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Bundesgesetz betreffend

das Verbot von Kunstwein und Kunstmost (Vom

7. März 1912.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 22. März 1910 ; gestützt auf Art. 69bis der Bundesverfassung, beschliesst: Art. 1. Die Einfuhr, die Herstellung, die Lagerung, das Feilhalten und der Verkauf von Kunstwein und Kunstmost sind verboten.

Von diesem Verbot sind ausgenommen die Herstellung und die Lagerung zum Gebrauch im eigenen Haushalt.

Art. 2. Als Kunstwein im Sinne dieses Gesetzes sind anzusehen : a. Alle weinähnlichen Getränke, welche mit Trockenbeeren, Weintrestern, Weinhefe, Rückständen der Weindestillation, Tamarinden, Feigen, Malz oder durch Mischung von Weinbestandteilen oder auf irgend eine andere Weise hergestellt sind ;

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il. gallisierte Weine, die den vom Bundesrate erlassenen Bestimmungen zuwider hergestellt sind ; c. gewässerte Weine ; d. Mischungen der unter lit. a, b und c genannten Getränke mit Wein oder Weinmost; e. Mischungen von vergorenem oder unvergorenem Obstwein oder Beereuobstwein mit Wein oder Weinmost.

Art. 3. Als Kunstmost im Sinne dieses Gesetzes sind anzusehen : a. Alle obstweinähnlichen Getränke, die ganz oder teilweise aus anderm Material als frischem Kernobst bereitet sind; b. Obstwein, der soweit gestreckt ist, dass er den vom Bundesrat für Most aufgestellten Anforderungen nicht mehr entspricht.

Diese Bestimmungen beziehen sich nicht auf Beerenobstwein.

Art. 4. Wirte, Wein- und Obstweinhändler, Kleinverkäufer von Wein und Obstwein, sowie Produzenten, die diese Getränke in den Handel bringen, haben, sofern sie Kunstwein oder Kunstmost zum Gebrauche im eigenen Haushalt herstellen wollen, folgende Vorschriften zu beobachten : a. Der örtlichen Gesundheitsbehörde ist Anzeige zu machen.

b. Auf allen Fässern und sonstigen Gefässen, welche Kunstwein oder Kunstmost enthalten, muss an leicht sichtbarer Stelle mit deutlicher, nicht verwischbarer Aufschrift die Bezeichnung ,,Kunstwein" oder ,,Kunstmosttt angebracht sein.

Der Bundesrat ist befugt, das Höchstquantum von Kunstwein und Kunstmost zu bestimmen, das in diesen Fällen hergestellt und gelagert werden darf.

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Art. 5. Mischungen von Stofien zur Erzeugung von Kunstwein und Kunstmost (sogen. Wein- und Mostsubstanzen) dürfen weder eingeführt, noch zum Verkauf hergestellt oder gelagert, noch feilgehalten oder verkauft werden.

Art. 6. Kunstwein oder Kunstmost, der eingeführt, feilgehalten oder verkauft, oder den Vorschriften dieses Gesetzes zuwider hergestellt oder gelagert wird, kann von den Aufsichtsorganen mit Beschlag belegt und in amtliche Verwahrung genommen werden. Die Beschlagnahme ist sofort vorzunehmen, wenn die Ware augenscheinlich gesundheitsschädlich oder verdorben ist.

Ist eine Aufbewahrung der beschlagnahmten Ware mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit unmöglich, so ist sie in geeigneter Weise zu verwerten oder nötigenfalls zu zerstören. Das Interesse der Beteiligten ist dabei nach Möglichkeit wahrzunehmen.

Apparate und Gerätschaften, die zur unerlaubten Herstellung oder Lagerung dienen oder gedient haben, können ebenfalls mit Beschlag belegt und in amtliche Verwahrung genommen werden.

Über die Beschlagnahme und allfällige weitere Massnahmen ist ein Protokoll aufzunehmen.

Art. 7. Die Kantone haften für den aus einer ungerechtfertigten Beschlagnahme seitens ihrer Aufsichtsorgane entstandenen Schaden unter Vorbehalt des Rückgriffs auf die Fehlbaren.

Art. 8. Wer Kunstwein oder Kunstmost zum Zwecke des Verkaufs herstellt oder lagert, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und Busse bis zu Fr. 2000, oder bloss mit Gefängnis oder Busse bestraft.

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Art. 9. Wer Kunstwein oder Kunstmost einführt, feilhält oder verkauft, wird, wenn er die Handlung vorsätzlich begeht, mit Gefängnis bis zu einem Jahr und Busse bis zu Fr. 2000, oder bloss mit Gefängnis oder Busse, wenn er die Handlung fahrlässig begeht, mit Busse bis zu Fr. 500 bestraft.

® Art. 10. Wer Kunstwein oder Kunstmost so herstellt oder behandelt, dass ihr Genuss gesundheitsschädlich oder lebensgefährlich ist, « wer gesundheitsschädliche oder lebensgefährliche Kunstweine oder Kunstmoste feilhält oder in Verkehr bringt, wird, wenn er die Handlung vorsätzlich begeht, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und Busse bis zu Fr. 3000, oder bloss mit Gefängnis oder Busse, wenn er die Handlung fahrlässig begeht, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und Busse bis zu Fr. 1000, oder bloss mit Gefängnis oder Busse bestraft.

Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des gemeinen Strafrechts über Verbrechen gegen die Gesundheit oder das Leben.

Art. 11. Wer den Vorschriften von Art. 4 und 5 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis (Haft") bis zu drei Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 1000 bestraft.

Art. 12. Wer Waren oder Gegenstände, die nach Vorschrift von Art. 6 dieses Gesetzes mit Beschlag belegt sind, vorsätzlich zerstört, verändert oder durch irgend ein Mittel der Behörde entzieht, wird mit Gefängnis (Haft) bis zu drei Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 500 bestraft.

Art. 13. Wer vorsätzlich die Ausführung der Kontrolle durch die zuständigen Aufsichtsorgane verhindert oder er-

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schwert, wird mit Gefängnis (Haft) bis zu einem Monat oder mit Busse bis zu Fr. 500 bestraft.

Art. 14. Wenn Übertretungen, welche unter Art. 8--10 dieses Gesetzes fallen, von geringer Bedeutung sind, so wird der Fehlbare mit einer Busse von höchstens Fr. 50 bestraft.

Die Ahndung dieser Übertretungen kann nach Massgabe der kantonalen Gesetzgebung durch eine Verwaltungsbehörde erfolgen.

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Art. 15. Nachfolgende Artikel des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen finden entsprechende Anwendung: a. Art. 42, 43 und 48--52 auf die Straffälle der Art. 8--13 dieses Gesetzes; b. Art. 44 und 45 auf die Straffälle der Art. 8--11 dieses Gesetzes in dem Sinne, dass die Konfiskation im Falle des Art. 10 erfolgen muss und in den anderen Fällen zulässig ist; c. Art. 46 und 47 auf die Straffälle der Art. 8--10 dieses Gesetzes.

Art. 16. Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Vollziehungsverordnungen.

Art. 17. Die Ausführung dieses Gesetzes und der bundesrätlichen Vollziehungsverordnungen liegt den Kantonen ob. Für die daherige Kontrolle kommen die Bestimmungen der Art. 11--20 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen und die entsprechenden Bestimmungen der kantonalen Vollziehungsverordnungen sachgemäss zur Anwendung.

Der Bundesrat überwacht die Vollziehung des Gesetzes und trifft die hierzu notwendigen Massnahmen.

619 Art. 18. Die Bestimmungen eidgenössischer und kantonaler Gesetze und Verordnungen, welche mit diesem Gesetze im Widerspruch stehen, sind aufgehoben.

Art. 19. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1913 in Kraft.

Also beschlossen vom Nationalrate, B e r n , den 6. März 1912.

Der Präsident: Wild.

Der Protokollführer: Schatzmann.

Also beschlossen vom Ständerate, B e r n , den 7. März 1912.

Der Präsident: Calonder.

Der Protokollführer: David.

Der schweizerische Bundesrat beschliesst: Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 9. März 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

Note. Datum der Veröffentlichung : 13. März 1912.

Ablauf der Referendumsfrist : 11. Juni 1912.

Bundesblatt. 64. Jahrg.

Bd. I.

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