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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begehren des Tobias Christ, stud. jur., in Basel, um Enthebung von der Militärpflichtersatzsteuer.

(Vom 30. März 1909.)

Tit.

In seinem Schreiben vom 10. März 1909 rekurriert Tobias Christ, stud. jur., in Basel, an die schweizerische Bundesversammlung gegen den Entscheid des Bundesrates vom 19. Februar 1909, durch den sein Gesuch um Enthebung von. der Militärpflichtersatzsteuer abgelehnt worden ist. Dieses Gesuch war gegründet auf Art. 2, lit. &, des Bundesgesetzes betreffend den Alili tärpfli chtersatz, vom 28. Juni 1878, laut dem die Wehrpflichtigen, die infolge des Dienstes militäruntauglich geworden sind, vom Militärpflichtersatz enthoben sind, und es wurde vom Bundesrate abgewiesen mit der Motivierung, dass die Herzkrankheit des Tobias Christ, die zu dessen Ausmusterung veranlagst hatte, nicht als eine Folge des Militärdienstes betrachtet werden könne.

Dem Bundesratsbeschlusse lagen folgende Erwägungen zu Grunde : Der Infanterierekrut Christ, Tobias, rückte am 3. Juni 1908 in die Infanterierekrutenschule III/4 in Luzern ein. Schon am 13. Juni, nachdem sein Dienst nur neun Tage gedauert hatte, meldete er sich krank, indem er über Herzklopfen,

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Atemnot und allgemeines Unwohlsein klagte. Der Schularzt fand bei ihm bronchitische Erscheinungen auf der rechten Lunge, aber kein Fieber, und war im Zweifel darüber, ob das Herzklopfen und die Dyspnöe des Patienten nicht mit einem Herzfehler im Zusammenhang stehen könnten. So evakuierte er denn am 15. Juni 1908 den Rekruten Christ mit der Diagnose: Bronchitis der rechten Lunge ; ,,Vitium cordis ?" in den Kantonsspital Luzern.

Dort blieb Christ nur sechs Tage. Die Spitalärzte diagnostizierten bei seiner Aufnahme eine ,,akute Herzinsuffizienz11, und als die Symptome dieser Herzschwäche verschwunden waren, entliessen sie den Patienten nach Hause.

Am 11. August 1908 sollte Christ in die Ferienrekrutenschule in Liestal einrücken. Er meldete sich aber bei der sanitarischen Eintrittsmusterung zur Dispensation und wies ein von Prof. Dr. Gönner in Basel verfasstes ärztliches Zeugnis vor, auf das wir später noch zu sprechen kommen werden.

Dieses Zeugnis veranlasste die Militärärzte, den Rekruten Christ vom Dienste zu dispensieren und wegen ,,Vitium cordis (Grenzen erweitert)'-1 vor die Untersuchungskommission zu weisen.

Dort stellte sich derselbe am 12. Oktober 1908, abermals mit einem Attest des Prof. Gönner ausgerüstet, und wurde nun wegen ,,Herzklopfen" ausgemustert.

Dass die in den ersten Tagen einer Rekrutenschule von den Rekruten geforderten körperlichen Leistungen keine übermässigen sind, ist bekannt. Rekrut Christ bot aber schon nach neun effektiven Diensttagen das Bild einer akuten Herzinsuffizienz, und diese kann nur auf Grund einer bei ihm schon vor dem Dienst vorhandenen Herzschwäche sich entwickelt haben, sonst würden wohl auch andere Rekruten, die mit ihm dieselben Übungen mitgemacht haben, an Herzklopfen und Atemnot erkrankt sein. Diesen Schiusa muss auch die Untersuchungskommission gezogen haben, als sie den Christ ausmusterte. Der Ausmusterungsgrund ,,Herzpalpitationena lässt deutlich erkennen, dass sie bei dem Rekurrenten keinen Herzfehler gefunden, ihn aber mit Rücksicht auf seine Vorgeschichte, wegen den bei weitern Dienstleistungen neuerdings zu erwartenden Herzsymptomen, als dienstuntauglich erklärt hat.

Der Rekurrent ist also nicht infolge des Dienstes, d. h.

wogen einer im Dienste acquirierten Krankheit aus der Wehrpflicht entlassen worden, sondern es hat der Dienst nur einen

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bei ihm bestehenden, bei der Rekrutierung nicht konstaticrbaren Ausimisterungsgrund in die Erscheinung treten lassen.

In seinem Rekurse behauptet nun Christ, vor seiner Rekrutenschule vollständig gesund gewesen zu sein, und beruft sich auf das Resultat seiner Untersuchung durch die Aushebungskommission, sowie auf ein Zeugnis seines Hausarztes Prof.

Gönner. Im fernem bestreitet er die Richtigkeit unserer, der Ablehnung seines Gesuches zu Grundei liegenden Annahme, dass von einer primären, im Militärdienst acquiricrten Herzerkrankung nie die Rede gewesen sei, und dass jedenfalls seither das Herz schon längst wieder zur frühern Norm sich zuü v rückgebildet habe.

Die Unhaltbarkeit der vom Rekurrenten gemachten Einwände ist leicht nachzuweisen.

Vor allem aus ist festzustellen, dass es sich bei Christ niemals um einen eigentlichen H e r z f e h l e r gehandelt hat und dass seine Angabe, er sei wegen eines Herzfehlers untauglich erklärt worden, unrichtig ist. Als Ausmustcrungsgrund wurde von den Ärzten angegeben ,,Hcrzpalpitationen" ; welches der w i r k l i c h e G r u n d war, ist oben ausgeführt worden.

Als Christ in den Spital in Luzern eintrat, fand mau bei ihm eine akute Herzinsuffizienz, d. h. eine V e r g r ö s s e r u n g des seiner Aufgabe nur noch mit Mühe nachkommenden H e r z e n s ; dieselbe war sechs Tage später nach der Ansicht der Spitalärzte wieder zurückgegangen, während Prof. Gönner sie allerdings damals, wenn auch in sehr bescheidenem Grade, noch konstatiert haben will. Auf alle Fälle war von dieser Herzerweiterung am 17. A u g u s t 1908, also zwei Monate nach der Heimkehr des Rekurrenten, nichts mehr vorhanden, denn Prof. Gönner schrieb in dem Zeugnis, das Christ bei der sanitarischen Eintrittsmusterung der Rekrutenschule in Liestal vorzuweisen hatte : ,, H e r z g r e n z e n n o r m a l " .

In dem Zeugnis, das Prof. Gönner dem Tobias Christ mitgab, als er vor der TIntersuchungskommission sich stellte, steht kein Wort davon, dass noch irgend eine Anomalie in seinen Herzfunktionen oder ein durch objektive Untersuchung festzustellendes Residuum der in Luzern aufgetretenen Herzerweiterung bestehe. Profi. Gönner erwähnt nur den von ihm am 29. Juni 1908 erhobenen Befund und fügt bei : ,,Es ist mir zweifelhaft, ob das Herz des Patienten den Anforderungen des Militärdienstes gewachsen ist. Ich kenne ihn seit der Geburt, bis ö

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jetzt hat er nie an Störungen von Seiten des Herzens gelitten, sie sind zum erstenmal im Dienst in Luzern aufgetreten. Es ist anzunehmen, dass die F e t t l e i b i g k e i t des Pat i e n t e n bei der Erkrankung eine Rolle spielt."

Wir ersehen hieraus, dass Prof. Gönner über die Ursache der im Dienste aufgetretenen Herzinsuffizienz seines Klienten ganz gut orientiert war.

Der Rekurrent ist ein fettleibiger 20jähriger Mann. Als er, neunzehn Jahre alt, zur Rekrutierung sich stellte, betrug seine Körperlänge 173,5 cm, der Brustumfang 100 cm, der Umfang seines Oberarmes 29 cm, Zahlen, die eine beredte Sprache reden. Angesichts dieser Fettleibigkeit seines Klienten erscheint die öfters wiederholte. Behauptung des Prof.

Gönner, er habe niemals Störungen der Herzfunktion bei demselben beobachtet, als irrelevant ; es ist doch einleuchtend, dass die Fettleibigkeit des Rekurrenten nicht von seiner Geburt an vorhanden war und dass erst mit ihrer Entwicklung die die Fettsucht gewöhnlich begleitende Schwäche des Herzens zur Ausbildung kam, die sich dann in Luzern nach wenigen Diensttagen kund gab. Diese Schwäche konnte selbst durch eine genaue Untersuchung nicht ohne weiteres konstatiert werden, und deshalb wurde Christ bei der Rekrutierung auch als tauglich erklärt : um diese Schwäche manifest werden zu lassen, brauchte es gewisse Anstrengungen des Rekurrenten, Anstrengungen, die freilich von seinen gesunden Kameraden anstandslos ertragen wurden.

Wir könnten noch darauf hinweisen, dass Tobias Christ mit seinen Skifahrten, die bekanntlich grosse Anforderungen an die Herzmuskeln stellen und die von Prof. Gönner als zu Gunsten seines Klienten sprechend angeführt wurden, gerade dasjenige getan hat, was er bei seiner Konstitution hätte unterlassen sollen, und dassi diese Übungen sehr wahrscheinlich dazu beigetragen haben, die Leistungsfähigkeit seines Herzens herabzusetzen, wollen uns aber mit diesen Ausführungen begnügen. Sie zeigen, dass der Rekurrent nicht wegen der Folgen seines Dienstes ausgemustert worden ist, sondern infolge der schon vorher vorhandenen Unfähigkeit seines Herzens, auch nur geringe Strapazen zu ertragen.

Da die schädigenden Einflüsse, die der Militärdienst auf das Herz des Tobias Christ gehabt hat, vorübergehender Natur gewesen sind und keine weitern Folgen hinterlassen haben,

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liegt auch kein Grund vor, dem Rekurs aus kommiserativen Rücksichten zu entsprechen. Wir beantragen Ihnen daher, es sei das Begehren des stud. jur. Tobias Christ in Basel um Enthebung von der Militärpflichtersatzsteucr abzuweisen, und benutzen den Anlass, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachlung zu versichern.

B e r n , den 30. März 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begehren des Tobias Christ, stud. jur., in Basel, um Enthebung von der Militärpflichtersatzsteuer. (Vom 30.

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