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Schreiben des Bundesrates an

die Kommission des Nationalrates betreffend Revision des Fabrikgesetzes.

(Vom 12. März 1912.)

Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren!

Mit Schreiben vom 28. Februar 1912 wünschen Sie namens Ihrer Kommission vom Bundesrate zu erfahren, welche Änderungen zufolge der Annahme des Bundesgesetzes über die Krankenund Unfallversicherung am Entwürfe eines revidierten F a b r i k g e s e t z e s anzubringen seien.

Wir beehren uns, Ihnen in dieser Angelegenheit folgende Vorschläge zu unterbreiten: Art. 3 des Entwurfs ist zu vergleichen mit Art. 65 (Unfallverhütung) des Versicherungsgesetzes. Dieser ist allgemeiner gehalten und würde die Aufstellung der in Art. 3, Absatz l und 2, bezeichneten nähern Vorschriften gestatten. Es ist aber sehr wünschbar, letztere im Fabrikgesetze beizubehalten, weil sie sehr wichtig sind und den Beteiligten daher in diesem Gesetze unmittelbar vor Augen geführt werden sollen. Im gegenteiligen Falle entstände bei Nichteingeweihten, so auch im Auslande, der Eindruck, dass die schweizerische Fabrikgesetzgebung die Fragen der Fabrikhygiene und der Unfallverhütung übergehe. Ein allfälliger Hinweis (im Fabrikgesetz) auf das Versicherungsgesetz ist nicht zu empfehlen, weil, abgesehen davon, dass man dann dort nachschlagen müsste, es den Interessen der Unfallversicherung nicht förderlich ist, wenn sie mit der Fabrikpolizei gesetzgeberisch in solche Beziehung gebracht wird.

Es kommt aber noch hinzu, dass auf Grund von Art. 65 die Unfallversicherungsanstalt Weisungen erlässt, auf Grund von Art. 3 die Kantonsregierung. Streicht man also diesen Artikel

781 (Absatz l und 2), so ist die daherige Tätigkeit der kantonalen Behörden ausgeschaltet. Das wäre ein Rückschritt. Die Versicherungsanstalt wird ihr Augenmerk wohl in erster Linie auf die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten richten, während die Kantone namentlich in bezug auf die allgemeine Fabrikhygiene weiter gehen. Konflikte aus der Tätigkeit beider Instanzen sind kaum zu befürchten, da Art. 65 die Mitwirkung der eidgenössischen Fabrikinspektoren auch bei der Versicherungsanstalt vorsieht. Diese Organe sind bis jetzt in der Hauptsache die Initianten der kantonalen Verfügungen gewesen und es wird nicht schwer sein, ihre künftige Mitwirkung an beiden Orten so zu ordnen, dass doppelte oder sich widersprechende Verfügungen vermieden werden. Ausserdem ist nach beiden Gesetzen der Bundesrat Rekursinstanz.

Absatz 3 und 4 von Art. 3 sind durch Art. 65 nicht gedeckt und müssen daher sowieso stehen bleiben.

Wir beantragen Belassung von Art. 3.

Art. 6--8. In unserer Botschaft vom 6. Mai 1910 äusserten wir uns folgendermassen : ,,Der Inhalt dieser Artikel wird ersetzt werden durch die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Kranken- und Unfallversicherung, und zwar, wenn es die Berufskrankheiten den Unfällen endgültig gleichstellen wird, auch in bezug auf diese Krankheiten." Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Vergleichung der Texte ergibt, dass das Gebiet von Art. 6--8 des Entwurfs in Art. 69 (Anzeigepflicht), 71 (Erhebungen und Anordnungen), und 68 (Berufskrankheiten") des Versicherungsgesetzes hinlänglich geordnet ist. Soweit einzelne Abweichungen bestehen, ist zu sagen, dass das neue Fabrikgesetz nicht, wie das alte, auf die Haftpflicht Rücksicht zu nehmen hat, und dass die Regelung, die das Versicherungsgesetz schafft, als eine abschliessende, d. h. keiner Ergänzung im Fahrikgesetz bedürftige anzusehen ist (vgl. Art. 128, Ersatz bisherigen Rechtes).

Der Unfallverhütung wird vom Standpunkte des Fabrikgesetzes aus in Art. 3 genügend Rechnung getragen. Die Information der Fabrikinspektoren kann auf Grund von Art. 65, Absatz 3, des Versicherungsgesetzes erfolgen.

Wir beantragen Streichung der Art. 6--8.

Art. 9. Ein Teil dessen, was aus dem Arbeiterverzeichni» ersichtlich sein soll (siehe Kommentar zum Fabrikgesetz, Beilage III), wird auch in den Lohnlisten (Art. 64 des Versicherungsgesetzes) enthalten sein, aber gerade die für den Vollzug Bundesblatt. 61. Jahrg. Bd. I,

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des Fabrikgesetzes wichtige Angabe des Alters nicht. Die Bestimmung von Art. 9 ist also schon aus diesem Grunde nicht zu entbehren. Auch wird mancher Fabrikinhaber lieber zwei Verzeichnisse des Personals, das eine für die Versicherungsanstalt, das andere für die mit dem Vollzug des Fabrikgesetzes betrauten Organe, führen lassen, als dass er diesen, die nicht nur solche des Bundes sind, Einsicht in die Lohnverhältnisse gewährt. Diejenigen Fabrikinhaber jedoch, denen die Führung zweier Verzeichnisse eine lästige Formalität ist, sollen hierzu nicht gezwungen sein. Es ist aber nicht nötig, zu diesem Zwecke den Art. 9 mit dem Art. 64 in Beziehung zu setzen. Der Bundesrat kann auf dem Wege des Vollzugs (Art. 68 des Entwurfs) das Nötige vorkehren, insbesondere dem Fabrikinhaber anheimstellen, die vom Standpunkte des Fabrikgeset/es aus zu verlangenden und den Aufsichtsorganen vorzuweisenden Angaben den für die Unfallversicherung vorgeschriebenen Lohnlisten beizufügen.

Wir beantragen Belassung von Art. 9.

Art. 19 hat die Haftpflicht zur Voraussetzung. Wir bemerkten schon in der erwähnten Botschaft, er werde dahinfallen, wenn das Versicherungsgesetz vor dem Fabrikgesetz in Kraft trete. Jedenfalls wird nicht das umgekehrte Verhältnis stattlinden. Das Versicherungsgesetz ordnet die Fälligkeit der Leistungen der Unfallversicherung in Art. 93.

Wir beantragen Streichung von Art. 19.

Andere Bestimmungen des Entwurfs kommen unseres Erachtens nicht in Frage.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeachtete Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 12. März 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

-5KS«.

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Schreiben des Bundesrates an die Kommission des Nationalrates betreffend Revision des Fabrikgesetzes. (Vom 12. März 1912.)

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