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Parlamentarische Initiative.

Geheimhaltung. Oberaufsicht des Parlaments Stellungnahme des Bundesrates vom I.März 1995

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen, gestützt auf Artikel 2HU!llcr Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes, unsere Stellungnahme zum Bericht Ihrer Kommission vom 14. März 1994 (BB1 7PW II 1409).

1. Grundsätzliches Wir teilen Ihre Wertung, dass die Arbeit einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK), die zur Abklärung von «Vorkommnissen von grosser Tragweite» eingesetzt worden sind (Art. 55 GVG), nicht durch den Bundesrat oder die Verwaltung gestört werden dürfen, indem parallele Verfahren eingeleitet oder weitergeführt werden, welche die PUK an der Abklärung der erheblichen Sachverhalte hindern. Die Erfahrungen mit der PUK-EJPD und der PUK-EMD haben deutlich gezeigt, dass die Abklärungen einer PUK nur erfolgreich umgesetzt werden können, wenn sie in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens geführt werden.

Wir teilen aus diesen Gründen vorbehaltlos die Forderung Ihrer Kommission, Disziplinarverfahren und Administrativuntersuchungen hätten sich der parlamentarischen Untersuchung unterzuordnen und dürften nur mit Zustimmung der PUK angehoben oder weitergeführt werden. Wir sind aber der Auffassung, dass aus Gründen der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen und aus Gründen der Gewaltenteilung Strafverfahren nicht gleich behandelt werden können, sondern einer differenzierten Regelung bedürfen.

2. Verfassungslage für die Strafverfolgung Nach Artikel 64bis Absatz 2 BV ist die Gesetzgebung über den Strafprozess Sache der Kantone. Dem Bund wurden bisherige teilweise Kompetenzen zur Beurteilung bestimmter Straftaten durch Strafgerichte des Bundes belassen (B. Knapp, Kommentar Art. 64bis BV, Rz. 37,42 ff.). Diese Verfassungslage bedeutet, dass kantonales Recht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden, und sie verlangt, dass auch der Bundesgesetzgeber diese kantonale Kompetenz respektiert.

Diese Rechtslage verbietet es dem Bund, strafrechtliche Ermittlungen der Kantone im Untersuchungsbereich einer PUK von deren Zustimmung abhängig zu machen.

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Dies ist deshalb wichtig, weil sich die Abklärungen der PUK durchaus auch auf das Verhalten von Privaten oder auf das Verhalten von Beamten ausserhalb ihrer amtlichen Funktionen beziehen kann. Soweit in diesen Bereichen strafrechtliche Verfahren der Kantone und die. Arbeit der PUK zusammentreffen, kann der Bund nicht in die justizialen Befugnisse der Kantone eingreifen. Betreffen kantonale Verfahren jedoch Straftaten von Beamten in ihrer amtlichen Funktion für den Bund, so hat der Bund rechtliche Möglichkeiten, die wir in Ziffer 3 darlegen.

Ist der Bund zur Strafverfolgung zuständig, besteht grundsätzlich eine Bundeskom'petenz, die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens zu regeln. Wenn die Ermächtigung zur Strafverfolgung jedoch in das freie Ermessen einer PUK gestellt wird, kollidiert die betreffende Regelung mit wichtigen Grundsätzen des materiellen und formellen Strafrechts: Das Legalitätsprinzip im Strafrecht und die Pflicht zur Verfolgung von Straftaten von Amtes wegen würden im Untersuchungsbereich einer PUK aufgehoben. Das wäre im Widerspruch zur Auffassung -der PUK-EJPD, die ausdrücklich festgestellt hat, es fehle ihr die Möglichkeit der Zusicherung der Straffreiheit gegenüber Informanten (BB1 1990 l 665); diese Auffassung der PUK-EJPD wird vom Bundesrat geteilt; sie muss auch für Angehörige der Bundesverwaltung und nicht nur für Private gelten.

3. Anknüpfung an die Verantwortlichkeit der Bundesbehörden Da in der Mehrzahl der praktisch vorstellbaren Fälle, in denen die Abklärungen einer PUK und die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden kollidieren, Verhalten von Behörden oder Beamten des Bundes in amtlicher Funktion betreffen, kann die verfassungsrechtliche Anknüpfung unseres Erachtens über Artikel 117 BV erfolgen, welcher dem Bund die Gesetzgebung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der «Beamten der Eidgenossenschaft» zuweist. Nach dem geltenden Recht ist eine Ermächtigung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes zur Strafverfolgung erforderlich, unabhängig ob die Kantone oder der Bund zur Verfolgung der begangenen Straftaten zuständig sind.

Wir schlagen Ihnen deshalb vor, die Einwirkung der PUK auf die Durchführung eines Strafverfahrens in ihrem Untersuchungsbereich mit dem Entscheid des EJPD zur Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Bundesbeamte zu verknüpfen.

4. Kriterien der Ermächtigung durch die PUK Ihre Kommission gibt als Grund für die Neuregelung an, die einer Genehmigung zu unterstellenden Verfahren könnten die PUK-Untersuchungen gefährden (BB1 1994 II 1415 f.); im weiteren entstünden Unsicherheiten wegen der Herrschaft über die Akten, wegen der Terminierung und der Stellung der befragten Personen (Auskunftsperson oder Zeuge).

Diese Gründe müssen in irgendeiner Weise als Kriterien der Ermächtigung in den Entwurf einfliessen. Es wäre zudem nicht verhältnismassig, wenn es nur die Verweigerung oder vorbehaltlose Erteilung der Ermächtigung gäbe: Auch während der Arbeit einer PUK behält der Bundesrat seine volle Verantwortung über die Bundesverwaltung, und es müssen ihm diejenigen Führungsmittel zur Verfügung stehen, die sowohl ihm wie auch der PUK die unbehinderte Aufgabenerfüllung ermöglichen.

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Wir schlagen Ihnen deshalb eine Bestimmung vor, die in einer sehr allgemeinen Form die materiellen Voraussetzungen der Ermächtigung regelt. Diese Bestimmung kanalisiert das Ermessen der "PUK, 5. Ausmass der Verfahrenshemmung Da über die Einleitung von Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen nach dem Opportunitätsprinzip entschieden wird, steht einer Regelung nichts entgegen, die zu einer dauernden Verhinderung oder einem definitiven Abbruch des Verfahrens führt. Bei einer Disziplinaruntersuchung wird der Entscheid der PUK ohnehin in den meisten Fällen zu einer Verjährung führen (diese tritt ein Jahr nach der Entdeckung des disziplinwidrigen Verhaltens ein, siehe Art. 24 Abs. 4 BÖ 1).

Da bei der Strafverfolgung mit wenigen Ausnahmen das Legalitätsprinzip gilt und die Behörden von Amtes wegen die Straftaten verfolgen müssen, soll eine PUK das Verfahren nicht definitiv niederschlagen, sondern dieses nur aufschieben können.

In den Fällen, die von der PUK-EJPD und der PUK-EMD erwähnt worden sind, zeigte sich nachträglich, dass zwar eine Gefahr der Behinderung der PUK-Abklärungen bestand, dass jedoch diese Gefahr durch bestimmte Massnahmen gebannt werden konnte und nicht das Verhindern des Verfahrens erfordert hätte. Im von der PUK-EJPD genannten Fall genügte es, dass ein externer Untersuchungsleiter und nicht ein Beamter der Bundesanwaltschaft die Disziplinaruntersuchung weiterführte. In den von der PUK-EMD erwähnten Fällen ergaben sich Schwierigkeiten mit dem Aktenzugang der PUK und einer angeblichen Vertraulichkeitszusage des Untersuchungsleiters gegenüber einem Beamten. Eine Vertraulichkeitszusage wäre tatsächlich nicht zulässig gewesen. Auch die Akteneinsicht muss nach Artikel 59 GVG der PUK vorbehaltlos zustehen. Aus diesen Vorkommnissen darf jedoch nicht geschlossen werden, die beiden damaligen Untersuchungen im EMD hätten von der PUK verhindert werden müssen, falls dies nach damaligem Recht schon möglich gewesen wäre. Es hätte damals durchaus genügt, die Untersuchungen gegeneinander abzugrenzen und die Informationen von Anfang an der PUK vollumfänglich zur Verfügung zu stellen. In Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips sollten deshalb dem Bundesrat die Führungsinstrumente «Untersuchung» nicht weggenommen werden, sondern nur soweit kanalisiert und beeinflusst werden, als es für die ungestörten Abklärungen der PUK erforderlich ist.

6. Anträge des Bundesrates

6.1 Art. 65 Abs. 3 (neu) 3

Disziplinar- oder Administrativuntersuchungen in der Bundesverwaltung, die Sachverhalte betreffen, welche Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung sind oder waren, dürfen nur mit Ermächtigung der Untersuchungskommissionen angehoben werden. Laufende Verfahren sind zu unterbrechen, bis die Untersuchungskommissionen die Fortsetzung bewilligen.

Begründung: Wir haben in Ziffer 2 dargelegt, weshalb die strafrechtlichen Ermittlungen einer gesonderten Regelung unterstellt werden müssen.

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6.2 Art. 65 Abs. 3bis (neu) 3btt Die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Bundesbeamte darf nur mit Zustimmung der Untersuchungskommissionen erteilt werden. Werden die Ermittlungen von der Bundesanwaltschaft geführt, ist die Zustimmung vor der Eröffnung des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens einzuholen. Spätestens bei Abschluss der Arbeit der Untersuchungskommissionen können die strafrechtlichen · Ermittlungen wiederaufgenommen werden.

Begründung: Bei einem ausreichenden Tatverdacht sind die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, ein Verfahren zu eröffnen und auch zu Ende zu führen. Die PUK soll deshalb die für dessen Durchführung erforderliche Zustimmung nur solange verzögern, als es ihre eigenen Abklärungen erfordern.

Die Zustimmung zur Ermächtigung zur Strafverfolgung soll nur für möglichst kurze Zeit verweigert werden; das ermöglicht, dass das EJPD nur eine Zwischenverfügung über den Aufschub des Entscheides trifft. Müsste es nämlich die Ermächtigung verweigern, würde damit die Beschwerde an das Bundesgericht eröffnet, die nach Artikel 15 Absatz 5 Verantwortlichkeitsgesetz dem Verletzten und dem Staatsanwalt des Begehungskantons zusteht.

6.3 Art. 65 Abs. 3ter (neu) 3l

"Die Untersuchungskommissionen können die Ermächtigung oder Zustimmung verweigern, wenn sonst die Erfüllung ihres Auftrages vereitelt oder erheblich erschwert würde. Sie können die Ermächtigung mit Auflagen versehen, welche ihr das ungestörte Abklären der Vorkommnisse erlaubt, und die laufende vollständige Information über das Verfahren verlangen.

Begründung: Der beantragte Absatz 3ter hält die materiellen Voraussetzungen für die Ermächtigung, beziehungsweise deren Verweigerung fest. In' Ausführung des Verhältnismässigkeitsprinzips wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wenn möglich an die Stelle der Verweigerung der Erlass von Auflagen tritt. Der Vollständigkeit halber wird gezeigt, dass die wichtigste Auflage der laufende Informationsanspruch der PUK sein wird. Dagegen ist nicht notwendig, das Recht auf Aktenedition nochmals zu erwähnen, da dieses'in Artikel 59 GVG schon erwähntest.

Der Bundesrat beantragt Ihnen, den geänderten Artikel 65 Absatz 3 GVG und die ergänzenden Absätze 3bis und 3tór nach unseren Vorschlägen den Räten zu unterbreiten.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. März 1995

Im Namen des schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Villiger Der Bundeskanzler: Couchepin

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53 Bundesblall 147. Jahrgang. Bd. II

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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16.05.1995

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