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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Entwurf eines internationalen Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit in Bäckereien.

(Vom 20. Mai 1927).

(Nachtrag zur Botschaft vom 7. Juni 1926 über die siebente Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz).

Mit Botschaft vom 7. Juni 1926 *) gaben wir Ihnen Kenntnis von dem ·durch die siebente Internationale Arbeitskonferenz im Jahre 1925 angenommenen E n t w u r f eines Übereinkommens über die N a c h t a r b e i t in Bäckereien und stellten Ihnen einen eingehenden Bericht in einem spätem Zeitpunkte in Aussicht. Wir haben die Ehre, Ihnen hiermit diesen Bericht vorzulegen.

I.

Die Nachtarbeit in den Bäckereien ist eine Folge des zunehmenden Genusses von frischem weissem Gebäck, namentlich Kleingebäck. Um der Nachfrage nach solchem Gebäck schon am Morgen früh genügen zu können, griffen die Bäcker zur Nachtarbeit. Wo diese Nachfrage am grössten ist, wie in den Städten und Fremdenorten, ist auch die Nachtarbeit am meisten verbreitet.

Auf dem Lande und in den hauptsächlich Eoggenbrot erzeugenden Staaten spielt sie eine unbedeutende Bolle.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine starke Bewegung ein, die Nachtarbeit in den Bäckereien aus hygienischen, sozialen und moralischen Gründen zu verbieten oder einzuschränken. Das erste europäische Land, welches sie gesetzlich untersagte, war Norwegen; dort besteht ein Verbot seit 1885, das durch Gesetze von 1906 und 1918 erneuert und erweitert wurde.

Es folgten mit gesetzlichen Erlassen : der Kanton Tessin 1906, Italien und Finnland 1908, Dänemark und Griechenland 1912.

*) Siehe Bundesbl. 1926, I, S. 795.

Bundesblatt. 79. Jahrgt Bd. I.

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622 Während des Krieges wurde in kriegführenden und neutralen Staaten zum Zwecke der Einschränkung des Getreideverbrauches der Verkauf von frischem Brot untersagt; dies führte ohne weiteres zur Aufhebung der Nachtarbeit in den Bäckereien. Dieser Zustand wurde in vielen Staaten nach dein Kriege beibehalten und durch gesetzliche Erlasse verankert; so 1918 in Deutschland und Uruguay, 1919 in Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, Spanien und der Tschechoslowakei, 1921 in Belgien, 192S in Ungarn, 1924 in Chili, 1925 in Lettland und 1926 in Argentinien.

Durch Beschhiss des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes vom 23. April 1923 wurde die Frage der Nachtarbeit in den Bäckereien auf die Tagesordnung der sechsten Tagung der Arbeitskonferenz von 1924 gesetzt, die sodann in erster Lesung den Entwurf eines Übereinkommens annahm.

Im folgenden Jahre wurde dieser Entwurf an der siebenten Konferenztagung einer zweiten Lesung unterzogen. Das Ergebnis war die endgültige Annahme des eingangs erwähnten und in der Beilage -wiedergegebenen Übereinkommensentwurfes.

Der Entwurf verbietet die Herstellung von Brot, Peinbackwerk oder ähnlichen, aus Mehl bereiteten Erzeugnissen zur Nachtzeit. Das Verbot ergtreckt sich auf die Arbeit sämtlicher Personen, Betriebsinhaber wie Arbeiter, die an der Herstellung der genannten Erzeugnisse beteiligt sind. Unter «Nacht» ist dabei ein Zeitraum von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden zu verstehen, der die Zeit von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens oder -- wenn Klima oder Jahreszeit es rechtfertigen, oder wenn die beteiligten Arbeitgeberund Arbeitnehrnerverbände sich darüber einigen -- die Zeit von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens einschliesst. Vorbehalten sind die dauernden oder vorübergehenden Ausnahmen, die durch die Gesetzgebung der einzelnen Staaten zugelassen werden können für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten, zur Sicherung der wöchentlichen Euhezeit und um aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit oder Erfordernissen des Gemeinwohls Rechnung zu tragen. Ausnahmen sind ferner zulässig, wenn höhere Gewalt vorliegt, wenn ein Unglücksfall eingetreten ist oder droht, sowie wenn dringliche Arbeiten an Maschinen oder Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind.

Wie soeben ausgeführt, erstreckt sich nach dem Übereinkommen das Verbot der Nachtarbeit
nicht nur auf die Arbeiter, sondern auch auf die Betriebsinhaber. Die Konferenz ging nämlich von der Ansicht aus, das Übereinkommen werde an Wirksamkeit verlieren, wenn die Betriebsinhaber von «einem Geltungsbereich ausgenommen würden. Die Einbeziehung der Betriebsinhaber rief den Widerstand der Arbeitgeberschaft hervor, die der Internationalen Arbeitskonferenz das Piecht bestritt, die internationale Eegelung der Arbeitsverhältnisse auch auf die Arbeit der Betriebsinhaber aaszudehnen. Auf Verlangen der Arbeitgebervertreter beschloss der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, den Völkerbundsrat zu ersuchen, die Frage dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten. Mit Beschluss vom 17. März

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1926 entsprach der Volkerbundr-rat diesem Begehren und überwies dem Ständigen Internationalen Gerichtshof folgende Frage zur Begutachtung: «Ist die Internationale Arbeitsorganisation befugt, bei der Regelung von Arbeitsverhältnisgen die persönliche Arbeit der Betriebsinhaber einzuschliessen, wenn dies zum Schutze der Lohnarbeiter notwendig ist?» Mit Entscheid vom 23. Juli 1926 beiahte der Internationale Gerichtshof die ihm unterbreitete Frage grundsätzlich. Damit können die gegen das Übereinkommen über die Nachtarbeit in den Bäckereien erhobenen Einwände als hinfällig betrachtet werden.

II.

Auch in unserem Lande setzte die Bewegung gegen die Nachtarbeit in den Bäckereien zu Antaug dieses Jahrhunderts kräftig ein.

Das eidgenössische Fabrikgesetz von 1877 hatte die Nachtarbeit grundsätzlich verboten, aber Ausnahmen für die Fabrikationszweige, die ihrer Naiur nach einen ununterbrochenen Betrieb erfordern, gestattet. Mit Betchru«s vom Januar 1898 entschied sich der Bundesrat für die Anwendung dieser Ausnahme auf die dem Fabrikgesetz unterstellten Bäckereien.

Wie bereits erwähnt, wurde im Jahre 1906 im Tessin die Nachtarbeit in den Backereien durch ein kantonales Gesetz verboten. Da es sich nur auf die Arbeiter, nicht aber auf die Meister bezog und hieraus Unzukömmlichkeiten erwuchsen, so wurde es bereits im Jahre 1908 durch ein neue? Gesetz ersetzt.

Nach demselben ist jede Nachtarbeit in den Bäckereien und Konditoreien, Inbegriffen diejenige des Meister», verboten. Als Nacht im Sinne des Gesetze^ gilt vom 1. Oktober bis 31. März die Zeit von 9 Uhr abend? bis 4 Uhr morgens und vom l. April bis 30. September die Zeit von 9 Uhr abends bin 3 Uhr morgens.

In Bäckereien, in denen der Inhaber allein arbeitet, darf mit der Arbeit zwei Stunden früher begonnen werden. Der Staatsrat kann fm gewisse Falle, wie für Fest- und Feiertage, für die Kurorte wahivnd der Saison, Ausnahmen gewähren.

Da die dem eidgenössischen Fabrikgesetz unterstellten Betriebe vom kantonalen Gesetz nicht betroffen wurden und ihnen Nachtarbeit auf besondere Bewilligung hin gestattet werden konnte, so ergab sich daraus der Zustand, dass nur die Kleinbäckereien, nicht aber die Grossbetriebe dem Verbot unterworfen waren. Diese ungleiche Behandlung erregte Anstoss und erschwerte die Anwendung des kantonalen Gesetzes. Der Staatsrat des
Kantons Tessin stellte daher beim Bunde das Begehren, den Grossbackereien seines Kantons die Nachtarbeit während der für andere Bäckereien verbotenen Zeit nicht zu bewilligen, hatte aber damit keinen Erfolg, da erhebliche Bedenken gegen eine nach Kantonen abgegrenzte ungleiche Anwendung des Fabrikgesetzes sprachen.

Da aber die aus dem Nebeneinanderbestehen von kantonalen und eidgenössischen Vorschriften sich ergebenden Mängel weiter bestunden, kam der Staatsrat wiederholt auf die Frage zurück und setzte sich für eine einheitliche Regelung ein.

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Die Vorgänge im Tessin und im Ausland waren auch für die übrigen Teile unseres Landes der Ausgangspunkt von Kämpfen für und gegen die Nachtarbeit im Bäckergewerbe, Kämpfe, die in die Eevision des eidgenössischen Fabrikgesetzes hineinspielten. Den Bestrebungen, im neuen Fabrikgesetz die Nachtarbeit für die ihm unterstellten Bäckereien zu verbieten, trat das Gewerbe mit der Drohung entgegen, in diesem Falle das neue Gesetz zu bekämpfen.

Dies führte dazu, dass sehliesslich davon Umgang genommen wurde, für die Bäckereien besondere Vorschriften aufzustellen ; es galten für sie die allgemeinen Bestimmungen der Art. 51 ff. des neuen Fabrikgesetzes, wonach Nachtarbeit nur auf besondere Bewilligung hin gestattet ist.

Auch bei uns brachte der Krieg den Gegnern der Nachtarbeit die Erfüllung ihrer Wünsche. Das durch die Brotrationierung notwendig gewordene Verbot des Verkaufes frischen Brotes machte die Nachtarbeit überflüssig. So wurde die Arbeit in den Bäckereien durch Bundesratsbeschluss vom 2. Februar 1917 von 11 Uhr abends bis 7 Uhr morgens untersagt. Dieser Beschluss wurde aufgehoben und ersetzt durch denjenigen vom 18. Juni 1917, der das Arbeitsverbot auf den Zeitraum von 7 Uhr abends bis 4 Uhr morgens verlegte. Letzterer Beschluss wurde wegen seines Charakters als Notverordnung nach Kriegsende auf den 1. Juli 1919 wieder aufgehoben. Andere bundesrechtliche Bestimmungen sind seither nicht an seine Stelle getreten.

Die auf die Kriegsmassnahrnen zurückzuführende, vorübergehende Abschaffung der Nachtarbeit löste eine starke Bewegung zugunsten eines endgültigen Verbotes aus, die in zahlreichen Versammlungen und Eingaben an die Bundesbehörden zum Ausdruck kam. Da sich die Bäckermeister gegenüber einer gesetzlichen Begelung ablehnend verhielten, suchte das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement zu vermitteln. In den Jahren 1918 und 1919 fanden drei solche Vermittlungsversuche statt, wobei ausser der Nachtarbeit auch die Arbeitszeit im allgemeinen zur Diskussion stand. Bei den beiden ersten Vermittlungen ging der Vorschlag auf ein Verbot der Nachtarbeit von 8 Uhr abends bis 4 Uhr und für Saisonorte bis 3 Uhr morgens. Von der Arbeiterschaft wurden diese Vorschläge angenommen, von den Meistern aber abgelehnt.

Nachdem der Schweizerische Bäcker- und Konditorenverband, der Berufsverband der Bäckermeister,
an seiner Tagung vom Juni 1918 in Aarau seinen bisherigen Widerstand gegen die Abschaffung der Nachtarbeit aufgegeben hatte, bestand die Hoffnung, doch noch zu einer Einigung zu gelangen. Auf Ansuchen des Verbandes der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz fand daher im September 1919 der dritte Vermittlungsversuch statt. Die Vertreter der beiden Verbände stimmten unter Vorbehalt der Ratifikation durch ihre Verbände einer Lösung zu, welche die Nachtarbeit einheitlich für alle Betriebe von 8 Uhr abends bis 4 Uhr morgens verbot und die Arbeitszeit in Städten auf 54 Stunden, an den übrigen Orten anf 60 Stunden in der Woche festsetzte, vorbehaltlich die kürzere Arbeitszeit für die dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe.

625 Der Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter nahm den Vorschlag an, die ausserordentliche Delegiertenversammlung des Schweizerischen Bäcker- und Konditorenverbandes vom 8. Oktober 1919 dagegen verwarf ihn, beschloss aber, die Sonntagsarbeit im Backergewerbe abzuschaffen und die Arbeit in den Monaten Juli bis September frühestens um 3 Uhr und in der übrigen Zeit um 4 Uhr morgens zu beginnen, wobei in Kantonen mit Fremdenindustrie Sondervereinbarungen zwischen den Kantonalverbänden der Meister und Arbeiter vorbehalten bleiben sollten.

Unterdessen hatte sich ein neuer Verband, der Schweizerische Bäckerund Konditorengehilfenverband, gegründet, bestehend aus Bäckergehilfen, die dem Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter nicht angehörten. Mit jenem neuen Verband schloss der Schweizerische Bäcker- und Konditorenverband einen Gesamtarbeitsvertrag auf der Grundlage der Beschlüsse seiner Delegiertenversammlung vom 8. Oktober 1919 ab. Die beiden Verbände stellten sodann mit Eingabe vom 10. November 1919 das Gesuch an den Bundesrat, den zwischen ihnen abgeschlossenen Arbeitsvertrag als Normalarbeitsvertrag im Sinne des Art. 324 OR zu erklären. Der Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter, der bei Abschluss des Gesamt arbeitsvertrages von den beiden andern Berufsverbänden nicht begrüsst worden war, widersetzte sich dem gestellten Gesuch, insbesondere mit Rücksicht auf die ihn nicht befriedigende Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit. "Da der Bäcker- und Konditorengehilfenverband als der zahlenmässig schwächere zu betrachten war und es nicht anging, Abmachungen einer Minderheit zu Normalien zu stempeln, so konnte dem Gesuche keine weitere Polgf gegeben werden.

Die Gesuchsteller selber hatten -- es verdient dies hervorgehoben zu werden -- den Erlass von Normalien uur als provisorische Lösung betrachtet und eine nachfolgende gesetzliche Regelung als notwendig erachtet. Es hiess wörtlich im Gesuch: «Die beiden Organisationen waren sich bewusst, class die Durchführung der neuen Grundsätze auf Schwierigkeiten stossen werde, weil es überall Leute gibt, die sich um vertragliche Abmachungen nicht kümmern.

Von dem Bestreben geleitet, die getroffene Vereinbarung zur Grundlage aller Anstellungsverträge im schweizerischen Bäckergewerbe zu machen, stellen die
unterzeichneten Verbände das höfliche Gesuch an Sie, die im beiliegenden Arbeitsvertrag niedergelegten Grundsätze möglichst bald zu gesetzlichen, allgemein verbindlichen Vorschriften zu erheben. Denn nur dann, wenn die Einschränkungen auch für die Grossbäckerei, die Hotel-, Restaurant-, Kaffeestubenbäckereien Gültigkeit bekommt, erreichen sie den Wert, den ihnen die Kontrahenten geben möchten.

Bis die gewünschte gesetzliche Regelung möglich ist, wünschen die unterzeichneten Verbände den beiliegenden Arbeitsvertrag als Normal-

G26 arbeitsvertrag im Sinne T,on Art. 324 OR. Wir stellen daher das höfliche Gesuch an Sie, den beiliegenden Arbeitsvertrag, der vom 7. September 1919 datiert, baldmöglichst als Normalarbeitsvertrag fur das schweizerische Bäckergewerbe zu erklären.» In der Folge wurde die Frage dei Nachtarbeit vor die Bundesversammlung gebracht durch die Motion Viret. die am 3. März 1920 vom Nationalrat in folgender Fassung angenommen wurde: «Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und zu berichten, ob nicht ein Gesetzesentwurf vorzubereiten und der Bundesversammlung in kürzester Frist einzureichen sei, in dem das Verbot der Nachtarbeit in den Bäckereien vorgesehen wird.» Nachdem ein neuer Verständigmigsversuch vom April 1921 abermals am Widerstand ides Schweizerischen Bäcker- und Konditorenverbandes gescheitert war, wurde das Problem unter dem Einfluss der einsetzenden Wirtscliaftskrisis vorläufig nicht weiter verfolgt.

Der Schweizerische Bäcker- und Konditorenverband und der Schweizerische Backer- und Konditorengehilfenverband hatten nicht die Kraft, ihre im Jahre 1919 getroffenen Abmachungen über die Nachtarbeit durchzusetzen. Eine ruckläufige Bewegung, in der Hauptsache durch das schlechte Beispiel einiger Backermeister verursacht, setzte ein. Die beiden Verbände schlössen daher im Juli 1922 einen neuen Vertrag ab, der den Arbeitsbeginn um 3 Uhr, an Samstagen und an Tagen vor Feiertagen um 2 Uhr morgens \orsieht. Die Klagen mehren sich, dass auch diese Regelung öfters aus Mangel an Disziplin und Solidarität durchbrochen werde.

III.

Eine neue Wendung und Bedeutung bekam die Frage dadurch, dass sie auf die Tagesordnung der Internationalen Arbeitskonferenzen von 1924 und 1925 gesetzt wurde.

Es war von Anfang an das Bestreben des eidgenossischen Arbeitsamtes, auf diese Konferenzen hin eine nationale Verständigung herbeizuführen, aus der Erwägung heraus, dass die Schweiz nur dann einen Einfluss auf-die Genfer Verhandlungen gewinnen könnte, wenn imo gesamte Delegation (Regierungs-, Arbeitgeber- und Arbeitervertreter) einig sei. Es berief daher vor der Beantwortung des Fragebogens des Internationalen Arbeitsamtes auf den 22. November 1923 eine Konferenz der interessierten Verbände ein. Eine Einigung konnte weder an dieser Konferenz noch nachher erzielt werden. Die befragten Verbände nahmen folgende Stellung ein: 1. Der Schweizerische Backer- und K o n d i t o r e n v e r b a n d (der Verband der Bäckermeister) lehnte -- im vollständigen Gegensatz zu seiner Haltung drei Jahre vorher -- jede gesetzliche Regelung ab mit der Begründung, dass er in dieser Frage auf dem Boden der freien Vereinbarung zwischen Arbeit-

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geber und Arbeiter stehe. Ein Arbeitsbeginn nach 3 Uhr morgens hindere die Herstellung eines schmackhaften Brotes und die rechtzeitige Lieferung der von der Kund-chaft verlangten frischen Ware; insbesondere gestatte er den Bäckereien mit elektrischen Backöfen nicht mehr die Ausnützung des billigen Nachtstromes. Sollte dennoch eine gesetzliche Regelung in Aussicht genommen werden, so müsse sie für alle Betriebe, grosse wie kleine, und für Hotels gelten. Für Saisonkurorte seien besondere Ausnahmen vorzusehen.

2. Der Schweizerische K o n d i t o r e n v e r b a n d erklärte, dass in den Konditoreien die Nachtarbeit unbekannt sei; dennoch sei er gegen ein Verbot, einerseits, weil er sich auf den Boden der Bäckermeister stelle und, anderseits, weil bei gewissen Anlässen und hohen Festtagen in ihren Betrieben Überzeitarbeit, auch während der Nacht, notwendig sei. Für den Fall einer gesetzlichen Eegelung sei auf diese Fälle Eucksicht zu nehmen, und zwar im Sinne der Zulassung von Ausnahmen ohne besondere Bewilligung.

3. Der V e r b a n d schweizerischer K o n s u m v e r e i n e war mit dem Verbot der Nachtarbeit von 8 Uhr abends bis 4 Uhr morgens einverstanden.

Das Verbot habe sich auf alle Betriebe der Bäckerei- und Konditoreibranche zu erstrecken, sowie auf alle Arbeiten, die zur Herstellung von Bäckerei- oder Konditoreiwaren dienen und in Gasthäusern, Schankwirtschaften, Speiseanstalten, Warenhäusern und andern gewerblichen Betrieben verrichtet werden.

E^ soll auch Anwendung finden auf die Anlagen zur Herstellung von Zwieback Biskuits und Kuchen aller Art. Es soll nicht nur auf die im Betriebe beschäftigten Arbeitnehmer, sondern auch auf den Meister, die Lehrlinge und die Familienangehörigen de^ Meisters ausgedehnt werden. Ausnahmen sollen vorgesehen werden für die Ausführung von Vorbereitungsarbeiten (Anheizen der Ofen, Zubereiten des Gärteiges usw.) und für allfälligen starken Mehrverbrauch an Brot bei Bevölkerungsansammlungen in den Bade- und Luftkurorten, bei ortlichen Festen, Messen, Märkten usw.; ferner aus Gründen des öffentlichen Interesses, im Fall von Ausbesserungen, Unfall oder höherer Gewalt. Dagegen sollen die Bäckereien, die einen regelmä»sigen Zwei- oder Dreischichtenb&trieb mit achtstündiger Arbeitszeit eingerichtet haben, vom Verbot ausgenommen werden. Diese Ausnahme rechtfertige
sich mit Eucksicht darauf, dass die Arbeitsbedingungen in den grossen Betrieben günstiger seien als in andern Betrieben, und dass mit der Heranziehung der Arbeiter zur Nachtschicht gewechselt werden könne. Es wurde geltend gemacht, dass die grossen Konsumbäckereien das Brot nicht direkt an das konsumierende Publikum, sondern an die Verkaufsstellen liefern. Würden sie bezüglich Arbeits beginn den übrigen Bäckereien gleichgestellt, so könnten tatsächlich letztere das Publikum früher mit frischem Brot bedienen, weil sie zugleich Verkaufsstellen sind.

4. Der S c h w e i z e r i s c h e Bäcker- und K o n d i t o r e n g e h i l f o n v erb a n d erklärte sein Einverständnis mit dem Verbot der Nachtarbeit für die Zeit von 8 Uhr abend^ bi<- 4 Uhr morgens. Das Verbot habe sich auf alle

628 Betriebe des Bäckereigewerbes zu erstrecken, sowie auf diesbezügliche Arbeiten in Gasthäusern, Speiseanstalten und Warenhäusern; ferner auf Betriebe zur Herstellung von Zwieback, Biskoits und ähnlichen Waren. Das Verbot soll auch anwendbar sein auf Meister und deren Angehörige. Ausnahmen seien vorzusehen für die Ausführung unerlässlicher Vorarbeiten und für besondere Anlässe, Feste, Messen usw.; ferner aus Gründen des öffentlichen Interesses,, im Falle von Ausbesserungen, Unfall oder höherer Gewalt. Dagegen sei jede Ausnahme für Grossbetriebe abzulehnen.

5. Der Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz befürwortete ein Verbot von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, und zwar für alle Betriebe, die sich mit gewerbsmässiger Herstellung von Bäckerei- und Konditoreiartikeln beschäftigen. In das Verbot sollen der Betriebsinhaber und seine Familienangehörigen einbezogen werden.

Ausnahmen für Vorbereitungs- und Hilfsarbeiten hielt er nicht für notwendigEventuell seien die Ausnahmen auf das Anheizen der Öfen und die Vorbereitung des Teigs zu beschränken. Mit vorübergehenden Ausnahmen für besondere Anlässe, Feste usw., sei er einverstanden; dagegen wende er sich gegen jede Ausnahmestellung der grossen Betriebe, da damit die ganze Eeform gefährdet werde.

Die widersprechende Haltung der interessierten Verbände erschwerte die Stellungnahme der Schweiz in der Frage einer internationalen Eegelung. In ihrer Antwort auf den Fragebogen des Internationalen Arbeitsamtes beobachtete sie daher grosse Zurückhaltung. Es wurde auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die in unserem Lande bei der Eegelung der Frage zu überwinden wären, und dabei auch die besondere Lage der zahlreichen Bäckereien mit elektrischen Backöfen hervorgehoben. Immerhin wurde der unverbindlichen Meinung Ausdruck gegeben, dass ein Verbot der Nachtarbeit bis 4 Uhr morgens auch für die Schweiz annehmbar sein sollte; allein es wurde beigefügt, dass das eidgenössische Arbeitsamt noch Untersuchungen über die technischen und wirtschaftlichen Folgen eines Verbots der Nachtarbeit anstelle und die Ergebnisse abgewartet werden mussten, bevor der Bundesrat zu der aufgeworfenen Frage endgültig Stellung nehmen könnte.

Die Untersuchung des eidgenössischen Arbeitsamtes erstreckte sich auf die Frage im allgemeinen und auf die Lage der
Bäckereien mit elektrischen Backöfen im besondern. Die tatsächlichen Verhältnisse bei den letztem wurden abgeklärt durch Fühlungnahme mit dem Verband schweizerischer Elektrizitätswerke, durch Erhebungen mittels Fragebogen bei sämtlichen Inhabern elektrischer Backöfen und durch eine Expertise in einer Anzahl von Betrieben.

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in einem eingehenden Expertenbericht vom September 1924 niedergelegt, aus dem sich folgendes ergibt: Auf rund 5800 Bäckereien des Landes entfielen damals 298 elektrische Backöfen, die zum grossen Teil während des Krieges erstellt worden waren. Sie werden nachts mit billigem Strom automatisch geheizt. Der Nachtstrom kommt auf 3--4

629 Bappen die Kilowattstunde zu stehen gegenüber 8--10 Kappen für Tagesstrom; er wird abgegeben für 44 % der Betriebe bis 6 Uhr, für 50 % bis 6%, 7 oder 7% Uhr morgens und für den Best noch später. Die Arbeitsmethode ·wird so eingerichtet, dass der teurere Tagesstrom, "wenn möglich, nicht zur Verwendung gelangt; demgemäss wird der Arbeitsbeginn reguliert; er richtet sich nach der zu backenden Menge und Ware und setzt in der Begel um 3 Uhr morgens ein. Da der Ofen auch während der Backzeit geheizt werden kann und das Backen noch während 4 bis 6 Stunden nach Ausschaltung des Stromes möglich ist, hält der Expertenbericht eine Hinausschiebung des Arbeitsbeginns um eine Stunde ohne Erhöhung der Produktionskosten im allgemeinen für timlich, namentlich dann, wenn alle Elektrizitätswerke den Nachtstrom bis etwa 7 Uhr morgens liefern, wie es in mehr als der Hälfte der Fälle bereits geschieht. Der Expertenbericht hält denn auch dafür, dass dieses Zugeständnis den Elektrizitätswerken wohl zugemutet werden dürfte angesichts des Umstandes, dass die bestehenden Stromlieferungsbedingungen vielfach noch aus einer Zeit herrühren, wo der allgemeine Arbeitszeit beginn und infolgedessen der Verbrauch von Tagesstrom früher einsetzte, als es jetzt bei verkürzter Arbeitszeit der Fall ist. Die Arbeitsmethode der elektrischen Bäckereien spielt auch in die Herstellung von Kleinware hinein. Da diese die Vollhitze des Ofens nicht verträgt, ist eine zeitweilige Ausschaltung des Stromes notwendig. Betriebe, die möglichst früh Kleinwarr liefern müssen, können daher erst nach deren Herstellung den Ofen wieder voll aufheizen. In der Begel wird dies ohne Inanspruchnahme von Tagesstrom möglich sein. Der Expertenbericht kommt zum Schluss, dass für die elektrischen Bäckereien .in Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens mit Ausnahmen für Vorbereitungsarbeiten ohne wirtschaftliche Nachteile möglich wäre, insbesondere wenn die Elektrizitätswerke den billigen Nachtstrom einheitlich bis 68/i oder 7 Uhr morgens abgeben würden. Es soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass das eidgenössische Arbeitsamt mit einer solchen Anregung an den Verband der schweizerischen Elektrizitätswerke herantrat, aber zur Antwort erhielt, dass es Sache der einzelnen Werke sei, zu ihr Stellung zu nehmen.

Auch inbezug auf die übrigen Bäckereien ergaben die
Untersuchungen des eidgenössischen Arbeitsamte?, dass ein allgemeiner Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens ohne nennenswerte wirtschaftliche Nachteile durchführbar wäre.

Diese Feststellungen veranlassten uns, zur Frage der Nachtarbeit in den Bäckereien auf die zweite Lesung durch die Internationale Arbeitskonferenz t " hin eine entschiedenere Stellung einzunehmen. Es war uns daran gelegen, dass der Bahmen eines internationalen Übereinkommens weit genug gespannt werde, um auch unserem Lande den Beitritt zu ermöglichen. Der aus der ersten Lesung hervorgegangene Entwurf sah ein Verbot der Nachtarbeit während eines Zeitraumes von wenigstens sieben aufeinanderfolgenden Stunden vor. «Beginn und Ende dieses Zeitraumes -- hiess es wörtlich -- werden von der zuständigen Behörde jedes Landes nach Anhörung der beteiligten Arbeit-

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gè ber- und Arbeitnehmerverbände festgesetzt. Der Zeitraum soll die Zeit von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens einschliessen; falls das Klima oder die Jahreszeit es rechtfertigen, kann an Stelle des Zeitraumes von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens der Zeitraum von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens treten.» Da diese Fassung unsern Wünschen und den Bedürfnissen unseres Landes nicht vollständig gerecht wurde, stellten wir auf die zweite Lesung hin gemeinsam mit der belgischen Regierung, mit der wir uns ins Einvernehmen gesetzt hatten, den Antrag, dass der Zeitraum des Verbotes von sieben aufeinanderfolgenden Stunden nach freier Wahl der Staaten entweder die Zeit zwischen li Uhr abends und 5 Uhr morgens oder 10 Uhr abends und 4 Uhr morgens einschliessen sollte. Inhaltlich gleiche Anträge wurden auch von der englischen und italienischen Regierung gestellt.

Unsere Begierungsdelegierten versuchten nochmals, eine einheitliche Stellungnahme der schweizerischen Delegation auf die zweite Lesung hin zu erreichen mit dem Hinweis, dass für unser Land nur dann Aussicht auf eine Lösung der alten leidigen Streitfrage bestehe, wenn der schweizerische Antrag angenommen werde. Leider scheiterten ihre Bemühungen an der ablehnenden Haltung unserer Arbeiterdelegation, die an der Arbeitskonferenz unsern Antrag hartnäckig bekämpfte. Diesem Widerstand ist zum guten Teil zuzufeehreiben, dass unser Antrag an der Arbeitskonferenz von 1925 nicht in vollem Unfang angenommen wurde; es wurde ihm nur in dem Sinne Rechnung getragen, dass der Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens gestattet wurde, wenn sich die interessierten Arbeitgeber- und Arbeiterverbände damit einverstanden erklärten (Art. 2 des Übereinkommens). Die nur teilweise Berücksichtigung unseres Antrages veranlasste unsere Regierungsdelegierten, sich bei der Schlussabstimmung der Stimme zu enthalten.

IV.

Das eidgenössische Arbeitsamt unterbreitete das Übereinkommen im Oktober 1925 den Landesverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und dem Verband schweizerischer Konsumvereine zur Stellungnahme. Es versuchte nochmals, eine Einigung auf der Grundlage des 4 Uhr-Arbeitsbeginns herbeizuführen, und intervenierte in diesem Sinne beim Schweizerischen Gewerbeverband und beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, leider wiederum erfolglos.

In einer gemeinsamen Eingabe vom 8. Januar 1926
sprachen sich der Vorort 'des schweizerischen Handels- und Industrievereins, der Schweizerische G e w e r b e v e r b a n d und der Z e n t r a l v e r b a n d schweizerischer Arbeitgeberorganisationen gegen eine Ratifikation des internationalen Übereinkommens aus. Sie begründeten diese Stellungnahme wie folgt: Vom Standpunkt der Arbeitgeber aus werde den internationalen Arbeitskonferenzen die Zuständigkeit bcstritten, den Betriebsinhaber ebenfalls unter

631 das Verbot zu stellen. Schon der Umstand, da&s das Übereinkommen diesem Grundsatz widerspreche, mache es für die Arbeitgeber unannehmbar. Dazu komme die Ablehnung des schweizerischen EegierungsVorschlages. Die gegenwartige Fassung des Übereinkommens sei zu eng, um den »chweiz, rischen Verhältnissen, insbesondere der Hotelindustrie, genügend Rechnung zu tragen.

Die Vorschriften des Übereinkommens seien derart einschränkend, dass sie sich mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit des Art. 31 der Bundesverfassung nicht vertragen. Ferner wird dann auch auf die besondern Verhältnisse der elektrischen Backöfen hingewiesen und geltend gemacht, dass vom Standpunkt der Hygiene aus für die in den letzten Jahren eingetretenen Verbesserungen in den Betriebsmethoden der Bäckereien ein Verbot der Nachtarbeit nicht notwendig sei. Schliesslich wird noch angeführt, dass das Verbot der Nachtarbeit eine Erhöhung des Brotpreises zur Folge haben werde.

Der Schweizerische G e w e r k s c h a f t s b u u d befürwortete in seiner Eingabe vom 17. Februar 1926 die Eatifikation des Übereinkommens. Er bezog sich auf die verschiedenen Besprechungen, die in dieser Sache mit dem eidgenossischen Arbeitsamt früher stattgefunden hätten, und glaubt, dass die Schwierigkeiten, auf die diese- Amt jeweilen aufmerksam gemacht habe, sich überwinden Hessen.

Die Vereinigung s c h w e i z e r i s c h e r A n g e s t e l l t e n v e r b a n d e trat in ihrer Vernehmlassung vom 4. Februar 1926 in Übereinstimmung mit dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund ebenfalls für die Eatifikation des Übereinkommens ein.

Der Verband s c h w e i z e r i s c h e r Konsumvereine sprach sich mit Zuschrift vom 20. Oktober 1925 gegen das Übereinkommen aus, weil es die Entwicklung der Großbetriebe und namentlich der genossenschaftlichen Grossbäckereien hemme. Durch Verbot des Schichtenbetriebes wurde ein rationeller Verbrauch des Heizmaterials, sowie eine rationelle Ausnutzung der Backöfen und maschinellen Anlagen verunrnöglicht. Der Verband steht nach wie vor auf dem Boden seiner Eingabe an das eidgenössische Arbeitsamt vom 29. November 1923, wie er mit Zuschrift vom 5. April 1927 nochmals bestätigte.

Überdies liefen mehrere Kundgebungen zugunsten einer Eatifikation des Übereinkommens ein ; zu erwähnen sind diesbezüglich die Eingabe der Sozialen
Kauterliga und idie Eesolutionen verschiedener Arbeiterverbände. Auch die an der Frage besonders interessierten Berufsverbände der Bäckermeister und Bäckergehilfen Hessen sich in der Sache noch einmal vernehmen.

In seiner Eingabe vom 12. Januar 1926 verweist der Schweizerische Bäcker- und K o n d i t o r e n v e r b a n d (Bäckermeisterverbaud) auf eine eingehende Druckschrift, die als Beilage zur Schweizerischen Bäcker- und Konditorenzeitung erschienen ist und sich mit dem einschlägigen Problem befasst. Der Verband nimmt in dieser Schrift sowohl gegenüber dem inter-

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nationalen Übereinkommen als gegenüber jeder andern gesetzlichen Regelung eine ablehnende Haltung ein. Aus der umfangreichen Schrift, auf die im einzelnen verwiesen wird, sei hier folgendes hervorgehoben: a. Zur Begründung der Tatsache, dass der Verband nicht die Kraft hatte, den im Oktober 1919 beschlossenen 4 Uhr-Beginn durchzuführen, wird wörtlich folgendes gesagt: «Da keine gesetzliche Eegelung mehr bestand und durch eine Abmachung der Bäckermeisterverbände nur die Verbandsmeister an die Einhaltung der Beschlüsse gehalten waren, so wurden die Mitglieder durch die gänzlich jeder Einschränkung fernstehenden Bäckermeister gezwungen, wiederum früher mit der Arbeit zu beginnen. Überall setzte gemäss den gesteigerten Anforderungen der Käuferschaft ein früherer Arbeitsbeginn ein.» b. Die Behauptung, dass die Abschaffung der Nachtarbeit eine Verteuerung des Brotes zur Folge habe, wird wiederholt, ohne aber näher begründet zu werden.

c. Die schweizerische Bevölkerung sei gewohnt, zum Frühstück frisches Brot zu essen, und es sei Erfahrungstatsache, dass von frischem Brot mehr gegessen werde als von altem Brot. Die Einschränkung des Genusses frischen Brotes sei daher für die Bäcker nachteilig.

d. Schliesslich weist der Verband darauf hin, dass ein 4 Uhr-Arbeitsbeginn für ihn nur dann annehmbar wäre, wenn Ausnahmen für Betriebe in Städten und Kurorten von den kantonalen Behörden in weitgehender Weise gestattet werden könnten.

Aus einer 'Zuschrift vom 8. Februar 1927 ergibt sich, dass der Verband an dieser seiner Stellungnahme festhält.

In einer Zuschrift vom 11. Dezember 1925 wendete sich Herr F. Buri, Bäckermeister in L u g a n o , im Namen der dem eidgenössischen Fabrikgesetz unterstellten Bäckereien gegen die Ausdehnung des Verbots der Nachtarbeit auf diese Betriebe.

Aus einer mündlichen Besprechung mit dem Schweizerischen Bäckerund K o n d i t o r e n g e h i l f e n v e r b a n d vom 17. Dezember 1925 ergab sich, dass dieser Verband nach wie vor für den 4 Uhr-Beginn eintritt und eine solche Lösung bei gutem Willen ohne wirtschaftliche Nachteile für durchführbar hält, sofern Ausnahmen für Saisonorte vorgesehen würden. Vom Vertreter dieses Verbandes wurde geltend gemacht, dass der zwischen dem Verband und dem Bäckermeisterverband abgeschlossene Vertrag vielfach nicht durchgeführt werde. Mit Eingabe
vom 14. April 1927 bestätigt der Verband seine Haltung.

Er schreibt wörtlich: «Die Ansetzung des Arbeitsbeginnes auf morgens 4 Uhr bedeutet einerseits gegenüber dem bisherigen Zustand einen anerkennenswerten Fortschritt, trägt aber anderseits den besondern Verhältnissen des Bäckereigewerbes genügend Eechnung. Der Arbeitsbeginn mit morgens 4 Uhr gestattet es allen Bäckereibetrieben, den kleinen wie den grossen, innert nütz-

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lieber Frist das für den Morgen verkauf notwendige Gebäck herzustellen. Ein wesentlicher Teil unserer Bevölkerung ist nun einmal daran gewöhnt, jeden Morgen frisches Gebäck zu konsumieren. Und es würde nicht im Interesse des Bäckereigewerbes, insbesondere des Kleingewerbes liegen, damit nun auf einmal abzubrechen. Eine Hinausschiebung des Arbeitsbeginnes auf morgens 5 Uhr oder gar 6 Uhr erachten wir demzufolge unter den heutigen Verhältnissen nicht als tunlich.» In einer Eingabe vom 15. Dezember 1925 prrzisierte der dem Gewerkschaftsbund angeschlossene V e r b a n d der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz seine Stellung folgendennassen: Die Nachtarbeit in den Bäckereien sei ausschliesslich ein Ausfluss der gegenseitigen Konkurrenz. Die Bäckermeister gingen darauf aus, die Bevölkerung zum Genuss frischen, warmen Gebäcks am frühen Morgen zu erziehen.

Der Arbeitsbeginn sollte so angesetzt werden, dass der Konkurrenzkampf um Lieferung warmen Gebäcks am Morgen vollständig ausgeschaltet werde.

Dies sei nur möglich bei einem 6 Uhr-Beginn. Die Befürchtungen, dass dabei der Konsum von Kleingebäck zurückgehen werde, seien nach den Erfahrungen im Ausland unbegründet. Der Verband stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt einer achtstündigen Nachtruhe und eines Arbeitsbeginns um 6 Uhr morgens. Wenn das Übereinkommen ihn auch nicht vollständig befriedige, so sei er doch für eine Ratifikation. Unter keinen Umständen seien bei einer nationalen gesetzlichen Regelung Ausnahmen für irgendwelche Kategorien von Bäckereien zu gestatten, auch nicht für die Grossbetriebe.

Diese Eingabe wurde später noch durch verschiedene Zuschriften ergänzt, insbesondere durch eine eingehende, vom Januar 1926 datierte Darstellung der ganzen Frage.

Durch Zuschrift vom 22. März 1927 teilten der Schweizerische Gewerkschaftsbund und der Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz mit, dass die im letztern Verbände organisierten Bäckergehilfen an einer Konferenz vom 13. März nochmals zu der Frage Stellung genommen und dabei folgende Resolution angenommen hätten: «Die Berufskonferenz der organisierten Bäckereiarbeiter der Schweiz vom 13. März 1927 richtet an den Bundesrat das Ersuchen, das von der 7. internationalen Arbeitskonferenz im Jahre 1925 angenommene Übereinkommen über die Nachtarbeit
in den Bäckereien der Bundesversammlung zur Ratifizierung vorzulegen.

Die Berufskonferenz der organisierten Bäckereiarbeiter lehnt es mit aller Entschiedenheit ab, dem 4 Uhr-Arbeitsbeginn die Zustimmung zu geben. In allen Ländern, wo der 4 Uhr-Arbeitsbeginn versucht wurde, war das Resultat die Wiedereinführung der Nachtarbeit auf der ganzen Linie. Mit der gleichen Entschiedenheit wendet sich die Konferenz

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gegen die Versuche, den Dreischichtenbetrieb zur Einführung zu bringen.

Die Konferenz beharrt auf der Batifizierivng des Übereinkommens unter Anerkennung des 6 Uhr-Arbeitsbeginnes. Sie könnte sich damit einverstanden erklären, dass für einen zu bestimmenden Zeitraum der 5 UhrArbeitsbeginn als Übergangsstadium zugelassen wird.» Zudem haben diese Verbände Ende März 1927 in einer Denkschrift an die Mitglieder der eidgenössischen Bundesversammlung ihren Standpunkt zum Ausdruck Oerbracht. Es heisst hierin ·«örtlich: «Art. 3 und 4 des internationalen Übereinkommens sehen Ausnahmen vom Verbot der Nachtarbeit vor. Auf Grund dieser Ausnahmen kann durch die Landesbehörden den verschiedenen Verhältnissen im schweizerischen Bäckergewerbe genügend Eechnung getragen werden.

Alle weitern als die in Art. 3 und 4 vorgesehenen Ausnahmen gefährden die Durchführung des Verbotes der Nachtarbeit.

Würde z. B. der Arbeitsbeginn auf 4 Uhr morgens angesetzt, so \\aren die kleinern Betriebe mit Hilfe der heutigen Technik wohl in der Lage, bis morgens 6 Uhr ihren Bedarf an warmem Gebäck und Brot herzustellen. Grössere Bäckereien mit mehreren Arbeitern und Verkaufsstellen könnten aber in diesem Zeitraum nicht genügend warmes Gebäck erzeugen. Da die Nachtarbeit in den Bäckereien aber ein Produkt der gegenseitigen Konkurrenz mit frischem, warmem Gebäck und Brot in den frühen Morgenstunden ist, würden zahlreiche Übertretungen des Verbotes eintreten und die Durchführung des Verbotes unmöglich machen.

In andern Ländern, in denen auf Grund der Landesgesetze der 4 UhrArbeitsbeginn zugelassen wurde, haben die Erfahrungen gezeigt, dass das Verbot nicht durchführbar ist. In verschiedenen Ländern sind Bevisionen der Gesetze im Sinne der Festsetzung des Arbeitsbeginns auf 5 oder 6 Uhi- morgens notwendig geworden, um die Durchführung der Gesetze zu ermöglichen.

Von den Konsumgenossenschaften wird die Zulassung der Nachtarbeit in Schichtenbetrieb gefordert. Auch diese Frage wurde an der internationalen Arbeitskonferenz von den zuständigen Sachverständigen eingehend beraten. Die Sachverständigen kamen zur Ablehnung dieser Ausnahme, weil bei deren Zulassung ein Verbot der Nachtarbeit nicht durchführbar ist.» V.

Nachdem im vorstehenden über die wesentlichen Begebenheiten im Kampfe für und gegen die Nachtarbeit in den Bäckereien berichtet
worden i>t, handelt es sich nunmehr darum, zum Problem als solchem und dem internationalen Übereinkommen im besondern Stellung zu nehmen.

Die gewerbliche Nachtarbeit ist aus hygienischen und sozialen Gründen unerwünscht. Es widerspricht der natürlichen Ordnung, nachts zu arbeiten

635 und tags zu ruhen. Auch lehrt die Erfahrung, das» die Buhe am Tage nicht den vollwertigen Er-atz für diejenige bei Nacht bietet. Das Verbot der Nachtarbeit ist daher grundsätzlich gerechtfertigt : Ausnahmen sollen nur da eintreten, wo zwingende Gründe vorliegen. Auf diesem Standpunkt stand -- es darf daran erinnert werden -- von Anfang an die eidgenössische Fabrikgesetzgebung, und steht heute die moderne Arbeiterschutzpolitik. Auch wir halten an diesem Standpunkt fest und' betrachten daher die Tendenzen nach Aussclialtung der Nachtarbeit in den Bäckereien grundsätzlich für begründet; denn es ist nicht am Platze, dass ein Gewerbe seine Haupttätigkeit oder einen wichtigen Teil .derselben ständig des Nachts ausübt, wenn nicht zwingende Gründe hierfür bestehen. Den von den Bäckermeistern gelegentlich erhobenen Einwand, in ihrem Gewerbe bestehe nur noch Früh-, aber keine Nachtarbeit, können wir nicht gelten lassen; denn eine Arbeit, die, wie festgestellt, regelmässig um drei oder zwei Uhr nachts oder noch früher beginnt, muss als Nachtarbeit bezeichnet werden.

Welches sind nun die Gründe, die von den Bäckermeistern für die Beibehaltung der Nachtarbeit ins Feld geführt werden ? Es sind die Behauptungen, dass durch die Abschaffung der Nachtarbeit der Brotpreis verteuert werde und die Nachfrage nach frischem Gebäck am Morgen zum Frühstück nicht mehr befriedigt werden könne.

Es ist nicht einzusehen, wie ein Nachtbackverbot die Herstellungskosten des Brotes ungünstig beeinflussen sollte, wenn man von den besondern Verhältnissen der Bäckereien mit elektrischen Backöfen absieht, wo durch den Wegfall des billigen Nachtstromes oder durch zeitliche Einschränkung seines Bezuges ein gewisser, allerdings nicht zu überschätzender Eintluss auf die Gesamtbetriebskosten entstehen kann. Es sind denn auch seitens der Bäckermeister gar keine Tatsachen und Belege zur Stützung ihrer Behauptung beigebracht worden. Was den zweiten Einwand anbetrifft, so ist richtig, dass der Genuss frischen Gebäck? zum Frühstück in den letzten Jahren zugenommen hat ; es trifft auch zu, dais von frischem Brot mehr gegessen wird als von altem und der Genuss frischen Brotes daher im Interesse der Bäckermeister liegen mag, wie sie in einer ihrer Eingaben hervorgehoben haben. Allein dies alles ist für das allgemeine Wohl nicht entscheidend,
denn einerseits ist frisches Brot hygienisch nicht empfehlenswert und anderseits verteuert die Tendenz, den Genuss frischen Gebäcks zu fördern, die Lebenskosten. Es ist festgestellt worden, dass in unserem Lande trotz einheitlicher Mehlpreise auffallende interlokale Unterschiede in den Brotpreisen bestehen, die zum guten Teil darauf zurückzuführen sind, dass die Bäckermeister immer mehr versuchen, vom gewöhnlichen Typ des Brotlaibes abzukommen und dafür allerlei Weisswarenspezialitäten zu erstellen und abzusetzen, weil sie für derartige Ware einen höbern Preis verlangen können. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus verdient diese Tendenz keine besondere Rücksichtnahme. Wir können daher die von den Bäckermeistern für die Beibehaltung der Nachtarbeit angeführten Argumente nicht als zwingend und ausschlaggebend anerkennen, um

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so weniger, als es durch eine zweckentsprechende Kegelung des Arbeitsbeginns möglich wäre, den besondern Verhältnissen der Bäckereien mit elektrischen Backöfen und dem Bedürfnisse nach frischem Gebäck innert vernünftigen Grenzen Rechnung zu tragen.

Die Erfahrungen der Vergangenheit haben genugsam dargetan, dass in unserem Lande keine Aussicht besteht, eine befriedigende Lösung auf dem Wege freier Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern herbeizuführen.

Wie der Berufsverband der Bäckermeister in seinen Eingaben vom 10. November 1919 und 12. Januar 1926 ausdrücklich zugibt, hatte er nicht die Kraft, seine Beschlüsse allseitig durchzusetzen, und mit Bedauern muss festgestellt werden, dass seit einigen Jahren wiederum eine rückläufige Bewegung im Gange ist.

Eine allgemein verbindliche Lösung ist unter diesen Umständen nur von der Bundesgesetzgebung zu erwarten, wozu die verfassungsmässige Grundlage in Art. 34ter der Bundesverfassung einwandfrei gegeben ist.

Soll sich ein gesetzliches Verbot der Nachtarbeit auf alle Betriebe erstrecken oder sollen ihm die Betriebsinhaber und die in Schichten arbeitenden Grossbetriebe nicht unterworfen sein? Die Frage hat sich in allen Staaten, die an eine gesetzliche Regelung herantraten, gestellt und ist auch an der Internationalen Arbeitskonferenz Gegenstand eingehender Diskussionen gewesen. Geht man lediglich vom Standpunkt des Arbeiterschutzes aus, so lassen sich Gründe für eine Ausnahmestellung der beiden Betriebskategorien wohl anführen. Wo der Betriebsinhaber selbst oder mit seiner Familie die Bäckerei betreibt, kommt der Arbeiterschutz überhaupt nicht in Frage. Bei den Grossbetrieben, wo regelmässig ein Wechsel der Arbeitsschichten stattfindet, ist das Bedürfnis nach Schutz der Arbeiter wesentlich herabgemindert.

Und doch hat sich die Arbeitskonferenz gegen die Ausnahmestellung beider Betriebsarten ausgesprochen, ausgehend von der Erwägung, dass sie sonst die andern Betriebe durch frühere Lieferung frischen Gebäcks konkurrenzieren und damit die Durchführung des Verbotes der Nachtarbeit wesentlich erschweren, ja verunmöglichen würde. Wir waren uns der zwingenden Gründe, die für eine einheitliche Kegelung sprachen, bewusst, und unsere Delegierten an der Arbeitskonferenz haben ihr daher zugestimmt.

Wie eingangs erwähnt, haben die Arbeitgeber der
Internationalen Arbeitsorganisation die Befugnis bestritten, die Arbeit des Betriebsinhabers zu regeln; der zur Entscheidung der Streitfrage angerufene Internationale Gerichtshof hat sich aber grundsätzlich dahin ausgesprochen, dass die Internationale Arbeitsorganisation befugt sei, bei der Regelung von Arbeitsverhältnissen die persönliche Arbeit der Betriebsinhaber einzuschliessen, wenn dies zum Schutze der Lohnarbeiter notwendig sei. Er hat mit dieser für die internationale Arbeiterschutzpolitik wichtigen Entscheidung unseres Erachtens sachlich das Richtige getroffen. Vom Standpunkt der nationalen Sozialpolitik aus gehen wir sogar einen Schritt weiter und erklären, dass nicht einzusehen ist, warum die Wohltat der Abschaffung der Nachtarbeit nicht auch dem Betriebsinhaber

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und seiner Familie zugute kommen soll; es sprechen hierfür die gleichen Erwägungen, die zur Anwendung kantonaler und kommunaler Ladenschluss·vorsehriften auf die Geschäftsinhaber und ihre Familienangehörigen geführt haben. In uiisern Verhältnissen, wo der Kleinbetrieb im Bäckergewerbe überwiegt, wurde sich sozial eine andere Lösung nicht rechtfertigen. Der Einwand, ·die Unterstellung des Betriebsinhabers unter das Verbot bedeute eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, ist durchaus Uhstichhaltig.

Das Nachtbackverbot hat in Ländern, wo e* besteht, bereits technischen Neuerungen gerufen. So wird namentlich aus Deutschland berichtet, dass die Bäckereien in zunehmendem Masse zur Anwendung besonderer Teigbereitungsmaschinen übergehen, die durch ein Uhrwerk vor dem gesetzlich zulässigen Arbeitsbeginn selbsttätig in Gang gesetzt werden. Sollte sich dieser technische Fortschritt bewähren, so werden dadurch möglicherweise die Bedenken und Widerstände der Grossbetriebe abgeschwächt und die Durchführung einer ·einheitlichen Eegelung erleichtert. Aus diesem Grunde steht denn auch der deutsche Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes auf dem Boden, dass sich ein Verbot nur auf die menschliche Arbeit, nicht aber auf die Arbeit von Maschinen, die ohne jede menschliche Aufsicht tätig sind, beziehen soll.

Für welchen Zeitraum soll nunmehr die Nachtarbeit untersagt werden?

Man müs&te eine achtstündige Buhezeit vorsehen, deren Festsetzung vom Arbeitsbeginn am Morgen abhangt. Aus den eingehenden Untersuchungen und -zahlreichen Verhandlungen der letzten Jahre ergibt sich, dass für unser Land ein Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens das Zweckmässige ist; die Euhezeit würde sich somit von 8 Uhr abends bis 4 Uhr morgens erstrecken. Mit diesem Arbeitsbeginn ist allen berechtigten Bedürfnissen Eechnung getragen; er nimmt insbesondere Eücksicht auf die Bäckereien mit elektrischen Backöfen und das Hotel- und Ga^twirtschaftsgewerbe, dessen Bedeutung in der schweizerischen Volkswirtschaft nicht zu unterschätzen, ist. Der 4,-Uhr-Beginn ist für die Bäckermeister und Konsumenten erträglich und bedeutet für die Arbeiterschaft einen anerkennenswerten Fortschritt und die zurzeit einzig erreichbare Lösung. Selbst der Verband der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter, der heute bedeutend weitergehende Forderungen stellt,
hat bei den ehemaligen Lösungs- und Vermittlungsversuchen einsehen müssen, dass nicht mehr zu erreichen ist. Bei einem spätem Arljeitsbeginn könnten viele Bäckereien den seitens der Kunden und Konsumenten an sie gestellten Forderungen nicht mehr genügen, und es würde in viel höherem Masse die Versuchung nach Verletzung des Gesetzes eintreten als beim 4-Uhr-Beginn. Zudem ist zu befürchten, dass Hotels, Pensionen und Gasthäuser zur eigenen Herstellung des Kleingebäcks übergehen würden, wenn sie %7on den Bäckereien nicht mehr rechtzeitig bedient werden könnten. Aus diesen Gründen stehen wir nach wie vor auf dem Boden des 4-Uhr-Beginns und müssen einen spätem Arbeitsanfang ablehnen.

Wir haben uns auch bei den Verhandlungen in Genf nachhaltig für eine Lösung eingesetzt, die es unserem Land ermöglicht hätte, dem internationalen Bundeablatt. 79. Jahrg. Bd. I.

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Übereinkommen beizutreten. "\Vir waren entschlossen, bei Annahme unseres Antrages eine bundesgesetzliche Regelung auf der Grundlage des 4-Uhr-Beginnsund zudem die Ratifikation des internationalen Übereinkommens vorzuschlagen, und wir glauben auch, dass bei einer solchen Sachlage die innern Widerstände nach und nach hatten abbröckeln müssen.

Durch die Ablehnung unseres Antrages ist eine vollständig andere Lage geschaffen. Der Beitritt zum internationalen Übereinkommen ist uns leider verunmöglicht, da der dort vorgesehene 5-Uhr-Arbeitsbeginn auf allzu grosse Schwierigkeiten und Widerstände stòsst und daher für uns nicht annehmbar i=it und die Voraussetzungen, unter denen der allgemeine 4-Uhr-Beginn erlaubt ist -- wenn Klima oder Jahreszeit es rechtfertigen oder die beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sich darüber einigen (Art. 2 des Übereinkommens) -- für unser Land nicht zutreffen oder nicht erreichbar sind.

Wir haben uns gefragt, ob wir nicht zur Verwirklichung der von uns befürworteten Losung einen Gesetzesentwurf ausarbeiten und gleichzeitig mit diesem Bericht vorlegen sollten. Allein bei der gegenwärtigen zerfahrenen Lage halten wir einen solchen Schritt nicht für zweckdienlich und sehen daher zurzeit davon ab. Was befurchtet und vorausgesagt wurde, ist eingetreten.

Die Ablehnung unseres Antrages an der Arbeitskonferenz hat die Gegner einer gesetzlichen Regelung in ihrem Widerstande gestärkt ; vorab sind es die Bäckermeister, die nichts davon wissen wollen; hinter ihnen stehen das Gewerbe und die Arbeitgeber. Es fehlt an dem Antrieb, der sicher vorhanden wäre, wenn uns der Beitritt zum internationalen Übereinkommen möglich gemacht worden wäre. Die Arbeiterschaft ist gespalten: die einen stehen auf dem Boden unserer Vorschlage, wahrend die andern bedeutend weiter gehen und die Arbeit erst um 6 Uhr morgens beginnen lassen wollen. Eine besondere Stellung wiederum nehmen die Konsumvereine ein, die an der Frage als Arbeitgeber und Konsumenten interessiert sind und jedenfalls eine nicht zu unterschätzende Gefolgschaft auch in den ihnen nahestehenden Arbeiterkreisen hinter sich haben. Sie stehen mit uns auf dem Boden des 4-Uhr-Beginns, möchten aber ihre eigenen Grossbetriebe vom Nachtbackverbot ausgeschlossen wissen.

Unter diesen Umständen sehen wir keine Möglichkeit, jetzt zu einer
Lösung zu kommen. "Wir bedauern dieses negative Ergebnis, das dem Umstand zuzuschreiben ist, dass man sich allzu leicht trotz allen Warnungen über die Schwierigkeiten, auf die wir nachdrucklich hinwiesen, hinwegsetzte. Wir stehen wieder einmal vor der Tatsache, dass durch allzu weitgehende Forderungen und unnachgiebige- Verhalten die Verwirklichung eines sozialen Fortschrittes auf nationalem Boden verunmöglicht wurde.

Wir sind uns bewusst, dass das Problem mit die&em negativen Ergebnis nicht endgültig abgetan ist und die interessierten Kreise weiter beschäftigen wird. Es fragt sich dabei, ob diese nicht besser tun, eine Verständigung auf der von uns befürworteten Grundlage anzubahnen, anstatt an ihren unversöhnlichen Stellungen festzuhalten. Vorläufig wird jedenfalls dieser Bericht den

639 eidgenössischen Katen Gelegenheit geben, sich mit dem Problem zu befassen; es wird sich dabei zeigen, ob eine weitere Abklärung geschaffen wird oder ob es bis auf weiteres bei dem negativen Ergebnis sein Bewenden hat.

Gestützt ani die vorstehenden Ausführungen ist unsere Stellungnahme zum internationalen Übereinkommen gegeben : wir sind leider nicht in der Lage, seine Ratifikation zu beantragen.

Bern, den 20. Mai 1927.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Motta.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

Beilage : Entwurf Übereinkommen.

640 Beilage.

Entwurf eines

Übereinkommens über die Nachtarbeit in Bäckereien.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier ara 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 8. Juni 1925, den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Nachtarbeit in Bäckereien, eine Frage, die den vierten Verhandlungsgegenstand der Tagung bildet, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen.

Das Übereinkommen ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge zur Batifizierung vorzulegen.

Artikel 1.

Vorbehaltlich der in den Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens vorgesehenen Ausnahmen ist die Herstellung von Brot, Feinbackwerk oder ähnlichen aus Mehl bereiteten Erzeugnissen zur Nachtzeit verboten.

Dieses Verbot erstreckt sich auf die Arbeit sämtlicher Personen, Betriebsinhaber wie Arbeitnehmer, die an der Herstellung der genannten Erzeugnisse beteiligt sind: es bezieht sich indes nicht auf die hauswirtschaftliche Erzeugung durch Angehörige des Haushaltes tur ihren Eigenverbrauch.

Das vorliegende Übereinkommen findet keine Anwendung auf die Herstellung von Biskuits im grossen. Es bleibt den einzelnen Mitgliedern überlassen, nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände die Erzeugnisse zu bestimmen, die im Sinne dieses Übereinkommens unter den Begriff «Biskuit» fallen.

Artikel 2.

Als «Nacht» im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden. Anfang und Ende dieses Zeitraumes sind in jedem Lande von der zuständigen Behörde nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände festzusetzen; er hat die Zeit von 11 Uhr

641 abends bis 5 Uhr morgens einzuschliessen. Wenn Klima oder Jahreszeit es rechtfertigen, oder -wenn die beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sich darauf einigen, kann an Stelle der Zeitspanne von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens die Zeitspanne von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens treten.

Artikel 3.

Nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände kann die zuständige Behörde jedes Landes folgende Ausnahmen von den Bestimmungen des Artikels l zulassen: a. dauernde Ausnahmen für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten, soweit diese notwendigerweise ausserhalb der normalen Arbeitszeit verrichtet werden müssen, mit dem Vorbehalt jedoch, dass für diese Arbeiten nicht mehr als die unbedingt erforderliche Anzahl Arbeitnehmer und dass keine Jugendlichen unter 18 Jahren verwendet werden; b. dauernde Ausnahmen, die mit Eücksicht auf die besonderen Bedingungen des Bäckereigewerbes in tropischen Ländern erforderlich sind; c. dauernde Ausnahmen zur Sicherung der wöchentlichen Euhezeit; d. vorübergehende Ausnahmen, um außergewöhnlicher Häufung der Arbeit oder Erfordernissen des Gemeinwohls Eechnung zu tragen.

Artikel i.

Ausnahmen von den Bestimmungen des Artikels l sind ferner zulässig, wenn ein Unglücksfall eingetreten ist oder droht, wenn dringliche Arbeiten an den Maschinen oder den Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind, oder wenn höhere Gewalt vorliegt, jedoch nur soweit solche Ausnahmen erforderlich sind, um eine ernstliche Störung des regelmässigen Betriebes zu verhüten.

Artikel 5.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat alle geeigneten Massnahmen zur allgemeinen und wirksamen Durchführung des im Artikel l vorgesehenen Verbotes zu treffen und zu diesem Zwecke die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sowie deren Verbände zur Mitarbeit heranzuziehen, entsprechend dem von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer fünften Tagung (1923) angenommenen Vorschlag.

Artikel 6.

Die Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens treten erst am 1. Januar 1927 in Kraft.

Artikel 7.

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

642 Artikel 8.

Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Ratifikationen von zwei Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Eatifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 9.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Er gibt ihnen gleichfalls Kenntnis von der Eintragung der Eatifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 10.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in seinen Kolonien, Besitzungen und Protektoraten gemäss den Bestimmungen des Artikels 421 des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Artikel der anderen Friedensverträge anzuwenden.

Artikel 11.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum ersten Male in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung dieser Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 12.

Der Verwaltimgsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Kachprüfung oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Entwurf eines internationalen Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit in Bäckereien. (Vom 20. Mai 1927). (Nachtrag zur Botschaft vom 7. Juni 1926 über die siebente Tagung der Internationalen...

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