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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 4. März 1912 zur Fortsetzung der ordentlichen Wintersaison zusammengetreten.

Als neue Mitglieder sind erschienen : im N a t i o n a l r a t : Herr Wullschleger, Eugen, Regierungsrat, in Basel.

,, Cattori, Giuseppe, Advokat, in Muralto.

Reymond, Louis, Notar, in Orbe.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident W i l d die Session mit folgenden Worten: Meine Herren Nationalräte !

Ich begrüsse Sie zu der ausserordentlichen Frühjahrssession.

Seit unserer letzten Tagung sind wichtige und einschneidende Tatsachen eingetreten.

Am 1. Januar ist das neue einheitliche Zivilgesetz in Kraft getreten. Ein Volk, ein Recht, ist nun zur Wahrheit geworden.

Einmütig, wie seinerzeit seine Annahme erfolgt ist, werden nun alle Bestrebungen darauf gerichtet sein müssen, das neue Recht in richtigem Geiste in das Leben einzuführen.

Indem das Schweizervolk sich ein selbstgeschaffenes Recht gegeben, hat es auch die Aufgabe übernommen, die mannigfaltigen Keime der Rechtsentwicklung, welche das Zivilgesetz enthält, zur richtigen Entfaltung zu bringen.

Wo den Kantonen Kompetenzen überlassen wurden, mögen sie so angewendet werden, dass berechtigte Eigenart ihren geordneten Ausdruck findet und daraus Bausteine für die Ausgestaltung des vaterländischen Rechts sich ergeben.

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Wo das Gesetz soziale Ausblicke eröffnet, möge deren Verwirklichung nicht zu lange auf sich warten lassen und neue Brücken bilden für das bessere gegenseitige Verständnis und das harmonische Verhältnis der verschiedenen Schichten des Volkes untereinander.

Dem geistigen Schöpfer des Werkes und seinen Mitarbeitern darf auch hier nochmals der Dank des Landes ausgesprochen werden.

Am 4. Februar hat das Schweizervolk mit Mehrheit der Gesetzesvorlage für die Kranken- und Unfallversicherung seine Zustimmung erteilt. Wir glauben nicht irre zu gehen, wenn wir in der Tatsache der Annahme des Gesetzes einen Beweis dafür erblicken, dass das Volk den humanen, sozialen Gedanken seiner Durchführung entgegenführen wollte. Waren auch die Meinungen über den Weg, den der Gesetzgeber eingeschlagen, in weiten Kreisen geteilt, so überwog doch der Wille zur Tat die Zweifel.

Sicher sind auch unter den Verwerfenden diejenigen in der Mehrzahl, welche einen entschiedenen Fortschritt auf diesem Gebiet nicht grundsätzlich ablehnen. Sie werden sich zu denen gesellen, die nun in bedeutungsvoller Arbeit die neuen Institutionen in das Leben zu setzen haben. Allseits wird hierbei das Bewusssein herrschen, dass der humane Wille des Volkes in einer Art seine Ausführung finden müsse, welche frei bleibt von unnötigen Komplikationen.

Insbesondere darf erwartet werden, dass der im Gesetze gerufenen, wenn auch nicht direkt organisierten Verallgemeinerung der Krankenfürsorge die Wege gebahnt werden, damit die der Hülfe am meisten Bedürftigen nicht auf die Dauer vom Genüsse der reichen Mittel ausgeschlossen bleiben, welche der Bund der Krankenversicherung widmet.

Seit der letzten Session hat der Tod dem Rate zwei Mitglieder entrissen. Der Alterspräsident, der noch in der Dezembersession mit soviel Würde und Wärme seines ehrwürdigen Amtes waltete, Herr Jakob Abegg, von Küsnacht, und sein zürcherischer Kollege Herr Weber-Honegger, der eben erst in den Rat eingetreten war, sind dahingeschieden.

Herr Jakob Abegg, von Küsnacht, geboren 1832, vertrat seinen Wahlkreis seit 1887. Er bat volle 25 Jahre dem Rate angehört. Von Beruf Industrieller und als solcher einsichtiger und entschiedener Verfechter der Interessen der Industrie im Schosse des Rates, hat er doch stets in inniger Berührung mit den land-

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wirtschaftlichen Kreisen seiner Landesgegend gelebt und auch deren Anliegen und Anschauungen verstanden und zur Geltung zu bringen gewusst.

Nachdem er geraume Zeit in der Seidenindustrie geschäftlich tätig gewesen, zog er sich zurück, um als Privatmann um so mehr sich öffentlichen und gemeinnützigen Unternehmungen widmen zu können. Mit grosser Liebe arbeitete er im Erziehungswesen, als Mitglied der obersten Erziehungsbehörde seines Heimatkantons und als Begründer und langjähriger Präsident der sä reich entwickelten Seidenwebschule in Zürich.

Seine politische Wirksamkeit vollzog sich im Sinne entschiedenen Fortschrittes. Voll warmen und opferfähigen, vaterländischen Sinnes erblickte er in der Betätigung im Rate eine hehre Aufgabe, die er stets mit höchstem Ernste erfüllte. Aufrichtigkeit in allen Dingen und doch kluges und überlegtes Handeln waren ihm vor allem eigen. Bei allem Ernste, den er den Geschäften entgegenbrachte, war er doch voll urwüchsigen Humors. Wer seinen Schilderungen aus früherer Zeiten, besonders seiner militärischen Vergangenheit, oder von Land und Leuten seiner engern Heimat zu lauschen Gelegenheit hatte, erlebte das Fröhliche. Drollige und charakteristische, das er so gut darzustellen wusste, völlig mit.

Stets leutselig, zu entgegenkommender Behandlung und Auffassung der Dinge bereit, bildete er oft ein Element freundlichen Ausgleiches der Meinungen.

Die herzliche Sympathie des gesamten Rates begleitete den altvertrauten Kollegen auf den Ehrensitz, als er als Alterspräsident zu fungieren hatte. Rasch hat ihn nun der Tod erreicht, eine jener Gestalten an die wir immer mit warmem Dank und aufrichtiger Anerkennung denken werden.

Werner Weber-Honegger, dem nur eine kurze Zeit der Wirksamkeit im Rate vergönnt war, war der Leiter eines der bedeutendsten Unternehmens der Maschinenindustrie unseres Landes.

Geboren 1851 als Sohn eines Industriellen widmete er sich zuerst der Spinnerei, um nachher zur Maschinenindustrie überzutreten, wo ihm als Chef der Caspar Honeggerschen Fabrik in Rüti eine umfassende und von höchstem Erfolg gekrönte Wirksamkeit beschieden war.

Er verstand es den Weltruf des Etablissements aufrecht zu erhalten und zu mehren und so einer zahlreichen Arbeiterschaft Verdienst zu bieten.

627 In ungewöhnlichem Masse hat er sich das Vertrauen und die Liebe aller erworben, mit denen er in Berührung kam. Überall machte sich, in Gemeinde, Kanton und im Privatleben seiner Umgebung seine das Gute fördernde Gesinnung und Hilfsbereitschaft geltend. Er war ein Vater seiner Gemeinde, die mit tiefster Trauer seinen vorzeitigen Tod beklagt.

Im Herbst 1911 berief ihn das '[ ungeteilte Zutrauen der Bevölkerung des Wahlkreises in den Nationalrat, dem er als erfahrener Industrieller, sorgsamer Verwalter öffentlicher Angelegenheiten und als menschenfreundlicher Mann wertvolle Mitarbeit zu bieten in der Lage gewesen wäre. Bevor ihn seine Kollegen näher kennen lernen konnten, riss ihn ein plötzlicher unerwarteter Tod aus ihrer Mitte. Das ungeheuchelte allgemeinste und tiefste Leid, das sein Hinschied in seinem Bekanntenkreise hervorrief, enthüllte vor uns das Bild eines Mannes, der es verstanden hatte, seine Gaben und Kräfte im schönsten Sinne des Wortes im Dienste seines Landes und seineryUmgebung einzusetzen.

Ich lade Sie ein, meine Herren Nationalräte, sich zur Ehrung des Andenkens der verstorbenen Kollegen von Ihren Sitzen zu erheben.

Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident C a l o n d e r bei der Sessionseröffnung folgende Ansprache : Meine Herren Ständeräte !

Als wir im letzten Dezember auseinandergingen, herrschte ernste Sorge um das Schicksal des vom Ständerate einstimmig angenommenen Gesetzes betreffend K r a n k e n - und U n f a l l v e r s i c h e r u n g . Trotz aller Anstrengungen des Bundesrates und der Bundesversammlung, den Oppositionsgründen, welchen die Lex Forrer im Jahre 1900 zum Opfer fiel, Rechnung zu tragen und die Vorlage den Interessen und Wünschen der verschiedenen Volksteilen anzupassen, war das Referendum zustande gekommen.

Die Agitation für und gegen das Gesetz hatte schon vor der Dezembersession kräftig eingesetzt und steigerte sich im Monat Januar zu einem leidenschaftlichen Meinungskampfe. Gerne wollen wir anerkennen, dass in dieser denkwürdigen Auseinandersetzung auch die Gegner der Vorlage nur das Wohl des Staates angestrebt haben, gemäss ihrer Überzeugung. Aber die Bejahung war stärker als die Verneinung. Unter starker Beteiligung wurde

«28 die heiss umstrittene Vorlage am 4. Februar mit einem Mehr TOD rund 50,000 Stimmen vom Schweizer Volke angenommen.

So ist es uns endlich, nach mehr als 20 Jahren seit Annahme der Verfassungsrevision vom 26. Oktober 1890, nach langer Arbeit und vielen Anstrengungen gelungen, die Kranken- und Unfallversicherung auf eidgenössischer Grundlage einzurichten. Ein hochherziger sozialer Gedanke ist damit zur Tat geworden. Dieser glückliche Erfolg ist vor allem das Verdienst jener Männer, welche mit patriotischer Hingabe, mit grosser Ausdauer für die Reform gearbeitet haben. Ihnen allen gebührt heute unser Dank .und unsere Anerkennung. Insbesondere seien die hervorragenden Verdienste der Präsidenten.der Kommissionen, der Herren H i r t e r und U s t e r i , der Herren Bundesräte F o r r er und D eu e h e r , so wie auch unser engeren Kollegen, der Herren Ständeräte H e e r und H e i n r i c h S c h e r r e r erwähnt.

Die Abstimmung vom 4. Februar hat grosse allgemeine politische Bedeutung. Die Skepsis, welche nach der Verwerfung der Lex Forrer zurückgeblieben war, ist überwunden. Unsere Demokratie hat den Beweis geleistet, dass auch sie die sozialen Bedürfnisse der Zeit versteht und imstande ist, grosse soziale Fragen im Zeichen der Solidarität zu lösen. Schon die Volksbewegung, die der Abstimmung vorausgegangen ist, hat das Bewusstsein gegenseitiger sozialer Pflicht gehoben. Die segensreiche Betätigung sozialer Fürsorge nach Massgabe des Gesetzes wird ·dieses Pflichtgefühl noch mehr fördern und vertiefen und den Weg ebnen zu späteren weiteren Reformen der Volksversicherung.

Die grosse Befriedigung über den Sieg des 4. Februar macht -uns nicht blind für die bedeutsame Tatsache, dass eine sehr grosse Minderheit gegen die Vorlage Stellung genommen. Diese Erscheinung verdient gewiss alle Beachtung. Immerhin ist nicht au übersehen, dass Gesetzesvorlagen über grosse wirtschaftliche Fragen sozusagen immer auf heftige Opposition stossen, weil sie .unmittelbar oder mittelbar in ausgedehnte Privatinteressen eingreifen. Auch begegnen sie einem begreiflichen Misstrauen, weil der einzelne Bürger nur schwer die meistens komplizierte Materie -überblicken kann. Mit einer starken Opposition, mit einer bedeutenden Minderheit werden wir auch künftig bei jeder grösseren wirtschaftlichen Reform rechnen müssen. Daraus
ergibt sich die Notwendigkeit, die enge Fühlung mit dem Volke nicht zu verlieren und für seine Aufklärung rechtzeitig'bedacht zu sein. Bemerkenswert ist insbesondere, dass alle welschen Kantone die Vorlage abgelehnt haben. Es kommt darin offenbar die starke

629 Abneigung unserer welschen Mitbürger gegen die staatliche Ingerenz und gegen die Beschränkung der privaten Tätigkeit zum Ausdruck. Mitbestimmend war aber auch der Umstand, dass die Notwendigkeit der Reform in diesen Kantonen aus verschiedeneu Gründen nicht so sehr empfunden wurde wie in der übrigen Schweiz. Die starke Gefährdung der Vorlage durch die Stellungnahme der französischen Schweiz zeigt uns von neuem, wie notwendig es für eine fortschrittliche Entwicklung der eidgenössischen Politik ist, den Kontakt zwischen der deutschen und der romanischen Schweiz zu pflegen uud das gegenseitige Verständnis zu fördern.

Nachdem das Volk das Gesetz angenommen hat, gilt es, dessen Anwendung zweckmässig vorzubereiten und durchzuführen.

Viel kommt darauf an, wie dieser Ausbau erfolgt. Der Gesichtspunkt billiger Rücksichtsnah ine auf die verschiedenen Interessen, der den Gesetzgeber geleitet hat, wird auch bei Ausführung des Gesetzes innert dem Rahmen seiner Vorschriften nicht verkannt werden. Vor allem aber müssen die zuständigen Behörden alles aufbieten, um eine möglichst einfache, sachdienliche, geschäftsmässige Verwaltung, unter Fernhaltung aller bureaukratischer Weiterungen, zu sichern. Dabei wird man gerne auch die Vorschläge und Anregungen der bisherigen Gegner des Gesetzes, von denen manche über wertvolle Sachkunde und .Geschäftserfahrung verfügen, prüfen und berücksichtigen.

Gemeinsame Arbeit nach ausgetragenem Kampfe ist gut eidgenössische Tradition.

Meine Herren Kollegen !

Am 1. Januar 1912 ist das neue eidgenössische Zivilrecht in Kraft getreten. Was noch vor 20 Jahren in weiter Ferne zu liegen schien, ist heute erreicht, jetzt schon erreicht dank hauptsächlich der genialen Begabung, der bewunderungswürdigen Arbeitskraft und der patriotischen^ Hingabe des Gesetzesredaktors Professor Eugen Huber.

Der Übergang vom alten zum neuen Recht ist immer mit vorübergehenden kleinen Störungen und Unannehmlichkeiten verbunden. Insofern hat das Sprichwort, dass neue Schuhe und neue Gesetze drücken, seine Berechtigung. Wie der neue Schuh bedarf auch das neue Gesetz der Anpassung. Dieser Prozess der Anpassung an das neue Zivilrecht wird sich verhältnismässig rasch vollziehen, weil dies den modernen Ideen und Bedürfnissen entspricht und daneben die lebenskräftigen Elemente der bisherigen kantonalen Rechte in sich aufgenommen hat.

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Dieses grösste Gesetzwerk, das die Eidgenossenschaft bisher geschaffen hat, wird unserem Vaterlande reichen Segen bringen.

Möge es Freunde werben für die Rechtseinheit auf weiteren Gebieten und vor allem für das eidgenössische Strafrecht, dessen Vorentwurf demnächst in der Expertenkommission zur Behandlung gelangen wird.

Meine Herren Kollegen!

Seit unserer letzten Session hat der Tod in der Bundesversammlung wieder Einkehr gehalten. Wir betrauern den Hinschied der Nationalräte Weber-Honegger und Abegg.

Am 10. Januar 1912 starb Herr Werner Weber-Honegger plötzlich und unerwartet infolge eines Herzschlages, erst 61 Jahre alt.

Der Verstorbene wurde zu Kämmos-Bubikon geboren, besuchte die Volksschule in Bubikon und später die Industrieschule iu Zürich. Er erweiterte seine kaufmännische Bildung in Frankreich und England. In die Heimat zurückgekehrt, widmete er sich zuerst dem väterlichen Geschäft nnd trat später in die Maschinenfabrik Rüti ein, die er in musterhafter Weise leitete und zu hoher Blüte brachte. Mit geschäftlicher Tüchtigkeit verband Weber-Honegger ein estarke Neigung für die öffentliche Tätigkeit und gemeinnutziges Wirken. Das Vertrauen seiner Mitbürger berief ihn in verschiedene öffentliche Ämter. Der Kreis BubikonDünten-Rüti wählte ihn schon 1883 in den Kantonsrat. Dieses Amt hatte er fortgesetzt inné, bis er im Jahre 1905 zum grossen Bedauern eine Wahl wegen Arbeitsüberhäufung ablehnen musste.

Seit vielen Jahren stand er an der Spitze des Sekundarschulwesens von Rüti, das er in hervorragender Weise leitete. Auch sonst war Weber-Honegger mit Herz und Hand stets dabei, wo es galt für allgemeines W'ohl zu wirken und Werke der Humanität zu unterstützen. In allen Stellungen des privaten uud öffentlichen Lebens erwies sich Weber-Honegger von nie versagender Zuverlässigkeit. Seine Wahl in den Nationalrat erfolgte beim Beginn der jetzigen Legislaturperiode, so dass er nur einer Session der Bundesversammlung beiwohnen konnte. Sein Hinschied war für uns eine schmerzliche Überraschung. Wir werden diesem tüchtigen Mann, der allzufrüh dem neuen Wirkungskreis entrissen wurde, in freundlicher Erinnerung bewahren.

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Am 18. Februar 1912 starb in seinem schönen Heim zu Küsnacht Nationalrat Abegg, der Nestor des Nationalrates, im 78. Jahre.

Abegg wurde am 23. Juli 1834 geboren. Mit einer soliden Bildung ausgerüstet, begab er sich als junger Kaufmann nach Lyon und machte dort die Seid en webschule durch. Dieser längere Aufenthalt in Frankreich übte auf den intelligenten und strebsamen jungen Mann einen starken bleibenden Einfluss aus, der sich namentlich in seinem Interesse für französische Verhältnisse und in seinem Verständnis für französische Kultur kundgab.

In die Heimat zurückgekehrt, betrieb Abegg längere Zeit in seiner Heimatgemeinde Küsnacht eine Seidenweberei. Im Jahre 1889 verkaufte er diese und entschloss sich, von da an, sich vollständig dem öffentlichen Leben in Gemeinde, Kanton und Eidgenossenschaft zu widmen.

Ganz besondere Verdienste hat er sich um die zürcherische Seidenwebschule erworben. Er hat an der Gründung dieser Anstalt hervorragenden Anteil gehabt und diente ihr stets mit besonderer Liebe und Hingebung. Bis zu seinem Tode war er Präsident der Aufsichtskommission.

Verhältnismässig früh trat Abegg in die Politik und hat darin über 40 Jahre lang gewirkt. Er hatte auch noch als Mitglied des Verfassungsrates von 1868 die damaligen politischen Kämpfe mitgemacht und gerne erzählte er, wie es in jenen bewegten Zeiten zu- und herging.

Von 1869 war Abegg ohne Unterbrechung Abgeordneter des Wahlkreises Küsnacht im Zürcher Grossen Rat, dessen Vorsitz er im Jahr 1892 führte.

Längere Zeit bekleidete "er auch das Amt eines Erziehungsrates, wozu ihn sein lebhafter Geist, seine reiche Erfahrung und seine gute Kenntnis der Anforderungen, die das praktische Leben an die Erziehung stellt, befähigten.

Im Jahr 1887 wurde er in den Nationalrat gewählt und von diesem Zeitpunkte an hat er alle grossen Fragen der eidgenössischen Politik stets mit lebhaftem Interesse verfolgt. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er wirtschaftlichen Angelegenheiten, namentlich denjenigen, welche die Industrie und den Handel nahe berührten.

In der letzten Session hat Abegg als Alterspräsident die erste Sitzung des Nationalrates eröffnet und dabei eine bemer-

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Abegg war ein gescheidter, liebenswürdiger Mann, mit dem alle seine Kollegen sehr gerne verkehrten. Über Menschen und Diuge besass er ein feines, durch lange Erfahrung geläutertes Urteil. Sein köstlicher Humor war mit grosser Herzensgüte gepaart. Stets werden wir mit dem Gefühle aufrichtiger Sympatie an Nationalrat Abegg zurückdenken.

In der Sitzung des Nationalrates vom 4. März 1912 gab Herr Präsident Wild Kenntnis von nachfolgendem Schreiben des Herrn Bundesrat R. Comtesse : B e r n , den 1. März 1912.

An die Bundesversammlung.

Hochgeachteter Herr Präsident, Hochgeachtete Herren.

Mit Gegenwärtigem beehre ich mich, Ihnen mein Gesuch um Entlassung aus der Stelle eines Mitgliedes des Bundesrates zu unterbreiten.

Nicht ohne Bedauern, nicht ohne ein Gefühl der Traurigkeit habe ich den Entschluss gefasst, aus dem Bundesrat auszutreten. Indessen glaube ich einer Gewissenspflicht gehorcht zu haben.

In der Tat habe ich nach reiflicher Überlegung gefunden, dass in den Jahren, in denen ich stehe, meine Kräfte mir in Zukunft nicht mehr gestatten würden, den schwierigen Aufgaben und der grossen Verantwortlichkeit, die die Mitglieder des Bundesrates zu übernehmen haben, auf eine in jeder Hinsicht befriedigende Weise gerecht zu werden.

Unter diesen Umständen halte ich es für meine Pflicht, von meinem Amte zurückzutreten. Ich werde in der neuen Stellung,

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welche der Bundesrat mir anzuweisen die Freundlichkeit hatte, auf einem anderen Gebiete eine weniger ermüdende Tätigkeit finden, die mir immerhin Gelegenheit bieten wird, meinem Vaterlande durch meine Arbeit und mein Bestreben, ihm immer mehr die Achtung der ändern Völker zu gewinnen, noch nützlich zu sein.

Bei meinem Scheiden aus dem Bundesrate kann ich mir nicht verhehlen, dass ich allzu oft in den mir anvertrauten Aufgaben ein nicht vollkommener Arbeiter gewesen bin ; jedoch hoffe ich annehmen zu dürfen, dass ich in den zwölf Jahren meiner Tätigkeit in dieser Behörde meinem Lande auch einige gute Dienste habe leisten können und dass ich alles tat, was in meinen Kräften stand, um die Finanzen des Bundes zu schützen und seinen Kredit zu heben. Mich begleitet bei meinem Rücktritt die bis an mein Lebensende andauernde Erinnerung an das.

grosse Zutrauen, mit welchem mich zu beehren die hohe Bundesversammlung nie aufgehört hat ; ich spreche ihr an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank dafür aus.

Ich bitte Sie, hochgeachteter Herr Präsident und hochgeachtete Herren, die Versicherung meiner unwandelbaren Hochachtung und Ergebenheit entgegennehmen zu wollen.

(gez.)

Comtesse.

und knüpfte daran folgende Worte: Meine Herren Nationalräte !

Es ist ihnen soeben die Rücktrittserklärung des Herrn Bundesrat Comtesse zur Kenntnis gebracht worden, und ich glaube in, Ihrer aller Namen zu handeln, wenn ich bei diesem Anlass dem Gefühl unseres Dankes und unserer Anerkennung Ausdruck gebe.

Gesundheitsrücksichten nötigten Herrn Bundesrat Comtesse das Amt zu verlassen, das er während zwölf Jahren mit bestem Erfolge verwaltet hat.

Nach einer langjährigen hochbedeutenden administrativenTätigkeit in seinem Heimatkanton trat Herr Comtesse im Dezember 1899 in die oberste Landesbehörde der Schweiz ein. Er brachteeine reiche Erfahrung und grosse organisatorische Einsicht mit, die zu betätigen er bald Gelegenheit fand. Es war ihm beschieden, für die Gestaltung des schwierigen Problems der Nationalbank die von Erfolg gekrönte Grundlage zu schaffen. Für die Reorganisation der Bundesverwaltung hat er mit grosser Sorgfalt die demnächst zur Vorlage gelangenden Entwürfe ausgearbeitet.

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Herr Comtesse hat auch in ganz hervorragender Weise an den wichtigen Verhandlungen teilgenommen, welche die schweizerische Eisenbahnpolitik beschlagen und unser Verhältnis in dieser Beziehung zum Ausland ordnen.

Er hat sich stets angelegen sein lassen, auch dem Personal ·der Bundesverwaltung Rechnung zu tragen und seine Lage zu verbessern. Mit Herrn Comtesse scheidet ein Mann aus der Bundesverwaltung, dessen ganze Tätigkeit auf die Wahrung der öffentlichen Interessen gerichtet war und der unseren aufrichtigen Dank verdient hat.

Im Ständerat hielt Herr Präsident Calonder, im Anscbluss ah die Kenntnisgabe des Demissionsgesuches des Herrn Comtesse, folgende Ansprache : Verehrte Serren Kollegen !

Das Entlassungsgesuch des Herrn Comtesse kommt nicht unerwartet. Wir waren seit Wochen darauf gefasst. Er sieht sich mit Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit gezwungen, die aufreibende Tätigkeit eines Bundesrates aufzugeben, um ein internationales Amt anzunehmen, in welchem er ruhiger Arbeit obliegen und dank seiner Geschäftserfahrung, seiner hohen Intelligenz und seiner ausgedehnten allgemeinen Bildung die besten Dienste leisten kann.

Der Austritt des Herrn Comtesse aus dem Bundesrate ist für ·die Eidgenossenschaft ein schwerer Verlust, denn er nahm in unserer obersten Behörde eine hervorragende Stellung ein.

Herr Comtesse ist im Jahre 1899 in die eidgenössische Exekutive gewählt worden und hat während den verflossenen 12 Jahren eine grosse Summe schöpferischer Arbeit geleistet.

Ich sehe hier selbstverständlich davon ab, seine Verdienste im Einzelnen darzustellen. Nur auf zwei wichtige Fragen will ich hinweisen, in welchen er unserem Lande vortreffliche Dienste geleistet hat und in welchen seine hohe staatsmännische Qualifikation, .seine politische Individualität zum Ausdruck gekommen ist.

Als Herr Comtesse das eidgen. Finanzdepartement übernahm, herrschte die pessimistische Auffassung vor, dass die Frage der Nationalbank -- der erste Gesetzentwurf war vom Volke verworfen worden -- nicht sobald würde gelöst werden können.

635 Bundesrat Comtesse hat aber in verhältnismässig kurzer Zeit die Lösung gefunden, auf Grund vorurteilslosen Studiums und durch zweckmässige Berücksichtigung der faktischen Situation. Ihm haben wir es vor allem zu verdanken, dass die Schweiz schon seit mehreren Jahren das für unsere Volkswirtschaft so wichtige und so nützliche nationale Bankinstitut besitzt.

Die hohe Wichtigkeit der Frage betreffend die Reorganisation der Bundesverwaltung und des Bundesrates, mit Einschluss des politischen Departementes, braucht nicht erörtert zu werden.' Mit dieser Angelegenheit hat sich Bundesrat Comtesse in den letzten Jahren sehr intensiv beschäftigt. Er wurde nach und nach, auf dem Wege objektiver Prüfung, -/M einem überzeugten Anhänger dieser Reform, und er hat sie in sehr wirksamer Weise gefördert.

So hat Bundesrat Comtesse in allen wichtigen Fragen Weitblick und ausgeprägtes Verständnis für die praktischen Bedürfnisse des Staates bewiesen. Was ihn namentlich auszeichnete und seine Arbeit erfolgreich gestaltete, war die Fähigkeit, neue Ideen ,und Anregungen anderer, auch wenn sie mit Kritik verbunden waren, ohne Voreingenommenheit zu prüfen und dem öffentlichen Interesse dienstbar zu machen. Ihm eignete aber auch schöpferische Initiative und eine starke, stets auf die Haupts.ache gerichtete Energie. Neben dieser glücklichen staatsmännischen Veranlagung haben wir an Bundesrat Comtesse ganz besonders geschätzt seinen loyalen, wohlwollenden Charakter und seine starke Arbeitskraft, die er in zweckmässiger Weise auf die grösseren Fragen zu konzentrieren wusste. Mit patriotischer Hingabe hat er für das Wohl der ganzen Eidgenossenschaft gearbeitet.

Herr Bundesrat Comtesse hat in hohem Masse den Dank des Vaterlandes verdient, und unsere besten Wünsche begleiten ihn in seinen neuen Wirkungskreis.

Die Erledigung der Demission des Herrn Comtesse fällt selbstverständlich in die Kompetenz der vereinigten Bundesversammlung. Aber ich weiss mich in voller Übereinstimmung mit Ihnen, geehrte Herren Kollegen, wenn ich auch in diesem Rate dem scheidenden Magistraten die wohlverdiente Anerkennung ausspreche.

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Bundesblatt. 64. Jahrg. Bd. I.

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