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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. April 1912.

(Vom 15. Juni 1912.)

Tit.

Mit Schreiben vom 23. und 30. April 1912 teilt uns der Staatsrat des Kantons Genf mit, dass in der Volksabstimmung vom 20. und 21. April 1912 der Entwurf zu einem Verfassungsgesetz vom 16. März 1912, betreifend die Abänderung des Artikels 104 der Staatsverfassung des Kantons Genf, mit 3468 gegen 2815 Stimmen angenommen worden sei. Der Staatsrat ersucht um die Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung für dieses Verfassungsgesetz, das folgendermassen lautet: ,,Article unique. L'article 104 de la Constitution est modifié comme suit : ,,Art. 104. Les élections des membres des Conseils municipaux sont faites dans chaque commune au scrutin de liste par un collège composé de tous les électeurs communaux: ,,pour les communes dépassant 3000 habitants, d'après le principe de la représentation proportionnelle tempérée par un quorum de 7 % ; ,,pour les communes de 3000 habitants et au-dessous, suivant le système majoritaire.

,,Une loi organique réglera l'application des présentes dispositions."

Bisher hatte Art. 104 folgenden . Wortlaut : ,,Les membres des Conseils municipaux sont élus, dans chaque commune, par un collège composé de tous les électeurs communaux."

Gegen die Einführung des Verhältnisverfahrens zur Wahl der Gemeinderäte ist von Bundeswegen nichts einzuwenden. Die

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Bundesversammlung hat schon mehreremal kantonalen Verfassungsbestimmungen die Gewährleistung erteilt, welche den Grundsatz der Verhältniswahl aufstellten ; wir verweisen auf die Zusammenstellung in unserer Botschaft vom 1. April 1910 zur Revision der luzernischen Staatsverfassung (Bundesbl. 1910, II, 596).

Der zur Genehmigung vorgelegte Artikel des genferischen ·Verfassungsgesetzes bestimmt, dass die Wahlen in den erwähnten Gemeinden stattfinden d'après le principe de la représentation proportionnelle, tempérée par un quorum de 7 °/o. Man will damit alle diejenigen Parteien von vornherein von einer Vertretung ausschliessen, welche das Quorum nicht erreichen. Gegen die Festsetzung dieses Quorums ist nichts einzuwenden. Man hat damit die durch das Proporzverfahren begünstigte Zersplitterung der Parteien etwas einschränken wollen. Es ist nicht einzusehen warum den Kantonen nicht auch diese Lösung, sofern sie sich nicht etwa bloss als ein parteipolitisches Manöver darstellt -- für welche Annahme im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte vorliegen -- gestattet sein sollte. Immerhin ist zu bemerken, dass die Verfassungsvorschrift insofern unklar ist, als sie unbestimmt lässt, ob die 7 % von der Zahl der Stimmberechtigten oder der abgegebenen gültigen Listenstimmen sich berechnen.

Wir glauben aber, dass -- mag die Lücke durch die vorgesehene Gesetzgebung so oder anders ausgefüllt werden -- die Quorumsbestimmung nicht verfassungswidrig ist.

Wir halten es auch für zulässig, dass der Kanton Genf das Verhältnisverfahren zur Wahl der Gemeinderäte nur für diejenigen Gemeinden einführt, die über 3000 Einwohner zählen, während die kleineren Gemeinden ihre Gemeinderäte wie bisher nach dem absoluten Mehr wählen. Nach der genferischen Gesetzgebung (Staatsverfassung Art. 107 und Gesetz über Abstimmungen und Wahlen Art. 119") wächst mit der Zahl der Einwohner auch die Zahl der Gemeinderäte. Während die Gemeinden mit 3000 und weniger Einwohnern nur 7--15 Gemeinderäte zu wählen haben, beträgt die Zahl derselben in den grössern Gemeinden 18--21, in der Stadt Genf sogar 41. Nun kann gewiss nicht bestritten werden, dass1 sieh das System der Verhältniswahl um so weniger eignet, je kleiner die zu wählende Behörde ist. Es muss daher anerkannt werden, dass tatsächliche Verschiedenheiten vorlagen, welche den Gesetzgeber aus
Zweckmässigkeitsgründen rein objektiver Natur veranlassen konnten, eine verschiedene Behandlung eintreten zu lassen. Wir fügen bei, dass die Bundesvers'ammlung -- offenbar von dieser .Erwägung ausgehend -- am 28:'Juni

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1895 dem revidierten Art. 10 der solothurnischen Kantonsverfassung die Gewährleistung erteilte, durch den für die Gemeinderäte, die aus 7 und mehr Mitgliedern bestehen, die obligatorische Verhältniswahl eingeführt wurde, während sie bei den ändern Gemeinderäten als fakultativ erklärt wurde (A. S. XV, 169).

Und am 21. Dezember 1899 erteilte die Bundesversammlung, trot» erfolgter Einsprache, u. a. dem .(seither abgeänderten) Art. 26 der Verfassung des Kantons Schwyz die eidgenössische Gewährleistung, durch welchen für diejenigen Gemeinden, in denen drei oder mehr Kantonsräte zu wählen sind-, die obligatorische Verhältniswahl eingeführt wurde, während in den kleinern Gemeinden die Kantonsräte auch weiterhin durch das absolute Mehr zu wählen waren (Bundesbl. 1899, IV, 487, 497, 504, 519 ff.; A. S. XVII, 758; Bundesbl. 1907, VI, 1266 ff.).

Die Sache läge natürlich ganz anders, wenn die Einteilung in grössere und kleinere Gemeinden nicht auf sachliche Gründe, sondern auf parteipolitische Zwecke zurückgeführt werden müsste.

Allein es liegen keine Anhaltspunkte vor, welche eine derartige Vermutung erwecken könnten und es ist gegen die Gewährleistung auch von keiner Seite Einsprache erhoben worden. Zurzeit werden von der Neuerung 6 Gemeinden betroffen, während es in den 42 übrigen Gemeinden vorderhand beim bisherigen Wahlverfahren bleibt. Die Verhältnisse liegen aber derart, dass voraussichtlich schon in kurzer Zeit in einer, möglicherweise auch in mehreren dieser Gemeinden ebenfalls das Proportionalverfahren platzgreifen wird.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen beantragen wir Ihnen, dem Verfassungsgesetz des Kantons Genf vom 21. April 1912 die eidgenössische Gewährleistung in der Form des beiliegenden Beschlussesentwurfes zu erteilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenenHochachtung.., -.

: ; : B e r n , den 15. Juni 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsiden);:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: .

Schatzmann.

786 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. April 1912.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 15. Juni 1912 über das in der Volksabstimmung vom 20./21. April 1912 angenommene Verfassungsgesetz des Kantons Genf, betreffend die Abänderung des Art. 104 der genferisehen Verfassung vom 24. Mai 1847 ; in Erwägung: dass dieses Verfassungsgesetz nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung widerspräche ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: 1. Dem am 20./21. April 1912 vom Volke angenommenen Verfassungsgesetz des Kantons Genf wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. April 1912. (Vom 15. Juni 1912.)

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19.06.1912

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