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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung von Eisenbahnzügen bestraften Fritz Schindler, von Worb, Kanton Bern, geb. 1887, Güterexpeditionsgehülfe der Gotthardbahn in Luino.

(Vom 30. April 1909.)

Tit.

Am 1. Mai 1908 wurde Fritz Schindler von der Stelle eines Stationsgehülfen in Steinen, Kanton Schwyz, in gleicher Eigenschaft nach der Station Sisikon versetzt. Hier hatte jeweilen abends zirka 6 Uhr die Durchfahrt des fahrplanmässigen Zuges 126 Lugano-Luzern stattzufinden, dem in entsprechendem Abstand ein Supplementszug 126bis folgte. Der letztere hatte in Brunnen Kreuzung mit dem von Luzern her eintreffenden Gegenzug 523.

Am 4. Mai nun passierte Zug 126 die Station Sisikon fahrplanmässig und der Stationsgehülfe Schindler öffnete darauf das Einfahrtssemaphor gegen Flüelen und das Ausfahrtssemaphor gegen Brunnen, für die Durchfahrt des Zuges 126bis, der auf Station Sisikon nicht anzuhalten hatte. Bald nachher aber wurde wegen Verspätung eben dieses Zuges dessen Kreuzung mit dem Gegenzug 523 durch die zuständigen Organe nach Sisikon ver-

962 legt und Schindler hiervon Mitteilung gemacht. Er nahm den Bericht entgegen, unterliess aber, das bereits geöffnete Ein- und Ausfahrtssignal für Zug 126bi8 wieder zu schliessen, so dass dieser mit 60 Kilometer Geschwindigkeit von Flüelen her in die Station Sisikon einfuhr, um dieselbe ohne Anhalt zu passieren, während auf der eingeleisigen Strecke der Gegenzug 523 zur Kreuzung einfuhr.

Erst in dem Momente, da Schindler das Geräusch des einfahrenden Zuges hörte, wurde er sich der Situation bewusst, und es gelang ihm noch, durch Rufen und Handsignale den Lokomotivführer des Schnellzuges zur Anwendung der Schnellbremse und zur Rückwärtsbewegung des Zuges zu veranlassen, als dieser schon die Einfahrtsweiche gegen Brunnen um 30 bis 40 m überfahren hatte. Dadurch wurde es möglich, die Kreuzung mit dem in Einfahrt begriffenen Zug 523 ohne Schaden für Personen und Material zu vollziehen.

Schindler, der durch Unterlassung seiner Dienstpflicht diese Situation herbeigeführt und eine ganz enorme Gefährdung der beiden Eisenbalmzüge verursacht hatte, wurde vom Kreisgericht Uri, gestützt auf Art. 67 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 (revidiert durch Bundesbeschluss vom 5. Juni 1902) mit drei Tagen Haft, Fr. 30 Busse und Tragung der Gerichtskosten bestraft.

Die Direktion der Gotthardbahngesellschaft ahndete seine Handlungsweise nach Angabe seines Verteidigers administrativ mit 7 Tagen Gehaltsentzug, Enthebung vom äussern Dienst und Herabsetzung /um Güterexpeditionsgehülfen unter Versetzung nach Luino. Das Obergericht des Kantons Uri ermässigte nach erfolgter Appellation die gerichtliche Strafe auf einen Tag Gefängnis und Fr. 30 Busse. Beide Gerichtsinstanzen betonen die furchtbare Gefahr des Zusammenstosses, lassen aber zu gunsten des Fehlbaren in weitgehendem Masse wirken dessen schwierige dienstliche Stellung und die Energie, die er nach Erkennen der Gefahr entfaltete, um die Katastrophe zu verhüten.

Unter Berufung auf alle tatsächlichen und rechtlichen Momente, welche für eine milde Beurteilung des Fritz Schindler sprechen, ersucht dessen Verteidiger um Erlass der Freiheitsstrafe durch Begnadigung. Aber es kann diesem Begehren nicht entsprochen werden, da das richterliche Urteil bereits in weitestem Umfange dem Petenten durch Herabsetzung des Strafmasses gerecht geworden ist.

963 Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei das Begnadigungsgesuch des Fritz Schindler abzuweisen.

B e r n , den 30. April 1909.

Im Namen des schweif. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der 1. Vizekanzler : Schatzmann.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung von Eisenbahnzügen bestraften Fritz Schindler, von Worb, Kanton Bern, geb. 1887, Güterexpeditionsgehülfe der Gotthardbahn in Luino. (Vom 30.

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05.05.1909

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