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79. Jahrgang.

Bern, den 29. Juni 1927.

Band L

Erscheint wöchentlich. Preis SO franken im Jahr, IO Franken im Haltjahr, susUglich Nachnahme- and PostbesteHungsgebuhr.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren zur Erhaltung der Kursäle und zur Förderung des schweizerischen Fremdenverkehrs.

(Vom 27. Juni 1927.)

Sie haben uns mit Beschluß vom 17./22. Dezember 1926 das von 131,017 gültigen Unterschriften unterstutzte Volksbegehren zur Erhaltung der Kursäle und zur Förderung des schweizerischen Fremdenverkehrs zur materiellen Berichterstattung überwiesen. Wir beehren uns, Ihnen im folgenden einen gedrungenen Überblick über die durch die Initiative aufgerollten Fragen nach ihrer Entstehung und Bedeutung zu geben, um dann kurz unsere Stellungnahme dazu zu skizzieren.

1. Wenn wir die im Titel wiedergegebene, von seinen Urhebern dem Volksbegehren verliehene Überschrift mit dessen eigentlichem Inhalt vergleichen, müssen wir sofort feststellen, daüs der Eidgenossenschaft nicht etwa neue, bisher imbesprochene Aufgaben und Kompetenzen auf dem Gebiete der Förderung des Fremdenverkehrs zugeschieden werden wollen, sondern dass es sich nur um einen begrenzten Ausschnitt aus dieser Staatsaufgabe, um ein bestimmtes ·Mittel, das von den Initianten als tauglich betrachtet wird, handelt. Die drei ersten Absätze des jetzigen Artikel 35 BV, die sich mit den verbotenen Glücksspielen beschäftigen, sollen im wesentlichen abgeändert werden im Sinne einer Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Wir glauben, uns deshalb im historischen Eückblick kurz fassen zu können. Es sind erst 11 Jahre verflossen, seitdem der Bundesrat in seiner sehr ausführlich gehaltenen Botschaft vom 27. Mai 1916 den Werdegang des Art. 85 und -- wir dürfen das wohl so ausdrücken -- die Leidensgeschichte seiner Durchführung dem Parlamente vorgelegt hat. Auch die Debatten über die Abstimmungserwahrung aus den Jahren 1920 und 1921 sowie über den Fristbeginn für die Schliessung der bestehenden Spielbanken aus den Jahren 1924 und 1925 haben das Interesse an dieser Materie stets lebendig erhalten. Wir rufen deshalb nur folgende wichtige Momente in Erinnerung: In der Volksabstimmung vom 14. Januar 1866 über eine Partialrevision der Bundesverfassung wurde der damals vorgeschlagene Artikel 59 i>, welcher Buudesblatt. 79. Jahrg. Bd. L

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dem Bunde Ge.setzgebungskompetenzen gegen den gewerbsmässigen Betrieb von Hasardspielen verleihen wollte, mit 176,788 gegen 139,062 Stimmen und von 12% gegen 9% Ständen verworfen. In den Jahren 1872 und 1874 teilte der Artikel, welcher neue Spielbanken verbot und für die bestehenden Übergangsbestimmungen traf, das Los der vorgeschlagenen Totalrevision, zuerst im Sinne der Verwerfung, dann im Sinne der Annahme. Ein zwingender Schluss.

über die Stellungnahme der Stimmberechtigten speziell diesem Artikel gegenüber kann natürlich nicht gezogen werden. Der Wortlaut des Art. 35 BV, AI. l und 2, lautete nunmehr: «Die Errichtung Von Spielbanken ist untersagt. 'Die zurzeit bestehenden Spielhäuser müssen am 31. Dezember 1877 geschlossen werden.

Allfällig seit dem Anfange des Jahres 1871 erteilte oder erneuerte Konzessionen werden als ungültig erklärt.» Während der folgenden 4 Dezennien kam es zu vielen unerquicklichen Anständen über die Auslegung des Begriffes der Spielbank. Die gefährlichsten Erscheinungen 'verschanzten sich hinter einer rechtlichen Abgrenzung von privaten «Cercles» und von Unternehmungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Auch die administrative Praxis war schwankend. Der Bundesrat versuchte, in einem Beschluss vom 12. September 1913 den Interessen der Kursäle und des Fremdenverkehrs überhaupt durch ^Reglementierung des einzig noch erlaubten Boulespieles entgegenzukommen und sie mit dem ethischen Imperativ des grundsätzlichen Spielbankverbots zu versöhnen. Demgegenüber machte sich, genährt durch offensichtliche Missbräuche, eine radikalere Ablehnung der Spielbanken Luft in einem Volksbegehren vom Jahre 1915, welches in Art. 35 nach dem bisherigen Satze «Die Errichtung von Spielbanken ist untersagt» neu aufnehmen wollte die Bestimmungen: «Als Spielbank ist jede Unternehmung anzusehen, welche Glücksspiele betreibt.

Die jetzt bestehenden Spielbankbetriebe sind binnen 5 Jahren nach Annahme dieser Bestimmung zu schliessen.» Die wirtschaftlichen Sorgen der Kriegs- und der Nachkriegszeit schoben diese Initiative in den Hintergrund, .raubten ihr auch die aktuelle Bedeutung..

Die Abstimmung fand deshalb erst am 21. März 1920 statt. Es lag ein Gegenvorschlag der Bundesversammlung vor des Wortlautes: «Die Errichtung und der Betrieb von Spielbanken sind untersagt.

Glücksspielunternehmüngen,
die der Unterhaltung oder gemeinnützigen.

Zwecken dienen, fallen nicht unter das Verbot, wenn sie unter den vom öffentlichen Wohl gebotenen Beschränkungen betrieben werden. Die Kantone können jedoch Glücksspielunternehmüngen auch dieser Art verbieten.» Der Gegenvorschlag wurde eklatant abgelehnt (107,230 Ja gegen 344,195 Nein; % annehmende gegen 21% verwerfende Ständestimmen). Der Initiativvorschlag wurde nach einer ersten amtlichen Feststellung mit 276,021 gegen 223,122 Stimmen durch 14 gegen 8 Stände angenommen. Bei der spätem, Erw.ahrung durch die Bundesversammlung' konnte mit Sicherheit nur noch.

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ein annehmender Mehrheitsüberscbuss von mindestens 6633 Stimmen und von mindestens %> Standesstimme festgestellt werden.

Als die Übergangsklausel von der Schliessung der bestehenden Spielbanken zur Durchführung kommen sollte, entbrannte ein lebhafter Streit über die Auslegung derselben. Mit ganz knappem Mehr behauptete sich die Anschauung des Bundesrates, dass die Toleranzfrist der 5 Jahre vom Abstimnaungsund nicht vom Erwahrungstage an zu berechnen sei. Die Schliessung hatte also am 21. März 1925 zu erfolgen. Das geschah auch so allmählich und mehr oder weniger. Der Umgehungswille äusserte sich indessen hauptsächlich in der Einführung von Spielautomaten und verschanzte sich hinter der Einrede, das es sich nicht > um Hasard-, sondern um Geschieklichkeitsspiele handle.

II. Als Niederschlag des geschichtlichen Bückblicks bleibt vor allem die Konstatierung, dass über die Frage, wie weit der Staat in der Bekämpfung dei Glücksspiele gehen solle, keineswegs eine schweizerische Auffassung besteht.

Die Ansichten halten sich schier hälftig die Wage. Wichtig ist aber die Feststellung, dass es sich nur um quantitative Unterschiede handelt. Niemand will mehr das grundsätzliche Verbot der Spielbanken aus der Bundesverfassung entfernen, auch die neueste Initiative nicht. Schon diese Begrenzung der Streitfrage dürfte zu der Erwartung berechtigen, dass der kommenden Auseinandersetzung der Stachel der Leidenschaft, wie er Grundsatzkämpfen gern eignet, fehlen und dass sie im wesentlichen auf dem Boden der ruhigen Überlegung und Abwägung der ethischen wie wirtschaftlichen Momente ausgetragen werden möge.

Welche Änderungen will das Volksbegehren gegenüber dem heutigen Eechtszustande bringen ?

Der erste Absatz des neuen Art. 35 verlangt eine Vervollständigung des bisherigen Spielbankverbots, indem ausdrücklich nicht nur die Errichtung, sondern auch der Betrieb von Spielbanken untersagt sein soll. Das war natürlich auch schon die Meinung des alten Verfassungsartikels.

Nicht herübergenommen wird aus dem alten Verfassungsartikel die Definition des A1.2, die als Spielbank jede Unternehmung bezeichnete, welche Glücksspiele betreibt. Damit will aberinicht den alten Übelständen wieder Tür und Tor geöffnet werden, wie die AI. 2--4 des neuen Artikels sofort zeigen. Es soll in Zukunft unterschieden werden zwischen erlaubten
und unerlaubten Spielunternehmungen. Der Entscheid darüber, was erlaubt und nicht erlaubt sei, soll bei den kantonalen Eegierungen liegen, aber unter 5 Einschränkungen.

Als erlaubte kommen nur in Frage diejenigen Unterhaltungsspiele, welche noch bis zum Frühjahr 1925 in den Kursälen üblich gewesen waren. Der Bundesrat hat es als seine Aufgabe betrachtet, womöglich schon vor der Abstimmung jede Unklarheit darüber auszuscheiden, was im genannten Zeitpunkte noch üblich war. Er hat deshalb sowohl die Eegierungen der 6 Kantone, in denen damals überhaupt Kursäle und Kursaalspiele unterhalten wurden, zu positiven Erklärungen veranlasst als auch eine spontane Erklärung des Vorstandes schweizerischer Kursaalgesellschaften entgegengenommen. Die über-

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einstimmende Erklärung dieser Instanzen ging dahin, dass als solches bis zum Frühjahr 1925 üblich gewesenes Unterhaltungsspiel nur das sogenannte Boulespiel in Präge komme, das auch den berechtigten Interessen der Kursäle vollständig genüge und das deshalb allein auch für eine spätere kantonale Erlaubnis in Betracht falle. Ausgeschaltet sind durch diese Erklärung für die Zukunft neben einer ganzen Reihe von unbestrittenen Hasardspielen auch die seit einigen Jahren eingedrungenen Spielautomaten; sie sind von keinem Kanton auf die Liste der bis 1925 üblichen Unterhaltungsspiele genommen worden.

Eine zweite Voraussetzung für die kantonale Bewilligung zum Betriebe auch des Boulespiels ist die Peststellung der Kantonsregierung, dass eine solche Erlaubnis zur Erhaltung oder Förderung des Fremdenverkehrs als notwendig erscheine. Eine dritte geht dahin, dass das Spiel durch eine dem Fremdenverkehr dienende Kursaalunternehmung betrieben werde. Praktisch wird nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte anzunehmen sein, dass diese Voraussetzungen relativ leicht beizubringen sein werden. Immerhin mag betont werden, dass die Kantonsregierungen trotz deren Vorhandensein nach dem Schlusssatze von AI. 2 frei sind, auch das Boulespiel zu verbieten.

In vierter Linie wird auch das bewilligte Boulespiel unter bestimmte, vom öffentlichen Wohl geforderte Beschränkungen gestellt, die nicht von den Kantonen, sondern durch bundesrätliche Verordnung festgelegt werden. Eine spezielle Beschrankung, dass der Einsatz Fr. 2 nicht übersteigen dürfe, wird r-ogar verfassungsrechtlich fixiert.

Als letzte Kautel wird für jede kantonale Bewilligung eines Spielunternehmens die individuelle Genehmigung durch den Bundesrat vorbehalten.

Die Übergangsbestimmung des derzeitigen Art. 35, AI. 3, durfte, weil durch AI. l des neuen Artikels gegenstandslos geworden, weggelassen werden.

Endlich bestimmt ein letztes, neues Alinea, dass dem Bunde ein Viertel der Boheinnahmen aus dem Spielbetriebe abzuliefern sei. In der Verwendung dieser Einnahme soll er gebunden sein, indem er sie zur Gutmachung von Elementarschäden oder für gemeinnützige Fürsorgeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen hat, und zwar ohne dadurch von seinen bisherigen oder künftigen Pflichtleistungen entlastet zu werden.

III. Die Bundesversammlung hat gemäss Art. 121,
Schlussabsatz, BV, zu dem in Porm eines ausgearbeiteten Entwurfs vorgelegten, auf Partialrevision der Bundesverfassung gerichteten Volksbegehren ausdrücklich Stellung zu nehmen. Sie kann ihm ausdrücklich zustimmen und ihn in diesem Sinne zur Abstimmung unterbreiten. Stimmt sie nicht zu, so wird ihr nur die Wahl gelassen, entweder einen ausdrücklichen Verwerfungsantrag oder dann aber einen eigenen Gegenentwurf gleichzeitig mit dem Initiativbegehren zur Abstimmung vorzulegen. Die Vorlage ohne eigene Stellungnahme ist nach dem unzweideutigen Wortlaute der Verfassungsbestimmung ausgeschlossen.

Gilt das gleiche auch für den Bundesrat und seinen Bericht an die Bundesversammlung? Weder Artikel 121 BV, noch das im Art. 122 verlangte Aus-

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führungsgesetz, d. h. das Bundesgesetz über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892, sehen einen materiellen Antrag oder auch nur Bericht des Bundesrates vor. Es möchte eher daraus, dass bloss der Bericht des Bundesrates über die Abstimmungserwahrungin Art. Sleg.cit. erwähnt und vorgeschrieben ist, e contrario geschlossen werden, dass damit die Tätigkeit des Bundesrates erschöpft sei und sich daran ohne weiteres die in Art. 8 verlangte Schlussnahme des Parlamentes anschliesse. Anderseits ist aber festzustellen, dass in der Praxis sich die Erstattung eines materiellen Berichtes über den Inhalt des Volksbegehrens eingebürgert hat. Unter allen Umständen hat die Bundesversammlung ja gemäsfc Art. 102, Ziff. 16, AI. 2, BV das Eecht, vom Bundesrate besondere Berichte einzufordern. Und sie hat im Jahre 1894 ein Postulat Forrer angenommen, wonach ein solcher Bericht mit Antrag ein für allemal bei gültigen Volksbegehren vom Bundesrate erwartet werde. Wir möchten auch nicht verhehlen, dass wir es für den Bundesrat im allgemeinen als geradezu wünschenswert erachten, dass er sich mit positiven Vorschlägen über die Behandlung einer Initiative aussprechen könne, da er ja später als Exekutivbehörde mit der eventuellen Durchführung zu tun hat. Er hat also z. B. ein ausgesprochenes Interesse daran, dass nicht durch eine unglücklich formulierte Fassung des Volksbegehrens unerträgliche Zustände, Widersprüche geschaffen werden, die vielleicht durch einen sogar den Initianten plausiblen Gegenvorschlag leicht vermieden werden könnten. Wenn trotzdem im heute vorliegenden Falle das erste Gefühl des Bundesrates dahin ging, er dürfte sich diesmal wirklich auf ein Eésumé der historischen Entwicklung und einen Hinweis auf seinen Bericht vom 27. Mai 1916 beschränken, -- wie er das z. B. bei der Initiative über die Wählbarkeit der Bundesbeamten Anno 1922 getan hat, -- so lag der Grund nicht in der Scheu vor einer Verantwortlichkeit, sondern tatsächlich darin, dass er eigentlich im grossen ganzen seine Überlegungen vom Jahre 1916 wiederholen müsste. Und bekanntlich ist seine Empfehlung, das damalige Initiativbegehren ohne Gegenvorschlag abzulehnen, weder von der Bundesversammlung, noch vom Volke, noch von den Ständen befolgt worden ! Heute ist die Lage insofern
verzwickter, als die neue Initiative in gewissen Punkten der frühem Auffassung des Bundesrates entgegenkommt, in andern von ihr abweicht, so dass dieser also weder mit der Initiative, noch mit dem heutigen Verfassunggzustande recht harmoniert. Die logische Konsequenz wäre die Empfehlung eines Gegenvorschlages. Vor diesem haben wir nach verschiedenartigen Erfahrungen eine gewisse Scheu. Der Gegenvorschlag schafft häufig mehr Verwirrung als Abklärung und trägt so ungewollt zu einer Negationslust bei, welche zu fördern wir wahrhaftig keine Veranlassung haben. Prüfen wir also, ob wir unter gewissen Voraussetzungen uns den praktisch gefährlichen Gegenvorschlag, der uns doch keinen positiven Entscheid des Schweizervolkes verspricht, ersparen können!

IV. Das «Schweizerische Komitee gegen die Spielbanken» spricht sich in einer Eingabe an den Bundesrat vom 25. März 1927 gegen die neue Initiative

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aus. Es bemängelt sie als ungehörig, weil sie eingebracht worden sei, bevor überhaupt der neue Verfassungsartikel recht angewendet worden sei und auf seine Wirkungen beurteilt werden könne. Namentlich sei nicht erwiesen, dass die Kursäle und die von ihnen unterstützten Zwecke ohne die Spieleinnahmen wirklich nicht bestehen könnten. Die Fremdenindustrie sei in der Hauptsache von ganz andern ausschlaggebenden Paktoren: Wetter, Mode, geschäftlicher Konjunktur und der Organisation des schweizerischen Gastgewerbes selbst abhängig. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die staatlich geduldeten -- und damit gebilligten -- Glücksspielunternehmungen, die nicht auf eine Stufe zu stellen seien mit dem der Polizeigewalt entrückten privaten 'Unterhaltungsspiel, werden wiederholt. Es klaffe ein Widerspruch zwischen der Unklagbarkeit des Anspruchs aus Spiel und der staatlichen Bewilligung eines Spielunternehmens. Unsere Bevölkerung, namentlich die jugendliche, werde durch die Versuchung des Glücksspiels gefährdet ; eine Ausdehnung auf andere als die bisherigen Kuretablissemente sei leicht gedenkbar. Es sei unklar, wer nach dem Volksbegehren die Verantwortlichkeit für die Zulassung von Spielunternehmungen trage, die Bundes- oder die kantonale Behörde; die Durchführung sei nicht gesichert. Die Zuwendung des Viertels der Eoheinnahmen aus dem Spielbetrieb wird abgelehnt ; das Schweizervolk werde sich bedanken, Kommanditär eines privaten Spielbetriebes zu werden.

Demgegenüber machen die Initianten geltend, es handle sich vielerorts um eine Existenzfrage für die Fremdenindustrie. Vor allem wird Gewicht darauf gelegt, dass die ethisch unanfechtbaren, oft edeln Genüsse, welche dem Fremden z. B. durch die Garten- und Parkanlagen, durch die Promenadenwege, durch die Kurmusik, durch Sporteinrichtungen, durch Verkehrsverbesserungen usw. geboten werden, bald ganz eingehen, bald auf ein solches Minimum reduziert werden müssten. dass die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Kurorte gegenüber ausländischen in Frage gestellt werde. Auch gemeinnützige Unternehmungen im weitern Sinne, wie z. B. Spitäler, die aus den Spieleinnahmen ansehnliche und unentbehrliche Speisung erhalten hätten, müssten unter dem absoluten Verbote leiden. Die Initiative sei auch deshalb so rasch eingebracht worden, weil man nicht erst ein Etablissement
zugrunde gehen lassen wolle, um dann nachher zu versuchen, ob man e.s aus den Trümmern wieder erstehen lassen könne. Mit dem Spielverbot könne man den einmal im Menschen und namentlich im Vergnugungsmenschen der Kurorte vorhandenen Spielbetrieb nicht unterdrücken; man verbanne ihn nur in die Winkel und geschlossenen Säle, wo er der Überwachung entzogen sei und viel verderblichere Wirkungen ausüben könne. Man verlange nicht die Abschaffung des Spielbankverbotes, sondern nur eine Ausnahme, die den Bedürfnissen des praktischen Lebens gerecht werde und unter Beschränkungen gestellt werde, welche speziell eine Gefährdung der einheimischen Bevölkerung ausschlössen. Gegen Missbrauch seien eine ganze Eeihe von Garantien aufgestellt. Wenn durch den letzten Absatz des Initiativbegehrens der Unterhaltungstrieb der fremden Gäste einem gemeinnützigen eidgenössischen Ziele tributpflichtig gemacht werde, so sei

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das nichts anderes als was z. B. auch in der Gestattung gemeinnütziger Lotterien zum Ausdruck komme.

V. Wenn der Bundesrat die Überzeugung hätte, dass die so rasch einsetzende Initiative auf Wiederabschaffung einer kaum zur Durchführung gelangten Verfassungsänderung eine Zwängerei, verbunden mit Umgehung, bedeute, so wäre er der erste, welcher schlankweg Ablehnung beantragen würde. Er glaubt, durch seine bisherige Haltung in dieser Frage gezeigt zu haben, dass nicht nur er selbst den gegen seine Empfehlung ausgefallenen Volksentscheid vom 21. März 1920 respektiert, sondern auch, soweit ihm das seine staatsrechtlichen Kompetenzen gestatten, die Inspektierung auf der ganzen Linie verlangt. Das verpflichtet ihn aber auf der andern Seite, einer offenen Eevisionsbestrebung nicht von vornherein Schwierigkeiten in den Weg zu legen, wenn diese eine praktische Lösung anstrebt, welche eine einzige, leicht kontrollierbare Ausnahme vom grundsätzlichen Glücksspielverbot vorsieht. In allen derartigen ethischen Fragen -- ob es sich um die Bekämpfung des Alkoholisnms, des Glücksspiels.

der Kinosucht, der Festseuche, von Kleidersünden, literarischer Dekadenz, sexueller Anreizungen usw. handle -- wird der Gesetzgeber bald vor die Wahl zwischen vollständiger Freiheit und vollständiger Prohibition, bald vor die Wahl zwischen der völligen Prohibition einerseits, blosser Beschneidung der schädlichsten Exzesse anderseits gestellt. Eine einheitliche Formel für den richtigen Entscheid in allen solchen Fragen wird es kaum je geben. In den Völkern selbst sind Wellenbewegungen zu konstatieren. Wesentlich ist vor allem auch, ob es sich um tiefeingefressene Übel oder mehr nur die Oberfläche berührende Erscheinungen handelt. Der Staat muss sich um so sorgfältiger überlegen, ob und wie weit er mit Bechtsgeboteu und -verboten einschreiten soll, als die zu verfolgenden «Laster» sich häufig nur als Übertreibungen an sich natürlicher erlaubter menschlicher Triebe präsentieren, welche gerade wegen der Übertreibung auch der Ausbeutung ausgesetzt sind und so zum Krebsschaden für die Gesellschaft werden können. Konkret gesprochen stellt sich die Frage heute so, ob in der Eidgenossenschaft der Unterhaltungs- und Spieltrieb die Tendenz zeige, sich zum Laster auszuwachsen, an Stelle der ehrlichen Arbeit den mühelosen Gewinn treten zu
lassen, so dass es notwendig erscheine, auch den kleinen Finger abzuhacken, der sich dem Dämon Spiel entgegenstrecken will. Wir glauben diese Frage verneinen zu dürfen. Was das Schweizervolk mit seiner Abstimmung vom 21. März 1920 verurteilt hat und was auch wir aufs schärfste verurteilen, das waren nicht die landläufigen, reglementierten Kurs aalspiele, sondern die eingeschlichenen Missbräuche. Was not tut, ist eine scharfe Eingrenzung des als Ausnahme erlaubten Spielunternehmens.

Das gestattet auch, den Begriff des Spielunternehmens selbst weitumfassend zu interpretieren; es soll also z. B. nicht hineingedeutelt werden können, dass ein Spielautomat kein Spieluntemehmen und deshalb auch keine unter Art. 35 fallende Spielbank sei.

Freilich könnte man der Initiative den Vorwurf machen, dass sie gerade in dieser Hinsicht eher eine Unklarheit schaffe. Sie unterdrückt den bisherigen

860 zweiten Absatz von Art. 85 mit seiner Definition der Spielbank. Wir haben bereits ausgeführt, dass wir darin nicht eine Abschwächung des Grundsatzes erblicken. Die Spielunternehmung, die nicht ausdrücklich bewilligt wird, ist verboten. Um jede Zweideutigkeit auszuschliessen, geben wir diese unsere Auslegung in der Botschaft wieder und haben sie uns von den interessierten Kantonsregierungen bestätigen lassen. Es ist so Gelegenheit geboten, in der parlamentarischen Beratung Einsprache dagegen zu erheben. Geschieht das nicht, so dürfte diesmal nicht, wie bei der Auslegung des jetzigen Art. 35, AI. 3, nach Jahr und Tag die vom Bundesratstische aus vertretene Interpretation in guten Treuen angefochten werden. Dort wurde die Auslegungserklärung in letzter Stunde in der Diskussion provoziert; es konnte nicht jedem Mitglieds zugemutet werden, der mündlichen Diskussion in allen Details zu folgen und sofort durch eine Gegenerklärung Stellung zu nehmen. Hier darf dagegen verlangt werden, dass der bundesräthche Bericht, der den Finger auf diese Frage legt, sowohl in den Kommissionen als im Plenum eine unbestrittene Situation schaffe. Unter dieser Bedingung kann der Bundesrat dem Parlament die Initiative zur Befürwortung empfehlen. Ergibt sich Unklarheit über die Bedeutung des Spielbankverbotes einerseits, der Ausnahmen anderseits, so kann nur durch einen Gegenvorschlag abgeholfen werden.

"VI. Dass wir -- unter diesem Vorbehalt -- das Volksbegehren empfehlen, beruht in erster Linie darauf, dass wir den wirtschaftlichen Klagen der meisten Kuretablissements, hinter welchen auch ihre Kantonsregierungen stehen, die Berechtigung nicht bestreiten können. Zugegeben, dass die Bendite der Kursaalspiele nicht der einzige Gedeihensfaktor für die Fremdenorte ist und dass vielleicht nicht überall mit der nötigen Energie ein Ersatz gesucht wurde: Tatsache ist doch, dass z. B. eine gute Kurmusik, dass wohlerhaltene Parkanlagen und Spazierwege mancherorts an diese Spieleinnahmen gebunden sind.

Das sind Aufgaben, die unsern Schutz verdienen und doch nicht der Allgemeinheit überbunden werden können. Wir haben sodann -- entgegen der Ansicht des «Schweizerischen Komitees gegen die Spielbanken» -- die Ansicht, dass, immer unter dem im letzten Abschnitt gemachten Vorbehalt, die neue Fassung die Handhabung des verfassungsmässigen
Verbotes den Bundes- und kantonalen Behörden erleichtere und nicht erschwere. Sie erlaubt den beidseitigen Behörden, von Anfang an vertrauensvoll in gleicher Bichtung zusammenzuarbeiten ; das ist nach unsern Erfahrungen eine Hauptbedingung für erfolgreiche Arbeit. -- Ist das richtig und beschränkt sich das Kursaalspiel auf das durch Eeglement eingegrenzte Boulespiel, so glauben wir eine Gefährde für unsere Bevölkerung --· wenn anders man den Begriff der Gefährdung nicht totreiten will -- verneinen zu müssen. Eine Gefährdung ist praktisch auch für den Kurfremden nicht vorhanden, der schliesslich doch mit der Absicht zu uns kommt, dem sogenannten Vergnügen in der einen oder andern Form einen gewissen Teil des Eeisebudgets zur Verfügung zu stellen. -- Die theoretischen Erörterungen über die Unklagbarkeit eines Anspruchs aus Spiel werden hier gegenstandslos, wo es sich um einen in bar zu leistenden Einsatz und eine in der

861 gleichen Minute zu liquidierende Gewinnauszahlung -- alles in geringen und geringsten Beträgen -- handelt.

Was den Schlusssatz der neuen Initiative anbelangt mit der Gewinnbeteiligung des Bundes, so ist jedenfalls nicht in Abrede zu stellen, dass die Zweckbestimmung eine gute ist. Die Verbindung mit der Initiative ist eine Geschmackssache, über die der Bundesrat nicht streiten will. Er hatte es jedenfalls ebenso gern gesehen, wenn die Verwendung der gesamten Spieleinnahmen zu Verkehrs- oder gemeinnutzigen Zwecken unter Aufsicht der Kantonsregierungen sichergestellt worden wäre. Das AI. 5 erheischt unter allen Umstanden bundesrechtliche Ausfuhrungsbestimmungen.

| Wir beantragen Ihnen, aus den dargelegten Gründen und unter nochmaliger Verweisung auf unsern Bericht vom 27. Mai 1916, Sie mochten das Initiativbegehren mit dem Antrag auf Annahme der Abstimmung des Volkes und der · Stände unterbreiten.

Genehmigen Sie, Tit., die Veisicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 27. Juni 1927.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der

Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren zur Erhaltung der Kursäle und zur Förderung des schweizerischen Fremdenverkehrs. (Vom 27. Juni 1927.)

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1927

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26

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2230

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29.06.1927

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853-861

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10 030 079

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