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2264 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Volksbegehren über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind.

(Vom 5. Dezember 1927.)

Am 10. November 1921 sind der Bundeskanzlei 146,510 Unterschriften ·von Schweizerbürgern eingereicht worden, die folgendes Begehren stellen: «Nach dem jetzt geltenden Art. 32t(?r wird ein neuer Artikel in die Bundesverfassung aufgenommen, der folgendermassen lautot: Die Kantone und Gemeinden sind berechtigt, auf ihrem Gebiete die Fabrikation und den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, zu verbieten.

Der Erlass oder die Aufhebung solcher Verbote können sowohl nach den Bestimmungen des kantonalen Eechts erfolgen als auch durch Volksabstimmung in dem Kanton oder in der Gemeinde, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten eine solche verlangt.» Von den 146,510 eingereichten Unterschriften wurden 145,761 als gültig wnd 749 als ungültig erkannt.

Von den gültigen Unterschriften entfallen auf die einzelnen Kantone: Zürich 20,789 Unterschriften Bern 32,564 » Luzern 2,458 » Uri 303 » Schwyz 866 » Unterwaiden Ob dem Wald 49 » Unterwaiden Nid dem Wald 8 » Glarus 1,529 ' » Zug 500 n Freiburg 1,052 » Solothurn 4,866 » Übertrag

64,984 Unterschriften

592 Übertrag Baselstadt Baselland Schaffhausen Appenzell A.-Eh Appenzell I.-Eh St. Gallen Graubünden Aargau Thurgau Tessin Waadt Wallis Neaenburg Genf

64,984 Unterschriften 12,070 3,780 8,407 3.308 656 11,626 4,285 8,364 4,325 64 14,105 247 8,535 6,005

Total 145,761 Unterschriften Mit Bericht vom 13. März 1922 (Bundesbl. 1922,1, 329) leitete der Bundesrat das Initiativbegehren gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892 an die Bundesversammlung. Der Ständerat nahm am 14. Juni und der Nationalrat am 30. Juni 1922 von diesem Berichte Vormerk, mit der Einladung an den Bundesrat, die weitem Vorkehren zu treffen.

Wir beehren uns, Ihnen im Nachstehenden Bericht und Antrag über diese Initiative zu unterbreiten:

I.

Entstellung der Lokaloption und ihre Einführung in die Alkoholgesetzgebungverschiedener Staaten des Auslandes.

Die Lokaloption *) ist eine Einrichtung, die auf amerikanischem Boden entstanden ist. Sie besteht darin, dass grössere oder kleinere Teile eines Staatswesens (Kantone, Bezirke, Gemeinden) das Eecht erhalten, durch Abstimmung der stimmfähigen Bürger das Alkoholverbot zum lokalen Gesetz zu eiheben**) *) Der Einfachheit halber werden wir im folgenden den Ausdruck Lokaloption gebrauchen, und zwar auch im Hinblick auf die Initiative, die nicht nur ein Gemeindeverbotsrecht, sondern auch ein Kantonsverbotsrecht fordert.

**) Eidgenossisches Statistisches Bureau: Zur Alkoholfrage, Vergleichende Darstellung der Gesetze und Erfahrungen einiger auslandischer Staaten, 1884, S. 596.

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Dieses Verbot kann für sämtliche alkoholische Getränke oder auch nur für die gebrannten geistigen Getränke gelten.

Wesen und Zweck dieser Einrichtung kann am besten durch einen kurzen Hinweis auf ihre geschichtliche Entwicklung verdeutlicht werden.

Nachdem schon in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ganze Anzahl von Staaten der nordamerikanischen Union den Versuch gemacht hatten, die Prohibition auf ihrem gesamten Gebiete einzuführen, mussten verschiedene Staaten infolge unbefriedigender Erfahrungen wieder zum Lizenzsystem zurückkehren. Sie wollten aber die Möglichkeit beibehalten, dass die der Prohibition günstig gesinnten Gemeinden das Alkoholverbot aufrechterhalten konnten, und schufen die Lokaloption, die namentlich auf dem Lande grossen Anklang fand. So hat z. B. der Staat Massachusetts 1852 ein Prohibitionsgesetz erlassen und dieses 1875 durch ein Lizenzgesetz mit einer Art Lokaloption ersetzt. Ähnliches geschah in Connecticut, Ehode-Island, Nebraska, Süd-Dakota . . etc. Diesem Vorgehen schlössen sich auch Staaten an, ·die noch kein Prohibitionsgesetz erlassen und bisher auf dem Boden der Alkoholbesteuerung gestanden hatten *).

Aus diesen Verhältnissen heraus ist die Lokaloption entstanden, und es scheint, dass man in Amerika im allgemeinen damit keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Bald drang der Gedanke der Lokaloption auch nach Europa, wo er in Finnland und Norwegen seine erste Verwirklichung fand.

In Finnland ist die Lokaloption durch die Gesetze von 1855, 1873 und 1886 normiert worden, durch die den Landgemeinden das Eecht verliehen wurde, den Verkauf und Ausschank von Branntwein zu verbieten. In den Städten erhielten die Behörden erst 1892 das Eecht, über die Zahl der zuzulassenden Konzessionen und die Form ihrer Ausübung zu bestimmen.

IQ Norwegen ist die Lokaloption 1894 auch für die städtischen Gemeinden eingeführt worden, nachdem bereits vorher die Landgemeinden eine Art von Optionsrecht besessen hatten. Mit dem Gesetz von 1894 erhielten die Gemeinden das Eecht, durch eine alle sechs Jahre stattfindende Abstimmung der über 25 Jahre alten Männer und Frauen darüber zu entscheiden, ob der Branntweinhandel innerhalb der Gemeinde zugelassen werden sollte oder nicht.

Eine solche Abstimmung hatte stattzufinden, sobald 1/20 der Stimmberechtigten sie forderte. In
den daraufhin vorgenommenen Abstimmungen haben sich tatsächlich zahlreiche Gemeinden für die Abschaffung des Branntweinhandels ausgesprochen **). Bekanntlich hat dann Norwegen später das Branntweinverbot auf das ganze Staatsgebiet ausgedehnt, ist aber in jüngster Zeit wieder zu einem System zurückgekehrt, in welchem die Lokaloption eine wichtige Eolle spielt.

*) Eidgenössisches Statistisches Bureau, a. a. 0. S. 586; Bowntree and Sherwell, State Prohibition and Local Option, London, 1900.

**) Schmölders, Prohibition im Norden, Berlin, 1926, S. 32.

094 Auch in Schweden und Dänemark wurde jahrelang um die Einführung des Gemeindebestimmungsrechtes gekärnpft.

In S c h w e d e n wird schon seit 1865 eine Art von Lokaloption angewendet, wobei nicht das Volk, sondern der Gemeinderat die Entscheidungtrifft, ob der Branntweinverkauf zugelassen werden soll oder nicht. Ferner ist auch das sogenannte Bratt-System zur Einführung gelangt, das den Branntweinverkauf nach der Menge normiert und nur gegen eine Kartezulässt.

In D ä n e m a r k ist die Lokaloption seit 1925 eingeführt. Tatsächlich stand sie schon seit 1920 im Gebrauch, da die Gemeinden durch Abstimmung die Verweigerung der Abgabe von Branntweinverkaufspatenten beantragen konnten und ihr Abstimmungsergebnis von der Regierung stets anerkannt wurde.

Im weitern hat auch Schottland seit 1913 ein Gesetz, welches den Gemeinden das Kecht gibt, die Zahl der Schankstellen zu beschränken oder ganz aufzuheben. Die Aufhebung der Schankstellen gilt als beschlossen,, wenn 35 % der Stimmberechtigten und 55 % der abgegebenen Stimmen sich dafür ausgesprochen haben. Dieses Gesetz ist 1920 in Kraft getreten, und bereits haben zahlreiche Gemeinden von dem Hechte der Lokaloption Gebrauch gemacht *).

In K a n a d a wurde die während der Kriegszeit in allen Staaten, mit Ausnahme von Quebeck, eingeführte Prohibition Schritt für Schritt aufgehoben und durch verschiedenartige staatliche Kontrollsysteme ersetzt. Die Lokaloption, welche in einzelnen Staaten von Kanada seit mehr als 40 Jahren besteht, wurde durch die oben geschilderten Änderungen nicht berührt.

Auch in andern Teilen des britischen Reiches ist die Lokaloption zur Einführung gelangt, so in Australien und Neuseeland.

Auch in Holland und Deutschland sind schon seit langem Bestrebungen im Gang, uni die Lokaloption einzuführen. Der deutsche Reichstag sprach sich kurzlich gegen die Aufnahme des Gemeindebestimmungsrechtes bzw. der Lokaloption in das neue deutsche Schankgesetz aus.

In P o l e n wurde die Lokaloption im Jahre 1921 eingeführt und zwarnicht nur für die Gemeinden, sondern auch für die Bezirke.

Ebenso ist die Lokaloption in L i t a u e n , E s t l a n d sowie in Bulg a r i e n zur Einführung gelangt.

Im allgemeinen ist jedoch in den weinbautreibenden Ländern der Boden für die Bestrebungen der Lokaloption offenbar nicht günstig; verschiedene
Staaten, besonders Italien, haben zu andern Massnahmen gegriffen. Sie verminderten die Zahl der Schankstätten und schränkten den Verbrauch von gebrannten Wassern mit hohen Steuern ein.

*) Internationale Zeitschrift gegen den Alkoholismus, 1924, S. 32.

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, .

II.

Die schweizerische Alkoholgesetzgebung und die Lokaloption in der Schweiz.

Schon früh wurde der Gedanke der Lokaloption von den alkoholgeguerischen Kreisen auch in die Schweiz getragen, wo er mit den Jahren eine Schar von Anhängern gewann.

Immerhin konnte der Gedanke der Lokaloption aus dem Grunde nicht so recht Boden fassen, weil die Verhältnisse bei uns in der Schweiz von jeher ganz andere waren als in dem Ursprungsland der Lokaloption, den Vereinigten Staaten von Amerika, -vso dio Gebietseinheiten der Gemeindewesen so viel grösser sind als bei uns.

Manistinder Schweizin den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf Grund langjähriger Erfahrungen gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass die bis dahin bestehende weitgehende Autonomie der Kautono in Sachen der Alkoholgesetzgebung die wirksame Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs, beeinträchtigt hat. So kam man zu einer Vereinheitlichung der Alkoholgesetzgebung in einer Zeit, da gleichzeitig die Staaten der nordamerikanischen Union zu der Dezentralisation der Kompetenzen, d. h. zur Lokaloption schritten.

Die verfassungsrechtliche Ordnung des Alkoholwesens, wie sie durch die Art. 31 und 32b:ls der Bundesverfassung im Jahre 1885 getroffen wurde, schloss, wie der frühere Art. 31 BV, die Möglichkeit einer Lokaloption im Sinne eines kantonalen oder gemein deweisen Alkoholverbotes aus. Die Kantone erhielten zwar in Erweiterung ihrer Kompetenzen durch Art. 31, lit. c, die Be fugnis, das Wirtschaftsweisen und den Kleinhandel mit geistigen Getränken auf dem Wege der Gesetzgebung den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterwerfen. Es steht ihnen aber nicht zu, das Wirtschaftswesen und den Kleinhandel mit geistigen Getränken einfach zu verbieten, noch diese Befugnis den Gemeinden zu delegieren, weil Art. 81 der Bundesverfassung nur eine Einschränkang, nicht aber ein Verbot zulässt.

Auch der Bund, der gemkäs Art. 32Ws, Abs. l, das Gesetzgebungsrecht über die Fabrikation und den Verkauf gebrannter Wasser besitzt, dürfte im Sinne dieses Artikels weder selbst noch durch Delegation an Kantone oder Gemeinden ein Branntweinverbot aufstellen.

Die Verwirklichung des kantonalen oder gemeindeweisen Verbotsrechtes für gebrannte oder nicht gebrannte geistige Getränke ist somit nur durch eine Teilrevision der Bundesverfassung möglich. Es
hat hierüber ein ernstlicher Zweifel nie geherrscht.

Es darf aber auch darauf hingewiesen werden, dass die eben genannten Schranken der Bundesverfassung kein Hindernis für eine wirksame Bekämpfung des Alkoholmissbrauches bilden. Wie bereits erwähnt, dürfen die Kantone das Wirtschaftswesen und den Kleinhandel mit geistigen Getränken allen durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen^ Sie können die Zahl der Ausschank- und Kleinhandelsstellen beschränken (Bedürfnisklausel) ;

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sie können die Erfüllung bestimmter Bedingungen fordern, Betriebsvorschriften aufstellen und Patentgebühren erheben.

Es steht ihnen auch nichts im Wege, die Zahl der schon bestehenden Ausschank- und Kleinverkaufsstellen zu vermindern, wie dies beispielsweise im Art. 22 des Wirtschaftsgesetzes des Kantons Appenzell A.-Eh. vorgesehen ist.

Dort wird bestimmt, dass der Ertrag der Patentgebühren zum Teil zur freiwilligen Ablösung bestehender Wirtschaften dienen soll. Die Kantone haben aber auch die Möglichkeit, die öffnungs- und Schliessungszeit der Ausschankund Kleinverkaufsstellen nach freiem Ermessen festzusetzen und den Betrieb der Wirtschaften und Kleinverkaufsstellen gerade für die Zeiten zu verbieten oder einzuschränken, in denen die Gefahr des Alkoholmissbrauchs besonders besteht (Morgenschnaps, Alkoholgenuss an Samstagen und Sonntagen).

Bereits haben verschiedene Kantone schützende Bestimmungen nach dieser Bichtung vorgesehen. So dürfen z. B. im Kanton Freiburg gebrannte Wasser nicht vor 9 Uhr morgens verabreicht werden. Eine ähnliche Bestimmung gilt im Kanton Waadt. Auch ist der Ausschank geistiger Getränke in mehreren Kantonen teilweise am Sonntag Vormittag, der Kleinverkauf dagegen den ganzen Tag untersagt. Immerhin bedeuten diese Beschränkungen noch wenig und könnten, falls notwendig, noch sehr ausgebaut werden.

Allerdings stehen alle diese Kompetenzen nur den Kantonen, nicht aber den Gemeinden zu; doch haben viele Kantone den Gemeinden wenigstens ein Mitspracherecht in der Behandlung des Ausschankes und des Kleinverkaufs geistiger Getränke zugestanden. In der Regel werden die Gemeinden bei der Ausstellung und Erneuerung von Wirtschafts- und Kleinhandelspatenten zur Begutachtung herangezogen und wird ihnen die Polizeiaufsicht überlassen.

In vielen Kantonen dürfen sie auch die Schliessungsstunde der Wirtschaften nach eigenem Ermessen vorrücken oder überhaupt selbst bestimmen, wie z. B.

in der Waadt.

In verschiedenen Kantonen gehen die Kompetenzen der Gemeinden noch weiter. Im Kanton Glarus kann der Ortsgemeinderat die Erneuerung bestehender oder die Erteilung weiterer Bewilligungen unter Vorbehalt des Rekursrechtes an die Regierung verweigern, wenn das öffentliche Wohl durch die Zahl der Wirtschaften gefährdet ist (§ 7 des Wirtschaftsgesetzes von 1904).

Ebenso kann im Kanton Waadt
in Gemeinden, in denen noch keine Ausschankoder Kleinverkaufsstelle für alkoholische Getränke besteht, ein Patent nur mit Einwilligung der Gemeindeversammlung oder des Gemeinderates gewährt -werden (Art. 12 des Wirtschaftsgesetzes vom 80. Juli 1920). In den Kantonen St. Gallen, Graubünden, Thurgau und Wallis können die Gemeinden die zulässige Zahl der Kleinverkaufspatente selbst festsetzen, und in den Kantonen Graubünden und Wallis erfolgt die Abgabe der Wirtschafts- und Kleinhandelspatente zum grössten Teil durch die Gemeindeorgane selbst.

Wir haben aber auch zwei Kantone, in denen das Gemeindebestimmungslecht im Sinne einer Einschränkung des Vertriebes alkoholischer Getränke

als Ergebnis einer Abstimmung in der Gemeinde bereits verwirklicht ist. Es sind dies die Kantone Freiburg und St. Gallen.

Das freiburgische Wirtschaftsgesetz vom 20. Mai 1919 sieht in Art. 5 vor. dass auf Antrag eines Fünftels der Bevölkerung einer Gemeinde eine Abstimmung darüber stattzufinden hat, ob und inwieweit die Zahl der Wirtschaften zu \ermindern sei und ob eine bestimmte Zahl von Patenten mit Ausschank gebrannter Wasser in solche ohne Ausschank gebrannter Wasser umzuwandeln sei. Mündige Frauen haben ebenfalls das Vorschlagsrecht, sind jedoch von der Abstimmung ausgeschlossen.

Das st. gallische Wirtschaftsgesetz vom 25. Mai 1905 bestimmt in Art. 6, dass wenn an einem Ort das öffentliche Wohl durch die Vermehrung der Zahl der Wirtschaften gefährdet erscheint, die politische Bürgerversammlung beschliessen kann, es sei die Erteilung neuer Wirtschaftspatente auf ihrem Gebiete oder auf einem bestimmt umschriebenen Teile desselben bis auf weiteres zu verweigern. Der Beschluss bedarf indessen der Genehmigung des Eegierungsrates.

In den Kantonen Graubündeii und Wallis, in denen die Gemeinden selbst die Patente erteilen, sind die zuständigen Gemeindeorgane ausdrücklich durch das Gesetz ermächtigt, die Zahl der Wirtschaften einzuschränken, wenn das öffentliche Wohl es verlangt.

Ausserdem enthält der § 69 des zürcherischen Gesetzes die Bestimmung, dass die Gemeinderäte bzw. die örtlichen Gesundheitsbehörden befugt sind.

weitere durch die örtlichen Verhältnisse bedingte Bestimmungen betreffend die Wirtschaftspolizei bezw. solche gesundheitspolizeilicher Natur zu erlassen.

Vorbehalten ist die Genehmigung der kantonalen Polizei- resp. Sanitätsdirektion. Noch weiter geht das Freiburger Gesetz in Art. 49, der bestimmt, dass sämtliche Behörden (offenbar mit Einschluss der Gemeindebehörden) die Pflicht haben, alle nützlichen Massnahmen zu ergreifen, um gegen den Alkoholmissbrauch und seine unglücklichen Folgen zu kämpfen. Ferner sieht auch das waadtländische Wirtschaftsgesetz von 1920 in Art. 31 vor, dass Gemeindereglemente die Vorschriften aufzustellen haben, die im Interesse der öffentlichen Ordnung sich als notwendig erweisen.

Dieser Überblick, der nach verschiedenen Eichtungen noch ergänzt werden konnte, soll Ihnen zeigen, dass die Kantone und Gemeinden in der Schweiz bereits unter der bisherigen
Ordnung die Möglichkeit haben, Massnahmen zur Bekämpfung der Missbrauche im Ausschank- und Kleinhandel mit geistigen Getränken zu treffen. Immerhin soll nicht bestritten werden, dass diese Kompetenzen, die besonders bei den Gemeinden nicht sehr gross sind, in vielen Fällen nicht genügen, um den Alkoholmissbrauch wirksam zu bekämpfen. Die Gemeinden, die von ihren Kompetenzen vollen Gebrauch gemacht haben, sind aber nicht zahlreich, Bundesblatt. 79. Jahrg. Bd. II.

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598 III.

Bestrebungen zur Einführung der Lokaloption in der Schweiz.

Der erste in der Schweiz unternommene Versuch, die Lokaloption in die schweizerische Alkoholgesetzgebung einzuführen, ging von dem bekannten Staatsrechtslehrer und Schriftsteller Professor Hilty aus. Anlässlich der Beratung des in Revision stehenden Alkoholgesetzes reichte Professor Hilty am 12. Dezember 1899 im Nationalrat nachfolgendes Postulat ein: «Der Bundesrat wird ersucht, in Erwägung zu ziehen, ob nicht eine Bevision des Art. 31 der Bundesverfassung in dem Sinne vorzugsweise anzubahnen sei, dass es jedem Kanton und jeder Gemeinde gestattet sei, für seine resp. ihre Bezirke Massregeln gegen den Alkoholismus eintreten zu lassen, ohne durch den Grundsatz der Gewerbefreiheit daran gebindert zu sein *).» In seiner Begründung wies Professor Hilty darauf hin, dass die eidgenössische Alkoholgesetzgebung, wie sie in den Jahren 1885/87 eingeführt wurde, volkshygienisch nur eine unvollständige Wirkung ausgeübt habe, und die Gefahr des Alkoholismus in unserm Lande nach wie vor gross sei. Darum solle man den Kantonen und Gemeinden, welche von der Schädlichkeit des Alkoholismus überzeugt sind, erlauben, den Alkoholvertrieb auszuschliessen.

Dann werde man in 10 bis 20 Jahren den Unterschied zwischen den Gemeinden sehen, und diese demonstratio ad oculos beweise mehr als alle Aufklärungsarbeit.

Die guten Tendenzen, die Professor Hilty mit seinem Postulat verfolgte, wurden zwar allgemein anerkannt, doch wiesen verschiedene Eedner im Nationalrat, wie z. B. Herr Curti, auf die Schwierigkeit hin, welche sich der Einführung einer solchen Bestimmung entgegenstellen wurden. Das Postulat wurde denn auch abgelehnt, doch kam der Berichterstatter der ständerätlichen Kommission für die Bevision des Alkoholgesetzes, von Arx, im Ständerat noch einmal auf dieses Postulat zu sprechen. Er bemerkte, dass die schweizerischen Verhältnisse doch ganz andere seien als in den Ländern, in denen die Lokaloption zuerst aufkam, und dass eine Vermehrung der Autonomie der Gemeinden im Wirtschaftswesen das Übel nur noch vergróssere. Immerhin gab er zu, dass auch die eidgenössische Alkoholgesetzgebung ihre Schattenseiten habe und der Art. 32bls der Bundesverfassung leider die Vermehrung der Produktion der freien Brennerei bewirke, sobald die Verkaufspreise der Alkohol Verwaltung
erhöht werden**).

Seither hat die Frage geruht, bis sie durch die Anhandnahme der Bevision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung im Jahre 1919 wieder aufgeworfen wurde. Schon zwei Jahre vorher hatte sich eine Gesellschaft für *) Amtl. Stenogr. Bulletin der Bundesversammlung, IX, 1899, S. 850. -- Vgl.

auch Hilty, Das Alkoholpostulat, im Politischen Jahrbuch der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1900, S. 76 ff.

**\ *) Stenogr. Bulletin der Bundesversammlung, X, 1900, S. 14/15.

599 das Gemeindebestimmungsrecht gebildet, die sich speziell zur Aufgabe machte, für die Verwirklichung des Gemeindeverbotsrechts in der Schweiz zu arbeiten.

Nachdem wir Ihnen am 27. Juni 1919 eine Botschaft für die Eevision der Art. 81 und 321"18 der Bundesverfassung unterbreiteten und der Nationalrat die Vorlage in Behandlung genommen hatte, gelangten die schweizerischen Alkoholgegner mit der Anregung an die nationalrätliche Kommission, dass das Gemeindeverbotsrecht in den neuen Verfassungsartikel aufgenommen werden sollte. Die nationalrätliche Kommission kam aber zu dem Schluss, dass es besser sei, das ohnehin mit Schwierigkeiten verknüpfte Eevisionswerk nicht noch mit der umstrittenen Lokaloption zu belasten. Sie musste daher die Anregung der schweizerischen Alkoholgegner ablehnen. Darauf beschloss der Beirat der schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung des Alkoholismus am 27. November 1920, eine Initiative in die Wege zu leiten, um auf diesem Wege die Aufnahme der Lokaloption in die Bundesverfassung zu erreichen.

Das Ergebnis ist nun die Initiative, über die wir Ihnen Bericht und Antrag einzubringen haben.

IV.

Gegenstand and Zweck der Initiative.

Die Initiative geht darauf hinaus, Kantonen und Gemeinden von Bundes wegen die Befugnis zu erteilen, dass sie auf ihrem Gebiete die Fabrikatioü und den Verkauf gebrannter Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, verbieten können. Der Erlass oder die Aufhebung eines solchen Verbotes soll sowohl nach den Bestimmungen des kantonalen Eechtes, als durch eine Volksabstimmung in einem Kanton oder einer Gemeinde erfolgen können, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten eine solche verlangt.

Inhaltlich gibt die Initiative Kantonen und Gemeinden das Eecht, ein Verbot für die Fabrikation und den Verkauf von Trinkbranniwein, nicht aber für den Genuss zu erlassen. Auch die Einfuhr und der Verkehr mit Trinkbranntwein kann, soweit er nicht dem Verkauf innerhalb des Kantons oder der Gemeinde dient, nicht verboten werden.

Möglich ist die Beschränkung des Verbotes auf den Verkauf gebrannter Wasser innerhalb des Kantons, resp. der Gemeinde, unter Freilassung der Herstellung von Trinkbranntwein und des Verkaufs ausserhalb der Verbotgrenze. Möglich ist ferner die Beschränkung eines Verbotes auf gewisse Teile des Kantons- oder Gemeindegebietes. Im ganzen lässt die Initiative eine ziemlich weitgehende Anpassung an die besonderen örtlichen Verhältnisse zu.

Für das Verfahren sind ebenfalls verschiedene Möglichkeiten vorgesehen : 1. Die kantonalen Behörden können von sich aus und nach kantonalem Eecht ein Verbot für Trinkbranntwein erlassen, ohne auf die Initiative aus

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dem Volke warten zu müssen. Ob in diesem l'ali eine Volksabstimmung stattzufinden hat, entscheidet sich nach der kantonalen Verfassung bezw. Gesetzgebung.

2. Ungeachtet der kantonalen Gesetzgebung soll eine Volksabstimmung in einem Kanton oder einer Gemeinde vorgenommen werden, sobald ein Zehntel der Stimmberechtigten sie verlangt.

Die Initiative sieht auch ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein bestehendes Trinkbranntweinverbot auf dem gleichen Wege wieder aufgehoben werden kann.

V.

Gründe für und gegen die Lokaloption im Sinne der Initiative.

Die Bewegung, welche zur Entstehung der Initiative für die Lokaloption Anlass gegeben hat, wurzelt vor allem in folgender Überlegung: Kantone und Gemeinden, in denen der Schnapsmissbrauch Verbreitung gefunden hat, werden durch die eintretende Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse unmittelbar betroffen und haben die Folgen des Schnapsmissbrauches in Form erhöhter Armenlasten zu tragen. Wenn solche Kantone oder Gemeinden, in Erkenntnis ihrer gefährdeten Lage, den Schnaps als eine Ursache dieser Übel durch Verbot aus der Welt schaffen wollen, so sollen sie daran durch entgegenstehende eidgenössische oder kantonale Vorschriften nicht gehindert werden. Sie sollen nicht warten müssen, bis eine solche Massnahme von Bund oder Kanton ergriffen wird und sollen nicht wider ihren Willen dazu gezwungen werden, die Herstellung und den Verkauf von Trinkbranntwein zuzulassen, wenn sie ihn nicht mehr dulden wollen.

Dieses Hauptargument bildet gewissermassen die innere Eechtfertigung der ganzen Bewegung. Die Initianten hoffen auf diesem Wege den Branntweinverbrauch wenigstens da einschränken zu können, wo die Mehrheit der Bevölkerung dafür ist und erwarten, dass der Alkoholismus in den Gegenden zurückgedrängt werden kann, in denen das Branntweinverbot eingeführt wird.

Die Initianten erwarten aber auch, dass der einmal gegebene Anstoss bald vielfache Nachahmung finden wird. Wie schon Professor Hilty bei der Begründung seines Postulates ausgeführt hat, soll sich der Unterschied zwischen Kantonen und Gemeinden mit Verbot und solchen ohne Verbot so deutlich durch den steigenden Wrohlstand der Verbotsgebiete zeigen, dass das Volk auf diese Weise besser als durch jede andere Aufklärung vom Wert alkoholgegnerischer Massnahmen überzeugt wird.
Nicht zuletzt sehen die Initianten in der Lokaloption einen wertvollen Ausbau unserer demokratischen Volksrechte. Dass die Geneigtheit für ein Branntweinverbot auf kantonaler oder gemeindeweiser Grundlage bei einem guten Teil des Volkes vorhanden sei, schliessen die Initianten aus den Ergebnissen der von der schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung des Alkoholismus in den Jahren 1919 und 1920 organisierten Probeabstimmungen.

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Zu diesen Überlegungen, die zugunsten der Initiative sprechen, möchten wir folgende Erwägungen anbringen: 1. Die Initiative für die Lokaloption soll vor allem der Bekämpfung des Schnapsmissbrauches dienen. Wir stehen nicht an, zu erklären, dass wir alle Bestrebungen begrüssen, die geeignet sind, die Bekämpfung des Schnapsmissbrauches in der Schweiz zu fördern. Die Präge ist nur die, ob die vorliegende Initiative dieses Ziel erreichen kann, was uns zweifelhaft erscheint. Schon ihre Annahme durch Volk und Stände wird grossen Schwierigkeiten begegnen.

Wir brauchen nur an das leider negative Ergebnis der Abstimmung vom 3. Juni 1923 zu erinnern, die den ersten Entwurf zu einer Eevision der Verfassungsbestimmungen über das Alkoholwesen zu Fall brachte, und die auch für die Beurteilung der Initiative sehr lehrreich ist. Obschon es sich bei jener Vorlage nur um die Kegelung und gar nicht um die Abschaffung der Brennerei handelte, ist sie doch mit dem starken Mehr von zirka 100,000 Stimmen und einem starken Ständemehr verworfen worden. Es erscheint uns daher zum vornherein unwahrscheinlich, dass das Volk eine Vorlage annehmen wird, welche Kantonen und Gemeinden das Recht gibt, die Herstellung und den Verkauf von Trinkbranntwein auf ihrem Gebiet völlig zu verbieten.

Vielleicht ist auch die Verwerfung der Initiative trotz ihren guten Absichten geeignet, der Sache der Bekämpfung des Alkoholismus Schaden zuzufügen. Ist es richtig, dass der Bundesrat und die Bundesversammlung nach dem Misserfolg vom 3. Juni 1923 einen neuen "Versuch machen, der zum vornherein zu einem fast sichern Misserfolg führen muss ? Es ist viel besser, wenn alle wohlgesinnten Kreise mit vereinten Kräften eine Vorlage zu fördern suchen, die auch wirklich Aussichten hat, in der Abstimmung angenommen zu werden.

Ohne die von den besten Absichten geleiteten Bestrebungen der Initianten der Lokaloption zu verkennen, glauben wir, ihnen auf dem betretenen Wege nicht folgen zu können.

2. Selbst im Falle, dass die Mehrheit des Volkes und der Stände die Initiative annehmen würde, erscheint es uns sehr zweifelhaft, ob die Einführung der Lokaloption an dem tatsächlichen Zustand der Dinge viel ändern würde.

In Wirklichkeit würden ja von der Lokaloption nur die Kantone und Gemeinden etwas spüren, die sich dazu entschliessen, auf ihrem Gebiet das
Verbot der Herstellung und des Verkaufs von Trinkbranntwein einzuführen. Es ist auch vorauszusehen, dass das Branntweinverbot gerade in den Gemeinden eine Mehrheit nicht erzielen wird, in denen viel gebrannt wird. Die Abstimmung vom 3. Juni 1923 hat ergeben, dass die Alkoholvorlage mit ihrer Beschränkung der Brennerei in allen den Gegenden mit starker Mehrheit verworfen worden ist, in denen viele Brennapparate vorhanden sind.

Als Beleg für diese Tatsache möge die nachfolgende Zusammenstellung dienen :

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Es wurden gezählt: Anzahl Nein auf 100 Stimmende

Anzahl Brennapparate auf 1000 Einwohner

Kanton Luzern 83,0 Nein 22,n Brennapparate » Schwyz 79;1 » 18,55 » » Obwalden 76n » 35,97 » » Nidwaiden 79,3 » 24,14 » » Zug 77,! » 21,82 » » Baselland 74,9 » 22,42 » Die Kantone, welche über 70 % verwerfende Stimmen aufwiesen, zählten sämtlich über 18 Brennapparate auf 1000 Einwohner; keiner der annehmenden Kantone hatte mehr als 14 Brennapparate auf 1000 Einwohner. Die Kantone, welche die Bevisionsyorlage mit schöner Mehrheit angenommen haben, sind solche, die auch relativ am wenigsten Brennapparate aufweisen, z. B. Baselstadt, Tessin, Neuenburg, Graubünden.

Ähnliche Ergebnisse werden sich sicher auch bei der Abstimmung über die Lokaloption ergeben. Wo viel gebrannt wird, wird es kaum gelingen, ein Branntweinverbot einzuführen, und das gleiche gilt auch für die Gegenden, wo viel Branntwein verkauft wird. Es ist daher leider vorauszusehen, dass gerade die Kantone und Gemeinden, die am meisten unter dem Schnapsmissbrauch zu leiden haben, die sein werden, welche am wenigsten geneigt sind, von dem Lokaloptionsrecht Gebrauch zu machen. Schlussfolgerung: Selbst wenn die Lokaloption, die uns dem sichern Misserfolg ausgesetzt scheint, beim Volk und den Ständen Gnade finden würde, müsste dennoch ihre praktische Wirksamkeit sehr zweifelhaft bleiben.

3. Weitere Schwierigkeiten würden sich aber vor allem aus der Anwendung des Lokaloptionsrechtes im Sinne der Initiative ergeben. Nach dem Text der Initiative können Kantone und Gemeinden den Verkauf und auch die Fabrikation von Trinkbranntwein verbieten. Weiter geht ihre Kompetenz auch nach der Initiative nicht. Der Genus s von Trinkbranntwein als solcher könnte nicht verboten werden, ebensowenig die Einfuhr, soweit sie nicht zum Verkauf im Gemeindegebiet dient. -- Selbst wenn also ein Fabrikations- und Verkaufsverbot lückenlos durchgeführt werden könnte, müsste es doch immer noch einen legitimen Schnapsverbrauch im Verbotsgebiet geben, der nicht u n t e r d r ü c k t werden dürfte.

Wir wollen gerne anerkennen, dass die Stillegung der Fabrikation und des Verkaufs von Trinkbranntwein den Verbrauch erheblich einschränken kann.

Allein es ist nicht zu vergessen, dass an die Stelle der unterbundenen Verkaufsund Ausschankgelegenheiten neue, ausserhalb des Verbotsgebietes gelegene treten würden. Für die Kantone wäre diese Gefahr weniger gross als für die Gemeinden,
die im allgemeinen ein ganz bedeutend kleineres Gebiet haben, und deren Grenze, wenigstens im schweizerischen Flachland, in derEegel leicht und schnell erreicht werden kann.

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Sehr wahrscheinlich würden in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Grenzw i r t s c h a f t e n und Grenzverkaufsstellen entstehen, sofern nicht der Kanton das Patent wegen Mangel an einem örtlichen Bedürfnis verweigert.

Eine Verpflichtung zur Patentverweigerung besteht natürlich nicht für ihn.

Bei diesen Verhältnissen ist vor allem zu befürchten, dass das Schnapsv e r b o t gerade die Kreise nicht t r i f f t , die es t r e f f e n will. Die nüchterne Bevölkerung wird voraussichtlich noch weniger Schnaps trinken als zuvor, während die Trinker nicht zögern würden, sich ausserhalb der Verbotsgemeinde zu begeben, um ihrer Leidenschaft zu fröhnen und ihrer Gemeindebehörde ein Schnippchen zu schlagen. Wo die Verhältnisse derart sind, hat eine Gemeinde von einem Verbot kaum eine Verminderung ihrer Armen- und Krankenlasten zu erwarten. Wir weisen auch ferner darauf hin, dass die engen Grenzen der Mehrzahl unserer Gemeinden beim Problem der Lokaloption eine sehr wichtige Bolle spielen.

Diese Ausführungen zeigen, wie geringe Auswirkungen gerade ein gemeindeweises Branntweinverbot hat. Auch wenn die Durchführung des Verbotes an und für sich voll gelingt, muss das Verbot unvollständig wirken.

4. Die wohltätigen Wirkungen, welche die Initianten von einem kantonalen oder gemeindeweisen Branntweinverbot erwarten, f u s s e n auf der stillschweigenden Voraussetzung einer reibungslosen, praktischen D u r c h f ü h r u n g . Ob und inwieweit die Kantone und Gemeinden dazu faktisch imstande wären, ist eine Präge, die nicht ohne weiteres bejaht werden kann.

Man darf nicht vergessen, dass die Durchführung eines Verbots, das ein beliebtes, alteingesessenes Genussmittel betrifft, trotz Annahme durch die Mehrheit der Stimmberechtigten die grössten A n f o r d e r u n g e n an die Vollziehungsorgane stellt. Diesen Anforderungen sind aber gerade die Gemeinden nur in sehr unzureichendem Masse gewachsen.

Wir rechnen dazu vor allem die S t r a f g e w a l t , ohne die eine wirkliche Bespektierung eines so weitgehenden Verbots nicht zu erreichen ist. Eine Gemeinde kann wohl Bussen auferlegen, aber Freiheitsstrafen dürfen nur die staatlichen Gerichte aussprechen, und dies auf Grund gesetzlicher Strafbestimmungen, die allein vom Bund oder von den Kantonen ausgehen können. Die Gemeinde ist also nicht nur in der Bekämpfung der
Grenzwirtschaften und Grenzverkaufsstellen von ihrem Kanton abhängig, sondern auch in der Ahndung der Verbotsübertretungen. Damit aber die kantonalen Gerichte die Übertreter eines Gemeindeverbotes strafrechtlich aburteilen dürfen, muss der Kanton auf dem Gesetzgebungswege die nötige Grundlage dafür schaffen.

Will nun ein Kanton aus irgendwelchen Gründen die Gemeinde in ihrer Verbotspolitik nicht unterstützen, so wird diese gegen ihre Verbotsbrecher nicht wirksam vorgehen und wird daher auch ihr Verbot nicht lange aufrecht erhalten können. Die Haltung des Kantons entscheidet in hohem Masse über die Wirksamkeit des Gemeindeverbotes.

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Dann kommt es bei allem guten Willen des Kantons noch sehr aut die Art der Durchführung des Verbots durch die Gemeinde selbst an. Ihr fällt vor allem die polizeiliche Ü b e r w a c h u n g des Gemeindegebietes zu. die sehr gut organisiert werden muss, wenn das Verbot innegehalten werden soll.

Wenn auch die Einfuhr von Trinkbranntwein als solche nach dem Wortlaut der Initiative nicht unmittelbar unter das Verbot fällt, so müsste die Gemeinde doch eine Grenzkontrolle an sämtlichen Zufahrtsstrassen und -wegen durchführen und überhaupt jeden Verkehr auf Gemeindegebiet überwachen. Dazu käme die Polizeiaufsicht, die zur Verhütung der verbotenen Herstellung und des Verkaufs von Trinkbranntwein im Gemeindegebiet notwendig würde.

Alle diese vermehrten Polizeimassregeln würden der Gemeinde nicht nur erhebliche Mehrkosten bringen, sondern würden auch von der Bevölkerimg und dem reisenden Publikum als sehr lästige Zwangsmassnahme empfunden werden.

Nach vielen Mühen ist man seinerzeit dazu gekommen, dass die Bundesverfassung alle Beschränkungen der Verkehrsfreiheit innerhalb unserer Landesgrenzen verbot. Es dürfen heute keine Eingangsgebühren und Octrois mehr an den Kantons- und Gemeindegrenzen erhoben werden. Mit der Lokaloption aber käme die neue Schranke der Verbotspolizei, die jeden Passanten und jeden Transport an der Grenze oder innerhalb der Gemeinde auf Trinkbranntwein untersuchen könnte. Es würde dies zweifellos zu grossen Unzuträglichkeiten führen.

Man kann sich in Anbetracht aller dieser Mängel tatsächlich fragen, ob das letzten Endes von einem Gemeindeverbot zu erwartende volkshygienische Ergebnis den Aufwand an polizeilicher Überwachung überhaupt lohnt. Wir glauben, diese Frage verneinen zu müssen.

Wir ziehen aus vorstehenden Ausführungen den Schluss, dass die praktische Durchführung eines Gemeindeverbotes f ü r Trinkbranntwein selbst bei wohlwollender U n t e r s t ü t z u n g durch den Kanton auf sehr grosse Schwierigkeiten stösst, dass sie aber nahezu unmöglich wird, wenn der Kanton seine U n t e r s t ü t z u n g versagt.

Verhältnismässig bedeutend leichter würde sich die Durchführung eines kantonalen Verbotes gestalten, da dem Kanton nicht nur ein grösseres Gebiet, sondern auch ganz andere Machtmittel zur Verfügung stehen, als den Gemeinden. Indessen würden auch hier die Schwierigkeiten
nicht ausbleiben, die mit jedem obrigkeitlichen Verbot verbunden sind, das ein beliebtes Genussmittel betrifft.

5. Was den Hinweis der Initiative auf den demokratischen Wert der Lokaloption anbelangt, der von ihren Befürwortern hervorgehoben wird, so kann man in guten Treuen daran zweifeln. Wir möchten uns darauf beschränken, auf folgendes hinzuweisen: Das Branntweinverbot, selbst wenn es von der Mehrheit der stimmberechtigten Bürger eines Kantons oder einer Gemeinde ausgeht, wird vom Schweizerbürger im allgemeinen als einen zu weit gehenden Eingriff in seine persönliche Freiheit betrachtet. Die Erfahrungen,

605 die man mit dem Absinthverbot gemacht hat, sind nicht derart ermutigend, als dass sie darüber eine andere Anschauung aufkommen Hessen.

6. Nach unsern Ausführungen über die Schwierigkeiten der praktischen Durchführung der Lokaloption müssen wir auch bezweifeln, dass der von den Initianten erwartete günstige Unterschied zwischen den Gebieten mit Verbot und ohne Verbot überhaupt eintritt. Damit fällt auch die aödere Hoffnung dahin, dass dieser Unterschied besser als jede Aufklärungsarbeit das Volk vom Wert alkoholgegnerischer Massnahmen überzeugen würde.

Offenbar liegt ja in dieser Hoffnung der stille Wunsch, dass die Lokaloption Vorarbeit für ein Landesverbot für Trinkbranntwein und schliesslich auch für die übrigen alkoholischen Getränke leiste.

So sehr wir es begrüssen, wenn der Schnapsverbrauch unseres Landes zurückgeht, so glauben wir nicht, dass der Weg über staatliche Verbote der richtige ist. Vielfache Erfahrungen beweisen, dass staatliche Verbote alkoholischer Getränke auf grossen Widerstand bei der Bevölkerung stossen und daher sehr schwer durchzuführen sind. Dir Ergebnis ist denn auch, gemessen am Aufwand, meistens sehr bescheiden. Der Staat soll die Bekämpfung des Alkoholmissbrauches wohl energisch unterstützen, doch muss dieser Kampf mit geeigneten Mitteln geführt werden.

Was endlich den Hinweis der Initianten auf die Probeabstimmungen anbetrifft, so sind deren Ergebnisse gewiss recht beachtenswert. Ein sachlichem Argument für die Lokaloption kann indessen darin nicht erblickt werden.

Die ziemlich günstigen Zahlen zeigen in Verbindung mit der relativ hohen Zahl von Unterschriften des Volksbegehrens, dass weite Kreise der Frage ihr Interesse zuwenden. Die Initiative entspringt in der Tat einem Bedürfnis, wenn auch der vorgeschlagene Weg zur Behebung der Alkoholmisstände in unserm Volk sich in Wirklichkeit als viel schwieriger erweist, als gemeinhin angenommen wird. Wir stehen auch unter dem Eindruck, dass diese Schwierigkeiten von den Initianten nicht genügend gewürdigt worden sind.

Es gibt neben der Lokaloption andere Wege, die vielleicht bescheidener aussehen, aber doch in praxi besser helfen, als die Lokaloption. Wir erinnern an die bereits aufgeführten Kompetenzen der Kantone und Gemeinden auf dem Gebiet des Wirtschaftswesens und des Kleinhandels mit geistigen Getränken,
die noch lange nicht ausgeschöpft sind und die Aufstellung ziemlich weitgehender Beschränkungen gestatten.

Wir erinnern nochmals daran, dass die Kantone das Wirtschaftswesen und den Kleinhandel mit geistigen Getränken weitgehenden Beschränkungen unterwerfen können. Wie wir schon oben erwähnt haben, liegt es in ihrer Hand, eine allzu grosse Ausbreitung der Ausschank- und Kleinverkaufsstellen für geistige Getränke zu verhindern und ihre Zahl zu vermindern. Ferner können die Kantone durch strenge Betriebsanforderungen und Beschränkung der Öffnungsdauer der Wirtschaften und Kleinverkaufsstellen in der Bekämpfung des Alkoholmissbrauches vieles erreichen. Kurz, die heutigen Verfassungsbestimmungen lassen den Kantonen so viel Freiheit in der Ausgestaltung und

606

Durchführung ihrer Wirtschafts- und Kleinverkaufsgesetzgebung, dass die Einräumung weiterer Kompetenzen gar nicht nötig ist. Wenn die bestehenden Kompetenzen voll ausgenützt werden, so kann die Bekämpfung des Alkoholmissbrauches sehr wirksam gestaltet werden .

Man wird vielleicht den Einwand erheben, dass auch innerhalb eines Kantons sehr verschiedene Verhältnisse möglich sind, die durch die Lokaloption besser berücksichtigt werden können, als durch die kantonale Wirtschafts- und Kleinverkaufsgesetzgebung, die für alle Gemeinden mehr oder weniger gleich ist. Es ist indessen nicht zu vergessen, dass die Kantone schon heute durch einen entsprechenden Ausbau ihrer Gesetzgebung die Möglichkeit haben, die besondern Verhältnisse einzelner Gegenden viel mehr zu berücksichtigen, als dies heute der Fall ist. Wir wollen zwar nicht bestreiteu, dass es Fälle geben kann, in denen diese Kompetenzen sich als nicht wirksam genug erweisen. Ob aber in diesen Fällen ein Verbot helfen würde, müssen wir nach dem Gesagten ebenfalls sehr bezweifeln.

7. Viel wirksamer als die Einführung der Lokaloption ist die Eevision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung, durch welche nun sämtliche Trinkbranntweine der Besteuerung unterstellt werden sollen. Geht auch die Steiier scheinbar weniger weit als ein Verbot, so lässt sie sich doch viel sicherer durchführen und begegnet nicht so starken Widerständen in der Bevölkerung wie ein Verbot. Wir hoffen, die öffentliche Meinung, diesen wichtigen Faktor für die Wirksamkeit aller fiskalischen Massnahmen, für das System der Besteuerimg gewinnen zu können. Typisch sind in dieser Hinsicht die Erfahrungen, welche die Schweiz mit dem A b s i n t h v e r b o t gemacht hat. Man darf annehmen, dass eine hohe Absinthsteuer wirksamer gewesen wäre als das Absinthverbot, das leider sehr häufig übertreten wird. Die besondern Verhältnisse unseres Landes, die Denkweise unseres Volkes, lassen den Schluss zu, dass man in der Schweiz mit der Steuer praktisch mehr erreichen wird, als mit einem Verbot.

Schon von diesem Gesichtspunkte aus ist die Eevision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung der Lokaloption vorzuziehen, ganz abgesehen davon, dass eine auf dem ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft in gleicher Weise durchgeführte Alkoholordnung viel grössere Vorzüge bietet und ungleich sicherer durchgeführt
werden kann als ein Lokal ver bot.

Aber auch in einem weitern Punkt zeigt sich die Eevisionsvorlage, wie sie heute vorliegt, der Initiative für die Lokaloption überlegen. Während die Initiative die Kantone und Gemeinden lediglich ermächtigt, ein Branntweinverbot aufzustellen und sich um die künftige Verwertung der bisherigen B r e n n e r e i r o h s t o f f e , namentlich der Obstabfälle, gar nicht kümmert, enthält die Eevisionsvorlage hierüber eine zweckrnässige, positive Lösung.

Man kann billigerweise den Produzenten nicht einfach das Brennen verbieten, ohne ihnen eine Möglichkeit zu geben, ihre Obstabfälle in anderer Weise zu verwerten.

Die Initianten, welche die Lokaloption vorschlagen, haben ferner die Auffassung, dass sich mit der Lokaloption die Frage der Abschaffung der Haus-

607 brennerei ganz von selbst ordne. Es scheint uns jedoch, dass man auf dein Wege der freiwilligen Übereinkunft, wie sie die Revisionsvorlage vorsieht, viel sicherer die Zahl der Hausbrennapparate vermindern kann, als wenn man einfach das Brennen verbietet und dieses Verbot nur mit sehr unzulänglichen Sanktionsmitteln durchführen kann.

Dies sind einige Gesichtspunkte, die zeigen, dass die Eevision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung in viel höherem Masse auf die besondem Misstände im schweizerischen Alkoholwesen Rücksicht nimmt, als dies bei der Initiative der Fall ist. Darum wird ihr auch die grössere Wirksamkeit beschieden sein; denn für schweizerische Verhältnisse gilt ganz besonders das Wort : «Das Bessere ist sehr oft der Feind vom Guten.» VI.

Schlussfolgerangen.

Wir kommen, gestützt auf vorstehende Ausführungen, zu dem Schluss, dass der Initiativvorschlag betreffend die Einführung der Lokaloption, trotz seiner sehr anerkennenswerten Tendenz, einen Fehlschlag bedeuten würde.

Infolge der grossen Schwierigkeiten, denen die Lokaloption besonders in unsern schweizerischen Verhältnissen begegnen würde, könnte sie nie zu voller Wirksamkeit kommen und würde daher auch die Bekämpfung des Schnapsmissbrauches nur in sehr unzureichender Weise ermöglichen. Wir erachten die glückliche Durchbringung des Eevisionswerkes der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung als ungleich aussichtsreicher und wichtiger für unsere Volksgesundheit, als den Gewinn, der tatsächlich aus der Einführung der Lokaloption zu erwarten wäre.

Wir sind der Meinung, dass die Kräfte nicht zersplittert werden dürfen.

Heute sollten sich alle Gegner des Alkoholmissbrauches, seien sie nun Abstinenten oder Nichtabstinenten, auf die Förderung der Eevisionsvorlage der eidgenössischen Behörden konzentrieren, von deren Gelingen oder Misslingen die Zukunft unserer Volksgesundheit, sowie der Sozialversicherung in hohem Masse abhängt.

Wir möchten Ihnen daher empfehlen, den Initiativvorschlag betreffend das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, mit dem Antrag auf Verwerfung dem Volk und den Ständen zu unterbreiten, und dem beigedruckten Beschlussesentwurf zuzustimmen.

Bern, den 5. Dezember 1927.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

608

,

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren für das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht des Volksbegehrens über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, eines Berichtes des Bundesrates Vom 5. Dezember 1927, gestützt auf Art. 121 ff. der Bundesverfassung und Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Revision der Bundesverfassung, beschliesst: Art. 1.

Es wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet das Volksbegehren über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, das lautet wie folgt: «Nach dem jetzt geltenden Art. 32ler wird ein neuer Artikel in die Bundesverfassung aufgenommen, der folgendermassen lautet: Die Kantone und die Gemeinden sind berechtigt, auf ihrem Gebiete die Fabrikation und den Verkauf der gebrannten Wasser, die zum Genuss bestimmt sind, zu verbieten.

Der Erlass oder die Aufhebung solcher Verbote können sowohl nach den Bestimmungen des kantonalen Bechts erfolgen, als auch durch Volksabstimmung in dem Kanton oder in der Gemeinde, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten eine solche verlangt.» Art. 2.

Dem Volke und den Standen wird die Verwerfung des Volksbegehrens beantragt.

Art. 3.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Bundesbeschlusses beauftragt.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Volksbegehren über das Kantons- und Gemeindeverbotsrecht für gebrannte Wasser, die zum Genuss bestimmt sind. (Vom 5. Dezember 1927.)

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1927

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07.12.1927

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591-608

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