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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des J. A. "Weibel in Frauenfeld gegen den Entscheid des Bundesrates vom 21. Juni 1909, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents.

(Vom 1. Oktober 1909.)

Tit.

Mit Entscheid vom 21. Juni 1909 haben wir eine Beschwerde des J. A. Weibel, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents für sein Haus ,,Zum Merkur" beim Bahnhof Frauenfeld, im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass in Frauenfeld ein Bedürfnis nach einem weitern Gasthof nicht bestehe, da in normalen Zeiten sich kein Mangel an Fremdenbetten geltend mache.

Gegen diesen Entscheid beschwert sich J. A. Weibel mit Eingabe vom 20. August 1909 und verlangt Aufhebung des Entscheids. Aus der Begründung der Beschwerde ist folgendes hervorzuheben : Es sei irrig, wenn der Bundesrat in seinem Enscheid von
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aus, dass man ein paar Geschäftsreisende beherbergen könne,, aber bei besondern Anlässen, Wiederholungskursen, Versammlungen etc. in Verlegenheit gerate. Da solche Anlässe jährlich mehrmals vorkommen, so müssen sie auch bei der Beurteilung des normalen Bedürfnisses berücksichtigt werden.

Um endlich den Einwand zu entkräften, der Rekurrent wolle das Gesetz dadurch umgehen, dass er, nach Erlangung des Gasthofpatents, auf das Beherbergungsrecht verzichte und nur noch die gewöhnliche Wirtschaft weiterführe, mache er sich anheischig, wenn ihm das Patent für den ,,Merkur" gewährt werde, die ihm gehörende Wirtschaft ,,Zum Engela in Frauenfeld eingehen zu lassen, so dass dann durch die Eröffnung des neuen Gasthofs die Zahl der Wirtschaften in Frauenfeld nicht vergrössert würde.

Hierzu bemerkt der Regierungsrat des Kantons Thurgau in seiner Vernehmlassung vom 4. September 1909 im wesentlichen folgendes : Der Gemeinderat von Frauenfeld, der das Patentgesueh Weibels empfohlen habe, berechne die in den Hotels zur Verfügung stehenden Fremdenbetten auf zirka 90 und die durchschnittliche Tagesfrequenz -- nach Ansicht der Regierung zu hoch -- auf 45.

Diese Zahlen, sowie die Tatsache, dass eines der Gasthäuser in Frauenfeld einen Teil seiner Räumlichkeiten als Wohnungen vermiete, beweise zur genüge, dass unter normalen Umständen ein Bedürfnis nach einem weiteren Gasthof in Frauenfeld nicht vorhanden sei. Aber auch anlässlich des kantonalen Schützenfestes dieses Sommers, zu welcher Zeit auch noch ein von etwa 150 Lehrern besuchter Inatruktionskurs in Frauenfeld stattgefunden habe, seien nur ganz vereinzelt Privatlogis bezogen worden.

Zu dem Anerbieten des Rekurrenten, die Wirtschaft ,,zum EngeP eingehen zu lassen, sei zu bemerken, dass nicht J. A.

Weibel Inhaber des Patents für diese Wirtschaft sei. Aber auch wenn er sein Anerbieten verwirklichen könnte, so wäre dies noch kein Grund, ihm das verlangte Patent zu gewähren, da, auch wenn seine Wirtschaft einginge, in Frauenfeld noch mehr Wirtschaften bestehen blieben, als nach § 11 des Wirtschaftsgesetzes zulässig sind. Die Bewilligung einer neuen Wirtschaft als Ausgleich für das Eingehen einer altea würde auch der auf Verminderung der Zahl der Wirtschaften gerichteten Tendenz des Gesetzes widersprechen und in unzulässiger Weise Wirtschaften, die am Eingehen sind,
zu Spekulationsobjekten machen.

Wir können uns mit wenigen Bemerkungen zu dem Rekurs begnügen. Die angeblich irrige Behauptung des Bundesrats, der Rekurrent bestreite nicht, dass die Hotels in Frauenfeld für nor-

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male Zeiten ausreichen, stützt sich auf folgende Stelle der Besehwerdeschrift an den Bundesrat (S. 5) : ,,Nun ist aber klar,, dass man nicht nur mit den normalen Zeiten rechnen kann, in welchen die bisherigen Betten gerade knapp genügen . . . .u Aber auch abgesehen von diesem Zugeständnis des Rekurrenten geht aus den oben wiedergegebenen Anbringen des Regierungsrats mit aller Deutlichkeit hervor, dass die Unterkunftsgelegenheiten in Frauenfeld in normalen Zeiten, auf die allein, wie wir in unserm Entscheid näher ausgeführt haben, abgestellt werden kann, vollauf genügen, ja dass auch bei grösseren festlichen Anlässen nur vereinzelt Privatlogis in Anspruch genommen werden müssen. Das Bedürfnis nach einem weitern Hotel muss daher nach wie vor verneint und. aus diesem Grunde die Beschwerde Weibel abgewiesen werden.

Das Anerbieten, im Falle der Erteilung eines Patents für den ,,Merkur* die Wirtschaft ,,zum Engel" in Frauenfeld eingehen zu lassen, ist vom Rekurreoten erst in der Beschwerde an die Bundesversammlung gemacht worden. Es fällt daher für die Beurteilung unseres Entscheids ausser Betracht und wir können uns der Prüfung dieses neuen Vorschlags enthalten.

Indem wir im übrigen auf unsern Entscheid verweisen, stellen wir Ihnen, Tit., den Antrag: Die Beschwerde sei als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 1. Oktober

1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Bingier.

l Beilage.

676 Beilage.

ßundesratsbeschluss über

die Beschwerde des J. A. Weibel, in Frauenfeld, betreffend Verweigerung eines Gasthofpatents..

(Vom 21. Juni 1909.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des J. A. W e i b e l , in Frauenfeld, betreffend Verweigerung eines Gasthofpatents, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: 1.

Mit Beschluss vom 19. Februar 1909 hat der Regierungsrat des Kantons Thurgau ein Gesuch des J. A. Weibel in Frauenfeld um Erteilung eines Gasthofpatents für sein Haus ,,zum Merkur" am Bahnhof Frauenfeld abgewiesen mit folgender Begründung: Der Gemeinderat empfehle zwar das Gesuch, weil ein zweiter Gasthof in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Frauenfeld bei grösseren Versammlungen oder sonstigen Anlässen dem Mangel an Logisgelegenheit abhelfen und der zu erwartenden Zunahme des Verkehrs dienlich sein würde. Dagegen sei zu sagen, dass in normalen Zeiten die vorhandenen Grasthöfe zur Unterbringung der Reisenden genügen. Ausserdem aber könne für die Bemessung des Bedürf-

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nisses bei Gasthöfen kein anderer Massstab angelegt werden, als bei gewöhnlichen Wirtschaften, da Gasthöfe immer mit einem gewöhnlichen Wirtschaftsbetrieb verbunden seien, welcher in normalen Zeiten den Hauptteil des Geschäftes bilde. Gewöhnliche Wirtschaften gebe es aber in Frauenfeld, trotzdem in letzter Zeit einige eingegangen seien, immer noch mehr als das Bedürfnis erheische. Dem Gesuche des J. A. Weibel könne daher um so weniger enstprochen werden, als gemäss § 16 des thurgauischen Wirtschaftsgesetzes Weibel seinen Gasthof, wenn er einmal bewilligt worden wäre, jederzeit in eine gewöhnliche Wirtschaft umwandeln könne.

II.

Gegen diesen am 24. Februar 1909 zugestellten Entscheid beschwert sich mit Eingabe vom 24. April 1909 J. A. Weibel beim Bundesrat und stellt das Begehren, der Entscheid sei aufzuheben und der Regierungsrat einzuladen, dem Rekurrenten das verlangte Gasthofpatent zu erteilen. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus : Der mit 3 gegen 2 Stimmen und trotz des protokollarischen Protests des Chefs des Polizeidepartements gefasste Beschluss des Regierungsrates sei willkürlich.

Zuzugeben sei, dass laut dem Verzeichnis der Wirtschaften am 1. August 1908 in Frauenfeld auf weniger als 100 Einwohner eine Wirtschaft kam. Seither seien aber mehrere Wirtschaften geschlossen worden und ausserdem sei die Bevölkerungsziffer seit der letzten Volkszählung von 7800 auf zirka 9000 gestiegen.

Logierhäuser gebe es in Frauenfeld nur vier, die so wenig Betten haben, dass bei allen besondern Anlässen Mangel herrsche, so, wenn eine Theatertruppe komme, oder wenn die Offiziere des jährlichen Wiederholungskurses Quartier haben sollten, von Festen ganz zu schweigen. Dies habe denn auch den Gemeinderat, der am besten wisse, dass in Frauenfeld ein wirkliches Bedürfnis nach einer weiteren Wirtschaft mit Beherbergungsrecht bestehe, veraulasst, das Gesuch des Rekurrenten um ein Gasthofpatent zu befürworten. Den gleichen Standpunkt nehme die Minderheit des Regierungsrates ein, und selbst im angefochtenen Entscheide sei das Bedürfnis nach einem weiteren Gasthaus indirekt zugegeben worden. Dieses Bedürfnis mache sich ganz besonders beim Bahnhofe fühlbar, wo zurzeit ein einziges Gasthaus bestehe.

Der Regierungsrat behaupte nun allerdings, massgebend sei nicht das Bedürfnis nach einem Hotel, also nach einer Wirtschaft der besondern, vom Rekurrenten in Aussicht genommenen Betriebs-

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art, sondern das Bedürfnis nach einer neuen Wirtschaft im umfassenden Sinne des Wortes. Dem widerspreche aber der Wortlaut des Bedürfnisartikels (§ 11) des Wirtschaftsgesetzes, der ausdrücklich die Tavernen,- Schenk- und Konditoreiwirtschaften aufzähle, während es genügt hätte, ,,Wirtschaften" zu sagen, wenn der Gesetzgeber bei der Beurteilung der Bedürfnisfrage die verschiedenen Arten der Wirtschaften nicht hätte auseinanderhalten wollen. Im Grossen Rat habe, als vor einiger Zeit eine Beschwerde des Rekurrenten wegen Entzug eines Gasthauspatents zur Behandlung kam, der Komtnissionsreferent betont, es genüge, dass ein Bedürfnis nach einem weiteren Hotel bestehe, um die Bewilligung zu erteilen. Die gegenteilige Ansicht des Regierungsrates führe übrigens zu ganz unsinnigen Konsequenzen; denn wenn zufälligerweise sämtliche Hotels in Frauenfeld eingehen sollten, so dürfte nach der Theorie des Regierungsrates, weil immer noch mehr gewöhnliche Wirtschaften bestehen bleiben, als das Bedürfnis erheische, überhaupt kein Hotelpatent in Frauenfeld erteilt werden.

Die Abweisung des Patentgesuches sei daher zweifellos willkürlich und müsse aufgehoben werden.

Ganz verfehlt sei es, wenn sich der Regierungsrat auf § 16 des Wirtschaftsgesetzes, betreffend die Umwandlung der Wirtschaften, berufe. Denn eine solche Umwandlung sei gebunden an die Bewilligung des Gemeinderates, sie stehe also nicht, wie der Regierungsrat behaupte, im Belieben des Wirtes.

III.

In seiner Vernehmlassung vom 14. Mai 1909 beantragt der Regierungsrat Abweisung der Beschwerde.

Die vorhandenen Gasthöfe genügen dem Bedürfnis in normalen Zeiten, was auch vom Rekurrenten nicht bestritten werde. Das Bedürfnis müsse aber nach den normalen Umständen beurteilt werden, für ausaerordentliche Anlässe, wie Feste, genügen die Fremden betten nirgends, und trotzdem könne hierauf bei der Erteilung von Gasthauspatenten nicht Rücksicht genommen werden.

Dem Rekurrenten könnte es daher leicht ergehen, wie ändern Gasthofbesitzern in Frauenfeld, die den Herbergsbetrieb bald eingestellt und sich mit einer gewöhnlichen Wirtschaft begnügt haben.

Die Folge davon wäre die fortwährende Zunahme der gewöhnlichen Wirtschaften, da die Umwandlungsbewilligung des § 16 des Wirtschaftsgesetzes vom Gemeinderate nicht beliebig verweigert werden könne. Der Bedürfnisartikel würde auf diese Weise einfach illusorisch gemacht.

679 Da in normalen Zeiten die Unterkunftsgelegenheiten in Frauenfeld dem Fremdenverkehr genügen, so sei es klar, dass es dem Rekurrenten in erster Linie um den gewöhnlichen Wirtschaftabetrieb und nicht um das Beherbergungsrecht zu tun sei. Auch aus diesem Grunde rechtfertige es sich, die Bedürfnisfrage nach der Zahl der gewöhnlichen Wirtschaften zu beurteilen. Eine erhebliche Bevölkerungs- und Verkehrszunahme sei übrigens in Frauenfeld nicht zu konstatieren; die Zahl der Stimmberechtigten in der Munizipalgemeinde Frauenfeld habe im Gegenteil in den letzten drei Jahren abgenommen.

Dass seinerzeit der Kommissionsreferent im Falle Weibel einen etwas ändern Standpunkt eingenommen habe als der Regierungsrat, sei nicht ausschlaggebend. Ein Beschluss sei vom Grossen Rate nicht gefasst worden, und selbst wenn das zu Ungunsten des Regierungsrates geschehen wäre, so könnte ein solcher Beschluss nicht als verbindliche Direktive für den Regierungsrat betrachtet werden, der darauf bedacht sein müsse, den bestehenden Übelständen durch strengere Handhabung des Bedücfnisartikels abzuhelfen.

Aus dem Gutachten des Gemeinderates Frauenfeld vom 12. Februar 1909 zum Patentgesuche des Rekurrenten ergibt sich, dass in Frauenfeld auf weniger als 100 Einwohner eine Wirtschaft, die Gasthöfe Inbegriffen, kommt. Die Gesamtzahl der Wirtschaften übersteigt somit die im Wirtschaftsgesetze festgelegte Bedürfniszahl.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Rekurrent geht bei der Begründung seiner Beschwerde
680 Nachfrage für gewöhnlich genügen, und gibt damit selbst zu, dass ein Bedürfnis nach einem weiteren Gasthaus in Wirklichkeit nicht besteht. Unter diesen Umständen mag es dahingestellt bleiben, ob, wie der Rekurrent behauptet, beim Entscheid über sein Patentgesuch der Regieruugsrat lediglich die Zahl der Tavernenwirtschaften (Gasthäuser) in Frauenfeld, nicht aber die Gesamtzahl der Wirtschaften habe berücksichtigen dürfen. Bei Berücksichtigung der Gesamtzahl der Wirtschaften könnte dem Patentgesuch auch nicht entsprochen werden, da, wie das gemeinderätliche Gutachten vom 12. Februar 1909 zeigt, mehr Wirtschaften ins Frauenfeld existieren, als nach dem Gesetze zulässig sind.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 21. Juni 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft r Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des J. A. Weibel in Frauenfeld gegen den Entscheid des Bundesrates vom 21. Juni 1909, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents. (Vom 1. Oktober 1909.)

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06.10.1909

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