der zur Erleichterung der Heimkehr unserer .Landslente getroffenen Massnahmen, und auf die Verwendung der zu meiner Ver-

fügung gestellten Geldmittel.

Der erste Bunkt war die Anstrebung einer Vereinbarung mit den verschiedenen Eisenbahngesellschasten zur Erlangung einer Reduktion der Transportkosten der Auswanderer.

Schon seit langer Zeit gewähren die Ostlinie und die Linie Baris.^on^M.^iterranée Fahrbillets zu halber Tax^e zu Gunsten der dürstigen Schweizer, welche im Falle sind, besondere Empsehlungen von Seite unserer Wohlthätigkeitsanstalten .vorzuweisen. Da die Linie Strassburg seit Beginn des Krieges abgeschnitten war und diejenige von Mühlhausen von einen. Augenblike zum andern unterbrochen zu werden drohte, so wandte ich mich vorzugsweise an Hrn. A u d i b e r t , GeneralBetriebsdirektor der Eisenbahn Baris^on. Derselbe stellte sieh mix mit der grossten Bereitwilligkeit zur Verfügung und erliess sofort die erforderlichen Weisungen zur Verabsolgung von Billets von Baris nach Bontarlier zur halben Tax^e.

Als dann später Schwierigkeiten auftauchten in Bezug auf das Bassiren einer .^treke von einigen Kilometern zwischen Bontarlier ....nd der Sehweizergren^e , willigte Herr Audibert seinerseits in die Verabsolgung von Billets zu halbem Breise, ausgestellt in Baris direkte nach Reuenburg , wobei die Gesellschast Baris^on^M^diterranee der westschweizerischen Eisenbahugesellsehast die Ta^e für die Fahrt von Bontaxlier nach Reuenburg zu vergüten hätte. Das Direktionskomite dieser leztern Gesellschaft war ebenfalls so gefällig , dieses Versahreu zu genehmigen. Jn der Raeht vom 13. aus den 14. September wurde die Bahn Baris-L^on^Méditerranée bei Meaux^ abgeschnitten. Jn dieser Voraussieht hatte ich mieh mit der .^rleans^Gesellschast verständigt, .velehe eingewilligt hatte, die Fahrtax^e von Baris nach Saineaise eben-

571 ^alls aus die Hälfte zu reduziren. Von dieser Station aus gewannen unsere ausgewiesenen Landsleute die Schweiz über L^on und Genf, unter Benuzung des Rezes Baris^on, aus welchem auch die Ermässigung aus halbe ..^a^e eingeräumt wurde.

Die Boli^eidirektion des Kantons Reuenburg hatte mir auch wiederholte Verzogerungen signalisirt, . davon herrührend, dass das Gepake der Auswanderer keine besondere Bezeichnung trug. Ungeachtet Zahlreicher Schritte bei Hrn. Audibert und der Direktion des Bahnhoses von Baris , war e.s materiell unmöglich , dieser Reklamation zu entsprechen. Der Bahnhos war so sehr überhäust, dass die Gesellsehast aus die Einregistrirnng des Gepäks der Weisenden verziehten und selbst dessen Transport untersagen musste. Die Waxtsäle boten das Schauspiel vollständiger Desolation. Ungleiche . von allen Rationen und allen Ständen hatten dort ihr Lager aufgeschlagen. die Frauen suchten, aus den von ihnen mitgebrachten Matrazen und Kleidungsstüken zu sehlasen , um sie herum hielten die Männer Wacht, und diese ^amilien nahmen dann in den Waggons die Gegenstände mit sieh, welche in diesem Tumulte und dieser unbeschreiblichen Verwirrung nicht verloren

gingen. Jeh empfahl unsern Landsleuten mogliehst, ihr Gepäk selbst

mit der Asfiche zu versehen .^Auswanderer^ , um bei der Aulnnst in Reuenburg das Aussuchen zu erleichtern, jedoch hat, nach dem was ich vernahm, unr eine kleine Anzahl diese Vorsichtsmassregel ergriffen.

Was die Anzahl Schweizer betrisst, welche Baris verlassen haben, so ist es mir unmöglich . dieselbe an..h nur annähernd anzugeben.

Sobald die ersten Missgeschike der sranzosischen Armee in Baris begannt waren, wurden alle Arbeiten suspendirt. Rachdem von den sranzosisehen Behorden das Basswesen wieder hergestellt war, kamen mehr als 2000 Schweizer herbei , um ihre Bapiere zur Heimkehr oder zur Reise nach England oder Belgien visiren zu lassen. Da jedoch beim Minister des Jnnern Schritte gethan wurden ^ur Erwirkung des .Wegfalls der Bässe, und da in Bezng ans die Schweizer die Rükkehr ^um frühern Stand .^er Dinge erlangt zn werden vermochte, so konnte die Mehrzahl der Bemittelten die Hauptstadt vom 18. August an verlassen , unter Vermeidung der unnüzen Formalität der Visirung. Was unsere dürstigen .Landsleute betrifft, so war deren Auzahl äusserst beträchtlich, .vie.uohl.

viele schweizerische Arbeiter die Hauptstadt verlassen hatten bereits vor dem Dekret über Ausweisung der sogenannten ,,uunüzeu Mäuler".

Die Zahl der verabfolgten Billets zu halbem Breise belauft sieh aus 3417 für die Schweizer. Fügt man ungesähr 7000 Deutsche und 2000 Schweizer hinzu , welche ihre Bässe ohne Jnanspruchnahme von Unterstüznng visiren liessen, so werden ..^.ie sich eine Vorstellung machen konnen von der Thätigkeit und der Energie , welche entsaltet werden musste, um der Situation gewachsen zu sein.

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S^s Wo^en lang, d. h. vom t. August bis 15. September,

h.^ben die beiden Sekretäre meiner Legation , unterstüzt von Hrn. Dr.

^ahn, .Kanzler der bayerischen Legation zu Baris, sowie von einem .Kan^eigehilsen , und während einigen Tagen von zwei gut^ewillten Schweizern , s.^h mit nichts And...rm besehästigen konnen als ntit diesen ..^^n.^^rder^n^n. Abends hatten diese Herren die troz des^ Krieges .sehr ^ahlrei^ Korrespondenzen zu e^pediren. sie haben während dieser ganzen Krifis die Kanzlei nie vor Mitternacht verlassen und meistens

.waren sie noeh dort selbst bis 2 Uhr morgens. Am 31. August z. ....

wurden Geldunterstüz.n.^en verabfolgt an l 053 Bersonen und Abends neun Uhr mussten Ordnungsnummern ausgeteilt werden an 280 Bersonen, ^welche man nicht hatte. zulassen konnen wegen der zu ex^pedirenden dringenden Korrespondenzen.

Es ist jedoch darauf ausmerksam zu machen, daß von den 3417 Schweizern, an welche ..Billets zu halber Tax^e verabfolgt wurden, nur 1036, mit Jnbegrisf der verheirateten Frauenspersonen und der Kinder,.

^eldunterstüzungen erhalten haben. Was dagegen die Badenser und besonders die .Bauern betrifst, so erklärten fast alle , sie seien nicht im Stande, auch .nur die halbe Tax^e ^u bezahlen, und es haben dieselben daher Geldunterstüzungen erhalten. Für diese stellt sich das Verhältniss

fo, dass 5509 Unterstüzte aus 7000 verabsolgte Billets kommen, d. h.

78,70^,. bei den Schweizern ist das Brozentverhältniss nur 21,03.

Die Zahl der dürftigen. Schweizer bleibt aber gleichwohl sehr be-

trächtlieh, und ieh erlaube mir, die Gründe hievon kurz anzuführen.

Gleich beim Beginne des Krieges geriethen die Geschäfte in^s Stoken. Die Geschästsherren (patrons) entließen mehr als die Hälfte ihrer Arbeiter. Einzelne Werkstätten und Magazine wurden sogar ganz geschlossen. ^lls die Nachrichten von den Niederlagen der franzostsehen Armee nach Baris gelangten, verliessen die Fremden die Hauptstadt, die .^asthose leerten sich, und die zahlreichen Schweizer, welche als Kellner in Hotels oder Eases angestellt waren, fanden sich arbeitslos.

Rach und nach dehnte sich die Ausregung gegen die ^Deutschen einigermassen aus alles Fremde aus. Die sranzosischen Arbeiter, deren Arbeit täglich um mehrere Stunden xeduzirt war , verlangten von den Arbeitsgebern die Entlassung der Arbeiter, welche andern Rationen ang^ehorten. Unsere .Landsleute deutscher oder italienischer Zun^e wurden häusig, u.nter der Anklage des Spionirens, von Rationalgarden verhaftet, welche überall ,,preussisehe Agenten^ erblikten. Auf meine Dazwischenkunst hin in Freiheit gesezt, suchten sie umsonst Besehästigung und wurden allerseits zurükgewiesen.

Die Sache stand daher beim Anschlage des Ausweisungsdekrets so : Eine grosse Anzahl jener Schweizer sand sieh bereits seit mehreren Wochen arbeitslos. sie hatten Baris nach jeder Richtung durchstreift,

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ohne sich pl..eiren zu können , und hatten damit ihre Ersparnisse auf^ gezehrt.

Für die Heimbeförderung konnten zwei Systeme befolgt werden..

Jch konnte es machen wie die Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, nämlich jedem Dürstigen ein ...^ratisbillet bis Reuenb.......^ zustellen und später der Eisenbahngesellschast die Hälfte der Ta^.e von Baris nach Reuenburg ....ersten . auf Vorweisung der verabfolgten Billets. Es schien mir ...^er besser, n.h.ht dieses ^lez^ere Versahren einzuschlagen, sondern Billets zu verabsol^en, we.^he nur zu einem halben Blaze berechtigen, mit dem Vorbehalte dagegen, einen G e l d b e i t r a g denjenigen zu ertheilen , welche nicht im Falle sein sollten , die halb.^

T.^e zu befahlen. Jch ^gluk^s..^ mi^ heute zu. d.ieser t^tern ^

Sehlussnahme, wegen der pekuniären Vortheile, welche daraus resultirten.

Es wurden nämlich 3417 ..Billets v^rabsolgt; da die Ta^e eines halben

Blazes Baris^Reuenburg aus 15. 70 per^ops gestellt wurde, so hätten, bei dem Versahren der Gesandschaft der Vereinigten Staaten , die Gesammtkosten steh aus Fr. 53,646. 90 belaufen, während ich bei Be-

folgnng des zweiten Systems nur Fr. 14,616. 50 ausgegeben habe.

Jeder ^Schweizer, dessen Rationalität konstatirt war, erhielt, wenn seine Lage dies nothwendig zu machen schien, den für die Reise von Baris nach Reuenburg erforderlichen Betrag von 15 Fr. Da es jedoch unerlässlich schien, mit der strengsten Sparsamkeit zu verfahren, so wurde diese Reiseunterstüzung vermindert, je nachdem der Reklamant noch über einiges Geld verfügen konnte. Meines Wissens hat keiner unserer Landsleute den Versuch gemacht, mehrmals die Reisennterstüzung anzusprechen, sei es durch mehrmaliges Erseheinen, sei es durch Vorweisung anderer ^tusweissehriften. Eine strenge Kontrole war ausgestellt worden.

Jedes vorgewiesene .^lktenstük wurde mit einem besondexn Timbre gestempelt, damit dasselbe nieht ^wei Mal zum nämlichen Zweke dienen konne. Betrügereien .varen übrigens weit weniger leicht als bei den Deutschen, erstens wegen der besehränktern .Anzahl der Schweizer , und sodann, weil die frequentati on der schweizerischen Hilssgesellsehasten dem Bersonal meiner Legation gestattet, mit vielen von unsern Landsleuten in Verbindung zu treten . . . . . . Die Gesammtzahl dex unterstüzte....

Schweizer belauft sieh aus 1036 und die ausgegebene Summe. auf Fr.

14,616.

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Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung.

Baris, den ... Oktober 1.^70.

Der Minister der schweizerischen Eidgenossenschaft : ^ern.

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Bericht der schweizerischen Gesandtschaft in Paris an den Bundesrath, betreffend die dortigen Verhältnisse und die heimbeförderung der Schweizer mit Rüksicht auf den Kriegszustand. (Vom 6. Oktober 1870.)

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50

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26.11.1870

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569-573

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