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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs von Notar E. Spycher in Langenthal betreffend Verweigerung einer Eintragung in das Grundbuch.

(Vom 29. Oktober 1912.)

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde des Herrn Notar E. S p y c h e r in Langenthal betreffend Verweigerung einer Eintragung in das Grundbuch ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Notar E. Spycher in Langenthal reichte dem Grundbuchamt Aarwangen eine Anmeldung ein, worin um die Eintragung der Erhöhung des Zinsfusses im Grundbuch ersucht wurde. Diese Zinsfusserhöhung von 4 1/2 auf 43/* % für eine Forderung der Gebrüder Baumberger, Bierbrauerei Langenthal, war durch einfache schriftliche Erklärung der Pfandschuldner, vom 1. August 1912, auf der ursprünglichen Pfandurkunde begründet worden.

Der Grundbuchverwalter wies diese Anmeldung mit der Motivierung ab, dass Verträge über Zinsfusserhöhungen bei Piami forderungen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung bedürften.

Gegen diese Abweisung führte Notar E. Spycher beim. Regi erungsrat des Kantons Bern Beschwerde und stellte das Be-

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gehren, der Grundbuohverwalter sei anzuweisen, die vereinbarte Zinsfusserhöhung im Grundbuch einzutragen.

Durch Beschluss vom 14. September 1912 wies jedoch deiRegi erungsrat des Kantons Bern die Beschwerde als unbegründet ab. ZJur Motivierung dieses Entscheides wird im wesentlichen angeführt, die Erhöhung des Zinsfusses bedeute eine Erweiterung des Pfandrechtes und damit eine die Stellung der Schuldner erschwerende Abänderung des ursprünglichen Pfandvertrages. Da aber gemäss ZGB Art. 799, Abs. 2, für die Errichtung von Grundpfandverträgen die Form der öffentlichen Beurkundung vorgeschrieben sei, müsse diese Form auch bei derartigen Abänderungen solcher Verträge verlangt werden (Art. 7 ZGB und Art. 12 0. R.). Diesem Erfordernis habe der Beschwerdeführer nicht Genüge geleistet, indem er als Ausweis für die Zinsfusserhöhung nur eine Erklärung der Schuldner in einfacher Schriftlichkeit eingereicht habe.

II.

Mit Eingabe vom 30. September und nachträglicher Ergänzung vom 10! Oktober 1912 beschwert sich Notar Spycher über den Entscheid des bernischen Regierungsrates, vom 14. September 1912, beim Bundesrat und verlangt Aufhebung dieses Entscheides.

Zur Begründung beruft sich der Rekurrent auf Art. 818 ZGB, wonach der ursprünglich vereinbarte Zinsfuss nicht zum Nachteil nachgehender Grundpfandgläubiger über 5 % erhöht werden darf.

Diese, in erster Linie für die nachgehenden Pfandgläubiger berechnete Schutzbestimmung dürfe auch auf das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner angewendet, und es dürfe ihr entnommen werden, dass der Bundesgesetzgeber in einer nachträglichen Erhöhung des Zinsfusses innerhalb der angegebenen Grenze keine Pfandrechtsausdehnung erblicke. Infolgedessen sei unter diesen Voraussetzungen auch keine öffentliche Beurkundung für die Zinsiiisserhöhung erforderlich. Vor allem aber weist der Beschwerdeführer auf den Umstand hin, dass ein innerer Grund für die umständliche öffentliche Beurkundung der Zinsfusserhöhungen vollständig fehle und dass die Beobachtung dieser Form von der Praxis nicht verstanden werde. Das gehe am besten daraus hervor, dass der Grosse Rat des Kantons Bern durch Beschluss vom 8. Oktober 1907 das frühere bernische Recht authentisch dahin interpretierte : ,,es sei für die Rechtsförmigkeit und die -Pfandrechtswirkung von neuen Zinsverpflichtungen bei grundpfändlich versicherten Forderungen weder eine öffentliche Be-

74 3 urkundung noch die Eintragung der bezüglichen Verpflichtungen im Grundbuch notwendig".

Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt in seiner Vernehmlassung vom 8. Oktober 1912 Abweisung der Beschwerde, unter Verweisung auf die im angefochtenen und in einem frühem Entscheid vom 9. April 1912 enthaltene Begründung.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Gegen die Zuständigkeit des Bundesrates zur Entscheidung der erhobenen Beschwerde sind in der Vernehmlassung des bernischen Regierungsrates mit Recht keine Bedenken erhoben worden ; denn die Kompetenz der Bundesbehörde scheint gestutzt auf ZGB Art. 956, Abs. 2 und 3, ohne weiteres vorhanden zu sein, wie dies im Entscheid des Bundesrates vom "1. Juli 1912 näher begründet worden ist.

n.

Bei der Beurteilung der angefochtenen Entscheidung ist vor allem zu beachten, dass sich Art. 799, Abs. 2, nicht auf die Eingehung der persönlichen Schuldverpflichtung, sondern nur auf die Pfandbestellung bezieht und nur hierfür die öffentliche Beurkundung vorschreibt. Dementsprechend ist für die spätere Begründung einer weitergehenden Verpflichtung des Schuldners auch nur dann die öffentliche Beurkundung erforderlich, wenn diese Mehrbelastung mit einer Ausdehnung des Pfandrechtes verbunden ist, d. h. gegenüber dem ursprünglich eingeräumten Pfandrechte eine Erweiterung bedeutet. In dieser Beziehung geht die Entscheidung von der richtigen Auffassung aus, wie dies auch vom Rekurrenten mit Recht anerkannt wird.

III.

Dagegen gehen die Ansichten darüber auseinander, ob die nachträgliche Erhöhung des bei Errichtung des Vertrages vereinbarten Zinsfusses eine derartige Abänderung des ursprüngliche n Pfand Vertrages im Sinne einer Ausdehnung des Pfandrechtes bedeute oder nicht.

Die Frage wird vom Regierungsrat des Kantons Bern bejaht, allerdings ohne nähere Begründung und unter blosser Verweisung

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auf eine Behauptung im Kommentar von Ostertag, Seite 228, Nr. 22. Ebenso wird in einer Entscheidung, die von der zürcherischen Aufsichtsbehörde über die Grundbuchführung (Obergericht des Kantons Zürich) am gleichen Tage, wie die angefochtene bernische Entscheidung, getroffen wurde, die Pflicht zur Vornahme der öffentlichen Beurkundung für nachträgliche Zinsfusserhöhungen gewissermassen als selbstverständlich vorausgesetzt.

Allein diese Auffassung hält einer nähern, auf die übrigen grundpfandrechtlichen Bestimmungen des ZGB abstellenden Prüfung nicht Stand.

Die angefochtene Entscheidung übersieht die Tatsache, dass nach ZGB Art. 818, Ziff. 3, die Haftung des Grundstückes für die Zinsen von G e s e t z e s w e g e n gegeben ist. Wie das Grundstück für die Kosten der Betreibung und die Verzugszinsen mit Pfandrecht belastet ist, ohne dass dies im Pfandvertrag vereinbart oder im Grundbuch eingetragen werden muss (Art. 818, Ziff. *2), so ist dies auch, kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung (Art. 8] 8, Ziff. 3), für die vertraglichen Zinsen der Fall, ohne jede Verpflichtung zu deren Erwähnung im Pfandvertrag oder zu deren Eintragung im Grundbuch. Die Haftung des Grundstücks, d. h.

das Pfandrecht, für Kosten, Vertrags- und Verzugszinsen braucht nicht erst durch den Pfandvertrag begründet zu werden ; sie besteht als accessorisches Recht zugunsten desjenigen Gläubigers, für dessen Kapitalforderung ein Grundpfandrecht vereinbart und im Grundbuch eingetragen ist. Die Zins Verpflichtung kann daher in der gleichen Form wie die persönliche Verpflichtung des Schuldners für die Kapital Forderung, d. h. in der Regel f o r m l o s (z. B. im Darlehensvertrag), verabredet werden: Sobald hierauf über das K a p i t a l ein Grundpfandrecht durch öffentliche Beurkundung im Sinne von Art. 799, Abs. 2, und durch Eintragung im Grundbuch errichtet ist, besteht von Gesetzes wegen auch die pfandrechtliche Sicherung für die Zinsen und übrigen Accessorien.

Diese vom Gesetz gegebene Haftung findet allerdings darin eine gewisse Begrenzung, dass nachgehende Grundpfandgläubiger im Maximum mit 5 % zu rechnen haben (ZGB Art. 81.8, Abs. 1*).

Die Abrede nachträglicher Zinsfusserhöhung bedarf deshalb im vorliegenden Fall zu ihrer Gültigkeit und zu ihrer Einschreibung im Grundbuch keiner öffentlichen Beurkundung, weil schon zur
Begründung des Pfandrechtes für die ursprünglich vereinbarten Zinsen gar kein Pfändvertrag im Sinne von Art. 799, Abs. 2, und daher keine öffentliche Beurkundung notwendig war.

745 IV.

Die im vorstehenden niedergelegte Auffassung scheint auch allein dem Zweck des Gesetzes und zugleich den Bedürfnissen der Praxis zu entsprechen.

In den bisherigen kantonalen Rechten war für die Vornahme von Zinsfusserhöhungen bei Pfandforderungen durchwegs keine besondere Form erforderlich. Wo hierüber Zweifel bestanden wie im bernischen Rechte -- scheute man sich nicht, den aussergewöhnlichen Weg der authentischen Interpretation zu beschreiten, um die öffentliche Verurkundung zu vermeiden.

Ausserdem lässt sich ein innerer Grand für die Motivierung der Anwendung besonderer Formen für Zinsfusserhöhungen schlechterdings nicht anführen. Die Höhe des jeweiligen Zinsfusses hängt zum geringsten Teil von den Entschliessungen der einzelnen Gläubiger und Schuldner, zum grossten Teil von ganz andern Faktoren ab. Darum ist es ein Bedürfnis des Verkehrs, Zinsfusserhöhungen in der einfachsten Form verabreden oder sie sogar -- wie es von Geldinstituten geschieht und als zulässig und praktisch gelten muss -- durch den ursprünglichen Darlehensvertrag in das alleinige Ermessen des Gläubigers stellen zu können.

Auf Grund dieser Erwägungen wird erk an nt : Die Beschwerde wird begründet erklärt und der Regierungsrat des Kantons Bern eingeladen, dafür zu sorgen, dass der Anmeldung des Rekurrenten vom Grundbuchamt Aarwangen durch Eintragung im Grundbuch Folge gegeben werde.

B e r n , den 29. Oktober 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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