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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Sigmund Kommen in Basel gegen den Bundesratsbeschluss vom 26. Februar 1909 betreffend seine Ausweisung aus dem Kanton Baselstadt.

(Vom 4. Juni 1909.)

Tit.

I. Mit Beschluss vom 26. Februar 1909 haben wir die Beschwerde des Sigmund Kommen von Rechwitz, Comitat Bisenburg, Ungarn, gegen eine Verfügung des Polizeidepartementes des Kantons Baselstadt vom 22. August 1908, laut welcher der Rekurrent für 10 Jahre aus dem Gebiet des Kantons Baselstadt ausgewiesen wurde, abgewiesen und unsern Beschluss auf Grund von Art. 196, Absatz 2, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege für sofort vollziehbar erklärt.

II. Sigmund Kommen hat diesen Beschluss mit einer innert der gesetzlichen Frist eingereichten Eingabe d. d. 17. April 1909 (der Post übergeben am 20. April 1909) an die Bundesversammlung weitergezogen und das Begehren gestellt, ,,es möge die Bundesversammlung seinen Rekurs gutheissen und die Verfügung des Polizeidepartements des Kantons Baselstadt vom 22. August 1908 als dem Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich zuwiderlaufend aufheben". In seinem Begleitschreiben vom 20. April 1908 verlangte der Rekurrent ferner, dass das Ausweisungsverfahren durch eine sofort zu treffende vorsorgliche Verfügung gemäss Art. 193 des Bundesgesetzes über die Organisation die Bundesrechtspflege bis zur endgültigen Entscheidung durch der

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Bundesversammlung sistiert werde. Da keine genügenden Gründe vorlagen, auf unsern Beschluss über die Vollziehbarkeit des Rekursentscheides zurückzukommen, wiesen wir das Sistierungsgesuch mit Verfügung vom 26. April 1909 ab.

Zur Vernehmlassung über die Beschwerde eingeladen, teilte uns der Regierungsrat des Kantons Baselstadt am 12. Mai 1909 mit, dass er an seinem Antrag auf Abweisung des Rekurses festhalte und sich damit begnüge, auf seinen Entscheid vom 10. Oktober 1908 und seine Vernehmlassung vom 20. Januar 1909 an den Bundesrat zu verweisen, da der Rekurrent in seiner Rekursschrift an die Bundesversammlung nur seine früheren Beschwerdegründe wiederhole.

DI. Die Beschwerdegründe des Rekurrenten lassen sich kurz ·dahin zusammenfassen : Laut dem zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn abgeschlossenen Niederlassungsvertrag vom 7. Dezember 1875 könne der Aufenthalt oder die Niederlassung in der Schweiz den Angehörigen der österreichisch-ungarischen Monarchie nur aus denjenigen Gründen entzogen werden, die laut Art. 45 der Bundesverfassung für Schweizerbürger gelten.

Aber selbst angenommen, es sei nach dem Staatsvertrag auch die Ausweisung aus anderen, bloss polizeilichen Gründen zulässig, so müsste sich diese Ausweisung doch auf bestimmte Gesetzesvorschriften gründen, was hier nicht der Fall sei.

IV. Der Bundesrat hat bereits in seinem Geschäftsbericht über das Jahr 1885 erklärt, dass die in fast allen Rekursschriften wiederkehrende Behauptung, die Ausländer können vermöge der ihnen durch Staatsvertrag zugesicherten Gleichberechtigung nur unter den für die Schweizerbürger geltenden Voraussetzungen ausgewiesen werden, rechtsirrtümlich sei, dass vielmehr das Recht des Aufenthalts auf Schweizergebiet in allen Niederlassungsverträgen, die die Schweiz abgeschlossen hat, besonders normiert sei. Wie der Bundesrat bereits anlässlich der Beschwerde Nessler (Bundesbl. 1887 II, 697) festgestellt hat, können die Angehörigen Österreich-Ungarns auf Grund von Art. 4 des Niederlassungsvertrages mit Österreich-Ungarn vom 7. Dezember 1875 auch aus bloss polizeilichen Gründen aus dem Gebiete der Schweiz weggewiesen werden.

Die Behauptung des Rekurrenten, die Polizeimassregel sei nicht gesetzmässig angewendet und vollzogen worden, entbehrt jeder Begründung. Nach den §§ l und 2 des baselstädtischen Gesetzes über den Entzug der Niederlassung und des Aufenthalts

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und die polizeiliche Ausweisung vom 24. Januar 1881 ist der Entzug der Niederlassung und die damit verbundene Ausweisung von Ausländern innert den Schranken der mit den fremden Staaten abgeschlossenen Niederlassungsverträge eine gesetzlich vorgesehene Massregel, zu der laut § 4 leg. cit. u. a. aus Gründen der Sittenpolizei gegriffen werden kann. Gestützt auf diese Gesetzesbestimmungen haben die baslerischen Behörden den Rekurrenten ausgewiesen in der Annahme, sein Geschäftsgebaren sei ein verwerfliches und somit unsittliches und seine Wegweisung rechtfertige sich daher aus Gründen der Sittenpolizei. Diese Anwendung des Gesetzes auf den Rekurrenten kann keineswegs als eine willkürliche bezeichnet werden ; das ganze Geschäftsgebaren des Rekurrenten rechtfertigt sie im Gegenteil vollständig. Esmag noch hervorgehoben werden, dass sich der Rekurrent trotz seinen vielen Konflikten mit den Justizbehörden in seinen unlautern Praktiken unverbesserlich zeigte. Die Ausweisungsverfügung des Regierungsrates von Baselstadt ist auch gemäss dem in §§ 5 ff. des zitierten Gesetzes vorgeschriebenen Verfahren getroffen worden.

Im übrigen verweisen wir auf unsere Ausführungen, mit denen wir in unserm Beschluss vom 26. Februar 1909 die Abweisung der Beschwerde begründet haben.

Gestützt auf diese Erwägungen beantragen wir Ihnen, Tit., die Beschwerde des Sigmund Kommen abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 4. Juni 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Riugier.

l Beilage.

957 Seilage.

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Sigmund Kommen, in Basel, betreffend seine Ausweisung aus dem Kanton Baselstadt.

(Vom 26. Februar 1909.)

Der schweizerische Bundesrat, hat

über die Beschwerde des Sigmund K o m m e n , in Basel, betreffend seine Ausweisung aus dem Kanton Baselstadt, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In talsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Sigmund Kommen, von Rechwitz, Comitat Eisenburg, Ungarn, erhielt erstmals am 18. November 1896 in Basel Niederlassungsbewilligung als Inhaber eines Uhren- und Bijouteriegeschäftes. Im Jahre 1899 wurde er nach Genf, von wo aus er verfolgt wurde, ausgeliefert, erhielt aber, nachdem die Verfolgung aufgehoben worden war, am 7. Oktober 1899 wieder eine Niederlassungsbewilligung.

958 Am 29. Juli 1908 hat die Staatsanwaltschaft Baselstadt, gestützt auf ein " umfangreiches Aktenmaterial, sich in einem längeren Berichte an das Polizeidepartement gewendet und darauf hingewiesen, dass die seit Jahren gegen Kommen einlaufenden zahlreichen Strafanzeigen und die daran anschliessenden polizeilichen und richterlichen Untersuchungen dartun, dass das Geschäftsgebaren Kommens ein unsittliches und die Ausweisung des Genannten aus dem Gebiet des Kantons Baselstadt im öffentlichen Interesse geboten sei.

Kommen ist im Laufe der Jahre für folgende Vergehen bestraft worden : 1894 von der Strafkammer Berlin wegen öffentlicher Veranstaltung einer Ausspielung zu 20 Mark Geldstrafe ; 1895 vom Schöffengericht Frankfurt a. M. wegen Betrug zu 200 Mark Geldstrafe; 1903 vom Appellationsgericht Baselstadt wegen unlautern Wettbewerbes mit 100 Franken Geldstrafe.

Ausserdem wurde Kommen in Lörrach wegen eines Zollvergehens mit einer Geldbusse bestraft. Am 6. Mai 1896 ist Kommen aus dem Gebiete des preussischen Staates und am 19. Dezember 1896 aus Blsass-Lothringen ausgewiesen worden.

Seit seiner Niederlassung in Basel bis in die neueste Zeit gingen gegen Kommen zahlreiche Strafklagen ein wegen Betruges und unlautern Wettbewerbes. Eine dieser Anzeigen führte zu der oben erwähnten Bestrafung Kommens wegen unlautern Wettbewerbes. Die übrigen Strafverfolgungen wurden eingestellt, zum Teil wegen Rückgängigmachung der Geschäfte, die den äussern Anlass zu den Anzeigen gegeben hatten, teils weil, wenn auch ein verwerfliches, so doch nicht ein unter Strafe gestelltes Verhalten des Beschuldigten nachgewiesen werden konnte.

In den letzten Jahren gibt Kommen noch ein jeden Samstag erscheinendes Blatt, betitelt ,,Mir gelingts" heraus, das angeblich den Zweck verfolgt, Käufer und Verkäufer von Liegenschaften in direkte Verbindung zu bringen und denselben dadurch Kaufabschlüsse mit Umgehung der Agenten zu ermöglichen. Nach den Angaben des Rekurrenten vor der Staatsanwaltschaft Basel beliefen sich die Druck- und ändern Kosten dieses Blattes in einem Jahr auf zirka Fr. 70,000, und hatten von den zirka 500 Inserataufträgen nur 10 Erfolg. Für die Acquisition von Inserenten hält der Rekurrent eigens 4 Reisende. Die seit der Gründung des Blattes bei der Staatsanwaltschaft Basel und auch anderwärts unaufhörlich einlaufenden Betrugsanzeigen beweisen, dass die Auftraggeber sich in der Regel als betrogen ansehen.

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Rekurrent, dem das Gebaren seiner Reisenden zufolge der vielen gegen ihn eingegangenen Klagen bekannt war, führte dieses Geschäft trotzdem in der gleichen Weise weiter.

In letzter Zeit ist die Staatsanwaltschaft Baselstadt öfters von Amtsstellen anderer Kantone auf requisitorischem Wege um Einvernahme Kommens als Angeschuldigten wegen Betruges ersucht worden. So unter anderm allein in den Monaten Februar bis Juli 1908 vom Bezirksgericht Bremgarten, vom Verhöramt Schaffhausen, vom Statthalteramt Liestal, von der Polizeidirektion Trogen, vom Bezirksamt Aarau.

II.

Am 22. August 1908 verfügte das Polizeidepartement des Kantons Baselstadt : ,,Nach Einsicht einer Zuschrift der Staatsanwaltschaft II, ferner der Untersuchungs- und Strafakten ist Sigmund Kommen-Kohn wegen wiederholter Bestrafung und schlechten Leumundes, mit Familie, auf die Dauer von 10 Jahren auszuweisen." Gegen diese Verfügung rekurrierte Kommen an den Regierungsrat des Kantons Baselstadt mit dem Antrage, es sei die Verfügung des Polizeidepartements vom 22. August 1908 aufzuheben. Am 10. Oktober 1908 (dem Rekurrenten mitgeteilt am 16. Oktober) hat der Regierungsrat den Rekurs abgewiesen.

·

in.

Mit Eingabe vom 15. Dezember ^1908 beschwertf sich Sigmund Kommen beim Bundesrat und beantragt, ,,es sei der Entscheid des Regierungsrates vom 10. Oktober, sowie die Verfügung des Polizeidepartements vom 22. August aufzuheben."

Zur Begründung seiner Beschwerde führt er im wesentlichen aus : Rekurrent sei in Basel nur einmal bestraft worden, und zwar nur mit einer Geldstrafe von 100 Franken. Es werde die Erhebung weiterer Beweismittel beantragt. Die Gründung des Blattes ,,Mir gelingts" sei ein durchaus reelles Geschäftsunternehmen. Der angefochtene Beschluss verletze den Staatsvertrag vom 7. Dezember 1875 zwischen der Schweiz und ÖsterreichUngarn. Laut Art. l dieses Vertrages richte sich das Niederlassungsrecht des Rekurrenten nach Art. 45 der Bundesverfassung.

Die dort verlangten Voraussetzungen für den Entzug der Niederlassung seien aber in konkrete nicht gegeben. Selbst angenommen,

960 aber nicht zugegeben, Art. 4 des Staatsvertrages gestatte auch eine Ausweisung aus bloss polizeilichen Gründen, so müsse diese Ausweisung wenigstens eine gesetzmassige sein. Eine Bestimmung, auf Grund deren Kommen die Niederlassung entzogen werden könnte, finde sich jedoch in den Gesetzen des Kantons Baselstadt nirgends.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt beantragt in seiner Vernehmlassung vom 20. Januar 1909 Abweisung der Beschwerde.

In tatsächlicher Beziehung verweist er auf den angefochtenen Entscheid und die demselben vorausgegangene Untersuchung.

Die Ausweisung sei in Anwendung des baselstädtischen Gesetzes über den Entzug der Niederlassung und des Aufenthaltes und die polizeiliche Ausweisung vom 24. Januar 1881 erfogt.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Bundesrat hat schon wiederholt entschieden, dass das Recht der Ausländer zur Niederlassung sich nicht nach Art. 45 der Bundesverfassung, sondern nach den Vorschriften des zwischen der Schweiz und ihrem Heimatstaat abgeschlossenen Niederlassungsvertrages richtet. Nach Art. 4- des zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn am 7. Dezember 1875 abgeschlossenen Staatsvertrages können die Angehörigen Österreich-Ungarns unter anderm auch aus bloss polizeilichen Gründen oder kraft der Verordnungen über die Sittenpolizei aus dem Gebiete der Schweiz weggewiesen werden. Auch die Gesetzgebung des Kantons Baselstadt garantiert dem Rekurrenten nicht den weitergehenden Anspruch auf Niederlassung, wie er in der Bundesverfassung für Schweizer vorgesehen ist. Die Entziehung der Niederlassung steht mit dem schweizerisch-österreichischen Niederlassungsvertrag keineswegs in Widerspruch, da Rekurrent nicht nur sein Gewerbe in einer schwindelhaften Weise betrieben hat, sondern auch mehrmals gerichtlich dafür bestraft worden ist. Auch ist^ die Ausweisungsverfügung auf gesetzlichem Wege beschlossen worden.

961 Demgemäss wird erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

vollziehbar.

Dieser Beschluss ist sofort

B e r n , den 26. Februar 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Sigmund Kommen in Basel gegen den Bundesratsbeschluss vom 26. Februar 1909 betreffend seine Ausweisung aus dem Kanton Baselstadt. (Vom 4. Juni 1909.)

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09.06.1909

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