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Botschaft über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura

vom 16. August 1995

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit Antrag auf Zustimmung einen Entwurf zu einem Bundesbeschluss über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 1980 P 80.345 Austausch Ederswiler (JU) - Vellerat (BE) (N 2. 6. 80, Günter) 1986 M zu 85.265 Ederswiler und Vellerat. Kantonszugehörigkeit (N 5. 12. 85, Petitions- und Gewährleistungskommission des Nationalrates; S 25. 9. 86) Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. August 1995

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Villiger Der Bundeskanzler: Couchepin

1995-590

Übersicht Mit dem Bundesbeschluss über den Übertritt der bernischen Gemeinde Veliera!

zum Kanton Jura sollen Volk und Stände dent Kantonswechsel von Veliera! zustimmen.

Nach herrschender Lehre und Verfassungspraxis bedürfen Änderungen int Gebiet der Kantone nebst der Zustimmung des betroffenen Gebietes, des Kantons, in dem dieses Gebiet liegt, und des Anschlusskantons auch der Zustimmung von Volk und Ständen. Die Zustimmung der verfassungsgebenden Gewalt des Bundes ist für die Gebietsveränderung konstitutiv. Diese Grundsätze gelten auch für den Kantonswechsel einzelner Gemeinden. Die Abtretung einer ganzen Gemeinde kann nicht als blasse Grenzbereinigung ohne politische Bedeutung betrachtet werden.

Nachdem die Stimmberechtigten des Kantons Bern, der Gemeinde Veliera! und des Kantons Jura dem Kantonswechsel der Gemeinde zugestimmt haben, sind die Voraussetzungen erfüllt, um auf Bundesebene das Zustimmungsverfahren einzuleiten.

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Botschaft I II III

Allgemeiner Teil Ausgangslage Die Gemeinde Vellerat

Die Gemeinde Vellerat gehört heute zum bemischen Amtsbezirk Moutier und liegt an der Grenze zum Kanton Jura. Sie umfasst eine Fläche von 205 ha und hat.nach der eidgenössischen Volkszählung 1990 70 Einwohner.

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Die Position Vellerats bei der Gründung des Kantons Jura

Im Rahmen des Verfahrens für die Gründung des Kantons Jura nach dem Zusatz zur bemischen ' Staatsverfassung hinsichtlich des jurassischen Landesteiles vom 1. März 1970 stimmte die Gemeinde Vellerat anlässlich der ersten beiden Volksbefragungen für die Schaffung des Kantons Jura und gegen den Verbleib beim Kanton Bern. Nach Artikel 4 des Verfassungszusatzes konnten Gemeinden, die damals an einen Amtsbezirk angrenzten, der sich für den Kanton Jura ausgesprochen hatte, in einer dritten Plebiszitrunde darüber entscheiden, ob sie weiterhin zum Kanton Bern gehören oder sich von ihm trennen wollten. Da Vellerat keine Grenzgemeinde im Sinne dieser Bestimmung war, konnte es nicht an diesen Gemeindeplebisziten teilnehmen und verblieb damit bei der Gründung des Kantons Jura beim Kanton Bern. Wiederholt verlangte Vellerat seither einen Anschluss an den neuen Kanton.

Umgekehrt optierte die Gemeinde Ederswiler für den Verbleib beim Kanton Bern, schied aber ebenfalls vom Gemeindeplebiszit aus und wurde dem Kanton Jura zugeschlagen. In der Folge verlangte Ederswiler, sich wieder dem Kanton Bern anschliessen zu können.

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Seitherige Bemühungen des Bundesrates

Der Bundesrat bemühte sich seit der Gründung des Kantons Jura um eine befriedigende Lösung für die Kantonszugehörigkeit der Gemeinden Vellerat und Ederswiler. Wiederholt war die Zukunft der beiden Gemeinden Gegenstand von Gesprächen des Bundesrates mit den Regierungen der Kantone Bern und Jura. 1988 legte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den beiden Kantonsregierungen einen Entwurf für eine Übereinkunft über den Kantonswechsel von Vellerat und Ederswiler vor, der die Zustimmung der bernischen Regierung fand, nicht aber jene der jurassischen Regierung. Schliesslich setzte der Bundesrat 1992 auf Wunsch der beiden Kantonsregierungen eine Konsultativkommission unter dem Vorsitz von Herrn alt Nationalrat Sigmund Widmer ein. Die Kommission hatte den Auftrag, hängige Probleme in den Beziehungen zwischen den beiden Kantonen zu prüfen und zuhanden des Bundesrates und der betroffenen Kantone konkrete Lösungsvorschläge zu erarbeiten. In ihrem Bericht vom 31. März 1993 empfahl die Konsultativkommission, in den Gemeinden Vellerat und Ederswiler seien unverzüglich neue Abstimmungen zu organisieren.

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Die Zustimmung des Kantons Bern zum Kantonswechsel von Vellerat

Am 30. Juni 1993 beschloss die Regierung des Kantons Bern, unverzüglich und ohne Vorbedingungen das Verfahren einzuleiten, um Vellerat den Kantonswechsel zu ermöglichen. Dank diesem Entscheid der bemischen Regierung, den Kantonswechsel von Vellerat voranzutreiben und nicht mit der Frage der Kantonszugehörigkeit der Gemeinde Ederswiler zu verknüpfen, zeichnete sich eine Lösung für das Anliegen der Gemeinde Vellerat ab. Am T.November 1994 verabschiedete der Grosse Rat des Kantons Bern das Gesetz über den Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura. Die Stimmberechtigten des Kantons Bern hiessen das Vellerat-Gesetz am 12. März 1995 mit 210680 Ja-Stimmen gegen 39 186 NeinStimmen gut.

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Die Zustimmung der Gemeinde Vellerat und des Kantons Jura

Gestützt auf das Vellerat-Gesetz wurde am 18. Juni 1995 in der Gemeinde Vellerat eine Abstimmung über den Kantonswechsel zum Kanton Jura durchgeführt. Die Stimmberechtigten sprachen sich mit 41 Ja-Stimmen ohne Gegenstimme für den Kantonswechsel aus.

Am 26. April 1995 verabschiedete das Parlament des Kantons Jura das Gesetz über die Aufnahme der Gemeinde Vellerat, das die Stimmberechtigten am 25. Juni 1995 mit 20 020 Ja-Stimmen gegen 1758 Nein-Stimmen annahmen.

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Veränderte Ausgangslage für Ederswiler

Die letzte Petition von Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinde Ederswiler an die jurassischen Behörden betreffend einen Übertritt der Gemeinde zum Kanton Bern datiert vom 12. Juli 1993. In der Zwischenzeit hat sich für die Gemeinde Ederswiler die Ausgangslage geändert. Dies namentlich aufgrund des Übertritts des Laufentals zum Kanton Basel-Landschaft vom l. Januar 1994. Nachdem der angrenzende, früher bernische Bezirk Laufen nun zum Kanton Basel-Landschaft gehört, würde die Gemeinde Ederswiler bei einem Übertritt zum Kanton Bern zu einer bernischen Exklave. Die Petition vom 12. Juni 1993 wurde von den jurassischen Behörden im Frühjahr 1994 als gegenstandslos abgeschrieben. Dies wurde den Petitionärinnen und Petitionären vom Parlament und von der Regierung des Kantons Jura mit Schreiben vom 9. bzw. 22. März 1994 mitgeteilt. Seither wurde kein neues Begehren für einen Kantonswechsel von Ederswiler gestellt. Entsprechend hat auch der Regierungsrat des Kantons Bern dem Grossen Rat die Abschreibung einer Motion aus dem Jahre 1987 beantragt, mit der eine Lösung für die beiden Gemeinden Ederswiler und Vellerat verlangt wurde; die Angelegenheit wird mit der Verabschiedung des Vellerat-Gesetzes als erledigt betrachtet '>.

Verwaltungsbericht des Regierungsrates, der kantonalen Verwaltung und der Gerichtsbehörden für das Jahr 1994, Ziff. 2.8.1.1.

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Erledigung der parlamentarischen Vorstösse

Wir verweisen auf die eingangs zur Abschreibung beantragten Vorstösse. Deren Anliegen wird, soweit sie nicht gegenstandslos geworden sind (vgl. Ziff. 116), mit dem in dieser Botschaft beantragten Bundesbeschluss über den Kantonswechsel von Vellerat Rechnung getragen.

Mit dem Postulat «Austausch Ederswiler (JU) - Vellerat (BE)» (1980 P 80.345 N Günter) wird der Bundesrat ersucht, einen Weg aufzuzeigen, welcher den Austausch von Ederswiler und Vellerat gestattet. Ebenso wird der Bundesrat mit der Motion «Ederswiler und Vellerat. Kantonszugehörigkeit» (1986 M zu 85.265 Petitions- und Gewährleistungskorr.mission des Nationalrates) beauftragt, die staatsrechtlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung der Anliegen der Gemeinden Ederswiler und Vellerat zum Tragen zu bringen.

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Besonderer Teil Garantie der Kantonsgebiete durch die Bundesverfassung

Artikel l der Bundesverfassung hält fest, aus welchen Gliedstaaten die Schweizerische Eidgenossenschaft gebildet ist. Diese Aufzählung der Kantone hat konstitutive Bedeutung. Sie garantiert die Zugehörigkeit der genannten Kantone zum Bund, den Bestand der Kantone und das durch die bundesstaatliche Struktur der Eidgenossenschaft erlangte Gleichgewicht. Weiter garantiert Artikel l das Gebiet der Kantone; denn mit dem Bestand der Kantone und dem bundesstaatlichen Gleichgewicht wird zugleich die Ausdehnung der Kantonsgebiete festgelegt". Zudem berührt eine Änderung der Kantonsgebiete, durch den damit verbundenen Übergang der Hoheitsrechte, auch den Bestand der Kantone. Nach Artikels der Bundesverfassung gewährleistet der Bund den Kantonen nebst den weiteren wesentlichen Elementen ihrer Souveränität auch ihr Gebiet im geographischen Sinn 2) .

Artikel 7 Absatz l der Bundesverfassung untersagt den Kantonen den Abschluss von Verträgen politischen Inhalts. Diese materielle Grenze der Vertragsfreiheit der Kantone (Art. 7 Abs. 2 BV) ist Ausfluss der in den Artikeln l und 5 der Bundesverfassung verankerten Bestandes- und Gebietsgarantie und bezweckt die Wahrung des föderalistischen Gleichgewichts des Bundesstaates. Entsprechend erfasst Artikel 7 Absatz l auch eine bilaterale Vereinbarung über eine Änderung der Kantonsgebiete31. Anders verhält es sich lediglich bei einer Vereinbarung über eine blosse Grenzbereinigung, die eine Verbesserung des Verlaufs einer Grenze bezweckt. Bei der damit verbundenen Gebietsübertragung handelt es sich nur um eine Nebenwirkung ohne politische Bedeutung.

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Zustimmung von Volk und Ständen zu Gebietsänderungen

Die Bundesverfassung enthält keine ausdrücklichen Regeln für Gebietsänderungen.

Praxis und Lehre gehen jedoch davon aus, dass die Bundesverfassung, die jederzeit ganz oder teilweise revidiert werden kann (Art. 118 BV), auch Änderungen im 11 2

Jean-François Aubert, in Kommentar BV, Art. l Rz. 87.

> Vgl. Biaise Knapp, in Kommentar BV, Art. 5, Rz. 47; Ulrich Häfelin/Walter Haller.

Schweizerisches Bundesstaatsrecht. 2. Aufl., Zürich 1988, S. 63 ff.

31 Ulrich Häfelin, in Kommentar BV. Art. 7, Rz. 48.

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Bestand und im Gebiet der Kantone zulässt. So konnten der Kantonswechsel des Laufentals und die Gründung des Kantons Jura realisiert werden '>. Dieselbe Auffassung wurde bereits auch im Zusammenhang mit den Bestrebungen um die Wiedervereinigung der beiden Basel vertreten 2 '.

Da der Umfang der Kantonsgebiete verfassungsrechtlich garantiert ist (Art. l und 5 BV), braucht es nach Praxis und herrschender Lehre für Gebietsänderungen neben der Zustimmung des betroffenen Gebiets und der beteiligten Kantone auch die Zustimmung des Bundesverfassungsgebers. Dies gilt nicht nur für die Verbindung, die Teilung und die Schaffung von Kantonen, sondern auch für die Abtretung eines Gebiets von einem Kanton an einen anderen 3) . Bereits im Zusammenhang mit dem Kantonswechsel des Laufentals kamen der Bundesrat und die Bundesversammlung deshalb zum Schluss, dass auch Volk und Stände darüber abzustimmen haben 4 '.

Die Vergrößerung eines Kantons um Gebietsanteile, welche ihm von seinen Nachbarn abgetreten werden, betrifft den Bundesverfassungsgeber ebenso wie etwa die Vereinigung zweier Kantone 5 '. Auch Änderungen im Gebiet der Kantone können das gesamteidgenössische Gleichgewicht beeinflussen. Sie können sich auf die Verteilung der Nationalratssitze auswirken 6 '. Durch die Einwirkung auf die Bevölkerungszahl der beteiligten Kantone berührt eine Gebietsabtretung mittelbar überdies das Ständemehr und hat damit indirekt auch verfassungsgestaltende Wirkung.

Die Zustimmung von Volk und Ständen ist für die territoriale Veränderung konstitutiv. Mit dem entsprechenden Beschluss nimmt der Verfassungsgeber gleichzeitig die im Zusammenhang mit einer Gebietsänderung abzuschliessenden Verträge zwischen den betroffenen Kantonen vom Verbot politischer Verträge (Art. 7 BV) aus.

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Zustimmung von Volk und Ständen zum Kantonswechsel von Gemeinden

Der Bundesrat und die Bundesversammlung haben wiederholt die Auffassung vertreten, dass auch der Kantonswechsel einer einzelnen Gemeinde der Zustimmung von Volk und Ständen bedarf7'. Mit der entsprechenden Gebietsverschiebung zwischen zwei Kantonen wird ein neuer verfassungsrechtlicher Zustand geschaffen, was nur mit Zustimmung von Volk und Ständen geschehen kann. Die Abtretung einer ganzen Gemeinde an den Nachbarkanton kann nicht als blosse Grenzbereinigung ohne politische Bedeutung angesehen werden. Vielmehr ist der Kantonswech-

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BB1 1993 I 1035; 1977 III 794 f.

BB1 1959 II 1363 f.

Jean-François Aubert, in Kommentar B V, Art. l, Rz. 79 ff.; Heinrich Koller, Gebietsänderungen im Bundesstaat - Ansichten und Aussichten nach dem Laufental-Entscheid, in Festschrift Alfred Rötheli, Solothurn 1990, S. 175 f. und die dort zitierte Literatur.

"' BB1 1993 I 1036.

51 Jean-François Aubert, in Kommentar B V, Art. l, Rz. 87.

61 Der Kanton Bern verlor aufgrund des Anschlusses des Laufentals an den Kanton BaselLandschaft einen Nationalratssitz an den Kanton Luzem (vgl. BB1 1993 I 1040 und AS 1994 2429).

71 Bericht des Bundesrates an die Kommission des Ständerates zur Frage der Wiedervereinigung beider Basel, BBI 1947 III 281; Bericht des Bundesrates zu den Standesinitiativen der Kantone Bern und Neuenburg betreffend Änderungen im Bestand der Kantone, BBI 1979 III 1137; Stellungnahme des Bundesrates vom 31. August 1992 zu 92.3292 Motion Zwahlen vom 19. Juni 1992 Moutier. Wechsel zum Kanton Jura; Berichte der Petitionskommissionen zur Petition der Gemeinde Ederswiler betreffend die Kantonszugehörigkeit, Amtl. Bull. N .1985, 1965 f. und S 1986, 512 f.

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sel einer Gemeinde in unserem auf Stabilität angelegten Bundesstaat ein aussergewöhnliches Ereignis. Auch der Übertritt einer Gemeinde zu einem anderen Kanton kann das bundesstaatliche Gleichgewicht berühren. Selbst wenn in einem konkreten Fall der Transfer einer einzelnen Gemeinde das föderalistische Gleichgewicht kaum berühren würde, so wäre dies jedenfalls anders, wenn hintereinander mehrere Gemeinden einer bestimmten Region dem Nachbarkanton abgetreten würden.

Auch in der Lehre wird nicht behauptet, dass die geltende Bundesverfassung es erlauben würde, für den Kantonswechsel von Gemeinden generell auf die Zustimmung von Volk und Ständen zu verzichten. Vereinzelt wird jedoch die Meinung vertreten, dass Gebietsänderungen, welche das eidgenössische Gleichgewicht nicht ernsthaft tangieren, nicht der Zustimmung von Volk und Ständen bedürfen ". Allerdings wird offen gelassen, nach welchen Kriterien zu beurteilen wäre, ob eine Gebietsverschiebung das bundesstaatliche Gleichgewicht berührt, und wie gross oder wie bevölkerungsreich beispielsweise eine Gemeinde sein darf, damit ihr Kantonswechsel noch als unpolitische Grenzbereinigung betrachtet werden kann 2 '.

Sodann wäre es nach einer anderen Lehrmeinung zulässig gewesen, eine Vereinbarung zwischen den Kantonen Bern und Jura über einen Abtausch der Gemeinden Vellerat und Ederswiler als unpolitische Grenzbereinigung zu betrachten. Bei einem gegenseitigen Abtausch seien keine Gleichgewichtsstörungen zu befürchten, höchstens bei einem Kantonswechsel bloss einer der beiden Gemeinden. Voraussetzung wäre jedoch, dass man sich über den nichtpräjudiziellen Charakter einer solchen Vereinbarung einig sei 3) . Nach beiden Theorien müssten entsprechende zwischen zwei Kantonen vereinbarte Gebietsbereinigungen konsequenterweise lediglich dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt werden (Art. 7 Abs. 2 und Art. 102 Ziff. 7 BV) und nur aufgrund von Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung allenfalls der Bundesversammlung 4 '.

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Eidgenössische Abstimmung für den Kantonswechsel von Vellerat

Nachdem der Kanton Bern, die Gemeinde Vellerat und der Kanton Jura dem Kantonswechsel von Vellerat zugestimmt haben, sind die Voraussetzungen erfüllt, um die Frage des Kantonswechsels von Vellerat den eidgenössischen Räten und anschliessend Volk und Ständen zur Zustimmung zu unterbreiten. Mit Schreiben vom S.Juli 1995 ersucht der Regierungsrat des Kantons Bern den Bundesrat darum, das notwendige Verfahren einzuleiten.

Verschiedentlich wird geltend gemacht, der Kantonswechsel der kleinen Gemeinde Vellerat rechtfertige keine eidgenössische Abstimmung. Diese Haltung lässt sich aus unserer Sicht weder rechtlich noch politisch vertreten. So spricht das Gebot der Rechtssicherheit, d. h. der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit, der Verfassungspraxis dagegen, in einem konkreten Einzelfall von der bisher vertretenen Rechtsauffassung abzuweichen. Entsprechend gehen auch die beiden betroffenen Kantone von der Notwendigkeit der Zustimmung von Volk und Ständen zum Kantonswech-

" Dieter Pfirter, Bundesrechtliche Vorschriften für einen Kantonswechsel einzelner Gemeinden, ZSR 1989 I S. 558.

Auch Pfirter räumt ein, dass es kaum objektive Kriterien geben kann (a. a. O. S. 550).

Luzius Wildhaber, Ederswiler und Vellerat - zur Gebietsveränderung im Bundesstaat, in Festschrift für Hans Huber, Bern 1981, S. 349.

4 > Vgl. auch Pfirter S. 551 und 558 sowie Wildhaber a. a. O.

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sel von Vellerat aus ". Das langjährige Ringen um eine Lösung für das Anliegen der Gemeinde Vellerat widerspiegelt sodann überaus deutlich den politischen Charakter dieser Gebietsabtretung. Es handelt sich dabei klarerweise nicht um eine blosse Grenzbereinigung ohne politische Bedeutung.

Eine andere Frage ist es, ob durch eine Änderung der Bundesverfassung das Verfahren für Gebietsänderungen ausdrücklich geregelt werden soll und ob dabei - im Sinne einer Neuerung -. für das eidgenössische Zustimmungsverfahren generell gewisse Vereinfachungen vorzusehen sind (vgl. Ziff. 26).

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Inkrafttreten des Verfassungsbeschlusses

Der Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat bedingt formell keine Änderung der Bundesverfassung. Die Zustimmung des Verfassungsgebers erfolgt deshalb in der Form eines besonderen Verfassungsbeschlusses.

Die Kantone Bern und Jura sehen vor, den Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat am I . J u l i 1996 zu vollziehen 2 '. Da dem Bundesbeschluss konstitutiver Charakter zukommt, ist sein Inkrafttreten demnach in Artikels auf den I . J u l i 1996 festzulegen.

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Verhältnis zur Totalrevision der Bundesverfassung

Die Bundesversammlung hat den Bundesrat mit einer Motion beauftragt, im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung eine ausdrückliche Bestimmung über Gebietsveränderungen vorzuschlagen 3 '. Dabei ist gemäss zwei vom Nationalrat überwiesenen Postulaten auch zu prüfen, ob sich ein Verfassungsartikel über Gebietsveränderungen auf eine Verankerung des geltenden Rechts beschränken soll oder ob gewisse Erschwerungen, beziehungsweise Erleichterungen vorzusehen sind "'.

In diesem Sinne hat der Bundesrat gleichzeitig mit dem Entwurf einer nachgeführten Bundesverfassung als punktuèlle Neuerung eine Verfassungsbestimmung über Gebietsveränderungen zur Diskussion unterbreitet5'. Danach bedürfen Änderungen im Bestand und im Gebiet der Kantone der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der betroffenen Kantone. Änderungen im Bestand der Kantone bedürfen ausserdem der Zustimmung von Volk und Ständen. Hingegen unterliegen Gebietsveränderungen zwischen den Kantonen lediglich der Genehmigung der Bundesversammlung in der Form eines allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses. Folglich würde nach diesem Neuerungsvorschlag ein Genehmigungsbeschluss der eidgenös-

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Vgl. Vortrag der Juradelegation an den Regierungsrat zuhanden des Grossen Rates betreffend das Vellerat-Gesetz, vom 18. April 1994; Message du Gouvernement [jurassien] au Parlement relatif à l'accueil de la commune de Vellerat, vom 6. Dezember 1994.

21 Schreiben vom 5. Juli 1995 des Regierungsrates des Kantons Bern und der Regierung des Kantons Jura an den Bundesrat.

31 1980 M zu 77.202 und zu 78.201 Standesinitiativen der Kantone Bern und Neuenburg betreffend Änderungen im Bestand der Kantone, Amtl. Bull. S 1980, 55 ff. und N 1980, 791 ff.

4 > 1991 P 90.949 Gebietsveränderungen (N 22.3.91, Bonny), Amtl. Bull. N 1991 754 f.; 1993 P 93.3132 Revision des Verfahrens beim Kantonswechsel von Gemeinden (N 17. 12. 93, Cross Andreas), Amtl. Bull. N 1993 2518 f.

51 Vgl. Vemehmlassungsvorlage zur Verfassungsreform vom 26. Juni 1995.

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sischen Räte über eine Gebietsveränderung nur noch dem fakultativen Referendum unterstehen.

3

Auswirkungen

Mit dem Kantonswechsel der Gemeinde Veliera! wird ein die Kantone Bern und Jura und die Bundesbehörden seit rund zwanzig Jahren- beschäftigendes Problem gelöst. Die Frage der Kantonszugehörigkeit dieser Gemeinde hat die Beziehungen zwischen den beiden Kantonen in der Vergangenheit mitbelastet. Die Regelung dieses Problems bedeutet, zusammen mit der Vereinbarung vom 25. März 1994 zwischen dem Bundesrat und den Regierungen der Kantone Bern und Jura über die Institutionalisierung des interjurassischen Dialogs und die Schaffung der interjurassischen Versammlung, eine wesentliche Verbesserung der Beziehungen zwischen diesen beiden Gliedern unseres Bundesstaates.

Der Übertritt der Gemeinde Veliera! zum Kanton Jura hat keine direkten finanziellen Auswirkungen für den Bund.

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Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Beschluss über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura wurden in Ziffer 2 einlässlich behandelt, weshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.

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Bundesbeschluss über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 16. August 1995 '>, beschliesst: Art. l Der Übertritt der bisher bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura wird genehmigt.

Art. 2 Dieser Beschluss untersteht der Abstimmung des Volkes und der Stände.

Art. 3 Er tritt am 1. Juli 1996 in Kraft.

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BB1 1995 III 1432

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Botschaft über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura vom 16.

August 1995

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37

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19.09.1995

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1432-1441

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