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Bundesrathsbeschluss betreffend

den Schulrekurs der Herren G. Th. Misani und Genossen in Brusio.

(Vom 24. Juni 1895.)

Der schweizerische Bundesrat hat in Sachen des Rekurses der Herren G. Th. M i s a n i und Genossen in Brusio gegen einen Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden vom 5. Oktober 1894, betreffend Herstellung konfessioneller Schulen in der Gemeinde Brusio nach Anhörung seines Departements des Innern, und n a c h d e m e r d e n A k t e n f o l g e n d e Thatsachen entnommen: I. In der Gemeinde Brusio, Kantons Graubünden (welche nach der letzten Volkszählung aus 1165 Seelen, worunter 964 Katholiken und 200 Protestanten, besteht), lag die Sorge für das Schulwesen zur Zeit der Entstehung der Bundesverfassung von 1874 in den Händen einer katholischen und einer reformierten Schulkorporation, und zwar in der Weise, daß jede von diesen aus den Erträgnissen eines eigenen Schulfonds und jeweiligen Schulsteuern für die Ausgaben der ihrer Konfession entsprechenden Schule aufkam, -- eine Schulverwaltung, die infolge der neuen Bundesverfassung eine Umgestaltung erfahren mußte.

Im Dezember 1877 erhielt die Gemeinde Brusio vom Erziehungs rat des Kantons Graubünden denn auch ein Cirkular, welches die Einladung enthielt, sie wolle, anstatt den konfessionellen Abtei-

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langen die Besorgung und Verwaltung ihres öffentlichen Schulwesens noch fernerhin zu überlassen, nach Maßgabe der Art 27 und 49, Absatz 4, der Bundesverfassung die Leitung, Aufsicht und Förderung desselben selbst übernehmend Diese Einladung ist im Kreisschreiben selbst in einläßlicher Weise motiviert und erläutert; es wird darin ausgeführt, daß die konfessionellen Abteilungen ihren paritätischen Gemeinden die bisher besorgte Verwaltung des Schulwesens nach allen Richtungen der Verwaltung zu übergeben haben; diese Übergabe habe sich auf alles zu erstrecken, was der öffentlichen Schule zu dienen habe, auf Schullokalitäten, Schulfonds, Schularchiv etc. Anderseits wird der politischen Gemeinde nahe gelegt, daß sie von da an auf ihrem Gebiete für einen genügenden Primarunterricht zu sorgen habe. In Bezug auf letztern Punkt enthält das Kreisschreiben die Bemerkung: ,,Endlich liegt es, namentlich vom pädagogischen Standpunkt aus betrachtet, im hohen Interesse der Schule, daß sämtliche Kinder nicht mehr nach Konfessionen getrennt, sondern zu einer einheitlichen Schule vereinigt werden, welche begreiflicherweise je nach ihrer Anzahl noch in obere, mittlere und untere Schulklassen geteilt werden müßte.tt -- Die Gemeinde Brusio ließ diese Einladung jedoch unbeachtet, so daß sich im Jahre 1886 die Kantonsbehörde zu Zwangsmaßregeln gegen sie veranlaßt sah. Hierauf beschloß die Gemeindeversammlung am 6. Oktober jenes Jahres ein Reglement über die Schul- und die Armenpflege (Regolamento Scuola e Poveri), welches in Bezug auf die Anpassung der Schul Verwaltung an die Forderungen der Bundesverfassung folgende Grundsätze enthält: Die öffentliche Schule ist im Prinzip Sache der politischen Gemeinde. Der Gedanke der Verschmelzung der konfessionellen Schulen wird aufgegeben. Auch die konfessionellen Fonds dieser Schulen verbleiben Eigentum der konfessionellen Korporationen.

Die Gemeindeversammlung wählt einen Schulrat für die ganze Gemeinde.

Der Schulrat verwaltet den Schulfonds; ebenso die konfessionellen Schulfonds. Er besorgt aus den Erträgnissen derselben und, soweit sie nicht ausreichen, aus der Gemeindekasse die Auslagen für das Schulwesen. -- Die reformierte Schulkorporation, mit diesen Grundsätzen nicht zufrieden, legte am 5. April 1887 beim Kleinen Rate von Graubünden gegen das Reglement Beschwerde ein. Der Entscheid darüber erfolgte am 16. Juni 1891 und lautete auf Abweisung der

559 Beschwerdeführerin, mit der Begründung, daß die Gemeinde nach der Verfassung kompetent gewesen sei, das Reglement aufzustellen, und daß dasselbe nichts gegen die Gesetze des Staates Verstoßendes enthalte.

Während des Wartens auf den Entscheid des Kleinen Rates versuchte die reformierte Korporation dem ihr unliebsamen Provisorium ein Ende zu machen, indem sie am 15. Februar 1891 beschloß, ihre reformierte Schule samt ihrem Schulfonds der Gemeinde zu übergeben, unter dem Vorbehalt, daß ihre Kinder in die Gemeindeschule aufgenommen werden.

Der Grund zu diesem Vorgehen lag, wie die Rekurseingabe angiebt, darin, daß die katholische Gemeindeschule, deren Verwaltungsdeficit seit 1886 aus der Gemeindekasse gedeckt wurde, aus drei Abteilungen unter drei Lehrern bestand, und daß die letzte Abteilung, welche die Altersstufe vom 12. bis zum 15. Jahre umfaßte, eine wirkliche Oberschule bildete; während die aufgegebene reformierte Schule die Kinder aller acht Schuljahre unter einem Lehrer vereinigt hatte. Die reformierten Eltern wünschten also ihre Kinder eines gleich guten Schulunterrichtes teilhaftig zu machen, wie ihn die Kinder der katholischen schon auf Gemeinedkosten genossen.

Die Aufnahme der reformierten Kinder in die Schule der katholischen Konfession wurde jedoch durch den Gemeindeschulrat verweigert.

Dies veranlaßte einige reformierte Väter, die Herren R. Nussio und Genossen, im März 1892 an den Kleinen Rat zu rekurrieren.

Dieser gab ihnen Recht, indem er am 9. März 1892 verfügte, ,,daß die streitige Gemeindeschule allen im Schulkreise des Dorfes Brusio wohnenden Kindern offen stehen müsse"1.

Gegen diesen kleinrätlichen Entscheid rekurnerte die Gemeinde Brusio an den Großen Rat und legte dem Kleinen Rate überdies ein neues Schulreglement zur Genehmigung vor. Die Behörde wies dasselbe jedoch zurück und erklärte der Gemeinde, daß sie bei ihrem Entscheide vom 9. März 1892 beharre. Dies brachte letztere dahin, daß sie in ihrer Versammlung vom 17. Juli 1892 beschloß, sich dem Entscheide anzubequemen (adattarsi) und die Rekurserklärung an den Großen Rat zurückzuziehen.

Hierauf wurde in Brusio die einheitliche konfessionslose Schule, auf Beginn des Schuljahres 1892/93 eingeführt, und zwar in der Weise, daß alle Schiller des Hauptfleckens Brusio auf drei Lehrer verteilt wurden.

560 Diese Schule existierte bis zum Frühling 1894. Am 21. April desselben Jahres richtete eine Anzahl Burger an die Gemeinde das Begehren : 1. Es seien die früher im Centrum von Brusio bestandenen drei katholischen Schulklassen, mit drei Lehrern, für die Kinder katholischer Konfession und die reformierte Schulklasse, unter einem Lehrer, für die Kinder protestantischer Konfession, wieder herzustellen.

2. Es sei durch die Gemeindeversammlung eine Schulkommission zu ernennen, welche den Auftrag habe, von den beiden Korporationen (der katholischen und der reformierten) alle Schul- und Armenfonds der ganzen Gemeinde mit den darauf lastenden Verbindlichkeiten zu übernehmen und dieselben nach Mitgabe der Gesetze zu verwalten.

Das Begehren wurde von der Gemeinde in ihrer Versammlung vom 6. Mai 1894 zum Beschlüsse erhoben.

Gegen denselben führten die dermaligen Rekurrenten unterm 26./30. des nämlichen Monats beim Kleinen Rate Beschwerde und stellten folgende Begehren: a. Es werde der kleinrätliche Entscheid vom 7. März 1892 bestätigt, laut welchem die fragliche Gemeindeschule allen im Schulrayon der Dorfschaft Brusio wohnenden schulpflichtigen Kindern, ohne Rücksicht auf die Konfession, offen stehen müsse; d. h. es können die reformierten Schüler die gleichen von den Katholiken besuchten Gemeindeschulen besuchen.

b. Wolle man (eventuell) auf der Wiedereinführung der konfessionellen Schulen bestehen, so dürfe das nur unter der Bedingung erfolgen, daß die konfessionellen Korporationen, ohne die Gemeindekasse zu belasten, von sich aus die Unterhaltung ihrer Schulen besorgen.

c. Es werde demgemäß der Gemeindebeschluß vom 6. Mai 1894, betreffend die Organisation der Schulen in der Dorfschaft Brusio, aufgehoben.

Der Kleine Rat wies diese B e g e h r e n d u r c h Ents c h e i d v o m 5 . O k t o b e r 1894 a b u n d h o b z u r M o t i v i e rung hauptsächlich hervor: 1. Die Kantonsverfassung von Graubünden und die Bundesverfassung schreiben übereinstimmend vor : ,,Die öffentlichen Schulen sollen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können. tt Art. 40 und 41 der erstem sodann erklären das Volksschulwesen als Sache der politischen Gemeinde.

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Die Forderung, daß die Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit sollen besucht werden können, habe zunächst offenbar den Fall im Auge, in welchem eine bestimmte Gemeinde alle ihre schulpflichtigen Kinder, mögen sie dieser oder jener Konfession angehören, zum Besuche einer und derselben Schule verpflichtet, resp.

für alle nur eine Schule offen hält. Da liegt die Notwendigkeit vor, dafür zu sorgen, daß die Schule in einer Weise geleitet und geführt wird, welche keinem Bekenntnis und keiner religiösen Anschauung zu nahe tritt und nach dieser Richtung hin für niemand den Besuch der Schule erschwert.

Das Gleiche muß auch da gelten, wo eine Gemeinde zwar konfessionell getrennte Schulen hat, es aber, wozu sie ja das Recht hat, den Eltern freistellt, ihre Kinder in die eine oder in die andere derselben zu schicken; denn Schulen, welche allen offen stehen, müssen auch allen einschlägigen Anforderungen der Bundes- und Kantonsverfassung entsprechen, da ein freier Besuch sonst faktisch nicht möglich wäre.

Daß eine Gemeinde ü b e r h a u p t das R e c h t hat, konfessionell getrennte Schulen einzurichten und zu unterhalten, und daß dies nicht verfassungswidrig ist, e r s c h e i n t n i c h t f r a g l i c h . Was zunächst die Kantonsverfassung anbelangt, so enthält sie keine gegenteilige Bestimmung, und ist sie bis jetzt nie anders aufgefaßt worden, als daß die konfessionellen Schulen zulässig seien. Solche bestehen denn auch seit jeher, was den Behörden bekannt war und ist. Wären diese Schulen verfassungswidrig, so hätten die kantonalen Behörden von sich aus auf deren Beseitigung drängen müssen, was niemals versucht worden ist.

Ebensowenig k a n n die Uns t a t t h a f t i g k e i t der k onfessionellen Schulen aus der B u n d e s v e r f a s s u n g abgeleitet werden, und es haben dies auch die B u n d e s b e h ö r d e n n i c h t g e t h a n , obwohl sie wissen mußten, daß nicht nur in Graubünden, sondern auch in andern Kantonen konfessionell getrennte Schulen vorkommen. So ist dies z. B. im weitesten Umfange im Kanton St. Gallen der Fall, dessen von der Bundesversammlung genehmigte Verfassung vom 16. November 1890 aber nicht weiter geht, als daß sie den Gemeinden gestattet, Schulverschmelzungen zu beschließen. Dieses Recht haben die
bündnerischen Gemeinden kraft ihrer nach dieser Richtung hin verfassungsmäßig nicht eingeschränkten Souveränität, in gleicher Weise aber auch das Recht, die Schulen konfessionell getrennt zu halten.

562 Es entsteht nun die weitere Frage, ob eine Gemeinde da, wo sie konfessionell getrennte Schulen hält, berechtigt sei, zu verfügen, daß die Kinder nur die für ihre Konfession eingerichtete Schule besuchen dürfen, oder ob eine solche Verfügung der Verfassungsbestimmung, daß die Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können, zuwiderlaufe. A l l g e m e i n b e t r a c h t e t , ist l e t z t e r e s zu v e r n e i n e n , denn wenn den Eltern Anlaß geboten wird, ihre Kinder in eine Schule ihres eigenen Bekenntnisses zu schicken, so können sich dieselben mit Recht nicht über Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit durch die Schuleinrichtung beschweren. Dies festgestellt, kann im allgemeinen auch nicht behauptet werden, daß die Zuweisung der katholischen Kinder in die katholische, der reformierten in die reformierte Schule etc. eine verfassungswidrige sei.

Es kann aber Fälle geben, in denen eintretendes Bedürfnis die Notwendigkeit anzeigt, in eine konfessionelle Schule, auch wenn neben derselben noch diejenige einer andern Konfession besteht, Kinder eines andern religiösen Glaubens aufzunehmen, sofern deren Eltern dies wünschen, woraus sich dann nach dem Gesagten von selbst ergiebt, daß eine solche Schule so gehalten werden muß, daß sie der mehrerwähnten Verfassungsbestimmung betreffend die Glaubens- und Gewissensfreiheit entspricht. Wo und wann ein solches Bedürfnis sich einstellt, dies zu entscheiden ist jeweilen Sache der Gemeinde, eventuell der Staatsbehörden. In concreto ist kein solches Bedürfnis nachgewiesen.

2. In dem Umstände, daß die reformierte Schule im Dorfe Brusio eine Gesamtschule mit nur einem Lehrer, die katholische aber eine nach Jahrgängen getrennte mit mehr als einem Lehrer sein soll, erblicken die Rekurreaten eine Ungleichheit vor dem Gesetze. Eine solche liegt aber nicht vor ; denn die Statthaftigkeit der konfessionellen Schulen zugegeben, richtet sich deren Klasseneinteilung und Lehrbesetzung naturgemäß nach der Anzahl der zu erwartenden Schüler; es ist dies eine Frage der äußern Organisation.

Demgemäß wird denn auch allgemein verfahren. Von allen Schulen aber, seien sie Gesamtschulen oder getrennte, wird seitens des Staates die Erreichung desselben gesetzlich vorgeschriebenen
Lehrzieles verlangt, und der Staat übt durch das Mittel seiner Inspektoren die Kontrolle iïber die Erfüllung dieser Forderung. Sowohl Gesamtais getrennte Schulen genügen dieser Forderung, und wo dies geschieht, kann von einer Verletzung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetze nicht die Rede sein. Wo aber eine Schule dieser Forderung nicht genügt, wird der Kleine

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Bat die betreffende Gemeinde anhalten, dafür zu sorgen, daß es geschieht. Sollte also die reformierte Schule in Brusio daa Lehrziel nicht erreichen, so muß die Gemeinde sich so einrichten, daß sie es thun kann. Dermalen ist die Annahme nicht statthaft, daß die jetzt ins Auge gefaßte Schule ihrer Aufgabe nicht genügen werde.

3. Was das eventuelle Petitum der Rekurrenten anbetrifft, so kann auch dasselbe nicht gehört werden. Die Schule, gleichviel ob konfessionell getrennt oder nicht, ist laut Kaotonsverfassung Sache der politischen Gemeinde, welche für die erforderlichen Mittel zu sorgen hat. Wenn da, wo konfessionelle Schulen bestehen, die betreffenden Korporationen für dieselben Opfer bringen wollen, so mag dies der Sache selbst dienlich sein ; allein kein Gesetz erlaubt dem Kleinen Rate, ihnen dies in entsprechender Entlastung der Gemeinde vorzuschreiben.

G e g e n d i e s e n E n t s c h e i d s t e l l e n die H e r r e n Gr. T h.

M i s a.n i u n d G e n o s s e n für sich und namens der reformierten Schulgenossenschaft in Brusio durch Eingabe vom 15. Dezember verflossenen Jahres d a s B e g e h r e n , d e r B u n d e s r a t w o l l e denselben aufheben und den K l e i n e n Rat des Kantons G r a u b ü n d e n einladen, dafür zu sorgen, daß die k o n f e s s i o n e l l e T r e n n u n g d e r G e m e i n d e s c h u l e i n Brusio a u f g e h o b e n und demgemäß den reformierten Kindern der G e m e i n d e Brusio der Besuch der ö f f e n t l i c h e n Schule gleich den katholischen Kindern gestattet w e r d e.

Zur Begründung bringen die Rekurrenten an: Die Bundesverfassung habe die Primarschule von der kirchlichen Aufsicht losgelöst, sie ausschließlich unter diejenige des Staates gestellt und ihr dadurch einen rein bürgerlichen Charakter aufgedruckt.

Den Ansichten, welche der Kleine Rat in seinem Entscheide vom 5./16. Oktober 1894 ausführe, widerspreche zunächst die Anschauungsweise, welcher der Große Rat des Kantons Graubünden am 3. Juni 1876 gegenüber einem Rekurse gegen die politische Gemeinde Ilanz Ausdruck gegeben habe und die dahin laute: ,,In Erwägung, daß nach Sinn und Geist der Bundesverfassung und einschlägiger Beschlüsse der Bundesversammlung konfessionelle Schulen nur als Privatschulen, aber nicht als öffentliche Schulen bestehen dürfen" u. s. w.

Sodann widerspreche ihnen
die seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung über die Interpretation des Art. 27 entstandene Rekurspraxis der Bundesbehörden. Durch die Entscheide des Bundesrates und der Bundesversammlung ziehe wie ein roter Faden die Auffassung, daß eine öffentliche und gleichzeitig konfessionelle

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Schule mit den Forderungen des Staates unverträglich und daher verfassungswidrig sei. Zur Unterstützung .dieser Behauptung citiert die Rekurseingabe eine Anzahl Entscheide des Bundesrates in Schulrekursangelegenheiten, betreffend : Ilanz (Bundesbl. 1877, II, 59), Dietikon (Bundesbl. 1879, III, 237), die katholische Schule von Basel (Bundesbl. J884, III, 477, und 1885, II, 10), St. Gallen (Bundesb). 1881, II, 89) und Lichtensteig (Bundesbl. 1889,.!, 603).

Aus den Motiven zu diesen Entscheiden, fährt die Eingabe fort, gehe unbestreitbar hervor, daß die Unterhaltung konfessioneller Schulen, d. h. solcher Schulen, die nur den Kindern einer bestimmten Konfession offen stehen, auf Kosten der Gemeinde, den Forderungen des Art. 27 der Bundesverfassung widerspreche und somit unzulässig sei.

Abgesehen von diesem Fehler erweise sich die durch den angefochtenen Entscheid des Kleinen Rates beschlossene Wiedereinführung der konfessionellen Schulen in Brusio als eine große Unbilligkeit gegenüber den reformierten Gemeindegenossen; seit 1886 seien nämlich die Erträgnisse der Schulfonds der katholischen und der reformierten Sehulgenossenscbaft vereinigt, und das Deficit der Schulausgaben von cirka Fr. 1600 werde jährlich aus der Gemeindekasse bezahlt. Diese Basis sei von der katholischen Mehrheit sehr gerne acceptiert worden, da der Fonds der katholischen Schulgenossenschaft relativ bedeutend weniger betrage als derjenige der reformierten Schulgenossenschaft, und die reformierten Gemeindebewohner im Verhältnis ihrer Zahl faktisch für a/a der Schulausgaben aufkommen. Zum Genießen jedoch, d. h. zum Besuche aller Klassen -- auch der Oberklasse der öffentlichen Gemeindeschule -- werden sie nicht zugelassen. Diese Zurücksetzung gestalte sich zu einem Verstoße gegen Art. 50, Absatz 2, der 'Bundesverfassung, welcher Eingriffe kirchlicher Organe in bürgerliche Rechte nicht dulde.

Wollen aber einzelne Katholiken -- die Mehrheit sei es nicht -- anstatt der in den Jahren 1892--1894 bestandenen fusionierten Gemeindeschule eine speciflsch katholische Schule haben, so stehe ihnen der Ausweg offen, eine konfessionelle katholische Privatschule zu errichten und dieselbe aus Privatmitteln zu unterhalten, wie der Entscheid des Großen Rates von Graubünden im Rekurse gegen die Gemeinde Ilanz andeute.

Endlich machen die Rekurrenten
noch eine formelle Aussetzung am Lehrplan für die graubündnerischen Primarschulen, insofern als derselbe, indem er bei dem Abschnitt Religionsunterricht die Aufschriften ,,1. für die reformierten Schulen" und ,,2. für die katholischen Schulen" enthalte, zu der unrichtigen Auffassung Anlaß gebe,

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daß im Kanton Graubünden konfessionell getrennte Schulen zu Recht bestehen. Die Rekurseingabe verlangt daher, daß in jenen Aufschriften das Wort ,,Schulen" ersetzt werde durch das Wort ,,Schüleru.

II. Die A n t w o r t der G e m e i n d e B r u s i o erhebt nach einigen für die Beurteilung der vorliegenden Rechtsfrage unwesentlichen Berichtigungen an der durch die Rekurseingabe gegebenen Darstellung des Historischen des vorliegenden Streites den Vorwurf, daß der Beschwerde gegen den Gemeindebeschluß vom 6. Mai 1894 Motive zu Grunde liegen, die mit der eigentlichen Schulfrage nichts zu thun haben, und sucht hierfür einen Beweis aus dem Doppelpetitum der Besehwerde herzuleiten.

Sodann bringt sie in rechtlicher Beziehung an, ini vorliegenden Streite falle zunächst der dritte Absatz des Art. 27 der Bundesverfassung in Betracht, der vorschreibe, es sollen die öffentlicheu Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.

Die Faasung dieses Lemma könne allerdings zu der Annahme führen, als habe der Gesetzgeber die Absicht gehabt, von vornherein jede öffentliche Schule absolut konfessionslos zu machen ; - d . h. zu statuiren, daß es bloß solche öffentliche Schulen geben dürfe, in welche die Angehörigen aller Bekenntnisse Zutritt haben. Zu dieser Auslegung möchte einer verleitet werden, der bloß Lemma 3 des Art. 27, ganz losgerissen von dem vorangehenden Absatz, ins Auge fasse.

Allein dies sei sicherlich nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen.

Wenn man die beiden auf die öffentlichen Schulen Bezug habenden Abschnitte des Art. 27 der Bundesverfassung in ihrem innern Zusammenhang erfasse, so komme man zu keinem andern Schlüsse, als daß der Gesetzgeber nichts anderes postuliert habe, als datò die Kantone verpflichtet seien, für jedermann ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses öffentliche, unentgeltliche, ihrer Aufgabe durchaus genügende und unter ausschließlich staatliche Leitung gestellte Schulen, beziehungsweise Primarschulen zu eröffnen, jedermann Gelegenheit zu geben, solche Schulen zu besuchen.

Es müssen für die Angehörigen aller Glaubensbekenntnisse öffentliche Primarschulen errichtet werden, und wo höhere öffentliche Schulen bestehen, müssen dieselben ebenfalls so eingerichtet und organisiert sein, daß die
Angehörigen aller Glaubensbekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Gewissens- und Glaubensfreiheit dieselben besuchen können.

Dieser Gedanke liege unbestreitbar im Gesetze; allein es zwinge nichts, darüber hinauszugehen.

· Bundesblatt. 47. Jahrg. Bd. III.

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Wenn die Kantone ihre öffentlichen Schulen so organisieren, daß einem jeden, wes Glaubens er sei, Gelegenheit geboten werde, dieselben ohne Beeinträchtigung seines religiösen Gefühls oder seiner Glaubensfreiheit zu besuchen, so sei dem gesetzgeberischen Gedanken sicherlich ein volles Genüge geleistet. Eine öffentliche Schule, die in zwei Abteilungen zerfalle, in eine für die Protestanten und in eine solche für die Katholiken, sei nun aber eine Schule, die diesen Postulaten voll und ganz entspreche. Sie könne trotz der Trennung nach Konfessionen durchaus ihrem Zwecke im Sinne der Bundesverfassung genügen; sie könne vollkommen unter staatlicher Leitung stehen und jedem Einfluß der katholischen wie der reformierten Geistlichkeit entzogen sein; sie könne unentgeltlich sein und stehe den Angehörigen aller Glaubensbekenntnisse offen.

Der Glaubens- und Gewissensfreiheit geschehe dabei offenbar weniger Eintrag als in einer sogenannten konfessionslosen Schule. Da sie laicisiert sei und nach der Bundesverfassung sein solle, so liege der Fall nicht vor, wo Staatszweck und Zweck der Kirche miteinander in Kojlision kommen oder miteinander verquickt werden könnten.

Die Kirche habe in eine ausschließlich unter staatlicher Leitung stehende Schule nichts drein zu reden, wenn schon die Schule für die beiden Hauptkonfessionen in zwei Abteilungen zerfalle. Niemand könne aber behaupten, daß er nicht in den beiden Abteilungen des gleichen Unterrichts teilhaftig werden könne.

Frage man nun, ob die Unterabteilung der öffentlichen Gemeindeschule von Brusio in zwei nach der Konfession der Schuler getrennte Klassen vor der Forderung des Art. 27, Absatz 3, der Bundesverfassung bestehen könne, so dürfe diese Frage bejaht werden; kein staatliches Prinzip werde durch diese Unterabteilung verletzt; einmal stehe die Schule von Brusio -- und dies sei wohl ein wesentliches Moment -- unter ausschließlich staatlicher Leitung, denn die konfessionellen Unterabteilungen sollen nicht etwa getrennt von konfessionellen Behörden geleitet und verwaltet werden, sondern sie stehen unter dem einheitlichen, konfessionslosen, rein staatlichen Ortsschulrat. Das ,,regolamento11 hebe die Sonderverwaltung sogar der bisherigen konfessionellen Fonds auf, und der Gemeindebeschluß vom 6. Mai 1894 verfüge in seinem zweiten Teil, daß eine von der
Gesamtgemeinde gewählte Kommission die Verschmelzung der Fonds vollziehe. Die nach Konfessionen der Schüler voneinander unterschiedenen Abteilungen der einheitlichen öffentlichen Gemeindeschule von Brusio seien keine konfessionellen Schulen, wie solche beispielsweise im Falle Baselstadt in Frage gekommen seien; trotz ihrer äußerlichen konfessionellen Trennung seien beide laicisiert, und es habe weder die katholische noch die reformierte Geistlichkeit irgend welche Ingerenz auf dieselben.

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Was im weitern die bisherige Rekurspraxis der Bundes- und Kanlonsbehörden über Streitigkeiten, wie die vorliegende, betreffe, sei zunächst zuzugeben, daß der Bundesrat wiederholt die Ansicht ausgesprochen habe, daß der Wortlaut des Art. 27 der Bundesverfassung konfessionelle Schulen nicht zulasse, und daß die Bundesversammlung in ihrer Mehrheit dieser Ansicht beigetreten sei ; allein diese Entscheidungen seien in allen Fällen von den jeweiligen nähern Umständen beeinflußt gewesen. Der Fall aber, in dem der zur Organisation der Gemeindeschule berufene Verwaltungskörper: die politische Gemeinde, die Trennung der öffentlichen Schule in zwei nach Konfessionen geschiedene Unterabteilungen beschlossen gehabt habe, sei noch in keinem Präcedenzfalle zum Entscheid vorgelegen.

Es sei nun oben nachgewiesen worden, daß der Art. 27 der Bundesverfassung sehr wohl dahin ausgelegt werden könne, daß konfessionell getrennte öffentliche Schulen fortexistieren, ja neu eingerichtet werden dürfen. Eine authentische Interpretation des citierten Artikels, die etwa anders lautete, sei nicht vorhanden und könnte nur vom Volk gegeben werden. Durch eine Rekurspraxis der vollziehenden Behörden aber könne positives Recht, d. h. eine authentische Interpretation, nicht geschaffen werden.

Was endlich die Rekurspraxis der kantonalen Behörden von Graubünden anlange, sei dieselbe, wie aus den Akten selbst zu ersehen, sehr schwankend ; je nach der zufälligen Zusammensetzung der Behörden werde so oder anders interpretiert. Demnach lasse sich aus ihr nichts für den Standpunkt der Rekurrenten ableiten.

Brusio habe die Trennung seiner Gemeindeschule in zwei Abteilungen beschlossen im Interesse der Aufrechterhaltung des religiösen Friedens in der Gemeinde. Da durch diese Trennung niemand in seinen Rechten verletzt, noch in seinen Interessen geschädigt werde, habe die Gemeinde geglaubt, sich dieses Mittels bedienen zu sollen. Der konfessionelle Friede in der Gemeinde sei ebensosehr ein staatserhaltendes Moment als die Schule selbst.

III. D e r K l e i n e R a t d e s K a n t o n s G r a u b i l n d e n sucht in seiner A n t w o r t auf die R e k u r s e i n g a b e darzuthun, daß durch das Kreisschreiben des Erziehungsrates von 1877 keineswegs die Verschmelzung konfessionell getrennter Schulen beabsichtigt gewesen sei. Im weitern macht
er geltend, daß derartige Schulen neben Brusio noch manchenorts im Kanton vorhanden seien und angesichts der Autonomie der bündnerischen Gemeinden nicht angetastet werden dürfen. Für das Übrige beruft der Kleine Rat sich auf den Inhalt seines angefochtenen Entscheides vom 5./16. Oktober 1894;

568 in E r w ä g u n g : 1. Nach Art. 189 des Buudesgesetzes vom 22. Märe 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege sind Streitigkeiten über die Anwendung des Art. 27, Absatz 2 und 3, der Bundesverfassung, betreffend das Schulwesen der Kantone, der Beurteilung des Bundesrates und eventuell der Bundesversammlung unterstellt.

Der Bundesrat hat sich daher mit dem vorliegenden Rekurse zu befassen.

2. Die Gemeinde Brusio will nach ihrem Beschluß vom 6. Mai 1894 ihre öffentliche Schule im Dorfe so gestalten, daß für die Kinder katholischer Konfession, welche die Mehrzahl bilden, eine nach den Altersstufen in drei Klassen geteilte Schule unter drei Lehrern und für die geringere Zahl der Kinder protestantischer Konfession eine ungeteilte falle Altersstufen umfassende) Schule unter einem Lehrer eingerichtet und so geleitet werden soll, daß es keinem protestantischen Kinde gestattet wird, den Unterricht irgend einer Klasse katholischer Konfession zu genießen.

Die Rekurrenten erblicken hierin zunächst einen Verstoß gegen den Art. 27, Absatz 3, der Bundesverfassung und ferner, im Hinblick auf die in Brusio obwaltenden besondern Verhältnisse, auch einen solchen gegen den Grundsatz der Gleichheit aller voi- dem Gesetz (Art. 4 B.-V.)- Sie verlangen, gestutzt auf erstem Artikel, Aufhebung des Beschlusses.

Hieraus ergiebt sich als zu beurteilende Streitfrage die : Kann die Gemeinde Brusio und kann überhaupt eine Gemeinde ihre öffentliche Primarschule auf eine für die Kinder verbindliche Weise nach den Konfessionen trennen, ohne sich mit den Vorschriften des Art. 27 der Bundesverfassung in Widerspruch zu setzen?

3. Die Gemeinde Brusio gesteht in ihrer Antwort auf die Rekurseingabe zu, daß schon Rekursentscheide der Bundesbehörden vorhanden seien, welche die konfessionell getrennten öffentlichen Schulen als mit den Forderungen des citierten Artikels unverträglich erklären ; sie findet jedoch, daß die Streitfrage sich den Bundesbehörden noch niemals in der Form präsentiert habe, wie es im vorliegenden Falle geschehe. Die bis jetzt vorgekommenen Rekursstreitigkeiten seien in Bezug auf die rekurrierenden Personen so gestaltet gewesen, daß sich daraus bis zu einem gewissen Grade auch eine Verschiedenheit der Streitfrage ergebe.

Es ist richtig, daß die Streitfrage, ob konfessionell getrennte öffentliche
Schulen vor dem Art. 27 B.-V. bestehen können, bis jetzt stets nur auf die Veranlassung vor die Bundesbehörden gelangt ist, daü derartige Schulen durch Gemeinde- oder Kantonsbehörden

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aufgehoben wurden, wogegen dann beteiligte Klassen von Bürgern rekurrierten. Im vorliegenden Falle ist das Verhältnis von Rekurrenten und Rekursbeklagten umgekehrt: die Gemeinde will die von 1892--1894 bestandene, allen Kindern gemeinsame Schule nach den Konfessionen trennen und die die Minorität bildenden protestantischen Gemeindegenossen sind die Rekurrenten gegen den daherigen Beschluß. Es erscheinen demnach im vorliegenden Streite nur die Rollen der streitenden Parteien gewechselt; die Streitfrage aber ist thatsächlich die gleiche wie in den angedeuteten frühem Rekursfällen und daher schon entschieden.

4. Der Bundesrat hat namentlich in seinem Entscheide über die Beschwerde der katholischen Schulgenossen und des Bischofs von St. Galleu (vom 20. November 1880, Bundesbl. 1881, H, 89) Anlaß genommen, das Verhältnis konfessionell getrennter Schulen zu dem Art. 27 der Bundesverfassung einläßlich darzulegen. Von den hierauf bezüglichen Erörterungen seien hier folgende reproduziert : .,,Wenn eine konfessionelle Schuleinrichtung darin besteht, daß die Familien einer Gemeinde, nach Konfessionen geschieden, danach zu besondern Schulgenossenschaften vereinigt werden, welche ihre eigenen, für die Kinder der betreffenden Konfession bestimmten Schulen halten und besorgen, so kommt eine solche Einrichtung mit den Forderungen des Art. 27 der Bundesverfassung nach verschiedenen Seiten hin in Konflikt.

,, Vorab mit der Forderung der ausschließlich staatlichen Leitung, Denn wenn bei jener Einrichtung die Schulkorporationen auf konfessioneller Grundlage beruhen, die Angehörigkeit an dieselben und die Ausübung der daherigen Rechte und Pflichten an ein bestimmtes Glaubensbekenntnis geknüpft ist und die von der Schulkorporation zur unmittelbaren Leitung ihrer Schule gewählte Schulbehörde nur aus Angehörigen der betreffenden Konfession bestehen kann, so hat die Schule und deren Leitung offenbar nicht den ausschließlich staatlichen, nicht den von religiös-kirchlichen Bedingungen unabhängigen bürgerlichen Charakter, wie die Bundesverfassung ihn bei den öffentlichen Schulen verlangt.

,,Ebensowenig ist bei der konfessionellen Schule die Forderung durchführbar, daß dieselbe jedem Kinde ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses offen stehe. Es ist selbstverständlich, daß der Kanton, die Gemeinde einen Organismus ihrer
Schule aufstellen kann, welcher Sonderung bedingt, und daß es ihnen zusteht, Schüler, welche nach der angenommenen Sonderung nicht in eine bestimmte Schule gehören, von derselben auszuschließen. A b e r d e r G r u n d und die F o r d e r u n g der S o n d e r u n g d a r f nicht das G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e i n , u n d eine ö f f e n t l i c h e Schule

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darf nicht wegen des G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e s einem K i n d e v e r s c h l o s s e n w e r d e n . Die konfessionelle Schule befindet sieh mit dieser Forderung der Bundesverfassung in direktem, unzweideutigem Widerspruch.

,,Wenn es vorkommt, daß die konfessionelle Schule Kinder anderer Konfessionen aufnimmt, so sind dies seltene Ausnahmen.

Und selbst diese Ausnahmen sind thatsäehlich nur möglich durch Mißachtung einer andern Forderung des Art. 27: derjenigen der Unentgeltlichkeit. Wenn die Angehörigen einer Konfession mit eigenen Fonds und eigenen Steuern für ihre besondere konfessionelle Schule aufkommen müssen und darauf die Ökonomie einer Gemeinde beruht, so ist leicht begreiflich, daß, wenn das katholische Kind in dio Schule der protestantischen Genossenschaft, welche einzig diese Schule unterhält, oder umgekehrt, geschickt werden will, die betreffende Genossenschaft eine solche Benutzung ihrer Schule nur gegen ein besonderes Schulgeld zuläßt. Entweder nimmt die konfessionelle Schule kein einer andern Konfession, beziehungsweise Schulgenossenschaft ungehöriges Kind auf, oder wenn sie es aufnimmt, so geschieht es so, daß die Familie des Kindes, welche an ihre konfessionelle Schulgenossenschaft die Schulsteuer entrichtet, für die Benutzung der öffentlichen Schule der andern Konfession, in dieser oder jener Form, ein besonderes Schulgeld entrichtet. Bin anderes Verfahren, namentlich in größerm Maßstabe angewendet, würde den ganzen Organismus zerstören ; aber gerade darin zeigt sich die konstitutionelle Unhaltbarkeit dieser konfessionellen Organisation, daß sie der Forderung der unentgeltlichen Benutzung der Schule auch durch Angehörige einer andern Bonfession nicht gerecht werden kann, ohne sich selbst aufzugeben.

,,Der Art. 27 verlangt endlich, daß die öffentlichen Schulen nicht nur von Angehörigen eines jeden Glaubensbekenntnisses unentgeltlich benutzt, sondern auch ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit benutzt werden können.

,,Wenn nun auf der einen Seite zugegeben werden muß, daß in jeder Schule, wenn der Wille dafür da ist, der Unterricht so gehalten werden kann, daß Kinder jeden Glaubensbekenntnisses denselben ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit benutzen können, so ist a n d e r s e i t s a n z u n e h m e n , d a ß , w e
n n eine S e h u l t r e n n u n g i n einer G e m e i n d e a u s s c h l i e ß lich a u s k o n f e s s i o n e l l e n G r ü n d e n e r f o l g t i s t u n d b e s t e h t , die Absicht jeder. Konfession dabei die ist, die Schule und ihren Unterricht mit ihrem G l a u b e n und Gewissen in b e s o n d e r e V e r b i n d u n g zu b r i n g e n . Wenn dies a b e r stattfindet und je intensiver es stattfindet, destoweniger

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ist zu vermeiden, daß Glauben und Gewissen von Ang e h ö r i g e n a n d e r e r K o n f e s s i o n e n i n dieser S c h u l e beeint r ä c h t i g t w e r d e n . Wird auf die besondere Berücksichtigung des eigenen Glaubensbekenntnisses und was damit zusammenhängt vollkommen verzichtet, so fällt der Grund zur konfessionellen Schultrennung dahin; wo a b e r l e t z t e r e s a u s d r ü c k l i c h v e r l a n g t und festgehalten wird, da muß angenommen werden, daß die konfessionellen Schulgenossenschaften auf die bes o n d e r e V e r b i n d u n g v o n U n t e r r i c h t u n d K o n f e s s i o n eben nicht verzichten wollen. Damit aber wird die konfessionelle Schule eine Schule, die der in Frage stehenden Forderung des Art. 27 der Bundesverfassung nicht entspricht."1 -- Es soll nun nicht behauptet werden, daß den konfessionellen Schulabteilungen von Brusio alle Fehler anhaften würden, welche in oben reproduzierten Ausführungen den konfessionellen Schulen zugesehrieben sind. Der Bundesrat nimmt vielmehr an, daß die Aufstellung einer durch die Gemeindeversammlung zu wählenden Schulkommission, welche alle Schulabteilungen Brusios gemeinsam auf Kosten der Gemeinde zu verwalten habe, ernst gemeint sei; so daß also dann von einer wirklich staatlichen Leitung der Schulen und von Unentgeltlichkeit des Schulbesuches gesprochen werdea kann.

Dies angenommen, haften aber der konfessionellen Schule Brusios immer noch die mit der Bundesverfassung unverträglichen Mängel an, daß sie nach einem unzukömmlichen Sonderungsgrund geteilt ist, uod daß die konfessionellen Abteilungen nicht den Angehörigen eines jeden Glaubensbekenntnisses ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubeos- und Gewissensfreiheit offen stehen.

Es muß des Entschiedensten wiederholt werden, daß der Art. 27 der Bundesverfassung die öffentliche Schule zu einer bürgerlichen Anstalt gestempelt hat, welche die Modulierung nach konfessionellen, d. h. kirchlichen Gesichtspunkten nicht verträgt, da diese nur geeignet sind, ihren Charakter zu alteriereji und die Erreichung ihrer Ziele, zu beeinträchtigen.

5. Der Trennungsbeschluß der Gemeinde Brusio könnte also schon aus diesen Gründen vor dem Rekurs nicht aufrecht erhalten werden. Zu denselben kommt aber noch die erschwerende, durch die Rekurseingabe angedeutete Thatsache, daß die Kinder der protestantischen
Eltern durch die Zuriickversetzung in eine ungeteilte reformierte Schule gegenüber den katholischen in unzulässiger Weise benachteiligt werden. Es ist nämlich in pädagogischen Fachkreisen eine feststehende Erfahrung, daß eine nach Altersstufen geteilte Schule eine ungeteilte -- alle Altersstufen umfassende -- auch

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wenn diese nur eine geringere Kinderzahl hat, in Bezug auf die Ergebnisse des Unterrichts bedeutend überflügelt. Aus diesem Grunde ist es daher leicht begreiflich und darf keineswegs als Rechthaberei ausgelegt werden, wenn einige reformierte Väter in Brusio sehr darauf halten, daß ihre Kinder die dreiklassige Schulabteilung der Katholiken besuchen dürfen. Die reformierten Kinder in Brusio haben Anspruch auf einen qualitativ ebenso guten Schulunterricht, wie er den Kindern katholischer Konfession thatsächlich · geboten wird.

Endlich ist sehr zu bezweifeln, daß, wie die Eingabe der Gemeinde behauptet, die Durchführung des angefochtenen Gremeiudebeschlusses den religiösen Frieden in der Gemeinde sichern würde.

Zunächst würden die protestantischen Gemeindebewohner die Zurückweisung ihrer Kinder in eine qualitativ minderwertige Schule, trotzdem sie gleich hohe oder höhere finanzielle Leistungen an die Schulverwaltung der Gemeinde machen müssen, stets als eine Ungerechtigkeit empfinden. Sodann würde Streit entstehen, sobald es sich darum handelt, Kinder eines andern als der zwei christlichen Bekenntnisse, z. B. Kinder israelitischer Eltern, in eine der konfessionellen Schulen Brusios unterzubringen, eine Notwendigkeit, die leicht und bald eintreten kann, e r k en n t :

Der Rekurs der Herren G. Th. Misani und Genossen iat als begründet erklärt ; demnach wird der Kleine Rat des Kantons Graubünden eingeladen, dafür zu sorgen, daß die konfessionelle Trennung der Gemeindeschule in Brusio aufgehoben wird.

Dieser Entscheid ist den Parteien zu eröffnen.

B e r n , den 24. Juni

1895.

°Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Biiigier.

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Bundesrathsbeschluss betreffend den Schulrekurs der Herren G. Th. Misani und Genossen in Brusio. (Vom 24. Juni 1895.)

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03.07.1895

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