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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1912).

(Vom

25. Oktober 1912.)

Tit.

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten Ihnen über nachfolgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 1. Boiteux, Louis Arthur, Tapezierer, in Lausanne; 2. Müller, Gottlieb, Schriftsetzer, in Laupen, Kanton Bern ; 3. LUthi, Johann Alfred, Karrer, in Bern; 4. Stutz, Walter, Reisender, in Lausanne.

Nichtbezahlung der Militärsteuer.

Die vorgenannten militärsteuerpflichtigen Schweizerbürger wurden wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Militärpflichtersatzsteuer verurteilt: 1. Boiteux, Louis Arthur, am 20. Dezember 1911 vom Präsidenten des Polizeigerichts Lausanne zu drei Tagen Polizeiarrest ; 2. M ü l l e r , Gottlieb, am 12. März 1912 vom Gerichtspräsidenten IV von Bern zu zwei Tagen Gefangenschaft und einem Jahr Wirtshausverbot; 3. Lüthi, Johann Alfred, am 15. Mai 1912 vom Gerichtspräsidenten IV von Bern zu zwei Tagen Gefangenschaft und sechs Monaten Wirtshausverbot ; 4. Stutz, Walter, am 2. Mai/27. Juni 1912 vom Präsidenten des Polizeigerichts Lausanne zu zwei Tagen Polizeiarrest; jeweilen unter Auferlegung der Staatskosten.

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Die Genannten ersuchen um Eiiass der ausgesprochenen Strafen und machen zur Begründung ihrer Gesuche im einzelnen folgendes geltend: Boiteux behauptet, die Militärsteuer pro 1909 und 1910, wegen deren Nichtbezahlung er verurteilt worden sei, bereits entrichtet zu haben. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass es sich um die Militärsteuer pro 1911 handelt, die trotz zweimaliger Mahnung nicht bezahlt wurde. Zur Verhandlung vom 20. Dezember 1911 ist Boiteux in gesetzlicher Weise vorgeladen worden, aber ohne Entschuldigung ausgeblieben; er hat auch kein Begehren um Aufschiebung des Strafvollzuges eingereicht.

Im Einverständnis mit den Behörden des Kantons Waadt halten wir dafür, dass ein Anlass zur Begnadigung hier nicht vorliege.

Müller beruft sich darauf, dass er zur Verhandlung vor dem Richter keine Vorladung erhalten habe, und dass ihm das Urteil nicht notifiziert worden sei. Es ergibt sich jedoch aus den Akten, dass Müller in der ersten Verhandlung vom l I.Dezember 1911 uni Vertagung ersuchte unter Abgabe des Versprechens, die Militärsteuer bis Neujahr 1912 bezahlen zu wollen. Da Müller diesem Versprechen nur teilweise nachkam und ihm die Vorladung zu einer Verhandlung vom 20. Februar 1912 an seinem letzten bekannten Domizil nicht zugestellt werden konnte, wurde er durch dreimalige Publikation im kantonalen Amtsblatt in gesetzmässiger Weise zur Verhandlung vom 12. März 1912 zitiert. Im letzteren Termin blieb Müller unentschuldigt aus. Das Urteil ist ihm ebenfalls durch Publikation im Amtsblatt nach gesetzlicher Vorschrift eröffnet worden. Ein Rechtsmittel hat er nicht «ingelegt. Die Anbringen des Potenten erweisen sich daher als unbegründet.

Lüthi macht geltend, dass er infolge eines Unfalles und Mangel an Verdienst finanziell in bedrängter Lage sei und daher um Erlass der Strafe und Busse bitten müsse. Petent hat die Militärsteuer für die Jahre 1908, 1909, 1911 und 1912 bezahlt, was zu der Annahme berechtigt, dass er auch die Steuer für 1910, wegen deren Nichtbezahlung er verurteilt worden ist, rechtzeitig hätte aufbringen können. Die Verletzung, auf welche Lüthi sich beruft, ist bereits vor vier Jahren erfolgt und laut Bericht der bernischen Baudirektion hat Lüthi seit 8. März 1910 seine Arbeit nur während zwei Tagen ausgesetzt; die entstandenen Kosten würden ohne Zweifel von der Krankenkasse der Beamten und Arbeiter bestritten. Eine ,,Busse"1 ist dem Gesuchsteller nicht

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auferlegt worden. Sollte er damit die rückständige Steuer oder die Kosten des Strafverfahrens bezeichnen wollen, so ist hierauf zu bemerken, dass die Bundesversammlung weder von der Nachzahlung der schuldigen Militärsteuer, noch von der Verpflichtung zur Bezahlung der Prozesskosten entbinden kann. Auch die bernischen Behörden sind der Meinung, dass Lüthi sehr wohl die schuldige Steuer hätte entrichten können und beantragen Abweisung des Gesuches.

Stutz endlich führt an, dass er bereits vor der Urteilsfällung die schuldige Militärsteuer bezahlt habe, und dass seine Bestrafung deshalb zu Unrecht erfolgt sei. In der Tat ergibt sich aus den Akten, dass Stutz, der bereits am 2. Mai 1912 wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Militärsteuer zu zwei Tagen Polizeiarrest verurteilt worden war, aber auf seine Bitte einen Aufschub des Strafvollzuges (relief du jugement) erlangt hatte, die Steuer am 8. Juni auf dem Bureau des Sektionschefs von Lausanne -- statt auf der Gerichtsschreiberei des Polizeigerichts -- entrichtet hat. Er unterliess es aber, davon dem Polizeigericht Mitteilung zu machen und erschien in der Verhandlung vom 27. Juni nicht, weshalb das Urteil definitiv bestätigt wurde. Da in diesem Falle die nachträgliche Zahlung der Militärsteuer vor Ausfüllung des gerichtlichen Urteils erfolgt ist, so kommt ihr nach dem Wortlaut des Bundesgesetzes vom 29. März 1901 und konstanter Praxis strafbefreiende Wirkung zu. Wir nehmen daher keinen Anstand, Ihnen das Gesuch des Walter Stutz zur Berücksichtigung zu empfehlen, soweit die ausgesprochene Strafe in Frage kommt. Dagegen kann auf das Begehren um Erlass der Staatskosten, die Stutz übrigens durch sein Verhalten verursacht hat, aus Gründen der Inkompetenz der Bundeshehörde nicht eingetreten werden.

A n t r a g : Es seien die Begnadigungsgesuche des Louis Boiteux, des Gottlieb Müller, des Johann Lüthi abzuweisen ; dem Walter Stutz sei die auferlegte Strafe in Gnaden zu erlassen.

5. Sollberger, Jakob, Reisender, in Roggwil, Kanton Bern. Übertretung des Patenttaxengesetzes.

Sollberger wurde am 28. Februar 1912 vom Landjäger Siegenthaler in Heimenhausen (Kanton Bern) dabei betroffen,

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als er beim Hausieren nebenbei Abonnementsbestellungen auf eine Zeitung aufzunehmen versuchte, ohne im Besitz einer Taxkarte zu sein. Der Gerichtspräsident von Wangen a. A. verurteilte den Sollberger wegen Widerhandlung gegen das Patenttaxengesetz für den Fall der Unterziehung zu Fr. 30. -- Busse und den Staatskosten, und liess dieses Eventualurteil im Sinn« von Art. 287 des bernischen Strafverfahrens dem Angeschuldigten durch den Gerichtspräsidenten von Aarwangen am 12. März 1912 eröffnen. In der Verhandlung gab Sollberger die Richtigkeit der gegen ihn erstatteten Strafanzeige zu, und erklärte ausdrücklich, die Annahme des ihm eröffneten Urteils, wodurch er zugleich auf die Einlegung der Appellation verzichtete. Ein Revisionsgesuch des Verurteilten wurde am 15. Juli 1912 von der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern als unbegründet abgewiesen, unter Auflage der Kosten an den Rekurrenten.

Der Petent bittet um Erlass der ausgefällten Busse oder wenigstens der Rekurskosten. Zur Begründung des Gesuches stellt Sollberger sich als unschuldig dar, und behauptet, zu Unrecht verurteilt worden zu sein. Infolge Krankheit sei er seit längerer Zeit ohne Verdienst ; die Bezahlung der auferlegten Busse würde ihn daher sehr hart treffen.

Was zunächst den nachgesuchten Erlass der Rekurskosten anbetrifft, so ist zu bemerken, dass die Begnadigungsinstanz zum Erlass von Prozesskosten nicht kompetent ist. Da im übrigen Sollberger die Richtigkeit der Strafanzeige zugegeben, und das Eventualurteil angenommen hat, so ist auf eine nochmalige Erörterung der Schuldfrage an dieser Stelle nicht einzutreten.

Was endlich die letztangeführten Kommiserationsgründe anbelangt, so hat Petent es unterlassen, dieselben irgendwie zu belegen, so dass die Begnadigungsinstanz nicht in der Lage ist, sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Wir halten deshalb einen ganzen oder teilweisen Erlass der ohnehin niedrig bemessenen Geldbusse nicht für tunlich.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Jakob Sollberger abzuweisen.

6. Bolliger, Samuel, Landwirt, in Schtnidrued, Kanton Aargau.

Übertretung des Lebensmittel- und des Viehseuchenpolizeigesetzes.

Bolliger, der weder gelernter Metzger ist, noch ein Schlacht-

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lokal besitzt, hat im Dezember 1911 bei sich zu Hause einen .Kiegenbock und eine Ziege, die er kurz vorher gekauft hatte, geschlachtet und das Fleisch an Privatleute verkauft. Den Bock hatte Bolliger von Schiltwald her eingeführt, also aus einem andern Viehinspektionskreis, ohne dafür den vorgeschriebenen Gesundheitsschein auszuwirken. Ferner hat Bolliger Drittpersonen zu wiederholten Malen Fleisch von Kälbern zum Kaufe angetragen, das die Fleischschau nicht passiert, und zu dessen Verl>ringung von einer Gemeinde in die andere er die vorgeschriebene Bewilligung der Gesundhoitsbehörde nicht eingeholt hatte. Das Bezirksgericht Kulm verurteilte ihn deshalb am 12. März 1912 wegen Übertretung des Lebensmittel- und des Viehseuchenpolizeigesetzes und der dazu gehörenden Verordnungen zu Fr. 40. -- Busse und den Staatskosten.

Bolliger ersucht um Erlass dei' Geldbusse und der Staatsgebühr. Zur Unterstützung seines Begehrens beruft er sich auf Unkenntnis des Gesetzes, ferner bemängelt er die Beweiswürdigung, die seiner Verurteilung zugrunde gelegen habe. Endlich führt er an, dass bei seinen bescheidenen finanziellen Verhältnissen die Bezahlung der Busse für ihn eine schwere Belastung bilden würde.

Zum Erlass der staatlichen Urteilsgebühr ist nicht die Bundesversammlung kompetent, sondern die kantonale Gerichts- bezw.

Verwaltungsbehörde, da derartige Emolumento bei Beurteilung von Übertretungen der Bundesgesetze betreffend Lebensmittelund Viehseuchenpolizei den Kantonen zufallen. Was aber die Gesetzesverletzung anbetrifft, so ist die eidgenössische Begnadigungsinstanz nicht im Falle, die Entscheidung des Richters über die Schuldfrage nachzuprüfen, um so weniger, als Bolliger die Einlegung eines Rechtsmittels unterlassen hat. Auch die Berufung auf Gesetzesunkenntnis kann nicht nur grundsätzlich nicht gehört werden, sondern erweist sich direkt als unwahr, da der Petent bereits am 26. September 1911 wegen gleichartiger Widerhandlung gegen das Lebensmittelpolizeigesetz gerichtlich mit Fr. 15.-- Busse samt Kosten bestraft worden ist. Angesichts der mehrfach wiederholten Widerhandlungen gegen die Bestimmungen der Lebensmittelpolizei erscheint die Busse mit Fr. 40. -- eher als niedrig bemessen ; die ökonomische Lage des Verurteilten ist dabei bereits genügend berücksichtigt.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Samuel BolJiger abzuweisen.

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7. FlOckiger, Albert, Nachtwächter der S B B, in Biel. Übertretung des Viehseuchenpolizeigesetzes.

Flückiger hat eine ihm gehörige Dogge ohne Halsband und Kontrollnummer herumlaufen lassen, und ist deshalb am 26. Juli 1912 vom Gerichtspräsidenteu II von Biel wegen Widerhandlung gegen Art. 57 der bundesrätlichen Verordnung vom 14. Oktober 1887 zu den Bundesgesetzen über polizeiliche Massnahmen gegen Viehseuchen zu Fr. 10. -- Geldbusse und den Staatskosten verurteilt worden. Sein Begnadigungsgesuch begründet der Peterit mit dem Hinweis darauf, dass er schon über zehn Jahre den Dienst als Nachtwächter versehe und diese Verurteilung seine erste sei.

Fliickiger hat in der Verhandlung vom 26. Juli 1912 auf Anfrage des Richters ausdrücklich die Annahme des Urteils erklärt, durch das er mit dem gesetzlichen Mindestmass der Busse belegt wurde. Er kann daher mit dem Gesuche um Erlass der Strafe umso weniger gehört werden, als gerade der von ihm selbst angeführte Umstand, dass er seit mehr als zehn Jahren als Nachtwächter im Dienste der S B B stehe und sich dabei stets eines Hundes bediene, keinem Zweifel darüber Raum lässt, dass ihm die einschlägigen polizeilichen Vorschriften genau bekannt waren.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Albert Fliickiger abzuweisen.

8. Reginato, Giovanni, geb. 1893, Karrer, Carlini, Antonio, geb. 1895, Handlanger, Gallina, Luigi, geb. 1893, jHandlanger, alle in La Chau.\> de-Fonds.

Übertretung des Fischereigesetzes.

Die drei Petenten -- italienische Staatsangehörige -- wurden am 5. Mai 1912 von Landjäger Althaus und Polizeidiener Marchand ertappt, als sie zwischen Sonvilier und Renan in der Schüss mit einer Fischgabel Fische, Krebse und Frösche fingen. Der Fang von Krebsen ist in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. Juni verboten, überdies besassen die gefangenen Krebse nicht das gesetzliehe Mindestmass. Die Anwendung der Fischgabel zürn Fischfang ist gleichfalls unüersagt.

Buudesblatt. 64. Jahrg. Bd. IV.

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Die Angeschuldigten gestanden die Richtigkeit des gegen sie eingereichten Polizeirapportes zu und wurden am 17. Mai 1912 vom Gerichtspräsidenten von Courtelary wegen Übertretung des Fischereigesetzes zu je Fr. 60. -- Busse und solidarisch zu den Staatskosten verurteilt.

Reginato, Carlini und Gallina, die im Alter von 19 beziehungsweise 17 Jahren stehen, ersuchen um Reduktion der ausgefällten Bussen und berufen sich zur Begründung ihres Gesuches auf Unkenntnis des Gesetzes und ihre jugendliche Unerfahrenheit.

Letztere Tatsache ist jedoch schon vom Richter bei Ausfällung des Urteils genügend berücksichtigt worden; die ausgesprochene Geldstrafe ist nur wenig vom Minimum von Fr. 50. -- entfernt.

Besondere weitere Gründe, die eine Begnadigung rechtfertigen würden, bestehen nicht.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Giovanni Reginato, des Antonio Carlini und des Luigi Gallina abzuweisen.

9. Stuber, Johann, Landwirt in Grenchen, Kanton Solothurn.

Jagdfrevel.

Stuber ist durch Urteil des Gerichtspräsidenten von Buren am 26. Dezember 1911 zu einer Geldbusse von Fr. 70. -- und solidarisch mit dem Mitangeschuldigten A. Zwahlen zu den Staatskosten verurteilt worden. Der Petent war schuldig befunden, ohne im Besitze eines bernischen Jagdpatentes zu sein, am 23. Oktober 1911 im sogenannten Gossliwilwald unter Betretung des Gebietes des Kantons Bern einen Rehbock gejagt und erlegt zu haben. Das Jagen und Erlegen von Rehböcken war laut regierungsrätlicher Verordnung für das Jahr 1911 im Kanton Bern vom 14. Oktober an verboten. Stuber erklärte gegen dieses Urteil die Appellation an die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, y,og sie aber am 20. Juni 1912 zurück, indem er -- nach seiner Erklärung -- befürchtete, das Erkenntnis der obera Instanz möchte ,,noch grässlicher"1 ausfallen. Der Petent ersucht um Erlass wenigstens der Hälfte der ausgesprochenen Busse und begründet sein Gesuch mit dem Hinweis auf seine schwierige ökonomische Lage.

Hierauf ist zu bemerken, dass die ausgesprochene Busse, die sich nur wenig über das gesetzliche Minimum von Fr. 50. --

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erhebt, nicht zu hoch bemessen erscheint angesichts der Unverfrorenheit, mit welcher Stuber bei der Begehung des Jagdfrevels vorgegangen ist. Als patentiertem solothurnischem Jäger und früherem Landjäger dieses Kantons waren ihm die Vorschriften * über die Jagdpolizei jedenfalls genau bekannt und musste er wissen, dass sein solothurnisches Patent ihn nicht zum Jagen in einem Nachbarkanton berechtigte. Auch mit der wirtschaftlichen Lage des ,,armen Schuldenbäuerleins'1, als das sich Stuber darzustellen sucht, dürfte es nicht so schlimm bestellt sein, wenn er noch Zeit und Geld an das Vergnügen der Jagd wenden kann.

Da auch die bernischen Behörden entschieden Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe befürworten, so halten wir dafür, dass kein Anlass vorliege, dem Gesuch zu entsprechen.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Johann Stuber abzuweisen.

10. Bassin, Paul, Handelsmann in Tavannes, Kanton Bern.

Jagdfrevel.

Bassin ist beschuldigt, am 18. Oktober 1910 gemeinsam mit Fritz Etter, Leopold Legrain und Charles-Auguste Criblez in der Umgebung der ,,Métairie de Nidau" an einer Jagd auf Rehe teilgenommen zu haben, in deren Verlauf ein Reh von einem der von diesen Jägern mitgeführten Hunde an der Schüss niedergerissen und erwürgt wurde. Die vier Genannten, von denen keiner ein Hochjagdpatent besass, verkauften das Wild und teilten am Abend des 19. Oktober den Erlös unter sich. Auf Grund eines umfassenden Indizienbeweises wurden die vier Jäger durch Urteil des Gerichtspräsidenten von Courtelary vom 13. Januar 1911 der Übertretung des Jagdgesetzes schuldig befunden und zu Geldbussen, sowie solidarisch zu den Staatskosten verurteilt.

Über Bassin, der bereits in den Jahren 1906 und 1907 wegen Jagdfrevel zu Bussen von Fr. 40. -- und Fr. 90. -- verurteilt worden war, verhängte der Richter diesmal eine Busse von Fr. 150. --, verbunden mit Entzug der Jagdberechtigung für drei Jahre. Die vier Angeschuldigten ergriffen gegen dieses Urteil die Appellation. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte jedoch am 6. Mai 1911 den erstinstanxlichen Entacheid in allen Punkten aus den nämlichen Motiven, die für den Richter von Courtelary massgebend gewesen waren.

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Bassin sucht um ganzen oder teilwsisen Erlass der Strafe auf dem Gnadenwege nach, indem er auch jetzt noch behauptet, sich an der erwähnten .Rehjagd nicht beteiligt zu haben und zu Unrecht verurteilt worden zu sein.

Auf eine nochmalige Erörterung der Schuldfrage ist an dieselStelle nicht mehr einzutreten, indem die Begnadigungsinstanx nicht in der Lage ist, die Behauptungen des Potenten auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Besondere Gründe, welche einen Erlass der Strafe rechtfertigen würden, macht der Petent nicht geltend.

Eine Begnadigung wäre auch angesichts der Rückfälligkeit des Bassin als Jagdfrevler, wozu sich noch weitere Vorstrafen wegen Misshandlung, Tätlichkeiten und Tierquälerei gesellen, im vorliegenden Falle nicht am Platze.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Paul Bassin abzuweisen.

11. Rüegg, Adolf, Landwirt, in Dürstelen-Hittnau, Kanton Zürich.

Jagdfrevel.

Rüegg ist am 16. Oktober 1911 von Polizeisoldat Hess im Dorfe Saland betroffen worden, wie er eine Stockflinte bei sich trug; ausserdem führte Rüegg einen Dachshund mit sich. Das Statthalteramt Pfaffikon erblickte darin -- nachdem es die Ansicht der kantonalen Jagdkommission und der Finanzdirektion eingeholt -- eine Übertretung der Vorschrift in Art. 6 lit. f des Bundesgesetzes betreffend Jagd und Vogelschutz, und verurteilte den Rüegg am 8. Dezember 1911 in Anwendung von Art. 21 Ziffer 5 lit. c des zitierten Gesetzes zu einer Polizeibusse von Fr. 51 und den Staatskosten. Der Gebüsste verlangte daraufhin gerichtliche Beurteilung der Sache.

Das Bezirksgericht Pfäffikon erklärte mit Urteil vom 29. Dezember 1911 den Rüegg der Übertretung von Art. 6 lit. f des eidgenössischen Jagdgesetzes als nichtsehuldig, hob die ihm auferlegte Polizeibusse auf, und verfügte die Übernahme der Kosten durch die G-erichtskasse. Das Gericht ging dabei von der Ansicht aus, dass Art. 6 lit. f leg. cit. nicht ein allgemeines Verbot des Tragens von Stock- und zusammengeschraubten Flinten enthalte, sondern nur für den Fall, dass diese Waffen zur Begehung von Jagdfreveln verwendet werden sollten. Letzteres Erfordernis

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sei aber in casu nicht vorhanden, da sich aus den Akten ergebe, dass die Waffe zum Schiessen überhaupt nicht taugte, und dass Rüegg sowohl Hund als Flinte mit sich geführt habe in der Absicht, sie zu verkaufen.

Im Auftrage der züreherischen Finanzdirektion erklärte das Statthalteramt Pfäffikon gegen dieses Urteil die Appellation an das Obergericht des Kantons Zürich. Die II. Appellationskammer dieses Gerichts gelangte zu der Überzeugung, dass einmal die Unbrauchbarkeit der Stockflinte nicht als erwiesen erachtet werden könne, und es ferner dem Angeschuldigten nicht gelungen sei, den Beweis dafür zu erbringen, dass er die fragliche Stockflinte allein zum Zwecke des Verkaufes mit sich geführt habe. Vielmehr müsse aus den Umständen, unter denen Rüegg seinerzeit im Besitz der Stockflinte betroffen wurde, geschlossen werden, dass er damals wirklich auf der Jagd begriffen gewesen sei, und die fragliche Waffe zu diesem Zwecke mit sich geführt habe.

Aus diesen Gründen bestätigte die TL. Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich am 27. Februar 1912 die über Rüegg durch das Statthalteramt Pfäffikon ausgesprochene Polizeibusse, unter Auflage der Kosten in erster und zweiter Instanz an den Verurteilten.

Dieser legte gegen das Urteil Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht ein. Der Kassationshof dieses Gerichtes ist jedoch aus Gründen formeller Natur laut Entscheid vom 29. Juni 1912 auf die Kassationsbeschwerde nicht eingetreten.

Rüegg ersucht um Erlass der über ihn verhängten Busse, indem er geltend macht, dass seine Verurteilung zu Unrecht erfolgt sei. Einmal involviere Art. 6 lit. f des eidgenössischen Jagdgesetzes kein allgemeines Verbot des Tragens von Stocketc.-Hinten, sondern verbiete nur die Benützung derselben zur Jagd, ferner gehe aus den Akten mit aller Deutlichkeit hervor, dass er am 16. Oktober 1911 keineswegs beabsichtigt habe, dio Stockflinte, die übrigens ein vollständig untaugliches Werkzeug sei, zur Jagd zu verwenden.

Die H. Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich erachtet in ihrem Urteil vom 27. Februar 1912 den Beweis dafür als erbracht, dass Rüegg am 16. Oktober 1911 tatsächlich auf der Jagd begriffen gewesen sei, und dazu die Stockflinte mit sich geführt habe. Diese Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse durch das oberste kantonale Gericht steht mit dem Inhalte der Akten nicht in Widerspruch; es besteht

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demnach auch für die Begnadigungsinstanz; kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Konstatierung zu zweifeln.

Wenn Rüegg schliesslich noch geltend macht, dass es ihm infolge seiner prekären Vermögensverhältnisse schwer fallen würde, die ausgesprochene Busse zu bezahlen, so ist darauf zu bemerken, dass dieses Moment offenbar schon bei Ausfällung der Strafe berücksichtigt worden ist, denn diese erscheint als ziemlich gelinde bemessen, wenn in Betracht gezogen wird, dass der Petent durch Urteil des zürcherischen Obergerichtes vom 24. Februar 1909 schon einmal wegen Jagdfrevels mit einer Busse von Fr. 100 belegt worden ist. Ausserdem hat Rüegg wegen Betrug, Betrugsversuch, Fundunterschlagung, Erpressung, einfachen und wiederholten ausgezeichneten Diebstahls, Körperverletzung, schon verschiedene Vorstrafen erlitten, was ihn einer Begnadigung wenig würdig erscheinen lässt.

A n t r a g : Es sei das Begnadigungsgesuch des Adolf Rüegg abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 25. Oktober 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schutzmann.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Wintersession 1912). (Vom 25. Oktober 1912.)

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1912

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44

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30.10.1912

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