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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der Gemeinde St. Moritz gegen den Entscheid des Kleinen Rates von Graubünden betreffend das Expropriationsbegehren des Elektrizitätswerkes Madulein in Sachen Hochspannungsleitung nach dem Hotel Suvrettahaus in Chasellas.

(Vom 8. Oktober 1912.)

Der schweizerische Bundesrat 1.

2.

3.

4.

hat nach Einsicht einer Eingabe des Elektrizitätswerkes Madulein vom 20. Oktober 1911; eines Rekurses der Gemeinde St.Moritz gegen den Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden vom 23./27. April 1912 betreffend Mitbenützung von öffentlichem Eigentum, vom 14. Mai 1912; einer Anzahl Einsprachen aus der Gemeinde St. Moritz; eines Gutachtens der eidgenössischen Kommission für elektrische Anlagen vom 13. September 1912, in Erwägung:

Die A.-G. Elektrizitätswerk Madulein beabsichtigt, dem im Bau begriffenen neuen Gasthofe Suvrettahaus in Chasellas, Gemeinde St. Moritz, elektrischen Drehstrom von einer Spannung von 8500 Volt für Beleuchtung und Heizung und allenfalls auch

39 ··andere Verwendungen zu liefern und zu diesem Zwecke eine Leitung auf Holzstangen mit drei Drähten von 6 mm Durchmesser von Celerina aus nördlich und nordwestlich um das Dorf St. Moritz herumzuführen. Ursprünglich war beabsichtigt, die Leitung vom Elektrizitätswerke St. Moritz in der Charnadüraschlucht aus nordwestlich durch das Dorf St. Moritz zu ziehen und dann nach ; Süd westen abzubiegen. Da aber dagegen Einsprachen erhoben wurden, deren Berechtigung nicht zu bestreiten gewesen wäre, ·änderte das Elektrizitätswerk Madulein das Projekt in der erwähnten Weise ab und stellt nun dafür das Begehren um Erteilung des Expropriationsrechtes.

Gegen die Vorlage des Elektrizitätswerkes Madulein erhoben verschiedene Grundeigentümer in St. Moritz und die Gemeinde St. Moritz selbst Einsprache. Die Gemeinde beschloss am 23. Sep.tember 1911 noch besonders, dem Gesuche um die Bewilligung zur Inanspruchnahme ihres ö f f e n t l i c h e n Eigentums nicht zu ent·sprechen. Gegen diesen Beschluss erhob die Gesellschaft Rekurs beim Kleinen Rate des Kantons Graubünden -, dieser erklärte durch Entscheid vom 23. April dieses Jahres die Gemeinde St. Moritz für verpflichtet, die Bewilligung zu erteilen. Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Gemeinde an den Bundesrat.

Es handelt sich somit um zwei Fragen: · A. dem Rekurs der Gemeinde St. Moritz mit Bezug auf ihre Verweigerung der Benützung des öffentlichen Grundes ; B. die Erteilung des Expropriationsrechtes.

A.

Da das Gesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen in Art. 46 ausdrücklich bestimmt, dass die Gemeinden zum Schutz ihrer berechtigten Interessen das Recht ·zur Mitbenützung ihres öffentlichen Eigentums für Einrichtungen zur Abgabe elektrischer Energie innerhalb der Gemeinde verweigern können, dass gegen solche Schlussnahmen an die kantonale Regierung rekurriert und dass gegen den Entscheid der kantonalen Regierung der Rekurs an den Bundesrat erhoben werden kann, so wird angenommen werden müssen, dass der Bundesrat, soweit es sich um das öffentliche Eigentum der Gemeinde handelt, nur als Rekursinstanz zu entscheiden hat, dass also eine Änderung des Entscheides der kantonalen Regierung nur soweit möglich ist, als dagegen Rekurs erhoben wurde.

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I. Dieser Entscheid beruht auf folgender Grundlage: a. Schon im Jahre 1889 hatte die Gemeinde St. Moritz die Bewilligung zur Benützung des Gemeindebodens für eine Leitung von Silvaplana nach St. Moritz-Bad erteilt, gemäss welcher seitdem ein Konsortium, das in Silvaplana ein Elektrizitätswerk erstellt hat, in St. Moritz-Bad Strom für Beleuchtung abgibt.

b. Im Jahre 1891 wurde in St. Moritz selbst eine ,,Aktiengesellschaft für elektrische Beleuchtung von St. Moritz" gegründet,, bei der die Gemeinde mit einem Viertel des Aktienkapitals beteiligt ist, gemäss einem Vertrage mit der Gemeinde, durch den diese u. a.

1. der Gesellschaft die Wasserkraft am Innfalle für 60 Jahre' verpachtete ; 2. ihr das für die Anlage erforderliche Gemeindeland unentgeltlich zu Benützung überliess; 3. sich das Recht zusichern liess, nach 20 Jahren oder nach Ablauf von 60 Jahren die Anlage zum Schätzungswerte zu übernehmen.

Die Gesellschaft verpflichtet sich überdies, ,,an Gemeinde und Gemeindeeinwohner Licht abzugeben, solange und soweit solches produziert werden kanntt.

Nach den Statuten der Gesellschaft darf aus dem Ertrageder Stromabgabe keine höhere Dividende als 4y2 % ausgerichtet werden ; ein weiterer Überschuss muss in einen Reservefonds gelegt und zur Reduktion des Lichtpreises verwendet werden. Nur im Falle der Liquidation kann den Aktionären ein weitergehender Gewinn zukommen.

Durch einen Nachtragsvertrag vom Jahre 1903 wurden die Bestimmungen, allerdings nur in unbedeutendem Umfange, geändert.

c. Dem Konsortium von Silvaplana wurde im Jahre 1901 von der Gemeinde St. Moritz bewilligt, seine Leitungen von Spuondas suot über Villa Story und Somplatz nach der Villa Edwards zu verlängern. In den Jahren 1904 und 1906 wurden weitere Ausdehnungen von der Villa Beausite nach dem Hotel Metropole, von der englischen Kirche nach den Grand Hotel und nach dem Hotel Bellevue bewilligt.

d. In ihrem Rekurse an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden machte die A.-G. Elektrizitätswerk Madulein unter Hinweis auf diese Tatsachen geltend, dass die Gemeine St. Moritz,

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ihr die Bewilligung nicht verweigern dürfe, weil sie ähnlicheBewilligungen ändern Elektrizitätswerken erteilt habe.

e. In der Beantwortung der Beschwerde erklärte der Anwalt der Gemeinde darauf u. a. : ,,Bei allen Konzessionen, welche seit dem Entstehen der Beimunter Gesellschaft erbeten wurden, konnte sie (die Gemeinde) die Benützung des Gemeindebodens freiwillig gestatten, weil die konzedierten Leitungen der Beleuchtungsgesellschaft keine Konkurrenz bereiten konnten und weil die Konzessionen unter Bedingungen angenommen worden sind, welche der Gemeinde die Möglichkeit lassen, die Leitungen im gegebenen Augenblicke aufzuheben. Wenn Madulein sich eine solche Bedingung gefallen lassen wollte, so würde der Konzessionierung natürlich nichts im Wege stehen ; aber es liegt auf der Hand, dass es dies unter den zurzeit bestehenden Verhältnissen nicht tun kann, weil feststeht, dass die Gemeinde die Konzession schon in allernächster Zeit widerrufen müsste.tt f. Die A.-G. Elektrizitätswerk Madulein behaftete die Gemeinde bei dieser Erklärung, und der Kleine Rat des Kantons Graubünden glaubte darin ebenfalls eine Anerkennung erblicken zu müssen. Er sagt diesfalls in der Begründung seines Entscheides : ,,Damit anerkennt die Gemeinde St. Moritz, dass sie das Elektrizitätswerk Madulein gleich behandeln will wie andere Elektrizitätswerke in gleicher Lage, was übrigens nur der Billigkeit und Gerechtigkeit entspricht. Dies ging aber aus dem Gemeindebeschluss vom 23. September 1911 nicht hervor. Wenn die Gemeinde St. Moritz das ihr gemäss Art. 46, Abs. 3, zustehende Monopol durchführen will, steht dem nichts im Wege, solange dies aber nicht der Fall ist, hat sie mit ihren Konzessionen, wie es in der Vernehmlassung anerkannt ist und wobei sie behaftet wird, alle Petenten in gleicher Lage gleich zu behandeln, also auch das Maduleinerwerk.

Was die Konkurrenzverhältnisse anbetrifft, so erklärt die Rekurrentin, dass sie die Konzession nur für die Bedienung des Suvrettahauses beanspruche. Speziell hiergegen erhebt die Gemeinde keine Einwendungen, sondern in ihrer Erklärung, dass, wenn Madulein sich eine solche Bedingung (wie bei den übrigen Konzessionären) gefallen lassen wolle, einer Konzessionierung natürlich nichts im Wege stehen würde, liegt die Bedienung des Suvrettahauses durch Madulein, immer unter der mehrerwähnten Voraussetzung, zugestanden."

42 II. Diese Begründung ist zweifellos unrichtig. Wenn die Gemeinde St. Moritz, wie sich aus dem angeführten Wortlaute «rgibt, ausdrücklich gegen die Ausführungen des Elektrizitätswerkes Madulein geltend machte, dass die ändern Konzessionen unter Bedingungen erteilt worden seien, die der Gemeinde die Möglichkeit lassen, die Leitungen .,im gegebenen Augenblicke"1 aufzuheben, d. h. jederzeit deren Beseitigung zu verlangen, und wenn dann noch beigefügt wird, dass die Gemeinde die Kon2ession schon in nächster Zeit widerrufen werde, so kann unmöglich gesagt werden, dass damit die Gemeinde die Verpflichtung zur Erteilung einer Konzession als eines dauernden Rechtes anerkannt habe. Sie hat sich nur bereit erklärt, eine jederzeit widerrufliche Bewilligung zu erteilen, dabei aber in Aussicht gestellt, dass sie diese Bewilligung nächstens widerrufen werde.

Darin liegt nicht die Erklärung, dass sie die Bewilligung nur dann widerrufen könnte, wenn sie gleichzeitig auch die ändern Bewilligungen widerrufe.

III. Daraus, dass die Gemeinde früher Bewilligungen erteilt hat, kann eine Verpflichtung zur Erteilung einer neuen Bewilligung zu gleichen Bedingungen nicht abgeleitet werden.

Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass die gewöhnliche Benutzung des öffentlichen Eigentums einer Gemeinde nicht einzelnen Einwohnern der Gemeinde oder solchen anderer Gemeinden untersagt oder erschwert werden darf, so kann doch dieser Gesichtspunkt nicht entscheidend sein, wenn es sich um eine besondere, nicht der allgemeinen Zweckbestimmung des öffentlichen Eigentums entsprechende Benützung handelt, die, wie das Anbringen von Stangen für eine elektrische Leitung oder das Ziehen solcher Leitungen über die Strossen, nur auf Grundlage einer besondern Bewilligung möglich ist. Die Frage, ob die Berufung auf die Rechtsgleichheit zutreffend sei, braucht aber nicht entschieden zu werden ; denn gemäss Art. 46, Absatz 3, des Bundesgesetzes über elektrische Anlagen kommt es nur darauf an, ob die Verweigerung im einzelnen Falle zum Schütze berechtigter Interessen erfolgt. Dass eine Gemeinde bereits Bewilligungen zur Erstellung von Lichtleitungen erteilt hat, kann je nach den Umständen einen Grund für oder gegen die Erteilnng einer neuen Bewilligung bilden.

IV. Der Entscheid hängt daher davon ab, ob die Gemeinde St. Moritz mit Grund geltend machen kann, dass die Verweigerung der Benützung ihres öffentlichen Eigentums zum Schütze berechtigter Interessen nötig sei.

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a. Mit Rücksicht auf ihi-e Beziehungen zur Beleuchtuugsgesellschaft glaubt die Gemeinde St. Moritz, dass schon die Abhaltung der Konkurrenz überhaupt als Schutz berechtigter Interessen zu betrachten sei, und führt ferner aus, dass die Gesellschaft und damit indirekt die Gemeinde geschädigt würde, wenn das Elektrizitätswerk Madulein dem Suvrettahause Strom liefern könnte, dass die Gemeindeeinwohner geschädigt würden, weil die Herabsetzung des Strompreises erschwert würde und dass überdies die Gemeinde direkt geschädigt werde, wenn sie einmal, wie sie es beabsichtige, das Unternehmen an sich ziehe.

b. Der Gesetzesentwurf, den der Bundesrat seinerzeit der Bundesversammlung vorlegte, enthielt die Bestimmung, dass die Gemeinden die Expropriationen ihres öffentlichen Eigentums unbedingt verweigern können. Die Botschaft des Bundesrates bemerkte dazu: ,,Kantone und Gemeinden sollen dagegen berechtigt sein, die Verteilung der elektrischen Energie in ihrem Gebiete zu verweigern. Dieser Fall kann eintreten, wenn dieselben eigene elektrische Anlagen besitzen und dagegen geschützt werden wollen, dass sie zur Duldung einer Konkurrenz im eigenen Gebiete gezwungen werden.tt Diese Bestimmung wurde dann aber in den Beratungen der Bundesversammlung abgeändert und durch den jetzigen Wortlaut des Gesetzes ersetzt.

Daraus ergibt sich, dass die Konkurrenz mit einem Elektrizitätswerke einer Gemeinde nicht unter allen Umständen zur Verweigerung der Bewilligung genügt. Dies folgt aber auch aus dem Wortlaute an sich ; denn wenn eine solche Konkurrenz unter allen Umständen nach dem Gesetze als genügend zu betrachten wäre, so wäre es doch am einfachsten gewesen, dies direkt zu sagen. Eine solche Vorschrift wäre klar und bestimmt gewesen.

Es ist ja auch denkbar, dass die Interessen einer Gemeinde, die selbst ein Elektrizitätswerk betreibt, durch ein anderes Elektrizitätswerk nicht beeinträchtigt werden, wie z. B. dann, wenn das Elektrizitätswerk der Gemeinde dem Bedürfnisse nicht genügt und nicht erweitert werden kann. Umgekehrt kann es unter Umständen für die Verweigerung der Bewilligung auch genügen, dass ein neues Elektrizitätswerk einem Elektrizitätswerke, das wie im vorliegenden Falle einer Aktiengesellschaft gehört, bei dem aber die Gemeinde beteiligt ist, Konkurrenz machen würde.

c. Und wenn wirklich ein Interesse der Gemeinde in Frage kommt, genügt dies noch nicht. Dann ist gemäss dem Gesetze

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noch weiter zu prüfen, ob dieses Interesse ein berechtigtes seiDer Sinn dieser Vorschrift kann nur sein, dass dem Interesse der Gemeinde andere Gesichtspunkte entgegenstehen können, die im gegebenen Fall den Ausschlag geben. Wie in dem Beschlüsse des Bundesrates vom 27. Januar 1905 mit Bezug auf die Erstellung eines Beleuchtungsnetzes in Brunnen gesagt wurde, ist das Expropriationsrecht insbesondere dann zu bewilligen, wenn dieelektrische Anlage nach ihrer Art, Grosse und Zweckbestimmung von erheblicher wirtschaftlicher oder öffentlicher Bedeutung ist.

Im vorliegenden Falle kann vor allem darauf nichts ankommen, dass sich, wie die Gemeinde St. Moritz geltend macht, auch andere Bewerber melden könnten, denen sie konsequenterweise die Bewilligung auch nicht versagen könnte, wenn sie der A.-G. Elektrizitätswerk Madulein die verlangte Konzession erteilte. Hiergegen ist, abgesehen von der Inkonsequenz, dass die Konsequenz erst nach der Erteilung der jetzt in Frage stehenden Konzession beginnen soll und nicht schon bei den früher erteilten, zu erwidern, dass die Frage eben in jedem einzelnen Falle zu prüfen ist. Ot> solche Begehren für Gebiete gestellt werden, die geographisch vom Absatzgebiete der Beleuehtungsgesellschaft so abgegrenzt sind wie das Gebiet, für das jetzt die A.-G. Elektrizitätswerk Madulein um eine Bewilligung nachsucht, ob dann die Konkurrenz für die Interessen der Gemeinde eine erhebliche Schädigung herbeiführen könnte usw., kann jetzt nicht gesagt werden. Sicher aber ist, dass der Gemeinde alle Rechte gewahrt bleiben.

d. Ein gewisses Interesse der Gemeinde kommt hier allerdings in Frage, weil zweifellos die Beleuchtungsgesellschaft aus der Stromlieferung an das Suvrettahaus einen Gewinn ziehen würde, den sie zur Erhöhung der Abschreibungen oder zur Herabsetzung des Strompreises für die öffentliche Beleuchtung oder überhaupt für alle Abonnenten verwenden könnte. Wie sich aber aus den Akten ergibt, wäre dieser Gewinn von solch geringer Bedeutung, dass er für die Herabsetzung des Strompreises kaum in Betracht fallen würde, und bei der Übernahme des Werkes kommen die Abschreibungen vertragsgemäss nicht etwa der Gemeinde zugut, weil der Rückkauf zum Schätzungswerte erfolgen muss. Eine weitere Stromabgabe im Gebiete der Gemeinde würde nicht stattfinden. Die A.-G. Elektrizitätsgesellschaft Madulein erklärt ausdrücklich, und dabei ist sie zu behaften, dass sie im Gebiete der Gemeinde St. Moritz nur dem Suvrettahaus Strom abgeben wolle.

45 e. Wie oben erwähnt, wäre die Beleuchtungsgesellschaft aurzeit nicht in der Lage, den nötigen Strom für das Suvrettahaus selbst zu produzieren. Schon im Jahre 1904, als die Beleuchtung des Grand Hotel übernommen werden sollte, hätte ihre Kraft dafür nicht genügt. Seitdem hat der Absatz zugenommen; die Anlage ist aber gleich geblieben, so dass sich die Gesellschaft vor einiger Zeit genötigt sah, vom Elektrizitätswerke Madulein Strom zu beziehen, und jetzt hat sie einen neuen Stromlieferungsvertrag mit den Kraftwerken Brusio abgeschlossen. Sie hat allerdings in der letzten Zeit auch das Elektrizitätswerk in Celerina erworben, das nach einem Umbau zirka 150 Kilowatt abgeben kann ; aber diese Kraft wird durch den Engadiner Kulm, dessen Beleuchtung sie übernommen hat, absorbiert. Sie hat es also versäumt, rechtzeitig ihr Werk so auszubauen, dass sie jederzeit dem Bedürfnis genügen könnte. Unter diesen Umständen kann sie aber nicht beanspruchen, dass ein anderes Elektrizitätswerk verhindert werde, Strom zu liefern. Auf der ändern Seite ist ·das Elektrizitätswerk Madulein imstande, den Strom für das Suvrettahaus zu produzieren ; und es ist in gewissem Sinne ·darauf angewiesen, diese Stromlieferung zu übernehmen, denn «s hat die Absicht, die Stromabgabe gegen Sils und Maloja auszudehnen. Diese Ausdehnung wäre aber ohne den Anschluss des Suvrettahauses nicht rentabel und daher nicht möglich.

/'. Seit der Einreichung des Expropriationsgesuches hat die Gemeinde St. Moritz mit der Beleuchtungsgesellschaft über einen neuen Vertrag unterhandelt ; und sie beruft sich nun darauf, dass ihr die Gesellschaft nach diesem Vertrage weitergehende Vorteile einräumen würde als nach dem bestehenden. Darauf ist aber keine Rücksicht zu nehmen. Wenn auch nicht unter allen Urnständen die Berücksichtigung neuer Tatsachen auszuschliessen ist, so ist doch zu beachten, dass sich aus einer Berücksichtigung neuer Verträge unter Umständen die Folge ergeben könnte, dass die Ausführung einer Beleuchtungsanlage so verhindert werden könnte, dass eine Gemeinde durch den Abschluss eines solchen Vertrages mit einem Konkurrenten, der erst nachträglich auf ·das Projekt aufmerksam gemacht worden wäre, erreichen könnte, einem eingereichten Gesuche ein für sie neu geschaffenes Interesse entgegenzuhalten.

Im vorliegenden Fall soll der neue
Vertrag die Bestimmung enthalten, dass ,,die Gemeinde, soweit es in ihrer Macht liegt, die Einfuhr elektrischer Energie durch Dritte auf Gebiet der Gemeinde St. Moritz künftighin verwehren werde, solange die

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Gesellschaft allen an sie gestellten Anforderungen zur vollständiggenügenden Lieferung elektrischer Energie in der Gemeinde nachkommt1'- ; und die Generalversammlung der Aktionäre der Beleuchtungsgesellschaft hat sich prinzipiell damit einverstanden erklärt, aber unter der Bedingung, dass der neue Vertrag mit der Gemeinde nur zu Recht bestehen soll, wenn der Rekurs der A.-G. Elektrizitätsgesellschaft Madulein zugunsten der Gemeinde St. Moritz entschieden wird.

,, Es ergibt sich daraus, dass dieser neue Vertrag in der Hauptsache dazu dienen soll, dem Elektrizitätswerk Madulein die Durchleitung zum Suvrettahaus unmöglich zu machen, während die Stromlieferung des Elektrizitätswerkes Silvaplana an das mitten im Beleuchtungsgebiete der Beleuchtungsgesellschaft der Gemeinde St. Moritz liegende Grand Hotel nicht beanstandet wird. Unter diesen Umständen kann in dieser Richtung kein berechtigtes Interesse der Gemeinde gefunden werden.

V. Dass durch das Gestänge der neuen Fernleitung das Landschaftsbild von St. Moritz verunziert werde, kann nicht gesagt werden. Die Leitung ist, wie anlässlich eines durch die eidgenössische Kommission für elektrische Anlagen vorgenommenen Augenscheines festgestellt wurde, so projektiert, dass sie das Landschaftsbild in keiner Weise schädigt. Nebenbei ist übrigens auch darauf hinzuweisen, dass die Gemeinde St. Moritz damit einverstanden ist, dass dem neuen Gasthofe Strom geliefert werde ; und wenn die Beleuchtungsgesellschaft den Strom abgeben würde, müsste sie in gleicher Weise, wie das Elektrizitätswerk Madulein, eine Leitung nach Chasellas ziehen. Die Beleuchtungsgesellschait hat übrigens schon auf einer gewissen Strecke ihre Leitungen an Orten gezogen, in deren Nähe auch die A.-G. Elektrizitätswerk Madulein die Leitung ziehen will, ohne dass die Behörde von St. Moritz dagegen etwas eingewendet hätte.

VI. Aus technischen Gründen ist gegen die Bewilligung nichts einzuwenden. Die. A.-G. für elektrische Beleuchtung von St. Moritz hat ihr Absatzgebiet im Dorfe und im Bad St. Moritz, so dass die neue Leitung das bestehende Verteilungsnetz nicht berührt und nur an einer Stelle in nicht zu beanstandender Weise eine Leitung nach einem entfernten Punkte kreuzt. Deswegen hat auch der hiervor erwähnte Entscheid des Bundesrates vom 27. Januar 1905 für den vorliegenden Fall keine Bedeutung, VII. Der Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden ist aus den angeführten Gründen zu bestätigen.

47 Da die Elektrizitätsgesellschaft Madulein keine Bestimmungdieses Beschlusses angefochten hat, muss zurzeit unentschieden bleiben, ob diese Gesellschaft später und namentlich, wenn ihr die Bewilligung gemäss den Einschränkungen des Entscheide» des Kleinen Rates des Kantons Graubünden entzogen würde, ein neues Gesuch um Erteilung des Expropriationsrechtes stellen kann..

B.

I. Auch im Expropriationsverfahren hat die GemeindeSt. Moritz gegen das Projekt Einsprache erhoben. Die Gemeinde führt in ihrer Eingabe im wesentlichen aus, die Leitung durchschneide in sehr beträchtlicher Länge die ganze Berglehne oberhalb des Dorfes und sodann die prächtigen Bauplätze und Anlagen um die Oberalpina. Das Gebiet oberhalb des Dorfes bilde das Gebiet der baulichen Entwicklung, und gerade diese Gegend könne sozusagen von allen Punkten aus gesehen werden, auf welchen sich die Fremden bewegen. Die Gegend der Alpina sei ferner einer der schönsten und beliebtesten Ausflugsorte der Fremden, der nicht durch Leitungsstangen verunstaltet werden dürfe.

Es wird auch eingewendet, die neue Leitung würde mit schon bestehenden Leitungen für Telephon, Telegraph und für die Zuleitung elektrischer Energie zu den dort liegenden Gebäuden in Kollision geraten.

a. Der von der eidgenössischen Kommission für elektrische Anlagen vorgenommene Augenschein hat aber in Übereinstimmung mit dem Berichte des Starkstrominspektorates ergeben, dass diese Einwendungen nicht begründet sind. Wenn auch die Leitung, solange die Stangen neu sind, von einzelnen Orten aus sichtbar ist, so ergibt sich doch, wie bereits erwähnt, keine Verletzung ästhetischer Rücksichten. Dass die bauliche Entwicklung gehindert würde, kann zurzeit entschieden nicht gesagt werden.

Wenn einmal Bauten erstellt werden, denen die Leitung im Wege steht, so wird dann zu untersuchen sein, wie abzuhelfen ist. Die Rechte der Grundeigentümer .sind durch das Bundesgesetz vom 24. Juni 1902 betreffend die elektrischen Schvvachund Starkstromanlagen (Art. 50, Absatz 3) vollständig gewahrt.

Übrigens ist es Sache der Grundeigentümer ihre Rechte zu wahren.

b. üass Telephon-, Telegraphen- oder Lichtleitungen beeinträchtigt werden könnten, ist nicht richtig. Wie sich aus den Akten ergibt, konnte im obenerwähnten Augenschein nichts derartiges festgestellt werden.

48 c. Auch davon kann keine Rede sein, das Elektrizitätswerk Madulein, wie auch verlangt wird, anzuhalten, die Leitung in den Boden zu legen. Dies ergibt sich schon aus dem hiervor Gesagten.

Dazu kommt aber noch einerseits, dass dadurch die Kosten ganz bedeutend vergrössert würden, anderseits, dass ein solches Kabelzwischenstück, an das sich wieder Freileitungen anschliessen würden, auch bei einer Spannung von 8500 Volt technisch nicht zu empfehlen ist. Bei der Leitung des Elektrizitätswerkes Silvaplana, auf die hingewiesen wird, wurden Kabel auf den Ausläufern der Freileitungen verwendet und an Stellen, wo das Vorhandensein von Häusern deren Anwendung notwendig machte.

II. Im weitern erheben Einsprache : 1.

2.

3.

4.

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7.

8.

die A.-G. Grand Hotel Engadiner-Kulm ; Frau M. Badrutt-Joos ; die A.-G. Belmunt; die A.-G. Chantarella; Gian Badrutt-Matossi ; die Erben des Joh. Badrutt-Pidermann ; Bart. Eobbi; Alfred Robbi-Joos.

Soweit die Einsprecher die schon behandelten allgemeinen Gesichtspunkte geltend machen, ergibt sich aus dem Vorstehenden, ·dass die Einsprachen unbegründet sind.

Ebenso fällt der Hinweis auf die Möglichkeit der Erstellung von Gebäuden dahin. Zurzeit ist von Bauten nirgends die Rede ; und wenn einmal Bauten erstellt werden, so wird dann zu prüfen sein, wie die Leitung etwa anders gezogen werden soll. Auch eine Verlegung der Leitung in der Art, dass Grundstücke der Einsprecher davon nicht mehr betroffen würden, kann nicht empfohlen werden ; dadurch würden technische Mängel und Kosten verursacht; und infolgedessen könnten die Eigentümer der Grundstücke, die in Anspruch genommen würden, mit Recht geltend machen, dass die Leitung richtigerweise anders, d. h. ebenso, wie sie jetzt projektiert ist, gezogen werden sollte.

Zu den einzelnen Einsprachen ist noch folgendes zu bemerken : Ad 1. Das Elektrizitätswerk Madulein hat bei Anlass der Prüfung des Gesuches durch das Starkstrominspektorat die eingangs erwähnte Änderung des Projektes vorgenommen. Die Inanspruchnahme dieser Liegenschaft fällt somit dahin.

49 Ad 2. Frau M. Badrutt-Joos ist Eigentümerin der Wiesen Nr. 52 und 56, über welche die Leitung von Osten nach Westen gezogen werden soll.

Besondere Umstände, die es wünschbar machen würden, ·dass gerade diese Grundstücke nicht in Anspruch genommen würden, liegen nicht vor.

Ad 3. Diese Einsprache ist infolge einer kleinen Änderung ·des Projektes, wonach die Leitung ein wenig nach Nordwesten verschoben wird, gegenstandslos geworden.

Ad 4. Die A.-G. Chantarella ist Eigentümerin der Grundstücke Nr. 54, 61, 79 und 86. Sie beabsichtigt, die Liegenschaft .zu parzellieren und zu überbauen. Das Elektrizitätswerk Madulein hat deswegen sein Projekt etwas abgeändert, so dass die Durchführung der Pläne der Aktiengesellschaft Chantarella nur noch in geringem Masse beeinträchtigt wird. Eine andere Richtung der Leitung wäre technisch nicht zu empfehlen.

Ad 5. Gian Badrutt-Matossi ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 85 mit einem darauf stehenden Gebäude. Nach dem ursprünglichen Projekte wäre die Leitung von Nordosten nach Südwesten über sein Grundstück und zwar auch über das Gebäude gezogen worden. Nach dem abgeänderten Projekte wird sie ungefähr der nördlichen Grenze entlang gezogen. Gegen die beabsichtigte Leitung ist nichts einzuwenden, weil dadurch das Grundstück des Herrn Badrutt in keiner Weise beeinträchtigt wird. Das Gebäude liegt jedenfalls 5 bis 6 m davon entfernt.

Ad 6. Die Erben des Joh. Badrutt-Pidermann waren Eigentümer der Liegenschaften Nr. 61 und 79. An ihre Stelle ist die A.-G. Chantarella getreten.

Ad 7. Die Einsprache des Herrn Bart. Robbi wird nicht auf spezielle Gründe gestützt und fällt daher nach dem prinzipiellen Entscheide dahin.

Ad 8. Herr Alfred Robbi-Joos ist Eigentümer der beiden Grundstücke Nr. 103 und 105, welche von der Leitung von Nord nach Süd durchzogen werden sollen. Beim zweiten handelt es sich nur um ein Riedt, welches durch die vier Stangen, von denen zwei auf die Grenze und zwei nicht weit von derselben «ntfernt aufgestellt werden sollen, nicht beeinträchtigt wird. Auf dem ersten befindet sich das von Fremden stark besuchte Restaurant Ober-Alpina. Die Leitung soll durch diese Liegenschaft in einem Abstände von ungefähr neun Meter vom Gebäude in einer Mulde und sodann durch eine Lücke in einem Wäldchen gezogen Bundesblatt. 64. Jahrg. Bd. V.

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werden. Bine Verlegung nach Nordwesten oder Südosten würde die Aussicht weit mehr stören, als die projektierte Richtung Ohne eine erhebliche Verschlechterung in technischer Hinsicht liesse sie sich nicht anders ziehen. Wie den Akten zu entnehmen ist, richtet sich übrigens die Einsprache nicht eigentlich gegen die Richtung der Leitung. Und mit Bezug auf das Hauptbegehren, dass die Leitung überhaupt nicht bewilligt werde, ist auf das bereits Gesagte zu verweisen.

beschlossen: 1. Der Rekurs der Gemeinde St. Moritz vom 14. Mai 1912 gegen den Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden vom 2S./27. April 1912 in der Rekurssache der A.-G. Elektrizitätswerk Madulein gegen die Gemeinde St. Moritz betreffend Mitbenützung von öffentlichem Eigentum wird, gestützt auf Art. 46, Absätze 3 und 4, als unbegründet abgewiesen.

2. Dem Elektrizitätswerk Madulein A.-G. wird, gestützt auf die Art. 43 und 50, Absatz 2, des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 über die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen und gemäss dem vorgelegten Plane, das Expropriationsrecht zum Zwecke der Erstellung einer Hochspannungsleitung nach dem Hotel ,,Suvrettahausa in Chasellas (Gemeinde St. Moritz) erteilt.

3. Die aus der Gemeinde St. Moritz eingereichten Einsprachen werden, soweit ihnen nicht durch die Erwägungen sub lit. B hiervor entsprochen ist, als unbegründet abgewiesen und sind im Streitfalle von der Expropriantin der eidg. Schätzungskommission behufs Erledigung der Entschädigungsfrage vorzulegen.

B e r n , den 8. Oktober 1912.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

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13.11.1912

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38-50

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