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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung eines Bundesamtes für soziale Versicherung.

(Vom 29. Oktober 1912.)

Tit.

I.

Das Bundesgesetz über.die Kranken- und Unfallversicherung bringt für den Bundesrat und die Bund es Verwaltung wichtige neue Aufgaben, die sich allerdings in bezug auf die beiden Versicherungsarten wesentlich unterscheiden.

Für die Durchführung der Unfallversicherung errichtete der Bund die ,,Schweizerische Unfallversicherungsanstalt in Luzern", die autonom unter der Aufsicht eines besondern Verwaltungsrates betrieben wird. Dem Bundesrat steht in der Hauptsache nur ein Oberaufsichtsrecht zu, während er mit der Unfallversicherung selbst direkt nichts zu tun hat.

Die Krankenversicherung dagegen wird von Bundeswegen nicht organisiert; sie bleibt nach wie vor den bestehenden und noch entstehenden Krankenkassen überlassen, die unter gewissen Voraussetzungen und Bedingungen unterstützt werden. Der Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen über die Krankenversicherung ist.

in die Hand des Bundesrates gelegt.

Wir wollen versuchen, die Aufgaben des Bundesrates in bezug auf die beiden Versicherungsarten zu skizzieren und dann gestützt darauf die Frage zu beantworten, ob für den Gesetzesvollzug besondere Verwaltungsorgane nötig seien.

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li. Die Unfallversicherung.

Die ,,Schweizerische Unfallversicherungsanstalt in Luzern a wird durch ihren Verwaltungsrat innert den Grenzen des Gesetzes, das indessen grossen Spielraum lässt, organisiert. Der Bundesrat bestellt auf den unverbindlichen Vorschlag des Verwaltungsrates die Direktion, welche die Anstalt leitet, verwaltet und nach aussen vertritt und er übt über die Anstalt ein Oberaufsichtsrecht aus, als dessen direkte Folge die vom Gesetze ausdrücklich erwähnte Genehmigung des Organisationsstatuts und der Jahresrechnungen und Jahresberichte anzusehen ist (50).*) Es wird Sache der Praxis sein, zu bestimmen, wie das Oberaufsichtsrecht ausgeübt werden soll. Wir gedenken der Anstalt alle mögliche Freiheit zu lassen und uns in ihre Verhältnisse ohne Not nicht einzumischen. Immerhin ist festzustellen, dass der Bundesrat offenbar darüber zu wachen hat, dass in allen Teilen -- wo nicht privatrechtliche, vorn Gerichte zu entscheidende Ansprüche in Frage stehen -- die Bestimmungen des Gesetzes und die anerkannten Grundsätze der Versicherungstechnik beobachtet werden. Diese Überwachung wird sich namentlich in der Prüfung der Jahresrechnungen und der Jahresberichte äussern. Hierbei wird z. B. zu untersuchen sein, ob. die Anstalt die Rechnungsgrundlagen des Gesetzes (48) beobachtet, ob sie für die einzelnen Abteilungen und in richtiger Weise gesonderte Rechnung führt, ob sie das System des Kapitaldeckungsverfahrens korrekt anwendet, die Verwaltungskosten in zutreffender Weise verteilt und den Reservefonds in gesetzlicher Weise dotiert (49).

Die Prüfung der Jahresrechnung wird auch gleichzeitig unter einem fiskalischen Gesichtspunkte erfolgen müssen. Der Bund bezahlt die Hälfte der Verwaltungskosten (51), trägt einen Viertel der Prämien für Nichtbetriebsunfälle und leistet an die freiwillige Versicherung einen Beitrag von einem Achtel der Prämien (108, 117). Die bezüglichen Rechnungselemente sind daher besonders nachzuprüfen.

Die Jahresberichte werden dem Bundesrate Veranlassung geben, sich die allgemeinen geschäftlichen Prinzipien, die Art der Organisation und des Geschäftsbetriebes vor Augen zu führen und sich dazu in zustimmendem oder in anderem Sinne zu äussern.

Der. Vorbehalt der Genehmigung des Organisationsstatuts ver*) Die Zahlen bezeichnen die Artikel des Gesetzes.

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leiht in bezug auf die Gestaltung der Ver waltungs Verhältnisse ein direktes Mitspracherecht, aber auch eine gewisse Mitverantwortlichkeit.

Neben diesen vom Gesetze ausdrücklich genannten Funktionen des Bundesrates als Oberaufsichtsbehörde steht die Möglichkeit von Beschwerden Beteiligter wegen wirklicher oder angeblicher Verletzung gesetzlicher Bestimmungen durch die Anstalt, ein Fall, der offenbar nicht häufig eintreten wird, aber als rechtliche Möglichkeit erwähnt werden muss.

In ein anderes Gebiet gehören die dem Bundesrate vorbehaltenen Beschlüsse über die Anwendung des Gesetzes. Er entscheidet endgültig eventuell mit Rückwirkung, ob ein Betrieb unter diejenigen einzureihen sei, deren Angestellte und Arbeiter versichert sind (60,4) und ob Ausländern die vollen Versicherungsleistungen zukommen, weil deren heimatliche Gesetzgebung über Fürsorge gegen Krankheit und Unfall den Schweizerbürgern Vorteile bietet, die denen unseres Gesetzes gleichwertig sind (90).

Er stellt das Verzeichnis der Stoffe auf, deren Erzeugung oder Verwendung bestimmte gefährliche Krankheiten verursacht, die den Betriebsunfällen gleichgestellt sind und daher das Recht auf Entschädigung nach den Vorschriften des Gesetzes geben (68).

Eine dritte Gruppe von Funktionen fällt in das Gebiet der Fabrik- und Gewerbepolizei. Der Bundesrat beurteilt Rekurse gegen Weisungen der Anstalt wegen Unfallverhütung und ordnet die Mitwirkung der eidgenössichen Fabrikinspektoren bei dieser (65).

Über eine weitere wichtige Funktion des Bundesrates, die Ordnung der Mitwirkung der Krankenkassen bei der Unfallversicherung, werden wir unten nach der Behandlung der KrankenversicherungSprechen. Dagegen sei hier noch erwähnt, dass der Bundesrat die von der Versicherungsanstalt vorbereiteten Entwürfe der Bundesbeschlüsse über die Ordnung der freiwilligen Versicherung, über die freiwillige Versicherung von Drittpersonen und über die Organisation und das Verfahren des Versicherungsgerichtes zu behandeln und vor den Räten zu vertreten hat. Ihm liegt ferner -- zumal am Anfange -- der Erlass aller Vollziehungsvorschriften und deren jederzeitige Anpassung an die Bedürfnisse ob.

Endlich wird sich -notwendigerweise -- besonders in der Vorbereitungszeit und in den ersten Betriebsjahren -- ein lebhafter Verkehr der Unfallversicherungsanstalt mit den Bundesbehörden über alle möglichen Fragen und Verhältnisse ergeben, dessen Einzelheiten heute nicht voraussehbar, dessen Zweck aber

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die glatte und möglichst reibungslose Gesetzeseinfiihrung sein wird. Man wird sich überall, wo beide Teile mitzusprechen haben, verständigen, wenig durch Entscheid und viel durch freundschaftlichen Meinungsaustausch erledigen.

Nachdem wir so in grossen Zügen die Aufgabe der Bundesverwaltung in bezug auf die Unfallversicherungsanstalt -- keineswegs lückenlos -- gekennzeichnet haben, fragen wir, wie muss die Amtsstelle organisiert sein, welche diese Aufgaben sachgemäss besorgen und zuhanden des Bundesrates zuverlässig vorbereiten kann?

Für eine Gruppe von Aufgaben besteht unseres Erachtens die Organisation bereits, nämlich für diejenigen, welche wir oben schon als fabrik- und gewerbepolizeiliche bezeichnet haben. Die Rekurse gegen die Weisungen der Anstalt wegen Unfallverhütung und die Ordnung der Mitwirkung der Fabrikinspektoren hiebei, sowie die Entscheidungen im Sinne von Art. 60 des Gesetzes können ohne weiteres von den bereits bestehenden Organen des Tndustriedepartementes behandelt werden.

Anders verhält es sich mit der Erledigung der Fragen, die mit der Oberaufsicht über die Unfallversicherungsanstalt und dem Erlass der Vollziehungsvorschriften zusammenhängen. Die Begutachtung der Jahresberichte, der Jahresrechnungen, ja bis auf einen gewissen Grad des Geschäftsbetriebes der Anstalt, kann nur von einer Amtsstelle ausgehen, deren Träger über versicherungstechnische Kenntnisse verfügen und unter diesem Gesichtspunkte den Leitern der Anstalt ebenbürtig sind. Nur dann kann sich der Bundesrat auf ihr Urteil verlassen und eventuell gestützt auf dieses auch gegen die Ansicht der Anstaltsorgane entscheiden.

Nur dann kann er, speziell in Fragen, wie die Organisation der freiwilligen Versicherung sie bietet, auf den erhaltenen Rat Gewicht legen.

Wir müssen somit festhalten, dass wir versicherungstechnisch gebildete und in dieser Beziehung vollwertige Elemente nötig haben, um bezüglich der Unfallversicherungsanstalt dem Bundesrate und dem Departemente mit Rat an die Hand gehen zu können.

III. Die Krankenversicherung.

Der Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen über die Krankenversicherung ist sehr vielgestaltig, da eine Reihe ganz verschiedener Vorschriften auf eine Menge von Krankenkassen zur An-

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wendung kommen müssen. Der Zweck des Gesetzes ist, durch ökonomische Unterstützung den Kassen zu Hülfe zu kommen, um ihnen die Erreichung ihrer Aufgabe zu erleichtern. Die Geldunterstützung soll aber nur gewährt werden, wenn die Kassen bestimmten Vorschriften nachkommen, die ohne Ausnahme in ihrem Interesse und in demjenigen der Versicherten liegen, und dadurch sich selbst in höherem Masse zur Erfüllung ihres Berufes befähigen.

Es muss daher für jede einzelne Krankenkasse bei ihrer Anmeldung geprüft werden, ob sie den Anforderungen, sowohl was ihren rechtlichen als was ihren ökonomischen Aufbau anbetrifft, entspreche und anerkannt werden könne. Weiter muss die Fortdauer des gesetzmässigen Zustandes und die Innehaltung der gesetzlichen Bedingungen überwacht und eventuell auf Abhülfe gedrungen werden. Bedenkt man, dass zurzeit etwn 2000 Krankenkassen bestehen, von denen wohl die Mehrzahl sich um die Anerkennung und damit um die Bundessubvention bewerben dürfte, so wird kaum bestritten werden können, dass die Arbeit eine sehr grosse sein wird. Sie wird auch eine sehr heikle sein. Denn es handelt sich nicht darum, die gesetzlichen Bestimmungen schroff anzuwenden und möglichst viele Kassen von der Subvention auszuschliessen, sondern im Gegenteil darum, möglichst viele in den Kreis der anerkannten Kassen zu ziehen, um recht viele Versicherte die doppelte Wohltat der Unterstützung und der Aufsicht des Bundes teilhaftig werden zu lassen und um die Krankenversicherung tunlichst auszubreiten.

Um entscheiden zu können, wie der Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen zu organisieren sei, muss man sich Rechenschaft geben, in welcher Richtung die Verwaltung tätig sein muss.

Die Kassen,. welche sich um ihre Anerkennung bewerben, haben, wie bereits erwähnt, in rechtlicher Beziehung gewissen formellen und materiellen Anforderungen zu entsprechen. Ihr Sitz muss in der Schweiz sein, sie dürfen Schweizer nicht ungünstiger behandeln als andere Mitglieder, sie müssen Schweizer eintreten lassen, wenn diese den Aufnahmebedingungen entsprechen. Die Kassen sollen die Krankenversicherung nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit betreiben und dabei die beiden Geschlechter, unter Vorbehalt bestimmter Ausnahmen, gleich stellen. Sie müssen weiter die Freizügigkeit im Sinne der Art. 7--10 anerkennen und in ihren statutarischen oder reglementarischen Vorschriften, die dem Bundesrate zu unterbreiten sind, verwirklichen. Weiter

506 haben die Kassen in ihren Vorschriften gewisse Minimalleistuugen zu garantieren (12--14) und die freie Ärzte- und Apothekerwahl unter Vorbehalt der ihnen in bezug auf den Abschluss von Tarifverträgen besonders gemachten Zugeständnisse einzuräumen.

Schliesslich müssen die Kassen dafür sorgen, dass Versicherten im Falle von Krankheit aus der Versicherung kein Gewinn erwächst, und darauf achten, dass ihre Mitglieder nicht bei mehr als zwei Kassen versichert sind. Neben diesen Einzelbestimmungen steht noch eine allgemeine Vorschrift, die ganz besonders des Ausbaues in der Praxis bedarf: die Kassen müssen Sicherheit dafür bieten, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen können.

Die Prüfung der Verhältnisse der sich anmeldenden Kassen und ihre Überwachung nach der Anerkennung muss daher eine sehr ausgedehnte sein. Die nach Art. 4 vorzulegenden statutarischen und übrigen Bestimmungen ,,über Rechte und Pflichten der Mitglieder" sind darauf zu prüfen, ob sie den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Je nach der Variante, welche die einzelne Kasse bezüglich Höhe und Dauer der Versicherungsleistungeu und der ärztlichen Verhältnisse wählt, sind z. B. die gesetzlichen Anforderungen in diesem Gebiete verschieden ; je nach der Natur der Kassen (offene, geschlossene oder speziell Betriebskassen) sind die zulässigen und nötigen Bestimmungen über Freizügigkeit andere. Die Vorschriften der Kassen müssen gruppenweise oder individuell untersucht und sollen respektiert werden, wenn das Gesetz es erlaubt.

Insbesondere wird aber die Forderung, dass die Kassen für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen dio notige Sicherheit bieten müssen, nicht leicht durchzuführen sein. Wollte man hier strikte verfahren, so müsste der ganze ökonomische Aufbau der Kassen nach versicherungstechnischen Grundsätzen untersucht und nach diesen beurteilt werden. Dabei müsste festgestellt werden, ob die Prämien mit Rücksicht auf das Alter und die Art der Versicherten einerseits und die Versicherungsleistungen anderseits, sowie endlich mit Rücksicht auf den Stand der Reserven angemessen seien. Der Prüfung unterstünde weiter die Frage, ob die Zahl der Versicherten, angesichts einer mangelnden oder einer vorhandenen Rückversicherung genüge, und ob die Organisation, die Verwaltung und Ordnung der Kasse den Grundsätzen einer geordneten
Ökonomie entsprechen. Diese Untersuchung ist um so heikler, als die Kassen nach Art. 3 neben der Krankenversicherung noch andere Versicherungsarten betreiben dürfen, was bei der Mehrzahl heute zutrifft.

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Es wird nun Sache eines klugen Vollzuges sein, gerade in Beziehung auf die Sicherheit am Anfang den Bogen nicht allzu straff zu spannen. In mancher Beziehung fehlen ja auch noch die Erfahrungen und die Grundlagen, namentlich über die Häufigkeit der Krankheitsfälle. Während z. B. in bezug auf Innehaltung der Bestimmungen über Freizügigkeit schon im Interesse der im einzelnen Falle Beteiligten von Anfang an strenge Ordnung herrschen muss, wird es Sache der vollziehenden Organe des Bundes seio, durch wohlwollende Beratung und Überzeugung der leitenden Kreise die Kassen nach und nach zu konsolidieren und tunlichst einem Zustande des versicherungstechnischen Gleichgewichtes xa.

nähern. Hier ist das Gebiet, wo der Vollzug zielbewusst, aber klug und vorsichtig einsetzen muss. Um so handeln zu können, muss sich bei der massgebenden Amtsstelle versicherungstechnisches Wissen mit Organisationstalent, Liebe zur Sache mit Geduld und Ausdauer vereinen. Ist dies der Fall, so wird die vom Bunde mit dem Vollzug der Krankenversicherung hetraute Amtsstelle der Freund der Krankenkassen und damit ihr mächtiger Förderer werden. Diese wichtige Tätigkeit der Bundesbehörden ist nicht nur eine einmalige, bei der Anerkennung sich einstellende, sondern im Gegenteil eine konstante, an die Prüfung der Jahresrechnungen und Berichte sich anschliessende und mit der Zahl der anerkannten Kassen wachsende.

Das Bild der Tätigkeit der Bundesverwaltung wäre bezüglich der Beaufsichtigung der Kassen kein vollständiges, würden wir nicht noch die Bedeutung des Art. 33 des Gesetzes hervorheben.

Danach kann der Bundesrat, wenn eine der in den Art. 3 -- 28 und 32 enthaltenen Vorschriften von einer anerkannten Kasse verletzt wird, diese von Amtes wegen oder auf Beschwerde hin zuerst mahnen, dann büssen und endlich ihr die Anerkennung entziehen. Es liegt auf der Hand und ist unbestreitbar, dass der Bundesrat so vorgehen kann, wenn eine Kasse seinen Anordnungen über statutarische Vorschriften, über die Rechnungsstellung, den Prämienbezug oder über die Art der Verwaltung überhaupt nicht befolgt. Aber die durch Art. 33 den Bundesbehörden erwachsende Aufgabe geht unseres Erachtens weiter und wird zur eigentlichen Rechtsprechung auch im Verhältnis der Kassen zu ihren Mitgliedern oder zu Minoritäten von Mitgliedern, ja sogar zu solchen, die
Mitglieder werden wollen, wie wir an Beispielen gleich zeigen wollen.

Das Gesetz anerkennt unter gewissen Verhältnissen das Recht der Freizügigkeit, d. h. den Anspruch eines gegenwärtigen oder

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frühem Mitgliedes einer Kasse auf Übertritt in eine andere Kasse (7). Wie hat sich der ,,Zügera zu verhalten, wenn die Kasse, in die er eintreten möchte, und die ihn nach Gesetz aufnehmen muss, die Aufnahme verweigert oder ihn hinhält? Denkbar wäre, weil das Gesetz von einem ,,Ansprüche" des Zügers spricht, diesen nach Art. 30 zur Geltendmachung vor die Gerichte zu weisen.

Die Inkonvenienz eines solchen Vorgehens läge auf der Hand.

Die Gerichte der ganzen Schweiz wären berufen, über die gleiche Frage im ungleichen Verfahren, vielleicht je nach der Einschätzung des Streitwertes in ganz verschiedenen Instanzen Urteile zu fällen, die verschieden ausfielen und an keine zentrale Stelle weitergezogen werden könnten. Aber auch juristisch wäre diese Lösung unseres Erachtens unrichtig. Der Anspruch des ,,Zügers" ist nach unserer Ansicht wohl kein privatrechtlicher, sondern ein öffentlichrechtlicher. Er gründet sich auf eine, kraft öffentlichen Rechtes mit Rücksicht auf die Subvention der Kasse, in welche der Züger eintreten will, gemachte Auflage, Mitglieder anderer Kassen unter bestimmten Bedingungen aufzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkte kann sich unseres Erachtens der zurückgewiesene Züger an den Bundesrat wenden, damit dieser die subventionierte und anerkannte Krankenkasse verhalte, ihn aui'zunehmen. Die weitere Frage, in welcher Höhe die zur Aufnahme verhaltene Kasse Versicherungsleistungen zu machen habe, ist dann allerdings eine privatrechtliche, welche sich nach Art. 30 vor einem Schiedsgerichte oder^dem ordentlichen Richter erledigt.

Ganz gleich würde sich nach unserer Ansicht eine Differenz nach Art. 5 erledigen, falls eine Kasse einen Schweizerbürger, der die statutarischen Aufnahmsbedingungen erfüllt, nicht akzeptieren wollte. Eine weitere Beschwerde könnte sich z. B. auf Art. 6 stützen, falls eine Kasse den Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter im einzelnen Falle verletzen würde. Beim Bundesrat könnte sich auch ein Mitglied beklagen, das behauptet, aus konfessionellen^und politischen Gründen aus einer Kasse ausgeschlossen worden zu sein (11).

Wir^wollen es bei diesen Beispielen bewenden lassen, da mit ihnen wohl genügend dargetan ist, dass dem Bundesrate durch das Gesetz eine Art Rechtsprechung übertragen wurde über alle die Rechte, die sich auf die anlässlich der Subventionierung
den Kassen gemachten Auflagen stützen, soweit nicht ein besonderes Verfahren (z.fB. in Art. 25 für Differenzen mit Ärzten und Apothekern) vorgesehen ist. Sind vielleicht die einzelnen Fälle als solche auch nicht immer sehr wichtig, so handelt es sich doch

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häufig um grundsätzliche Fragen, deren Lösung von grosser Bedeutung für die Krankenkassen und Versicherten ist, und deshalb schon von einer einheitlichen Stelle ausgehen muss.

Eine weitere Gruppe von Obliegenheiten der Bundesverwaltung bezieht sich auf die Ausrichtung der Subventionen nach Massgabe von Art. 35 des Gesetzes und auf die Erhebung und Feststellung aller für die Subventionierung und deren Abstufung nötigen Tatsachen. Wir erinnern daran, dass die Subventionen sich nach dem Alter und dem Geschlechte der Versicherten, sowie nach den Versicherungsleistungen und der topographischen Lage der Kassen richten und sich zwischen Fr. 3. 50 und Fr. 5. 50 (dazu eventuell noch Fr. 7. -- Gebirgszuschlag) für jeden Versicherten bewegen. Ausserdem bezahlt der Bund einen Beitrag von Fr. 20. -- resp. Fr. 40. -- an das Wochenbett. Die Ausrichtung der Beiträge nach Massgabe der erwähnten Vorschriften macht eine genaue Kontrolle der Leistungen, der Rechnungen und des Mitgliederbestandes der Kassen notwendig. Speziell trifft dies auch zu mit Rücksicht auf die in Art. 36 vorgesehenen Beschränkungen.

Mit dieser Tätigkeit gegenüber den Krankenkassen ist indessen die Aufgabe der Vollzugsorgane für die Krankenversicherung nicht erschöpft. Der Bund hat sich veranlasst gesehen, auf die Einführung des Obligatoriums der Krankenversicherung und die Gründung öffentlicher Kassen zu verzichten. Er hat jedoch den Kantonen ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, kantonal oder kommunal diese beiden Neuerungen einzuführen, und dabei vorgesehen, dass die Arbeitgeber zwar zu keinen Geldleistungen, wohl aber zum Inkasso der Beiträge obligatorisch Versicherter an öffentliche Kassen verhalten werden können (2). Alle bezüglichen kantonalen Vorschriften bedürfen der Genehmigung des Bundesrates. Sache seiner speziellen Organe ist es offenbar, den Kantonen in ihren Bestrebungen an die Hand zu gehen, ihre Erlasse unter dem Gesichtspunkte der für alle anerkannten Krankenkassen geltenden Bestimmungen zu prüfen und alle bezüglichen Versuche als Vorläufer einer vollkommenen Bundesgesetzgebung zu unterstützen.

In Verbindung damit steht die Beteiligung des Bundes an den von den Kantonen für dürftige Kassenmitglieder ausgelegten Prämien.

Endlich sieht das Gesetz neben den Leistungen an die Krankenkassen noch Beiträge des Bundes an die
Krankenpflege und Geburtshülfe in dünn bevölkerten Gebirgsgegenden mit geringer Wegsamkeit vor (37), ohne dass Krankenkassen bestehen müssten. Die gesetzliche Bestimmung fixiert bloss den Grund*

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satz, ihr Ausbau ist Sache des Vollzuges. Wir betrachten die bezügliche Gesetzesbestimmung als eine wohl motivierte, die segensreich wirken wird. Ihre wirtschaftliche Bedeutung hängt aber ganz vom Vollzuge ab, der mit praktischem Blicke und mit Verständnis für die besondere Lage und die besondern Verhältnisse unserer Gebirgsbewohner vorzunehmen sein wird. Gerade hier stehen wir vor einem Programmartikel, bei dessen Ausführung Wille, Verständnis und richtiges Empfinden der Handelnden eine besondere Rolle spielen.

IV. Die besondern Beziehungen der Krankenkassen zur TJnfallversicherungsanstalt.

Neben der Oberaufsicht über die Unfallversicherungsanstalt und dem Vollzug des Abschnittes Krankenversicherung kommen dem Bundesrate und seinen Organen noch eine Reihe sehr wichtiger Funktionen zu, dio sich auf beide Versicherungsarten beyäehen.

Nach Art. 27 des Gesetzes sind die Krankenkassen verpflichtet, bei dem Betriebe der Unfallversicherung mitzuwirken und zwar in der Weise, dass sie, auf Wunsch der Anstalt, innerhalb der örtlichen Grenzen ihres Tätigkeitsgebietes eine Agentur und damit den Prämienbezug, den Anzeige-, Feststellungs- und Aufsichtsdienst bei Unfällen, sowie die Ausrichtung der Versicherungsleistungen zu übernehmen haben. Überdies kann die Unfallversicherungsanstalt einer Kasse innerhalb der örtlichen Grenzen ihres Tätigkeitsgebietes die Versicherung der Krankenpflege und des Krankengeldes für die ersten sechs Wochen von Unfallkrankheiten übertragen, soweit die Kasse hierzu geeignet ist.

Der Bundesrat bestimmt nach Anhörung der Anstalt und der Krankenkassen die Tarife für den Mühewalt bei Übernahme der Agentur (54) und für die Übernahme der Versicherung während der ersten sechs Wochen (55 und 56), und entscheidet über die Rekurse von Krankenkassen, welche glauben, sie seien ausserstande, eine ihnen übertragene Versicherung zu übernehmen (55).

Dein Bundesrate und seinen Organen kommt also tatsächlich die Rolle des Vermittlers und Richters zwischen Unfallversicherungsanstalt und Krankenkassen für ihre aus Art. 54--59 des Gesetzes sich ergebenden Beziehungen au. Es bedarf keiner weitern Auseinandersetzung, um zu zeigen, dass diese Tätigkeit von grösster Wichtigkeit ist. Für die Unfallversicherungsanstalt ist es eine kapitale Frage, ob sie für ihre Tätigkeit besondere

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Agenturen errichten, oder diese im Interesse der Ersparnis nnd der Kontrolle Krankenkassen übertragen soll. Ebenso kann sie ein grosses Interesse daran haben, wiederum speziell wegen der Kontrolle, die Versicherung der ersten sechs Wochen gegen eine feste, durch Tarif bestimmte Leistung zuverlässigen Krankenkassen zu übertragen. Die Agenturen müssen von den Kassen übernommen werden (54), die Versicherung kann von ihnen eventuell abgelehnt werden, wenn sie ausserstande sind, diese Funktionen zu besorgen. Dies wird wohl zutreffen, wenn die Kasse zu klein und zu schwach oder ungenügend organisiert ist oder wenn ihr die Übernahme iinverhältnismässige Lasten auferlegen würde.

Die Vollziehungsorgane haben nach den gesetzlichen Bestimmungen die Ordnung beider Verhältnisse in der Hand, da sie in beiden Fällen die Tarife aufstellen und so die Bedingungen der Übertragung der Agenturen und der Versicherung regulieren.

Diese Aufgabe ist eine sehr wichtige, da man sich für die Unfallversicherung grosse Vorteile verspricht, wenn sie sich der Krankenkassen als Vermittler und Versicherer bedienen kann, und da die Entschädigung, welche sie für Mühewalt, und die Prämien, welche sie für die Versicherung erhalten, den Krankenkassen mindestens die eigenen Unkosten tragen helfen. Die.

Krankenkassen begegnen trotzdem dieser Auflage mit einem gewissen Misstrauen. Die Rolle der Organe des Bundesrates ist deshalb eine bedeutungsvolle. Sie werden in erster Linie versuchen, freundschaftliche Lösungen finden zu helfen, welche den Interessen beider Teile entsprechen. Das wird natürlich eher gelingen, wenn die Oberaufsicht über die Unfallversicherungsanstalt und der Vollzug der Bestimmungen über die Krankenversicherung an der nämlichen Stelle konzentriert sind. Nur dann besteht nach beiden Seiten die Fühlung, und nur dann ist die Garantie geboten, dass die vorbereitenden Organe der Bundesverwaltung die beidseitigen Verhältnisse genau kennen und objektiv abwägen können.

Überhaupt darf an dieser Stelle auf die vielfachen Wechselbeziehungen und gemeinsamen Interessen der Krankenkassen und der Unfallversicherungsanstalt hingewiesen werden. Die letztere ist an der Ordnung der wichtigsten Fragen, die für die Kassen auftreten, lebhaft interessiert. Wir erinnern z. B. daran, dass die ganze für die Krankenkassen eintretende Ordnung
der Arztund Apothekerverhältnisse nach Art. 73 auch auf die Unfallversicherung zur Anwendung kommt. Der wichtigste Berührungspunkt der beiden Versicherungen aber bleibt natürlich die Mitwirkung der Krankenkassen bei der Unfallversicherung.

Bundesblatt. 64. Jahrg. Bd. IV.

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V. Kann eine bestehende Abteilung der Bundesverwaltung den Gesetzesvollzug übernehmen?

Wir haben uns zunächst die Frage vorgelegt, ob die vorstehend entwickelten Aufgaben einem bereits bestehenden Zweige der Verwaltung zugeteilt werden könnten. Auch wenn dies geschähe, so wären natürlich neue Kräfte nötig, welche die vermehrte Arbeit effektiv ausführen würden.

Bis jetzt wurden die Geschäfte, die mit dem Erlass des Versicherungsgesetzes zusammenhängen, von der Abteilung Industrie des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes besorgt, und ihr ist auch heute noch der Mathematiker zugeteilt, der die Vorarbeiten zum grossen Teile gemacht hat. Zugunsten einer solchen Vereinigung fiele ins Gewicht, dass die Vorsicherung zum Teil mit den Fragen der Fabrikpolizei in direktem Zusammenhange steht. Wir erinnern an die Vorschriften betreffend die Unterstellung der Betriebe unter das Versicherungsgesetz (Analogie : Unterstellung unter das Fabrikgesetz) und namentlich an die Organisation der Mitwirkung der Fabrikinspektoren bei der Unfallverhütung, sowie an die bezüglichen Entscheidungsbefugnisse des Bundesrates. Diese Obliegenheiten werden naturgemäss den Organen des Industriedepartementes verbleiben müssen.

Anders steht es mit den Aufgaben auf dem Gebiete dei1 Versicherung selbst. Sie sind, wie gezeigt, weit verzweigte, neue, arbeitsreiche und solche, welche ganz spezielle Kenntnisse erfordern. Es kann keine Rede davon sain, dass die Abteilung Industrie diese Pflichten neben ihren übrigen Arbeiten, wie Handhabung und Revision des Fabrikgesetzes, Vorbereitung der Gewerbegesetzgebung, Arbeitsnachweis, gewerbliches und hauswirtschaftliches Bildungswesen, übernehmen könnte. Es handelt sich hier um ein ganz anderes Gebiet, dasjenige der Versicherungstechnik. Dagegen soll gleich betont werden, dass es in hohem Grade wünschenswert ist, die Ausführung des Versicherungsgesetzes dem Departemente zuzuteilen, welchem die Erledigung der Fragen des Arbeiterschutzes, namentlich die Ausführung des Fabrikgesetzes, obliegt, da die Organe der Versicherung und die des Arbeiterschutzes berufen sind, in einer Reihe von Fällen zusammenzuarbeiten, und da sogar die Fabrikinspektoren beiden Institutionen dienen sollen (65).

Es blieb unter diesen Umständen übrig, zu prüfen, ob die Vollziehung des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 dem bereits

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bestehenden Aufsichtsamt über die Privatunternehnmngen auf dem Gebiete des Versicherungswesens übertragen werden könne.

Dort würden wir Kräfte finden, die in ihrer bisherigen Tätigkeit eine vorzügliche Schule im Gebiete des Versicherungswesens durchgemacht haben, und es wäre auch sachlich möglich, das bestehende Versicherungsamt, statt wie bisher dem Justiz- und Polizeidepartemente, in Zukunft dem Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartemente als selbständige Abteilung anzugliedern.

Schwieriger als diese formelle Frage gestaltet sich die materielle Erledigung. Das nach dem Aufsichtsgesetze vom 25. Juni 1885 bestehende Versicherungsamt hat eine streng abgegrenzte und wirtschaftlich sehr bedeutungsvolle Tätigkeit. Es beaufsichtigt alle privaten Versicherungsunternehmungen, die in der Schweiz konzessioniert sind, und soll auf diese im Interesse der Versicherten die Vorschriften des Gesetzes, namentlich über die Rechnungsstellung, und die Grundsätze der Versicherungstechnik strikte anwenden. Von seiner Tätigkeit hängt es zum Teil ab, ob die in Lebensversicherungen angelegten, grossen Teilbeträge unseres Nationalvermögens sicher gestellt sind und bleiben, und ob die Versicherungsbedingungen angemessen gestaltet werden.

Das Amt hat ferner die Vorarbeiten für das Gesetz über den Versicherungsvertrag gemacht und wird in nächster Zeit an eine Revision des Aufsichtsgesetzes heranzutreten haben. Seine Tätigkeit hat liberall, auch ausserhalb der Grenzen unseres Landes, Anerkennung und Lob gefunden, so dass wir uns fragen müssen, ob es klug wäre, seine grosse Geschäftslast durch Zuweisung neuer Zweige zu vermehren und so eventuell die Qualität der Arbeit auf dem bisher behandelten Gebiete zu beeinträchtigen. Was zunächst die Oberaufsicht über die Unfallversicherungsanstalt betrifft, so würde diese Punktion ihrem Wesen nach schliesslich zur bisherigen Tätigkeit des Amtes passen. Hier wie dort handelt es sich um die Anwendung versicherungstechnischer Grundsätze auf Versicherungsanstalten. Und man könnte auch nicht geltend machen, dass durch die gleichzeitige Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und der staatlich organisierten Anstalt Konflikte entstehen würden, da eine Konkurrenz nur noch auf dem Gebiete der freiwilligen Versicherung gegen Unfälle bestehen wird. Es ergibt sich aber
aus unserer Darstellung (vgl. Abschnitt II dieser Botschaft), dass die Tätigkeit des Versicherungsamtes in bezug auf die von Bundeswegen organisierte Unfallversicherungsanstalt in Luzern auch eine weit ausgedehntere,

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eingreifendere, und in ihrem Wesen ganz andere sein müsste, als gegenüber den Privatunternehmungen. Neben der versicherungstechnischen Beaufsichtigung müsste es sich überdies mit der Vorbehandlung von Beschwerden wegen Gesetzesverletzung, der Mitwirkung beim Erlass der Vollziehungsvorschriften, soweit diese vom Bundesrate ausgehen oder durch ihn vorzubereiten sind, und der Prüfung der Rechnungen unter fiskalischen Gesichtspunkten beschäftigen.

Weit schwieriger würde sich für das Versicherungsamt die Aufgabe gestalten, soweit die Krankenversicherung in Betracht fällt. Hier handelt es sich für die Bundesverwaltung nicht um die Oberaufsicht über staatlich organisierte Krankenkassen, sondern um die direkte Gesetzesvollziehung, während diese für die Unfallversicherung in der Hauptsache der Anstalt in Luzern zukommt.

Die Bundesverwaltung muss, wie wir schon oben ausführten, zu einer Menge von privaten, zum Teil auch öffentlichen Krankenkassen in Beziehung treten, sie in manchen Fragen (z. B.

Freizügigkeit) zusammenführen, in andern beraten, ferner die finanzielle Unterstützung organisieren, eine Kontrolle über die Innehaltung der gesetzlichen Bestimmungen ausüben, Beschwerden entscheiden und endlich, nach und nach, vorsichtig den Grundsätzen der Versicherungstechnik, soweit als tunlich, in dor Verwaltung der Kassen Eingang verschaffen. Gewiss ist auch hier eine Aufsicht über Gebilde aus dem Gebiete des Versicherungswesens auszuüben, aber sie ist, wie gezeigt, ganz anders gedacht, als die vom heutigen Versicherungsamt über private Unternehmungen zu übende, und sie bezieht sich auf ganz andere wirtschaftliche Organisationen. Bei der Ausführung des Aufsichtsgesetzes von 1885 tritt das Versicherungsamt mit starken, gross angelegten, streng geschäftlich organisierten, vielfach als Erwerbsgesellschaften konstituierten, Versicherungsanstalten in Berührung, welche über ein versicherungstechnisch und kommerziell geschultes Personal verfügen und in ihren Betrieben meist grosse Mittel investiert haben. Hier gilt es vor allem, die Interessen der Versicherten zu schützen. Bei der Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen über die Krankenversicherung aber begegnet man ganz andern Vereinigungen. Neben wohlorganisierteu, aber doch mit den Versicherungsgesellschaften gar nicht vergleichbaren Krankenkassen unterstützt
der Bund eine Menge kleiner, zum Teil schwacher Kassen, die sich mit der Bundeshtllfe aufrichten wollen, um sich dadurch erst so recht für ihre wirtschaftlich-gemeinnützige Wirksamkeit zu befähigen. Die Aufgabe

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des heute bestehenden Versicherungsamtes ist somit sowohl in Bezug auf die Art der Tätigkeit als in Bezug auf die Objekte eine ganz andere, als die Vollziehung der Krankenversicherung sie mitbringt, ja wir wagen zu behaupten, dass sogar die Mentalität der mit der Arbeit betrauten Personen, wenn sie im einen wie im andern Fall ihre Pflicht tun wollen, eine ganz verschiedene sein muss. Wir halten daher dafür, es würde weder für die wirtschaftlich so wichtige und des weitern Ausbaues bedürftige Beaufsichtigung der Privatunternehmungen auf dem Gebiete des Versicherungswesens, noch für den Vollzug der Krankenversicherung von Vorteil sein, wenn diese durchaus heterogenen Aufgaben in einem Amte vereinigt würden. Das eine oder das andere oder gar beide würden leiden.

Dazu kommt, dass im Falle der Zuweisung der Krankenversicherung, schon mit Rücksicht auf die Arbeitslast, am bestehenden Versicherungsamte zwei Abteilungen, jede mit einem Vizedirektor, geschaffen werden müssten, von denen die eine die Beaufsichtigung der Privatunternehmungen, die andere den Vollzug der Kranken- und Unfallversicherung besorgen würde. Von dieser Organisation bis zur vollständigen Trennung ist nur ein kleiner Schritt, der auch keine grossen Mehrausgaben zur Folge haben kann.

Es bleibt nun noch die weitere Frage zu erörtern, ob man die Oberaufsicht über die Unfallversicherungsanstalt dem bereits bestehenden Versicherungsamte, den Vollzug der Bestimmungen über die Krankenversicherung aber einem dem Industriedepartemente zu unterstellenden Krankenkassenamte übertragen solle.

Wir haben auch diese Lösung geprüft und sind zur entschiedenen Verneinung gekommen. Von allen andern Gründen abgesehen, erscheint eine Doppelspurigkeit im Vollzuge des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 unmöglich. Es ordnet die Krankenund Unfallversicherung gleichzeitig und verbindet die beiden Versicherungsarten in mannigfacher Weise, wie dies insbesondere aus den Bestimmungen über die Mitwirkung der Krankenkassen bei der Unfallversicherung (Abschnitt IV dieser Bolschaft) sich ergibt. Der Bundesrat ist berufen, durch seine Organe gerade in dieser Beziehung die Vermittlerrolle m\ übernehmen. Dabei wäre es nicht von gutem, wenn er von zwei Amtsstellen beraten, oder gar an zwei Stellen Funktionen delegieren würde, an die eine für die Krankenversicherung, an die
andere für die Unfallversicherung. Jede dieser Stellen wäre dann bloss im Kontakte mit der Organisation der einen Versicherungsart, würde nur deren Bedürfnisse kennen und sie vielleicht

516 einseitig vor denen des andern Zweiges bevorzugen. Das Gegenteil ist notwendig. E i n e Stelle muss die Krankenversicherung und die Unfallversicherung überblicken, um beider Bedürfnisse in Sachkenntnis und Objektivität abwägen zu können. Der Vollzug folgt dann dem Gedanken des Gesetzgebers, der beide Versicherungszweige miteinander ordnete und zusammenverband.

So soll die vom Bundesrate mit dem Vollzuge betraute Stelle gerade das Bindeglied werden, das den Kontakt herstellt.

In einer Reihe von Fragen, man denke z. B. an die Regelung des Verhältnisses zu Ärzten, Apothekern und Spitälern, sind die Interessen der Krankenkassen und der Unfall v ersicherungsanstalt identisch. Der Austausch von Erfahrungen und gemeinsames Handeln wird von Vorteil sein. In andern Punkten, wo die Interessen gegeneinander stehen, wie z. B. bei Aufstellung der Tarife für die Übertragung von Agenturen der Unfallversicherung an die Krankenkassen und für Übernahme der Versicherungsleistungen durch diese während den ersten sechs Wochen von Unfallkrankheiten, ist es ebensosehr im Interesse der Kassen als in demjenigen einer gerechten Tarifaufstellung gelegen, dass das handelnde Organ der Bundes vorwaltung einen genauen Einblick in die Betriebsverhältnisse der Unfallversioherungsanstalt wie in diejenigen der Krankenkassen hat und über beide die Aufsicht ausübt.

Gemeinsam endlich sind wieder die Interessen der Krankenversicherung und der Unfallversicherungsanstalt in Bezug auf die Ausbreitung der Krankenkassen und die Entwicklung der bezüglichen Gesetzgebung. Es wäre daher geradezu unnatürlich, im Vollzuge auseinanderzureissen, was geschaffen wurde, um zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu ergänzen.

Der Bundesrat sah zwar in seiner Botschaft vom 10. Dezember 1906 vor, sowohl die Oberaufsieht über die Unfallversicherungsanstalt als die Vollziehung der Bestimmungen über die Krankenversicherung dem bereits bestehenden Aufsichtsamte über die privaten Versicherungsunternehmungen zu übertragen (Bundesbl.

VI, 263 und 328). Die bisherigen Darlegungen dürften jedoch gezeigt haben, dass die damals geäusserte Absicht nicht ausführbar ist. Auch bei jener Kombination nahm der Bundesrat in Aussicht, ,,das Personal des gegenwärtigen Bureaus nach Bedarf zu vermehren", und er schätzte die Mehrausgabe, ,,die dem bestehenden Versicherungsamte
infolge der Beaufsichtigung der anerkannten Krankenkassen und der ihm zugedachten Rolle eines den Kantonen zur Verfügung stehenden Beraters erwachse", auf Fr. 100,000 (Bundesbl. VI, 343). Mit dieser Summe lassi sich auskommen,

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aucli wenn wir in Würdigung unserer Ausführungen getrennt organisieren. Es darf wohl noch darauf hingewiesen werden, dass die Geschäftslast des Aufsichtsamtes über die privaten Versicherungsunternehmungen, wie die folgende Tabelle zeigt, sehr stark zugenommen hat und in steter Vermehrung begriffen ist: r* 'ahr

L««

rffrJ

nummern

Einnahmen aus Staats86bUhren U"d verkauften Berichten

Fr.

1895 1,964 39,682.95 1900 2,520 55,383.80 1905 3,129 69,580.40 1911 4,691 105,207.50 Unter solchen Umständen dürfte es sich auch unter dem Gesichtspunkte der Vermeidung einer allzu starken Belastung eines einzelnen Amtes rechtfertigen, heute die von uns empfohlene Lösung zu wählen.

VI. Das Bundesamt für soziale Versicherung.

So bleibt keine andere Möglichkeit übrig, als für den Vollzug des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes ein besonderes Amt zu schaffen, das neben dem Aufsichtsamte über die privaten Unternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens bestehen soll.

Wir möchten es ,,Bundesamt für soziale Versicherung11 nennen, um damit anzuzeigen, dass es sich besonders mit den von Staats wegen im allgemeinen Interesse organisierten Versicherungen befassen soll. Wenn wir vorhin auf die Verschiedenheit der Aufgabe der beiden Versicherungsämter, ja sogar auf die Differenz in der Mentalität, welche die eine und die andere Beschäftigung zur Voraussetzung habe, hinwiesen, so wollten wir damit keineswegs etwa einem Systeme das Wort reden, das sich im Bundesamte für die soziale Versicherung von der Versicherungswissenschaft und der Versicherungstechnik lossagen würde.

Im Gegenteil. Für das neue Amt ist auch in Beziehung auf die Kapazität das Beste gerade gut genug, und es muss von geschulten Versicherungsmännern geleitet werden. Wenn es auch, besonders gegenüber den Krankenkassen und namentlich in den ersten Jahren, verstehen muss, am rechten Orte nachzugeben, so soll dies doch nicht ziellos, sondern berechnet zum Zwecke der Erreichung eines bestimmten, wünschbaren Erfolges geschehen. So-

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wohl ÌLI der Ausführung bestehender sozialer Gesetze, wie in den Vorschlägen für Abänderungen solcher und für künftige Erlasse darf sich nicht ein Dilettantismus breit machen, der sich über die Erfahrungen und Berechnungen wegsetzt. Gerade hier muss die ernste Prüfung des Erfolges und der wirtschaftlichen Konsequenzen aller Massregeln eintreten. Wir möchten deshalb ein überhaupt, namentlich aber fachmännisch, auf der Höhe seiner Aufgabe stehendes Amt gründen, dessen Leiter und Mitarbeiter dem Aufsichtsamto über die privaten Versicherungsunternehmuugen nicht nachstehen dürfen. In einem Punkte scheinen uns sogar die Anforderungen an das Bundesamt für soziale Versicherung noch grössere zu sein. Das neue Amt muss nicht nur beaufsichtigen, sondern selbst vollziehen, also selbst Neues schallen.

Es muss daher initiativ wirken, und zwar im Vollzug bestehender und in der Vorbereitung künftiger Erlasse.

Was die Unfallversicherung betrifft, die in einer besoiidern Anstalt eine abgeschlossene und sachgemüsse Organisation gefunden hat, so soll deren Autonomie natürlich nicht angetastet werden. Die auf sie sich beziehenden Aufgaben des Bundesrates, welche zugleich die des Amtes sind, haben wir oben (II) skizziert. Viel mehr Spielraum haben die Behörden im Vollzuge der Krankenversicherung. Die Gesetzgebung setzte sich zum Ziel, sie zu kräftigen und zu vei-breiten. Diese Bestrebung soll der oberste Programmpunkt der vollziehenden Stelle bleiben. Wir haben dio speziellen Aufgaben der Behörden auch in bezug auf diese Versicherungsart kurz dargestellt und wollen darauf nicht zurückkommen. Dagegen soll hier nochmals besonders betont werden, dass die Ausführung der Bestimmungen über die Krankenversicherung, die auch in der .Referendumskampagne keine Gegner gefunden haben, die Schaffung eines speziellen Amtes zur gebieterischen Notwendigkeit macht. Der Verkehr mit den vielen Krankenkassen, das Anerkennungsverfahren, die Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen über Freizügigkeit, Versicherungsleistungen, Arzt- und Apothekerverhältnisse, die Feststellung dei' Subventionen und endlich die Prüfung der Jahresrechnungen und in Verbindung damit der Sicherheit der Kassen bilden sogar in normalen Zeiten eine sehr grosse Aufgabe, der in der Einf'ührung.speriode noch besondere Bedeutung zukommt. Trotz der vielen Arbeit dürfen
aber die Funktionen nicht bloss mechanisch vorgenommen werden. Das gewonnene Material und die gemachten Erfahrungen müssen verarbeitet und im Interesse der Vollziehung und der Entwicklung der Krankenversicherung verwendet werden, Wir er-

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innern daran, dass wir z. B. in der Schweiz zurzeit noch recht ungenügend über die krankenstatistischen Verhältnisse unserer Bevölkerung orientiert sind. Gerade für die Krankenkassen und für die Behörden sind genaue Kenntnisse (Angabe und Dauer der Krankheiten, Unterscheidung der Erkrankungen und Krankentage nach Alter, Geschlecht und Beruf der beobachteten Personen) in hohem Grade wünschenswert. Man darf ja wohl sagen, dass die gegenwärtige Gesetzgebung über die Krankenversicherung mehr als irgend eine andere als entwicklungsfähig und nicht abgeschlossen zu betrachten sei. Es wird Sache der kommenden Jahre sein, sie auf Grund der Erfahrungen weiter auszubauen.

Inzwischen wird das Bundesamt für soziale Versicherung Gelegenheit haben, den Kantonen, die entweder selbst oder kommunal. obligatorische und öffentliche Kassen einführen (2) und so als Pioniere für das in der ersten verworfenen Vorlage vorgesehene Obligatorium arbeiten wollen, an die Hand zu gehen und den Erlass der bezüglichen Vorschriften zu begutachten. Viele Kantone werden froh sein, wenn sie sich sachverständigen Rat holen können. Überdies dürfte die Mitarbeit des Bundesamtes zu einer gewissen wünschbaren einheitlichen Orientierung der Vorschriften beitragen.

Das Bundesgesetz vom 13. Juni 1911 bringt aber für die Bundesbehörden noch eine weitere Gruppe von Aufgaben, für deren Erfüllung sie sachverständigen Rates bedürfen. Der Bund ist der grösste Arbeitgeber des Landes und auch als solcher am Gesetze lebhaft interessiert. Dieses stellt den ßundesrat sowohl für das Personal der Verkehrsanstalten, wie Eisenbahn und Post, als für die Angestellten und Arbeiter der Regiebetriebe vor eine Reihe schwieriger Fragen, deren loyale und korrekte Lösung erfolgen muss, aber nicht immer leicht und einfach sein wird.

Wir sehen davon ab, auf Einzelheiten, die nicht in den Kreis dieser Betrachtung gehören, einzutreten, und begnügen uns mit der Feststellung, dass es sich auch hier um wichtige Interessen handelt.

Es ist aber auch gestattet, den Blick noch etwas weiter xu richten und andere Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete des Versicherungswesens ins Auge zu fassen. Bekanntlich strebt das eidgenössische Personal die Gründung einer Pensions- und Hülfskasse an, durch welche mit Bundeshülfe die alten Tagr der Beamten und im Todesfalle die Zukunft ihrer Familien gesichert werden sollten, ähnlich, wie dies durch die Pensionsund Httlfskassen der Bundesbahnen erreicht wird. Die definitive

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Aufstellung und die eventuelle Ausführung eines solchen Projektes bedarf der versicherungstechnischen Grundlage, und die Verwaltung einer Kasse sachverständiger Aufsicht. Es wäre unseres Erachtens eine weitere Aufgabe des Bundesamtes für soziale Versicherung, dem Bundesrato auch bei diesem Plane, der seine volle Sympathie besitzt, an die Hand zu gehen und die nötigen Arbeiten zu besorgen.

Ebenso dürfen die Bestrebungen für Einführung sozialer Versicherungen mit dem Bundesgesetze von 1911 nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Gewiss ist es gute und bewährte Schweizerart, langsam und vorsichtig vorzugehen und das eine zu vollenden, bevor man das andere anfängt. Deshalb ist unsere nächste und dringlichste Aufgabe der wohlwollende und weitherzige Vollzug der Kranken- und Unfallversicherung und deren Ausbau. Diesen beiden Arbeiten wird sich das Kundesamt für soziale Versicherung in erster Linie zu widmen haben. Aber es darf doch nicht vergessen werden, dass die öffentliche Meinung sich bereits lebhaft mit andern Versicherungsproblemen, namentlich der Alters- und Invaliditätsversicherung beschilftigt, die in andern Ländern bereits verwirklicht ist, und für deren Durchführung auch in unserem Lande bereits Versuche gemacht worden sind. Ein fortschrittliches Staatswesen wird sich der Sammlung und dem Studium des Materials für diese Versicherungszweige nicht entziehen können. Wir müssen insbesondere auch die Erfahrungen des Auslandes kennen lernen und für unsere Verhältnisse verwerten können. Solche Studien erfordern aber, wenn sie auf Zuverlässigkeit Anspruch machen sollen, Jahre systematischer Arbeit. Zurzeit besitzt der Bundesrat kein Organ, um die Erscheinungen auf dem Gebiete der öffentlichen Versicherung zu verfolgen, wie dies in andern Ländern der Fall ist.

Will er aber in der Lage sein -- und das ist für eine Regierungnötig -- selbst zu gegebener Zeit die Initiative zu ergreifen oder sich über Anregungen, die auf parlamentarischem Wege gemacht werden, in Kenntnis der Sache auszusprecheu, so muss diese Lücke ergänzt werden. Heute katin dies ohne nennenswerte Mehrkosten geschehen im Anschluss an andere Funktionen, für welche die neue Amtsstelle ein Bedürfnis ist.

Wenn wir auf diese zuletzt besprochene Aufgabe des Bundesamtes für soziale Versicherung neben den andern besondern Nachdruck legen,
so geschieht dies aus durchaus objektiven Motiven.

Wir möchten nicht versuchen -- die Demokratie lässt es auch nicht zu -- auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung zu über-

521 stürzen. Aber wenn der Staat durch das Mittel der Versicherung seine Bürger dazu erziehen will, auch an die fernere Zukunft zu denken und vorzusorgen, so muss er mit gutem Beispiel vorangehen. Kein ernstes Privatunternehmen geniesst unbesorgt um die Zukunft die Früchte der Gegenwart. Es bereitet sicli mit den Erfahrungen von heute auf die spätere Zeit vor, damit andere Konjunkturen und Bedürfnisse es gerüstet finden, und es stellt namentlich auch Wissenschaft und Technik in den Dienst dieser klugen Fürsorge. Ähnlich soll es der Staat auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung halten. Er muss gerüstet sein, um den sachlich nötigen Ausbau seiner Gesetzgebung vornehmen und rechtfertigen zu können, aber auch um die aus jeder Neuerung für den Staat und die einzelnen Erwerbsgruppen sich ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen möglichst deutlich zu erkennen. Nur dann können die Behörden durchführbare Massregeln mit Energie und Autorität verteidigen, nur dann den zu weit gehenden, unsere Kräfte übersteigenden Forderungen mit sachlichen Gründen entgegentreten. Das eine ist so wichtig wie das andere. Wir sind überzeugt, dass durch diese freie, neben dem GesetzesvoJlzuge einhergehende Tätigkeit das Bundesamt für soziale Versicherung dem Lande grosse Dienste leisten, den Fortschritt fördern und uns durch nüchternes Urteil vor Enttäuschungen bewahren kann, die unvermeidlich sind, wenn in solchen Dingen eine wirklich sachkundige Prüfung mangelt.

VII. Die Kompetenzen des Amtes.

Wie ein Blick auf den Gesetzestext zeigt, bezeichnet dieser überall den Bundesrat als die im Vollzuge handelnde Stelle. Nach Massgabe der heutigen Praxis und des Bundesbeschlusses über die Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrates vom 21. August 1878, Art. 20, tritt in einzelnen Punkten die Tätigkeit des Departementes an Stelle derjenigen des gesamten Bundesrates. Dieser wird sich auf alle Fälle mit dem Erlass der VollZiehungsverordnung und der Erledigung wichtiger allgemeiner Fragen zu befassen haben. Das Amt besorgt die Vorbereitung für die Funktionen des Bundesrates und des Departements.

Wir halten aber dafür, dass gewisse Kompetenzen, die wir heute im einzelnen noch nicht alle bezeichnen können, nicht nur an das Departement, sondern sogar an das Amt delegiert werden sollten. Der Verkehr mit etwa 2000 Krankenkassen wird eine so bedeutende Zahl von Einzelverfügungen und Ent-

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Scheidungen bringen, dass deren Nachprüfung sogar durch den Departementschef, geschweige denn durch den Bundesrat, unmöglich würde. Wenn wir zurzeit noch keine bestimmten Anträge stellen, so geschieht es, weil noch alle Vollziehungsvorschriften, die das neue Bundesamt vorbereiten soll, fehlen, und weil der Geschäftsgang sich noch nicht endgültig überblicken lässt. Überdies darf erwähnt werden, dass allgemeine Vorschriften über die Delegation von Kompetenzen den Gegenstand von Vorlagen des Bundesrates bilden worden, die dringlich sind und so rasch wie möglich vorgelegt werden dürften. So viel darf hier jedenfalls gesagt werden, dass wir die Konstituierung des Amtes auch unter dem Gesichtspunkte der Delegation von Kompetenzen dringend \viinsehen müssen.

VIII. Die Organisation des Amtes.

Wir beantragen somit, auf den nachstehenden Bundesbeschluss über die Errichtung eines Bundesamtes für soziale Versicherung einzutreten, und bemerken dazu im einzelnen noch das folgende : Ad Art. 1. In dieser Bestimmung wird zum Ausdruck gebracht, dass die erste und wichtigste Aufgabe des neuen Bundesamtes im Vollzuge des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes besteht. Da sich die weitern Obliegenheiten, welche nach unsern Darlegungen dem Amte zu übertragen sind, heute nicht erschöpfend und genau umschreiben lassen, so ist es angemessen, den Bundesrat zu ermächtigen, der neugeschaffenen Abteilung weitere Funktionen und Aufgaben auf dem Gebiete der sozialen Versicherung zuzuweisen.

Aus der Umschreibung der Aufgaben des Amtes und seiner ganzen Stellung (vgl. Abschnitt VI dieser Botschaft) ergibt sich, dass es seiner Bedeutung entsprechend eine besondere Abteilung des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes bilden muss. Sein Direktor steht direkt unter dem Departementschof.

Ad Art. 2. In Beziehung auf das Personal lässt der Bundesbeschluss dem Bundesrate, ähnlich wie es für das bereits bestehende Versicherungsamt der Fall ist, eine gewisse Freiheit.

Die Arbeitslast lässt sich heute mit Sicherheit nicht voraussagen.

Wir möchten uns in dem Bundesbeschluss nicht binden, ein zu zahlreiches Personal zu engagieren, wie wir uns auf der andern Seite auch die Möglichkeit wahren müssen, für die Anstellung der wirklich nötigen Beamten sorgen zu können.

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Wir gedenken, nach der Genehmigung des Bundesbeschlusses das Bundesamt für soziale Versicherung für einmal aus folgendem Personal zu bestellen: einem Direktor, einem Adjunkten, einem Experten, einem Sekretär, eventuell einem Mathematiker, und je einem Kanzlisten I. und II. Klasse und dem nötigen Kanzleipersonal. Die Ausgabe für Besoldungen würde sich dann zwischen Fr. 45,000 und 50,000 bewegen. Mit diesem Personal sollte man, wenn es sorgfältig ausgewählt wird, für einige Zeit auskommen.

Zu den Ausgäben für Besoldungen kommen dann noch weitere für Reisen, Bureau- und Druckkosten, einmalige Anschaffungen von Bureaumaterial usw., so dass wir in das Budget pro 'J 918 eine Gesamtausgabe von Fr. 75,000 einstellen möchten.

Ad Art. 3. Die Einreihung der Beamten in die Besoldungsklassen entspricht den gesetzlichen Bestimmungen und der bisherigen Übung.

Ad Art. 4. Schon im Jahre 1885 wurde die Stelle eines Direktors des Versicherungsamtes (Aufsichtsamt über Privatversicherungen) mit einer Besoldung von Fr. 10,000 dotiert.

Durch Bundesbeschluss vom 12. März 1912 wurden sodann die Gehaltsmaxima für eine ganze Reihe von Beamtungen, namentlich auch für alle Abteilungschefs des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartements, auf Fr. 10,300 erhöht. Es ist daher eigentlich selbstverständlich, dass wir auch den Vorsteher den Bundesamtes für soziale Versicherung unter diejenigen Beamtungen einreihen, welche Anspruch auf dieses höhere Besoldungsmaximuni haben. Von diesen Erwägungen geleitet, schlagen wir eine Bestimmung vor, wonach der Direktor unter die im Bundesbeschlusse vom 12. März 1912, Art. l, aufgeführten Beamtungen eingereiht werden soll.

Ad Art. 5. Dem Charakter des neugeschaffenen Amtes entsprechend, das sich entwickeln wird und neue Aufgaben zugeteilt bekommen soll, müssen wir vorschlagen, die spezielle Organisation in unsere Hand zu legen. Anlässlich einer spätem allgemeinen Neuorganisation des Departements können vielleicht einige weitere Bestimmungen durch Bundesbeschluss festgelegt werden. Wir verweisen darauf, dass im Bundesbeschluss über die Errichtung eines eidgenössischen Grundbuchamtes, Art. 4, eine ähnliche Bestimmung sich vorfindet.

Ad Art. 6. Der vorliegende Bundesbeschluss ist die Folge eines Gesetzes. Sein Erlass ist im Hinblick auf die Vollziehung des Versicherungsgesetzes sowohl materiell wie zeitlich dringlich.

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Wir verweisen auch hier auf die Analogie mit dem Bundesbeschluss vom 5. Dezember 1911 über die Errichtung eines Grundbuchamtes.

Wir empfehlen Ihnen die Annahme des beigefügten ßeschlussesentwurfs und bitten Sie im Interesse eines baldigen Gesetzesvollzuges dringend, das Geschäft in der Dezembersession endgültig zu erledigen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 29. Oktober 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

525 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Errichtung eines Bundesamtes für soziale Versicherung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 29. Oktober 1912, beschliesst: Art. l. Zum Zwecke der Ausführung des Bundesgesot/.es vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung wird als besondere Abteilung des Handels-, Industrieund Landwirtschaftsdepartements ein ,,Bundesamt für soziale Versicherung" errichtet.

Der Bundesrat kann diesem Amte weitere Funktionen und Aufgaben auf dem Gebiete der sozialen Versicherungübertragen.

Art. 2. Das Personal des Bundesamtes für soziale Versicherung besteht aus einem Direktor, einem bis zwei Adjunkten, Sekretären, Experten, Mathematikern, Kanzleisekretären und dem nötigen Kanzleipersonal.

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Art. 3. Von diesem Personal gehören : in die I. Besoldungsklasse der Direktor ; ,, ,, II.

., die Adjunkte, Sekretäre, Experten und Mathematiker; ,, ,, III.

,, Kanzleisekretäre I. Klasse; ,, ,, IV ,, Kanzleisekretäre II. Klasse; ,, .n V.

Kanzlisten I. Klasse ; n ,, ,, VI.

,, Kanzlisten IF. Klasse.

Art. 4. Der Direktor des Bundesamtes für soziale Versicherung wird unter die in Art. l des Bundesbeschlusses vom 12. März 1912 aufgeführten Beamtungen eingereiht.

Art. 5. Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Bundesbeschlusses beauftragt. Er wird insbesondere über die Befugnisse und Obliegenheiten des Amtes und der einzelnen Beamten die nötigen Beschlüsse fassen.

Art. 6. Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt, und tritt sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung eines Bundesamtes für soziale Versicherung. (Vom 29. Oktober 1912.)

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1912

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366

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06.11.1912

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501-526

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