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Schweizerische Bundesversammlung,

Die vereinigte Bundesversammlung hat am 16. Dezember 1909 gewählt: zum Bundespräsidenten für 1910: Herrn Robert C o m t e s s e , von La Sagne und Cernier, bisher Vizepräsident ; zum nächstjährigen Vizepräsidenten des Bundesrates : Herrn Marc Emile R u c h et, von Bex; zum Bundeskanzler für den Rest der laufenden 21. Amtsperiode, an Stelle des aus Altersrücksichten zurückgetretenen Herrn Dr. Gottlieb Ringier: Herrn Hans S c h a t z m a n n , von Windisch (Aargau), bisher I. Vizekanzler.

Dem auf 31. Dezember 1909 aus Altersrücksichten zurücktretenden Herrn Bundeskanzler Ringier widmete Herr Nationalratspräsident Rössel, als Präsident der vereinigten Bundesversammlung, die nachstehenden Worte : Meine Herren !

Die Gründe, welche Herrn Ringier bewegen haben, seinen Rücktritt zu nehmen, sind derartige, dass nur übrig bleibt, uns denselben zu fügen. Welche Auffassung man auch über die Stellung des Kanzlers der Eidgenossenschaft haben mag, so wird doch von jedermann anerkannt, dass der hervorragende und verehrte Magistrat in der Ausübung seiner Funktionen die Bescheidenheit, die Korrektheit und die Gewissenhaftigkeit selbst war.

Mehr als ein Vierteljahrhundert hat er allen ein leuchtendes Beispiel gegeben. In diesem Saale besonders wird sein Weggang tiefes und allgemeines Bedauern erwecken. Das Schweizervolk und die eidgenössischen Räte werden das Andenken dieses Mannes hochhalten, der seine seltenen Geistesgaben und hohen moralischen Eigenschaften ganz der Erfüllung seiner Pflicht gewidmet und in den Dienst des Vaterlandes gestellt hat.

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Die Eidgenossenschaft hat seit 1848 nur zwei Kanzler gehabt. Sie darf mit Recht auf beide stolz sein. Es ist ja wahr, dass unsere Demokratie für diejenigen, die ihr ihr Bestes opfern, keine andere Belohnung kennt, als diejenige ihrer Dankbarkeit und Verehrung. Diese Belohnung ist Herrn Ringier zuteil geworden ; sie wiegt alle anderen auf.

Indem ich dem Wunsche Ausdruck gebe, dass es Herrn Ringier vergönnt sein möge, noch lange der wohlverdienten Ruhe zu pflegen, lade ich Sie ein, meine Herren, Herrn Ringier die nachgesuchte Entlassung zu bewilligen.

Am 17. Dezember 1909 gedachte im Nationalrat Herr Präsident Dr. Rössel des verstorbenen Nationalrates K n o b ' e l in Lachen mit folgenden Worten : Meine Herren !

Es liegt mir die schmerzliche Pflicht ob, Ihnen von dem Hinscheide unseres Kollegen, Herrn Kaspar Knobel, Kenntnis zu geben, der gestern noch unseren Beratungen beiwohnte und sich einer guten Gesundheit zu erfreuen schien. Gestern abend, als er ins Hotel zurückkehrte, wurde er von einem Herzschlag dahingerafft. Bei meinem Eintritt in diesen Saal, vernahm ich soeben die traurige Kunde, die bei uns allen die tiefste Bewegung und lebhaftes Bedauern erweckt hat.

Geboren im Jahre 1842, vertrat Herr Knobel seit 1905 die freisinnige Opposition des Kantons Schwyz im Nationalrat. Er hatte in Heidelberg die Rechte studiert, in seinem Heimatkanton ein sehr gesuchtes Advokaturbureau eröffnet und bekleidete gegenwärtig das Amt eines Gerichtspräsidenten in Lachen. Ebenso gewissenhafter Magistrat, wie fleissiger Deputierter, hatte der bescheidene und äusserst leutselige Mann für jeden, der sich an ihn wandte, ein freundliches Lächeln oder ein gütiges Wort.

Das Bedauern in den Räten ist allgemein, und wir werden von seiner Anwesenheit in unserer Mitte das beste Andenken bewahren ! Wir nehmen mit ganzem Herzen teil an der Trauer, in die seine Familie und sein Kanton versetzt worden sind.

; Ich lade Sie, meine Herren, ein, das Andenken des Verstorbenen dadurch zu ehren, dass Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

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Die am 6. Dezember 1909 von Herrn Nationalratspräsidenten Germann gehaltene Ansprache zu Ehren des verstorbenen Nationalrates Pioda lautet: Meine Herren Nationalräte !

Das erste Jahr der gegenwärtigen Legislaturperiode des Nationalrates ist nicht zur Neige gegangen, ohne noch das Grab über einem weitern Kollegen zu schliessen; Herr Nationalrat Dr. Alfredo Pioda ist in der Nacht vom 7./8. November d. J.

in Locamo verstorben, nachdem ihn schon vor etlichen Monaten ein Schlagfluss getroffen und nur vorübergehende Hoffnungen auf völlige Wiederherstellung erweckt hatte.

Einer alten und angesehenen, zugleich mit den politischen Geschicken seines Heimatkantons eng verflochtenen Familie entsprossen, studierte der Verstorbene auf deutschen Hochschulen Rechtswissenschaft und Philosophie, und begann dann seine öffentliche Laufbahn im Stadtrat von Locamo und im Grossen Rate Tessins, welchen Behörden er seit Mitte der Achtzigerjahre angehörte; in den Nationalrat trat er im Jahre 1893 ein. So entschieden der Verstorbene sieh seine politische Überzeugung gebildet hatte, so wenig trat er in den speziellen Fragen der Politik hervor; sein allen Werken der Woltätigkeit und Gemeinnützigkeit zugewandter Sinn, der sich in hingebender Weise zugunsten seines engern Vaterlandes betätigte, sowie seine Gelehrtennatur fanden ein dankbares Feld emsiger Wirksamkeit in der Hebung und Pflege der sozialen und moralischen Erziehung der Mitmenschen.

Daneben beschäftigte sich sein reger Geist fortgesetzt mit wissenschaftlichen, zumeist philosophischen Studien, die ihn gelegentlich auch zu dichterischen und schriftstellerischen Arbeiten anspornten.

Seiner philanthropischen Gesinnung und einer etwas mystisch veranlagten Weltauffassung entsprach ein durchaus korrekter und liebenswürdiger, auf wahrer Seelengüte beruhender Charakter, der seinen Träger zu einer überaus sympathischen Persönlichkeit machte. In unserem Rate wird er noch lange als der Prototyp eines edel denkenden und besonders wohlwollenden Kollegen in bester Erinnerung bleiben.

Meine Herren Nationalräte ! Ich lade Sie ein, zum Andenken an den Verstorbenen sich von den Sitzen zu erheben.

Bundesblatt. 61. Jahrg. Bd. VI.

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Die gleichen Tages gehaltene Ansprache des Herrn Ständeratspräsidenten Thélin lautet: Meine Herren Ständeräte !

Sonntag den 7. November, abends, ist in Locamo Herr Dr. Alfred Pioda, Mitglied des Nationalrates, des tessinischen Grossen Rates und des Gemeinderates von Locarno, gestorben.

Dr. Pioda wurde am 1. November 1848 in Locarno geboren. Sein Vater starb schon 1853, so dass seine Erziehuog von seiner Mutter, einer ausgezeichneten Frau von hoher Bil düng, geleitet wurde. Er besuchte zunächst das Gymnasium in Locarno und das Kollegium Landriani, und später das Lyceum in Lugano. Seine Universitätsstudien begann er in Pisa und setzte sie in Turin fort, wo er, noch sehr jung an Jahren, den Doktorhut erwarb. Darauf arbeitete er kurze Zeit in einem Advokaturbureau in Mailand an seiner praktischen Ausbildung als Anwalt.

Aber bald sah er ein, dass er dazu keinen inneren Beruf fühlte, und er kehrte entschlossen zu seinen geliebten philologischen und philosophischen Studien zurück. Er lag ihnen in Florenz und in Heidelberg ob und erwarb an der letztgenannten Hochschule den Grad eines Doktors der Philosophie.

In seine Heimat zurückgekehrt, liess er sich in Locarno, im väterlichen Hause nieder. Dr. Pioda hatte das Bedürfnis, sich mit den öffentlichen Angelegenheiten seines Landes und seiner Heimatstadt zu beschäftigen, wie es der Tradition seiner Familie entsprach, und wurde 1887 Mitglied des Gemeinderates von Locarno und des Grossen Rates seines Kantons. Im Jahre 1893 auch in den Nationalrat gewählt, gehörte er dieser hohen Behörde bis zu seinem Tode an. Er befasste sich mit Vorliebe mit den Fragen, die den öffentlichen Unterricht berühren. Einige Zeit hindurch war er Schulinspektor, Direktor der technischen Schule von Locarno und Mitglied der Kommission des Lehrerseminars. Obschon er nie im Lehrfache tätig war, so erwies er sich doch der Lehrerschaft als ein sicherer und zuverlässiger Berater. Das vom Volke verworfene Schulgesetz fand in Pioda einen warmen und eifrigen Verteidiger.

Dr. Pioda war ein Freisinniger von tiefer Überzeugung und widmete die Arbeit seines ganzen Lebens der Förderung der fortschrittlichen Ideen in seinem Kantone, besonders, indem er zahlreiche, tiefgedachte und ausgezeichnet geschriebene Zeitungsartikel publizierte.

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Im Nationalrate griff Herr Pioda nicht oft in die Beratungen ein ; dagegen arbeitete er mit Eifer in den Kommissionen, denen er angehörte.

Er war ein Neffe des Herrn Bundesrates Pioda und ein Vetter unseres Ministers in Rom.

Seiner Familie und seiner ganzen Umgebung gegenüber war er von herzlicher Güte und Liebe erfüllt. Er hinterlässt zahlreiche trauernde Freunde und wir werden die Erinnerung an den guten Bürger, an den verdienten Beamten und an den freundlichen und ausgezeichneten Mann, den wir in ihm verloren, treu bewahren.

Meine Herren, den Verstorbenen zu ehren, bitte ich Sie, sich mit mir von Ihren Sitzen zu erheben.

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22.12.1909

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