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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Sprengstoffverbrechen bestraften Otto Doppier, von Höhenstadt, Niederbayern, geboren 1884, Flaschner, zurzeit Zuchthaussträfling in Chur.

(Vom 11. Mai 1909.)

Tit.

In der Nacht vom 12./13. September 1907, zirka um l Uhr, während in der Ortschaft Davos die Schneidergesellen streikten, wurden an vier verschiedenen Stellen des Dorfes, wo Arbeitswillige schliefen, Sprengbomben geworfen, von denen zwei durch die geschlossenen Fenster in die Schlafzimmer gelangten und dort explodierten unter körperlicher Verletzung von drei Personen, während die ändern ausserhalb der Gebäulichkeiten platzten. Die Bomben bestanden aus Blechbüchsen mit aufgelötetem Deckel und ihr Inhalt war je ungefähr 1/2 Liter Schwarzpulver (Sprengpulver), zirka 30 Kieselsteine und Packpapier, mit einer Zündung aus gewöhnlicher gelber Zündschnur mit Pulverfüllung. Die Bewohner der beiden Zimmer, in welchen die Bomben explodierten, kamen mit verhältnismässig unbedeutenden Verbrennungswunden davon, eine fachmännische Expertise aber bezeichnet die wahrscheinliche Wirkung der Explosion als eine für Mensehen gefährliche, unter Umständen sogar lebens-

»505 gefährliche. Der durch die vier Bomben angerichtete Sachschaden ibelief sich auf Fr. 295.65.

Durch Urteil des Kantonsgeri'chtes Chur vom 27. März 1908, welchem vorstehende Fakta entnommen sind, wurde der ^Schneidergeselle Johann Pühringer, von Hörbich, Bezirk Rohrbach, Österreich, der Urheberschaft dieser Bombenattentate -schuldig erklärt und in contumaciam wegen Sprengstoffverbrechen im Sinne des Art. l des Bundesgesetzes vom 12. April 1894, ferner wegen mit Vorbedacht begangener Körperverletzung und wegen Sachbeschädigung im Sinne des Strafgesetzes -des Kantons Graubünden bestraft.

Der Petent Otto Doppier wurde angeklagt wegen Gehülfen.·schaft bei den von Johann Pühringer verübten Verbrechen, und das Kantonsgericht von Graubünden, dem auch seine Beurteilung zufiel, würdigt den Tatbestand auf Grund der Akten «der Untersuchung und der Hauptverhandlung in folgender Weise : ,,Der Angeklagte Otto Doppier ist geständig und auf Grund der Akten überführt, die Hülsen zu den gegen die ·arbeitswilligen Schneider gebrauchten Bomben angefertigt zu haben, wobei er aber nicht miti rechtswidrigem Vorsatze, ·d. h. in der Absicht, Beihülfe zu den vom Pühringer begangenen Delikten zu leisten, gehandelt haben will. Jedoch er.scheint die Annahme, es habe Doppier dem Pühringer so grosses Vertrauen geschenkt, dass er die gefüllten Büchsen .geschlossen, ohne nachzusehen, was in denselben sei, resp.

·ob ihr Inhalt mit den Angaben Pühringers übereinstimme, ·zufolge der eigenen Angabe des Doppier, dass er mit Pühringer nicht oder nicht viel verkehrt habe und mit ihm nicht intim gewesen sei, als durchaus unzutreffend. Doppier hatte, wenn wirklich zwischen ihm und Pühringer kein näheres Verhältnis bestund, auf dessen Vorhandensein übrigens auch ·der Brief Pühringers an die Mizzi Bortolotti schliessen lässt, vum so mehr Veranlassung, sich über den Inhalt der Bomben Gewissheit zu verschaffen, als ihm bekannt war, dass Pühringer den extremsten Elementen angehöre und, wie aus seiner Äusserung betreffend die Gussschalen mit Schraubenverschluss hervorging, selbst vor den gefährlichsten Mitteln .nicht zurückschreckte. Wenn nun aber Doppier von dem Inhalt der Büchsen Kenntnis erlangt hat, so musste er, der in der deutschen Armee als Pionier gedient hat und daher mit Sprengmitteln und deren Wirkungen vertraut war, dea

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eingetretenen Erfolg als möglich oder wahrscheinlich voraussehen. Hieran vermag der Umstand nichts zu ändern, das& Pühringer, wie Doppier angibt, ihm gesagt hat, die Bomben seien bloss dazu bestimmt, vor die Fenster der Arbeitswilligen gestellt zu werden, denn nach dem, was oben über dasVerhältnis zwischen Pühringer und Doppier gesagt worden ist, konnte und durfte der letztere den betreffenden Angaben.

Pühringers nicht ohne weiteres Glauben schenken.

Aus den angeführten Gründen muss daher die Frage' des Vorsatzes bei Otto Doppier bejaht werden und qualifiziert sich dessen Tätigkeit gemäss Art. 21 Bundesstrafrecht und § 30 bündn. Str. G. als Gehülfenschaft zu den von' Pühringer begangenen Delikten."

Unter Berücksichtigung des Strafmilderungsgrundes des bisherigen guten Leumundes wurde Doppier für die Gehülfenschaft zur Zuwiderhandlung des Sprengstoffgesetzes mit 2% Jahren Zuchthaus und für die Gehülfenschaft zur Körperverletzungund zur Sachbeschädigung mit l Monat Gefängnis, sowie mit Verweisung aus der Eidgenossenschaft auf Lebenszeit bestraft,, unter Abrechnung von 4 Monaten der Zuchthausstrafe als durch die Untersuchungshaft verbüsst.

Mit eigener Eingabe und unterstützt von dem Anwalte, der ihn im Hauptverfahren verteidigte, richtet Otto Doppier an die Bundesversammlung das Gesuch, dass ihm der Rest der Freiheitsstrafe und die Landesverweisung durch Begnadigung erlassen werden. Zur Begründung wird hingewiesen auf das in der Strafuntersuchung von Doppier abgelegte Geständnis, sein unbescholtenes Vorleben und die von der Verwaltung der graubündnischen Strafanstalt bezeugte Tatsache, dass Doppier sich während der abgelaufenen Strafzeit sehr gut verhalten habe. Der Verteidiger macht sodann geltend, dass dem Petenten die Gefährlichkeit der von Pühringer beabsichtigten Handlungen nicht in vollem Umfange bekannt gewesen, und dass das Bundesgesetz von 1894, wie alle Gelegenheitsgesetze, in den Strafandrohungen sehr hart sei.

Der Staatsanwalt des Kantons Graubünden erklärt, dass der Begnadigung des Doppier nichts im Wege stehe, da derselbe die auf kantonalem Rechte beruhende Strafe erstanden habe. Dabei wird das Zeugnis1 der Strafanstaltsverwaltung über die Aufführung des Verurteilten bestätigt und beigefügt, der Staatsanwalt habe den Eindruck erhalten, dass Doppier seine Tat bereue und nicht so bald wieder sich mit den Strafgesetzen,

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in Kollision setzen werde. Das Präsidium des Kantonsgerichtes von Graubünden endlich bemerkt, es sei nicht möglich, eine Meinungsäusserung des Kollegiums! darüber einzuholen, ob Doppier der Begnadigung würdig sei, es glaube aber, dass diese Frage sehr1 wahrscheinlich bejaht würde. Doppier habe von allen Angeklagten persönlich den besten, Eindruck auf das Gericht gemacht.

Art. l des Bundesgesetzes vom 12. April 1894 bedroht ' den Missbrauch von Sprengstoffen zu verbrecherischen Zwecken mit Zuchthaus von wenigstens zehn Jahren. Doppier musste daher nach Art. 22 b des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1.853, nachdem er der Gehülfenschaft bei diesem Verbrechen schuldig befunden worden, mit mindestens einem Vierteil der Hauptstrafe, also mindestens 2% Jahren Zuchthaus bestraft werden, die Verhängung von Landesverweisung als Zusatzstrafe war durch Art. 5 des Bundesstrafrechtes dem freien Ermessen des Richters überlassen. Da in dem Urteil die Strafen aus eidgenössischem und kantonalem Rechte auseinandergehalten sind und nichts darüber gesagt ist, welche derselben zuerst vollzogen werden solle, so wird im Gegensatze zur Annahme des graubündnischen Staatsanwaltes davon auszugehen sein, dass im jetzigen Verfahren nur der Vollzug der auf Bundesstrafrecht beruhenden 2% Jahren Zuchthaus in Betracht komme und die Frage des Erlasses der konkurrierenden kantonalen Strafe einem besonderen Entscheide der kantonalen Begnadigungsinstanz überlassen werden müsse.

Das Begehren des Doppier erscheint jedenfalls unbegründet, soweit damit Aufhebung der Landesverweisung verlangt wird, denn der Richter hatte nach den Verumständungen des Falles Veranlassung und Pflicht, diese Nebenstrafe zu verhängen, und der Verurteilte erklärt selbst, dass er beabsichtige, sich nach Erstehung der Freiheitsstrafe ins Ausland zu begeben. Er ist weder durch Familienbande noch durch Erwerbsverhältnisse an ferneres Verbleiben in der Schweiz gebunden. Aber auch auf das Begehren um teilweisen Erlass der Freiheitsstrafe ist zurzeit nicht einzutreten, da noch nicht einmal zwei Dritteile derselben erstanden sind. Doppier wurde am 27. März 1908 zu 2l/2 Jahren Zuchthaus verurteilt unter Abrechnung von vier Monaten Untersuchungsverhaft, er hatte noch 26 Monate zu erstehen mit effektivem Ablauf der Strafzeit am 26. Mai .1910. Ein Dritteil der Strafzeit beträgt 10 Monate, zwei Dritteile sind somit am 26. Juli 1909 erstanden.

·608 Wir stellen daher den Antrag: Es sei das Gesuch des Otto Doppier hinsichtlich der Verweisungsstrafe definitiv, hinsichtlich der Zuchthausstrafe zurzeit abzuweisen.

B e r n , den 11. Mai 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen Sprengstoffverbrechen bestraften Otto Doppier, von Höhenstadt, Niederbayern, geboren 1884, Flaschner, zurzeit Zuchthaussträfling in Chur. (Vom 11. Mai 1909.)

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26.05.1909

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