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Schweizerisches Bundesblatt.

6l. Jahrgang.

IV.

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4. August 1909.

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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Milchhändlers Adolf Kaspar in Brugg, betreffend Eintragung der Käsereigesellschaft Vill nacher in das Handelsregister.

(Vom 27. Juli 1909.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Milchhändlers Adolf K a s p a r in Brugg, betreffend Eintragung der Käsereigesellschaft Villnachern in das Handelsregister, auf den Bericht und Antrag seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Unter dem Namen ,,Käsereigesellschaft Villnachern" vereinigten sich im Jahre 1881 eine Anzahl Landwirte von Villnachern und Umgebung laut Statuten vom 23. Januar gleichen Jahres zum Zwecke, die von ihnen produzierte Milch an einen Käser oder Milchhändler gemeinsam zu verkaufen (§ 3 der Statuten). Dem Übernehmer (Milchkäufer) wird jeweilen das Bundesblatt. 61. Jahrg. Bd. IV.

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von der Ortsbürgergemeinde Villnachern im Jahre 1881 erbaute Käsereigebäude und der unter dem Schulhaus Villnachern befindliche Keller zur Verfügung gestellt (§ 8 der Statuten), wofür die Ortsbürgergemeinde Villnachern laut § 6 der Statuten im Verhältnis der gelieferten Milch entschädigt wird.

Seit dem 23. März 1907 wird die Milch einem Adolf Kaspar in Brugg geliefert, der sie auf eigene Rechnung teils zu Käse oder anderen Milchprodukten verarbeitet, teils weiter verkauft, und dem auch das Käsereigebäude nebst Keller zum Gebrauch überlassen ist.

Kaspar hatte nun beim Handelsregisterbureau Aarau das Begehren gestellt, die Käsereigesellschaft Villnachern sei zur Eintragung in das Handelsregister zu verhalten. Da diese die Eintragspflicht bestritt, legte das Registerbureau die Angelegenheit der Justizdirektion des Kantons Aargau gemäss Art. 26, Absatz 3, der Registerverordnung zum Entscheide vor, und diese Behörde verfügte unterm 4. März 1909, dass die Käsereigesellschaft Villuachern zur Eintragung in das Handelsregister n i c h t verpflichtet sei. Sie ging dabei von folgenden Erwägungen aus : Die Käsereigesellschaft Villnachern beabsichtigt keinen Geschäftsgewinn und schliesst lediglich für ihre Mitglieder den Lieferungsvertrag mit dem Milchkäufer ab. Ein Warenlager ist nicht vorhanden, und die Gesellschaft hat überhaupt kein Vermögen. Auch von einem Geschäftsumsatz kann nicht gesprochen werden, da die Lieferanten dem Milchhändler die Milch direkt liefern. Voraussetzungen, welche die Eintragspflicht begründen, würden, liegen also nicht vor.

H.

Gegen diese Verfügung hat Adolf Kaspar durch Eingabe vom 10. März 1909 an den Bundesrat rekurriert mit dem Ersuchen, es sei die Käsereigesellschaft Villnachern pflichtig zu erklären, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen. Zur Begründung macht er im wesentlichen folgendes geltend : Aus dem Umstände, dass er mit den einzelnen Mitgliedern der Genossenschaft nicht in Verkehr trete, sondern seinen Milchlieferungsvertrag mit den Organen der Genossenschaft abschliesse, ergebe sich, dass die Gesellschaft als solche den Milchhandel betreibe. Da aber Molkereien, Milchwirtschaften u. ä.,, gemäss Art. 13, Ziffer 3, lit. a, eventuell Ziffer l, lit. a, der Verordnung über das Handelsregister zur Eintragung verpflichtet seien, müsse

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auch die Käsereigesellschaft Villnachern ins Handelsregister eingetragen werden. Ein Warenlager im Durchschnittswert von Fr. 2000 habe die Gesellschaft allerdings nicht, wie es in der Natur der Sache liege. Allein zur Begründung der Eintragspflicht sei auch kein Warenlager nötig ; es genüge nach dem Schlusssatz des Art. 13 der Verordnung schon ein Jahresumsatz von über Fr. 10,000.

Die Eintragspflicht ergebe sich übrigens schon aus Art. 678 des Obligationenrechts. Die Gesellschaft benehme sich in jeder Beziehung als eine Genossenschaft; um als solche gelten zu können, müsse sie aber im Handelsregister eingetragen sein.

III.

Die Justizdirektion des Kantons Aargau und die Käsereigesellschaft Villnachern beantragen Abweisung der Beschwerde.

Die Meinung des Rekurrenten, dass sich die Eintragspflicht schon aus Art. 678 des Obligationenrechts ergebe, sei eine durchaus irrige. Diese Gesetzesbestimmung stelle überhaupt keine Eintrags pf l i c h t fest, sondern besage nur, dass wenn eine Genossenschaft das Recht der Persönlichkeit erwerben wolle, sie sich in das Handelsregister eintragen lassen müsse. Es stehe ihr aber frei, diese Eintragung zu verlangen oder nicht, wenn die vom Bundesrate aufgestellten Voraussetzungen der Eintragspflicht bei ihr nicht zutreffen.

Hier seien diese Voraussetzungen zweifellos nicht vorhanden.

Der Versuch des Rekurrenten, die Tätigkeit der Gesellschaft als Molkerei- oder Milchwirtschaftsbetrieb darzustellen, sei verfehlt.

Nicht die Gesellschaft betreibe eine solche Unternehmung, wohl aber der Rekurrent. Übrigens müsste die Genossenschaft, um eintragspflichtig zu sein, nach Art. 13 der Verordnung nicht nur eine jährliche Roheinnahme von Fr. 10,000 haben, sondern, wie der Bundesrat schon wiederholt entschieden habe, auch ein Warenlager im Durchschnittswerte von Fr. 2000.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Die Behauptung des Rekurrenten, dass die Gesellschaft nach Art. 678 des Obligationenrechts zur Eintragung in das

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Handelsregister verpflichtet sei, weil sie genossenschaftlich organisiert sei, ist unrichtig. Art. 678 des Obligationenrechts statuiert keineswegs die Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister, ·sondern normiert nur die Bedingungen, unter welchen eine Genossenschaft das Recht der Persönlichkeit erwerben kann. Die Pflicht zur Eintragung ist in Art. 865 des Obligationenrechts geregelt.

Dagegen ist auch eine Genossenschaft zur Eintragung verpflichtet, wenn sie ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt (Art. 865 des Obligationenrechts) und der Umstand, dass die Gesellschaft, solange sie nicht eingetragen ist, noch nicht als eine von den Mitgliedern verschiedene juristische Person behandelt werden kann, steht der Eintragung nicht im Wege (Bundesbl. 1884, II, 122, Ziffer 5 ; Rekursentscheid vom Jahre 1885, Bundesbl. 1886, I, 254; S i e g m u n d , Handbuch, Seite 329--331).

H.

Bedingung für die Verpflichtung zur Eintragung ist nach Art. 865, Absatz 4, des Obligatiouenrechts der Betrieb eines Handels-, Fabrikations- oder anderen nach kaufmännischer Art betriebenen G e w e r b e s .

Ein Fabrikationsgewerbe betreibt die Käsereigesellsohaft Villnachern zweifellos nicht, da der Rekurrent allein die ihm gelieferte Milch zu Käse verarbeitet. Die Gesellschaft betreibt auch keinen gewerbsmässigen Handel. Nach dem Vertrag vom 23. März 1907 mit Kaspar hat sie, d. h. die Gesamtheit ihrer Mitglieder, sich verpflichtet, ihm die Milch zu einem bestimmten Preis zu liefern und gewisse Räumlichkeiten gegen einen gewissen Zins zu überlassen. Dieses Geschäft, der gemeinschaftliche Verkauf der von den Mitgliedern produzierten Milch, macht keineswegs ein Handelsgewerbe aus, sowenig als der Landwirt oder der Waldbesitzer, die ihre Erzeugnisse verkaufen, wie es die Landwirtschaft oder der Waldbesitz mit sich bringen, ein Handelsgewerbe betreiben, welches auch der Wert des Umsatzes oder der vorrätigen Erzeugnisse sei. Der Bundesrat hat bereits im ähnlichen Falle der Käsereigesellschaft Maisprach am 27. November 1894 in diesem Sinne entschieden (Bundesbl.

1895, II, 134; von Salis, Bundesrecht, II. Auflage, IV, Nr. 1621 ; vergi, auch den Entscheid vom 29. November 1907 in Sachen des Waldbesitzers Humbert-Droz, Bundesbl. 1907, VI, 565).

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Demgemäss wird e r k a n n t : Die Beschwerde ist als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 27. Juli 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der I. Vizekanzler:

Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Milchhändlers Adolf Kaspar in Brugg, betreffend Eintragung der Käsereigesellschaft Villnachern in das Handelsregister. (Vom 27. Juli 1909.)

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