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2275 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des abgeänderten Art. 50, Abs. 2, der Staatsververfassung des Kantons Zürich.

(Vom 16. Dezember 1927.)

In der Volksabstimmung vom 28. Oktober 1927 ist von den Stimmberechtigten des Kantons Züricb ein am 23. Mai 1927 vom Kantonsrate erlassenes Verfassungsgesetz über die Abänderung von Art. 50, Abs. 2, der Staatsverfassung angenommen worden. Dieser Artikel enthält Vorschriften über das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten, die in ihrer bisherigen und in ihrer neuen Passung folgendermassen lauten: Bisheriger Text.

Bei Fragen des Armenwesens, bei Bürgerrechtserteilungen, sowie bei Fragen der Verwaltung der rein bürgerlichen Separat- und Nutzungsgüter sind nur die in oder ausser der Gemeinde, jedoch im Kanton wohnenden Gemeindebürger stimmberechtigt.

Neuer Text.

In Angelegenheiten des Armenwesens sind die in der Gemeinde wohnhaften Schweizerbürger, bei Bürgerrechtserteilungen nur die in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger stimmbere chtigt.

Mit Schreiben vom 17. November dieses Jahres ersucht nun der Begierungsrat des Kantons Züricb um Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung für das neue Verfassungsgesetz. Es ist deshalb zu prüfen, ob dieses den Vorschriften des Bundesrechts entspricht. Als massgebend fällt dabei Art. 48 BV in Betracht, der die Voraussetzungen festlegt, bei deren Vorliegen dem Schweizerbürger das Stimmrecht sowohl in eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen zukommt, als auch in kantonalen Angelegenheiten vom Kanton zuerkannt werden mus s.

Gemäss Art. 43, Abs. 4, BV geniesst der niedergelassene Schweizerbürger an seinem Wohnsitze alle Eechte der Kantonsbürger und mit diesen auch alle Bechte der Gemeindebürger. Wenn nun die neue Verfassungsvorschrift in Armenangelegenheiten alle in einer Gemeinde wohnhaften Schweizerbürger für stimmberechtigt erklärt, so erfüllt sie damit gerade jene Forderung, die das Bundesrecht aufstellt.

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Man könnte sich fragen, ob der Gesetzgeber absichtlich in diesem Absatz 2 von Art. 50 der Kantonsverfassung den «Wohnsitz» zur Voraussetzung für die Erteilung des Stimmrechtes macht, währenddem der erste Absatz des gleichen Artikels 50 die «Niederlassung» als massgebend darstellt. Denn nach Bundesrecht sind diese beiden Begriffe nicht gleichbedeutend. Doch erübrigt es sich, auf diese Frage näher einzutreten. Art. 43, Abs. 4, BV sichert die Etchte der Kantons- und Gemeindebürger den Schweizerbürgern zu, die an ihrem Wohnsitz auch die polizeiliche Niederlassungsbewilligung besitzen; er untersagt damit den Kantonen bloss, strengere Bedingungen zu setzen. Falls aber eine kantonale Gesetzgebung diese Bedingungen milder gestaltet, indem sie z. B. auch dem Aufenthalter am Wohnsitz das Stimmrecht einräumt, so verstösst dies nicht gegen die eidgenössische Verfassungsvorschrift.

Die Abänderung des bisherigen Art. 50, Abs. 2, war bedingt durch die Neuordnung des Armenwesens im Kanton Zürich. Durch diese wird die Armenfürsorge den politischen Gemeinden übertragen, währenddem sie bisher dem Aufgabenkreise der Bürgergemeinden angehört hatte. War es somit bis dahin gerechtfertigt, die Stimmberechtigung in Fragen des Armenwesens auf die Gemeindebürger zu beschränken, da diese auch allein die Armenlasten trugen, so muss sie jetzt, wo die Armensteuern zum Bestandteil der allgemeinen Steuern geworden sind, notwendig allen in der Gemeinde wohnenden Schweizerbürgern zuerkannt werden.

Die' weitere Bestimmung der neuen Verfassungsvorschrift, welche die Bürgerrechtserteilung betrifft, ist auf Grund des zweiten Satzes von Abs. 4 des Art. 48 B V zu beurteilen. Dieser gestattet den Kantonen, in rein bürgerlichen Angelegenheiten das Stimmrecht auf die Gemeindebürger zu beschränken.

Als solche rein bürgerliche Angelegenheit stellt sich die Aufnahme neuer Bürger dar. Währenddem aber bisher alle diese Bürger, sofern sie im Kanton wohnten, stimmberechtigt gewesen waren, sind es jetzt gemäss der neuen Fassung des Art. 50 der Kantonsverfassung nur noch jene, die in der Gemeinde selbst wohnen. Gegen diese dem Kanton überlassene Ordnung ist um so weniger etwas einzuwenden, als das eidgenössische Eecht (Art. 48, Abs. 2, BV) seinerseits den Wohnsitz zur Grundlage der Ausübung politischer Eechte macht.

Die revidierte Verfassungsvorschrift
enthält nichts, das dem Bundesrechte zuwiderlaufen würde. Wir beantragen Ihnen deshalb, ihr durch Annahme des nachstehenden Beschlussesentwurfes die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Bern, den 16. Dezember 1927.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta, Der Bundeskanzler: Kaeslin.

721 '(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung des abgeänderten Art. 50, Abs. 2, der Staatsverfassung des Kantons Zürich.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 16. Dezember 1927 über die Gewährleistung der Abänderung von Art. 50, Abs. 2, der Staatsverfassung des Kantons Zürich, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst:

Art. 1.

Der in der Volksabstimmung vom 28. Oktober 1927 angenommenen .Abänderung von Art. 50, Abs. 2, der Staatsverfassung des Kantons Zürich wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

- Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt 79. Jahrg.

Bd. II.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des abgeänderten Art. 50, Abs. 2, der Staatsverfassung des Kantons Zürich. (Vom 16.

Dezember 1927.)

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21.12.1927

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