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Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte'der Eidgenossenschaft sind am 21. März 1927, um 18 Uhr, zur siebenten Tagung der 27. Legislaturperiode zusammengetreten .

Im N a t i o n a l r a t e eröffnete Herr Präsident Dr. Maillefer die Sitzung mit einem Nachruf auf die verstorbenen Ratsmitglieder, Herren Charles Naine und Dr. Emil Hofmann (Wortlaut siehe im Feuille fédérale).

Im S t ä n d e r a t e eröffnete Herr Präsident Dr. Schöpfer die Sitzung mit folgender Ansprache : Sehr geehrte Herren Kollegen !

Bevor wir unsere ordentlichen Geschäfte beginnen, habe ich die schmerzliche Pflicht, zweier Kollegen zu gedenken, die seit unserem Zusammentritt im Dezember 1926 verstorben sind, des Herrn Nationalrat Charles Naine und des Herrn alt Nationalratspräsidenten Regierungsrat Dr. Hofmann.

Mitten aus dem Kampfe heraus ist Charles Naine, eine der bedeutendsten Gestalten des Nationalrates und der hervorragendste Führer der welschen Sozialdemokratie, abberufen worden. In, der ersten Stunde des 29. Dezember 1926 erlag er einer Lungenentzündung, die ihn am ersten Weihnachtstage gepackt hatte.

, Mit Charles Naine ist ein Mann eigener Kraft und von besonderer Charakterprägung ins Grab gestiegen. Am Schraubstock und an der Fräsmaschine brachte er als Mechaniker und nachher als Uhrenmacher seine Jugendzeit zu. Der unabhängige, lebhafte Geist verlangte nach Weiterbildung. An den Hochschulen von Neuenburg, Paris und Berlin studierte er Jurisprudenz, Hess sich dann als Advokat nieder, bis es ihn ganz zur Journalistik zog. Er redigierte zunächst das sozialdemokratische Parteiblatt ,,Droit du Peuple"1 und nachher die Neuenburger Parteizeitung ,,La Sentinelle."Im Jahre 1911 zog er mit 37 Jahren in den Nationalrat ein. Schon äusserlich erregte er Aufsehen in seinem dunklen Flanellhemd mit flatternder Künstlerkrawatte, mit seinem martialischen Schnurrbart und seinem mächtigen Haarbusch. Die französischen Lehren des revolutionären Syndikalismus und Antimilitarismus hatten auf ihn sein ganzes Leben lang einen entscheidenden Einfluss, so dass er einmal als Dienstverweigerer stolz eine Freiheitsstrafe anf sich nahm. Seinen antimilitaristinchen Grundsätzen blieb er ununterbrochen treu. Die Gewaltanwendung aber bekämpfte er grundsätzlich, weshalb er auch zu den schärfsten Gegnern des Bolschewismus und der Diktatur des Proletariats gehörte. Als seinerzeit die sozialdemo-

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kratische Partei im Dezember 1920 sich das heute noch geltende Diktaturprogramm gab, stand der unerschrockene Naine fast allein in der Opposition; er ging eben nie mit dem grossen Haufen, war kein Dogmatiker und hat daher auch seinen ganzen Hohn und Spott über die eigenen Parteifreunde ausgegossen, weil sie als Revolutionare den Verlust des Präsidentensitzes im Nationalrat nicht verwinden konnten.

Im Ratssaal zeichnete er sich aus durch geschicktes Eingreifen in die Debatten über Militàrfragen, Zoll- und Wirtschaftsstreitigkeiten, wobei er immer in einer formvollendeten, anziehenden Weise zu sprechen wusste, so sehr auch beissender Spott und Satire ihm zur Verfügung standen.

Ein einfacher, ehrlicher Mensch mit allen seinen grossen Vorzügen und Fehlern ist von uns gegangen. Und gerne stelle ich heute fest, dass durch alle Nekrologe auf Charles Naines Tod ein schlichter aber tiefer Zug warmer, aufrichtiger Hochachtung ging vor dem Bürger, der stets nur ein treuer Berater seines Volkes sein wollte.

Ein Leben schloss, das reich war an Sturm und Kampf, reicher noch an Idealismus, an gläubigem Vertrauen auf eine bessere Zukunft der Menschheit.

Der ersten Todesnachricht folgte 21/s Monate später die zweite. Am 10. März 1927 legte sich im Viktoria Sanatorium in Bern im 63. Altersjahr Herr Nationalrat und Regierungsrafc Dr. Emil Hofmann zum Sterben nieder. Was stets trüber werdende Berichte ahnen liessen, wurde Wirklichkeit. Dass wir auf die Todesbotschaft vorbereitet waren, mindert nicht den Schmerz, nicht den um den guten Menschen, nicht den um den treuen Beamten.

Nur wenige Wegsteine zeichnen den äussern Lebensgang des Entschlafenen. Er studierte Theologie, Philosophie und Staatswissenschaften und widmete sich nach bendigtem Studium zunächst dem geisllichen Amte.

Am Fusse des weingesegneten Sonnenberg, in der stillen Gemeinde Stettfurt im Kanton Thurgau, war er Pfarrer, Von dem Zeitpunkte an, als er ins öffentliche Leben trat, sind die thurgauische Parteigeschichte und die politischen Kämpfe mit seinem Namen verknüpft. Ein heftiger Kampf ging im Jahre 1898 seiner Wahl als Nationalrat voraus. Er quittierte zufolge der Wahl das Pfarramt und zog im Jahre 1905, nachdem er sieh in der Zwischenzeit mit wissenschaftlichen Publikationen beschäftigte, in den thurgauischen Regierungsrat ein, dem er bis zu
seinem Tode angehörte. Die heimatliche Presse rühmt ihm in der Verwaltung seiner Departemente, im Militardepartement und Baudepartement grosse Sachlichkeit und eine vorbildliche Treue zu Arbeit und Pflicht nach.

In der demokratischen Bewegung war Dr. Emil Hofmann, der politische Schüler von Theodor Curti und der Freund Scherrer-Füllemanns,

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ein unerschrockener und unermüdlicher Kämpfer. Seine Haüptaufmerksamkeit galt den sozialen Fragen, und was er im Dienste der Arbeitslosenversicherung gearbeitet hat, wird ihm unvergessen bleiben.

Persönlich liebenswürdig und dienstfertig, hatte er in allen Parteien Freunde, und er, der feurige Vertreter des Proporzes, verdankte es mehr seiner eigenen Persönlichkeit als dem Proporz, dass er mit grossem Mehr zum Vizepräsidenten und unbestritten zum Präsidenten der eidgenössischen Volksvertretung gewählt wurde.

Ein geradezu klassischer Zug, der an die Antike erinnert, ging durch Emil Hofmanns Leben, als seine beiden Söhne im Dienste des Vaterlandes als Opfer der Grippe bei den Truppenaufgeboten gegen den bösen Angriff auf unsere demokratische Staatslbrm ihm verloren gingen. Damals litt Dr. Emil Hofmann unendlich, ohne zu klagen. Das war antike, klassische Selbstbeherrschung und Unterordnung unter das allmächtige Schicksal, aber auch stille und ernst aufgefasste Opferwilligkeit für Volk und Vaterland.

Ein Staatsmann, ein universell und tief gebildeter, geistvoller Mensch, durch dessen Leben klassische Züge gehen, ist mit Dr. Emil Hofmann von uns geschieden.

Ich bitte Sie, zu Ehren der beiden entschlafenen Ratskollegen sich von Ihren Sitzen zu erheben.

In den N a t i o n a l r a t sind neu eingetreten: Herr Philippe-Henri B er g er, Mechaniker, von Oberthal (Bern), in Fontainemelon, an Stelle des verstorbenen Herrn Charles Naine ; Herr Enrico C e l i o , Rechtsanwalt, von Ambri, in Biasca, an Stelle des zurückgetretenen Herrn Angelo Tarchini; Herr Johann L y m a n n , Gemeindeammann, von Roggwil (Thurgau), in Kreuzungen, an Stelle des verstorbenen Herrn Dr. Emil Hofmann.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 17. März 1927.)

Gemass Mitteilung der estnischen Gesandtschaft ist in Bern ein estnisches Honorarkonsulat für die ganze Schweiz errichtet worden. Dem zum Honorarkonsul ernannten Herrn Hans H i r t e r , Chef der Kohlenhandlung J. Hirter & Cie. in Bern, ist vom Bundesrat das Exequatur erteilt worden.

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23.03.1927

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