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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Herrn Dr. Rudolf Kündig in Basel, betreffend Verweigerung einer Eintragung in das Grundbuch.

(Vom 9. Dezember 1912.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über die Beschwerde des Herrn Dr. Rudolf Kündig in Basel, betreffend Verweigerung einer Eintragung in das Grundbuch, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Dr. Rudolf Kündig, Notar in Basel, reichte dem Grundbuchamt Basel am 24. Mai 1912 eine von ihm unterzeichnete Anmeldung ein, worin er um Löschung einer Hypothekarobligation von Fr. 5000 ersuchte, die zu seinen Gunsten auf Parzelle 2052, Sektion II, Grundbuch Basel, eingetragen war.

Der Grundbuchverwalter wies diese Anmeldung mit der Begründung ab, dass die Anmeldung zu . ihrer Gültigkeit noch der Unterschrift der Ehefrau des Anmeldenden bedürfe, da die zu löschende Hypothekarobligation zum Gesamtgut der unter Gütergemeinschaft lebenden Ehegatten Kündig-Köchlin gehöre.

Gegen diese Verfügung des Grundbuchverwalters führte Dr.

Kündig bei der Justizkommission als erstinstanzlichen Aufsichtsbehörde über die Grundbuchführung Beschwerde, indem er geltend machte, dass sowohl nach dem frühem baselstädtischen Rechte über die Gütergemeinschaft, das richtigerweise in diesem Falle massgebend sei, als auch nach dem vom Grundbuchamte angewandten Gütergemeinschaftsrecht des ZGB die Unterschrift der Ehefrau nicht erforderlich sei.

Durch Beschluss vom 11. September 1912 wies jedoch die Justizkommission von Baselstadt die Beschwerde als unbegründet

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ab. Zur Motivierung dieses Entscheides wurde im wesentlichen angeführt, § 218 des Einführungsgesetzes zum ZGB habe von dem bisherigen kantonalen Gütergemeinschaftsrechte nur den Bestimmungen über den Anteil des überlebenden Ehegatten am Gemeinscbaftsvermögen weitere Geltung vorbehalten, an Stelle der übrigen Vorschriften aber die Anwendung des neuen Rechtes in Aussicht genommen. Die Anmeldung der Löschung für ein Grundpfandrecht könne sich sehr wohl als eine über die gewöhnliche Verwaltung hinausgehende Verfügung darstellen, die gemäss Art. 217 ZGB einer Erklärung beider Ehegatten oder der Einwilligung des einen zur Verfügung des ändern bedürfe. Diesen Erfordernissen habe die Anmeldung des Beschwerdeführers nicht genügt.

II.

Mit Eingabe vorn 2. Oktober 1912 rekurrierte Dr. Kündig beim Regierungsrat des Kantons Baselstadt gegen den abweisenden Entscheid der Justizkommission, wobei er im wesentlichen die schon vor der Justizkommission vorgebrachten Gründe anführt und insbesondere die Auslegung des § 218 des Einführungsgesetzes zum ZGB als bundesreehtswidrig anficht.

Durch Beschluss vom 16. Oktober 1912 bestätigte jedoch der Regierungsrat des Kantons Baselstadt den angefochtenen Entscheid der Justizkommission, indem er der Auslegung des zitierten § 218 des Einführungsgesetzes durch die Justizkommission zustimmte und im übrigen auch die Ansicht billigte, dass die Anmeldung der Löschung für ein Grundpfandrecht eine über die gewöhnliehe Verwaltung hinausgehende Verfügung sein könne und deshalb gemäss ZGB Art. 217 der Unterschrift beider Ehegatten bedürfe. Gegenüber dem vom Rekurrenten erhobeneu Vorwurf, die Interpretation des § 218 des Einführungsgesetzes sei bundesreehtswidrig, führt der Beschluss des Regierungsrates aus, dass die Kantone bis zürn 1. Januar 1912 zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts insoweit befugt gewesen seien, als der Bund von seiner Kompetenz nicht Gebrauch gemacht habe. Der Kanton Baselstadt habe daher ohne Verletzung des Bundesrechtes (Schlusstitel Art. 9) in seinem Einführungsgesetz das frühere kantonale Recht über die Gütergemeinschaft auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZGB teilweise beseitigen können. Insoweit diese Aufhebung durch § 218 des Einführungsgesetzes erfolgte, sei vom 1. Januar 1912 an das ZGB an Stelle des kantonalen Rechts getreten und habe, mangels kantonalen Rechtes, Anwendung zu finden.

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III.

Mit Eingabe vom 22. Oktober 1912 beschwert sich Dr.

Rudolf Kündig über den Entscheid des Regierungsrates vom 16. Oktober 1912 beim Bundesrat und verlangt Aufhebung dieses Entscheides.

Zur Begründung seines Begehrens versucht der Rekurrent, unter Darlegung der Entstehungsgeschichte des § 218 des Einführungsgesetzes, vor allem darzutun, dass die Interpretation der kantonalen Instanzen die Tragweite dieser Bestimmung übertreibe und in direktem Widerspruch stehe zu den Wegleitungen-, die bei und nach Erlass des Einführungsgesetzes in dieser Beziehung vom Justizdepartement und vom Regierungsrat des Kantons Baselstadt zuhanden des Publikums ausgearbeitet worden seien.

Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, dass diese Auslegung des § 218 durch die kantonalen Behörden dem Bundesrecht widerspreche. Das ZGB habe durch seine Bestimmungen über die Unwandelbarkeit des ehelichen Güterrechts (Schlusstitel Art. 9 und 10) die Fortdauer des früheren kantonalen Rechts in gewissem Umfange garantieren wollen ; diese bundesrechtliche Garantie werde durch die Auffassung der Justizkommission und des Regierungsrates, wonach dieses frühere kantonale Recht durch das kantonale Einführungsgesetz zum ZGB teilweise beseitigt worden sei, verletzt.

Endlich nimmt der Rekurrent für den Fall, dass der Bundesrat die angefochtene Auslegung des § 218 des Einführungsgesetzcs billigen sollte, noch den Standpunkt ein, dass die Anmeldung einer Löschung für ein Grundpfandrecht keine Verfügung über das Gesamtgut, sondern eine blosse Verwaltungshandlung darstelle, die unter der Herrschaft des Zivilgesetzbuches vom Ehemann allein ausgehen könne (ZGB Art. 216). Der Rekurs sei deshalb auch dann, wenn man die Bestimmungen des neuen Rechtes über die Gütergemeinschaft für anwendbar halte, begründet zu erklären.

Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt beantragt in seiner Vernehmlassung vom 30. Oktober 1912 Abweisung der Beschwerde unter Verweisung a*uf die im angefochtenen Entscheid enthaltene Begründung.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Bei der Beurteilung der angefochtenen Entscheidung durch

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den Bundesrat, dessen Zuständigkeit auf Grund von ZGB Art. 956, Absatz 2 und 3, ohne weiteres als gegeben erscheint, ist in erster Linie die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage zu prüfen, ob die dem kantonalen Entscheid zugrunde gelegte Interpretation des § 218 des kantonalen Einführungsgesetzes zum ZGB mit den eidgenössischen Übergangsbestimmungen aus dem ehelichen Güterrecht (Schlusstitel Art. 9 und 10) im Einklang stehe oder bundesrechtswidrig sei.

Die Beantwortung dieser Frage hängt wiederum ausschliesslich davon ab, ob man es bundesrechtlich für zulässig hält, dass die Kantone in ihren Einführungsgesetzen zum ZGB diejenigen Teile des bisherigen kantonalen Rechtes, die auf Grund des eidgenössischen Übergangsrechtes auch nach dem 1. Januar 1912 noch Anwendung finden, abändern konnten. Eine solche Abänderung wird nämlich vom Regierungsrat des Kantons Baselstadt in § 218 des Einführungsgesetzes erblickt, und zwar mit Bezug auf den vorliegenden Fall in dem Sinne, dass sich das Verfügungsrecht des Ehemannes, der güterrechtlich nach Innen und nach Aussen unter dem bisherigen baselstädtischen Rechte steht, nach den Regeln beurteilt, die vom ZGB im System der Gütergemeinschaft aufgestellt worden sind. Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt hält solche kantonale Abänderungen für bundesrechtlich zulässig, der Rekurrent für bundesrechtswidrig, wobei für beide Ansichten Schlusstitel Art. 9 und der Kommentar von Reiche! zu dieser Gesetzesbestimmung angerufen werden.

Wenn auch zuzugeben ist, dass derartige Abänderungen des frühern kantonalen Rechtes durch die Einführungsgesetze zum ZGB in manchen Fällen etwas unnatürliches und gekünsteltes an sich haben mochten, so kann doch vom Standpunkt des Bundesrechtes f o r m e l l nichts dagegen eingewendet werden. Wo aber, wie dies für § 218 des Einführungsgesetzes vom Regierungsrat des Kantons Baselstadt angenommen wird, die Abänderung des kantonalen Rechtes nur darin bestand, dass inhaltlich Bestimmungen des neuen Rechtes als früheres kantonales Recht Geltung bekommen sollten, stand und steht es dem Bundesrat gewiss auch nicht zu, materielle Einwendungen gegen solche Änderungen zu erheben. Dieser Auffassung folgte der Bundesrat bei der Genehmigung der kantonalen Einführungsgesetze zum ZGB und verweigerte diesen Gesetzen seine Genehmigung auch dann nicht,
wenn darin bisheriges kantonales Recht umgeändert oder inhaltlich durch das neue eidgenössische Recht ersetzt wurde. Die Interpretation des § 218, wie sie im angefochtenen Entscheid niedergelegt ist, erscheint daher nicht als bundesrechtswidrig.

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Über die weitere vom Rekurrenten aufgeworfene Frage, ob ·die Auslegung des § 218 durch die baselstädtischen Behörden dem Sinne und Geiste dieser Bestimmung und den seinerzeit dazu abgegebenen offiziellen Erklärungen entspreche, steht dem Bundesrat keine Prüfung und kein Urteil zu ; denn es handelt «ich hierbei ausschliesslich um die Auslegung kantonalen Rechts.

II.

In zweiter Linie spielt bei der Entscheidung der vorliegenden Beschwerde die Frage eine Rolle, bis zu welchem Grade ·der Grundbuchverwalter bei grundbuchlichen Verfügungen die güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten zu berücksichtigen habe und ob er sich insbesondere nach den güterrechtlichen Verhältnissen eines verheirateten Pfandgläubigers zu erkundigen, und in Verbindung damit dessen Dispositionsbefugnisse zu prüfen habe. Im Gegensatz zu der Ansicht der baselstädtischen Behörden bestand nach der Auffassung des Bundesrates im vorliegenden Falle keine P f l i c h t des Grundbuchverwalters zur Ergründung der güterrechtlichen Verhältnisse des Rekurrenten. Wenn, wie es hier der Fall war, eine Hypothekarobligation auf den Namen des Ehemannes lautet und die Löschungsbewilligung auch vom Ehemann unterzeichnet ist, so darf sich der Grundbuchverwalter, ohne dass er damit irgendwie seine Pflichten verletzen würde, -damit begnügen. Anderseits aber darf man dem Grundbuchverwalter das R e c h t nicht verwehren, die güterrechtlichen Verhältnisse und die daraus sich ergebende Dispositionsbcfugnis auch in solchen Fällen festzustellen und gegebenenfalls die grundbuchliche Verfügung aus diesen Gründen abzuweisen. Ein Beschwerderecht gegen die Vornahme dieser, in das freie Ermessen des Grundbuchverwalters gestellten Prüfung und gegen die Berücksichtigung der güterrechtlichen Verhältnisse besteht nicht.

III.

Nimmt man, auf Grund der vorangehenden Ausführungen, an, dass die im ZGB enthaltenen Vorschriften über die Gütergemeinschaft als kantonales Recht auf den Fall des Rekurrenten anwendbar sind und vom Grundbuchverwalter berücksichtigt werden durften, so ist im weitern zu untersuchen, ob die Anmeldung einer Löschung für ein Grundpfandrecht eine über die gewöhnliche Verwaltungshandlung hinausgehende Verfügung darstellt, die gemäss ZGB Art. 217 zu ihrer Gültigkeit der Unterschrift beider Ehegatten bedarf.

479 ' In dieser Beziehung ist festzustellen, dass die Löschungsbewilligung des Gläubigers eine reine,, dem Ehemann allein zustehende Verwaltungshandlung (Art. 216), aber auch eine beiden Ehegatten zustehende Verfügungshandlung (Art. 217) sein kann.

Mit Recht weisen die Behörden von Baselstadt darauf hin, dass in den meisten Fällen die Löschungsbewilligung eine blosse Ordnungsmassregel ist und erst nach erfolgter Zahlung der pfandvereicherten Schuld erteilt wird, dass sie aber auch ohne vorherige Zahlung zu Zwecken blossen Pfandverzichts dienen kann und dann über eine blosse Verwaltungshandlung hinausgeht.

Ob sie den einen oder ändern Charakter hat, hängt mithin von den Umständen des konkreten Falles ab.

Der Grund buch ver walter ist berechtigt, eine Löschungsbewilligung als Verfügungshandlung anzusehen, solange ihm nicht dargetan wird, dass sie blosse Verwaltungshandlung ist (Art. 8 ZGB). Im vorliegenden Fall hat es aber der Rekurrent unterlassen, dem Grundbuchverwalter von Baselstadt gegenüber diesen Nachweis zu erbringen. Daher war dieser berechtigt, die Mitunterschrift der Ehefrau zu verlangen und ist der Rekurs als ·unbegründet abzuweisen.

Auf Grund dieser Erwägungen wird erk annt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 9. Dezember 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

-~2-<*Sj-

Bnndesblatt. 64. Jahrg. Bd. V.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Herrn Dr. Rudolf Kündig in Basel, betreffend Verweigerung einer Eintragung in das Grundbuch. (Vom 9. Dezember 1912.)

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1912

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51

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18.12.1912

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474-479

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