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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden bestraften Frau Lina Kyburz geb. Steinmann, Schneiderin, Gerechtigkeitsgasse 2, Bern.

(Vom 18. Mai 1909.)

Tit.

Petentin wurde Anfangs Dezember 1907 dem Regierungsstatthalteramt Biel wegen Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden verzeigt, weil sie in Biel für eine Zeitschrift, betitelt : ,,Nach Feierabend", Abonnenten gesammelt hatte, ohne eine Taxkarte nach Massgabe des Gesetzes gelöst zu haben. Der Polizeirichter von Biel verurteilte sie zu einer Busse von Fr. 30 und zur Tragung der Kosten, und als sie hiergegen Appellation erklärte, bestätigte die Polizeikammer des Kantons Bern die Schuldigerklärung unter Erhöhung der Busse auf Fr. 110 und Auferlegung der zweitinstanzlichen Kosten mit folgender Begründung hinsichtlich der Strafausmessung : ,,Die Polizeikammer hat in konstanter Praxis am Grundsatze festgehalten, dass die auszusprechende Busse im Minimum die Höhe des Betrages erreichen solle, um welchen der Widerhandelnde sich zufolge der strafbaren Handlung bereichert, beziehungsweise um welchen er den Staat durch Nichteinlösen der vorgeschriebenen Taxkarte geschädigt hat.

Damit aber die Busse den Charakter der Sühne für das begangene Unrecht erhält, rechtfertigt es sich, einen höhern Betrag auszusprechen, als der Angeschuldigte bei Lösung einer Taxkarte hätte bezahlen müssen. (Vgl. Urteil der Polizeikammer i. S. Schmied vom 13. November 1907 ; i. S.

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Kollbrunner vom 23. November 1907 ; i. S. Hieber vom 23. Mai 1906; Ztechr. d. bern. Jur. Ver., Bd. XLIII, S. 159.)

Nach Art. 2 des zit. Bundesgesetzes hätten die Angeschuldigten zum mindesten je eine Taxe für ein halbes Jahr zu Fr. 100 entrichten müssen. Die Polizeikammer hält eine Busse von Fr. 110 als den Umständen angemessen. Die Rekursinstanz; ist zu einer Erhöhung der erstinstanzlich ausgesprochenen Bussen befugt, da der Generalprokurator von dem ihm nach Art. 459 Str. V. zustehenden Rechte der Anschlussappellation Gebrauch gemacht hat."

Nachdem Frau Kyburz noch umsonst beim Kassationshofe des Bundesgerichtes wegen angeblicher Verletzung materiellen Rechtes um Aufhebung des Entscheides nachgesucht hatte, stellt sie nunmehr das Begehren um Erlass der ihr auferlegten Busse auf dem Wege der Begnadigung. Sie behauptet, nicht gewusst zu haben, dass das Sammeln von Abonnenten für eine Zeitung unter gegebenen Umständen nur nach Lösung einer Taxkarte statlhaft sei, und macht im weitern geltend, dass sie wegen bedrängter ökonomischer Lage nicht im stände sei, die verhältnismässig hohe Busse zu erlegen.

Über Schuld und Strafbarkeit ist durch den zuständigen Richter in endgültiger Weise entschieden. Was aber die Vollstreckbarkeit des Urteils anbetrifft, so wird nach dem geltenden Rechte die Busse bei Unerhältlichkeit in Gefängnis umgewandelt werden müssen und hat die Begnadigungshistanz um so weniger Veranlassung, eine eventuelle Reduktion in Erwägung zu ziehen, als die Petentin unterliess, Beweise für die behauptete Zahlungsunfähigkeit vorzulegen.

Wir stellen daher den Antrag: Es sei das Begnadigungsgesuch der Frau Kyburz abzuweisen.

B e r n , den 18. Mai 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Übertretung des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden bestraften Frau Lina Kyburz geb. Steinmann, Schneiderin, Gerechtigkeitsgasse 2, Bern.

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26.05.1909

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629-630

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